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Night's End

Der Wiedergänger
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit diesem Kapitel endet der erste Teil des Romans. Komplett anzeigen

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Das Inferno

Ein schaler Geschmack nach Salz und Metall hatte sich in seinem Mund ausgebreitet und seine Zunge fühlte sich an wie eine geschwollene Qualle, die vollkommen gefühlstaub war.

Er konnte kaum schlucken. Noch bevor er die Augen öffnete, wusste er, dass der Traum von Justins Abschiedskuss Wirklichkeit gewesen war. ‚Verdammter Vampir’, dachte er, nahm den Kuss aber im ersten Moment hin.

Die Erinnerung und die Erkenntnis deckten sich nach dieser unbequemen Nacht, in sitzender Haltung an einer Steinwand mit nun eingeschlafenen Beinen und einem schmerzenden Nacken aber umso tauberen Rücken noch nicht wirklich. Ganz langsam sickerte in sein Bewusstsein, dass Justin irgendwann im Verlauf der Nacht gegangen war, aber er brauchte sehr lange um zu begreifen, dass er noch gar nicht seinen letzten Auftrag an ihn negiert hatte. Entsetzt fuhr er auf und sah sich in der Kammer um. Auch Ayco zuckte zusammen und richtete sich wesentlich weniger hektisch in eine sitzende Position auf. Er gähnte hinter vorgehaltener Hand und streckte sich. Die Kerzen waren alle niedergebrannt und das einzige Licht, was sie noch hatten, war eine einzelne Öllampe, die allerdings auch schon den eigentlichen Seildocht entflammte.

„Was ist denn los?“, fragte der junge Mann leise.

Luca sah sich im Raum um und blickte dann zu dem Elf herab. „Justin“, brachte er schwerfällig über die Lippen. Oh ja, der verfluchte Vampir hatte ihn gebissen und einiges an Blut geraubt. Er spürte die Verletzungen an seiner Zunge leicht als unangenehmes Stechen. Im Moment konnte er kaum reden. Viel eher hörte er sich an, als betäube Alkohol ihn und mache seine Aussprache undeutlich.

Luca nahm den Teekrug und füllte sich den Becher, zögerte aber bevor er ihn an die Lippen setzte. Er reichte ihn an Ayco weiter, der ihn immer noch leicht verständnislos betrachtete und mit dem Schlaf kämpfte. Etwas zeitversetzt schüttelte der Junge den Kopf. Wortlos stürzte Luca den Becher herab. Augenblicklich wurde es ihm schwindelig und schlecht. Er hatte seit Tagen nichts gegessen. Im Moment half ihm alle Askese wenig. Seinen Körper konnte er nicht kontrollieren. Aber noch während er um seine Fassung kämpfte und den furchtbaren Blutgeschmack versuchte mit dem nicht weniger widerwärtigen Kräutertee zu vertreiben, Schwoll durch die Kühle seine Zunge leicht ab.

„Justin ist weg!“, stieß er immer noch undeutlich hervor, griff sich an die Kehle und verfluchte zum dritten Mal den rothaarigen Elf.

„Darum bin ich nicht böse“, knurrte Ayco und stand ebenfalls auf.

„Solltest du aber“, merkte die leise Stimme Tammys an, der gerade ebenfalls aufstand und seine Glieder streckte. Alle Schuppen knisterten und klapperten leise aufeinander. Der Drachling gähnte herzhaft und entfaltete seine kleinen ledrigen Schwingen vollständig. Bei ihm knackten die Gelenke seiner Flügel leise.

„Was meinst du damit?“, fragte Ayco verständnislos.

„Ich wollte...“, begann Luca, brach aber ab und schluckte hart. „Ich wollte mit ihm und Orpheu reden, eine andere Lösung, als die Hilfe des Ordens in Anspruch zu nehmen, zu finden.“

Seine Stimme gehorchte ihm gar nicht.

Ayco aber verstand. Nachdenklich betrachtete er das leere Lager Justins. „Und er ist schon auf dem Weg in den Orden?“, fragte er vorsichtshalber nach.

Luca nickte.

