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Endlich frei!

von

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„Warum hast du es nur offen gelassen?!“ fragte Stefanie mit tränenerstickter Stimme.

Innerlich verdrehte Julia die Augen. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie diese Frage ihrer jüngeren Schwester mit den Worten „Ich habe es vergessen“ beantworten musste.

Die Mädchen saßen einander gegenüber am Küchentisch und hielten sich an den Händen. Immer wieder streichelte Julia über die weiche Haut und wünschte sich, diese Berührung könnte Trost spenden.

In einer Ecke des Zimmers hing der Vogelkäfig mit den vergoldeten Gitterstäben. Doch kein Geräusch war daraus zu hören. Das Glöckchen hing still, das Futternäpfchen war unberührt.

Pausenlos liefen die Tränen über die Wangen des kleinen Mädchens. Ihre Augen waren rot und verquollen.
 

***
 

Vorsichtig streckt sie das Köpfchen durch die kleine Tür. Sie hatte den schwachen Luftzug schon eine ganze Weile gespürt, war von einem Stängel auf den anderen gehüpft, aber so sehr sie sich auch aufplusterte, sie konnte ihm nicht ausweichen.

Das große Mädchen mit der verrückten bunten Frisur, das immer so freundlich mit ihr redete, hatte sie in den Käfig gesetzt. Kurz darauf schlug eine Tür zu. Mit dem Durchzug öffnete sich das nachlässig angelehnte Küchenfenster weit und die hellen Gardinen wehten in den Raum.

Langsam hüpfte Sissi auf das kleine Hölzchen vor der Gittertür, kletterte sich mit dem Schnabel nach oben ziehend auf das Käfigdach und tschilpte:

„Sissi ist lieb. Liebe, liebe Sissi. Bussi. Bussi.“

Doch eine Antwort blieb aus. Julia war fortgegangen und die kleine Stefanie noch in der Musikschule.

Mit mutigen Flügelschlägen sauste sie eine Runde um die Lampe und zum Fenster hinaus. Sofort spürte sie die frische Luft, die so oft durch ihre Gitterstäbe gezogen war. Zum ersten Mal sah sie die Schwalben und Mauersegler aus der Nähe, deren Rufe und Schreie ihr so vertraut, die für den kleinen Wellensittich jedoch nur flüchtige Schatten vor dem geschlossenen Fenster geblieben waren.

Sie stürzte sich mit den Vögeln in die Tiefe, drehte kurz vor dem Aufschlag auf der Erde ab und erhob wieder in die Lüfte. Sie ließ sich vom Wind tragen und sang den anderen Vögeln die Lieder vor, die sie von Julia gelernt hatte, deren Bedeutung ihr aber ein Rätsel blieb:

„Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.“

Doch die anderen beäugten das fremde Tier nur misstrauisch. Einige hackten sogar mit ihren spitzen Schnäbeln nach ihr. Sissi zeigte stolz ihr hübsches blau und weiß gemustertes Kleid. Aber die größeren Vögel rissen ihr einzelne Federchen aus und krächzten dabei ohrenbetäubend. Schließlich gelang ihr doch die Flucht. Sie sehnte sich zurück in ihren Käfig, in die warme Stube mit der Radiomusik. Außerdem hatte sie Hunger. Die fremden Vögel hatten Insekten aus der Luft gefangen. Aber wie sollte der Sittich das mit seinem gebogenen Schnabel schaffen? Laut rufend flog sie dorthin zurück, wo sie das offene Fenster vermutete. Die Hauswand war dunkelgrau und es gab nur wenige beleuchtete Öffnungen. Sie sahen alle gleich aus. Erschöpft ließ Sissi sich auf einem Balkongeländer nieder.

Doch plötzlich hörte sie ganz aus der Nähe ein vertrautes Geräusch.
 

***
 

Stefanie konnte ihrer Schwester nicht böse sein, sie war viel zu traurig über den Verlust ihres kleinen gefiederten Freundes. Und wie immer, wenn sie so traurig war, dass nichtmal die Erinnerung an Sissi sie aufmuntern konnte, flüchtete sie sich in die Musik. Sie dachte daran, wie Sissi reagiert hatte, als Julia mit ihrer neuen Frisur nach Hause gekommen war: die pink und blau gefärbten Haare hatte sie hochtoupiert und der Vogel setzte sich mitten hinein in die bunte Pracht. Sissi fühlte sich so wohl auf Julias Kopf, dass sie die einzelnen Haare mit dem Schnabel zu sortieren begann und sich ein kleines Nest baute. Erst als es Schlafenszeit wurde, bemerkten sie das Ergebnis. Das ältere Mädchen hatte sich geschüttelt, Sissi war in ihren Käfig geflattert und fast sofort eingeschlafen. Aber Julia verbrachte den restlichen Abend damit, mit mehreren Bürsten und Kämmen und unter lautstarkem Fluchen und Schimpfen ihre Frisur wieder in den Ausgangszustand zu bringen.

Stefanie stellte sich mit ihrer Querflöte ans Fenster und spielte Sissis Lieblingslied: „Aber bitte mit Sahne“. Ihr Wellensittich konnte jeden Ton mittschilpen, was in der Familie immer wieder Erstaunen und Begeisterung hervorrief. Manchmal sang ihre Schwester sogar dazu und zu dritt ergab die Musik eine so herrliche Mischung, dass alle Zuhörer in Gelächter ausbrachen.
 

***
 

Stefanie spielte mit geschlossenen Augen. Sie konzentrierte sich darauf, die Tränen zurückzuhalten und bemerkte das leise Piepsen erst beim Refrain. Sie öffnet erst ungläubig die Augen und danach hastig das Fenster. Sissi zittere am ganzen kleinen Leib und hüpfte langsam aufs Fensterbrett. Mit einem Krächzen begrüßte sie ihre wieder gefundene Freundin, die sie sofort in den Käfig setzte und sorgfältig das Türchen schloss. Als Stefanie das bunt geblümte Tuch darüber legte, hat sie den Kopf schon unter den Flügel gesteckt.
 

~Ende~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Miasma
2009-02-18T16:30:16+00:00 18.02.2009 17:30
Wow, das ist wirklich schön geworden. Ich finds echt super, ist ne tolle Idee und dein Schreibstil gefällt mir auch sehr gut^^
Dass es so kurz ist, finde ich, macht nix, Geschichten müssen ja nicht immer seitenlang sein.
Schön dass Sissi dann doch zurückgefunden hat^^
Von: abgemeldet
2009-01-03T20:26:28+00:00 03.01.2009 21:26
Ist das süüüüßßß!!!111
Sorry, musste sein. Mache ich in letztes Zeit öfter. Aber der OS hat mir total gefallen. Am Ende bekam ich sogar eine klitzekleine Gänsehaut, weil es so schön war das der kleine Sittich wieder zu Hause war.
Wieder nichts konstruktives, denn es sollte so bleiben wie es ist. Wenn due es ausbaust oder gar verlängerst, würde es an Charmee verlieren, denke ich.
Die Einleitung, als das Mädchen so traurig ist, hast du schön erzählt und der Übergang zur Flucht des kleinen Vogels hat mir auch sehr gut gefallen. Nur zwischendurch war ich verwirrt von welchem der beiden Schwestern du gerade sprichst.
~a present for you~
Hab´s nicht vergessen. *g*


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