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Sonne, Mond und Sterne

Löwenherz Chroniken III-0
von

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Nachts im Museum

Die ganze Fahrt über dachte Stellaris weiter über das Geschehene nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, bis schließlich ihr Ziel in Sicht kam. Kaum erblickte er die Stadt, sprang er von seinem Sitz auf und presste sein Gesicht und die Hände gegen die Scheibe. „Wow, was ist das denn!?“

Die aus vielen Hochhäusern bestehende Stadt war taghell erleuchtet, obwohl es bereits dunkel zu werden begann. Unzählige Lichter waren an den Gebäuden angebracht und ließen sie wirken als wären sie aus einer gänzlich anderen Welt, einer, in der es keine Probleme gab, nur ein angenehmes Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Es war ein Ort, von dem er seinen Bruder erzählen wollte – und den er auch liebend gern hergebracht hätte.

„Es ist eine Stadt“, antwortete Lloyd und rollte mit den Augen.

„Aber warum gibt es so viele Lichter? Ist das etwa normal?“

Es wäre gut möglich gewesen, musste er sagen, immerhin kannte er sich nicht wirklich mit Städten aus. Vielleicht fürchteten deren Bewohner sich vor Dunkelheit und wollte es deswegen so hell wie nur irgendwie möglich haben. In gewisser Weise konnte er das auch verstehen, immerhin wusste man nie, was sich alles in der Finsternis verbarg.

„Es ist kurz vor Weihnachten“, erklärte Solaris. „Viele nehmen das als Anlass, um ihr Haus zu schmücken oder eben gleich die ganze Stadt. Es sieht hübsch aus, nicht wahr?“

Seinen sanften Worten brachte Lloyd nichts entgegen, aber er achtete auch nicht weiter auf die Stadt. Seine Konzentration beschränkte sich darauf, die Unterlagen ihres Auftrags, die er noch einmal durchgegangen war, wieder zu verstauen, damit er sie nicht verlieren könnte. „Wir werden direkt ins Museum gehen, wenn-“

„Wart ihr schon einmal hier?“, unterbrach Stellaris ihn.

Im Moment interessierte ihn dieser Auftrag nicht im Mindesten, die Stadt war viel spannender – und glücklicherweise war zumindest einer der beiden bereit, ihm Rede und Antwort zu stehen. Solaris nickte zustimmend, ehe Lloyd sich beschweren konnte. „Unsere Aufträge führen uns meistens in diese Gegend, weil es so ziemlich die einzige Stadt in der näheren Umgebung ist. Viele andere Städte kennen wir also nicht, aber diese hier ist groß genug, damit es immer Abwechslung gibt, wenn wir hierher kommen.“

Das konnte er sich gut vorstellen, allerdings war es auch seine allererste Stadt, die er sah, also wäre es auch möglich gewesen, dass es eigentlich nur eine der kleinen Art war. Ihm wurde geradezu schwindelig, als er sich vorstellte, wie riesig andere Städte sein könnten. Vielleicht waren die Häuser in anderen Orten sogar noch höher oder noch heller!

Lloyd sagte nichts mehr für die restliche Zugfahrt, offenbar hatte er erkannt, dass es nichts brachte, einem begeisterten Stellaris etwas beibringen zu wollen. Vor allem während dieser sich vorstellte, dass es irgendwo Hochhäuser gab, die bis in den Himmel ragten, so dass man die Wolken berühren könnte.

Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, schienen die Augen des Jungen geradezu überzugehen. Im Gegensatz zu dem geradezu ausgestorbenen Gefährt, war der Bahnsteig voller Leben, allerlei Menschen und Halbmenschen befanden sich dort, unterhielten sich, lasen Zeitung oder liefen durcheinander, wenn sie nicht gerade einen perfekten Ort gefunden hatten, um sich dort hinzustellen und auf ihren eigenen Zug zu warten.