Die Augen des Elfs weiteten sich. „Ihad“, keuchte er. „Dann ist der Großmeister schon auf dem Weg hier her?!“ seine Stimme überschlug sich vor Angst.

Luca nickte mit Nachdruck. „Geh, geh mit den anderen nach Night’s End. Bitte“, flehte er verzweifelt.

Lucas Angst stand Aycos in keiner nach. Aber seine Sorge war eher die Sicherheit des Elfs. Wenn Ihad dem Jungen damals all das angetan hatte, würde er ihn - ohne mit der Wimper zu zucken – töten.

Im Moment verfluchte er sich diese Anweisung gegeben zu haben. „Komm, wir gehen zu Orpheu und Thorn.“

Er hatte die Schultern des Elfs ergriffen und sah ihm in die Augen. „Bitte...“

Ayco schüttelte stur den Kopf. „Nein“, bekräftigte er. „Ich bleibe.“

Luca senkte die Lider. Er musste Aycos Entscheidung akzeptieren. Es würde sicher kein Zurück mehr geben. Aber einen Ausweg fand der Magier immer. Wortlos schloss der Magier den jungen Mann in seine Arme und hielt ihn fest.

Ayco erwiderte die Umarmung und vergrub sein Gesicht an der Schulter seines Gefährten.

„Was ist eigentlich mit deiner Stimme?“, fragte er leise.

„Justin hat mich gebissen und von mir getrunken“, entgegnete Luca. „Ich dachte es wäre nur ein Traum gewesen, aber das war ein Irrtum. Sein Abschiedskuss war sehr viel intensiver als ich es erwartet hätte.“

„Das war er wohl“, flüsterte Ayco. In seiner Stimme schwang Bitternis mit. „Ich glaube, ich muss Dich von allen Männern fern halten, oder?“, fragte er leise. „Zwei sind sicher meine ewigen Gegner um Dich.“

Luca konnte nichts erwidern. Er wusste, dass Ayco Recht hatte. Cyprian, Kyle und Justin hatten nie aufgehört ihn zu umwerben und notfalls mit Gewalt ihren Besitzanspruch festzusetzen. Bis vor kurzem hatte Luca jeder Antrieb gefehlt das zu unterbinden. Ihm war es immer egal gewesen, mit wem er die Nächte teilte. Allein lag er sehr selten auf einem Lager. Dass drei seiner Liebhaber ihn wirklich liebten, konnte er kaum unterbinden. Aber er wollte jetzt, wo sein Leben endlich seinen Fokus gefunden hatte, nur noch für Aycolén da sein und alles mit ihm erleben und entdecken.

Der Magier drückte den Elf enger an sich.

Die Öllampe flackerte, erlosch dann und tauchte den Raum in Dunkelheit. Lediglich unter den Vorhängen konnte Luca noch leichten roten Fackelschein entdecken.

Der ausgetrocknete Docht glühte noch eine Weile orangerot nach, bevor nur noch ein feiner Rauchfaden davon zeugte.

In der Sekunde brannte sich umso heller und stärker die gewaltige Aura des Ordensgroßmeisters in Lucas Bewusstsein. Er spürte die Erschütterung und das Erwachen seiner Magie. Ihads Erscheinen kündigte sich so allumfassend an, dass selbst der Elf in Lucas Armen zusammenfuhr als habe er einen weiteren personifizierten Gott vor sich gesehen.

Luca senkte den Kopf, umklammerte Ayco noch enger und wartete still ab. Der Woge glühender Magie konnte er ohnehin nicht entgehen. Sein Schädel dröhnte unter dem Ansturm. Weit bevor der Dämonenfürst sich materialisierte, erfüllte seine Persönlichkeit den gesamten Raum und brachte ihn zu bersten. Luca wappnete sich innerlich auf einen Kampf gegen Ihad und seine Niederlage. Aber er hatte nun nichts mehr zu verlieren außer noch einmal eine Ewigkeit ohne seinen Gefährten. Nichts würde ihn nun noch davon abhalten sich gegen Ihad aufzulehnen, wenn er Ayco auch nur anrührte.

Tambren kletterte behände an Lucas Hosenbein hinauf, hangelte sich an seinem Hemdsärmel auf den Arm und schließlich auf die Schulter seines Meisters.

