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Snowdrops and Chocolate

Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi
von

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Heiß und kalt

Kapitel 18 – Heiß und kalt
 

Seinen ersten Besuch im neuen Jahr machte Kei bei Atari. Der Fairy Tales Park hatte seit der Woche vor Weihnachten geschlossen, so dass er nun etwas mehr Freizeit hatte, die er mit seinem ehemaligen und vielleicht-wieder besten Freund verbringen konnte.

Wie in den guten alten Zeiten endete der Nachmittag entgegen aller guten Vorsätze doch wieder vor der Spielekonsole. Schon zu ihrer Schulzeit hatten Kei und Atari sich oft vorgenommen, ihre Zeit sinnvoller zu verbringen, aber schon damals waren sie früher oder später doch wieder vor der Kiste gelandet. So also auch heute.

Robin, mit dem sich Kei inzwischen wieder versöhnt hatte, kannte das Prozedere nach mehreren Besuchen bei Atari auch schon. Er ließ sich fast ohne Beschwerden in einer Ecke von Ataris Zimmer nieder, rollte sich in seinen Schweif und döste vor sich hin, während er Kei und Atari mit einem halben Auge beobachtete.

„Wie ist eigentlich deine Zaleidingsbums-Prüfung gelaufen?“ fiel Atari schließlich ein.

Nachdem Kei ihm gegenüber selten ein Wort über das „Zaleidingsbums“ verlor, hatte er zunächst nicht mehr daran gedacht. Kei wusste, dass Atari von Zalei nicht viel hielt und mied das Thema deshalb meistens.

„Ich bin durchgefallen, absichtlich.“ lachte er.

„Wirklich? Du bist also kein Zalei?“ hakte Atari ungläubig nach. Er erinnerte sich noch zu gut an Keis anfängliche Begeisterung, als dass er ihm jetzt abgenommen hätte, dass das er einfach aufgegeben hatte. Und Keis schuldbewusstes Zögern bestätigte seinen Verdacht.

„Erzähl schon!“ Atari stieß seinem Freund mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Na ja… Ich bin noch kein vollwertiger Zalei, aber ich kann… ich will auch nicht mehr zurück. Ich bleibe trotzdem Yukis Schüler.“ gab Kei schließlich zu. Er sah sich aus dem Augenwinkel nach Ataris Reaktion um, während er im Videospiel gerade gegen eine Mauer fuhr.

Atari ließ sich Zeit für eine Antwort. Zunächst mimte er volle Konzentration auf ihr Spiel, während er mit seinen Gedanken jonglierte und nach den richtigen Worten suchte.

„Hast du gar nichts dazu zu sagen?“

Schließlich wurde Kei die Spannung zu groß. Atari atmete laut aus. Er antwortete, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.

„Was soll ich sagen. Du weißt, dass ich nicht begeistert bin von der Idee. Du machst dein Leben von so einem Vieh abhängig.“

Ja, Kei wusste es. Aber trotzdem tat ihm die ablehnende Haltung seines besten Freundes irgendwie weh.

„Aber es ist deine Entscheidung.“ Atari drehte sich nun endlich doch zu Kei um. „Ich habe dir gesagt, ich bin für dich da, egal was passiert. Und dazu steh ich. Wenn irgendwas los ist, dann komm jederzeit zu mir. Ok?“

Kei nickte knapp, nachdem die Worte in seinem Hals stecken geblieben waren. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet.
 

„Taki, Taki!“

Die eben Gerufene fuhr mit großen Augen herum, als sie die aufgeregte Stimme ihrer besten Freundin hörte, und blickte in eine Wand aus Pink. Erst als Kiku den Kleiderbügel etwas senkte, gab die pinke Bluse den Blick auf ihr strahlendes Gesicht frei. Ganz offensichtlich genoss Kiku den ersten Einkaufsbummel mit ihrer Freundin seit Wochen und Monaten sehr.

„Für dich…?“ wunderte sich Taki.

„Nein. Für dich! Du bist so hübsch in Pink. So was kannst nur du anziehen.“ lachte Kiku.

Taki streifte geistesabwesend über einen Ärmel als wolle sie den Stoff prüfen. Es war eine einfach geschnittene Bluse mit einem aufwendigen Blumenmuster in verschiedenen Pink-, Violett- und Rosatönen. Insgesamt jedoch sehr knallig.

„So was Buntes würde ich aber nicht anziehen, Kiku.“

„Ich weiß, leider. Aber dir stehen knallige Farben so gut. Du solltest nicht immer rumlaufen wie so ein Mauerblümchen.“ schmollte Kiku und sah mitleidig auf Takis dunkelgraues Strickkleid.

