Zum Inhalt der Seite

Sonne, Mond und Sterne

Löwenherz Chroniken III-0
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Schlafende Drachen soll man nicht wecken

Stellaris konnte sich gar nicht entscheiden, wohin er zuerst sehen sollte. Ihm war nie bewusst gewesen, dass sich so nah am Waisenhaus ein Bahnhof befand. Ein kleiner zwar, der nur einen elektronischen Fahrkartenschalter und keinerlei Personal besaß, aber immerhin ein Bahnhof, eine Verbindung zur Außenwelt über die man überallhin gelangen könnte, wie er glaubte.

Fasziniert betrachtete Stellaris die ausgehängten Fahrpläne, die im Sonnenlicht längst ausgebleicht waren, genau wie jene Dinge, die am schwarzen Brett angebracht waren. Nichts davon war noch lesbar, dennoch stand er eine Weile davor und versuchte sich vorzustellen, was auf all diesen Blättern einst gestanden haben mochte. Was könnte man in dieser Einöde wohl verkünden wollen? Auf wessen Reaktion hoffte man in einer Dornensavanne, in der selbst die einheimischen Tiere bevorzugten, zu schlafen?

Der Direktor hatte ihnen einen Auftrag gegeben, der sie zu einer weiter entfernten Stadt führte. Woraus genau die Mission bestand, wusste er aber nicht so recht, denn eigentlich war Lloyd alles anvertraut worden und er sollte es seinen Teamkameraden während der Fahrt vermitteln.

Laut den Worten des Direktors diente das der Zeitersparnis, aber Stellaris zweifelte daran. Natürlich widersprach er aber auch nicht, wenn er schon so kurz vor seinem Ziel war.

Lloyd und Solaris saßen ruhig auf der hölzernen, unbequem aussehenden Bank und warteten auf den Zug, während Stellaris immer wieder hin und her lief, weil er überall etwas Neues zu entdecken fand. Der Automat, an dem man Fahrkarten kaufen konnte, funktionierte tatsächlich, davon war er Zeuge geworden, als Lloyd das zuvor getan hatte. Da war er aber sicherheitshalber einige Schritte weiter entfernt gestanden, um den anderen nicht zu stören, hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und versucht, etwas über Lloyds Schulter zu erkennen. Im Sonnenlicht war ihm das aber kaum möglich gewesen, deswegen holte er es nun nach.

Er stand direkt vor dem Automaten und betrachtete die seltsam beschrifteten Knöpfe und das Display mit geneigtem Kopf und fragte sich, wofür man all diese Informationen benötigte, nur um zu einem anderen Ort zu fahren. Er kannte natürlich die Weltkarte, sowohl die veraltete aus der Zeit vor dem letzten Weltkrieg und die aktuelle, aber er konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass es so viele andere Städte gab, zu denen man von hier aus fahren könnte.

Ein sich näherndes Geräusch, riss ihn aus seinen Gedanken. Eilig begab er sich wieder zur Bahnsteigkante, um nach dem Zug Ausschau zu halten, beugte sich sogar über die Kante hinaus, wurde aber von dem aufgestandenen Solaris wieder zurückgezogen.

„Du solltest vorsichtig sein“, ermahnte er Stellaris. „Züge können einen schnell umbringen.“

Er ließ sich zu Lloyd zurückführen, der ebenfalls aufgestanden war, ihn aber nicht einmal beachtete.

Der Zug fuhr mit einem lauten Getöse und überraschend viel Wind in den Bahnhof ein und hielt zu Stellaris' Erstaunen, der das absolut nicht verstehen konnte, an der genau richtigen Stelle, ehe sich die Türen öffneten.

Da er Züge bislang nur aus Büchern kannte, starrte er diesen eine ganze Weile nur fassungslos an. Er war geradezu riesig, wie er feststellte, ein Ungetüm aus rotem Stahl, das einem mittels Fenster erlaubte, hineinzusehen. Es war derart imposant, dass er den Zug nur begeistert anstarren konnte.

