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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Izara

Prüfend betrachtete Izara sich im Spiegel. Die tiefen Schatten unter den Augen waren noch das kleinere Übel. Es war die aschfale Haut, die sie zu dem kleinen Fach unterhalb der Frisierkommode greifen ließ. Die Kräuter waren noch frisch, sie brauchte sie nur noch mit dem Stößel zu bearbeiten und in die kleine Kapsel zu stopfen. Mit einem Seufzer steckte sie das winzige Ding in den Mund und spülte es mit dem Wasser, das sie eigentlich zum Zähne putzen hatte nutzen wollen, herunter.

Sie sehnte den Tag herbei, an dem es endlich vorbei sein würde. Morgendliche Übelkeit, Stimmungsschwankungen und der ständige Heißhunger nach gekochten Kartoffelschalen. Izara hatte davon gehört, dass Frauen in besonderen Umständen ähnliches durchmachten und es schüttelte sie bei dem Gedanken, bei jeder Schwangerschaft dieselben Symptome ertragen zu müssen, statt einfach nur dieses ein Mal kurz vor ihrer Erweckung.

Sie wischte sich über den Mund und fühlte ihre Stirn. Das Fieber war etwas gesunken, die Wadenwickel hatten geholfen, fragte sich nur, für wie lange. Die Fieberschübe häuften sich, nachts kam sie kaum noch zur Ruhe und dass sie von Albträumen geplant wurde, machte es nicht besser. Schüttelfrost und Schweißausbrüche klatschten sich in die Hände und wie lange sie Levis und Kaia noch etwas vormachen konnte, wusste sie nicht. Solange die Kräuter etwas brachten, die Wadenwickel das Fieber in Schach hielten, wollte sie ihren Zieheltern keine unnötigen Sorgen bereiten.

"Reiß dich zusammen, Izara", ermahnte sie sich und blickte ernst in den Spiegel, "das ist eine Erweckung - nicht das Ende der Welt!" Beherzt kniff sie sich in die Wangen. Ein wenig Farbe schadete nicht, und wenn sie erst einmal frische Luft geschnappt hätte, würden auch die Augenringe verschwinden. Blass war sie schon immer gewesen und das triste Wetter spielte ihr heute in die Karten. Sie richtete ihren Rock, lächelte zaghaft in den Spiegel. Sie hatte bereits genug herum getrödelt, der Laden hatte seit einer halben Stunde auf und wenn sie nicht bald in die Gänge käme, würde Levis noch Verdacht schöpfen. Aus dem Bad gestürmt, lief sie ihrem Adoptivvater direkt in die Arme.

"Nicht so stürmisch, junges Fräulein", lachte er auf, "Kaia wird dir schon nicht den Kopf abreißen."

"Aber vielleicht abbeißen", murmelte Izara und unterdrückte ein breites Grinsen.

"Lass' sie das ja nicht hören! Du weißt, wie empfindlich sie ist, wenn es um ihre »hübschen Beißer« geht." Die Hände in die Hüften gestemmt, versuchte er, den strengen Vater zu mimen, dabei war Levis eher wie der nette Onkel von nebenan. Er legte den Kopf schief. Erst jetzt schien er seine Adoptivtochter richtig zu betrachten. "Alles klar bei dir?"

Izara nickte.

"Wirklich?" Er hob eine Augenbraue. "Macht dir vielleicht wieder das Drachenblut zu schaffen?"

"Nichts, was nicht jedem achtzehnjährigen Drachenmädchen zu schaffen macht", entgegnete Izara und zwang sich zu einem Lächeln.

"Falls sich die Symptome verschlimmert haben-"

"Das haben sie nicht." Izara wollte jetzt nur noch ganz schnell weg. "Ehrlich, Lev, es ist alles in Ordnung." Sie griff nach ihrem kleinen Beutel mit etwas Kleingeld und dem großen Eisenschlüssel und band sich beides um ihr Handgelenk.

