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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Izara

Solar stellte sich vor das Tor, genau zwischen die Soldaten. Izara hielt er dabei am Handgelenk fest. Ein schwacher Druck, aber fest genug, um sie wissen zu lassen, dass sie das Reden ihm zu überlassen hatte.

Was er mit den Soldaten besprach, blieb Izara verborgen. Ein kurzes Salutieren, eine Begrüßung unter Gleichgesinnten, dann wechselten die Drachen in ihre Sprache. Schwach rauschte es in Izaras Ohren, sie hatte es mittlerweile satt, nichts von dem verstehen zu können, was die drei miteinander besprachen. Dass es um sie ging, verriet der Blick der Soldaten, der über Izaras Aufmachung huschte. Es gab ein Nicken, eine stumme Übereinkunft und das Stadttor öffnete sich.

"Seit wann kannst du dich per Schallwellen unterhalten?", grummelte Izara. Sie meinte sich zu erinnern, dass das Erlernen als Straftat galt. Niemand aus Kandio konnte die Sprache der Drachen.

"Mein Vater hat es mir sehr früh beigebracht. Im Geheimen natürlich", antwortete er.

"Und Maya?"

"Mutter hielt es für zu gefährlich. Sie selbst hat nie die Sprache gelernt. Sie ist in Kandio geboren, während mein Vater", er zuckte mit den Achseln, "ich weiß nicht genau. Er war um einiges älter. Mutter spricht nicht darüber, aber ich glaube, dass er ihretwegen nach Kandio gekommen ist."

"Er muss sie sehr geliebt haben", entgegnete Izara leise.

"Nicht genug, um zu bleiben", entgegnete Solar kühl und wurde eine Spur schneller.

Bisher machte er nicht die Anstalten, Izara loszulassen und Izara selbst war froh, jemandem die Führung übergeben zu können.

Durch das Fenster einer Kutsche zu blicken, war etwas anderes als selbst über die gepflasterten Straßen der größten Drachenmetropole zu laufen. Die Wege waren breiter, die Häuser höher und die Drachen größer als alles, was Izara bisher gesehen hatte. Sogar in ihrer Menschengestalt nahmen sie eine Menge Platz auf den Gehwegen ein. Große Drachenmenschen, dazwischen ein paar Kleinere, aber die fielen kaum ins Gewicht.

Es gab genau eine breite Straße - niemand fuhr einen Wagen oder ritt ein Pferd. Es gab nur Drachen und ihre nächsten Nachfahren. Am Himmel zogen Wyvern und Volans ihre Bahnen, Izara legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den eigenartigen Tanz aus der Ferne. Sie schienen keinen Zweck zu verfolgen - sie flogen einfach. Als wäre es ganz natürlich, und Izara rief sich ins Gedächtnis, dass es das auch war.

"Komm." Solars Griff  zog sie weiter über die Hauptstraße. "Wir sollten uns beeilen. Wenn erst einmal das Fest im vollen Gange ist, werden wir nirgendwo mehr durchkommen."

Sie spürte schon jetzt, wie das Gedränge zunahm, je tiefer sie in die Stadt eindrangen.

"Warte", rief sie. Die Menge drohte ihre Worte zu verschlingen. Das Brummen und Surren und dazwischen die Sprache, die Izara gelernt hatte. Das alles war zu viel für einen Fußgängerweg. Trotzdem hielt der Blitzdrache an und drehte sich fragend um.

"Dieser Drache", sie zeigte weiter nach vorne. Dort gab es eine kleine Bühne direkt neben mehreren Ständen, die mit bunten Zelten überdacht waren. Auf der Bühne stand ein kleiner Drache mit langem Rauschebart und unterhielt sich mit zwei städtischen Soldaten.

"Ich habe ihn schon einmal gesehen", murmelte Izara, "auf dem Bahnhof. Er hatte auf den König gewartet."

"Du meinst Cymhru - den Bürgermeister von Dragor."

"Das ist der Bürgermeister?!"

"Ja. Und der Form halber: Cymhru ist kein Drache. Er ist eine Seeschlange."

"Ist er deshalb so…also, naja, du weißt schon."

"Du meinst klein?"

Izara reckte das Kinn, vielleicht fiel Solar auf, dass sie seit ihrem letzten Treffen größer geworden war.

"Seeschlangen sind nicht groß", ergänzte Solar und beachtete Izara nicht weiter. "Entgegen der Gerüchte ist selbst ihre wahre Gestalt nur mittelmäßig. Aber die Größe ist nicht entscheidend. Cymhru hält den Fluss am Leben. Die Stärke Dragors steht und fällt mit ihm."

"Das ist eine große Verantwortung", hauchte Izara, die an ihre eigene Bestimmung dachte. Scheinbar waren sie und König Devon nicht die einzigen, von denen die Existenz der Drachen abhing.