„Aber ich bin Artistin und fast jeden Abend knallbunt angezogen und geschminkt. Ich genieße es, tagsüber ein Mauerblümchen zu sein. Und außerdem…“

Taki sprach nicht weiter, als sich ihre schlanken Finger fester um den Ärmel der Bluse schlossen. Gleichzeitig wanderte ihr Blick wie in Zeitlupe auf den Boden.

„Außerdem…?“ wiederholte Kiku heiser und konnte sich die Antwort eigentlich schon selbst geben.

„Außerdem ist mir zurzeit nicht nach knalligen Farben. Du weißt schon…“

Ihr Blick haftete weiterhin auf dem Boden, Taki stand ganz still. Nur ihre Finger regten sich ein wenig, als sie den Stoff freigaben. Stille hatte sich über die Mädchen gelegt. Kiku nickte genauso stumm und hängte den Kleiderbügel über die nächstbeste Stange. Einen Moment verharrten beide Freundinnen noch in gedrücktem Schweigen.

Selbstverständlich wusste Kiku, wovon Taki sprach. Vor wenigen Monaten erst war Takis geliebte ältere Schwester Ryami ums Leben gekommen. Wochenlang hatte sich Taki daraufhin völlig gehen lassen und nicht die Kraft gefunden, auch nur das Haus zu verlassen. Dass Kiku sie heute zu einem Einkaufsbummel überreden konnte, grenzte fast an ein Wunder.

Doch beide Mädchen gaben sich alle erdenkliche Mühe, den Tag so zu genießen, wie sie ihre gemeinsame Zeit genossen hatten vor Ryamis Tod. Ganz verhindern konnten sie nicht, dass die dunklen Gedanken sie immer wieder einholten. Aber Taki lernte in den letzten Wochen, sie zurück zu kämpfen, so wie Kiku lernte wie sie ihrer Freundin eine Stütze sein konnte, indem sie einfach nur für sie da war. Wie leid Kiku ihre beste Freundin tat, sprachen nur ihre großen wasserblauen Augen aus. Hilflos und verlegen wanderten sie über Takis Silhouette als wollte ihr Blick sie tröstend streicheln.

Taki gab den Zalei die Schuld am Tod ihrer Schwester. So hatte sie sich auch vor Kiku zunächst völlig zurückgezogen. Kiku wusste nicht, ob Taki ihre Meinung inzwischen geändert hatte. Geändert hatte sie aber zumindest ihr Verhalten ihr gegenüber. Taki betrachtete Kiku immer noch – oder wieder – als ihre beste Freundin. Und auch mit Kikus Äffchen Jack ging sie um wie eh und eh. Vor ihrem Aufbruch in die Stadt hatte sie ihn sogar gekrault und ihn „süß“ genannt.

Schließlich löste sich Taki aus ihrer Starre. Sie seufzte leise und strich einige ihrer Haarsträhnen hinter ihr Ohr. Als sie Kiku wieder direkt ansah, schien sich ein angedeutetes Lächeln auf ihre Lippen gelegt zu haben.

„Wollen wir schauen, ob es die Bluse auch in Gelb gibt? Das würde dir gut stehen.“

„Waaas? Nie im Leben zieh ich irgendwas mit Blümchenmuster an!“ protestierte Kiku sofort.
 

Zwar war Lan aus der Haft entlassen worden und aus Mangel an Beweisen war nicht einmal eine Anklage gegen ihn erhoben worden. Aber dennoch war er gebrandmarkt als der vermeintliche Mörder von Mika Takano. Auch wenn es ihm niemand ins Gesicht sagte, so wusste Lan doch genau, was die anderen Zalei hinter seinem Rücken tuschelten. Er war derjenige, der sich bei jeder Gelegenheit mit Mika gestritten hatte. Und er war an diesem Abend im Ratsgebäude gewesen, um sich mit Mika zu treffen. Wenn man den Gerüchten traute, war Lan sein Mörder.

Nun hatte Lan nicht nur mit der Trauer um Mika zu kämpfen, den er trotz aller Streitigkeiten immer als Freund betrachtet hatte, sondern auch mit der Ächtung durch die anderen Zalei und die anderen Ratsmitglieder. Vor allem der Tierarzt Pierre beteuerte immer wieder „Isch wusste immer, dass er gefährlisch ist. Aber dass er so weit ge’en würde, ah non! Lan, ce salaud.“.