Während Stellaris zwischen ihnen umherlief und dabei staunend von einem zum anderen blickte – besonders ein junges Mädchen, das aussah wie eine menschliche Katze, interessierte ihn –, verlor er fast die anderen beiden aus den Augen. Ein kurzes Zeichen von Lloyd genügte, dass Solaris die Hand des Neuen ergriff, damit sie ihn nicht verloren.

Stellaris drehte ihm den Kopf zu, um ihm besser folgen zu können. All der Lärm, der durch diese vielen Menschen entstand, wäre so manchem nervig erschienen, aber ihm gefiel das, immerhin war es ein erstaunlicher Gegensatz zu dem, was er bislang erlebt hatte, was er als sehr angenehm empfand.

In der Bahnhofshalle wurden alle Geräusche ein wenig dumpfer, so dass Stellaris auch wieder mehr von dem hören konnte, was Lloyd und Solaris miteinander besprachen.

„Gehen wir wirklich direkt zum Museum?“

„Das wäre am besten“, bestätigte der Anführer der kleinen Gruppe mit gerunzelter Stirn. „Es wird bereits dunkel und ich würde das gerne heute Nacht über die Bühne bringen, bevor etwas dazwischenkommt.“

Sein Tonfall verriet, dass er gerade an etwas ganz Bestimmtes dachte, es aber nicht aussprechen wollte oder glaubte, es nicht zu müssen. Stellaris, der wieder neugierig geworden war, lief ein wenig schneller, damit er gleichauf mit ihnen gehen konnte. „Was sollte denn dazwischenkommen?“

Lloyd verzog sein Gesicht und neigte den Kopf, selbst Solaris schien plötzlich erstaunlich ernst und schweigsam zu sein. Erst auf Stellaris' Nachhaken antwortete er, wenn auch nur zögerlich: „Na ja, wir sind nicht ganz konkurrenzlos, muss ich zugeben. Jemand anderes versucht uns immer, einen Strich durch die Rechnung zu machen.“

„Ist das einer der Guten?“

Er war selten dazu gekommen, Bücher zu lesen, da man im Waisenhaus nicht viel Zeit dafür besaß, aber wann immer die Gelegenheit dagewesen war, hatte sich schnell gezeigt, dass es immer die Guten und die Bösen gab. Und wenn sie die Bösen waren, musste diese andere Partei zu den Guten gehören. Glaubte er jedenfalls.

„Pff, von wegen“, schnaubte Lloyd. „Die ist noch mieser als wir.“

Ein wenig hilflos ließ Stellaris den Kopf hängen. „Dann gibt es neben den Guten und den Bösen noch die noch Böseren?“

Das verwirrte ihn gehörig, weil er eine solche Situation aus keinerlei Buch kannte.

„In etwa“, bestätigte Solaris sanft.

Sie schwiegen den Rest des Weges, nicht zuletzt weil Stellaris sich doch lieber auf die Umgebung als auf Gedanken über Bösewichte, konzentrierte. Die hell erleuchteten Gebäude waren teilweise geöffnet, so dass Menschen hinein- oder herausströmen und dabei freudig lächeln konnten. Fröhliche Musik erklang von irgendwo und schallte mehrere Meter weit, ehe sie von irgendeiner anderen, nicht minder gut gelaunten, Tonfolge ersetzt wurde.

Obwohl viele Menschen durch die Straßen liefen, war die Atmosphäre friedlich und gelöst, sie alle lächelten sich gegenseitig an, grüßten sich sogar, wenn sie zu lange Augenkontakt hielten.

Er kannte das nicht, im Waisenhaus war jeder der Feind von jedem gewesen und gegrüßt hatte man sich schon erst recht aus Prinzip nicht. Die Außenwelt war in allem absolut besser, so schien es ihm zumindest bislang, und er bedauerte bereits, dass sein Bruder nichts hiervon sehen konnte. Irgendwann musste er ihn wirklich hierher bringen, das nahm er sich fest vor.

Das Museum schließlich war ein riesiges Gebäude, das auf Stellaris einen erhabenen Eindruck machte. Alles an diesem Bau schien zu sagen, dass man ihn ansehen und bewundern sollte.