Einen Lidschlag später begann die Luft vor Hitze zu wabern und entflammte sich.

Luca hasste diese theatralischen Auftritte Ihads. Er sah keinen Nutzen darin und der Großmeister musste ihm nicht demonstrieren, wie gewaltig seine Macht war.

In einer Feuerlohe, die langsam nieder sank und die winzigen Staubflocken auf dem Boden und in den Wänden entzündete, stand der gehörnte Dämon. Seine roten Haare fielen glatt und offen über die Schultern und seine nackte Brust, umrahmten dabei ein stolzes, brutales und schönes Gesicht. Der Breite, volle Mund hatte sich zu einem schmalen Strich zusammengepresst und die rotgoldenen Augen ruhten in perfekter Überheblichkeit und tiefem Hass auf dem Paar. Seine nackten, muskulösen Arme verschränkten sich vor der breiten Brust. Er trug lediglich einen bodenlangen Rock aus goldenem Brokat. So, wie er da stand fühlte sich Luca verschüchtert wie ein kleines Kind, das zu einem König aufschauen musste. Dabei war er schon lange nicht mehr der kleine Junge von damals, sondern selbst ein Meister der Magie und er konnte sehr wohl auf einer Höhe Ihads Blick erwidern.

In seinen Armen bebte Ayco. Scheinbar hatte der Elf vergessen, welche Macht Ihad umgab.

Doch auch er drehte sich langsam um und trotze seiner Angst.

‚So betrügst du mich um meine Güte dir gegenüber, Lysander?!’ Ihad vermied es Worte zu benutzen. Seine Stimme traf auf geistiger Ebene viel eher sein Ziel.

Dennoch hatte Luca das Gefühl unter der Aura zusammenbrechen zu müssen. ‚Ich habe dich mehr als alle anderen Schüler geliebt und gefördert, dir alle Gunst erwiesen, der ich fähig war, und du vergisst deine Pflicht mir und deiner Zauberkunst gegenüber und betrügst mich mit dem, der dir den größten Schaden zugefügt hat?!’

Ihad liebte die Theatralik wirklich, mit der er auftrat, stellte Luca nüchtern fest. Die Angst in ihm sank. Aber er kannte die wirkliche, perfide Macht seines Herren. Vorsichtig senkte er den Blick und nahm Ayco fester in den Arm.

„Herr, ich diene dir mit Leib und Seele“, begann er. Glücklicherweise konnte er seine Zunge fast wieder vollständig kontrollieren. „und ich würde mein Leben für dich verpfänden, weil ich weiß, was ich dir schuldig bin...“

‚Lüge nicht, Lysander!’ donnerte Ihad, außer sich vor Zorn. ‚Ich weiß, dass du den Orden verraten und alles hinter dir lassen willst. Aber dein Leben gehört mir!’

Luca senkte die Lider. In ihm kochte die Wut heller als noch an dem Tag zuvor gegenüber Justin.

„Mein Leben gehört nur einem!“, stieß er stolz hervor und suchte dabei den Blick Ihads. „MIR!“

In den ebenmäßigen Zügen des Dämons flackerte kurzer Schrecken auf, dann entflammte sich sein Gemüt endgültig.

‚Bist du des Wahnsinns, Lysander?! Du wagst es so mit mir zu reden?!’

Lucas Augen begannen zu brennen und tränten langsam von dem immer heller werdenden Glühen in den Augen des Dämonen.

Luca kannte diesen Anblick zu gut. Er spürte die rachsüchtige Hitze Ihads in sich, die kurzzeitig bereit war seinen jüngsten Spross von innen heraus auszubrennen und ihn aller Magie zu berauben.

„Ich warte darauf, Herr“, sagte Luca ergeben. „Bitte, bitte erlöse mich von dem Fluch dieses Ordens. Brenne alle Macht aus mir heraus. Aber nimm mir nicht noch einmal Aycolén.“

Der Dämon betrachtete Luca einige Zeit stumm. Seine Wut hatte noch immer nicht ihren höchsten Punkt erreicht, aber Luca spürte auch, dass Ihad dabei war sich eine neue Teufelei auszudenken.