Lans Stand und sein Einfluss hatten erheblich gelitten. Immer noch war Lan der Zalei, der nach Meister Adoy und Taro Natsukori über die größte Kraft verfügte. Niemand hatte schneller als er die Ausbildung absolviert und die Prüfung abgelegt. Seit Jahren saß er im Zaleirat und vertrat dort entschlossen seine Meinung. Er war einer der geachtetsten, einflussreichsten Zalei des Landes gewesen. Aber mit seinem Ruf schwand nun auch seine Geltung.

Mehr als einmal hatte eine Argumentationskette in den Sitzungen des Rates mit einer Aussage geendet wie „Wenn wir dir widersprechen, bringst du uns dann auch um?“. Vorwürfe dieser Art waren wie Lanzenstiche direkt in Lans Herz. Tatsächlich war er meist nicht in der Lage, irgendetwas darauf zu erwidern. Einerseits aus Trauer um Mika, andererseits aber auch tatsächlich aus Schuldgefühl. Er war nicht Mikas Mörder, aber dennoch gab er sich einen Teil der Schuld an dessen Tod, nachdem er nicht schnell genug gewesen war, um ihm zu helfen. Wäre Ryu nicht gewesen, hätte ihre Sache keinen Fürsprecher mehr im Rat gehabt. Allerdings besaß Ryu bei weitem nicht den Einfluss, den Lan gehabt hatte.

Meister Adoys Plan, Lan mundtot zu machen, war also aufgegangen. Der alte Meister konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, als er den jungen Mann geknickt, blass und stumm in seinem Ratssessel kauern sah.
 

Wenn Meister Adoy glaubte, dass Lan nun aufgegeben hatte, irrte er sich jedoch. Auch um Mikas Willen war Lan fester entschlossen denn je, dem alten Meisterzalei das Handwerk zu legen. Inzwischen scheute er auch nicht mehr das Risiko, direkt in das Büro des alten Meisters einzubrechen. Lan hatte sich in den letzten Wochen mehrmals Zutritt verschafft, Unterlagen gesichtet und kopiert. Leider war bis dahin aber noch kein atemberaubender Fund darunter gewesen. Für diesen Nachmittag hatte er im Kalender des Meisters aber eine Notiz gefunden, die sein Interesse geweckt hatte. „17:30 Uhr, Frl. O.“ lautete sie.

Die Ratssitzung war bis 16:00 Uhr angesetzt. Da Lan sich wie in der letzten Zeit üblich zurückhielt und somit keine langen Debatten entstehen konnten, wurde sie sogar überpünktlich geschlossen. Während die meisten Ratsmitglieder plauderten oder sich noch zum Kaffee verabredeten, verließ Lan den Sitzungssaal allein, den Blick auf den Boden gesenkt. Ryu holte ihn in der Halle draußen ein, wollte ihn auch noch zu einem Kaffee überreden. Doch Lan winkte ab, gab sich erschöpft von den neuerlichen Vorwürfen gegen ihn, und sagte, er wolle einfach nach Hause.

„So geht das nicht weiter. Sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst. Wir brauchen dich. Die Zalei brauchen dich.“ Ryu legte eine Hand auf Lans Schulter und schüttelte ihn, als wolle er ihn wachrütteln. Tatsächlich warf er Lan, dem die Strapazen der letzten Zeit an jedem Zentimeter seines Körpers anzusehen waren, fast damit um.

„Lan, ernsthaft. Reiß dich zusammen.“

Nach einem kurzen Wortwechsel war Lan Ryu losgeworden. Die meisten anderen Zalei hatten das Ratsgebäude verlassen. Auch Lan war mit gesenktem Blick durch den Vorgarten geschlichen, durch das große Tor, den Weg entlang, der in die Stadt führte. Doch als er sich unbeobachtet gefühlt hatte, hatte er den Weg verlassen und war durch ein kleines Waldstück zurück zum Ratsgebäude geschlichen. Als er über die Mauer kletterte, bemerkte Lan erstmals, dass Ryu recht hatte. Er hatte sich wirklich zu sehr gehen lassen. Seine Muskeln begannen schon von dieser kleinen Anstrengung zu zittern. Gut, ab morgen würde er darauf achten, wieder vernünftig zu essen, genug zu schlafen und sich vielleicht sogar etwas zu bewegen.

