Zum Inhalt der Seite

Das Hirngespenst

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Warum kommst du erst jetzt zurück zu mir? Werde ich wieder sterben?", fragte Edward irgendwann verunsichert.

Hatte er damals etwa Angst gehabt, dass ich ihm den Tod hatte bringen wollen? Dass ich ihm den Tod fast gebracht hätte? Bei dieser Vorstellung zerklirrte etwas in mir in tausend kleine Splitter.

"Edward, hör mir zu! Ich bin kein Todbringer! Mir selbst kam das Ableben in den Weg des menschlichen Daseins - ich bin seit ewigen Zeiten tot. Ich kann niemandem irgendetwas bringen; ich bin ein wandelnder Geist und kann noch nicht einmal begreifen, dass ... du mich siehst... und berührst!", gestand ich meine komplette Existenz. Mit dem letzten Wort schmiegte ich mich noch enger in seine Handfläche. Es fühlte sich an, als müsse ich weinen.
 

"Du ... bist auch tot?", wollte er zögerlich wissen. Sein mich musternder Blick verlangte mir einige Sekunden mehr ab, um die komplette Bedeutung der Frage zu erkennen.

"Auch?", fragte ich als Antwort.
 

Seine Geste war rein und voller Vertrauen: Er hob unsere Hände von meinem Gesicht und hatte keine Sekunde später mein linkes Handgelenk mit seiner Rechten umfasst. Vorsichtig legte er meine Hand über der Stelle seines Herzens auf seine Brust und hielt seine große, kalte Hand obenauf, sodass meine mir winzig und verloren vorkam - was sie in der vergangenen Ewigkeit ohnehin immer gewesen war.

Beiderseits von dieser unnatürlichen Kühle umfasst spürte meine Hand die Muskeln unter seinem für diese Temperaturen wohl viel zu dünnen Shirt. Er nahm ein paar tiefe Atemzüge, unter denen sich unsere Hände mit seinem Brustkorb sachte auf und ab bewegten und das fehlende Pochen erfüllte ihn gleichermaßen wie mich.
 

"Dann war Carlisle tatsächlich ein Untoter", entfuhr es mir.

"Carlisle? Hat er dir damals meinen Namen verraten?", entgegnete er verdutzt.

"Nein, wie hätte er?" Doch dann begriff ich: "Edward, niemand kann mich sehen, hören oder berühren - bis auf dich."

Mit einem weiteren intensiven Blick durchbohrte er nun wieder, auf der Suche nach der Wahrheit, meine Augen. Seine Caramell-Iriden schienen mich hypnotisieren zu wollen.

"Warum?", brummte er schließlich.

Ich ließ meine Hand sinken, nachdem sie aus seinem Griff gerutscht war.

"Wenn ich das wüsste", murmelte ich trübselig.
 

Er trat ein paar Schritte zurück und kehrte mir den Rücken zu. Wahrscheinlich schaute er zum Mond hinauf; seinen Kopf hatte er in den Nacken gelegt. Heimlich, still und leise konnte ich mich wieder über dieses seltsame Glitzern wundern, denn davon war ich bis eben abgelenkt worden.
 

"Weißt du, was ich bin?", fragte er tonlos.

"Ich glaube, es zu wissen", gab ich etwas unschlüssig zurück.

"Dann will ich, dass du es sagst."

Ohne dass ich eine Bewegung wahrnehmen konnte, hatte er sich mir wieder zugewandt. "Sieh mich an und sag mir, was du siehst!", forderte er und schien mich erneut in einen seltsamen Bann ziehen zu wollen.

"Wenn ich sage, was ich sehe, sage ich dir nicht, was ich denke das du bist", redete ich mich ungeschickt heraus.

"Was denkst du?" Nie hätte ich mir träumen lassen, dass diese Frage in Zukunft noch oftmals wiederkehren würde.

"Ich denke, dass ... die Mythen, 'euch' betreffend, entweder Humbug sind oder ihr doch etwas anderes sein müsst", versuchte ich meine Erklärung anzusetzen. Aber ich war gleichermaßen zu einer Antwort gewillt wie verwundert. "Warum fragst du mich das jetzt?"
 

