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Wie Schwarz und Weiß

von

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Gefühle

So, da melde ich mich wieder mit einem weiteren Kapitel ^^

Tut mir Leid, dass es etwas länger gedauert hat, aber ich denke, mehr als ein Kapitel pro Monat ist nicht mehr drin.

Ich kann nur noch am Wochenende schreiben, da ich werktags meistens zu müde und kreativlos bin (und wenn dann lieber lese), und daher zieht sich das alles etwas in die Länge.

Also bitte keine Fragen mehr, wann das nächste Kapitel rauskommt.

Es kommt ganz bestimmt und ich bemühe mich, es schnell fertig zu bekommen.
 

Viel Spaß beim Lesen!
 


 

Kapitel 9: Gefühle
 

Lautes Getrampel erfüllte die breite Straße, die durch die Fußgängerzone führte, als die schweren Stiefel oder auch leichten Chucks auf den grauen Asphalt trafen.

Immer wieder grölten einige aus der großen Menschengruppe Parolen, hielten beschriftete Banner in allen möglichen Farben hoch.

Rechts und links von der sich bewegenden Masse standen bewaffnete Polizisten mit durchsichtigen Schutzschildern und dicken Anzügen. Durch ihre Helme wirkten sie beinahe schon vermummt.

Hier und da liefen auch einige normal uniformierte Ordnungshüter umher.

So war es eben auf Demonstrationen.

Alles musste abgesichert sein.

Immerhin könnten plötzlich Leute auftauchen, die mit der Überzeugung der demonstrierenden Gruppe nicht übereinstimmten und eventuell auch gewalttätig wurden.

Oder eben, wenn es eine Gegendemonstration gab.

Zwar sollte so etwas eigentlich friedlich ablaufen, aber wenn schon zwei große Parteien unterschiedlicher Meinung waren und diese auch standfest vertraten, dann blieb es selten bei einem schlichten Wortwechsel.

Aus einem hitzigen, verbalen Gefecht wurde eine Provokation und daraus das bekannte Umherschubsen, was wiederum zu richtigen körperlichen Auseinandersetzungen führen konnte.

Michael kannte das nur zu genüge.

Selten waren ihre Demonstrationen friedlich geblieben, auch wenn es nicht immer blutig oder ähnliches geendet hatte.

Er blickte zu einem der Banner, dass vor ihm in die Höhe gehalten wurde.

Er selber hatte keins dabei.

Ihm lag es nicht sonderlich im Geschick, sich so auszudrücken, dass er nicht verfassungswidrig handelte.

Wobei er nicht verstehen konnte, was an durchgestrichenen Hakenkreuzen denn so schlimm sein sollte.

Aber nun gut. Wenn die Verfassung eben meinte, man dürfte dieses Symbol weder durchgestrichen noch in originaler Form öffentlich zeigen, dann überließ Michael die Arbeit doch lieber den Antifa, Linksextremen und ähnlich Gesinnten unter ihnen, die sich anscheinend gewählter und weniger radikal ausdrücken konnten.

Ein „Nazis raus“ hätte hier nämlich wohl auch nicht gezogen.

Doch wie sagte man so schön? „Dabei sein ist alles.“

Und das fand Michael auch.

Immerhin war es nicht die erste Demonstration, in der offen seine Meinung zu dem „braunen Pack“ zeigte.

Vor ihm lief Jan, der noch ein wenig dösig zu sein schien.

Für den Orangehaarigen wäre es sicher eine Wohltat gewesen, wenn die Demonstration erst am späten Nachmittag stattgefunden hätte. Doch es war nun mal gerade erst 11 Uhr vormittags. Eine Zeit, die sonst für Jan (und teilweise auch Michi) am Wochenende noch Tiefschlaf bedeutete.

Patrick dagegen schien einigermaßen wach zu sein. Zwar hatte auch er sich vor einer Stunde noch den Schlaf aus den Augen gerieben, doch seit Lara ihm per SMS ihre Teilnahme an der Demonstration abgesagt hatte, da sie auf ihre kranke Oma aufpassen müsste, schien Pat wie durch einen Schlag hellwach zu sein.

Hellwach und grummelig.