Es war etwa zwanzig nach vier, als Lan unbemerkt wieder ins Ratsgebäude gelangte. Er hatte also noch etwas über eine Stunde Zeit, um sich unbemerkt in Adoys Büro zu schleichen. Leider war der alte Meister nämlich so misstrauisch, dass er für sich ein Büro beansprucht hatte, in dem er nicht belauscht werden konnte. Sein Büro lag am Ende des Ganges. Es gab keine Nebenzimmer, durch deren Wände man seine Gespräche mit anhören hätte können. Eine sehr schwere, massive Holztür führte direkt vom Gang in sein Büro, auch hier keine Chance für Lauscher, selbst wenn sie ihr Ohr direkt gegen das Holz pressten. Das Büro befand sich im zweiten Stock, weshalb er auch von Lauschern vor den Fenstern sicher war. Wenn Lan also wissen wollte, was es mit dem Termin des alten Meisters auf sich hatte, so musste er direkt in das Büro selbst gelangen.

Das Problem war nur, dass der Meister sein Büro so selten wie möglich verließ. Und selbst wenn er selbst gerade nicht dort war, ließ er meistens seine Schildkröte Schnappi zurück. Einerseits war das Tier nun so schlau, dass Lan ihm zutraute, ihn zu verraten. Andererseits war Meister Adoy eben ein Meisterzalei und Lan konnte nie sicher sein, ob er es mit Schnappi oder Adoy selbst zu tun hatte.

Kurz nach fünf verließ der alte Meister aber zu Lans Glück sein Büro und trug dabei seine Schildkröte auf dem Arm.

Für den Meister unsichtbar schlüpfte Lan blitzschnell durch die schwere Tür, bevor diese ins Schloss fiel. Nach einem kurzen Blick in alle Richtungen versteckte er sich in einem Schrank, der hinter der Tür stand. Neben ein paar kleineren Schachteln hing in diesem nur der Mantel des Meisters, so dass Lan noch genug Platz fand. Er hatte den Schlüssel abgezogen, damit er durch das Schlüsselloch ins Rauminnere sehen konnte, wenn er sich hinkniete. Zugegeben, bequem war es definitiv nicht und Lans Knie brannten schon nach wenigen Minuten, so dass er hoffte, Adoy und sein Besuch würden sich kurz fassen. Alternativ hätte er sich auch hinter den schweren Vorhängen verstecken können. Aber dort würde er entdeckt werden, sobald einer der Anwesenden auf die Idee kam, aus dem Fenster zu sehen. Außerdem könnte er von dort aus nicht ungesehen in den Raum lugen.

Nach wenigen Minuten kehrte Adoy in sein Büro zurück und nahm an dem schweren Schreibtisch Platz. Sein Besuch war pünktlich. Genau um 17:30 Uhr klopfte es und die Tür wurde nach einem knappen „Herein!“ geöffnet.
 

Zwei Personen traten ein, eine Frau und ein junger Mann. Lan konnte sie zunächst nur von hinten sehen, doch schon Adoys Begrüßung „Guten Abend, Miss. Eine Freude, sie dürfen zu begrüßen.“ verriet Lan die Identität der Frau. Letzte Zweifel wichen, als sie und ihr Begleiter auf zwei Stühlen vor dem Schreibtisch Platz nahmen und sich in Adoys Büro umsahen. Lan kannte sie beide. Und beider Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube für ihn.

Die Frau mit dem lockigen Haar war Miss Obscura. Keine andere Miss als die, die die Organisation K.R.O.S.S. leitete. Lan hatte sie gesehen, als er in ihr Büro eingebrochen war, um einen Brief zu stehlen.

Damals hatte Adoy Ryami und ihn beauftragt, zu beobachten wie ein Bote der Miss einen Brief übergab. Sie sollten später nur berichten, ob die Übergabe stattgefunden hatte. Da Lan dies nicht ausgereicht hatte, hatte er sich den Brief geholt. Gesprochen hatte er bis dahin nur mit Ryu und Taro darüber. Tatsächlich war der Inhalt des Briefs hoch brisant gewesen und der Auslöser für ihre konspirative Runde.

Denn dieser Brief war von Adoy selbst verfasst worden. Er enthielt die Zusage, K.R.O.S.S. bei der Erforschung der Zalei-Fähigkeiten zu unterstützen. Wie diese Forschungen oder die Unterstützung aussahen, blieb allerdings unerwähnt. Aus dem Brief ging auch nicht genau hervor, ob K.R.O.S.S. diese Forschungen im Auftrag des Rats betrieben, oder ob sie dabei lediglich mit dem Rat zusammenarbeiteten. Die Szene, die sich Lan hier in Adoys Büro bot, deutete eher auf Ersteres hin. Fest stand auf jeden Fall, dass beide Organisationen gemeinsame Sache machten. Genau deshalb hatte der Auftrag ausdrücklich gelautet, nicht den Inhalt des Briefes zu erlangen. Pech, dass Lan einfach zu neugierig gewesen war.