Nun löste sich Aycolén endgültig aus seiner Starre. Scheinbar ging der Elf davon aus, dass Ihad zu seinem finalen Stoß ausholte. Mit ausgebreiteten Armen stellte er sich vor Luca. Die Geste war so rührend wie sinnlos. Wenn Ihad wirklich etwas tun wollte, würde weder die Tatsache, dass vor Luca eine andere Person stand dieses Schicksal abwenden, noch ihn der Anblick auch im Geringsten in seiner alten, boshaften Seele anrühren.

Sanft strich Luca die Arme des jungen Mannes herab und umschlang ihn in einer einzigen warmen Geste, die all seine Liebe und Dankbarkeit ausdrückte.

‚Ich hörte, dass es dich immer noch gibt’, hallte die Stimme Ihads in ihrem Geist nach. Er richtete seine Worte dieses Mal einzig an Aycolén. ‚Du hast es wieder geschafft ihn an dich zu reißen! Darin ist deine Macht über ihn unbestreitbar da. Immer wieder entringst du ihm mir. Aber er gehört mir...’

„Du wirst ihn so wenig bekommen wie Justin!“ unterbrach Ayco ihn zornig. Luca spürte, wie die Angst des Jungen von derselben flammenden Feuerlohe verbrannt wurde, die auch Ihad zu eigen war. Wie ähnlich sich die beiden waren, fiel Luca erst jetzt auf.

Ihads Augen glühten nun in einem irren Weißgold, das die rote Hitze verbarg.

„Schweig!“ brüllte er nun weithin hörbar. Seine Stimme war ein gewaltiger Feuersturm, der den ganzen Höhlenkomplex zum Beben brachte und sie klang als würden Flammen Holz in Sekundenbruchteilen verzehren. Nun zwang sich Lucas Angst wie eine Stahlklammer um sein Herz. Jetzt war Ihad gefährlich. Aber es war die letzte Möglichkeit Ihad seine Bedingungen aufzuzwingen.

„Wenn du ihm etwas zuleide tust, oder uns wieder trennst, werde ich dir nie wieder dienen und ebenso wenig deinen Zwecken entsprechen, dem Schicksal, dass du für mich vorgesehen hast!“ Lucas Stimme klang gefasst und ruhig. Nur Ayco, dessen Leib er eng an sich gezwungen hielt, konnte vermutlich sein Zittern und den rasenden Schlag seines Herzens wahrnehmen, und Tambren die wahnsinnige Angst teilen, die ihn nun beflügelte. Luca wusste, dass er Ihad nur beeindrucken konnte, wenn er alle Angst zurückzwang und sich ihm stellte.

„Du drohst mir?!“ Die Flammenlohe um Ihad gewann an Substanz. Hitze erfüllte den Raum und nahm Tam, Ayco und Luca den Atem. Der Magier hatte das Gefühl, dass die Luft zu flüssiger Lava gerann, die sich schwerfällig durch seinen Hals und seine Lungen zwang.

Einen Zauber anzuwenden, um sie alle zu schützen, hätte schwäche bedeutet. Luca musste das Risiko gegenüber Ihad eingehen, sogar dass sie erstickten.

Um Kraft zu sparen, senkte er seine Stimme, keuchte aber schon sehr. Seine Lider senkten sich und aller Zorn, aber auch aller Hochmut gegenüber dem Großmeister brach sich in seinen Worten ihren Weg. „So groß ist deine Macht nicht mich aus dem Reich der Toten zurückzuzwingen! Du willst mich? Dann gehe auf meine Bedingungen ein!“

Ihad brüllte vor Wut auf. Die Wände, der Stein, reflektierten die Hitze. Als er sein gehörntes Haupt wieder senkte, glomm Schwärze in dem weißen Glühen. „Was willst du?!“

Luca verschränkte seine Finger in die Aycos. „Trenne uns nie wieder voneinander, Ihad. Und gib mich irgendwann frei.“

Der Elf lächelte und drückte Lucas Hand fest. „Im Leben und im Tot wollen wir vereint sein.“, schloss Aycolén Lucas Worte.

