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»Die Braunhaarige ohrfeigt den Blauäugigen!« – Synonymstreuung für abwechslungsreiches Schreiben in Fanfictions Animexx, Fanfiction, Tipps für Autoren

Autor:  Hepho
Es ist eine ständige Diskussion unter Fanficlesern und -schreibern: Ist es nun unschöner Stil, wenn man ständig den Namen des Charakters schreibt? Oder ist es unschöner Stil, wenn man stattdessen Synonyme wie »die Braunhaarige«, »der Blauäugige« oder »der Frackträger« verwendet?

Starten wir dazu an anderer Ecke, nämlich bei: Was macht meine geschriebene Figur überhaupt aus?

Aus dem Zusammenhang gerissen, folgen gleich vier Sätze, in denen es jeweils um die gleichen zwei Figuren geht. Wie lesen sich diese Sätze?

Die Braunhaarige ohrfeigte den Blauäugigen.
Die Mutter ohrfeigte ihren Sohn.
Charlotte ohrfeigte Yuriy.
Mum ohrfeigte mich.
Beim ersten Satz nehmen Erzähler und Leser eine einfache Beobachterfunktion ein: Wir kennen eine Eigenschaft pro Charakter, die uns hilft, die Figuren zu unterscheiden. Im zweiten Satz wird es schon spezieller, denn jetzt haben die Charaktere eine konkrete Beziehung zueinander. Beim dritten Satz sind wir so vertraut mit den Charakteren, dass wir ihre Beziehung und ihre Namen kennen. Der letzte Satz ist ein Sonderfall, denn hier stecken wir sogar in einem der Charaktere drin. Hilfe – ich bin ein Autor! HOLT MICH HIER RAUS! O.O
Das Wichtigste ist aber: Mit jedem der vier Sätze stehen wir näher an den Figuren dran.

Je mehr mein Leser von einer Figur weiß, desto komplexer wird für ihn der Kontext, in dem diese Figur handelt, und desto weniger muss mein Leser extra erklärt bekommen, um das Geschehen zu begreifen.
Alles, was mein Leser über die Figur lernt, sind sozusagen »bezeichnende Eigenschaften« dieser Figur. Diese bezeichnenden Eigenschaften sind unterschiedlich wichtig für die Individualität und den Wiedererkennungswert der Figur. Und das nicht nur im Bezug auf die Figur an sich, sondern vor allem auf die Figur in ihrem eigenen Universum – in der Geschichte, in der sie vorkommt.
Im Fall der vier Sätze oben ist »Mutter und Sohn« wesentlich bezeichnender als »Braunhaarige und Blauäugiger«. Aber »Charlotte und Yuriy« ist noch einmal um ein Vielfaches bezeichnender als »Mutter und Sohn«.
Wenn ich also in einer Szene diese beiden Figuren interagieren lassen will, benutze ich vornehmlich die jeweils bezeichnendste Eigenschaft, die mein Leser kennt, um die Figuren zu benennen. In meinem Beispiel sind das die Namen. Es kann aber natürlich auch sein, dass wir von einer Figur als bezeichnendste Eigenschaft nicht den Namen, sondern vielleicht einen Militärrang kennen. Dann heißt es vielleicht nicht »Yuriy und Charlotte«, sondern »Hendel und der Gardehauptmann«.

Nun ist es aber so, dass viele Autoren und Leser es als »stilistisch unschön« empfinden, in jeder Zeile erneut den Namen der Figur (bzw. »der Gardehauptmann«) stehen zu haben. Ich muss sagen, mich persönlich stört es nicht wirklich, denn die Figur hat den Namen nun einmal. Wenn es mich aber stören würde, müsste ich eine Lösung finden, die ständige Namensnennung zu umgehen.
In meinem Beispiel von Charlotte und Yuriy kann ich leicht auf »er« und »sie« umschwenken. Das kann ich generell, solange die Szene aus der Interaktion von einem Mann und einer Frau besteht (that’s what she said).
Nun folgt ein kurzes Beispiel für eine solche Szene. Ein Charakter namens Urian trifft sich mit einer Frau, die er zwar gut kennt, der Leser aber nicht:

»Bist du allein hier?« Seine Stimme kam einem Krächzen gleich. Urian räusperte sich.
»Wer sagt das denn?« Sie zwinkerte ihm zu. »Jean hat in der Regel nichts daran auszusetzen, dass ich unter vier Augen mit alten Freunden rede.«
Urians Magen machte einen Satz.
»Ist Lestard auch hier?«
Die Frau schüttelte überrascht den Kopf. »Ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen.«
»Seit Monaten.« Die Worte hallten in Urians Gedanken nach. Das erste Gefühl, das sich einstellte, war Erleichterung, das zweite die Enttäuschung über eine verpasste Chance.
Mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen sackte er gegen die Mauer.
»Jean hatte in letzter Zeit mit ihm zu tun, nicht wahr?«, fragte er.
Sie presste die Lippen zusammen.
Eine Welle fremder Sorge streifte sein Bewusstsein. Ihre Sorge. Urian ertappte sich dabei, wie er ihre Geste nachahmte, und straffte sich.
»Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat Lestard wieder eine Menge fixer Ideen im Kopf«, gab sie mit belegter Stimme zu. »Um ehrlich zu sein, ist mir die Sache nicht ganz geheuer.«

(direkt kopiert aus »Perlmutt«, dank schamloser Faulheit meinerseits)
Ein Mann und eine Frau in einer Szene ist so ziemlich die dankbarste Konstellation, die man kriegen kann – abgesehen natürlich von einer Szene, in der ein Charakter allein unterwegs ist. Die Zwei-Männer-Konstellation oder Zwei-Frauen-Konstellation (that’s what she said) ist da schon schwieriger, aber mit der jeweils bezeichnendsten Eigenschaft der Figuren und einem entsprechenden Personalpronomen »er«, »sie« gut hinzukriegen.
Bei Dialogen lässt sich ein Zweierduell auch zum Großteil ohne Beschreibung der Charaktere nach jedem gesprochenen Satz abwickeln:

»Ich musste das meiste verkaufen, um zu überleben«, erklärte sie. »Hätte ich nicht Anwalt Valera, der mir monatlich zulasten des Büros eine kleine Pension schickt, ich hätte nicht gewusst, wohin ich gehen sollte.«
»Leben Sie alleine?«
Sie nickte.
»Das ist mein Haus. Der einzige Ort, an dem ich glücklich gewesen bin, obwohl das schon viele Jahre her ist. Ich habe immer hier gelebt, und hier werde ich auch sterben. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nichts angeboten habe. Ich bekomme schon lange keinen Besuch mehr und weiß gar nicht mehr, wie man mit Gästen umgeht. Möchten Sie Kaffee oder Tee?«
»Gar nichts, danke.«
Señora Marlasca lächelte und deutete auf meinen Sessel.
»Das war der Lieblingssessel meines Mannes. Da hat er sich immer hingesetzt, vors Feuer, und bis in die Nacht gelesen. Manchmal habe ich mich hierher gesetzt, neben ihn, und ihm zugehört. Er hat gern erzählt, damals wenigstens. Wir sind sehr glücklich gewesen in diesem Haus …«
»Was ist geschehen?«
Sie zuckte die Achseln und starrte in die Asche im Kamin.
»Sind Sie sicher, dass Sie diese Geschichte hören wollen?«
»Bitte.«

(aus: Carlos Ruiz Zafón: Das Spiel des Engels. Fischer Taschenbuch Verlag, 2010)
Hier sieht man, dass die Geste einer Figur zwischen wörtlicher Rede plötzlich sehr viel wichtiger wird, einfach weil der Autor auf ein ständiges: »sagte Martín/er/ich/sie/Señora Marlasca« verzichtet. Und zugleich umgeht er auch die »Bredouille« mit der Namensnennung.