Er schien mir nicht antworten zu wollen; bedächtig schüttelte er den Kopf.

"Ich weiß, was du bist. Deine Kenntnis ist mir ebenfalls lieb", meinte er. Die Worte waren wohl überlegt und obgleich sie einem gestellt erscheinen konnten, hörten sie sich aus seinem Mund nicht so an.

Er hatte mich: "Ich denke, dass du ein Vampir bist."

"Gut", war alles, was er dazu zu sagen hatte. Wieder wand er sich von mir ab und lief ein paar Schritte in undefinierte Richtungen.

Ich interpretierte es als ein 'Ja, du hast Recht'.
 

Ich dachte wieder an den Tag zurück, als seine harschen, roten Augen mich fixiert hatten. Ich hatte Angst vor der wilden Kreatur, die sich damals noch hinter ihnen verborgen hatte, obwohl ich gedacht hatte, dass sie mir nichts anhaben könnte, was sich unterdessen als falsch herausgestellt hatte. Ich glaubte, er hätte mir bedeutet, dass die Mythen zumindest teilweise falsch waren.

Seltsamerweise war ich sofort fest davon überzeugt: Die bedrohlichen roten Augen waren irgendwie im Laufe der Zeit in ein warmes, freundliches Sonnengelb getränkt worden; Carlisle hatte dem Jungen damals kein Blut ausgesaugt und der Azrt hate sich im Sonnenlicht bewegen können. Auch die stumme Versicherung meines Gegenübers hatte mich glauben lassen.

Vielleicht waren vielerlei Sagen nur erfunden? Wer sagte, dass Vampire stets schlechte, von Menschenblut zehrende Geschöpfe sein mussten? Wer hatte je erlebt, dass ein Poltergeist ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte, wenngleich ein solch hilfloser Tropf nichts weiter als Luft war?
 

Ein Teil von mir glaubte, es zu wissen und der andere Teil hoffte befremdend inständig, dass Edward Masen ein gutes Geschöpf wäre.

"Gut", sagte ich schließlich nach dem Beenden meiner Grübelei.

"Was?". zischte er, wähend er sich abermals zu mir umkehrte.

"Ich sagte 'Gut'. Es ist mir ohnehin egal, was du bist." Trotz des Wahrheitsgehalts erschien mir dieses kleine Geständnis riesengroß.

"Egal?", fragte er voller Zweifel. "Es ist dir egal, was du für ein Monster gesehen hast?"

"Du bist kein Monster. Zumindest nicht mehr. Und wehtun könntest du mir sowieso nicht. Schon deswegen ist es mir egal", log ich. Mit Sicherheit konnte er mir etwas antun, wenn er mich berühren konnte. Etwas leiser fuhr ich fort: "Das einzige, was mir nicht egal ist, ist, dass du hier bist. Bei mir. Und nicht ich bei dir. Du siehst mich, hörst mich - machst mich lebendig. Obwohl es mir auf den Nägeln brennt, wissen zu wollen, warum dem so ist, macht mich allein dieser Umstand so glücklich, dass ich diese Frage zu vergessen scheine." Meine Worte machten mich traurig. Ich erinnerte mich an all die Leere, die meine vergessene Anwesenheit in mir hinterlassen hatte. Mir entfuhr ein tiefer Schluchzer. "Du glaubst nicht, wie sehr eine so leere Ewigkeit quält und wahnsinnig macht."
 

Kurz war mein Blick verschleiert, wohl von den Tränen, bevor ich seine entglittenen Gesichtszüge verschwommen erkennen konnte. Er starrte ungläubig und überrascht und ... es lag auch etwas mitfühlendes, wissendes in dem Ausdruck.