Michael meinte, er hätte ihn etwas wie „Ah, kann die Alte net ma Hops geh’n“ murmeln hören.

Das hatte Michael ganz schön zum Schmunzeln gebracht, denn er wusste, dass Patty Laras Oma eigentlich mochte.

Der Ältere wirkte allerdings auch jetzt noch ein wenig beleidigt und hielt daher das Ende eines rot-schwarzen Banners extrem fest gezogen, sodass es dem Jungen mit den Dreadlocks am anderen Ende fast aus der Hand glitt.

Michael grinste ein wenig schief. Er wusste, dass Patrick einfach nur enttäuscht war, weil Lara mittlerweile nur noch so wenig Zeit für ihn hatte und nun auch das abgesagt hatte.

Ein lautes „Ey, Zecken!“ ließ ihn aus seinen Gedanken um das Punk-Pärchen hochschrecken.

Er brauchte gar nicht den Hals zu strecken, um zu wissen, dass dies nur ein Anhänger der Gegendemo gewesen sein konnte. Sie waren nun also da, die Neonazis.

„Ey, du Faschistenschwein!“, rief ein Punk neben Michael zurück und dieser musste leise auflachen.

Die Polizisten um sie herum rückten ein wenig näher und blickten sich einsatzbereit um.

Obwohl die Situation bedrohlich und gefährlich wirkte, konnte Michi nicht aufhören zu grinsen.

Ein berauschendes Gefühl zog sich durch seinen Körper und brachte sein Blut ein wenig in Wallung. Ein typisches Gefühl für Demonstrationen.

Doch als sein Blick auf die Neonazis glitt, sah er etwas, das ihn stocken ließ.

Auf der anderen Straßenseite, ihm genau gegenüber, inmitten der Neonazis, stand Thomas.

Natürlich war es nicht sonderbar, dass Thomas von Nazis umringt war; und auch nicht mehrwürdig, ihn auf einer Nazidemo zu sehen.

Trotzdem schockierte Michael dieser Anblick. Irgendwie war es plötzlich seltsam.

Ein dicker, fetter Kloß bildete sich um seinen Kehlkopf; ließ ihn hart schlucken.

Jemand prallte von hinten gegen seinen Rücken und schubste ihn damit leicht nach vorne.

„Man, lauf doch weiter!“, murrten ein paar Stimmen um ihn herum und erst jetzt wurde Michael klar, dass er stehen geblieben war. Ungewollt und ohne es zu merken.

Sein Herz begann schnell gegen seine Brust zu pochen. Sein Blick glitt automatisch wieder nach vorne zu Thomas; wirkte leicht panisch und verwirrt.

Doch dann ließ ihn eine weitere Entdeckung stutzen.

Seit wann hatte Thomas auf der linken Kopfhälfte ein Tattoo?

Und warum so eine Hakennase?

Michis grüngraue Augen weiteten sich, als er realisierte, dass er ihn verwechselt hatte. Mit jemanden, der ihm eigentlich nur vom Weiten relativ ähnlich sah.

Aber die Tatsache, ihn verwechselt zu haben, war nicht das, was Michael so schockierte.

Eher die Tatsache, warum er ihn überhaupt verwechselt hatte.

Weil er ihn sehen wollte.

Sein Herz schien für einen Moment auszusetzen, ehe es genauso schnell weiter klopfte wie zuvor. Er hatte das Gefühl, ihm würde schwindelig und schlecht werden, als er von der Menge weiter nach vorne geschoben wurde, ohne selbstständig auf den Weg zu achten.

Erst als der Ellebogen seines Vordermannes unsanft gegen sein Schlüsselbein stieß, erwachte Michi aus seiner Trance.

Er bemerkte, dass die Neofaschisten nun näher waren und die Polizei wachsam zu ihnen blickte. Zwischen den beiden verfeindeten Gruppen hatte sich die Schutzpolizei gestellt.

Michael klimperte einmal kurz mit den Augen, als wollte er sich noch mehr auf die Realität konzentrieren.

Und komischerweise gelang es ihm auch, als er die lauten, pöbelnden Rufe der beiden Parteien an seinem Ohr vernahm, seine Gedanken an Thomas zu verdrängen.
 