Doch schließlich zog Solaris ihn mit sich, um in das Gefährt einzusteigen, so wie Lloyd es bereits getan hatte.

„Wenn du weiter so kindisch bleibst, werden wir erst in drei Jahren zurücksein“, murrte er, als sie endlich zu ihm aufgeschlossen hatten.

Stellaris senkte schuldbewusst den Kopf und bemerkte dabei den schwarzen Teppich, mit dem der Boden des Zugs ausgelegt war und mit dem er nicht gerechnet hatte.

Danach folgte er den anderen beiden durch die Waggons hindurch, während sie anscheinend nach etwas suchten. Um einen freien Sitzplatz konnte es sich dabei nicht handeln, denn davon gab es mehr als genug. Außer ihnen befanden sich nur wenige Fahrgäste im Zug, keiner von diesen beachtete sie, während sie an ihnen vorbeiliefen.

Einer der Fahrgäste fiel ihm dabei besonders auf. Es war eine scheinbar junge Frau, so schätzte er, das rot-braune Fell, das ihren ganzen Körper bedeckte, machte es schwer, ihr Alter einzuschätzen. Ihre hochstehenden Ohren zuckten ein wenig nervös. Dank seiner Bücher wusste er, dass es sich bei ihr um einen Katzenmensch handelte, ein Wesen, das durch irgendeine, für ihn unverständliche, Methode nach dem letzten Weltkrieg und den damit einhergegangenen Veränderungen entstanden war. Aber es war das erste Mal, dass er ein solches Wesen wirklich sah, weswegen er am Liebsten die Hand ausgestreckt und es gestreichelt hätte.

Ein zischendes Pfeifen riss ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Als er den Kopf wandte, erkannte er, dass Lloyd ihn wieder einmal reichlich schlecht gelaunt betrachtete und ihn dann anwies, mitzukommen, statt träumend herumzustehen.

Stellaris beeilte sich, ihm zu folgen und kam so schließlich in ein Abteil mit vier Sitzen, das durch eine Glastür vom Gang abgetrennt war. Solaris saß bereits darin und sah lächelnd aus dem Fenster. Offenbar freute es ihn, wieder einmal aus dem Waisenhaus herauszukommen und Stellaris konnte es ihm nicht verübeln, wenn alles so aufregend war.

Lloyd schloss die Tür hinter ihnen und setzte sich neben Solaris, weswegen Stellaris ihnen gegenüber platznahm. Die beiden kannten sich schon länger und standen sich deswegen näher, daher wunderte es ihn nicht, dass sie nebeneinander sitzen wollten.

Mit einem sanften Ruck setzte der Zug sich in Bewegung und nahm rasch an Fahrt auf, die Umgebung flog geradezu an ihnen vorbei und wurde zu einem undeutlichen, verschwommenen Fleck, den Stellaris nicht mehr deuten konnte.

„Sehr geehrte Fahrgäste“, erklang eine gelangweilte Männerstimme aus den Lautsprechern, „wir begrüßen Sie an Bord des Zuges ...“ – er nuschelte etwas Undeutliches – „... mit Endstation Norsgrove Bahnhof. Die jetzige Zeit ist neun Uhr vierzig und unsere Ankunftszeit wird elf Uhr betragen. Wir wünschen Ihnen eine gute Fahrt.“

Schließlich verstumme die Stimme wieder und ließ sie allein.

Erst als sie mit voller Geschwindigkeit fuhren – jedenfalls hoffte Stellaris, dass sie nicht noch schneller werden würden –, griff Lloyd in den mitgeführten Rucksack und holte etwas daraus hervor. Es war ein unbeschrifteter brauner Aktenordner, der über wenig Inhalt zu verfügen schien. Als er diesen aufschlug, konnte Stellaris nur einige Blätter erkennen.

