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Ein Leben in London

Fortsetzung von "Eine Nacht in Bangkok" (ABGESCHLOSSEN!)
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Finally! Endlich bin ich mit meinem Job durch. Ich fasse es immer noch nicht, dass ich nicht wieder da hin zurück muss, aber ja, es ist wohl Realität ^.^ Und zur Feier des Ganzen gibt es ein neues Kapitel ^.- Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

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Arbeit und Urlaub

Die Grenzkontrolle war ein einziger Horror gewesen. Wie schon im Konsulat, wo er Harrys Visa beantragen musste, da er mit dem thailändischen Pass nicht einfach so einreisen konnte. Ist der Junge wirklich ihr Sohn? Wo ist seine Mutter? Seit wann lebt er bei ihnen? Warum lebt er jetzt erst bei ihnen? Warum kann er kein Englisch? Warum haben sie den Jungen mitgenommen?

Severus hatte zum Glück seine feste Geschichte, die er immer und immer wieder erzählte. Und Harry hatte gelernt, artig daneben zu stehen und zu lächeln. Er antwortete sogar auf ein paar Fragen selbst. Die erste davon: „Wie ist dein Name?“

Als Severus den Jungen mit Harry Snape antworten hörte, überkamen ihn Panik, Stolz und ein unerklärlicher Beschützerinstinkt zugleich. Sein Harry. Er hatte dem Jungen seinen Namen gegeben. Seinen Vornamen für ein neues Leben, seinen Nachnamen zum Schutz. Es war sein Harry. Wie hatte er je darüber nachdenken können, ihn wegzugeben? Zum ersten mal erwiderte er den Druck der Hand, die in seiner lag.

Und Harry strahlte ihn an mit seinem schönsten Lächeln. Es brauchte jeden Funken Selbstbeherrschung, um sich nicht vorzubeugen und ihn mitten vor den Augen des Grenzkontrolleurs zu küssen. Natürlich wäre das desaströs gewesen, aber Severus merkte, dass ihm die möglichen Konsequenzen sehr viel gleichgültiger waren als sie es sein sollten. Was ihn zurück hielt, war etwas anderes. Der Junge war sechzehn und von ihm abhängig. Es wäre nicht fair, das auszunutzen. Er wollte keinen Liebhaber, der bei ihm war, weil er keine andere Wahl hatte. Er wollte Harry und er wollte ihn ganz. Aus dessen völlig freien Willen.

Also antwortete er weiter auf die drögen Fragen des Grenzkontrolleurs, die auch nur die unendliche Wiederholung eines Fragenkanons war, den er andauernd zu beantworten hatte. Eine Viertelstunde eingehender Befragung später durften sie nach Scan mehrerer Fingerkuppen und verschiedener Fotos endlich den Flughafen verlassen.

Severus behielt Harrys Hand bis zum Besteigen des Taxis in seiner.
 

„Wow, das ist riesig!“ Harry rannte von einem Raum zum anderen – nicht, dass ihr Hotelzimmer viele davon hätte – und sah sich alles an.

Severus hing in aller Ruhe seinen Mantel auf, legte ihre Koffer auf die Kofferablage und öffnete diese zum Auspacken. Als er seine Jacketts aufhing, wunderte es ihn nur minimal, dass Harry im Schrank stand und er ihn erst heraus ziehen musste. Harry fand das anscheinend komisch. Sein Lachen ließ Severus lächeln.

„Und die Aussicht ist toll“ Harry hatte sich anscheinend ans Fenster gestellt. „Was sind das für Gebäude?“

Severus stellte sich neben ihn und begann zu erzählen, was er wusste. Viele der Gebäude waren wirklich berühmt, sodass er viel zu erzählen hatte. Mehr als die Gebäude schien Harry jedoch der Central Park zu interessieren. Der Gedanke, mitten in eine Stadt voller riesiger Gebäude einen Park zu bauen, erschien ihm absurd. Severus Erklärung, dass Menschen so etwas zur Entspannung ihrer Nerven brauchten, verstand er ebenso wenig.

„Du kannst ja schauen, wie du dich fühlst, wenn du den ganzen Tag durch Manhattan gerannt bist“ Severus schüttelte amüsiert den Kopf. „Meinst du, du findest dich gut genug zurecht, um dieses Gebäude wieder zu finden?“

„Musst du heute schon arbeiten?“ Harry warf ihm einen betrübten Blick zu.

Severus nickte nur. Vielleicht hätte er darauf bestehen sollen, dass das erste Meeting erst auf Morgen gelegt werden würde. Wahrscheinlich wäre es gut gewesen, hätte er Harry etwas über Sightseeing erklärt.