Auf der gegenüber liegenden Seite der Straße waren die rechtspolitisch eingestellten jungen Männer und Frauen, von denen die meisten eine Glatze oder zumindest kurz geschorene Haare trugen, nicht weniger aufgehetzt und angestachelt.

Während hier fast schon ein Einheitslook aus Blue Jeans, weiß-blau-karierten Lonsdale-Hemden und schwarzen Springerstiefeln mit weißen Schnüren herrschte, waren die Menschen auf der Gegenseite ein bunter Haufen. Jeder schien individuell zu sein und sich nach seiner Laune zu kleiden.

Angeblich war das einer der Gründe, warum die Neonazis diesen „Haufen Zecken“, wie sie ihn nannten, verabscheuten.

„Boar, wenn ich die schon seh, könnt’ ich denen eins auf die Fresse schlagen“, schnauzte eine etwas beleibtere und sehr burschikos wirkende, junge Frau, die neben Nils Lehmann lief. Ihr braunes, glanzloses Haar war an der Kopfhaut bis auf wenige Millimeter gestutzt. Nur am Rand befanden sich noch längere Strähnen.

„Kannste ja machen, hält dich keiner von ab“, antwortete Nils ihr und zuckte mit den Schultern, ehe er sich einem – im Vergleich zu ihm und der jungen Frau – recht dünnem Faschisten zuwandte. „Also, was hast du gerade gesagt?“

Der junge Mann neben ihm rollte die Augen.

„Ich habe dich gefragt, wo dein Kumpel Thomas abgeblieben ist.“

Erneut zuckte Nils mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Meinte irgendwie, er könnte Zuhause nicht weg“, entschuldigte er seinen Freund mit leiser Stimme.

„Ah ja, was hat er denn? Hängt er über dem Klo und kotzt, oder was?!“, fuhr der andere Nils ein wenig barsch an.

„Nee, ich denke mal, der muss auf seine Geschwister aufpassen oder so was in der Richtung.“ Er räusperte sich und der andere Neonazi blickte Nils mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Wenn er meint, das sei wichtiger, als eine Demo gegen diese Scheiß-Zecken… obwohl, ich wäre jetzt auch lieber Zuhause und würde meine Freundin ficken“, stellte er neutral fest und schien gar nicht mehr weiter über Thomas nachzudenken.
 

Doch Nils hatte nicht gelogen.

Thomas saß wirklich bei sich daheim und passte auf seine jüngeren Geschwister, Benjamin und Jana auf.

Das kleine, blonde Mädchen saß auf dem Boden und spielte mit ihrem Barbies ein lächerliches, aber dennoch niedliches Mutter-Vater-Kind-Spiel.

Benjamin, kurz Benni, hatte es sich auf der dunkelblauen, schon etwas lädierten Wohnzimmercouch gemütlich gemacht und guckte sich heimlich einen gruseligen Horrorfilm seines Bruders an.

Immer wieder zuckte er schaudernd zusammen und als schließlich am Ende eine besonders stark aufgeschnittene Leiche zusehen war, schrie er laut auf.

Das wiederum brachte Jana zum Weinen.

Wie in der Folge einer Kettenreaktion kam Thomas in das Wohnzimmer und ging auf Jana zu.

„Hey, was hast du denn?“, fragte er sie leise und sanft, hörte dann aber den grollenden, wahnsinnigen Schrei des Mörders und guckte zum Fernseher.

Benni hatte wohl in all seinem Schock vergessen, wegzuschalten, wie er es vorher immer getan hatte, wenn Thomas in das Wohnzimmer gekommen war.

„Benni, was… was machst du da? Der Film ist ab 16. Mach das sofort aus!“, sagte er mit erhobener Stimme; klang jedoch vielmehr geschockt, dass sein Bruder diesen Film überhaupt geguckt und er davon nichts mitbekommen hatte.

Mit großen, starrenden Augen drückte der elfjährige Junge apathisch auf den Knopf, der den DVD-Player ausschaltete.

Nun erklangen nur noch die leisen Schluchzer des kleinen Mädchens in dem Raum.

Thomas hob sie hoch und Benni konnte hören, wie er ihr immer wieder einredete, dass ihr nichts passieren würde, während er mit ihr die Treppe hochging.