„Unser Auftrag-“

„Ist es okay, dass hier im Zug zu besprechen?“, fragte Stellaris und unterbrach Lloyd damit.

Dieser hob genervt den Blick, worauf sein Gegenüber zusammenzuschrumpfen schien. Das genügte Lloyd, um sich wieder dem Thema zu widmen. „Unser Auftrag besteht darin, einen bestimmten Edelstein zu stehlen.“

„Aber ist Diebstahl nicht ... böse?“, hakte Stellaris nach und erntete dafür erneut einen genervten Blick seines Gegenübers.

Solaris dagegen lächelte ein wenig. „Ich finde, es ist schön zu sehen, dass du ein moralisches Gewissen besitzt. Das ist bei vielen Heimbewohnern nicht mehr so verbreitet.“

Er war sich zwar nicht sicher, woher der Gedanke überhaupt gekommen war, aber auf einmal war ihm eingefallen, dass es nicht in Ordnung sein konnte, anderen Leuten etwas zu stehlen – deswegen war er froh, dass zumindest einer der beiden nicht genervt reagierte.

Doch Solaris fuhr bereits fort: „Leider wird dir das bei unseren Aufträgen nicht viel nutzen, denn einige von diesen sind reichlich ... unmoralisch.“

„Warum müssen wir es dann tun?“, fragte er ratlos.

Lloyd rollte mit den Augen und warf Solaris einen auffordernden Blick zu, damit dieser erneut fortfuhr: „Ich dachte mir bereits, dass der Direktor dich nicht aufgeklärt hat. Das hat er bei uns auch nicht wirklich, deswegen kann ich dir keine ausführliche Antwort geben. Aber so viel kann ich dir sagen: Wir sind nicht die Guten.“

Das erschreckte Stellaris nun doch. Zwar war es grundlos gewesen, aber er hatte dennoch angenommen, dass sie im Sinne einer größeren Gerechtigkeit handeln würden, so wie die Helden es in Büchern oder Märchen oftmals taten, selbst wenn sie damit eigentlich auf der falschen Seite waren. Dabei hätte er es, bei genauerem Nachdenken, auch ahnen können, immerhin war das Böse im Waisenhaus geradezu omni-präsent. Vielleicht war er wirklich nur furchtbar naiv.

„Das gefällt mir nicht“, murmelte Stellaris, worauf Lloyd wieder ein genervtes Stöhnen ausstieß.

„Es ist immer dasselbe.“

Er schüttelte mit dem Kopf und setzte zu keiner Erklärung für den, von dieser Aussage, verwirrten Stellaris, an, stattdessen fuhr er direkt mit dem Auftrag fort: „Dieser Edelstein wird derzeit in einem Museum in Norsgrove aufbewahrt, dorthin sind wir gerade unterwegs.“

Er zog eines der Blätter in der Akte hervor, das sich als Foto entpuppte.

Auf dem Bild war ein glitzerndes Juwel zu sehen, dessen Farbe Stellaris nicht wirklich ausmachen konnte, es schienen ... alle möglichen Farben zu sein, wie bei einem Regenbogen.

„Wow, er sieht so hübsch aus – aber warum müssen wir ihn eigentlich stehlen?“

Sicher, es war für ihn nur natürlich, dass jeder so etwas Schönes besitzen wollte, aber es musste dennoch einen anderen Grund geben, der sich ihm nur noch nicht erschloss, ihn aber interessierte.

Lloyds Mundwinkel schienen noch tiefer zu sinken. „Keine Ahnung, so etwas steht in einer Aufgabenbeschreibung nicht und es geht uns auch nicht im Mindesten etwas an.“

„Ihr macht das schon lange, oder?“

Dieser abrupte Themenwechsel ließ beide Partner den Kopf neigen. Doch während Solaris weiterhin ein wenig irritiert wirkte, fing sich Lloyd rasch wieder. „Schon ein paar Jahre, ja. Ich muss dreizehn gewesen sein, als wir auf unsere erste Mission geschickt worden sind.“

Einerseits empfand Stellaris in diesem Moment Respekt und Bewunderung für die beiden – und andererseits spürte er auch ein wenig Mitgefühl. Sie kamen aus dem Waisenhaus raus und erlebten viele Dinge und dabei mussten sie vermutlich schreckliche Dinge tun, die weitaus schlimmer waren als der Diebstahl eines Juwels. Es war nicht weiter verwunderlich, dass Lloyd stets so missmutig war – jedenfalls seit er ihn kannte.