Auf den Stufen, die zum Eingang hinaufführten, saßen Menschen und gingen den verschiedensten Tätigkeiten nach, sie unterhielten sich lachend, aßen einfach oder tippten auf tragbaren Computern, offensichtlich war dies ein äußerst beliebter Treffpunkt bei vielen.

An den Säulen vor dem Eingang waren Plakate angebracht, die von dem Juwel verkündeten, das gerade ausgestellt wurde. Auf diesen Leinwänden sah es noch wesentlich schöner aus.

Ohne den Schalter am Eingang zu beachten, gingen sie hinein und wurden von einer, für Stellaris, vollkommen neuen Form der Stille empfangen.

Sämtliche Stimmen waren zu einem leisen Flüstern gedämpft, während die Besucher durch die großzügig angelegten Räume schritten und sich die einzelnen Ausstellungsstücke ansahen.

Eines lag, zentral platziert, in einem Schaukasten, von zahlreichen Scheinwerfern beleuchtet und von den meisten Besuchern bewundert. Blitzlichter von Kameras flammten immer wieder auf, was sie direkt dorthin zu ziehen schien.

Lloyd, Solaris und Stellaris blieben daher ebenfalls dort stehen. Es war der Edelstein über den sie sich im Zug unterhalten hatten und in der Realität schien er noch wesentlich mehr zu glitzern als auf dem Foto, weswegen Stellaris ihn begeistert betrachtete. Auch all die Besucher, die nun darum herumstanden und eigene Fotos schossen, würden es niemals schaffen, diese Schönheit einzufangen, davon war er überzeugt.

Lloyd ließ derweil den Blick schweifen, nachdem er den Schaukasten ausgiebig betrachtet hatte. Er sah nach oben, machte die einzelnen Kameras ausfindig – und noch weitere Winkel an denen versteckte Beobachtungsmechanismen angebracht sein mochten – dann fiel sein Blick auf den Wachposten am Eingang der Halle. „Er ist aus Lanchest ...“

Solaris sah ebenfalls hinüber. „Dann sollte er ja kein Problem darstellen.“

Stellaris schloss sich den beiden ebenfalls an, war aber ratlos darüber, was sie damit meinen könnten. „Was ist?“

Der Mann, der am Eingang der Halle mit verschränkten Armen an die Wand lehnte, schien sich nicht im Mindesten für irgendetwas in diesem Museum zu interessieren, aber mehr unterschied ihn, in Stellaris' Augen, nicht von den anderen Besuchern.

„Der Wächter ist ein Absolvent der Lanchest-Militärakademie“, erklärte Solaris. „Sie sind wie wir, sie erfüllen Aufträge für ihren Vorgesetzten und vermutlich wurde er hierfür abgestellt.“

So ganz verstand er das nicht, vor allem deswegen, weil er nicht wusste, ob diese Lanchest-Leute nun gut, böse oder auch noch böser waren, aber im Moment wollte er das auch nicht weiter herausfinden, damit Lloyd nicht schon wieder genervt sein könnte.

„Woran erkennt ihr das denn?“, fragte er stattdessen.

„Es ist die Jacke“, antwortete Lloyd.

Bislang hatte Stellaris diese nicht einmal beachtet, so aber musterte er die grüne Jacke, die ihm aus irgendeinem Grund reichlich bekannt vorkam, so als hätte er sie schon einmal gesehen, obwohl das nicht sein konnte.

„Nur Lanchest-Söldner tragen diese seltsamen Jacken, egal wohin sie gehen“, fuhr Lloyd mit seiner Erklärung fort. „Im Falle von verwirrenden Auseinandersetzungen soll man anhand diesen erkennen, dass sie die eigenen Verbündeten sind.“

Schlagartig kam Stellaris wieder ein Erinnerungsbruchstück in den Sinn. Er spürte einen heftigen, brennenden Schmerz in seiner Brust und noch während er zu Boden stürzte, konnte er sehen, wie sein Angreifer sich von ihm abwandte, eine grüne Jacke hinter einer Mülltonne hervorzog und diese anzog. Der allerletzte Gedanke dieser Erinnerung war, wie ärgerlich es doch war, dass der andere ihn mit so einer einfachen Tat wie dem Ausziehen und Verstecken einer Jacke hatte hereinlegen können.