Als sein älterer Bruder ohne Jana, die er in ihr Zimmer gebracht hatte, wieder runterkam, saß Benni immer noch wie versteinert auf dem Sofa und blickte langsam zu ihm hoch.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte Thomas streng und verschränkte seine Arme vor der Brust. Er schnappte sich die DVD-Hülle und tippte auf das blaue Kästchen mit der Altersfreigabe. „Was glaubst du, warum der Film erst ab 16 ist, he? Weil kleine Jungen wie du sich tierisch erschrecken und mit ihrem Schrei ihre vierjährige Schwester beinah per Herzinfarkt in den Tod befördern.“

Benni schluckte schuldbewusst.

„Findest du nicht, dass du wegen Jana ein wenig übertreibst?“, fragte er leise, um von sich selbst abzulenken.

Thomas’ rechter Mundwinkel hob sich ein wenig und erlaubte ihm damit ein schiefes Grinsen.

„Vielleicht… ein wenig.“ Er räusperte sich. „Nichtsdestotrotz: Du kleiner Bastard. Das lässt du in Zukunft. Wieso denkst du überhaupt, du wärst mit 11 Jahren reif genug für Filme ab 16?“

Freudestrahlend, dass Thomas ihn nicht mit den Ohren an die Decke tackerte, stellte Benni sich auf das Sofa, damit er genauso groß war, wie sein Bruder.

Sogar ein wenig größer.

„Papa meint, man sei immer so alt, wie man sich fühlt.“

Thomas’ Augenbrauen zuckten leicht bei der Nennung seines Vaters.

„Das sagt er nur, weil er sich selber noch für unwiderstehliche 25 hält“, meinte er zu Benni und trat näher an diesen heran.

Sein kleiner Bruder blickte auf ihn herunter und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Wie alt ist Papa denn noch mal?“

Thomas zögerte mit der Antwort. Man sah ihm an, dass er keine sonderliche Lust hatte, über ihren Vater zu sprechen.

„Keine Ahnung, hab ich vergessen“, log er daher. „Er sieht jedenfalls aus wie 60.“

Benni lachte leise auf und ließ sich nach vorne in die Arme seines Bruders kippen.

Dieser fing ihn wie erwartet auf und ließ ihn dann auf den Boden gleiten.

„Warum magst du Papa eigentlich nicht, Tommi?“

Sofort versteifte Thomas sich ein wenig.

„Nicht so wichtig. Hey, ich hab Hunger. Sollen wir uns Pizza bestellen?“, wechselte er abrupt das Thema, doch er wusste, dass sein kleiner Bruder darauf anspringen würde. Und so war es auch.

„Oh ja! Ich will eine mit Salami. Und eine mit Schinken. Thunfisch wäre auch nicht schlecht oder diese eine, die Mama sich letztens bestellt hatte!“, zählte er seine Wünsche auf, was den hoch gewachsenen, kahl rasierten Jungen neben ihm zum Augenrollen brachte.

„Benni, so viel schaffst du doch nie im Leben!“, stöhnte er leise.

Benni verschränkte die Arme vor seiner Brust und stellte sich ebenso vor Thomas, wie dieser sich vor wenigen Minuten vor ihn gestellt hatte.

„Gut, dann nehm ich eben nur die Thunfisch.“
 

Keine anderthalb Stunden später saß Michael am Straßenrand und drückte seinen Zeige- und Mittelfinger auf die stetig weiter blutende Wunde an seiner Lippe.

Trotz Polizei war eine kleine Schlägerei nicht zu verhindern gewesen.

Auch wenn Michael selbst nur deshalb mit einer blutenden Lippe hier saß, weil er mit seinem Piercing in dem Gerangel irgendwo hängen geblieben war.

Seine leicht angeschwollene Unterlippe puckerte und brannte, doch es schien nicht allzu schlimm zu sein. Morgen würde er vielleicht kaum noch etwas davon merken.

Ein lautloses Seufzen entfloh seinem Mund.

Irgendwie kam ihm das alles hier – die Demonstration, die Prügelei und überhaupt die aufgebrachte Stimmung beider Seiten – sehr sinnlos vor.