Nachdem er dieses Thema für abgehakt empfand, vertiefte Lloyd sich wieder in die Unterlagen, die er anscheinend ebenfalls zum ersten Mal sah.

„Die Angaben über die Sicherheitsvorkehrungen sind veraltet“, stellte er fest. „Wir werden uns vor Ort alles ansehen müssen. Das sollte aber kein Problem darstellen, dann können wir gleich Kultur tanken ... dafür dürftest du bislang wenig Gelegenheit bekommen haben.“

Bei diesen Worten warf er Stellaris einen kurzen Blick zu, was diesen leicht zusammenzucken ließ.

„Allgemein solltest du diese Gelegenheiten nutzen, um dich ein wenig vom Waisenhaus abzulenken“, fuhr Lloyd mit neutraler Stimme fort. „Sonst drehst du dort irgendwann noch durch. Ich habe ohnehin keine Ahnung, wie die das alle durchhalten.“

Auch wenn seine Tonlage es nicht verriet, so wollte Stellaris doch glauben, dass aus ihm tatsächlich Besorgnis sprach und er sich Gedanken um andere machte und es nur nicht zeigen konnte.

„Okay, werde ich machen.“

Lloyds Mundwinkel hoben sich ein wenig, nicht genug, um es als ein richtiges Lächeln durchgehen zu lassen, aber doch ausreichend, damit Stellaris es als solches erkannte. Vielleicht könnten sie sich ja doch noch anfreunden ... irgendwie.

Ein plötzliches, lautes Geräusch, ließ sie alle innehalten und den Zug verlangsamen. Es klang wie ein furchterregendes Brüllen, das Stellaris einen Schauer über den Rücken jagte. „Was war das?“

Noch ehe einer der anderen beiden antworten konnte, erklang erneut die Stimme aus den Lautsprechern und noch immer schien der Sprecher reichlich gelangweilt: „Verehrte Fahrgäste, wir müssen unsere Fahrt leider für kurze Zeit unterbrechen, da es eine Behinderung auf der Strecke gibt. Zu unserem Bedauern können wir leider nur abwarten. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Leise grummelnd stand Lloyd auf. „Wir haben keine Zeit für sowas. Kommt, wir kümmern uns darum.“

Stellaris war sich nicht sicher, ob sie sich wirklich um diese Unterbrechung kümmern könnten, aber er war der älteste und der Anführer der Gruppe, also taten sie, was er verlangte und das ohne zu murren.

Doch als sie aus dem Zug stiegen – sie mussten ein gutes Stück springen, weil es doch einen ziemlichen Abstand zum Boden gab – und dann entdeckten, was den Zug angehalten hatte, sog Stellaris scharf die Luft ein und er wusste nicht so recht, ob es aus Furcht oder Erstaunen war, auch wenn das in diesem Moment ohnehin eher unwichtig war. „Oh ... wow ...“

„Das kann nicht sein“, bemerkte Solaris, während er das Wesen anstarrte.

„Es kommt selten vor“, widersprach Lloyd, „aber das macht es nicht unmöglich. Manchmal greifen Drachen auch einfache Züge an.“

Für Stellaris sah es nicht so aus als würde das Wesen den Zug angreifen. Bei genauerer Betrachtung wirkte es eher so als ob es auf den Schienen zu schlafen versuchte. Da Lloyd aber ohnehin nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen war, vermied er es lieber, die beiden darauf hinzuweisen und hoffte, dass der Drache kein allzu großes Theater machen würde, wenn sie ihn von den Schienen zu bewegen versuchten.

