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Fachchinesisch auf der Bühne

von

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Was das Problem ist, das grundlegende versteht sich, vermag niemand so Recht zu definieren.

Vor allen Dingen nicht die, die dafür verantwortlich sind, obwohl sie es wahrscheinlich am besten könnten.

Denn täten sie es, erwartete man sicherlich auch eine Lösung, doch wer von ihnen hatte denn auch eine, die zu diesem Grundproblem passte und es löste?

Nicht viele sicherlich und der Rest schweigt vorzugsweise.

Ob das eine kluge Entscheidung ist, hängt vermutlich vom Standpunkt des Betrachters und – viel wichtiger – vom Problem an sich ab.
 

Die bisherigen Formulieren klingen erstaunlich hochtrabend und so gedankenvoll, als wäre ihr Gegenüber jemand ganz besonders intellektuelles, der die gewöhnliche Sprache der heutigen Jugend nicht zu verstehen vorzieht.

Dabei konnten sich auch solche vernünftig artikulieren, wenn sie es denn wünschten, was meistens allerdings nicht der Fall war.
 

Noch immer bleibt sie beim Fachchinesisch auf Deutsch und es bleibt weiterhin ungehört, verstanden nur von ihr selbst, während ihre Gedanken den Weg zurück zur Frage nach dem Problem finden.

Immer noch nach dem grundlegenden.
 

Für das sie auch eine Lösung wusste.

Aber ist sie deswegen eine von den Verantwortlichen?

Ist es ihre Schuld?

Die Frage unterbricht sie in ihrer Überlegung, lässt sie darüber nachdenken.
 

Nein, es ist nicht ihre Schuld.

Wie käme sie denn zu diesem Urteil?

Es ist nicht ihre Schuld und fairerweise nicht die von ihnen, doch müsste sie sich entscheiden, dann fiele die Wahl sicherlich nicht auf sie.

So gesehen ist es dann doch die Schuld von ihnen und die Fairness – oder vielleicht doch eher Gerechtigkeit, da Anglizismen von vorneherein die Melodie eines Satzes zerstören – macht einen weniger glanzvollen Abgang von der Bühne und ist froh, kein verfaultes Gemüse an sich kleben zu haben.
 

Ein Glück, dass niemand sie sehen kann.

Andernfalls würde ihr grimmiges Lächeln, das sich bei der Vorstellung der ausgebuhten Gerechtigkeit auf ihren Lippen ausbreitet, wohl bei der einen oder anderen Person Gedanken hervorrufen, die sie an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln ließen.
 

Sie sind schuldig.

Es ist das Vergehen der anderen, dass sie hier allein ist.

Und kaum ist dieser Entschluss sicher, drängen sich mehr aufgebrachte Gedanken in ihren Kopf für die Schuldigen.

Dabei können sie nicht einmal etwas dafür, dass keiner von ihnen in dieselbe Richtung wie sie muss oder mit dem Auto fährt, aber die Gerechtigkeit hatte ja eh keinen Anklang im Publikum gefunden.

Warum also ihrer weiter gedenken?

Deswegen bleibt es weiterhin die Schuld von allen anderen.

Andere, die sie natürlich schon seit längerer Zeit kennt, denn immerhin sind sie ja seit Jahren auf derselben Schule, was für sie scheinbar nichts zu bedeuten hatte.
 

Das Problem ist, dass sie allein ist.

Allein wegen ihnen.

Vorhin, kurz bevor sie die Umkleidekabine verließ, hatte sie Beweis genug erhalten.
 

Sie sagte Tschüss, bis morgen und erhielt nichts als Antwort.

Stimmen waren da genug, aber keine einzige galt ihr – nicht mal angesehen wurde sie von ihnen.
 

Vielleicht hätte sie sich vorher nicht so rar bei ihnen machen sollen, mit ihnen reden sollen, ihnen eine Chance geben sollen, sie kennen zu lernen.

Aber das war nicht ihr Standpunkt aus.

Dann wäre es ja doch ihre Schuld.

Dann hätte sie ja doch eine Lösung haben müssen, die sie zwar hatte, aber die von ihrem Standpunkt aus einfach nicht passte.
 

Sie will sie nicht umsetzen.

Warum hätte sie sich mit den anderen beschäftigen sollen? Ihnen die Chance geben, sie kennen zu lernen?

Wären sie daran interessiert, dann hätten sie es viel früher schon versucht.

Hätten sie angesprochen, hätten gefragt wie geht’s dir und hätten sich mit ihr unterhalten.

Haben sie aber nicht.
 

Also ihre Schuld.
 

Für einen Augenblick pausieren ihre Gedanken, exakt demselben Augenblick, an dem der Bus, in den sie vorhin einstieg, ebenfalls an einer roten Ampel hält.

Sie ist alleine hier eingestiegen, hatte alleine ihre Fahrkarte – ja, ihre Fahrkarte; ein Wort wie Ticket passt einfach nicht in einen solchen wunderschön melancholischen deutschen Satz – vorgezeigt, so wie von den momentan aktuellen Regeln verlangt.

Wer weiß, wie lange sie noch aktuell sein werden.
 

Der Bus fährt weiter und sie wendet ihren Blick von der nun grünen Ampel ab.

Neben der Gerechtigkeit hatte sich auch nun ihr hochtrabendes Fachchinesisch von der Bühne geschlichen und dem kindischen Trotz, der ihre Gedanken nun beherrscht, Platz gemacht.

Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Das Publikum ist kaum noch zu bremsen.
 

Es bleibt die Schuld der anderen.

Ist das nicht der Wahrheit?
 

Sie mögen sie nicht, weil sie nie an ihr interessiert waren und sind.

Und deswegen mag sie sie auch nicht.

Was gibt’s da mehr zu sagen?

Kein Tschüss, bis morgen und kein wie geht’s dir?

Das war’s.

Das ist alles.

Was dran ändern?

Nein. Warum denn?

Sie ist doch nicht die Schuldige – sie hat das Problem nicht verursacht.

Das Problem, dass sie alleine ist.

Warum sollte sie denn dann mit einer Lösung, die von ihrem Standpunkt aus nicht passt, etwas dagegen zu tun versuchen?

Die anderen, die müssen das.
 

Aber nicht sie.
 

Das Theaterstück findet sein Ende und der Star kindlicher Trotz verweilt auf der Bühne, verneigt sich tief, empfängt die Blumen, die ihm hoch gereicht werden.

Das Publikum schreit nach Zugabe, schreit laut und lauter, bis auch endlich der Regisseur Angst dazu kommt und sein Anblick die Zuschauer geradezu berauscht.



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