„Hey Michi, was machste denn so ein Gesicht?“, fragte ein dunkelgrünhaariger Punk und trat näher zu Michael.

Dieser blickte zu dem anderen Jungen hoch und zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Bin gerade einfach ein bisschen angeätzt“, versuchte er das Gespräch schnell wieder zu beenden. Er hatte keine Lust, seinem Bekannten nun zu erzählen, dass ihn der Gedanke an einen gewissen Neonazi aus seiner Klasse nicht mehr losließ.

Doch der Punk schien sich nicht so einfach abwimmeln zu lassen.

„Komm schon, erzähl dem guten alten Dennis deine Sorgen!“, versuchte er es auf die kumpelhafte, lockere Art und setzte sich neben Michael auf die Bordsteinkante.

Michael konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen; senkte seinen Mundwinkel jedoch wieder, als die geschundene, dünne Haut seiner Lippen schmerzhaft anfing zu ziehen.

„Es ist nix, echt. Hab einfach nur keine Lust auf diese blutende Lippe. Ey, ich hatte innerhalb von zwei Wochen ein blaues Auge, ’nen geprellten Kiefer, Nasenbluten und nun auch noch ’nen Lippenschaden“, murmelte er ein wenig verdrießlich und erst jetzt fiel ihm auf, wie lädiert er doch wirklich innerhalb dieser Tage gewesen war.

Die meisten Wunden waren durch Thomas entstanden. Teils durch Absicht; teils auch aus Versehen. Er schluckte trocken.

Dennis grinste. „Och Michi, du bist ja so ein armes Kerlchen! Hey, ich sag dir, es gibt Leute, die sind heute viel schlimmer dran gewesen, als du in den zwei Wochen! Ganz ehrlich“, meinte er in einem aufmunternden Ton und stupste Michael mit dem Ellebogen freundschaftlich in die Seite. „Du bist ja nicht mal zu den Faschos gekommen.“

Stimmt, dachte Michael sich.

Er war zwar wie alle Anderen nach vorne geprescht; geradewegs auf die Neonazis zu. Doch dann war er von einem Polizisten aufgehalten worden. Oder eher von dessen transparentem Schutzschild.

„Biste so grummelig, weil du keinem von diesen Glatzen einen verpassen konntest?“

Michael lachte leise auf.

„Nein, das nun wirklich nicht. Ich hab eh das Gefühl, die sind alle stärker als ich.“

Dennis zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Also entweder befindest du dich gerade in einer großen… wie nennt man das… Selbst anzweifelnden Depri-Phase oder du wirst verrückt!“, erwiderte er grinsend und stand auf.

Die grüngrauen Augen Michaels folgten ihm.

„Wahrscheinlich beides“, schloss er neutral und stand ebenfalls auf. „Ich werd mal Patty und Jan suchen gehen. Wir sehen uns!“

Flüchtig drückte er den jüngeren Punk noch einmal an sich, ehe er die Straße hinunter schlenderte.

Hier und da standen noch einige Polizisten und ein paar Antifa, Punks und andere Demonstrationsteilnehmer saßen auf den Bordsteinrändern, doch die Neonazis schienen den Platz gänzlich verlassen zu haben.

Einige von ihnen waren auch abgeführt worden.

Doch das war Michael im Moment egal. Auch wollte er nicht unbedingt Jan oder Patrick wieder finden.

Das war eigentlich nur ein Vorwand gewesen, damit Dennis ihn allein ließ.

Ein schuldiges Gefühl beschlich ihn und sein schlechtes Gewissen fing an ihn zu plagen. Eigentlich mochte er Dennis sehr gerne und hatte ihn einfach so blöd abgewiesen. Und dass er seine Freunde gar nicht wirklich suchte, machte seine Notlüge auch nicht besser.

Doch er konnte im Augenblick einfach nicht anders.

Er wollte nachdenken. Alleine.

Denn was heute passiert war; dass er so erstarrt gewesen war, als er den vermeintlichen Thomas in der glatzköpfigen Menge gesehen hatte – das machte ihm wirklich zu schaffen.

Fuck, was ist bloß los mit mir?!