„Kannst du mir die Adresse aufschreiben? Dann kann ich Menschen fragen, um zurück zu finden. Wir haben schon gelernt, wie man nach dem Weg fragt.“

„Das ist eine gute Idee“ Severus schnappte sich eine Visitenkarte des Hotels. „Wenn du gar nicht weißt, wie du her finden sollst, dann winke dir ein gelbes Auto heran. Das sind Taxis. Wenn du ihnen diese Karte zeigst, dann fahren sie dich her“ Er zog sein Portemonnaie hervor. „Taxi fahren kostet Geld. Und wenn du dir irgendetwas anschauen willst, kostet das normalerweise auch Geld. Wenn du etwas essen magst, dann kannst du etwas von einem Stand kaufen. Ich bin heute Abend gegen achtzehn Uhr zurück, dann können wir zusammen essen gehen.“

„Wie viel Uhr ist jetzt?“

Severus griff in Harrys Jackentasche und zog dessen Handy hervor, um zu fragen: „Kannst du die Uhr auf diese Weise schon lesen?“

Harry nickte lächelnd.

„Und wenn du ganz verzweifelt bist, kannst du mich damit anrufen. Erinnerst du dich, wie das geht?“ Harry nickte erneut. „Bitte ruf auch an, wenn du es nicht schaffst, um achtzehn Uhr wieder hier zu sein.“

„Okay“ Harry nahm das Handy wieder und steckte es ein.

„Und geh dran, sollte ich dich anrufen.“

Noch ein Nicken.

Severus seufzte und fragte leise: „Du bist sicher, dass du zurecht kommst?“

Harrys Grinsen war wenig rückversichernd.
 

„Griths“ Der andere Anwalt schüttelte ihm die Hand. Ein stoischer, wenig charmanter Mann von fast sechzig Jahren. Severus mochte ihn auf den ersten Blick. „Mister Gainsborough entschuldigt sich für seine Verspätung, er wird in wenigen Minuten hier sein.“

„Der Firmenchef plant persönlich zu erscheinen?“ Severus hob überrascht die Augenbrauen.

„Nach den bisherigen Enttäuschungen hat er sich der Sache persönlich angenommen“ Der andere Mann sandte ihm einen warnenden und gleichzeitig prüfenden Blick.

„Ich hörte, einer meiner Kollegen habe sie verärgert. Ich soll Ihnen im Namen der Kanzlei eine Entschuldigung ausrichten.“

„Wäre er die einzige Enttäuschung gewesen, müssten wir den Chef nicht bemühen“ Griths musterte ihn offen. „Versuchen Sie nicht, ihn zu täuschen. Es würde Ihre Kanzlei diesmal teuer zu stehen kommen.“

„Ich habe bis zum heutigen Tag noch keinen Kunden enttäuscht. Verärgert beizeiten mit Ehrlichkeit, aber nie enttäuscht“ Severus hielt dem Blick problemlos stand. Er war schon lang nicht mehr verärgert, wenn man ihm Inkompetenz unterstellte. Da stand er drüber. Wie schon viele Leute festgestellt hatten – ihm war die Meinung der meisten Menschen egal.

„Mister Griths?“, fragte eine Assistentin, die soeben den Raum betreten hatte, „Mister Gainsborough ist eingetroffen. Er wird in wenigen Minuten zu Ihnen stoßen.“

„Danke, Alicia“ Der Herr nickte. „Wollen Sie schon einmal Platz nehmen? Wünschen Sie etwas zu trinken?“

„Vielen Dank“ Er nahm den angebotenen Sessel. „Einen Kaffee, bitte. Schwarz.“

Der andere Anwalt beschränkte sich darauf, ihn zu mustern, während sie auf ihre Getränke warteten. Ausgerüstet mit Kaffee stellte er ein paar der sozial benötigten Fragen über seinen Flug, seine Unterkunft und das Wetter in London, bis der Chef auch eintraf. Der Mann schien trotz seines Alters – er hatte sicherlich fünf bis zehn Jahre mehr als Severus – sehr sportlich und entsprach nicht ganz dem erwarteten Bild eines übergewichtigen Mittfünfzigers. Eher wirkte er wie ein Rennradfahrer oder Jogger, der jeden Tag die Treppe zu seinem Büro im fünfundvierzigsten Stock nahm.

