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Der blaue Stern

von

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Der blaue Stern

„Aber wieso müsst ihr umziehen?“ Friedrich sah das Mädchen mit den schulterlangen, blonden Locken bestürzt an.
 

„Weil der Großherzog will, dass Vater für ihn arbeitet. Ihm haben doch seine Arbeiten beim Winterfest so gefallen und das es doch eine Verschwendung sei, wenn niemand sie bewundern könne. Er hat ihm viel Geld geboten und Vater wäre dumm, wenn er das nicht annehmen würde. Wenn er nur dieses eine Jahr für den Großherzog arbeitet, dann kann er überall arbeiten. Und Giselfingen ist so weit weg, da kann Vater nicht immer hinfahren. Die Kutscher verlangen ein Vermögen dafür.“
 

„Das finde ich aber blöd. Können du und deine Mutter nicht einfach hier bleiben? Du hast gesagt, er braucht etwa ein Jahr, um die Fenster zu fertigen. Das ist doch nicht so lange! Außerdem ist der Großherzog ein launischer, gieriger Mensch. Was ist, wenn er deinen Vater nicht bezahlt? Ich habe gehört, seinen letzten Stallmeister hat er einfach rausgeworfen, ohne ihm Geld für seine Arbeit zu geben. Dabei sollen die Pferde nie besser gepflegt worden sein.“
 

Der Junge mit den braunen Haaren sah zu Boden und schob einen Kiesel mit seiner Schuhspitze hin und her, wobei er gleichzeitig den Dreck des Bodens mit dem frisch gefallenen Schnee vermischte. Er wollte nicht, dass Mathilde fortging. Gerhard war mit seinen Eltern vor zwei Jahren fortgezogen und seitdem hatte Friedrich nichts mehr von ihm gehört. Und sie durfte erst recht nicht gehen. Zusammen mit Mathilde waren die drei unzertrennlich, aber Mathilde war mehr als nur eine Freundin.
 

„Dann ist Vater aber ganz alleine und du weißt, wie sehr er auf Mutters Hilfe angewiesen ist, damit die Entwürfe stimmen. Und das Geld brauchen wir auch. Er wird Vater schon bezahlen, denn wie du schon gesagt hast: Der Großherzog ist ein gieriger Mensch. Mehr als Geld bedeutet ihm sein Ansehen und seine Macht. Und bisher hat noch kein Adeliger solche Fenster in seinem Anwesen, außer in den Kapellen. Die anderen Adligen werden vor Neid erblassen und auch solche Fenster haben wollen.“
 

„Ich habe trotzdem kein gutes Gefühl dabei. Du bist dann ganz weit weg und wir sehen uns nicht mehr. Vielleicht kommst du nie wieder, so wie Gerhard…und wenn der Großherzog deinen Vater nicht bezahlt oder ihn in seiner Laune sogar rauswirft, was passiert dann?“ Friedrich sah Mathilde betrübt und flehend zugleich an. Irgendwie musste er sie doch überzeugen können, hier bei ihm zu bleiben.
 

„Ich werde wiederkommen, versprochen! Es gibt niemanden, der so schöne Fenster machen kann wie mein Vater. Du wirst schon sehen, dass alles gut wird. Nur ein Jahr, dann sind wir wieder zusammen.“ Mathilde warf einen Blick in den sich langsam immer mehr verdunkelnden Himmel. „Ich muss jetzt nach Hause. Mutter hat das Essen bestimmt schon fertig. Sehen wir uns morgen?“
 

„Am Brunnen, wie immer.“
 

„Dann bis morgen, ich freu mich.“ Das Mädchen, gerade vierzehn Jahre alt geworden, umarmte ihren nur ein paar Monate älteren Freund zum Abschied, bevor sie nach Hause lief. Selbst bei dem dichter werdenden Schneefall waren ihre Locken leicht zu sehen. Friedrich seufzte und fragte sich, was er tun könnte, um das scheinbar Unausweichliche doch noch abzuwenden. Mit hängendem Kopf ging er nach Hause, wo ihn seine Eltern bereits mit dem Abendessen erwarteten.
 

„Da bist du ja endlich. Wo habt ihr euch heute wieder rumgetrieben?“ Tadelnd sah Thiathild ihren Sohn an, während sie den Gemüseeintopf auf den Tisch stellte.
 

„Wir waren bei William. Er hat uns gezeigt, wie man die Stoffe färbt.“
 

„William wird euch ja nicht so lange beschäftigt haben, oder?“
 

„Mathilde und ihre Eltern wollen wegziehen. Wegen dem blöden Großherzog!“, platzte es aus Friedrich heraus.
 

„Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht so über den Großherzog reden sollst? Du weißt nie, wer das mitbekommt. Außerdem kann ich Mathildes Eltern verstehen. Er bietet ihnen viel Geld und Arbeit für ein ganzes Jahr. Es ist sehr gut möglich, dass Mathildes Vater dann auch für andere Adlige arbeiten kann. Und dann wird er sogar zu Hause arbeiten können und nur zum Ausmessen und Einsetzen der Fenster fort müssen.“ Richard sah den Jungen eindringlich an. Natürlich hatten Mathildes Eltern ihnen bereits alles erzählt, waren sie doch schon seit Jahren befreundet.
 

„Wieso habt ihr mir nichts gesagt? Ihr habt es gewusst und es mir verschwiegen! Sie werden schon bald gehen und ihr lasst das einfach so zu! Dann sehe ich Mathilde vielleicht nie wioeder! Ich hasse euch!“ Friedrich rannte in sein Zimmer und knallte die Tür zu.
 

„Ich rede mit ihm.“ Richard seufzte, erhob sich und ging in das Zimmer seines Sohnes, der auf dem Bett lag und wütend die Wand auf der anderen Seite des Zimmers anstarrte. Mit dieser Reaktion hatten sie bereits gerechnet. Er hatte schon ähnlich auf Gerhards Wegzug reagiert, aber bei Mathilde war es schlimmer.
 

„Mein Junge, Mathilde möchte auch nicht fort und ihre Eltern würden ebenfalls lieber hier bleiben. Immerhin sind hier alle Menschen, die ihnen etwas bedeuten. Aber die Zeiten sind hart und jeder muss sehen, wie er seine Familie ernährt.“
 

„Und wenn sie nicht wiederkommen? Genau wie Gerhard…der hat auch versprochen, dass er zurückkommt und er hat sein Wort gebrochen.“ Friedrichs Wut war bereits verflogen und der Verzweiflung und Angst gewichen, dass er Mathilde vielleicht nie mehr wiedersehen würde.
 

„Friedrich, Gerhard ist mit seinen Eltern zu seiner Großmutter gefahren, um sie zu pflegen. Sie ist ganz alleine, seit ihr Mann gestorben ist und sehr krank. Gerhards Vater hat mir gesagt, sie glauben nicht, dass sie noch lange zu leben hat, weil es ihr schon so schlecht ging. Aber wenn es ihr wider Erwarten doch besser gegangen ist, seit sich ihre Familie um sie kümmert und sie noch länger lebt, ist das wertvolle Zeit, die sie noch mit ihrer Familie verbringen kann. Ich bin mir sicher, dass Gerhard sein Versprechen halten und zurückkommen wird. Aber die Familie ist wichtig, auf die muss man sich auch in schlechten Zeiten verlassen können. Man muss füreinander da sein. Verstehst du das?“
 

Friedrich sah seinen Vater lange an, bevor er sprach.
 

„Du glaubst nicht, dass er mich vergessen hat?“
 

„Unsinn! Ihr wart doch unzertrennlich. Sowas vergisst man nicht einfach. Vielleicht wäre es einfacher, wenn ihr lesen und schreiben könntet. Dann hättet ihr euch Nachrichten schicken können, auch wenn es eine Weile gedauert hätte, bis eine Antwort kommt. Die Boten können ja manchmal die Nachrichten nicht so schnell überbringen, wie sie möchten und die Straßen sind nicht ungefährlich.“

Vater und Sohn sahen sich an. Sie wussten beide, dass lesen und schreiben ein Luxus war, den sie beide sich wohl nie würden leisten können. In ihrem Dorf gab es nur eine Hand voll Menschen, die das konnten und diese hatten keine Zeit, anderen etwas beizubringen, weil sie so viel zu tun hatten. Und einen Lehrer, wie ihn die besser gestellten Kaufleute aus dem Nachbarort anstellten, war für sie einfach nicht bezahlbar.
 