Ihad fixierte die beiden Männer. Dann senkte er die Lider. „Habt ihr euch das gut überlegt?“ In seinen Worten schwang eine Mischung aus Hohn und Niedertracht mit, allerdings auch ein Hauch von Wissen über etwas, dass Luca verborgen blieb.

Der Magier hatte das grausame Gefühl einen gewaltigen Fehler gemacht zu haben.

Aber das eifrige Nicken Aycoléns besiegelte die Worte beider.

In den Augen Ihads flackerte roter Schein auf. „So sei es. Aber du weißt, dass ich, um ihm zu gestatten an deiner Seite zu bleiben, wieder in dem Orden aufnehmen muss, Lysander...“

Mit furchtbarer Gewalt fiel Luca nun auf was sein Denkfehler gewesen war. Selbst wenn er aus dem Orden austreten wollte, konnte er es nicht, weil Aycolén noch dort war und Ihad ihm nicht versprochen hatte, ihn gehen zu lassen.

Die Genugtuung über Lucas Erkenntnis und das Entsetzen darüber, genoss Ihad in vollen Zügen. Luca mochte einen kleinen Sieg errungen haben, aber der Großmeister hatte den Krieg gewonnen.

Der Dämon wendete sich halb von den beiden Männern ab. „Du wirst immer mir gehören, Lysander“, sagte er leise.

Der Magier schloss die Augen und nickte. „Vielleicht“, entgegnete er. In seiner Stimme war weder Freude noch Hoffnung. Aber seinen Stolz ließ er sich nicht brechen. Ihad würde ihn nie unter seine Kontrolle zwingen.

„Im übrigen, mein lieber Aycolén“, wendete der Dämon nun seine Aufmerksamkeit zu dem Elf, der bis eben verständnislos zu Luca gesehen hatte. „Florean war Dein Ordensname. Wenn du mein gelehriger Schüler sein willst, wirst du ihn nutzen!“

Der Elf schluckte hart. Luca vermutete, dass er sich gerade einen ziemlich geharnischten Gegenkommentar verbeißen musste.

„Nun wirst du deine erste Lehrstunde in Magie erhalten.“

Er machte eine geringe Bewegung mit der Hand und entflammte den Vorhang, der die Hohle vom Flur abgrenzte. „Lysander, pack deine Sachen und habe wenigstens den Anstand das Kleid unseres Ordens zu tragen!“

Der Magier presste die Lippen aufeinander und ballte die Fäuste.

‚Tu, was er sagt’, beschwor Tambren ihn.

„Hör’ auf den Rat deines Vertrauten, bevor ich auf die Idee kommen könnte, alle Kleider an deinem Leib zu verbrennen und dich zu zwingen den Mantel zu tragen“, spottete Ihad.

Luca hob den Blick und lächelte böse. „Normal macht es mir nichts aus, mit allem Stolz dein Kleid zu tragen, Herr, aber die Kriege haben es schäbig werden lassen.“

Er unterstrich seine Worte mit einer eleganten Geste, mit der er das graue Rohseidengewand hervor holte, dessen beste Tage wirklich schon lang vorüber waren.

„Du willst doch nicht, dass ich deiner Macht darin huldige?“

Ihad nickte barsch. „Du junger Narr hättest die ganze Zeit neue Kleider haben können. Ich liebe es dich darin zu sehen. Bei deiner Initiation warst du der, der mir am meisten Ehre darin gemacht hatte und dabei am stolzesten einher schritt, Lysander.“

Luca erinnerte sich zu genau daran. Und damals erfüllte es ihn mit großem Stolz als gerade fünfzehn Jahre alter Knabe zwischen lauter Männern zu stehen, die zwischen vierzig und achtzig Jahren alt waren. Es war der hochmütigste aber auch schönste Moment in seinem Dasein als Ordensmitglied, der Triumph besser als alle anderen zu sein, jünger noch als alle anderen und die tiefe Zuneigung seiner Meister auf sich ruhen zu fühlen.

„Ich habe deinen Mantel immer mit Stolz getragen, Ihad“, gestand er leise. „Du hast es mich gelehrt.“

„Dann trage ihn mit der gleichen Würde, mit der du ihn auch damals getragen hast.“ In Ihads Stimme schwang eine seltsame Milde mit, die Luca schon lange nicht mehr vernommen hatte. Im Moment fühlte er sich wirklich wieder wie ein Kind.