„Guten Nachmittag, Mister Snape“ Der Mann reichte ihm die Hand. „Es freut mich sehr, dass Sie so schnell Platz in Ihrem Terminkalender gefunden haben.“

„Die Ehre ist ganz meinerseits“ Die Worte gingen ihm wie Teer von der Zunge, aber er hatte zum Glück lange Jahre geübt. „Ich danke, dass Sie sich dieser Sache persönlich annehmen. Ich soll Ihnen eine Entschuldigung unserer Kanzlei ausrichten und werde Ihren Anliegen vollste Priorität gewähren.“

„Das ist doch gut zu hören“ Gainsborough warf seinem Anwalt einen Blick zu. Er war nicht fragend wie Severus erwartet hätte sondern eher tadelnd. „Ich sehe, Alicia hat Sie schon mit Getränken versorgt. Dann können wir ja gleich zur Tat schreiten.“

„Sehr gern“ Das war sogar ehrlich gemeint. Er hatte lange das Interesse daran verloren, durch Firmen geführt zu werden oder sich Vorträge über die hohen Ideale des Konzerns anzuhören. Sich rein auf die anstehende Arbeit zu beschränken war ihm mehr als recht. Vielleicht würde es ihm sogar die Migräne des Abends ersparen, die sich schon seit der Flughafenkontrolle anbahnte.

Mister Gainsborough erwies sich als erstaunlich engagierter Firmenchef. Zwar wusste er wenig über die Feinheiten und typischen Probleme dessen, was er sich vorgestellt hatte, aber sie hatten eine sehr produktive Sitzung. Viele Entscheidungen über Aspekte des Vorhabens konnten sofort geklärt werden, sodass Severus seine Arbeit für die nächsten Tage drastisch schwinden sah. Hoffentlich würde das Meeting mit Industrial Illusions ebenso erfolgreich verlaufen.

Er bemerkte die Uhrzeit erst wieder, als Mister Gainsborough fragte: „Wollen wir die restlichen Einzelheiten beim Abendessen besprechen?“

Severus setzte bereits zur Zustimmung an, als ihm einfiel, dass er dieses mal nicht ungebunden war. Harry wartete auf ihn. Welch ein … neues Gefühl. Er konnte noch nicht sagen, ob es positiv oder negativ war. Er überlegte einen Moment, bis ihm eine möglichst diplomatische Formulierung eingefallen war: „Ich danke Ihnen für das Angebot, jedoch wartet mein Sohn im Hotel. Er ist zum Sightseeing mitgekommen und hat noch nichts gegessen.“

„Er kann doch mitkommen“ Herr Gainsborough lächelte. „Ich lerne gern junge Menschen kennen. Sie haben so eine erfrischende Sicht auf die Welt.“

Oh … damit hatte er nicht gerechnet. Wie sollte er erklären, dass sein Sohn kein Englisch sprach und auch keinerlei Benehmen hatte? Harry würde ihn fraglos blamieren, auch wenn er nichts dafür konnte.

„Ehrlich gesagt … betrachte ich ihn noch nicht als gesellschaftsfähig. Ich setze die Verträge gern auf und bringe Sie zu unserem Treffen am Samstag mit. Alle weiteren Details kann man dort vor Ort klären.“

„Sie machen mich neugierig auf den Jungen“ Herr Gainsborough betrachtete ihn einen längeren Moment lang. „Aber wie Sie wünschen. Dann sehen wir uns am Samstag um zehn Uhr?“

„Sehr gern. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit“ Einer der wenigen male, wo die Aussage nicht nur eine Floskel war. Er war dankbar, dass der Mann nicht auf einem Abendessen bestanden hatte. Harry konnte zwar schon mit westlichem Besteck umgehen und ordentlich auf einem Stuhl sitzen, aber seine Manieren reichten nicht für die Klasse Restaurant, in das man als Firmenchef ging. Außerdem hatte der Junge keinen Anzug. Das gehörte als nächstes auf die Einkaufsliste.

Sie erhoben sich, schüttelten einander die Hände und tauschten einige weitere Floskeln. Als Severus sich schließlich endgültig verabschiedet hatte und das Gebäude verließ, war es bereits halb neun.
 

Harry saß brav im Hotelzimmer und las eines der Bücher, das Severus ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Neben ihm lag ein Wörterbuch, um die vielen Vokabeln nachzusehen, die er nicht kannte. Severus fühlte sich fast verführt, den Jungen zu loben, dass er seine Zeit sinnvoll nutzte. Allerdings schaffte das Kompliment es nicht über seine Lippen. Er könnte selbst nicht sagen, warum. Da schien eine Barriere in ihm, die ihn hinderte, etwas Positives zu sagen.

Er beschränkte sich auf einen einfachen Gruß und genoss das Lächeln, das ihm entgegen geworfen wurde. Nach einem Moment fügte er sogar eine Erklärung für seine Verspätung an, auch wenn das Wort Entschuldigung es auch nicht über seine Lippen schaffte. Ganz objektiv konnte er sich selbst sagen, dass beides zu sagen wahrscheinlich sozial kompetent gewesen wäre. Zumindest erkannte er ein paar seiner Fehler bereits.