„Und wenn Mathilde mich vergisst?“
 

„Das wird sie schon nicht. Aber wenn du dir deswegen immer noch Gedanken machst, dann sorge doch dafür, dass sie dich nicht vergessen kann. Mach ihr doch ein besonderes Geschenk!“
 

Friedrich richtete sich auf und seine Hand suchte den Anhänger, den er um den Hals trug. Es war ein Stück unbearbeitetes Erz aus der Mine vor dem Dorf und hatte die Form eines Viertelmondes. Einer der Minenarbeiter hatte es ihm geschenkt, als sie die Mine schließen mussten. Der Großherzog hatte verlauten lassen, die Mine sei nicht ergiebig genug. Aus Wut über diese offensichtliche Lüge und den Verlust ihrer Arbeit hatten einige der Minenarbeiter sich noch etwas von dem Erz eingesteckt. Nicht viel, immerhin waren sie von den Männern des Adligen bewacht worden, aber die waren faul und hatten nie die Arbeiter nach Erz durchsucht. So auch nicht an dem Tag, als sie die Mineneingänge versperren mussten. Immerhin waren es die Dorfbewohner gewesen, die einen Gang durch den ganzen Berg getrieben hatten, damit man das Erz direkt zum Fluss bringen konnte, um es zum Anwesen des Großherzogs zu transportieren. Der Weg um den Berg herum und zurück hatte immer den halben Tag in Anspruch genommen. Niemand zweifelte daran, dass der Großherzog die Mine weiter ausbeuten würde. Der Gang durch den Berg war gerade erst ein paar Monate alt und die Vorarbeiter hatten natürlich Berichten müssen, wie viel Erz sie nun immer abbauen konnten. Der Großherzog würde seine eigenen Leute arbeiten lassen, das Erz teuer verkaufen und die Gelder für die Arbeiter sparen.
 

Mathilde hatte der Anhänger immer gefallen und sie hatte sich so einen schon lange gewünscht. Der Minenarbeiter, Ewald, von dem Friedrich den Anhänger hatte, erzählte ihm damals auch, dass er eine kleine Ader mit seltenem blauem Stein entdeckt habe. Sie würde wohl nicht viel hergeben, aber bestimmt genug, um einem reichen Bürger gutes Geld dafür abzunehmen. Ewald war ein Freund seines Vaters gewesen und hatte ihm noch genau beschrieben, wo er den Stein gefunden hatte. Es war ein Stein und kein Erz hatte er noch extra betont. Der schon etwas ältere Mann hatte sich seinen Fund selber ein paar Nächte nach Schließung der Mine holen wollen, war dann aber eines Morgens zusammen mit den anderen Minenarbeitern und deren Familien vom Großherzog in einen anderen Ort geschickt worden, um dort in einer neuen Mine zu arbeiten. Das war auch der Grund, warum niemand es wagte, gegen den Großherzog aufzubegehren. Er konnte einfach von einem Tag auf den anderen eine ganze Familie dazu zwingen, in einen anderen Ort zu ziehen. Weigerten sie sich, wurden sie entweder eingesperrt und ihr Hab und Gut verbrannt oder er verbannte sie. Aber gerade deshalb war die Dorfgemeinschaft so stark geworden. Man hielt zusammen und tauschte schon mal Dinge, die eigentlich dem Großherzog zustanden, untereinander oder gegen einen Gefallen. Natürlich immer nur so viel, dass es nicht weiter auffiel.
 

Der blaue Stein! Den würde er Mathilde schenken, wenn er noch in der Mine war. Wenn nicht, dann würde er ihr seinen Mond schenken, auch wenn er ihm viel bedeutete. Genau das würde er tun! Aber er musste heimlich zur Mine und in den Morgenstunden. Seine Eltern hatten ihm verboten dorthin zu gehen, weil sie befürchteten, die Handlanger des Großherzogs könnten ihm etwas tun. Aber diese verschwanden immer vor Sonnenaufgang. Einige der Dorfbewohner hatten sie ein paar Mal beobachtet und es weiter erzählt.
 

„Ich glaube, ich weiß was ich ihr schenke.“ Friedrich stand auf und ging auf seinen Vater zu.
 

„Du musst ihr aber nicht unbedingt deinen Anhänger schenken, damit sie dich nicht vergisst. Das weißt du, oder? Wie wäre es mit einem von den kleinen Geldbeuteln, die Freya gemacht hat?“ Dem Jungen fiel ein Stein vom Herzen, dass sein Vater seine eigentliche Absicht nicht erkannt hatte. Er log ihn nicht gerne an und die Aussicht, frühmorgens zur Mine zu gehen, um dort nach dem blauen Stein zu suchen, der vielleicht gar nicht mehr da war, machte es nicht besser. Aber er musste es bereits am kommenden Morgen erledigen, da er nicht wusste, wann Mathilde gehen würde.
 