"Zusammen mit unserem König", sagte Solar und zog sie weiter, "sichert der Bürgermeister die Handelsrouten zwischen Dragor und dem Stamm der Lóng. Du wirst sicher wissen, dass ihre Fähigkeiten essentiell sind."

"Sie halten die Wasserversorgung am Leben."

"Sie halten das Wasser am Leben", erwiderte Solar wie ein strenger Lehrer, "der Bürgermeister hat den Fluss geschaffen, die Lóng sorgen dafür, dass Fische, Krebse und Muscheln gedeihen können. Die Fischerei ist eine der wichtigsten Einkommensquellen Dragors. Ohne sie hätten wir nicht das Geld für Waffen und Ausrüstungen."

"Das wusste ich nicht", gestand Izara kleinlaut.

Es ärgerte sie, wie wenig sie wusste. Als Prinzessin sollte es doch ihre Aufgabe sein, bestens Bescheid zu wissen. Wie sonst sollte sie ihrer Aufgabe gewachsen sein, wenn sie nicht einmal die grundlegendsten Dinge wusste?

Das Schlagen von Trommeln ließ sie innehalten. Die Geräusche kamen von einer kleinen Seitenbühne. Gleichmäßig schlugen zwei Dutzend Drachen auf ihre großen, dicken Trommeln ein. Der Rhythmus purzelte über ihren eigenen Herzschlag. Es rumpelte in ihrer Brust. Kein unangenehmes Gefühl, wie Izara fand. Es hatte etwas Hypnotisierendes. Der Takt verleitete dazu, sich mit ihm zu bewegen.

"Du kannst dir später noch genug ansehen", sagte Solar und drängte sie weiter nach vorne. Izara nickte und ließ sich an mehreren Essensständen vorbeiführen.

Aus einer Richtung duftete es nach deftigem Fleisch, auf der anderen Seite kitzelte sie der Geruch von Honig und Bananen und ganz woanders roch es nach Fisch und gedünstetem Gemüse.

Solar nahm eine Schlippe, die in ein Gässchen führte. Die Eindrücke nahmen ab, es wurde ruhiger, wenn auch nicht weniger beengend.

"Ich dachte, Drachen mögen keine engen Plätze", Izara drückte sich an Solar. Kurz spannte der Blitzdrache an. Dann legte er einen Arm um sie, dass er der einzige blieb, den sie berührte.

"Früher waren die Straßen nicht so überfüllt, aber seit Logia zerstört und Raj unerreichbar geworden ist, bleibt Dragor die einzige Stadt, in der das Spätlesefest gefeiert werden kann."

"Du weißt wirklich eine Menge."

"Die Soldaten haben es mir erzählt. Einige stammen noch aus der Zeit, in der die Paladine noch nicht so mächtig waren."

"Ich kann mir so eine Zeit gar nicht vorstellen", gestand Izara und zu ihrer Überraschung nickte Solar.

"Hier rein", mit einem Kopfnicken zeigte er auf das heraushängende Schild.

"Ein Wirtshaus?", fragte Izara, doch Solar schleppte sie einfach mit.

Restaurants hatte sie früher selten besuchen können und in ein Wirtshaus hatte sie Levis auch nur einmal mitgenommen. In ihrer Erinnerung war es ein düsteres Backsteinhaus gewesen, mit sechs Tischen, auf denen halb abgenagte Kerzen geklebt hatten. Kein Vergleich zu dem hellen freundlichen Raum, den Izara und Solar betraten. Es gab auch nur einen Tisch, besser gesagt eine Tafel mit vielen Sitzmöglichkeiten. Ob alle Anwesenden einander kannten, konnte Izara nicht erkennen. Dass es niemanden scherte, mit wem er am Tisch saß, war dafür umso deutlicher.

Ihr Blick schweifte nach vorne. Dort stand der Wirt, schenkte Wein aus und rief die Bedienung herbei. Zum zweiten Mal schien die Welt für Izara den Atem anzuhalten.

"Maya", Izaras Mundwinkel gingen nach oben. Ihre blondhaarige Freundin hatte sich kaum verändert. Ihre Rundungen waren üppiger, das Becken deutlich breiter, aber ihr süßes Vollmondgesicht hatte noch immer sein keckes Lächeln auf den Lippen.
 

Zuerst bemerkte sie ihren Bruder. Mayabe winkte, ungeachtet der tadelnden Blicke des Wirts. Ihr Blick wanderte neugierig zu seiner Begleitung. Die Kapuze leicht zur Seite geneigt, legte sie Izaras leuchtenden Augen frei. Mayabes Mund klappte auf.

"Bei dem großen Drachen!", rief sie aus. Dann riss Maya die Augen auf. "Izara!"