Er sah zu Aycolén, der in seiner Nähe stand und wieder die Rolle des stillen Beobachters übernommen zu haben schien. In seinem Blick lag leise Missbilligung. Luca tat es nur zu leid, dass er im Moment schwach war und sich nicht auf offene Gegenwehr einließ. Es war eine Niederlage, die Ihad ihm aufzwang. Der junge Mann schloss die Augen und streifte das alte Gewand über Hemd und Hose.

Ihad lachte wohlwollend, las der leichte Stoff sich um Lucas Gestalt legte. Plötzlich veränderte sich die Robe auf seinem Körper. Das Hemd verschwand darunter und der schwere Stoff von brokatenem Samt legte sich über seinen nackten Oberkörper. Fragend sah Luca an sich herab. Er trug das Gewand eines Meisters, nicht mehr die einfache Kleidung der Wanderer. Es war prachtvoll im Schnitt und in der Wahl der Tuche, so edel wie die Kleidung Cyprians und Ihads selbst.

Der junge Mann sah seinen Herren still an.

Dieses Mal fühlte sich Ihad offensichtlich genötigt sich zu erklären.

„Das ist deinen Ordenswürden angemessen, Lysander“, sagte er leise. In seinen goldenen Augen schimmerte wieder sanfter Stolz auf Luca. Tam betrachtete ihn neugierig und nickte zufrieden. Allerdings Aycos Blicken wich Luca aus. Wortlos sammelte er seine Sachen zusammen und legte sie in seiner Tasche zusammen.

Ihad machte eine ungeduldige Handbewegung. „Kommt!“, befahl er.

Luca sah nun doch zu Ayco, der ihn immer noch still musterte. Aus den Augen des Elfs konnte er keinen Gedanken heraus lesen. Still nahm er seine Sachen auf und ließ Tam seinen Platz auf seiner Schulter einnehmen.

Der Drache hatte seinen Schwanz um Lucas Nacken geschlungen und spielte unablässig mit einer Haarsträhne Lucas, die er mit seiner eigenen Schwanzquaste verflocht.

In seiner Anspannung schnatterte er leise, klapperte mit seinen Zähnchen und versuchte krampfhaft seine Gedanken hinter einer Barriere zu verbergen.

Luca konnte dennoch, zumindest auf Ebene seiner Gefühle mit seinem Freund kommunizieren. Der Drachling vermittelte nicht nur Nervosität, sondern auch Sorge. Beide stimmten darin überein, dass Ihad etwas plante.

Dennoch blieb Ayco, Tam und Luca keine andere Wahl, als Ihad zu folgen.
 

Eigentlich hatte Luca damit gerechnet, dass der Kessel ein Ort wilder Betriebsamkeit sein würde, aber er sah weder einen von Orpheus Männern, noch einen der Verletzten, auch wenn er fast sicher war, dass Justin mit der Woge gewaltiger Lebensenergie nahezu allen Kranken und Verwundeten ihre Gesundheit wieder gegeben hatte. Eine einzige Person erwartete sie hier. Luca kannte auch ihn nur zu gut.

Er hatte sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Seine Gestalt glich in keiner Weise der massigen, muskulösen Ihads. Cyprian war kleiner als der Feuerdämon, schlank, so sehnig wie Aycolén, und genauso schön wie der Elf. Sein silbrig weißes Haar hatte er im Nacken zusammengebunden und seine gehörnte, hohe Stirn gaben ihm den Anschein einer völlig anderen Natur als der Ihads. Eisblaue Augen fingen jede Bewegung Lucas ein, ersehnten ihn zu sich. Sein erwartungsvolles Lächeln zauberte eine Güte in seine edlen Züge, die ihm eigentlich gar nicht zu Eigen war.

Dass Aycolén bei ihnen war, schein ihn nicht im Mindesten zu schockieren. Luca ahnte auch warum. Justin hatte seinen beiden alten Erzfeinden alles erzählt, auch die Wiedervereinigung von Ayco und Luca, die alte Liebe, die wieder aufgeflammt war. Der Elf musste in der vergangenen Nacht alles nur zu genau mit angehört und gesehen haben, sogar dass sich das Paar geküsst und geliebt hatte.