Als die Erinnerung schlagartig wieder endete, stellte er überrascht fest, dass noch ein zweiter Lanchest-Söldner hinzugekommen war und sich nun mit dem ersten unterhielt.

„Wie viele von denen sind wohl da?“, fragte Solaris.

Lloyd ließ sich einen kurzen Moment Zeit zum Überlegen. „Dieses Juwel ist sehr wertvoll, sowohl als Statussymbol als auch für die Wissenschaft.“

Solaris reagierte sofort auf Stellaris' Seitenblick: „Man sagt, es handelt sich bei ihm um den Stein der Weisen – aber ob es stimmt, kann dir wohl nur ein richtiger Wissenschaftler sagen, ich kenne mich damit nicht aus.“

Er erinnerte sich undeutlich daran, dass er den sagenumwobenen Stein der Weisen bereits im Unterricht durchgenommen hatte und dass man ihm nachsagte, er berge das Geheimnis für das ewige Leben oder wie man Blei in Gold verwandeln könnte. Ob es stimmte, konnte er ebenfalls nicht sagen, genausowenig, ob dieser Stein wirklich der sagenumwobene war.

Aber falls er es war, wäre es durchaus verständlich, dass so viel Aufwand betrieben wurde, um ihn zu schützen.

„Ich gehe daher davon aus, dass es mindestens fünf Söldner gibt“, schloss Lloyd seine Überlegungen ab. „Zwei wären zu wenig, aber mehr als fünf wieder zu viel.“

Er schien nicht im Mindesten besorgt über diese Überlegung, was wiederum Stellaris ein wenig beruhigte. Immerhin hieß es wohl, dass sie wirklich keine Probleme kriegen würden.

Plötzlich blickten beide Söldner direkt zu ihnen herüber und sprachen dabei mit ernsten Gesichtern weiter. Stellaris spürte unwillkürlich das Verlangen, sich hinter einem seiner beiden Begleiter zu verstecken, verzichtete aber darauf, um nicht noch mehr Misstrauen zu wecken.

„Sie haben uns bemerkt“, sagte Solaris.

„Fein.“ Lloyd schmunzelte. „Dann wird die Sache heute noch interessanter als gedacht. Nicht nur Cordia, auch diese Typen ... ich bin gespannt.“

Stellaris runzelte die Stirn, als er den Namen Cordia hörte. Dieser war ihm vollkommen unbekannt, aber er nahm einfach an, dass es sich dabei um die noch bösere Partei handelte, von der sie vorhin gesprochen hatten.

„Ich hoffe nur, dein Hochmut wird nicht unser Untergang sein.“

Auch wenn es tadelnd klingen sollte, so hatte Stellaris den Eindruck, dass Solaris ebenfalls von der Vorstellung amüsiert war, gegen zwei Parteien antreten zu dürfen. Er dagegen fühlte sich ein wenig unwohl dabei, aber nun gab es keinen Weg mehr zurück.

„Dann werden wir es heute Nacht wirklich durchziehen?“, fragte er.

„Wir haben keine Wahl mehr“, antwortete Lloyd. „Da sie uns jetzt erwarten, sollten wir sie besser nicht enttäuschen.“

Als er das sagte, nickte er den beiden Söldnern schmunzelnd zu, die sofort die Stirn runzelten, als sie das bemerkten und sich wieder in ein angeregtes Gespräch miteinander begaben.

Stellaris seufzte innerlich. Das kann ja was werden ...
 