Je mehr Personen in einer Szene dazukommen, desto schwieriger wird das Ganze. Vor allem, wenn sich nicht kleine Grüppchen bilden, zwischen denen der Erzähler wechseln kann, sondern wenn alle Figuren miteinander interagieren.
Noch ein Beispiel, diesmal tatsächlich mit Yuriy (Ich-Erzähler) und seiner Mutter Charlotte. Mit von der Partie sind Großvater Breca, sowie ein gewisser Mr Adlard und eine Dreierfraktion von Beamten – Mr Park, ein Gardist und der Sekretär Lord Belzac. Von diesen Beamten hat man bis zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte noch nie etwas gehört. Sieben Leute, drei davon gänzlich unbekannt für den Leser – das übersichtlich zu halten, ist nicht leicht, und ich habe mich damals beim Schreiben der Szene ziemlich schwer getan. Was dabei herausgekommen ist, halte ich allerdings für recht vorzeigbar, deshalb verwende ich einen Auszug daraus jetzt als Beispiel für Szenen mit vielen Leuten:

Lord Belzacs Augenbrauen hoben sich. Die von Park zogen sich zu einem dunklen Strich zusammen. Mums Hände zitterten. Es fiel mir schwer, mich von ihr loszureißen, und auch Brecas Blick ruhte auf ihr. Seine Hände breiteten sich über seine Knie, als er sich zurücklehnte. Ich war ihm dankbar für die Geste.
»Ich bin ganz Ohr, Mr Adlard«, sagte Lord Belzac. Sollte er Parks Abneigung teilen, ließ er sich das jedenfalls nicht anmerken.
»Mr Park und ich ziehen uns zurück. Sie vier und Mr Pilgrim bleiben hier.« Adlard warf mir einen Blick zu und lächelte schief. »Ich lasse mir auch nicht gern die Zeit stehlen.«
Ich stockte. Pilgrim also. Das war der Name des Gardisten.
Breca nickte, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Mum vergrub das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern sackten herab. Ich konnte hören, wie sie den Atem ausstieß. Der Sekretär (ein einziges Mal!) wechselte einen Blick mit Park, der merklich angespannt war, und dem Gardisten.
Lord Belzacs Fingerspitzen tippten gegen seine Wange. »Wie ich sehe, findet Ihr Vorschlag allgemeine Zustimmung.«
Adlard neigte den Kopf.
Kriecherischer Spurschleicher, dachte ich.
»Sagen Sie nicht, Sie wollen Sich freiwillig den Geist zur Nase herausziehen lassen«, schnaubte Park. »Keine Tricks, Adlard!«
»Ist es ein Trick, Mr Adlard?« Lord Belzac stellte die Frage wachsam, aber nicht ablehnend.
»Natürlich, Sir.« Adlard sagte das vollkommen ernst.
Park musterte ihn aus schmalen Augen. Ich tat es ihm nach, doch Adlard ließ sich von uns nicht aus der Ruhe bringen.
Der Name "Adlard" kam in dem kurzen Dialogausschnitt ganze Sieben Male vor, sogar innerhalb der wörtlichen Rede. Hat's euch gestört, oder fandet ihr die Kanalisierung sinnvoll?
Eine Szene mit vielen Leuten mag auf den ersten Blick wimmelig erscheinen, und sie übersichtlich aufs Papier zu bringen, erscheint einem erst mal als unglaublich schwer. Aber gerade dieses Wimmelige hilft uns eigentlich beim Schreiben:
Je mehr Leute etwas tun, desto weniger Gewicht liegt auf dem Einzelnen. Wir haben die Möglichkeit, von einer Person zur anderen zu wechseln, und es vergehen mehrere Ereignisse (und damit Zeilen bzw. ganze Absätze), bevor der Charakter erneut etwas tut. Man wird es also wahrscheinlich nicht als unschönen Stil empfinden, wenn ich Mr Park immer nur »Park« nenne und nicht zwischendurch »der Inquisitor« oder »der Schwarzhaarige« oder »der Frackträger« zu ihm sage. Ganz im Gegenteil wird mein Leser es wahrscheinlich hilfreich finden, wenn ich hier bei einer Bezeichnung bleibe. Ich habe sieben Leute, die alle am Gespräch teilnehmen, und muss dafür sorgen, dass mein Leser immer weiß, wer gerade was sagt. Wenn ich für jeden Charakter eine Bezeichnung finde und die konsequent durchhalte, schaffe ich damit Übersichtlichkeit. Vor allem dann, wenn der aktive Charakter in der Szene schnell wechselt, wie in meinem Beispiel oben, oder wenn eben Figuren dabei sind, die mein Leser gerade erst kennenlernt.
Zwischendurch liefern sich sicherlich auch mal zwei Personen Rededuelle untereinander und die anderen hören nur zu, aber auch in dem Fall komme ich eigentlich gut mit der bezeichnendsten Eigenschaft und dem Personalpronomen aus. Mein Leser tut schließlich nichts anderes als die fiktiven passiven Gruppenmitglieder: Zuhören. Wenn der Fokus auf zwei Charakteren liegt, können die ruhig in einer Gruppe sein – mein Leser konzentriert sich trotzdem nur auf die zwei, um die es gerade geht. Also reichen auch »Hendel«, »Der Gardehauptmann« und »er« völlig aus.