In Luca erwachte wieder einiges an Zorn auf Justin. Er hatte sie beide nur zu bereitwillig wegen seines gekränkten Stolzes ausgeliefert. Die einzige kranke Genugtuung, die Luca darin fand war die endgültige Trennung von dem Vampir. Nachdem Ihad sich seiner Dienste auf ewig versichert hatte - und für einen Seraphin bedeutete sie Ewigkeit wahrhaftige Unsterblichkeit – würden Justins Chancen, je wieder Lucas Weg zu kreuzen sehr gering sein.

Doch die anfängliche Wut würde, wie immer, abebben und Trauer und Verlust zurück lassen. Dieses Wissen begleitete Luca bei jedem Schritt weiter in den Kessel hinein.

Stumm schritt Ayco neben ihm her, ergriff aber plötzlich Lucas Hand und drückte sie fest. Der Magier betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Die grimmige Entschlossenheit sich auch gegenüber Cyprian durchsetzen zu wollen, ließ Luca leise schaudern. Seine Angst galt Ayco. Der junge Elf begab sich in sehr große Gefahr.

Noch bevor sie das Zentrum des Kessels erreicht hatten, sah Ihad zu ihnen und lächelte böse. „Nun, Florean, jetzt wirst Du lernen was es heißt die Macht dieses Ordens in sich zu tragen.“

Unsicher warf Ayco Luca einen Blick zu. Der Magier glaubte die Worte Ihads verstanden zu haben. Er Würde seine Macht demonstrieren, an was aber wusste er nicht.

Ihad machte eine ausladende Geste.

„All eure Gefährten sind in Sicherheit. Nun werden wir ein Exempel statuieren, das – gleichgültig, auf wessen Kosten das hier ging – in die Geschichte der Magie eingehen wird!“

Seine gewaltige Stimme, die sich zu einem lauten Brüllen gesteigert hatte, hallte in dem zylindrischen Kessel von den Wänden wieder. Unheimlich verzerrt kam es vielfach gebrochen zurück.

Ihad blieb stehen, vielleicht zehn Meter von seinem Stellvertreter entfernt. Er drehte sich einmal im Kreis. „Das alles hier wird Geschichte sein, Lysander. Geschichte deiner Feigheit zu tun, was deine Aufgabe gewesen wäre.“

Luca starrte ihn aus brennenden Augen an. Der Griff Aycos wurde fester. Dann schrak der junge Mann zusammen. Als Luca zu ihm sah, bedeutete ihm der Elf sich umzuschauen. Mit sehr schlechten Gefühlen folgte Luca dieser Aufforderung. In dem Moment zogen sich alle Eingeweide zusammen. Sein Herz hörte für den Bruchteil einer Sekunde auf zu schlagen und hämmerte dann umso heftiger weiter. Es war nur noch ein steinerner Klumpen in seiner Brust, der Tonnen wog.

Überall hörte und sah er die Materialisation von Ordensmagiern. Es waren so viele, dass er sie gar nicht erst zählen wollte. Vermutlich mehr als hundertfünfzig Männer. Aber das allein machte ihm weniger Angst. Sei waren nicht allein. Die einstmaligen Wachen und Folterknechte lagen, taumelten oder Standen in Ketten und magischen Fesseln an zwischen ihnen. Einige der Männer waren gar nicht mehr bei sich, vermutlich auch nicht mehr am Leben, andere wimmerten und flehten um ihr Leben, oder krochen an den Magier hoch, um sie umzustimmen.

Luca überschlug grob die Anzahl der Personen hier und rechnete die mit ein, die sicher noch hier in den Höhlensystemen verborgen waren. Seiner Schätzung nach wären das mehr als eintausend Männer, die Ihad hier umbringen wollte.

Ayco deutete mit aschfahlem Gesicht zu einer kleinen Gruppe Männer, die reglos da standen, mit steinernen Mienen und stolz erhobenen Häuptern. Unter ihnen war Henrik.