„Wollen wir etwas essen gehen?“

Harry nickte nur, hopste von seinem Bett und schnappte sich seine Schuhe. Severus rechnete im Kopf nach, dass dieser das letzte mal vor zweiundzwanzig Stunden etwas gegessen hatte, da er das Essen im Flug verschlafen hatte. Ein wenig erstaunte es ihn, dass Harry nicht einmal einen Hauch von Unmut zeigte, dass Severus ihn drei Stunden ohne Nachricht hatte warten lassen. Vielleicht hatte der Junge bei seinen Verwandten oft gehungert.

Zum ersten mal erschuf der Gedanke an diese Verwandten nicht nur eine generelle Wut sondern auch ein unangenehmes Ziehen an seinem Herzen. Severus wandte sich ab, um seinen Mantel vom Haken zu nehmen und damit Harry seinen verwirrten Gesichtsausdruck nicht sah. Was war das für ein Gefühl gewesen? Was bedeutete dieses Ziehen?

„Wo gehen wir denn hin?“, fragte Harry gut gelaunt.

„Mal schauen“, erwiderte Severus nur und ging voraus.

Harry folgte ihm ohne weitere Nachfrage. Er plapperte nicht einmal über seinen Tag. Das ständige Gerede war nervtötend, aber dessen Fehlen hatte auch etwas verstörendes. Sollte er einfach fragen, wie Harrys Tag gewesen war? Es wäre wohl angemessen … andererseits genoss er den Moment der Stille. Er könnte den Jungen später fragen.

Er erkundigte sich an der Rezeption nach einfachen Restaurants, in denen man mit einem Jungen in Jeans gehen konnte. Upper Manhattan hatte davon nicht überragend viele, aber mit etwas Fußweg erreichten Sie einen relativ durchschnittlichen Laden, in dem Fleisch und Pommes die Verkaufsschlager darstellten. Nicht gerade Severus erste Wahl, aber ein guter Ort, um Harry etwas mehr über Tischmanieren beizubringen.

Nach einigen Erklärungen über Besteckreihenfolge und wie man höflich bestellte war Severus sogar bereit, sich mit Harrys Erkundungen beschallen zu lassen. Nichts davon hatte einen informativen Wert für ihn, doch Harrys Enthusiasmus zuzuhören ließ ihn mit einem guten Gefühl zurück. Er beschloss, das nicht weiter zu analysieren. Weiterhin beschloss er, dass es keinen Grund gab, das Lächeln von seinen Lippen fernzuhalten, dass hervor brechen wollte.

Er tippte nicht ein einziges Wort an den Verträgen und doch erschien ihm der Abend seltsam erfolgreich.
 

Harry im Schlafanzug war ein gewohnter Anblick. Harry stolperte oft darin zum Bad oder in die Küche, wenn er bereits fertig angezogen für den Tag war. Es war dicker, blauer Baumwollzweiteiler mit Pandas darauf. Severus hatte sich fast geweigert, ihn zu kaufen, aber Harry hatte ihn sich gewünscht. Und wer war er schon, dem Jungen einen Wunsch abzuschlagen?

Etwas ganz anderes war es, den Jungen in diesem Schlafanzug im Bett liegen zu sehen. Severus benutzte selten das Wort „niedlich“ in seinen Gedanken, doch der fast quer im Bett liegende Jugendliche, dessen Arm auf der rechten Seite und Fuß auf der linken Seite aus dem Bett hingen, verdiente die Bezeichnung wohl. Die Decke bedeckte nur ein Bein und das Knie des anderen, während das Kissen unter seinem Arm lag. Durch die viele Bewegung war sein Hosenbein bis unter das Knie hoch gerutscht und das Oberteil bedeckte nur noch eine halbe Brust.

Severus Blick huschte über die unbedeckte Brustwarze, bevor er ihn abwenden konnte. Das Zucken an seinem Unterleib schien auch seinen Blick zu lenken, da dieser automatisch auf dieselbe Region an Harry Körper fiel. Der Anblick ließ ihn erschrocken zurück weichen.

Natürlich war es völliger Blödsinn, erschrocken zu sein.

Er wandte sich ab und trat ins Bad. Morgens war das eine ganz normale Reaktion, besonders bei Jugendlichen. Er war selbst morgens oft so aufgewacht. Harry war nicht einmal wach, bestimmt träumte er etwas Angenehmes. Es war sicherlich nichts, über das er sich den Kopf zerbrechen musste.

Nur führte der Anblick ihm schmerzlich vor Augen, dass Harry kein Kind war. Harry hatte eine Sexualität, das konnte er kaum verneinen. Harry hatte sexuelle Bedürfnisse, die über das Bedürfnis eines Kindes nach menschlicher Nähe hinaus gingen. Natürlich hatte er die. Er war sechzehn.