So gingen die beiden zurück, setzten sich an den gedeckten Tisch und unterhielten sich zusammen mit Thiathild über mögliche Geschenke für Mathilde. Als Friedrich schließlich zu Bett ging, konnte er gar nicht einschlafen. Er hörte, wie einige Zeit später seine Eltern zu Bett gingen. Als der Morgen sich schließlich nähern musste stand er auf, zog sich an, nahm sein Feuerbesteck und schlich sich aus dem Haus. Den Weg zur Mine fand er auch im Dunkeln ohne Probleme, hatte er doch zusammen mit Mathilde und Gerhard früher den Minenarbeitern oft Wasser und Brote gebracht. Zum Glück lag die Mine nicht so weit entfernt und von den anderen Dorfbewohnern hatte er gehört, dass der Mineneingang so verschlossen war, dass man das Holzgitter nur anheben musste, um es zur Seite zu schieben. Ziemlich dumm, dachte Friedrich. Das war doch so überhaupt nicht sicher. Da hätte man das Erz nach dem Abbauen auch direkt vor den Eingang legen können, damit sich jeder dort bedienen konnte. Er hoffte nur, dass er bei der Kälte ein Feuer entfachen konnte, um eine der Fackeln anzuzünden, die es auch jetzt noch in der Mine geben musste und dass keiner der Handlanger des Großherzogs da war.
 

Als er schließlich der Mine ganz nahe war, schlug er sich ins Gebüsch und beobachtete, ob irgendeine Spur von den Männern zu sehen war, die hier die Mine ausräumten. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er keine Spitzhacke dabei hatte. Wie sollte er den Stein losschlagen, wenn er noch da war? Er beschloss, dass er dann eben morgen noch einmal würde kommen müssen, falls er drinnen keine fand. Er ärgerte sich, dass er nicht gleich daran gedacht hatte. Es war nichts zu sehen und als er beim Näherkommen auch keine Fußspuren im Schnee entdeckte schloss er daraus, dass die Männer wohl diese Nacht nicht gekommen waren. Er würde seine Spuren später mit einem Zweig, den er aus den Büschen mitgenommen hatte, verwischen. Den Rest würde der im Moment nur leicht fallende Schnee hoffentlich erledigen.
 

Er erreichte schließlich das Holzgitter und hob es an. Es war sogar für ihn alleine einfach, das Gitter anzuheben und etwas zu öffnen. Er schlüpfte hinein und stolperte direkt über etwas, das am Boden lag. Er tastete danach, weil er es im Dunkeln nicht richtig erkennen konnte und erkannte Spitzhacken und Schaufeln. Was für ein Glück für ihn! Und daneben lagen auch Fackeln. Die Männer des Großherzogs waren wirklich unordentlich. Ewald hatte ihm immer wieder gesagt, wie wichtig es sei, die Werkzeuge gut aufzubewahren und zu pflegen, damit sie lange nutzbar waren und niemand darüber stolperte, weil sie einfach so herum lagen. Friedrich nahm den Beutel, in dem er sein Feuerbesteck aufbewahrte und legte etwas Zunder auf den kalten aber trockenen Boden. Er schlug ein paar Mal den Feuerstein an das Narrengold, das ihm sein Vater einmal geschenkt hatte, bis einige Funken den Zunder entzündeten. Er pustete vorsichtig und legte paar kleine Äste des Zweiges hinein, den er mitgenommen hatte. Es schien fast, als wären die Äste zu nass, doch dann fingen sie Feuer und er hielt eine Fackel hinein, um sie anzuzünden. Er trat sein kleines Feuer wieder aus, schulterte eine Spitzhacke, die doch schwerer war, als sie aussah und ging nun langsam den Weg entlang, den ihm Ewald beschrieben hatte. Es waren zwei neue Gänge hinzugekommen, aber er fand schließlich den richtigen. Die Handlanger des Großherzogs hatten hier scheinbar schon alles abgebaut. Aber waren sie auch in den kleinen Schacht vorgedrungen? Der Freund seines Vaters hatte gesagt, nur ein schmaler Mensch oder ein Kind passe da durch, wenn der Zugang nicht erweitert wurde. Selbiger befand sich hinter einem Knick, der ihn gut verbarg und es schien, als hätte tatsächlich niemand diesen Teil entdeckt.
 