Aber eigentlich dämmerte es ihm schon, was ihn zu diesen Gedanken bewegte.
 

Und Michaels Verdacht sollte sich bestätigen.

Seit der Demonstration am Samstag, den 27. Mai, hatte er verstärkt auf seine Reaktionen in der Gegenwart des Neonazis geachtet.

Auch wenn er sich mittlerweile sicher war, dass es ihm auch aufgefallen wäre, wenn er sich nicht darauf konzentriert hätte.

Denn inzwischen war es so offensichtlich, dass er sich wunderte, dass Jan, Patrick und Thomas selber noch nichts gemerkt hatten.

Aber immerhin gab er sich auch größte Mühe, es zu unterdrücken und zu vertuschen.

Unbewusst presste er die Lippen aufeinander.

In den knapp drei Wochen, die seit der Demonstration vergangen waren, hatte sich viel ereignet, dass seinen Verdacht bestätigt hatte.

Zum Beispiel im Matheunterricht vor gut zwei Wochen, als Thomas sich Michaels Radiergummi hatte leihen wollen.

Michi wollte es ihm geben, doch als sich ihre Hände berührt hatten und er die schmalen Finger des anderen an seiner Haut gespürt hatte, war das Radiergummi aus seiner Hand geglitten. Sein Körper hatte gekribbelt, insbesondere sein Bauch, und ihm war merkwürdig warm geworden.

Im Sportunterricht hatte Michael mehrmals nicht den Blick von Thomas wenden können, wenn dieser sich nass geschwitzt das T-Shirt über den Kopf gezogen hatte und sobald der Punk seine Blicke selber bemerkt hatte, war er errötet.

Ebenso im Deutschunterricht, wo Michael erst letzten Freitag etwas hatte vortragen müssen.

Eigentlich hatte er nur von seinem Blatt aufgeblickt, um einen Blick zu Frau Herzog zu werfen, doch da waren seine Augen den Graublauen von Thomas begegnet und dieser hatte ihm leicht, kaum merklich, zugelächelt. Obwohl die Geste nur so klein war, hatte sie bei Michael einiges durcheinander geworfen und ihn für einige Sekunden in eine schweigende Starre verfallen lassen. Zum Glück hatte er sich relativ schnell wieder gefangen, denn diese paar Sekunden waren schon peinlich genug gewesen.

Aber es waren nicht nur die Situationen im Unterricht, die Michael einiges hatten klar werden lassen.

Selbst wenn Thomas nicht anwesend war, fiel es ihm auf.

Denn wenn Patrick und Jan sich mal wieder über die Neonazis beschwerten und Nils und Thomas als Beispiele nannten, entstand in Michael der Drang, seinen Sitzpartner zu verteidigen. Zwar hatte er sich bisher jedes Mal zurückhalten können und einfach nur schlecht über Nils geredet und Thomas eher beiläufig erwähnt. Doch wie lange würde er das noch schaffen?

Michael erhob sich etwas aus der Hängematte, die zwischen zwei Bäumen in ihrem Garten hing und in der er es sich seit knapp einer Stunde gemütlich gemacht hatte.

Der Schatten der Bäume war angenehm, gegen die erhitzende Sonne, die mittlerweile, wo es bereits Mitte Juni war, mit ihren Strahlen so einige Schweißperlen bei Michaels Mitmenschen rollen ließ.

Unruhig begann er an dem etwas schief geschnittenen Nagel seines Daumes zu knibbeln; seufzte leise.

Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Thema, das ihm mittlerweile am meisten beschäftigte. Thomas Rosner – und viel mehr, wie er selber zu dem kahl rasierten Jungen stand. Er schätzte dessen Gesellschaft und Anwesenheit, selbst wenn sie nicht sprachen.

Er konnte es vor sich selber nicht verleugnen, denn dafür wurde es ihm jedes Mal wieder auffallend bewusst. Egal, welche Ausreden er sich in seinem Kopf zurecht legte, es war eindeutig: Er hatte sich in Thomas Rosner, den Neonazi, den er ehemals verachtet hatte, verliebt.
 