„Sechzehn ist zu jung“, flüsterte Severus sich selbst zu und trat unter die Dusche. Er sollte sie kalt stellen, das wäre die Reaktion, die eine solche Situation verlangte.

Einen Moment lang musste er an Charlie denken, wie dieser erklärte, dass man das, was man sich selbst erlaubte, auch zwangsläufig tat. Er hatte mehr als einmal mit Harry in Gedanken masturbiert. Dass der Jungen schlafend im Nebenzimmer lag, schien seinem Gewissen nicht genug, um ihn abzuhalten.

Der Anblick versprach zu viel. Harry war ein ganz normaler Junge mit sexuellen Bedürfnissen. Sechzehn war alt genug, um Entscheidungen über die eigene Sexualität treffen zu dürfen, oder? Wer war er, dass er glaubte, er könnte diese Entscheidungen für Harry treffen? Und wenn er ihn nicht anfasste, wer wusste schon, zu wem der Junge rennen würde?

Severus schob seinen Gedanken einen Riegel vor. Nein, er würde sich das nicht erlauben. Harry war sechzehn und mittlerweile nicht mehr nur ein Asylant in seiner Pflege, er war allen offiziellen Dokumenten nach sein Sohn. Er trug seinen Namen. Es wäre illegal, Hand an ihn zu legen.

Es hielt ihn nicht davon ab, mit Harrys Namen auf den Lippen zu kommen.
 

„Und was machst du heute?“, fragte Harry zwischen Nutellabrötchen und Muffin.

„Ich habe ein weiteres Meeting um elf“ Das bestimmt wieder in ein Mittagessen übergehen würde. „Danach muss ich am Laptop arbeiten.“

„Lange?“ Der Junge legte den Kopf zur Seite.

„Das weiß ich noch nicht. Es kommt darauf an, wie das Meeting verläuft“ Wäre es so gut wie das gestrige, könnte er beide Verträge sicherlich noch vor heute Abend fertig stellen. Ein freier Freitag Abend in New York war nicht zu verachten. Nicht, dass er wirklich glaubte, dass ihm so viel Glück vergönnt war. Zwar rechnete die Kanzlei nach Stunden ab, nur brachte es viele Firmen trotzdem nicht dazu, früher darüber nachzudenken, was sie gern hätten. Die Köpfe der oberen Etagen schienen stets eher mit Geld als mit Hirn gestopft zu sein.

„Was ist das?“, fragte Harry und zeigte dabei auf seine Konfitürenpackung.

„Ginger Jam“ Er strich sich diese gerade auf seinen Toast. „Möchtest du probieren?“

Der andere nickte und legte seinen halben Muffin zur Seite. Einen Moment lang überlegte Severus, ihm eine Ecke des Toastes abzuschneiden, doch im Endeffekt hielt er ihm diesen nur zum Abbeißen hin. Er wollte lieber sehen, wie Harry sich vor lehnte, die Lider senkte und seine Lippen um den Toast schloss. Es hatte etwas verstörend Erotisches.

„Süß“ Harry leckte sich mit der Zunge über die Lippen. „Und gleichzeitig sauer.“

Severus konnte seine Blick nicht von der umher huschenden Zungenspitze nehmen, bis sie verschwand. Er war versucht, Harry zu sagen, er hätte noch etwas im Mundwinkel, aber im Endeffekt beherrschte er sich. Auch wenn Beherrschung gerade eher nach einem abstrakten Fremdwort statt nach seinem Lebenskonzept klang.

„Severus?“ Harrys Stimme hatte etwas Unsicheres.

Er schüttelte sich und brachte seine Gedanken wieder in das Hier und Jetzt mit der Frage: „Wie bitte?“

„Darf ich heute wieder raus gehen?“ Sein Kopf war leicht gesenkt, die Mimik blank. Sein Ton hatte etwas Vorsichtiges. Er schien wirklich zu erwarten, dass Severus ablehnen könnte.

„Natürlich“ Hatte er dem Jungen das Gefühl gegeben, dass das keine Selbstverständlichkeit war? Oder war das ein Überbleibsel von früher? „Erinnere mich oben daran, dir noch etwas Geld zu geben.“

Harry hatte ihm gestern erzählt, dass er sich das Naturkundemuseum am Central Park ansehen wollte. In Severus Augen eine wunderbare Idee. Nicht nur war es bildend, es enthielt auch viele und lange englische Texte, die den Jungen bestimmt den ganzen Tag beschäftigen würden. Es würde ihm genug Zeit geben, zumindest den Vertrag für morgen ohne Ablenkung anfertigen zu können.