Friedrich leuchtete mit der Fackel in den Durchgang, konnte aber nichts erkennen. Sein Herz klopfte schneller. Waren sie doch schon hier gewesen und hatten den blauen Stein entdeckt? Er schob die Spitzhacke hindurch und zwängte sich schließlich, die Fackel voran haltend, durch den schmalen Zugang. Dann sah er sich um und entdeckte, dass dieser Schacht noch einen Knick machte. Als er um die Ecke leuchtete verschlug es ihm den Atem. Da war er! Der blaue Stein war noch da und er war größer, als er erwartet hatte. Er mochte etwa so groß sein, wie ein kleiner Laib Brot mit ein paar Verästelungen in den Fels hinenin. Im Schein des Feuers sah er, dass der Stein nicht vollständig blau war. Gelbliche und weiße Linien und kleine Flecken überzogen die Oberfläche, aber der Stein hatte eine schöne blaue Farbe wie es schien und die Linien und Flecken schienen das Blau noch hervorzuheben. Nun musste er ihn nur noch herausbrechen. Vorsichtig legte er die Fackel auf den Boden, nahm dann die Spitzhacke und schlug auf eine Stelle, an welcher der Stein und die Felswand ineinander übergingen. Friedrich zuckte zusammen, als er den Wiederhall seines Schlages hörte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Sinne waren angespannt. Hatte er da nicht etwas gehört? Waren die Männer vielleicht doch gekommen und hatte der Schnee ihre Fußspuren bereits verdeckt, bevor er hier angekommen war? Eine ganze Weile rührte er sich nicht, dann warf er einen Blick auf die Stelle, an der er zugeschlagen hatte und war enttäuscht. Er hatte zwar etwas von dem Fels herausgeschlagen, aber nichts von dem Stein. Dann fiel ihm ein, was Ewald ihm gesagt hatte. Man konnte den Stein nicht wie normales Erz herausschlagen. Man musste ihn erhitzen und dann sofort abkühlen, damit er Risse bekommt. Nur so konnte man ihn herausbekommen. Friedrich hatte ihn damals gefragt, warum er ihm das alles erzählte. Der Minenarbeiter hatte geantwortet, dass er seinem Vater noch einen großen Gefallen schuldig sei und er unter keinen Umständen wollte, dass der Großherzog Hand an den Stein legte. Der Stein musste also wertvoll sein. Wertvoller als das Erz, das es hier gab.
 

Friedrich überlegte kurz, bevor ihm etwas einfiel. Er würde sich eine zweite Fackel holen, diese anzünden und dann damit den Stein erhitzen und ihn mit Schnee abkühlen. Falls das nicht klappte, musste er sich etwas anderes überlegen. Der Junge ging also zurück zum Eingang, wobei er immer wieder stehenblieb und lauschte, aber er hörte nichts außer dem Knistern des Feuers. Am Eingang angekommen, legte er die Fackel wieder auf den Boden, immer darauf bedacht, dass sie nicht ausging, nachdem er einen alten Holzeimer entdeckt hatte. Er ging hinaus, füllte den Eimer mit Schnee und kehrte schließlich mit einer zweiten Fackel im Hosenbund zum Stein zurück. Er stellte den Eimer mit dem Schnee ab, zog die zweite Fackel aus dem Hosenbund und entzündete sie an der ersten. Wie lange musste er den Stein wohl erhitzen, bevor er ihn abkühlte? Er beschloss, es einfach mal zu probieren und dieselbe Stelle zu nehmen, auf die er vorher mit der Spitzhacke eingeschlagen hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt er beide Fackeln an den Stein und wartete. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er die Fackeln vorsichtig auf den Boden legte und kurzerhand den ganzen Eimer Schnee auf die erhitzte Stelle kippte. Fast im selben Moment hörte er es knacken und nach kurzer Zeit war der Schnee geschmolzen. Friedrich erkannte im Fackelschein, dass der Stein tatsächlich einen Riss bekommen hatte. Angespornt durch seinen Erfolg, griff er nach der Spitzhacke und schlug so kräftig es ging auf die Stelle. Der Riss wurde größer und ein paar kleine Splitter hatten sich bereits gelöst. Nach ein paar Schlägen mit der Spitzhacke stützte er sich keuchend auf selbiger ab. Minenarbeit war definitiv keine Arbeit für ihn. Aber er hatte es geschafft und den Großteil des Steins herausgelöst, der nun in mehreren Brocken vor seinen Füßen lag. Er kniete sich hin und besah sich seine Ausbeute. Ein Stück stach ihm im Fackelschein besonders ins Auge und er hielt es ins Licht. Das Stück war etwas größer als sein Mondanhänger, aber es sah aus wie einer der Sterne, die Mathildes Vater in einige Fenster für die Kapelle eingearbeitet hatte. Ein sechszackiger, blauer Stern. Das war es! Er steckte den blauen Stern in seine Tasche und wickelte die übrigen Brocken in ein Tuch, das er mitgenommen hatte. Anschließend betrachtete er unschlüssig den Rest des Steins. Er konnte ihn nur irgendwie unter Dreck und Schutt verstecken, aber wenn jemand genauer nachsah, würde er es entdecken. Nun, den Großteil hatte er herausgebrochen, also würde es wohl so reichen müssen. Friedrich bedeckte die Reste so gut es ging, und löschte schließlich eine der Fackeln. Er nahm den Eimer, zwängte sich wieder durch den Spalt und lief zurück zum Eingang. Dort stellte er den Eimer zurück an seinen Platz, löschte die andere Fackel und legte auch die Spitzhacke zurück. Hoffentlich fiel es nicht weiter auf. Er hob das Holzgitter wieder vor den Eingang und begann, seine Spuren mit dem Zweig zu verwischen. Nun, es musste eben reichen.
 