Der junge Mann in Meister Adoys Büro war derselbe, den Lan im Restaurant ‚San Gabriela‘ bei einem Treffen mit einem Stadtratsmitglied beschattet hatte. Es war der junge Mann, der Ryami erschossen hatte.

Lan musste sich mit der Hand an der Seite des Schrankes abstützen, um nicht umzukippen. Für einen Moment war mit dem Schreck die ganze Kraft aus seinem Körper gewichen. Aber nachdem er ein paarmal ruhig und tief durchgeatmet hatte, hatte er sich wieder im Griff.

„Die Miss lässt Ihnen ausrichten, dass K.R.O.S.S. mit seinen Forschungen dank Ihrer Unterstützung beträchtliche Fortschritte gemacht hat.“ Lan hörte förmlich das Lächeln in der Stimme des jungen Mannes. Die Frau nickte zustimmend.

„Das zu hören mich freut. Ihre Informationen auch sehr nützlich waren für uns.“

„Die Miss“ ergriff nun die Frau das Wort „ bittet Sie um eine Versuchsperson. Sie steht kurz vor dem Durchbruch in einer Sache. Sie sagte, Sie würden wissen in welcher.“

‚Moment!‘ erschrak Lan innerlich ‚Diese Frau da ist nicht die Miss?! Aber wer dann?‘

„Natürlich, ich weiß. Eine Person ich werde Ihnen vermitteln. Hat Präferenzen die Miss?“

„Nein, nein. Irgendein Zalei, wer ist völlig egal. Jemand, auf den Sie unter Umständen auch verzichten können. Es wäre sehr schön, wenn Sie die Person schon in den nächsten Tagen vorbei schicken könnten.“

Adoy nickte. Auf seinem Gesicht lag ein eiskaltes Grinsen, das Lan einen Schauer über den Rücken jagte. Die drei unterhielten sich über einen Menschen wie über eine Warensendung. Und Lan konnte sich mit seinem Wissen über K.R.O.S.S. nur zu gut ausmalen, was für ein Schicksal diesen Menschen erwartete. Forschungen von K.R.O.S.S. bedeuteten in der Regel skrupellose Experimente.

Die beiden Besucher bereiteten sich schon aufs Gehen vor. Sie erhoben sich und verabschiedeten sich mit einem Handschlag vom alten Meister. Doch dann signalisierte der junge Mann von K.R.O.S.S. in großer Geste, dass ihm noch etwas eingefallen war.

„Ach ja! Unser Informant hat uns letzte Woche noch eine sehr interessante Neuigkeit zugeflüstert. Dieser Schüler, über den wir vor einer Weile gesprochen haben, dessen Berichte gefälscht waren… Sie erinnern sich?“

„Kei Chiharu.“

„Ja, richtig. Das war sein Name. Nun, er ist durch die Prüfung gefallen, wie ich gehört habe.“

„Das sein richtig. Durchgefallen er ist mit Trompeten und Pauken.“

„Unerwartet, nehme ich an.“

„Allerdings.“

„Dann wird sie bestimmt interessieren, dass er absichtlich durchgefallen ist. Sein Lehrer hat ihn dazu angestiftet, wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben. Ach, wie war doch der Name…?“

„Yuki Natsukori.“

„Ja, richtig. Natsukori… Immer wieder Natsukori.“

„In der Tat. Das also dahinter steckt. Natsukori, diese Familie langsam wird lästig.“
 

Ein Informant!

K.R.O.S.S. hat einen Informanten, der ihnen Neuigkeiten aus der WG zukommen ließ. Er hatte ihnen wohl verraten, dass Yukis Berichte gefälscht waren und nun auch, dass Kei absichtlich durchgefallen war. Vielleicht hatte K.R.O.S.S. damals vor sieben Monaten auch durch diesen Informanten überhaupt erst von Keis Ausbildungsbeginn erfahren. Lan wusste von Ryu, dass Kei einen Brief von ihnen erhalten hatte, als er kaum ein paar Tage in die WG eingezogen war.

Von diesem Informanten hatten der Rat und K.R.O.S.S. vermutlich auch von Taros, Ryus und Lans Verschwörung erfahren, noch am selben Tag, an dem sie ihre ersten Artikel auf der Homepage veröffentlicht hatten.

Es gab einen Informanten. Aber wen?