Die Becher fast umgeworfen, rannte sie um den Tresen direkt auf ihre Freundin zu. Izara setzte sich ebenfalls in Bewegung. In der Mitte stießen die beiden Freundinnen aneinander, leise keuchend, als hätten sie Berge erklommen. Arme wurden in die Luft gerissen, bevor Mayabe Izaras zarten Körper umfasste und an ihren presste.

Der bekannte Duft nach Verbranntem kroch Izara in die Nase. Sie atmete ihn tief ein. Eine Erinnerung nach der Nächsten erwachte zum Leben und seit Langem liefen Tränen der Freude über ihre Wangen.

"Du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst habe", schniefte Mayabe und drückte ihr Gesicht in Izaras Halsbeuge.

"Und du mir erst", nuschelte Izara in Mayabes Schürze.

"Hast du mein Geschenk erhalten?"

"Natürlich", Izara deutete auf den Gürtel an ihrer Hüfte.

Sie hatte Linnora gebeten, das Armband in ihren Gürtel einzuarbeiten. Die Dienerin hatte sich liebevoll um Izaras kleinen Schatz gekümmert, die Arbeit war ihr wirklich gelungen, und seitdem war Mayabes Strähne immer an ihrer Seite gewesen.

Kurz ließen die Weibchen voneinander. Sie blickten sich in die Augen, die vom Weinen feucht und angeschwollen waren und lachten. Liebevoll umfasste Mayabe die Wangen ihrer Freundin. Die Kapuze verrutschte ein weiteres Stück, bis sie der Schwerkraft erlegen war und auf Izaras Schultern landete. Ein lautes Raunen erfüllte das Wirtshaus. Izara musste ihren Blick von ihrer Freundin abwenden, weil das Murmeln zu einem lauten, überraschten Ausruf geworden war.

Jeder im Raum starrte zu Izara herüber. Ungläubige, überraschte Gesichter. Die Münder der Anwesenden klappten wie die der Fische auf und zu. Der erste machte schließlich den Anfang und ging auf die Knie. Die anderen folgten seinem Beispiel. Wie sie alle den Boden zu küssen schienen, stand Izara einfach nur hilflos da und wusste nicht, wie sie die Menge beruhigen sollte.

"Ganz toll", hörte sie Solar dicht hinter sich fluchen. Sie wandte sich ihm zu, ihr Blick war voller Reue und Scham. Sie musste zugeben, damit hatte sie nicht gerechnet.

"Ich kümmere mich darum", raunte er an ihr Ohr und Izara nickte zaghaft zurück.

"Erhebt euch", Solars feste Stimme ließ Gänsehaut auf Izaras Rücken regnen. Die Drachen gehorchten. Das Abzeichen auf Solars Hemd zeigte seine Wirkung.

Nun, da Solar die Aufmerksamkeit für sich beansprucht hatte, gab er ein lautes Räuspern von sich und fuhr fort: "Die Prinzessin befindet sich auf einer streng geheimen Mission. Deshalb darf unter keinen Umständen bekannt werden, dass die verehrte Himmelsgöttin in Dragor gesichtet wurde. Im Namen des Königs und zum Schutze unserer Prinzessin, erwarte ich absolutes Schweigen."

Der Befehl hallte durch den Raum. Erst als das letzte Echo verklungen schien, verstreute sich die Gruppe. Mit einem Schnauben setzte der Blitzdrache Izara die Kapuze über den Kopf. Diesmal gab es kein Protest von Izara.

"Spielverderber", sagte Mayabe und streckte ihrem Bruder die Zunge raus.

"Werd' endlich erwachsen", erwiderte Solar mit zusammengekniffenen Augen.

"Werd' du endlich mal weniger verbissen" sie stemmte die Hände in die Hüften. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Izara. "Ich hoffe, mein Bruder ist dir nicht all zu sehr auf die Nerven gegangen."

"Überhaupt nicht", antwortete Izara, "ich bin froh, dass er mich mitgenommen hat."

"Einer Prinzessin würde er ja wohl kaum einen Wunsch abschlagen."

"Ich stehe direkt neben dir, Mayabe." Solar blickte seine jüngere Schwester immer noch streng an. Aber Mayabe beachtete ihn nicht.

"Erzähl' schon, Izara. Wie ist es so, im Palast zu leben? Ist das Schloss wirklich so groß wie Dragor? Teilst du dir ein Zimmer mit dem König?"

"Mayabe!", zischte Solar. Ein leichtes Grollen brodelte an der Oberfläche. "Musst du nicht langsam zurück an die Arbeit?"

"Jaja", Maya verdrehte die Augen.

"Vielleicht kann ich etwas tun", meldete sich Izara zu Wort. Mayabes letzte Frage hatte ihre Wangen noch nicht ganz verblassen lassen.

"Wenn ich den Wirt überzeugen könnte-"

"Das würdest du tun?" Mayabe griff nach Izaras Händen.



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