Bei den Büschen angekommen, besah er sich seine Arbeit, sah sich nochmal um und machte sich auf den Weg zurück. Es war schon fast hell! Wie lange war er in der Mine gewesen? Als er zu Hause ankam und gerade ins Haus wollte bemerkte er, wie schmutzig er war. Seine Mutter würde ihn ausschimpfen, wenn er den Dreck aus der Mine ins Haus schleppte. Er klopfte sich den Staub von der Kleidung, so gut es ging und wusch sich schließlich mit dem Schnee Hände und Gesicht. Schnell huschte er ins Haus und in sein Zimmer. Er zog die Sachen aus und sein Nachthemd über. Dann nahm er seine Beute und versteckte sie unter seinem Kissen, ohne sie nochmal näher anzusehen. Sein Herz klopfte immer noch wild in seiner Brust. Er hatte dem Großherzog ein Schnippchen geschlagen und ein Geschenk für Mathilde! Vielleicht sollte er sich von William noch ein Lederband besorgen, damit Mathilde den Stern als Anhänger um den Hals tragen konnte.
 

Es dauerte nicht lange, bis Friedrich eingeschlafen war, aber viel Schlaf bekam er nicht, bis ihn seine Mutter zum Frühstück weckte. Als sich seine Eltern besorgt nach seinem Befinden erkundigten, sagte er nur, er habe lange nicht einschlafen können, was nun nicht ganz die Unwahrheit war.
 

Friedrich und Mathilde verbrachten die nächsten Tage zusammen und der Junge tat alles, damit sie so viel Spaß wie nur möglich hatte. Als es schließlich soweit war, dass Mathilde und ihre Eltern abreisen mussten, nahm Friedrich seine Freundin beiseite und drückte ihr einen Beutel in die Hand. Es war einer der Beutel, die Freya gefertigt hatte. Sein Vater hatte ihn gegen einen Laib Käse eingetauscht. Mathilde betrachtete das elegante Blumenmuster, dass die Schneiderin auf den Beutel aus schwerem Stoff gestickt hatte und Friedrich wurde nervös. Der Beutel war doch egal!
 

„Du musst ihn schon aufmachen!“ Sein Herz pochte, als wollte es ihm aus der Brust springen.
 

„Da ist noch was drin?“ Überrascht öffnete sie den Beutel und sah hinein. Ihre Augen weiteten sich und sie zog den blauen Stern an dem Lederband hinaus, das William ihm gab, nachdem der Junge sich um ein paar Pferde gekümmert hatte, die der Schmied hatte beschlagen müssen.
 

In dem Licht der Mittagssonne schien der Stern zu leuchten und die Linien und Flecken verstärkten diesen Eindruck noch. Eine ganze Weile starrte Mathilde den Stern an, bevor sie ihn sich um den Hals hängte und Friedrich schließlich um den Hals viel.
 

„Danke! Der ist wunderschön! Wo hast du ihn her? Der muss doch ein Vermögen gekostet haben!“
 

„Oh, den…den habe ich gefunden.“
 

„Und wo?“
 

„In der Mine.“ Friedrich nuschelte und hatte den Kopf gesenkt, damit Mathilde sein vermutlich puterrotes Gesicht nicht sah. Ihm war plötzlich die Hitze ins Gesicht geschossen, als sie ihn so umarmt hatte.
 

„Du warst in der Mine? Wann? Hast du das deinen Eltern erzählt?“ Mathilde flüsterte und sah ihn ungläubig an.
 

„Bist du verrückt? Vater würde mir eine Tracht Prügel verpassen. Sag ihm das bloß nicht! Vor ein paar Tagen war ich da.“ Friedrich erzählte ihr, was sich zugetragen hatte und wie er von dem blauen Stein überhaupt erfahren hatte.
 

„Du bist ein Teufelskerl Friedrich! Das ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe. Hiermit verspreche ich dir feierlich, dass ich zurückkommen werde. Und dann bleiben wir zusammen!“ Mit diesen Worten nahm sie seine Hände fest in ihre und sah ihm tief in die Augen.
 

„Mathilde, wir müssen los. Die Kutsche wartet.“ Ihre Mutter trennte die beiden nur ungern. Wer wusste schon, wann sie sich wiedersehen würden?
 