Die roten Schuppen glitzerten im Sonnenlicht und bei genauerer Betrachtung gab es ein orange-farbenes Glühen unter diesen, das einen angenehmen warmen Schimmer versprühte.

Während sie auf ihn zugingen, schien er immer größer und die Flügelspannbreite immer gewaltiger zu werden. Es war fast schon surreal, dass er friedlich dalag und schlief als wäre es ein zu groß geratenes Schoßtier. Aber Stellaris fühlte keinerlei Furcht, stattdessen wünschte er sich sogar, sich einfach dazulegen und ebenfalls schlafen zu können.

Als sie an der motorisierten Lok vorbeiliefen, hob Stellaris den Kopf und entdeckte das blasse Gesicht eines Mannes hinter dem Fenster. Er musste derjenige sein, der dieses Vehikel fuhr, zumindest wenn er das richtig einschätzte. Im Moment wirkte er allerdings deutlich überfordert mit der ganzen Situation. Als er wiederum die drei entdeckte, schien er sogar erleichtert, zu sehen, dass sich jemand anderes darum kümmerte.

Vor dem Drachen blieben sie wieder stehen, Lloyd musterte ihn mit einem Blick, der verriet, dass er schon öfter solche Wesen gesehen hatte, während es für Stellaris das allererste Mal war. Das lange Maul war mit spitzen Zähnen besetzt, die einen allein beim Anblick zu schneiden schienen, die schwarzen Hörner auf dem Kopf des Wesens wirkten massiv genug, selbst einen Zug problemlos zu durchstoßen. Dennoch wollte er neben diesem Drachen schlafen, er fürchtete sich bislang noch nicht.

„Sollen wir ihm etwas auf einer Flöte vorspielen?“, fragte Solaris mit einem leichten Schmunzeln. „Schlangenbeschwörer können damit Schlangen tanzen lassen.“

Während Stellaris über diesen Vorschlag lächeln musste, runzelte Lloyd missbilligend die Stirn. „Wir haben keine Zeit für Witze oder Spielchen, wir müssen diesen Drachen loswerden, damit wir weiterkommen.“

Mit geneigtem Kopf dachte Stellaris darüber nach, wie man ein solch riesiges Wesen wohl wecken könnte, da es wohl kaum auf die üblichen Methoden reagieren würde und sie auch keinen elektronischen Wecker mit sich führten. Falls das überhaupt irgendeinen Nutzen erfüllen würde.

Lloyd gab sich allerdings nicht mit solchen Fragen ab, stattdessen trat er auf den Drachen zu und verpasste ihm einen heftigen Tritt gegen die Schnauze.

Von diesem Mut erstaunt, hob Stellaris die Augenbrauen und starrte dann das Ungetüm an, das grummelnd aufzuwachen schien. Es öffnete die Augen, deren Farbe an Smaragde erinnerte, die längliche Pupille dagegen war tiefschwarz. Träge hob es den Kopf und wandte ihn in Richtung des Störenfrieds.

Lloyd sprang sofort wieder zurück, damit wieder ein kaum merkbarer Abstand zwischen ihn und den Drachen kam. „Endlich ist er wach.“

„Und was jetzt?“, fragte Stellaris flüsternd.

„Jetzt hoffen wir, dass er von alleine weiterzieht“, antwortete Solaris ihm, den Blick nach wie vor stur auf den Drachen gerichtet.

Stellaris runzelte die Stirn und sah zu ihm hinüber, um herauszufinden, ob er das wirklich ernst meinte. Er jedenfalls konnte sich an keine Erzählung erinnern, die beinhalten würde, dass ein aus dem Schlaf geweckter Drache freiwillig beschlossen hätte, das Weite zu suchen. Da müsste das Wesen schon reichlich verwirrt gewesen sein.