Harry währenddessen plapperte über Muffins, Donuts und Brownies und schien den Grad der Süße der Speisen gegeneinander abzuwägen. Severus lehnte sich entspannt zurück und ließ das Geplapper über sich hinweg rollen.
 

Das Meeting war eine Katastrophe. Kein Wunder, dass Fudge – eigentlich ein guter Mitarbeiter – überfordert gewesen war. Mehrere mögliche Fusionsprojekte, alle in verschiedenen Stadien des Gedeihens, keine davon mit auch nur mit der Idee eines Plans durchgeführt. Er hatte sich in der ungünstigen Situation wiedergefunden, seinen Klienten eine Deadline bis Montag für die grundlegenden Entscheidungen setzen zu müssen. Er würde keinesfalls länger bleiben, nur weil ein Haufen von Strohpuppen im Betriebsrat die Entscheidungsfähigkeit einer Blondine in der Schuhabteilung aufwiesen.

Der Vertrag für Gainsborough – so einfach er auch war nach dem guten Vorgespräch – dauerte mit seiner rasenden Migräne doppelt so lang wie er sonst hätte brauchen dürfen. Harry schickte er direkt nach Ankunft wieder aus dem Zimmer, er solle sich irgendwo was zu essen suchen und ihn heute nicht mehr ansprechen. Der Junge blieb zwei Stunden weg, bevor er herein schlich, sich bettfertig machte und mit seinen Büchern unter der Decke verschwand.

Samstag morgen verbrachte Harry im kompletten Schweigen, bis er Severus die zweite Tasse Kaffee trinken sah. Erst dann wagte er zu fragen, ob es diesem besser ging. Severus bejahte mit einem schwachen Lächeln, dass er auf seine Lippen zwang. Harrys Angebot, ihm einen Toast mit Ginger Jam fertig zu machen, nahm er mit etwas mehr Enthusiasmus an. Der Junge konnte nichts dafür, dass Freitag ein miserabler Tag gewesen war.

Er schaffte es sogar, dem Jungen zu sagen, dass er heute ein wahrscheinlich angenehmes Meeting haben würde und vielleicht schon gegen Nachmittag mit der Arbeit fertig sein könnte. Das erfreute Lächeln war wie Balsam auf seinem noch immer angespannten Kopf. Vielleicht könnte er Harry heute Nachmittag um eine Massage bitten. Es schien eine gute Belohnung für erfolgreiche Arbeit. Seit der Sache mit Ginny hatte Harry ihn nicht mehr massiert und seine Schultern vermissten die Aufmerksamkeit.

Mit dem Gedanken an Harrys Händen auf seiner Haut ging Severus in sein Meeting.
 

„Diese zwei Muskel sind verspannt“ Harry drückte links und rechts auf den obersten Muskel seiner Schultern und seufzte. „Die sind heute hartnäckig.“

„Macht nichts“, murmelte Severus, der sich tiefenentspannt fühlte.

„Nein, die möchte ich auch ordentlich kriegen“ Aus Harrys Stimme sprach jugendlicher Stursinn. „Kannst du dich bitte aufsetzen? Vielleicht habe ich von oben oder vorne einen besseren Zugriff.“

Severus würde gerade praktisch alles machen. Erst recht, wenn es nicht mehr war als sich gegen ein Kissen an der Wand zu lehnen und weiter massiert zu werden. Harry kniete sich über seine Beine, um von vorne oben auf den Muskel zu drücken. Was dessen Brust direkt vor Severus Kopf brachte. Severus schloss einfach nur die Lider und atmete tief durch.

Diese Brust hatte er gestern morgen fast nackt gesehen. Dieser frei liegende … natürlich war Harry damals im Bordell durchgehend oberkörperfrei gewesen, aber dieser kurze Blick auf seine nur halb bedeckte Brust war weit erotischer gewesen. Es hatte den Beigeschmack des Verbotenen, weil Harry geschlafen hatte.

Nicht, dass der Junge nicht im Gesamten etwas Verbotenes war.

Severus seufzte und sah auf, als dies Harry schlagartig innehalten ließ. Nicht komplett schlagartig, es schien, als wäre kurz ein Zittern durch ihn gegangen. Als hätte sein ganzer Körper eine kurze Erschütterung erlebt. Severus fragte leise: „Was ist?“

Harry sah ihn aus weiten Pupillen an. Schwarze Pupillen, darum nur noch ein kleiner Randsaum des schönen Grün. Solch ungewöhnliche Augen für einen Asiaten. Severus war so in ihnen versunken, dass er kaum bemerkt hatte, dass sie näher gekommen waren. Erst die Lippen auf seinen eigenen rüttelten ihn aus seinen Gedanken.