Nur wiederwillig ließ das Mädchen seine Hände los.
 

„Der Stern gehört zum Mond und solange der Mond da ist, wird der Stern auch da sein. Auch wenn sie weit voneinander entfernt sind, sie werden sich wiederfinden.“ Mathilde küsste Friedrich auf die Wange und lief dann nach einem Moment des Zögerns zu ihren Eltern und stieg in die Kutsche. Die beiden Familien verabschiedeten sich voneinander und Mathilde sah aus der Kutsche so lange zurück, bis sie Friedrich, der ihr nachsah, nicht mehr sehen konnte.
 

*****
 

Die Jahre vergingen, doch Mathilde kehrte nicht zurück. Als Friedrich einmal mit seinem Vater nach Giselfingen musste, um dort ein paar Dinge für einen neuen Laden zu kaufen, den sie gemeinsam eröffnen wollten, erfuhren sie, dass Mathilde und ihre Familie vom Großherzog verbannt worden waren. In einer seiner Launen hatte der Großherzog die bunten Fenster von Mathildes Vater zerschlagen und ihn als Betrüger von seinem Anwesen werfen lassen. Wohin sie dann gegangen waren, ohne Geld obendrein, dass konnte ihnen niemand sagen.
 

Friedrich hatte die übrigen Brocken des blauen Steins nach und nach verkaufen können und konnte so seinem Vater beim Aufbau seines Ladens helfen. Er hatte bei William das Schmieden gelernt und fertigte mittlerweile fast alles, vom schmiedeeisernen Tor für den Friedhof bis zu kunstvollen Laternenhaltern für besser betuchte Kaufleute. Seinem Vater hatte er mittlerweile erzählt, wie er an das Geld gekommen war. Nachdem dieser ihn zunächst getadelt hatte, wieso er sich in solche Gefahr gebracht hätte, war er schließlich dennoch stolz auf seinen Sohn. Und ohne dieses Geld hätten sie den Laden auch nicht eröffnen können. Er war erstaunt gewesen, als sein Sohn ihm erzählte, wie er mit Freyas Hilfe die Bruchstücke im Nachbarort hatte verkaufen können. Er hatte ihr mit ihrem Marktstand geholfen, den sie seit ein paar Jahren regelmäßig dort aufbaute, um ihre Beutel, Kleider und Stoffe zu verkaufen.
 

Die Männer des Großherzogs waren eines Tages doch noch auf die Reste des blauen Steins gestoßen und hatten sie dem Adligen überbracht. Natürlich hatten sie sich ein paar der größeren Stücke selber eingesteckt. Der Großherzog, in seiner maßlosen Gier nach dem wertvollen Stein, ließ sie jedoch durchsuchen und bezichtigte sie schließlich des Diebstahls und dass sie den Rest des Steins bereits selbst verkauft hätten. Was dann mit den Männern geschah, wusste niemand und es wollte auch keiner wissen. Sie verschwanden einfach von einem Tag auf den anderen und seither war niemand mehr in der Mine gewesen.
 

An einem Tag im Hochsommer war Friedrich im Laden damit beschäftigt, einige Wanddekorationen, die er aus Bronze gefertigt hatte, auf einem Regal anzuordnen, als eine Frau eintrat. Seine Augen waren zunächst wie gebannt auf ihre blonden Locken gerichtet, bevor etwas Blaues seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der blaue Stern!
 

„Mathilde?“ Als wäre sie eine Illusion, ging er langsam auf sie zu.
 

„Der Stern gehört zum Mond und solange der Mond da ist, wird der Stern auch da sein. Auch wenn sie weit voneinander entfernt sind, sie werden sich wiederfinden.“ Die gleichen Worte, die sie damals bei ihrem Abschied gesagt hatte. Sie hatten Friedrich all die Jahre die Hoffnung nicht aufgeben lassen, dass sie sich doch noch wiedersehen würden.
 

Mathilde lächelte und nie hatte sie schöner ausgesehen. Ihre Haare gingen ihr jetzt fast bis zur Hüfte und sie war eindeutig zur Frau herangereift. Aber sie war immer noch seine Mathilde. Und diesmal war es Friedrich, der Mathilde um den Hals fiel.
 