Stellaris war sich absolut nicht sicher, dass er eine vernünftige Hilfe für die anderen beiden darstellen könnte. Er verstand sich, auch mit den Erinnerungssplittern, noch immer nicht auf das Kämpfen und hatte nicht im Mindesten Ahnung, was er überhaupt tun sollte, warum er eigentlich hier war. Dennoch schienen sowohl Lloyd, als auch Solaris darauf zu vertrauen, dass er schon wüsste, was zu tun sei, als sie ihn, im Inneren des Museums – er war sich nicht einmal im Klaren darüber, wie sie überhaupt hereingekommen waren – ausschickten, um in einem anderen Flügel darüber zu wachen, dass sie nicht von Feinden umzingelt wurden.

Bei Tag war das Museum ein aufregender Ort gewesen, gefüllt mit Menschen und Lichtern. In der Nacht war es einfach nur ... einsam. Es war so dunkel, dass er nicht einmal die einzelnen Exponate genauer ansehen konnte. Das einzige durch die Fenster fallende Licht kam von den Gebäuden, die um das Museum herum standen, aber es war gerade einmal genug, um die Schatten stärker hervortreten zu lassen.

Nur ein einziger Schaukasten stand direkt im Licht, so dass Stellaris das Ausstellungsstück in ihm genauer betrachten konnte. Es war ein reich verzierter Dolch, dessen Juwelen im Licht glitzerten und ihn geheimnisvoller erscheinen ließen, als er vermutlich eigentlich war. Ein kleines Schild verkündete vermutlich – weiß auf schwarz – die Geschichte des Artefakts, aber in diesem Licht konnte er es nicht lesen, egal wie sehr er die Augen zusammenkniff.

„Ein schöner Dolch, nicht wahr?“

Stellaris wirbelte herum, als er diese fremde Stimme hörte – und starrte der Frau entgegen, die einfach vor ihm erschienen war. Sie war noch jung, aber durch die gefühllosen dunklen Augen in ihrem schmalen Gesicht, erschien sie wesentlich älter, das lange weiße Haar, in dem es noch schwarze Strähnen gab, tat sein Übriges dazu. Sie trug eine dunkle Uniform, ein großes Schwert an ihrer Hüfte, beides sprach von einer Ernsthaftigkeit, die auch in ihrem ausdruckslosen Gesicht zu lesen war.

Dass ihr Blick auf ihn fixiert war, half ihm auch nicht dabei, weniger nervös zu sein. „W-wie bist du hier hereingekommen?“

Sie hob eine Augenbraue, das war die einzige Änderung ihrer Mimik. „Müsstest du nicht fragen, wer ich bin? Oder erinnerst du dich an mich?“

Falls es einen Erinnerungssplitter in seinem Inneren gab, der diese Frau kannte, so blieb er still und inaktiv. Also musste er mit dem Kopf schütteln.

„Ich bin Cordia.“ Mit bedächtigen Schritten kam sie auf ihn zu. „Und ich fürchte, du bist mir wieder einmal im Weg. Ich kann das nicht mehr tolerieren.“

Stellaris wich zurück, bis er am Fenster stand, sein Blick blieb dabei unablässig auf sie gerichtet, genau wie umgekehrt. Das machte es ihm nicht gerade einfacher, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Dafür waren ihre Augen viel zu hypnotisierend, wie ein dunkler Abgrund, der einen in die Tiefe reißen und dort auseinandernehmen wollte.

Als sie ihn derart in die Ecke gedrängt hatte, griff sie nach ihrem Schwert – aber ein Schuss, der die Stille zerriss, ließ sie wieder innehalten.

„Was war das?“, murmelte Stellaris.

Cordia schenkte ihm nur noch einen raschen Blick, dann fuhr sie herum und rannte schnell und gleichzeitig lautlos davon. Schon einen Moment später war sie in der Dunkelheit verschwunden, Stellaris konnte ihr nur noch hilflos hinterhersehen.