"Versprich mir, dass du mir Bescheid gibst, solltest du dich plötzlich schlechter fühlen", er zeigte mit dem Finger auf sie. Wenn es um ihr Wohlergehen ging, konnte er doch die Rolle des fürsorglichen Vaters übernehmen. Er folgte Izara durch den Flur, die junge Frau hatte sich ihre Stiefel geschnappt und versuchte möglichst grazil in diese hinein zu schlüpfen.

"Vergiss' nicht, in deinen Adern fließt Menschen- und Drachenblut. Wir haben keine Ahnung, wie sich das auf deine Erweckung auswirken könnte."

"Ich werde auf mich aufpassen, versprochen." Direkt vor ihm blieb sie stehen. Sie ging auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann öffnete sie die Tür und eilte aus dem Haus, bevor Levis doch noch die Schweißperlen unter dem Pony auffielen.
 

Draußen blies ein kalter Wind. Die Kälte tat gut, ließ Izara einen klaren Kopf bekommen. Sie hasste es, ihren Adoptivvater belügen zu müssen. Aber sie sah keine andere Möglichkeit. Wenn er die Wahrheit wüsste - dass Izaras Erweckung schneller vorranging als erwartet -, was würde es ihm bringen, außer dass er sich noch mehr Sorgen machen würde. Er fühlte sich auch so schon völlig hilflos, da brauchte Izara ihn nicht zusätzlich mit etwas belasten, woran er sowieso nichts ändern konnte.

Zügig eilte Izara die Straße herunter. Sie nahm eine Abkürzung durch den Stadtpark und huschte weiter durch eine kleine Schlippe, die direkt in eine Nebenstraße führte. Der Duft von heißer Schokolade stieg ihr in die Nase. Hoffentlich ist Kaia nicht allzu böse auf mich, dachte sie und erinnerte sich an den Scherz mit den Reißzähnen zurück. Eine Hausnummer vor dem Pralinengeschäft blieb sie stehen. Sie nahm den Schlüssel und schloss die Tür auf. Durch den Hausflur schlüpfte sie durch eine weitere, etwas kleinere Tür und stand direkt in der Küche. Wie erwartet schmolz dunkle Schokolade langsam vor sich hin, während die ersten Pralinen bereits für den Weiterverkauf vorbereitet wurden.

"Du kommst spät", kam es aus dem Kassierbereich und im nächsten Moment flog eine Schürze auf sie zu. Izara fing sie auf.

"Tut mir leid, ich war…verhindert." Sie band sich flink die Schürze zu.

"Du hast Glück, dass ich ein so gutmütiger Vorgesetzter bin." Mit einem Kochlöffel in der Hand kam Kaia auf sie zu. Ihr Lächeln war wieder einmal scharf geladen. Selbst ohne ihre »hübschen Beißer«.

"Du bist die Beste, Kaia", sagte Izara und lächelte ebenfalls.

"Jaja, Fräulein, schmier mir nur weiter Honig ums Maul."

"Ich weiß doch, dass du es liebst."

"Du freches Weib", mit dem Kochlöffel klopfte sie erst Izara, dann sich selbst auf die Schulter. Beide Frauen unterdrücken ein Lachen.

"Genug getrödelt", Kaia schwenkte den Kochlöffel, ihre Gesichtszüge wurden streng, "es wartet einiges an Arbeit auf uns. Ich muss noch die Kreationen für die Hochzeitsgesellschaft zusammenstellen und Rosenwasser muss auch neues bestellt werden." Sie nickte Izara zu. "Eine Liste mit den Kundenbestellungen liegt vorne auf dem Tisch. Es sind gestern Abend noch zwei dazu gekommen. Mit der Mittagspause wird es wohl heute nichts. Außerdem", Kaia deutete in Richtung Ladenbereich, "haben wir zwei neue Gäste. Du müsstest Kaffee kochen und vielleicht noch ein paar Brötchen belegen, falls die Herren doch noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen wollen."