Yuki und Kei würden sich nicht selbst an K.R.O.S.S. und den Rat verraten, immerhin waren sie dafür bestraft worden. Kiku war nur eine Schülerin und hatte wenig Einblick, vor allem auch weil ihr Lehrer Ryu sie aus allem heraushalten wollte. Unwillkürlich fiel Lan sofort Ryus Gleichgültigkeit ein. Er war am Abend von Keis Prüfung als einziger nicht in Feierlaune gewesen. Er hatte mehr als eiskalt reagiert, als Lan ihm gegenüber seine Sorge um Taro erwähnt hatte. Sowohl am Tag der Abstimmung über Keis Prüfung im Rat, als auch am Abend der Prüfung selbst, war Ryu nicht weiter darauf eingegangen. Er schien sogar fast sauer, dass Lan ihn auf den abgebrochenen Kontakt ansprach. War Ryu der Informant?

Ryu war Lans bester Freund und seit Jahren sein Komplize gegen die Missstände im Rat. Allein der Gedanke, dass Ryu ein Verräter sein könnte, zog Lan fast den Boden unter den Füßen weg. Er hatte ihm vertraut wie keinem anderen. Und ausgerechnet jetzt war Taro wie vom Erdboden verschluckt. War Lan nun wieder ganz auf sich allein gestellt, so wie damals vor drei Jahren, als seine erste Rebellion gegen den Rat so katastrophal gescheitert war? Damals hatte er schon einmal einen Freund verloren: Pierre. Würde sich das alles nun wiederholen?
 

Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden, als Kei nach Hause kam. Nun ja, es war Januar und die Tage hatten erst vor Kurzem begonnen, wieder länger zu werden. Die nächtliche Dunkelheit selbst war also kein Anlass für ein schlechtes Gewissen, wohl aber ein Blick auf die Uhr. Trotzdem hielten sich Keis Schuldgefühle in Grenzen, Yuki musste sich ohnehin schon daran gewöhnt haben, dass seine Besuche bei Atari meistens ausuferten.

Zu Hause angekommen ließ Kei Robin von der Leine, der schon ganz automatisch selbstständig die Stufen in den ersten Stock und in Keis Zimmer hinauflief. Der Fuchs hatte auf dem Heimweg ein bisschen in den Schneeresten herumgetobt, die dem Tauwetter der letzten Tage noch trotzten. Mit etwas Glück war er dadurch müde genug, um die Nacht ruhig in seinem Körbchen zu verbringen, hoffte Kei.

„Bin wieder da!“ rief Kei, erhielt jedoch keine Antwort.

Sonst begrüßte Yuki seinen Schüler immer und erkundigte sich, ob irgendetwas vorgefallen war. Auch nach acht Monaten machte er sich immer noch Sorgen, wenn Kei alleine war, obwohl er sich sichtlich Mühe gab, Kei dadurch nicht einzuschränken. Kei vermutete, dass der Schreck von seinem ungewollten Körpertausch im Cardinal immer noch tief saß. Dabei hatte er sich und Robin inzwischen eigentlich ziemlich gut unter Kontrolle, wie er selbst fand. Ohne sich selbst loben zu wollen… na ja… doch, eigentlich schon, um sich selbst zu loben.

Schwaches Licht drang in einem schmalen Trichter durch die Küche und das Esszimmer bis in den Gang. Als Kei sich umsah, bemerkte er ein flackerndes Licht auf der Terrasse. Kei zuckte mit den Schultern und trat durch das Esszimmer und die Küche an die Terrassentür. Dort draußen erkannte er in einer brennenden Kerze die Lichtquelle. Und er fand seinen Lehrer.

Yuki saß auf einem der Terrassenstühle, eingepackt in seine Winterjacke. Auf seinem Schoß lag ein gefaltetes Handtuch, das er mit beiden Händen hielt. Er lächelte leicht und schien irgendetwas vor sich hin zu sprechen. Kei wunderte sich zunächst über die merkwürdige Szene. Dann bewegte sich jedoch etwas in dem Handtuch und wenig später flatterte Yukis Fledermaus Minuit heraus. Ihr schneeweißer Körper verschwand mit schnellen Flügelschlägen im Dunkel der Nacht.

Kei öffnete die Terrassentür und trat heraus.

„Bin wieder da.“

„Willkommen zurück.“ lächelte Yuki.

„Was machst du denn so spät hier draußen?“

„Minuit muss ein bisschen fliegen.“

Kei zog einen zweiten Stuhl heran und setzte sich. Über Winter hatten sie die Stühle ganz an die Hausmauer geschoben und die Polster im Keller verstaut. Kei hatte sich ohnehin schon gewundert, warum einer der Stühle meistens vorne stand. Yuki musste dieses abendliche Ritual schon seit längerem betreiben.
 

Nach ein paar Minuten erkannte Kei Minuit, die fast aus derselben Richtung auf die zugeflattert kam, in die Sie verschwunden war. Sie landete direkt in dem Handtuch auf Yukis Schoß. Der schlug den Stoff einmal um sie und hielt ihn mit einer Hand auf jeder Seite. Ganz sanft und vorsichtig streichelte er mit den Fingerspitzen den kleinen Körper, der sich unter dem Handtuch bewegte.

„Eigentlich halten Fledermäuse Winterschlaf. Minuit hat sich aber inzwischen so sehr meinem Rhythmus angepasst, dass sie seit einigen Jahren drauf verzichtet.“

„Und das macht ihr nichts aus?“

„Doch, schon ein bisschen. Wenn sie wach ist, muss sie auch fliegen, damit ihre Muskeln stark bleiben. Aber ihr ist es viel zu kalt." lachte Yuki „Deswegen fliegt sie immer nur kleine Runden und muss sich dann aufwärmen.“

„Warum lässt du sie nicht einfach im Haus fliegen?“

„Weil dort zu wenig Platz ist. Sogar der lange Gang im ersten Stock hat keine zehn Meter. So was durchfliegt sie mit zwei Flügelschlägen.“

„Ach so.“

Kei sah auf den kleinen Körper unter dem Handtuch, der sich hin und her bewegte. Minuit lugte kurz aus dem Stoff und sah sich um. Sie beschloss aber wohl, dass sie sich noch nicht genug gewärmt hatte, und zog ihren Kopf wieder zurück. Yuki streichelte sie weiter, als wolle er sie damit schonend warmreiben.

„Ich weiß, es ist kalt. Aber in ein paar Wochen ist wieder Frühling.“ tröstete er seinen Carn.

Dann entschloss sich Minuit nach einem erneuten Probeblick in den Garten doch noch zu einer weiteren Runde. Sie krabbelte aus dem Handtuch, das Yuki nun ein Stückchen hoch hielt, breitete ihre Flügel aus und flatterte davon. Erneut verschwand sie als kleiner weißer Punkt zwischen den Sternen am Nachthimmel. Kei und Yuki sahen ihr beide einen Moment nach. Dann faltete Yuki das Handtuch neu für Minuits Rückkehr und breitete es auf seinen Knien für sie aus.

Auch Yuki war kalt. Kei bemerkte erst jetzt, dass seine Fingerknöchel gerötet waren. Yuki rieb seine Hände gegen einander, hauchte sie an und steckte sie in seine Jackentaschen, bevor er den Blick wieder in den Himmel richtete.

„Hast du keine Handschuhe?“

„Doch, natürlich. Aber das funktioniert nicht mit Handschuhen.“ deutete er auf das Handtuch.

Kei selbst hatte seine Jacke nach seiner Heimkehr noch nicht ausgezogen und ebenfalls bis jetzt seine Hände in den Taschen gehalten. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Yuki frieren musste. Wie lange er wohl schon hier draußen saß?

„Gib mir mal deine Hände!“ forderte Kei Yuki schließlich auf. Yuki sah ihn nur fragend an.

„Gib mir deine Hände!“ wiederholte Kei mit einem etwas verlegenen Lächeln. Als Yuki ihm nach der zweiten Aufforderung immer noch nicht gehorchte, griff Kei einfach eigenmächtig nach dessen rechtem Ärmel.

„Was ist denn?“ wunderte sich Yuki, als Kei seinen Arm und seine Hand zu sich zog.

Mit beiden Händen hielt Kei Yukis Hand fest. Yukis Finger waren inzwischen so steif gefroren, dass er sich weder befreien, noch Keis Händedruck erwidern konnte. Keis Hände dagegen waren wohlig warm. Wo sie Yukis Hand berührten, schienen sie die Kältestarre zu lösen. Mit einem angenehmen Kribbeln kehrte die Wärme langsam in Yukis Hand zurück.

„Du bist echt kalt zu mir!“ lachte Kei.

Hätten Yukis Wangen nicht aufgrund der Kälte ohnehin schon einen sanften Rotton angenommen, so wäre es spätestens jetzt passiert. Kei hielt seine Hand. Es war nur eine unverfängliche Geste, um ihn zu wärmen, und es war nicht die intimste Berührung, die die beiden je geteilt hätten. Aber die Berührung ging tatsächlich von Kei aus und das machte sie zu etwas ganz besonderem.

Als Yukis Hand zumindest so weit aufgetaut war, dass er seine Finger wieder bewegen konnte, schloss er diese nach kurzem Zögern um Keis. Kein fester Händedruck, aber fest genug, dass Kei die Botschaft verstand. Das freche Grinsen auf seinem Gesicht wich langsam einem schüchternen Lächeln, als er den Blick auf ihre Hände senkte.

Yuki konnte in Keis Gesichtsausdruck fast haargenau den Augenblick erkennen, in dem ihm bewusst wurde, dass sie gerade Händchen hielten. Doch Kei zog seine Hände nicht zurück, lächelte weiter. Yuki beschloss, mutig sein Glück herauszufordern und löste ganz langsam für einen Moment seine Hand aus Keis, nur um kurz darauf ebenso langsam seine Finger mit denen von Keis linker Hand zu verhaken.

Kei ließ es zu. Mehr noch, seine Hand kam Yukis sogar entgegen. Für einen Moment beobachtete Kei ihre Hände ohne ein Wort, ohne eine Regung. Erst als Yukis Daumen sanft über den seinen fuhr, erwachte er aus seiner Starre und sah auf. Seine grünen Augen trafen Yukis. Jetzt erst fiel Yuki auf, dass sich auf Keis Wangen ebenfalls ein zarter Hauch von Rosa gelegt hatte, der nicht von der Kälte herrührte. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er mit seiner freien Hand über Keis Wange strich. Keis Haut war kalt von der Kälte und doch gleichzeitig warm, wo sich die Röte auf sie gelegt hatte.

Kei hatte für den Bruchteil einer Sekunde gezögert, ob er die Berührung erlauben sollte. Mit großen Augen hatte er auf Yukis Hand geblickt. Doch als sein Blick zu Yukis Augen zurückkehrte, signalisierte er sein Einverständnis. Yuki zog seine Hand nicht zurück, sondern fuhr langsam ein weiteres und ein weiteres Mal über Keis Wange. Gerade weil seine Hand so steif gefroren war, kam ihm Keis Haut unendlich weich vor. Schließlich legte sich Keis freie rechte Hand über Yukis und umfing sie auf seiner Wange. Wieder spürte Yuki dieses Kribbeln, als sich die Wärme von Keis Hand auf die seine übertrug.
 

Einige Augenblicke vergingen. Keiner von beiden wagte es, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, fast als hätte die kleinste Bewegung den magischen Moment zerstören können. Sie saßen sich gegenüber und hielten ihre Hände, die einen über ihren Knien, die anderen über Keis Wange, und sahen einander in die Augen. Wie eine Ewigkeit kamen ihnen diese wenigen Augenblicke vor. Nur langsam lösten sie sich schließlich doch aus der Starre, in die sie mit beiderseitigem Einverständnis verfallen waren.

Wer den ersten Schritt machte, konnte keiner von beiden später sagen. Irgendwie wanderte Yukis Hand ganz langsam Keis Wange hinunter, über seinen Hals bis hinter seinen Nacken. Gleichzeitig glitt Keis Hand Yukis Arm hinunter und folgte diesem bis sie auf seiner Schulter zum Halten kam. Kei fühlte wie Yukis Hand ihn mit sanftem Druck nach vorne zog. Er gab ohne Widerstand nach. Ein paarmal blinzelte er noch, bevor er schließlich die Augen schloss. Nur kurz darauf konnte er Yukis Atem warm über seinen Lippen fühlen.

In diesem Moment war jeder Gedanke an ein ‚Ja, Nein oder Vielleicht‘ ebenso aus Keis Kopf verschwunden wie die Frage, ob und wie er sich eine Zukunft mit Yuki vorstellen konnte. In diesem Moment zählte für Kei nur der Moment selbst. Er mochte die Berührungen von Yukis Händen, wie er ihn ansah, wie Yuki vorsichtig, aber doch bestimmt die nächsten Schritte machte, seinen Atem auf seiner Haut, das Herzklopfen und Kribbeln in seiner Gegenwart. In diesem Moment hätte Kei Yuki geküsst.

Aber dazu kam es nicht mehr. Nur auf einander konzentriert, hatten sie Minuits Rückkehr überhaupt nicht bemerkt. Erst als die Fledermaus auf dem Handtuch landete, erschrak Yuki und löste sich von Kei. Dadurch wiederum erschrak auch Kei und wich zurück. So schnell war der Moment dahin.

Yuki hatte seine Hände nun doch von Kei zurückgezogen und schlug das Handtuch über Minuit zusammen, um sie zuzudecken.

„Tut mir leid… Das reicht Minuit für heute. Lass uns rein gehen.“ schlug er mit einem verlegenen Lächeln vor und stand auf.

Kei nickte, nun mit glühenden Wangen, und pustete die Kerze aus.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  2mal3
2013-08-11T11:14:51+00:00 11.08.2013 13:14
oh mein gott, das ende von diesem kapitel ist ja sowas von süß *-*


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