TBC
 

Aaaaah, es ist geschafft *lol*

Ich denke, hier ist ein klarer Fortschritt der Story entstanden ^^

Der Zeitsprung von drei Wochen war nötig, um die Entwicklung und Einsicht Michaels zu seinen Gefühlen authentisch wirken zu lassen.

Kommis sind wie immer erwünscht.
 

Bis zum nächsten Mal,

Motte



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von: abgemeldet
2006-11-19T14:16:05+00:00 19.11.2006 15:16
Boah, ich sollte mir angewöhnen, meine Kommis schon nach dem Betan zu schreiben und dann später hier rein zu kopieren ^^" *hüstel*

Ich find's gut, wie du erst mal beschrieben hast, wie Demos generell erst mal ablaufen, das wirkt, auf mich zumindest, so auf das Thema einstimmend. X3~ Verstehst du, was ich meine? ^^ So zum Reinkommen ist das echt gut und beschreib auch die Stimmung da ansaztweise bissl, also dieses Gereizte. ^^

Bei der Sache mit Lara's Oma musste ich schmunzeln. Er wird's doch aushalten, seine Freundin nicht ständig zu sehen. XD; (musste voll an meine Sis denken, die is auch immer so drauf, aber noch extremer als Patrick, denk ich ^^")

Uuiuiui, mit dem sehen wollen und es dann auch so wahrnehmen, hatten wir letztens in Psychologie. ^^" (Sorry, wenn ich dich damit volllaber. >.<) Aber stimmt schon so was. *nicknick*
Mittlerweile reagiert Michi ja schon ziemlich "heftig", wenn es um Thomas geht. ^^ Armer Kerl.

*glubsch* Also ich denke schon, dass es wichtiger ist, auf seine kleinen Geschwister aufzupassen, als zu so ner Demo zu gehen. XD; Aber das ist ja jedem selbst überlassen. XD;

*lach* Aber Benni ist ja auch n bissl blöd, oder? XD Statt den Film auszuschalten, wenn er ihm zu gruselig wird. XP Lalala, ja, ja, die Kinder heutzutage. *wie alte Oma sag* XD

Autsch! >.< Also mit nem Piercing irgendwo hängen zu bleiben und dann blutenderweise irgendw rumzusitzen ist sicher nicht angenehm. >_< Muss nicht sein. *Michi mal pat*

Sich als Punk in einen Neonazi zu verlieben ist sicher nicht leicht... da hat Michi sicher noch einiges vor sich (Thomas bestimmt auch XD;). Ja, ja, wird alles sehr interessant, aber ich würd nicht an der Stelle von einem der beiden stehen wollen, wenn ich ehrlich bin. ö.ö°

*knuddel* Vielleicht mach ich das ja heut noch mit dem kommi fürs 10. Pitel, nach der Interpretation, damit du das nächste mal nicht wieder so ewig warten musst. *hüstel* Sorry noch mal. *verbeug*
Bis denne *plüsch*winke*
Von: abgemeldet
2006-10-26T18:07:52+00:00 26.10.2006 20:07
Hmmm... hier in Hamburg war eine Demo gewesen, jedoch genau andersrum... die Neonazis hatten die Demo und die Punks usw. die Gegendemo... war wirklich wunderbar... ich frage mich manchmal, warum solche demos überhaupt noch zugelassen werden...
Juhuu endlich hat er gemerkt, dass er verliebt ist^^ aber es ist echt klasse geschrieben. ich kann nur immer wieder sagen, dass du die Entwicklung der Gefühle wirklich gut hinbekommst.
P.S.: danke für die benachrichtigung *knuddel*
Von: abgemeldet
2006-10-26T10:38:51+00:00 26.10.2006 12:38
Er hats begriffen! Wurde aber auch langsam zeit! ^.^
Bin mal gespann wie er es weiterhin schaffen will sein "Geheimnis" vor allen anderen zu verbergen so offensichtlich wie der stellenweise reagier *am kopf kratz*
Also schreib bald weiter