"Verstanden", entgegnete Izara, obwohl sie die frühen Besucher verwunderten. Zum Kaffee blieben nur die Wenigsten. Die Tische waren eher Dekoration, jeder wusste das. Aber Izara wollte nicht nachbohren, Kaia war bereits wieder an ihren Pralinen und auch Izara hatte ihre Aufgaben zu erledigen. Sie suchte die Kaffeebohnen aus einem der Hängeschränke und begann den Kaffee zu mahlen. Sie liebte den Duft, wenn die Bohnen ihr Aroma vollends entfalteten und das heiße Wasser kleine Dampfwolken entstehen ließ. Sie bedauerte, dass sie nur selten Gelegenheit hatte, Kaffee zu kochen. Hyrakonden vertrugen kein Koffein und Levis hatte Kaia zuliebe aufgehört Kaffee zu trinken. Langsam ließ sie die frisch aufgebrühte Flüssigkeit in zwei Porzellantassen laufen. Sie hatte den Kaffee etwas zu stark gekocht, aber sie hoffte, dass ihre Gäste das Aroma zu schätzen wussten. Irgendwo hatte sie einmal aufgeschnappt, dass Männer ihren Kaffee prinzipiell schwarz und immer eine Spur stärker tranken. Hoffentlich war das nicht wieder eines dieser Vorurteile!

Die Tassen auf ein Tablett gelegt, balancierte Izara aus der Küche in Richtung der zwei Gäste, die direkt neben dem Eingang Platz genommen hatten.

"Hier sind ihre zwei Kaffees - stark und heiß", Izara bemühte sich um ein ehrliches Lächeln. Die Arbeit im Pralinengeschäft hatte ihr immer Spaß gemacht, doch die letzten Tage waren schwer gewesen. Wenn nicht gerade die Morgenübelkeit einsetzte, war ihr entweder schwindelig oder ihr platzte fast der Kopf. Gerade war es eine Mischung aus allem. Darum fiel ihr auch nicht auf, dass sie seit Betreten des Ladens genauestens in Augenschein genommen wurde.

"Wenn ich Ihnen vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen anbieten darf, wir haben-" Ihr Blick wanderte von dem einen Herren zum dem anderen. Zwei eisblaue Augen begegneten ihren eigenen Seelenspiegeln, dass sie für einen Moment nicht wusste, was sie eigentlich hätte sagen wollen. Der Mann war groß, obwohl er saß, was Izara überzeugt, dass er sie mindestens um anderthalb Köpfe überragte. Sein schwarzes Haar reichte ihm bis zum Nacken, ein paar Strähnen lösten sich aus seiner streng zurück gekämmten Frisur und fielen ihm locker über die Stirn. Izara gefiel es, es brachte seine Gesichtszüge zur Geltung. Wie zum Beispiel sein markantes Kinn, oder die vollen Lippen. Er lächelte sie an, irgendwie geheimnisvoll, wie Izara fand. Sein Blick raubte ihr kurzerhand den Atem, die Dominanz, die er ausstrahlte, war erschreckend und faszinierend zugleich. Er ist ein Drache, schoss es ihr durch den Kopf, ein Drache ohne Halsband. Je länger sie in seine Augen sah, umso sicherer war sie sich, jemand Starkem - jemand Mächtigem - gegenüber zu stehen, und sie wollte wissen, wer dieser fremde Drache war. Warum er hier war und ob er sie genauso anziehend fand. Ein wohliges Kribbeln bescherte Izara eine Gänsehaut, ihr Körper gehorchte ihr nicht länger und entsandte eine Welle ihres eigenen, besonderen Duftes.

"Nein, vielen Dank", seine Worte rissen sie zurück in die Gegenwart, "der Kaffee reicht völlig aus." Seine tiefe Stimme überförderte sie kurzzeitig, sie nickte etwas betreten. Hitze schoss ihr ins Gesicht. Einen peinlicheren Auftritt hätte sie nicht hinlegen können! Mit zittrigen Händen nahm sie das Tablett und zurück hinter die Kasse. Sie klemmte sich einen Strähne hinters Ohr und Griff nach dem Kugelschreiber. Sie hatte einem anderen Drachen Avancen gemacht. Einem fremden Drachen! Daran konnten nur die verdammten Hormone Schuld sein.