„Das Heer, Aki, sie haben nicht einen der Gefangenen bei sich!“, rief der Elf entsetzt. „Sie sind alle noch hier!“

Er versuchte sich nun aus Lucas Griff zu befreien. Aber der Magier hielt ihn eisern fest. „Bleib!“, befahl er. Alles Gefühl war aus ihm gewichen. Er konnte nicht verantworten, dass Ayco diesem Inferno zum Opfer fiel.

Der junge Mann zuckte zusammen und starrte Luca an. Die Kälte des Magiers erschreckte ihn offenbar.

Luca wendete sich zu Ihad um, der die Mimik der beiden Männer voller Gier in sich aufsog.

„Das kannst du nicht machen!“, schrie Luca seinen Herren an. „Sie sind vielleicht Mörder, aber es ist nicht Dein Recht sie abzuurteilen sondern einzig das des Kaisers! Ihnen steht unser Schutz zu, Ihad!“

„Nein“, entgegnete der Dämon schlicht.

Cyprian ergriff nun das Wort. „Da du unfähig bist deiner Aufgabe nachzukommen, Lysander, wird der Orden das für dich erledigen!“

Er warf Luca einen beschwörenden Blick zu. Zugleich vernahm der Magier die Stimme seines Mentors. ‚Ich kann sie nicht beschützen, Luca. Wenn ich mich zu offensichtlich gegen meinen Bruder stelle, wird dich niemand mehr in diesem Orden schützen können. Einigen kannst du helfen. Ich werde Ihads Aufmerksamkeit auf anderes zwingen. Die Art der Hilfe ist deine Aufgabe.’

Luca schloss die Lider und konzentrierte sich auf die stille Magie in sich, die langsam, flackernd erwachte.

Ihad hob seine Hände.

Unheimliche Stille senkte sich über den Kessel und niemand wagte auch nur zu laut zu atmen.

Entsetzt verkroch sich Tam unter den Stoff von Lucas Mantel.

‚Das wird entsetzlich, Luca, beschütze sie!’, flehte der Drachling. ‚So viele sterbende Seelen ertrage ich nicht!’

Der Magier zog wortlos Ayco an sich umklammerte ihn, suchte seinen Blick und bannte ich. „Ayco, vertraust du mir?“, wisperte er.

Der Elf fragte nicht nach sondern nickte leicht. Er umschlang seinerseits Luca fest und klammerte sich an ihn.

Sein Leib bebte vor Angst und Entsetzen. Dann schloss er die Augen und verbarg seinen Kopf in Lucas Halsbeuge.

„Ich verurteile euch im Namen der Gerechtigkeit zum Tode!“, donnerte die Stimme Ihads.

Seine Gestalt wurde von Flammen umzüngelt und die Goldaugen waren reine Weißglut. Luca sah ihm an, dass er es liebte zu vernichten. Dieser Ort hier würde vernichtet werden.

Er konnte nur hoffen, dass seine Kräfte sich entfalteten ohne Schaden anzurichten. Er spürte die gleißende Woge Lichtes, die sich tief in ihm sammelte und immer heller zu brennen begann. Seine Energie, sein Bewusstsein, sein Wesen, betteten sich in diesen einen einzigen Zauber, den er nutzen konnte.

Aber es war noch etwas anderes, seiner eigenen, natürlichen Magie gleich und doch fremd, etwas, dass sich mit ihm verband. Es wuchs mit ihm und verwob sich flammend und wütend in seine Energie. Luca konnte es nicht steuern, wollte es auch nicht mehr. Er ließ es zu, gab sich der Kraft Aycos hin, die sich gleichsam seines Zaubers entfesseln wollte. Stumm umklammerte er den Elf und fokussierte die Kraft in sich. verstärkt, betete sie schnell genug zu sammeln. Plötzlich brach sich ein greller Schmerz seinen Weg. Die gesamte Magie in ihm zerriss seinen menschlichen Körper in glühende Stücke.

Dann ging die Welt um ihn herum in einem Meer aus Flammen, Explosionen, Zaubern und Schmerzensschreien unter.
 

Ende des ersten Teils


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ende des ersten Teils

Anfang 2015 erscheint im Incubus-Verlag ein weiterer Roman der in Äos (der Welt von Night's End) spielt.

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