by by
Soma
Von:  Erdnuckel
2006-10-26T10:22:04+00:00 26.10.2006 12:22
schöne story ^-^
danke für die ens
bis zum nächsten dann
baba
>Erd<i
Von:  Miez
2006-10-22T20:32:36+00:00 22.10.2006 22:32
Hmmm...er ist verliebt~
Wie schön~
War ja auch Zeit das er das mal kapiert xD~
Wenn er schon den anderen bespannt beim Sport lol
Ich glaube jetzt kommt die Geschichte erst richtig in Schwung °_°
Von:  JoeyB
2006-10-22T17:47:46+00:00 22.10.2006 19:47
Du hast vollkommen Recht: In der Situation war ein Zeitsprung wirklich nötig ^-^ Und es war auch gut ausgedrückt, etc, also: Daumen hoch! *smiled*
Das Kapitel war klasse!
Ich hab am Anfang voll Panik bekommen, weil ich wirklich dachte, dass Thomas da ist u.u Und ich sah die beiden schon in einer heftigen Prügelei. Also, dass sie beide in einer prgeülei mitmischen und dann eher aus Versheen aufeinander stoßen und sich gegneseitig im Eifer des Gefechts die Fresse polieren o_o Glücklicherweise hast du das nicht geschrieben *erleichtert* Der Weg, den du gewählt hast, war eleganter und schöner :-)
Ich hätte bei so einer Demo eh voll Angst *schluckt* Die armen Polizisten... Das muss doch die Hölle sein, dazwischen zu stehen und von beiden Seiten bedrängt zu werden @.@ Ein Glück, dass ich Lehrerin werden will *hust*
Achja, autsch >.< Der Piercing ist in der Menge hängengeblieben? O.O Schmerz!! *quietsch*
Der Abschnitt mit Thomas und Benni hat mir auch gut gefallen. Dass er so besorgt um die Geschwister ist und so... und Benni ist knuffig oo" Aber total ^-^ *strahl*
Und sonst - letzter Abschnitt war toll!!
Endlich hat er es gemerkt *freu* jetzt muss er nur noch Aphrodisiakum in Thomas' Getränk mischen und die FF kriegt ihren Höhepunkt *grinst breit* Im wahrsten Sinne des Wortes - höhö^^" Ähm... letzte Bemerkung bitte ignorieren ^^"
Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel ~^-^~
*knuddl*
Nath
Von: abgemeldet
2006-10-22T16:22:47+00:00 22.10.2006 18:22
Wenigstens hat das jetzt schon mal einer von den beiden geschnallt! Jetzt muss nur noch einer "überzeugt" werden! *lol*
Das kann ja nur super werden!

lg
Arre.
Von: abgemeldet
2006-10-22T13:08:05+00:00 22.10.2006 15:08
Juhu... Michi ist so weit.... ^^
Endlich.... und jetzt bin ich gespannt, wie es mit Thomas wieter geht.. die Steel wo Michi den Vortrag halten musste und er ihm zugelächelt hat... das fand ich so süß.. und da wo er sich um seine Geeschwister kümmert und DESWEGEN nicht bei der Demo/Aufmarsch dabei sein konnte (gott sei dank)
.. aber langsam wird heikel udn ich bin mal gespannt, wie alle reagieren und wer es als erstes rauskriegt.... das "große Geheimnis" von Michi^^

freu mich schon auf das nächste...

byebye Anu
Von:  Silent-voice
2006-10-22T10:46:38+00:00 22.10.2006 12:46
das war wieder toll! ^^~...
Endlich mal wieder ne Story, wo sich die betrefende Person nicht andauernd einredet, oh mein gott ich bin schwul, nein das kann nicht sein, und das nicht und jenes nicht.
Zwar find ichs n wing schade, dass die zwei nicht aufeinander getroffen sind, aber dafür müsste es jetzt umso interessanter werden! ^^...
Bin auf jeden Fall schon gespannt wies weiter geht!
LG
Silent-voice
Von: abgemeldet
2006-10-22T08:33:47+00:00 22.10.2006 10:33
er hats geschnallt! ^_____________^ hui. ein großer schritt, allerdings... und jetzt bin ich gespannt, was du mit thomas machen willst. der liegt ja jetzt, sozusagen, ein schönes stückl hinter michi zurück, hmm? xD
die demo hast echt genial beschrieben *-* die ganze stimmung... blubb. ^_^ supitoll! *rumhüpf* machtu bald weiter, ja? ^.-
*davonflatter*


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