Er fühlte sich zu gut, um ausreichend Indignation aufzubringen, um Harry von sich zu stoßen. Hatte er nicht oft genug gesagt, dass das tabu war? Er war kein Schallplattenspieler. Wenn nein zu sagen nicht funktionierte, vielleicht half ignorieren.

Allerdings erforderten Harrys Küsse gar keine Partizipation. Es waren butterweiche kleine Schmetterlingsküsse auf seinen Lippen. Nur ein kleines Drücken, das folgende Ziehen kaum merklich. Vielleicht waren sie nur eine Ablenkung dafür, dass Harry seine Hände griff und unter dessen Shirt zog.

Oh, diese Haut … diese samtig weiche Haut. Er hatte sie nur einziges mal berührt und das war nun Monate her. Diese zarte Haut, die sich über feste Muskeln und Rippen spannte, die-

Harrys leises Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken.

Mit einem mal durchzuckte die Realität ihn wieder und riss den Schleier warmer, wohliger Zufriedenheit aus seinem Kopf. Was zur Hölle tat er hier? Der Junge war sechzehn, er durfte ihn nicht anfassen. Er zog seine Hände von Harrys Brust, als wäre diese verbrennend heiß. Natürlich hinderte ihn das Shirt, das Harry noch immer trug und zog diesen an Severus, sodass er doch noch mal nach Harrys Taille griff, um ihn wieder aufzurichten.

Harrys Gesichtsausdruck war eine einzige Sünde. Ein roter Schimmer auf den Wangen, die Lider halb verhangen, tiefer Atem durch dessen Mund. Severus erwischte sich dabei, sich vorzulehnen, um diesen Lippen einen echten Kuss zu zeigen.

Nein, absolutes nein.

Severus kniff sich selbst in die Seite. Er konnte und würde nicht schwach werden. Er war Severus Snape, er zeigte keine Schwäche. Er würde seinen animalischen Instinkten nicht nachgeben, auch wenn er schwerst dazu verführt wurde.

Eine warme Hand legte sich über seine und griff diese, um ihn davon abzuhalten, sich selbst weh zu tun. Sein Blick schnellte zu Harry, doch zum Glück schien dieser sich gefangen zu haben. Seine Pupillen waren wieder in normaler Größe, das Rot war von seinen Wangen gewichen. Er sah mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck auf Severus Hand und hauchte mit einem fast traurigen Tonfall: „Entschuldige.“

„Eh … natürlich“ Severus blinzelte. „Halt, was?“

Harry wandte bereits den Blick ab und kletterte von seinem Schoß und dem Bett. Severus hätte zufrieden nicken sollen, aber Harrys Anblick ließ ihn stocken. Harte Gesichtszüge, die Stirn in Falten, die Augen gefüllt mit einer Traurigkeit, die weit älter schien als die Jahre, die der Junge zählte.

Er griff nach Harrys Handgelenk. Er ließ den Jungen nur wie müde den Kopf drehen, der zunehmend stumpf wirkende Blick auf ihren Händen liegend. Erschrocken ließ Severus los und schalt sich noch in derselben Sekunde einen Idioten. Was ihn erschrak, war Harrys Traurigkeit. Dieser Schmerz in seinem Gesicht, die Augen gefährlich glänzend. Er hätte ihn nicht loslassen dürfen.

Jetzt sah er hilflos zu, wie Harry zu seinem Bett hinüber ging, sich hinlegte und die Decke über seinen Kopf zog. Wie ein kleines Kind, das die Welt um sich herum nicht mehr sehen wollte. Wie Severus selbst, immer wenn er die Schreie seiner Mutter aus dem Schlafzimmer gehört hatte. Er erkannte auch das Zucken der Bettdecke.

Harry weinte genauso lautlos wie er es selbst einst getan hatte.

Sein Herz schien einen Sprung zu machen und ins Endlose zu fallen. Er griff an seine Brust, ungläubig und erschrocken zugleich, wie sehr das wehtat. Harry weinte und er war das schuld. Er wusste nicht wie und warum, aber er war sehr sicher, dass er das hier schuld war.

Severus schluckte.

Er hatte nicht die geringste Idee, was er tun könnte. Er konnte Harry nicht geben, was er wünschte … er könnte, aber es wäre illegal. Vor allem wäre es falsch. Harry würde darüber hinweg kommen. Er würde jemanden suchen, der zu ihm passte. Jemand, der ihn verdiente. Es änderte nichts an dem Anblick der still zuckenden Decke, die einen Körper verbarg, dessen lautloses Schluchzen seinen ganzen Körper erbeben ließ.