Wieder konnte ich nicht sehen, dass er sich bewegt hatte, aber urplötzlich tauchte er vor meinem Gesicht auf. Er hatte sich zu mir nach unten gebeugt, war er doch so viel größer als ich, und begutachtete mit Sorgenfalten auf der Stirn mein Gesicht. Seine Hand fand wieder auf meine Wange, wischte aber nur flüchtig darüber. Er zog sie nach hinten und betrachtete nun noch ungläubiger als zuvor mich den glitzernden Silberhauch auf seinem Finger, der sich gleich nach dem Erblicken verflüchtigte. Auch meine Aufmerksamkeit hatte dieses Schauspiel nun und die Trauer rückte in den Hintergrund.
 

"Was war das?", fragte er verwundert.

Ich wusste keine genaue Antwort. "Das war wohl ... eine Gespensterträne?", war meine glorreiche Erklärung.

Entgegen meiner Erwartungen brach er in ein schallendes Gelächter aus. Es war so laut und frei, dass ich schon fast Angst hatte, man würde es über die Grenzen des Waldes hinaushören. Aber das war nur der zweite Gedanke. Im Vordergrund erfüllte mich dieses Lachen mit Zufreidenheit, bescherte mir unverschämtes Wohlbehagen.
 

"Entschuldige bitte", lächelte er, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte. "Ich weiß, es gehört sich nicht, in der Gegenwart einer Dame so auszubrechen.“

"Dame?", fragte ich spöttisch und nun war es an mir, zu lachen. Es war bei weitem nicht so eindrucksvoll wie bei ihm, aber die schlechte Stimmung von gerade eben war plötzlich wie verraucht. Wahrscheinlich war das sein Ziel gewesen, denn als ich das Lachen verdrückt hatte und ihn anschaute, zog sich einer seiner Mundwinkel zu einem herzzerreißend schönen, halben Lächeln nach oben. Schuft!

"Danke", hauchte ich.
 

Er nickte und war auf einmal verschwunden. Ich hatte die Bewegung verpasst; er saß vor mir im mondscheinweißen Gras und blickte mich an. Die Wimpern warfen dünne Schatten über seine leuchtenden Augen bis zu den hohen Wangenknochen. Es war, als flüsterten sie mir eine stumme Einladung zu. 'Setz dich zu mir', sagten sie.

Ich trat einen Schritt zurück, um Distanz zu wahren, und setzte mich langsam nach unten ins taufeuchte Gras.

Ich setzte mich nicht oft, da es für mich keinen Unterschied mehr machte, ob ich saß, ging oder stand, und hatte das beklemmende Gefühl, irgendetwas ungewöhnliches zumachen und mir peinliche Blicke von meinem Gegenüber zu ernten.
 

Zunächst ließ ich meinen Blick sich in das Gras zwischen uns fressen, bevor ich mutig genug war, mich erneut dem Bann seiner Iriden auszusetzen. Er musste mich schon die ganze Zeit gemustert haben, denn die Intensität der Forschung in seinem Blick brannte mich bereits lichterloh an.

Er lehnte sich zurück und richtete die Augen gen Himmel. Tief atmete er aus und die Luft durchströmte mich.

"Würdest du mir glauben, wenn ich sagte, dass mich meine Ewigkeit genauso in den Wahnsinn treibt?", fragte er leise und bestimmt in meine Richtung.

"Deine Ewigkeit?“

"Ja", meinte er. "Die Unsterblichen haben ihre eigene Ewigkeit; sie ist beendbar, aber dennoch unbegrenzt und für mich so unglaublich lähmend, schon nach 90 Jahren."

"Du bist aber nicht allein. Du hast Carlisle - und die Welt", hielt ich großkotzig dagegen.

"Die ganze Welt nun nicht!", lachte er. Wieder hellte es die Atmosphäre um uns herum auf, als wäre helllichter Tag statt mondbeschienener Nacht. "Ich habe Carlisle und unsere Familie. Obwohl ... 'Familie' ist nicht ganz richtig; wir leben als Familie, sind aber nur ein kleiner Clan aus verschiedenen Vampiren mit gleichen Beweggründen.“

"Eine ganze Familie? Warum bist du dann allein hier?", wollte ich wissen, trotz der Tatsache, dass mich sein Alleinsein freute.