Ein weiterer Schuss fiel und erinnerte ihn daran, dass er sich ebenfalls in Bewegung setzen sollte, immerhin war er nicht allein im Gebäude. Er machte sich keine Sorgen um Lloyd und Solaris, er wusste, dass sie es auch ohne ihn schaffen könnten, aber er wollte dennoch nach ihnen sehen.

Im Dunkeln fiel es ihm schwer, sich zurechtzufinden, um wieder zu der Halle mit dem Juwel zu kommen. Immer wieder lief er gegen einen Schaukasten, der nicht selten deswegen klirrend zu Boden fiel, oder stolperte über Dinge, die auf dem Boden herumlagen, und die er glücklicherweise nicht sehen konnte.

Er wusste es nicht, aber im Normalfall hätte schon längst ein Alarm ertönen müssen, spätestens nachdem der erste Schaukasten zersplittert war. So nutzte er die Stille weiterhin, um aus seiner Erinnerung heraus die Quelle des Schusses zu finden.

Er stolperte in einen langen Gang, bahnte sich seinen Weg an der Wand entlang, hoffte, dass er ihn zur Haupthalle führte, aber in der Dunkelheit war es schwer zu sagen. Die Stille lastete plötzlich auf seinen Ohren, schien lauter zu sein, als sie dürfte, was an sich schon paradox war.

Schließlich knickte die Wand nach links ab, er trat in einen Raum, in dem die Ruhe scheinbar ihr Zentrum gefunden hatte – und gleichzeitig war es die Quelle des Schusses gewesen.

„Solaris?“, wisperte er furchtsam in die Dunkelheit. „Lloyd?“

Es ertönte keine Antwort, aber seine Stimme schien wesentlich lauter zu sein, als er beabsichtigt hatte. Ein leises Rascheln war in einer Ecke zu hören, als krieche jemand über den Boden – dann flammte plötzlich ein grelles Licht auf.

Stellaris blinzelte mehrmals, schirmte sich die Augen mit der Hand ab und versuchte, etwas zu erkennen. Vor ihm zeigte sich der Hauptraum, der Schaukasten mit dem Juwel stand immer noch in der Mitte des Raumes. Auf dem Boden lagen fünf Männer in grünen Jacken, offenbar die Lanchest-Söldner, unter ihnen hatten sich Blutlachen ausgebreitet.

Sein Blick huschte furchtsam über die regungslosen Männer, während er nach Lloyd und Solaris suchte und sie einfach nicht entdecken konnte.

„Du bist zu langsam“, hörte er Cordias Stimme – und plötzlich stand sie direkt neben dem Schaukasten mit dem Juwel.

Ihr Blick war immer noch genau so ausdruckslos und gleichzeitig eindringlich wie zuvor. Er wich zurück, um diesen Augen zu entgehen, wagte aber nicht, sich gänzlich in die Dunkelheit zurückzuziehen. Plötzlich erschien ihm diese bedrohlich, so dass er eingesperrt war zwischen Cordia vor ihm und dem, was in der Finsternis hinter ihm lauerte.

Ein weiterer Schuss ertönte, diesmal weiter entfernt. Der Kampf musste sich an einen anderen Ort verlagert haben, ohne dass ihm das bewusst geworden war.

Cordias Lippen kräuselten sich zu einem freudlosen Lächeln, das ihr blasses Gesicht in eine unheimliche Maske verwandelte. „Die Ablenkung war erfolgreich. Was hast du nun vor, Stern?“

Endlich reagierte ein Erinnerungssplitter, er zeigte, wie Cordia ihm ihr Schwert in die Brust rammte, dabei trug sie dasselbe befremdliche Lächeln wie im Moment.

Das half ihm, seine Furcht vor den Gefahren der Dunkelheit zu vergessen und weiter zurückzuweichen, bis er von der Schwärze eingehüllt wurde. Sicher konnte sie ihn immer noch sehen, aber sie kümmerte sich nicht mehr um ihn, sondern widmete sich dem Schaukasten. Mit der bloßen Hand zerschmetterte sie das Glas, ohne sich dabei zu verletzen, und griff sich das Juwel, das in ihrem Griff noch mehr zu leuchten schien. Aber das musste ein Trick des Lichts sein, das von überall zu kommen schien, es konnte einfach nicht sein.