Sie ging die Bestellliste durch und machte sich anschließend daran, die Kisten zu falten. Aber sie war nicht bei der Sache. Das gerade Geschehene hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Noch schlimmer als ihr kläglicher Annäherungsversuch, war seine Reaktion. Sie wusste, dass Drachen anhand eines speziellen Duftes signalisierten, ob sie einander mochten oder nicht. In Zeiten der Erweckung - oder während der Paarungszeit - waren die Absichten dahinter, die Männchen und Weibchen miteinander austauschten, mehr als deutlich.

Izara erhaschte einen Blick auf die beiden Drachen. Auch in dem anderen Mann floss Drachenblut, das spürte sie so deutlich wie das langsam ansteigende Fieber (oder hatte sie die Abfuhr einfach zu sehr getroffen?). Auch er schien stark zu sein, wenn auch nicht so stark wie sein Begleiter, der mit dem Rücken zu ihr stand und an seinem Kaffee nippte. Erneut fühlte sie einen starken Sog. Sie schüttelte den Kopf und drehte sich zu den Pralinen. Die Arbeit hatte oberste Priorität, um ihr Gefühlschaos konnte sie sich später kümmern. Ihr blieb kaum Zeit, sich weiter Gedanken zu machen. Um zwölf kamen bereits die ersten Kunden, Fräulein Karlmey forderte wie üblich ein Dutzend Likörpralinen an und der Schuldirektor trudelte wenig später ein. Der ein oder andere kam vorbei, um einen kleinen Plausch abzuhalten. Kaia war beliebt, nicht nur weil sie gerne einmal flirtete. Sie war auch eine gute Zuhörerin, die Alten liebten sie wegen ihrer zuvorkommenden Art und die Kinder vergötterten sie, weil sie immer ein Bonbon für sie übrig hatte. Izara bewunderte sie, nicht zuletzt, weil sie geliebt wurde, obwohl jeder wusste, was sie war.

Izara packte gerade die letzte Tüte mit Marzipan- und Nougatpralinen ein, als ihr Blick zur Fensterscheibe glitt. Ihr eigenes Spiegelbild verblasste zwischen all den Leckereien. Nur ihr Halsband, das sah sie deutlich. Das Stahl, die Ketten, an die sie sich eigentlich längst gewöhnt haben müsste. Aber so war es nicht. Es fiel ihr schwer, sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie nie ganz ein Teil der Gemeinschaft werden würde. Dass sie nie als sie selbst angesehen würde, sondern nur als das, was das Mischblut aus ihr machte. Nämlich eine Außenseiterin. Die Menschen fürchteten sich vor dem Drachen in ihr und die Drachen begegneten ihrer Menschlichkeit mit Skepsis. Es gab nur wenige, mit denen sie Freundschaften hatte schließen können.

Ihre Finger berührten das Stahl um ihren Hals. Sie wusste nicht, wie das Leben außerhalb von Kaido aussah, aber sie hatte davon gehört, dass es Drachen geben soll, die nicht unter der Kontrolle der Paladine standen. Sie sah zu den beiden Herren herüber. Sie wusste nicht, warum es sie hierher verschlagen hatte, aber Izara konnte sich nicht vorstellen, dass es sicher war. Kandio wurde gut bewacht. Bürgermeister Flatsch war ein mächtiger Paladin, wenn er wüsste, dass zwei frei umherlaufende Drachen durch seine Stadt schlenderten-

"Alles gut?"

Erschrocken drehte sich Izara um. Kaia stand neben ihr, eine Sorgenfalte zierte ihre Stirn.

"Du siehst blass aus, Izara. Brauchst du vielleicht doch eine Pause?"

"Ich schaff' das schon, ehrlich", entgegnete Izara, "hab einfach nicht genug getrunken." Das war nicht einmal eine Lüge. Aber Kaia blieb skeptisch. In Gegensatz zu Levis konnte man ihr nur schwer etwas vormachen. Mit einem tiefen Seufzer kehrte Kaia zurück in die Küche. Sie rief Izara noch etwas hinterher, doch die junge Frau könnte ihr nicht mehr länger folgen. Mittlerweile war das Fieber hoch genug, dass ihre Beine sich wie Pudding anführen. Möglichst unauffällig stützte sie sich am Tresen ab. Sie sollte wirklich etwas trinken.



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