Viele Leser – dazu gehöre dieses Mal auch ich – mögen es nicht, wenn sie in einer Geschichte ständig »die Braunhaarige« statt z.B. »Charlotte« lesen. Und zwar aus oben genanntem Grund: Die Figur definiert sich für mich eher über ihren Namen, »Charlotte«, und über ihre Rolle als »Yuriys Mutter«, als darüber, dass sie braune Haare hat. Letzteres ist ein Fakt, der so am Rande aufgenommen wird, und das war es meistens damit. Wenn es nachher in der Geschichte um die Wurst geht und ich auf einmal nur noch »die Braunhaarige«, »die Grünäugige« oder »die Rothaarige« lese, muss ich erst mal wieder nachdenken, welche von den drei Frauen in der Szene denn jetzt gemeint sein könnte. Wahrscheinlich gibt es aber nur eine »Charlotte« in der Szene, und wenn selbst dem nicht so sein sollte, so hat Yuriy immerhin nur eine Mutter.
Wenn Charlotte aber mit einer Freundin im Café sitzt, und am Tisch gegenüber sitzt ein Mann, der die beiden Frauen ansieht, findet er vielleicht »die Brünette« attraktiver als »die Schwarzhaarige«. In dem Fall ist »die Brünette«/»die Braunhaarige« nicht einfach nur ein Synonym, um den Namen »Charlotte« nicht schon wieder nennen zu müssen. Wir lernen hier, auf welchen Typ Frau der Mann im Café steht. Idealerweise sollte diese Information natürlich für die Geschichte, die ich erzählen will, von irgendeiner Bedeutung sein.

Wenn ihr anstelle der bezeichnendsten Eigenschaft eurer Figur ein Synonym einfügt, dann benutzt es nicht einfach nur, um eine erneute Nennung des Namens zu vermeiden. Verwendet es lieber, um die Figuren gezielt zu charakterisieren:

Hendel katzbuckelte vor Jorrin.
Hendel katzbuckelte vor dem Gardehauptmann.
Der zweite Satz erklärt uns nur durch die Erwähnung von Jorrins hochrangigem Titel, weshalb Hendel überhaupt katzbuckelt: Es ist nicht unbedingt Jorrin selbst, der Hendel Respekt einflößt, sondern der Fakt, dass Jorrin die Garde repräsentiert.

»Die Braunhaarige« ist nicht immer schlecht – sobald ich aber über Eigenschaften verfüge, die meine Figur treffender bezeichnen, sollte ich mich bei der Beschreibung an diese Eigenschaften halten. Das schafft Übersicht. Im Gegenzug kann ich aber solche Synonyme verwenden, um für den Moment gezielt die Aufmerksamkeit meines Lesers auf eine bestimmte Eigenschaft der Figur zu lenken. Beides hat seine Berechtigung. Die Synonyme sollten nur nicht willkürlich gestreut werden, ansonsten lesen sie sich auf die Dauer leider genauso unschön wie ein Name, der in jeder Zeile wieder auftaucht.



P.s.: Wer mich als selbstdarstellerisch und aufmerksamkeitsgeil hinstellen will, weil ich Textauszüge aus meiner eigenen Geschichte als Beispiele verwende, der mache sich bitte vorher Gedanken darum, ob er das auch zu einem Zeichner sagen würde, der ein Tutorial mit eigenen Zeichnungen veranschaulicht.