„Leb wohl, Stern – solange du noch lebst.“ Mit diesen Worten verschwand sie so plötzlich, wie sie vorhin aufgetaucht war.

Stellaris wartete einen Moment, um zu sehen, ob sie nicht vielleicht doch wieder zurückkam. Dabei wurden die Sekunden zu Minuten, während die Stille versuchte, ihm Dämonen und Geister in der Dunkelheit vorzugaukeln. Es erforderte seine gesamte im Waisenhaus erlangte Willenskraft, um ihn davon abzuhalten, einfach davonzustürmen.

Erst als er sicher war, dass Cordia bestimmt nicht zurückkehrte, durchquerte er den Hauptraum, um zum Ausgang zu kommen, wobei er darauf achtete, nicht in das Blut zu treten oder über die Körper zu stolpern. Gleichzeitig versuchte er aber auch, nichts von beidem genauer zu betrachten, was gar nicht so einfach war.

Den großen Eingang konnte er nicht benutzen, das war ihm auch klar, aber sein Ziel war ohnehin eine Notausgangstür, die er zuvor gesehen hatte. Er öffnete diese einfache Metalltür und trat in eine kleine, schmutzige Seitengasse, die nur spärlich beleuchtet wurde. Dennoch fühlte er sich erleichtert, als die Tür hinter ihm zufiel. Was immer dort drin in der Dunkelheit lauerte, konnte ihm nicht hierher folgen.

Da beide Richtungen für ihn gleich aussahen, ging er nach links, in der Hoffnung, dort endlich ein Lebenszeichen von Lloyd und Solaris zu entdecken.

An einer Abzweigung angekommen, ignorierte er, dass ein Weg hinter das Museum führte und ging weiter geradeaus – als er plötzlich eine Hand auf seine Schulter spürte. Er unterdrückte einen Schrei und fuhr herum. Als sein Herzschlag sich beruhigt hatte, erkannte er endlich, dass Solaris und Lloyd dastanden, worauf er von Erleichterung durchflutet wurde. Sie musterten ihn beide, während er das gleichzeitig bei ihnen tat. Solaris wirkte gesund und unverletzt, wenn man von seinen wie immer verbundenen Unterarmen absah, doch die Verbände hatten sich inzwischen auf seine Hände ausgeweitet; Lloyd dagegen war voller Staub, Dreck und auch Blut, das nicht seines zu sein schien, Glassplitter hingen in seinen Haaren und warfen das Straßenlicht glitzernd zurück; es sah überraschend schön aus. Stellaris fragte sich, was für einen Eindruck er wohl gerade machte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Solaris.

„Ja, ich war nur … also ...“ Er konnte unmöglich sagen, dass er Angst vor der Dunkelheit bekommen hatte, das senkte sein Ansehen nur weiter. „Ich bin dieser Cordia begegnet.“

Lloyds Gesicht verfinsterte sich augenblicklich. „Dann hast du ja Glück, dass du überlebt hast. Ich nehme an, sie hat auch das Juwel?“

Stellaris nickte. Glücklicherweise machte keiner von ihnen ihm Vorwürfe. Stattdessen runzelte Lloyd die Stirn und sagte nichts mehr. Solaris ergriff daher die Initiative: „Lasst uns ins Hotel zurückgehen. Es bringt nichts, wenn wir uns hier jetzt die Köpfe zermartern.“

Beide liefen sofort los, um dem nachzukommen. Stellaris warf noch einen letzten Blick zum Museum mit seinen dunklen Fenstern – und er glaubte tatsächlich, hinter einer der Scheiben eine Gestalt zu sehen, die aussah wie jene während seiner Prüfung.

Ein Schauer überfuhr ihn, stärker als je zuvor. Hastig fuhr er herum und folgte den anderen beiden, entschlossen, nie wieder ein Museum zu besuchen.



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