„Du hast mir schrecklich gefehlt! Wo warst du? Wie geht es deinen Eltern? Das letzte, was wir hörten war, das der Großherzog euch verbannt hat.“
 

„Das ist wahr. Du hattest damals Recht. Er hat Vater nicht mehr bezahlt. Weil eines der Fenstermotive einen Eber enthielt, hat er viele der Fenster einfach zerschlagen. Der Eber ist das Wappentier von dem Herzog von Silvarsk, mit dem er sich spinnefeind ist. Dann hat er uns verbannt. Aber zum Glück hatte Vater noch nicht alle Fenster eingesetzt und der Graf von Leuring, der ja oft beim Großherzog ein und ausging, hat sie dann gekauft und meinem Vater Arbeit angeboten. Also sind wir noch weiter fortgezogen, aber an Arbeit mangelte es nicht mehr.“
 

„Aber wieso bist du dann wieder hier? Wenn der Großherzog das erfährt…“
 

„Hast du es noch nicht gehört, Friedrich? Der König hat den Großherzog seines Titels enthoben und seinen gesamten Besitz entzogen. Er hat ihn sogar aus dem Königreich verbannt. Er hat sich angemaßt, eine Kathedrale bauen zu lassen, neben der die, welche der König jüngst fertigstellen ließ, wie eine Dorfkapelle wirken sollte. Und noch einige andere Vorfälle soll es gegeben haben. Dem König war es jedenfalls zu viel und dann hat er den Grafen von Leuring zum neuen Großherzog ernannt. Der wiederum hat sich beim König dafür eingesetzt, unsere Verbannung aufzuheben, weil er selbst das ja nicht einfach so machen konnte als gerade erst ernannter Großherzog. Irgendwelche komischen Adelsregeln haben das verboten. Nachdem er dem König ein paar von Vaters Arbeiten gezeigt hat, wurde die Verbannung direkt für nichtig erklärt. Vater soll jetzt in der neuen Kathedrale das Altarfenster gestalten!“
 

„Das ist ja wunderbar! Aber das bedeutet doch, du gehst wieder zurück. Oder?“ Friedrich sah sie betrübt an.
 

„Nein, ich bleibe hier. Vater und Mutter kommen auch zurück, wenn das Fenster fertiggestellt ist. Ihr habt euch ja all die Jahre um unser Haus gekümmert. Und rate mal, wer noch zurückkommt.“ Mathilde strahlte geradezu vor Freude, als sie Friedrichs fragenden Blick sah.
 

„Ich weiß es nicht. Wer?“
 

„Gerhard! Stell dir vor, er arbeitete in Leuersheide, gar nicht weit weg von dem Familiensitz der von Leurings. Seine Großmutter starb erst drei Jahre, nachdem sie fortgezogen sind und dann mussten seine Eltern sich um die Hinterlassenschaft kümmern. Danach ging halt alles ein wenig drunter und drüber, bis es sie nach Leuersheide verschlagen hat. Er wollte ja immer zurück, aber seine Eltern brauchten Hilfe bei der Arbeit. Aber jetzt kommt er wieder, weil seine Eltern einen Gesellen eingestellt haben und dann sind wir wieder alle zusammen!“
 

Friedrich wusste nicht, ob er Lachen oder weinen sollte. Mathilde war zurück und auch Gerhard würde wiederkommen.
 

„Du musst mir alles erzählen! Komm, wir gehen zum Brunnen. Den hast du bestimmt noch nicht gesehen.“
 

„Ich kenne ihn doch noch von früher“, lachte Mathilde und ließ sich von Friedrich mitziehen.
 

„Den alten Brunnen ja, aber nicht den neuen! An dem habe ich nämlich auch gearbeitet.“
 

Die beiden verbrachten den ganzen Tag damit, sich Geschichten zu erzählen, was ihnen in den letzten Jahren wiederfahren war. Dabei ließen sie ihre Hände nur selten los und schenkten dem, was um sie herum geschah, keine Beachtung. Viele Dinge hatten sich verändert, aber einiges war gleich geblieben und doch irgendwie anders.
 

Der blaue Stern hatte zum Mond zurück gefunden und wenn man in einer wolkenlosen Nacht zum Mond hinauf sieht, so wird man sehen, dass er nicht nur einen Stern in der Nähe hat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ChocolateChip
2014-12-13T13:19:21+00:00 13.12.2014 14:19
Oh Gott was für eine tolle und rührende Geschichte! Wie Freidrich alles riskiert hat für den Stern und wie diser Stern einfach ein perfektes Bindeglied für die beiden ist! Und dann auch noch ein Happy End!
Es hat mir sehr viel Spass gemacht diese FF zu lesen!
LG
Choco
Von:  MissImpression
2014-12-12T21:32:43+00:00 12.12.2014 22:32
Huhu :)

Das ist wirklich woher schöne Geschichte über Freundschaft und Liebe! Toll erzählt, gefühlvoll und spannend!

LG
Tanja


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