"Ich ... habe das Gelände erkundet", druckste er hervor und ich wusste, dass es nicht nur das war. Doch ich beließ es dabei - ich hatte nicht das Gefühl, dass bis zu unserem nächsten Treffen wieder ein Jahrhundert verginge. Er fuhr auch hastig fort, bevor ich irgendetwas sagen konnte: "Da wir gerade von meiner Familie sprechen - ich muss dich noch in einem Punkt korrigieren."

"Korrigieren? Habe ich etwas falsches gesagt?" Die Unsicherheit übermannte mich. Was wollte er berichtigen?

"Falsch nun nicht gerade", lächelte er wieder. "Nur ... nicht mehr gebräuchlich. Wir nennen uns 'Cullen'."

"Oh". machte ich nur. Sein Name. Edward ... Cullen. Es klang so seltsam, fremd.
 

Diesmal war er wohl darauf bedacht, sich sichtbar zu bewegen. Trotz meines kurzen Nachdenkens nahm ich wahr, dass er sich langsam zu mir vorbeugte und wieder nach meiner Hand griff. Zögerlich, wie bei der ersten Berührung.

"Dürfte ich wohl nun Ihren Namen erfahren, werte Miss Hirngespenst?", fragte er schalkhaft in der Sprache seines Jahrhunderts.

Doch auch das stimmte mich trotz seiner durch und durch guten Absichten nur traurig. "Ich weiß ihn nicht mehr."
 

Wie lange hatte mich niemand mehr nach ihm gefragt? Erst hatte ich die Jahre nicht gezählt, erst nachdem ... Edward das erste Mal meine neue Existenz betrachtet hatte. Mein menschlicher Name war mir mit meinem Tode entfallen, so wie der große Rest meines Lebens. Nur an die letzten Qualen hatte ich lückenhafte Erinnerungen...
 

Er lehnte sich erneut ein Stück zurück, allerdings ohne meine Hand loszulassen. Sie lag nun in seiner im Gras zwischen uns.

Offenherzig begutachtete er mich, ließ seinen Blick von unseren Händen aus über meinen Arm zu meinem Körper und dort von den Fußspitzen bis in mein Gesicht wandern. Diese Szenerie machte mich befangen und ich konnte nichts anderes tun, als völlig belämmert in seinen Blick hineinzustarren mit der Frage im Kopf, was er wohl sah; wie er mich sah.

Als ich merkte, wie seine Augen sich verengten, schien die Zeit wieder ihre normale Geschwindigkeit anzunehmen, ohne dass ich ihr plötzliches Schleichen richtig regstriert hatte.

Da hörte ich ihn auch schon grüblerisch ein tiefes, kehliges "Hmmm ..." brummen, als würde er überlegen.
 

Dann beugte er sich wieder vor und zog meine Hand an sein Gesicht.

"Mein Name ist Edward Anthony Cullen. Es ist mir ein Vergnügen, ihre Bekanntschaft zu machen", hauchte er mit fester Stimme gegen meinen Handrücken. Der Schalk war verschwunden.

Als nächstes spürte ich seine Lippen auf meinem Handrücken, nur ganz kurz und ganz zart. Heiß und kalt lief es mir den Rücken hinab.

Er ließ von meiner Hand ab, ich zog sie zurück auf meinen Schoß und er richtete sich wieder auf. Eine unglaubliche Überzeugungskraft hatte sich in seinen Augen eingenistet und ergriff mich.
 

"Bella", entschied er.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Nira26
2010-02-07T21:06:58+00:00 07.02.2010 22:06
Wirklich eine sehr schöne Idee und mal was ganz anderes. Ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht.

Hoffentlich gehts bald weiter.
Von: abgemeldet
2010-02-07T17:51:28+00:00 07.02.2010 18:51
was für eine schöne Idee ! Ich bin wirklich begeistert ... uups Wortpiel. :)

schreib bitte weiter ... diese Idee ist wundertoll. Wenn Du möchtest könnte ich versuchen ein Bild für Deine Geschichte zu malen.

Toller Schreibstil. Mach weiter so. ;)

Liebe Grüße. ♥


Zurück