„Ich weiß nicht ...“, begann Stellaris, wurde dann allerdings von dem Drachen selbst unterbrochen, als dieser einen lauten, geradezu monströsen Schrei ausstieß.

Lloyd verzog unwillig die Lippen, tat aber erst einmal nichts, sondern wartete weiter, den Blick des Wesens erwidernd als würde er mit einem solchen Duell versuchen, es zu klären, ehe er zu Gewalt greifen müsste. Solaris schien dasselbe zu tun, wie Stellaris vermutete.

Aber er konnte das nicht, weswegen er einen Schritt zurückwich – was dem Drachen Grund genug schien, noch einmal zu brüllen, die Flügel auszubreiten und dann schlagartig das aufgerissene Maul vorzustoßen, um sie anzugreifen.

Solaris und Lloyd wichen zur Seite aus, doch Stellaris stolperte rückwärts und fiel zu Boden, worauf sich ein schmerzhaftes Ziehen durch seine Hüften zog. Zu seinem Glück konzentrierte sich der Drache aber vorerst nicht auf ihn, sondern auf die anderen beiden, die noch immer dabei waren, auszuweichen und dabei ihre Waffen zogen. Das Ungetüm stieß mit der Schnauze nach Lloyd, während es mit dem Schwanz Solaris zu treffen versuchte.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Stellaris, wie die beiden geschickt jedem Angriff entgingen und dann versuchten, einen Treffer mit ihren jeweiligen Fernkampfwaffen zu erzielen. Doch sowohl Lloyds Pistolenkugeln, als auch Solaris' Armbrustbolzen prallten, ohne einen Schaden zu verursachen, an den Schuppen ab.

Undeutlich erinnerte Stellaris sich wieder an den Unterricht zurück, in dem er gelernt hatte, wie man gegen ein solches Wesen vorzugehen hatte – und seine Erinnerung sagte ihm, dass lediglich besondere Waffen in der Lage waren durch den undurchdringlichen Schuppenpanzer zu dringen.

War eine solche nicht zur Hand, half einem ... so gut wie gar nichts mehr.

Er versuchte, sich das Hirn zu zermartern, aber ihm fiel absolut nicht mehr ein, was einem helfen könnte, falls man eine solche Waffe nicht mit sich führte. Da war etwas gewesen, aber er hatte es immer für unwichtig befunden.

Wenn ich jetzt nur wüsste, warum ich so gedacht habe ...

Doch all diese Überlegungen halfen ihm nicht, denn sie ließen ihn nach wie vor mit der Frage zurück, was sie nun tun sollten.

Lloyd riss ihn wieder aus den Gedanken, indem er es schließlich schaffte, erst auf die Schnauze des Drachen zu springen und dann mit überraschend schnellen und geschickten Schritten auf den Kopf zu gelangen und sich dann von dort aus über den Hals zum Rücken vorzuarbeiten.

Während er rannte, steckte er die Pistole ein und zog ein Schwert hervor – und plötzlich wusste Stellaris, wohin er wollte und was er dort zu tun gedachte.

Hastig richtete er sich auf und noch bevor er wusste, was er da eigentlich tat, stieß er bereits einen gellenden Schrei aus. „Nein! Nicht!“

Plötzlich traf ihn der Gedanke, dass der Drache Schmerzen erleiden oder sogar sterben könnte, wie einen heftigen Stich ins eigene Herz, etwas, das er nicht zulassen durfte!

Lloyd erschrak über diesen plötzlichen Ausruf, verlor die Konzentration und stürzte nun tatsächlich vom Drachen herab, schaffte es aber – glücklicherweise – gerade noch rechtzeitig, sich abzurollen.

Statt sich weiter um einen der beiden zu kümmern, wandte das riesige Wesen sich nun ihm zu, um ihm in die Augen zu starren.

