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Homo sapiens libricus - der Buchmensch Buch, Menschen

Autor:  NaokoSato
Ja, es gibt sie noch. Die Menschen, die ohne das gedruckte Wort nicht leben können. Eigentlich noch einfacher: Sie können ohne Papier nicht leben, daher ist die Bezeichnung libricus wissenschaftlich umstritten. Ob jemand anderes seine Patienten auf dem Papier platziert hat oder er selbst, ist dem Buchmenschen dabei egal.

Der gemeine Buchmensch (Homo sapiens libricus) ist stets von Papier umgeben. Auf Reisen hat er mindestens ein Magazin oder eine Tageszeitung bei sich, meist jedoch ein Taschenbuch, dem man sein Taschenleben bald ansieht. Es sei denn der Buchmensch ist vorsichtig und wickelt das Buch in eine Plastiktüte oder eine moderne Filzhülle. Einige weibliche Exemplare wurden auch schon dabei beobachtet, in kleinen, theatertauglichen Handtäschchen ein Buch mitzuführen.
In den Bauhausungen des Buchmenschen sind unzählige Bücher, von Fremden bedruckt, selbst beschrieben oder leer, zu finden, vor allem in der direkten Umgebung bequemer Sitz- oder Liegemöglichkeiten.

Seine zweite Heimat sind die Buchmessen, die er zu Hunderttausenden stürmt. Dort trifft er auf Gleichgesinnte und die Schöpfer der Werke, die er so verehrt und schätzt.

Sein Wissen erlangt der Buchmensch fast ausschließlich durch Bücher oder Zeitschriften oder Zeitungen, tagesaktuelle Meldungen jedoch auch durch das Fernsehen oder das Internet. Um Grundlegendes jedoch verarbeiten zu können, benötigt er das gedruckte Wort. Informationen aus dem Internet sind für ihn nur schwer zu filtern, oft vertraut er den Quellen nicht. Web 2.0, für andere ein Segen, ist für ihn das Chaos. Das Lesen am Bildschirm fällt ihm schwer und am liebsten kritzelt er seine Gedanken in kleine Notizbücher, nicht in ein Smartphone. Das durch Herausstreichen und Überschreiben entstandene Chaos ist für ihn allerdings leicht zu handhaben, da es ein selbst geschaffenes Chaos ist, dass er beherrschen kann.

In seinem Sozialverhalten ist der Buchmensch dem durchschnittlichen Otto-Normal-Menschen (Homo sapiens sapiens) sehr ähnlich (im Gegensatz beispielsweise zum Homo sapiens nerdicus extremus oder dem aufdringlichen Homo sapiens tussihaftus-Weibchen). Sein Bildungsniveau reicht vom Durchschnitt bis in die Höhenlagen des IQ-Gebirges. Auf Nicht-Buchmenschen schaut er aber zuweilen herab.

Für ihn ist die Orientierung in einer Buchhandlung ein Leichtes, auch ohne sich an die Mitarbeiten wenden zu müssen. Bisweilen beobachtet er sehr gern andere Menschen, die vor dem Krimiregal stehend eben dieses nicht finden. Oft empfindet er dann Mitleid mit den Buchhändlern (einer gesondert zu betrachtenden Unterart des Buchmenschen) und denkt noch einmal darüber nach, ob er wirklich eine eigene Buchhandlung eröffnen soll. Bald verwirft er die Idee und gibt lieber in seiner Stammbuchhandlung weiter sein Geld aus. Er geht dann mit der Beute in ein nahes Café und liest beim Genuss einer Tasse Tee oder Kaffee. Den attraktiven Artgenossen am Nachbartisch bemerkt er dabei meist nicht, da seine gesamte Aufmerksamkeit dem Buch vor ihm gilt. Dies ist einer der häufigsten Gründe, weshalb auch ein paarungswilliger Buchmensch nicht zum Zuge kommt - Ablenkung durch Worte.

Im übrigen würde der Buchmensch nur im äußersten Notfall zum E-Book greifen, das Papier fehlt ihm dabei einfach. Durch gezielte Kreuzung des Homo sapiens libricus mit dem Homo sapiens technicus ist es allerdings gelungen, die perfekte Zielgruppe für den Markt der E-Books zu schaffen. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dieser Art stehen noch aus.


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