Und Severus stand daneben und schwieg.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ist er nicht ein Herzchen? -.- Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Omama63
2015-09-11T13:05:00+00:00 11.09.2015 15:05
Armer Harry. Ich denke mal, dass er sich schon in Severus verliebt hat und der weist in genauso ab wie Ginny und Cho.
Da ist Severus in einer schrecklichen Zwickmühle. Wenn er ihn nicht als seinen Sohn ausgegeben hätte, dann könnte er schon etwas mit ihm anfangen, wo bei ihm dann sein Verstand sagen würde, dass Harry das nur aus Abhängigkeit tut.
Ich denke, dass Severus dabei ist, sich in Harry zu verlieben. Es wäre einfacher, wenn er schon 18 wäre, aber dann würde Severus Verstand wahrscheinlich auch noch protestieren.
Bin schon gespannt, wie das weiter geht.

Lg
Omama63
Von:  brandzess
2015-04-03T13:24:51+00:00 03.04.2015 15:24
Eine anstrengende Grenzkontrolle war ja zu erwarten. Harry in New York. Der hat aber wirklich viel zu sehen. Wenn man in New York nichts findet was einen interessiert, dann gibt es das einfach nicht^^
Wenigstens einige Meetings laufen gut. Ich fände es lustig wenn der Chef von der einen Firma auf Harry trifft xD Das wird er bestimmt nicht erwarten.
Die Sache zum Schluß was eben wieder eine Zurückweisung für Harry. Erst Cho, dann Ginny und jetzt wieder Severus, der arme Junge muss sich ja ziemlich Scheiße fühlen, wenn jeder dem er seine Zuneigung zeigt ihn zurückweist. Klar ist es "das Richtige" (wobei man sich über Richtig und Falsch ja auch streiten kann^^) aber Harry hat es wehgetan. Und das es ausgerechnet Severus war hat es vielleicht noch ein wenig schlimmer gemacht. Harry mag severus und hat sein Leben so sehr zum Guten verändert...
Wie hier schon gesagt wurde, du schaffst es einen gleichzeit glücklich und traurig zu machen.
Naja ich freu mich auf mehr.
Lg brandzess
Von:  SakuraxChazz
2015-04-03T12:08:37+00:00 03.04.2015 14:08
Halli hallo^^

Und wieder schaffst du es mich glücklich und gleichzeitig traurig zu machen. Glücklich weil es endlich ein neues Kapitel gibt und traurig, weil der arme Harry so leiden muss. Gut Severus geht es auch nicht gerade tollig dabei. Für ihn sind die Konsequenzen nochmal ganz andere und die Gewissensbisse auch.
Es ist toll wie Severus an Charlies Worte denkt, das alleine der Gedanke an etwas verbotenes, den man oft genug wiederholt dazu führen kann, das man es dann auch in echt umsetzt, weil man es schon im Kopf legitimiert hat, und dann an die Situation der Seblsbefridigung denkt und dabei eben an Harry. Diese Selbstbeherrschung die er da bisher an den Tag gelegt hat ist echt beeindruckend. Das es irgendwann zu so einem Vorfall kommen würde war nur eine Frage der Zeit. Sie sind beide nur Menschen und Harry zudem ein Teenager der mit seiner Sexualität noch null Erfahrungen gesammelt hat und nur begierig darauf wartet. Sein Körper arbeitet da ziemlich gegen ihn. Severus hat ihm da einfach schon einiges voraus. Dann noch die zwei Abfuhren von Cho und Ginny... Jetzt dann das mit Severus... Hinzukommt dann wohl noch sein schlechtes Gewissen, weil er doch weiß das Severus das mit den Küssen verboten hat. Es ist bei ihm also auch nicht nur die bloße Abweisung sondern eben auch ein Teil der Schuldgefühle. Wäre er mal nicht so hartnäckig bei den verspannten Muskeln gewesen. Aber wenn man etwas beginnt, dann will man es auch gescheit beenden.
Mir gefällt das Meeting zu Beginn des Kapitels. Da hätte sicherlich ein nettes Abendessen werden können. Wenn dann der Firmenchef auch noch einen Sohn hätte oder vielleicht eine süße Tochter... Oh das hätte Severus dann aber wohl auch wieder ein wneig Kopfweh bereitet...
Dann das zweite Meeting mit so viel Grütze... Das der Betrieb dann noch nciht pleite gegangen ist, ist dann doch ein Wunder... Man muss sich doch vorher überlegen was man erreichen will. Aber Politiker machen das ja meistens auch so. Erstmal machen und dann am Ende muss man eben nachpfuschen und damit klarkommen, das es so gelaufen ist -.-
Und Glückwunsch das jetzt alles durch ist^^ Es ist immer ein sehr befreiendes Gefühl, wenn man wieder eine Etappe erfolgreich geschafft hat.
Ich freu mich auf das nächste Kapitel^^

Falls wir uns nicht mehr vorher lesen sollten Frohe Ostern!

LG Saku^^


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