Stellaris erwiderte den Blick anfangs mit wild schlagendem Herzen, doch schnell beruhigte sich sein Puls, es war ein angenehmes, geradezu vertrautes Gefühl, er glaubte gar, sein Innerstes würde mit diesem Drachen kommunizieren und ihn verstehen. Mehr noch, er war davon überzeugt, dass dieses Wesen ihm davon abriet, die Reise fortzusetzen, dass es ihm sagte, dass die Gefahr viel zu groß war. Sein Innerstes erwiderte etwas darauf, aber er verstand nicht, worum es sich dabei handelte, es war als würde etwas anderes, ein Bewusstsein, das er nicht kannte, mit ihm sprechen und ihn nicht wirklich an der Konversation teilnehmen lassen.

Er wusste, es sollte ein furchteinflößendes Gefühl sein, aber die Vertrautheit und der beruhigende Einfluss in seinem Inneren verhinderten, dass er sich ängstigen konnte.

Doch schließlich war das Gespräch offenbar beendet, der Drachen breitete die Flügel aus und hatte sich mit nur wenigen Schlägen eben dieser in die Luft erhoben und nach nur wenigen Sekunden war er bereits aus der Sicht der Gruppe verschwunden.

Solaris half Lloyd dabei aufzustehen – und dann wurde Stellaris erneut von diesem angebrummt: „Hättest du das nicht früher machen können? Was auch immer das gerade gewesen ist.“

„Ich weiß nicht ...“

Stellaris spürte inzwischen ein etwas unangenehmes, dumpfes Gefühl in seinem Inneren, als wäre das andere Bewusstsein wieder so plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war. Was auch immer es gewesen war, er vermisste es seit es wieder fort war. Er hoffte aber, dass es nur in seinem Inneren schlief und ihm vielleicht irgendwann verriet, was es eigentlich war.

„Sei nicht so gemein“, wies Solaris ihn zurecht, während er Lloyd sanft in Richtung des Zugs zurückschob. „Immerhin hat er es ja getan, bevor einem von uns etwas passiert ist.“

Obwohl es deutlich war, dass Lloyd noch etwas sagen wollte, verzichtete er doch darauf und ging gemeinsam mit Solaris weiter, statt sich nur schieben zu lassen.

Stellaris sah ihnen hinterher, noch unfähig, ihnen zu folgen. Er konnte das Geschehene noch nicht so ganz verstehen und wie es aussah ging es den anderen beiden genauso. Niemand hatte ihn je hierauf vorbereitet, darauf, dass er möglicherweise sein Bewusstsein verlieren könnte, weil es durch etwas anderes ersetzt wurde. Es machte ihm nichts aus, seinen Körper mit einem anderen Ich zu teilen – solange er nicht vollkommen verdrängt wurde.

Oder vielleicht überdramatisiere ich alles nur.

Es war bislang nur einmal vorgekommen und vielleicht entsprang es auch nur seiner plötzlichen Angst, also warum machte er sich solche Sorgen?

Ein gellender Pfiff, den er bereits einmal gehört hatte, unterbrach ihn in seinen Gedanken. Irritiert zwang er sich wieder in die Wirklichkeit zurück und entdeckte Lloyd, der in einer offenen Tür des Zugs stand und ihm zu verstehen gab, dass er sich beeilen sollte.

Diesmal reagierte er sofort und lief los, um zu den anderen beiden zu kommen, damit sie die Mission fortsetzen könnten und er sie nicht weiter behinderte.

Aber die Frage, was soeben geschehen war, beschäftigte ihn weiterhin und wollte ihn nicht mehr loslassen, auch nicht als er im Zug war und sich dieser wieder in Bewegung setzte.

Ihm blieb nur zu hoffen, dass dieses Etwas nicht wirklich in seinem Inneren schlief und darauf wartete, wieder hervorkommen zu können und ihn zu übernehmen.

Vorerst konzentrierte er sich lieber wieder auf die vor ihnen liegende Mission und die Rückkehr nach Hause, danach könnte er sich immer noch lange genug den Kopf zerbrechen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück