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Snowdrops and Chocolate

Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi
von

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Kugeln und Gifte

Kapitel 26 – Kugeln und Gifte
 

„D-D-Du…?“ stammelte Kei.

Die beiden Mitarbeiter von K.R.O.S.S., die eben noch ihre Pistolen auf Yuki, Kiku, Ryu und Kei gerichtet hatten, waren plötzlich leblos in der Eingangshalle zusammengebrochen. Gerade als Kei geglaubt hatte, er würde Yuki gleich für immer verlieren, hatten merkwürdige Pfeile die beiden Angreifer außer Gefecht gesetzt. Kurz bevor dieses Wunder geschehen war, hatte Kei ein leises Flirren in der Luft gehört. Nach dessen Ursache hatte er sich umgesehen, sobald er mit Erleichterung registriert hatte, dass das Leben seines Freundes – zumindest vorerst – gerettet war.

Niemand anders als ausgerechnet Pierre, Meister Adoys rechte Hand, hatte ihm das Leben gerettet. In langsamer Bewegung senkte er den Stab, über den sich Kei schon vorhin gewundert hatte, von seinem Mund. Jetzt erkannte Kei den Stab als Blasrohr. Es war eines dieser Blasrohre, von denen er aus Tiersendungen wusste, dass Tierärzte mit ihnen Spritzen und Betäubungspfeile auf wilde Tiere schossen.

Aber warum hatte Pierre die Leute von K.R.O.S.S. angegriffen? Sie standen doch auf derselben Seite, dachte Kei. Oder hatte sich das Blatt nun gewendet, da er erfahren hatte, dass K.R.O.S.S. keine Befehle von Meister Adoy entgegennahm?
 

„Hast du sie umgebracht?“ fragte Ryu mit leisem, aber entschlossenem Ton.

Ryu und Kiku waren inzwischen beide wieder in ihre eigenen Körper zurückgekehrt. Gegen Kikus Protest hatte Ryu sich mit einiger Mühe aufgesetzt. Seine Miene war jedoch schmerzverzerrt. Noch immer presste Kiku besorgt ihre zusammengerollte Jeansjacke auf die Schussverletzung an Ryus rechter Seite.

„Ah non alors! Es waren nur Betäubungspfeile. Die beiden werden für die nächsten drei bis vier Stunden schlafen. Isch weiß wirklisch nischt wie oft isch noch sagen soll, dass isch niemanden umbringen könnte.“

„Langsam widersprichst du dir, Pierre. Du hast doch vorhin selbst gesagt, dass du Lan umbringen wolltest.“

Für einen Augenblick senkte Pierre nachdenklich den Blick. Mit dem Blasrohr in seiner Hand tippte er gedankenverloren gegen seinen Stiefel. Dann fing er an, leise zu lachen.

„Ah oui… Lan, das ist etwas anderes… Übrigens ist mir eingefallen, dass isch vor’in komische Geräusche aus dem ersten Stock ge‘ört habe, als isch draußen gewartet ‘abe. Möglischerweise war es Lans Büro, denn das Fenster dort zeigt fast direkt ‘inaus auf den Vorgarten. Wenn ihr die reschte Seite der Treppe ‘hinauf geht, ist es die vierte Tür auf der Stirnseite.“

„Was hast du gehört?“

„Kann isch nischt sagen. Maschinen und Stimmen. Isch weiß es nischt. Vielleischt irre isch misch auch und es waren nur ‘andwerker. Zu diesem Zeitpunkt wusste isch auch weder, dass es Lans Büro sein könnte, noch dass Lan verschwunden ist. Des’alb ‘ab isch mir nischts weiter gedacht.“

Kei hätte nicht gezögert, sofort die Treppe hinaufzurennen, auch wenn ihn ein bisschen abschreckte, dass er dabei erst über die gruselig züngelnde Antoinette und dann auch noch über den betäubten Suzumaru steigen musste. Er wäre sofort Pierres Hinweis gefolgt und hätte Lan gesucht. Aber Ryu kam Pierres unerwarteter Sinneswandel mehr als verdächtig vor.

„Warum erzählst du uns das? Willst du plötzlich die Fronten wechseln oder so?“

„Non, keine Sorge. Isch wechsel nischt die Fronten. Isch bin sehr treu.“

„Warum du ihnen dann hilfst? Lan und Ryu, sie wollten mich anklagen. Hast du schon vergessen? Sie der Feind sind!“

Der alte Meisterzalei Adoy wurde langsam von den Ereignissen überrollt. Er war ebenso wütend wie verunsichert. Vor wenigen Augenblicken hatte er erfahren, dass die Organisation, von der er geglaubt hatte, sie zu kommandieren, ihn die ganze Zeit nur benutzt hatte. Der kleine Trost war ihm noch geblieben, dass sie wenigstens ihre Feinde, die auch die seinen waren, auslöschen wollte.

Aber ausgerechnet Pierre, der ihm seit Jahren treu und ergeben zur Seite gestanden hatte, verhinderte nun auch noch das. Er half seinen Feinden jetzt anscheinend sogar auch noch, Lan zu retten. Warum nur? Gerade Pierre war es doch, der Lan die ganze Zeit über lieber heute als morgen tot sehen wollte.
 

„Oh, Maître! Isch ‘asse es, aber isch muss Suzumaru rescht geben. Sie sind wirklisch schwer von Begriff. Isch ‘abe nischt die Fronten gewechselt, weil isch die ganze Zeit auf Lans und Ryus Seite stand.“

„Was?! A-Aber euer Streit…? Lan deine Hilfe vor drei Jahren hat missbraucht. Ihr so heftig habt gestritten, dass umbringen du ihn wolltest.“

Pierre musste fast lachen, als er weitersprach.

„Bin isch wirklisch so ein guter Schauspieler…? Eh bon, isch erzähle euch wie es wirklisch war. Vor drei Jahren ‘at Lan gegen Sie ermittelt, weil er zufällig auf ein paar Ungereimt’eiten gestoßen ist. Sie ‘aben ihn erwischt und gedroht, ihn ‘art zu bestrafen. Was Sie dabei nischt wussten, Maître, ist dass er nischt allein war. Isch war es sogar, der Lan auf diese Ungereimt’eiten aufmerksam gemascht ‘atte. Mais Lan ‘at misch nischt verraten und war bereit, die Strafe allein zu tragen. Isch ‘abe misch nischt nur aus purer Menschenliebe eingesetzt, um ihm seine Strafe zu ersparen. Isch ‘atte ein unendlisch schleschtes Gewissen.“

„D-das ich nicht glaube… Und das ich auch nicht verstehe. Warum dann euer Streit? Und warum wolltet ihr umbringen euch?“

„Mon dieu… Es gab keinen Streit.“

„Keinen Streit?!“ rief Kei überrascht aus.

Den berühmten, ewigen Streit zwischen Lan und Pierre hatte er bei allen schockierenden Entwicklungen und Enthüllungen der letzten Zeit noch als eine der wenigen verlässlichen Tatsachen auf dieser Welt angesehen. Immer mehr geriet sein Weltbild ins Wanken.

„Wirklisch nischt. Wir ‘aben uns nie gestritten. Das war alles Teil des Plans.“

„Was für ein Plan?“ wollte nun auch Ryu wissen.

„Vor drei Jahren ‘aben wir gemerkt, dass wir die Ge’eimnisse des Maître nischt einfach so aufdecken können. Also ‘aben wir uns einen Plan ausgedascht. Lan würde weiter’in offen gegen Maître Adoy vorge’en, während isch ihn als seine reschte ‘and ausspioniere. Lan ‘at nischt nur Informationen gesammelt, sondern Adoy auch die ganze Zeit von mir abgelenkt. Und durch unsere Feindschaft konnte isch Adoy gleischzeitig meine Treue beweisen.“

Der alte Meisterzalei zitterte am ganzen Leib. Sein Gesicht sah blass und eingefallen aus. Seine Kraft drohte, ihn langsam endgültig zu verlassen. Schließlich konnte er nicht einmal mehr seine Schildkröte festhalten. Unsanft fiel das alte Tier auf die Fliesen der Halle.

„Unmöglich…“ murmelte der alte Meister entsetzt.

„Himmel, ich hab nie an eurem Streit gezweifelt. Jeder von euch hat sich ständig bei mir über den anderen ausgelassen.“ Ryu schüttelte ungläubig den Kopf.

„Oui, oui. Tut mir leid, dass wir disch da ein bisschen ausgenützt ‘aben… Es war ein grandioser Plan. Aber seit einer Weile ‘atte Lan wohl Zweifel… oder er ‘at misch einfach vermisst, keine Ahnung. Isch ‘atte Angst, dass er alles auffliegen lässt, wenn er so ‘artnäckig versuscht, misch zu se’en.“

„Ihr aber doch letzte Woche habt euch gesehen. Und fast umgebracht euch gegenseitig.“ wandte der alte Meister ein.

„Das stimmt. Als ich Lan gefunden hab, war er übel zugerichtet.“ überlegte Ryu.

„Naturellement! Es wäre dem Maître mehr als verdäschtig vorgekommen, ‘ätte isch den angeblisch lang ersehnten Mordauftrag an Lan abgelehnt. Es ‘at uns beiden keinen Spaß gemacht, wirklisch nischt. Aber wenn wir beide gar nischt oder nur leischt verletzt ‘ervor gegangen wären, wäre unser Plan sofort aufgeflogen. Genau des’alb ‘aben wir ja auch vor drei Jahren vereinbart, uns über‘aupt nischt mehr zu se’en, bis alles vorbei ist.“

„Ihr seid echt irre…“

Jeder der Anwesenden überlegte, ob Ryu damit ‚irre‘ im Sinne von ‚unglaublich, toll, umwerfend‘ oder ‚übergeschnappt, wahnsinnig, total gestört‘ meinte. Vielleicht wusste er es selbst auch nicht so genau.
 

Für kurze Zeit folgten seiner Feststellung auf jeden Fall keine weiteren Worte mehr. Doch dann glaubte der Meister, einen letzten Versuch starten zu können, Pierre doch noch auf seine Seite zu ziehen.

„Was mit dem Rat ist? Du weißt, dass nicht die Kontrolle des Rates abschaffen Lan darf. Denk an deinen toten Bruder!“

„Oh, Maître…“ Pierre seufzte und warf theatralisch sein Haar zurück. „Isch ‘abe nie erwähnt, dass isch Einzelkind bin? Das war doch nur eine meiner Lügen, um Ihr Vertrauen zu gewinnen. Und im Übrigen ging es uns nie darum, den Rat komplett abzuschaffen – nur Sie!“

Dieser Satz war wohl der verbale Todesstoß für den alten Zaleimeister. Er musste letztendlich einsehen, dass niemand mehr auf seiner Seite stand. Viel schlimmer sogar! Es hatte überhaupt nie jemand auf seiner Seite gestanden.
 

Pierre bedeutete den anderen mit einer Geste, ihm in den ersten Stock zu folgen. Sie hatten schon genug Zeit mit langen Erklärungen verschwendet. Wenn seine Vermutung richtig war, brauchte Lan wahrscheinlich ihre Hilfe.

Doch Pierre war erst ein paar Schritte weit gekommen, als ihm noch etwas einfiel und er sich erneut an Ryu wandte.

„Die Beweise, die eusch vor’in in der Sitzung gefehlt ‘aben, die ‘abe isch. Dokumente, Briefe, Statistiken, Fotos, Gegenstände, Filme, Tonbandmitschnitte,… Isch ‘abe praktisch jedes Gespräsch mit dem Maître aufgezeischnet. Und als sein Vertrauter ‘atte isch Zugang zu allen Unterlagen. Damit sollte es kein Problem sein, alle eure Anträge durschzusetzen… Ah oui, isch ‘abe vor‘in gelauscht. Ha ha.“

„Warum hast du dann vorhin nichts gesagt?“ Entgegen Pierres Erwartung reagierte Ryu fast schon wütend auf diese gute Neuigkeit. „Wieso hast du vorhin nicht gleich ausgepackt? Dann wäre der ganze Albtraum jetzt schon vorbei!“

„Weil ihr Jungspunde viel zu voreilig wart mit eurer Anklage! Natürlisch ‘abt ihr rescht mit allen Be’auptungen, und isch kann sie beweisen. Isch könnte sogar noch so einige Punkte ‘inzufügen. Aber vom wirklischen Ver’ältnis zwischen dem Maître und K.R.O.S.S. ‘aben wir ALLE erst jetzt erfahren. Und wer sisch ‘inter der Miss verbirgt, die anscheinend alle Fäden in der ‘and ‘ält, wissen wir sogar jetzt noch nischt. Genauso ist immer noch völlig unklar, welsche Ziele K.R.O.S.S. eigentlisch verfolgt. Was also ‘ätte es uns genützt, Adoy abzusetzen, wenn der größere Feind unbeirrt weitermacht? Ihr ‘abt es einfach überstürzt.“

Ryu knirschte missmutig. Leider, leider hatte Pierre absolut recht. Lan und er waren so fixiert auf Adoys Rolle gewesen, dass sie den Blick fürs Wesentliche verloren hatten.

Über ihr großes Ziel, Adoy abzusetzen und den Rat zu reformieren, hatten sie K.R.O.S.S. fast vergessen. Oder eher gesagt, sie hatten blauäugig angenommen, dass sich das Problem mit K.R.O.S.S. von allein lösen würde, sobald Adoy diesen keine Anweisungen mehr erteilen konnte.

Jetzt wussten sie nicht nur, dass eigentlich nicht Adoy, sondern K.R.O.S.S. der Kern des Problems war. Im Kampf gegen Adoy hatten Ryu und Lan Unmengen an Informationen zusammengetragen, um jede kleinste seiner Machenschaften aufdecken zu können. Alle seine Taten und seine Motive hatten sie offengelegt. Aber genau diese Waffen, die sie gegen Adoy geschmiedet hatten, fehlten ihnen im Kampf gegen K.R.O.S.S.. Ryu musste sich eingestehen, dass sie nicht das Geringste über die Organisation wussten. Sie kannten gerade einmal zwei der Mitarbeiter und nur Gerüchte über ihre Forschungen. Sowohl die Leiterin – falls sie überhaupt weiblich war – als auch die Ziele der Organisation lagen völlig im Dunkeln. Nun war genau der Fall eingetreten, den Ryu und Lan immer vermeiden wollten: Sie standen einem absolut unbekannten Feind gegenüber.

Was führte K.R.O.S.S. im Schilde? Wer oder was war K.R.O.S.S. überhaupt?
 

„Das noch nicht das Ende ist! Der stärkste und erfahrenste Zalei das ich bin. Keiner über größere Macht verfügt und kein Wort hat mehr Gewicht als meines. Viele Feinde angelegt sich haben mit mir in vielen Jahren, aber alle gescheitert sind sie. Immer triumphiert, das habe ich. Euch alle werde ich vernichten! Alle!“

Der alte Meisterzalei war zugleich kreidebleich vor Schreck und puterrot vor Wut. Er hatte beide Hände zu Fäusten geballt und hielt sie drohend vor seinen Körper. Seine Füße standen auf Schulterbreite auseinander. Zwischen ihnen flatterte der Saum seines weiten Gewands im Takt seines Zitterns. Am ganzen Körper zitterte der alte Mann wie Espenlaub.

Glaubte er ernsthaft, dass er noch irgendjemanden einschüchtern konnte? Fast schon mitleidig sahen alle Anwesenden ihn an.

Aus heiterem Himmel erschallte ein Schuss.

Das Geschoss traf den Meister zielsicher genau in der Brust. Kei bemerkte, dass es den Pfeilen aus Pierres Blasrohr gar nicht unähnlich war. Dieses Geschoss war jedoch ein gutes Stück kleiner und hatte keine Federn an seinem Ende.

Wie in Zeitlupe legte der alte Meister den Kopf in den Nacken. Gleichzeitig schlossen sich seine Lider. Dann fiel er langsam hinten über und sank auf den Boden. Mit von sich gestreckten Armen und Beinen blieb er regungslos liegen.

„Meine Güte! Jetzt wird der alte aber melodramatisch. So ein schlechter Verlierer aber auch… Höchste Zeit, ihn zu erlösen.“

Erschrocken drehte Kei sich um zur Treppe. Er blickte fast direkt in die Mündung einer Pistole. Suzumaru war wieder aufgestanden, wenn auch sein auffällig langsames Blinzeln darauf hindeutete, dass er noch nicht wieder ganz wach war. Er stand mit dem linken Fuß auf er vorletzten, mit dem rechten auf der vorvorletzten Treppenstufe. Seine linke Hand mit der tödlichen Pistole hing an seiner Seite herab. Die Pistole mit dem Mittel eZ-513-Dx hielt er mit ausgestrecktem rechten Arm vor seinen Körper. Er hatte mit diesem Schuss also den alten Meister im Körper seines Carn, der alten Schildkröte Schnappi eingesperrt.

„Quoi? Wieso bist du schon wieder aufgewacht? Der Pfeil sollte disch für mindestens drei Stunden ruhig stellen.“ Nicht nur Überraschung, sondern auch Angst schwangen in Pierres aufgeregter Stimme mit.

„Du scheinst mich nicht richtig getroffen zu haben. Soll ich dir zeigen, wie man so was macht, ja?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte Suzumaru ab. Er überraschte Pierre damit so sehr, dass der nicht einmal ans Ausweichen denken konnte. Das Projektil traf ihn am linken Oberschenkel und blieb stecken. Obwohl Pierre geistesgegenwärtig sofort versuchte, den Pfeil aus seiner Haut zu ziehen, war sein Schicksal unausweichlich. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Mittel zu wirken begann. Pierres Augen schlossen sich langsam und er sank dem Boden entgegen. Sein langes, blondes Haar folgte seiner Bewegung in eleganten Schwüngen und legte sich schließlich in großen Wellen über seinen leblosen Körper.

„Jetzt kannst du für den Rest deines Lebens auch äußerlich das sein, was du innerlich schon immer warst: eine falsche Schlange!“

Suzumaru brach in schallendes Lachen aus als hätte er endgültig den Verstand verloren. Mehrere Minuten verstrichen bis er sich endlich wieder einkriegte. Dann senkte er seine rechte Hand und hob dafür die linke. Er streckte den Arm aus und zielte mit seiner tödlichen Waffe auf Yuki. Dieser blieb wie angewurzelt stehen, um ihn nicht mit einer unvorsichtigen Bewegung zu reizen.

„Entschuldige, dass du warten musstest, Yuki Natsukori. Bringen wir’s endlich zu Ende.“

In langsamen Schritten stieg Suzumaru nun auch noch die letzten Stufen hinunter. Seine Pistole hielt er fest auf Yuki gerichtet. Sein sehendes Auge funkelte bösartig über die Kimme. Schließlich ließ er die Treppe hinter sich und blieb nach wenigen Schritten über die Bodenfliesen stehen.

Yuki blieb auch diesmal erstaunlich ruhig, fast als hätte er sich langsam daran gewöhnt, in den Lauf von Suzumarus Pistole zu blicken. Furchtlos hielt Yuki den Augenkontakt mit dem Mann. Er stand stoisch ruhig und seine Atmung ging nur wenig schneller als normal.
 

Dagegen hatte Kei schon wieder das Gefühl, vor Angst gleich umzukippen. Sein Herz raste wie wild, er atmete schwer und zitterte leicht. Kei musste alle Selbstbeherrschung aufwenden, um sich ruhig zu halten. Das letzte, was er wollte, war Suzumaru mit einer unvorsichtigen Bewegung zu provozieren. Deshalb beschränkte er sich darauf, nur seinen Blick wandern zu lassen. Soweit es ging, ohne den Kopf zu weit zu drehen, sah Kei sich in der Halle um. Wonach er suchte, konnte er selbst nicht sagen. Vielleicht nach einem Zauberstab oder einer Wunderlampe – irgendetwas, das Suzumaru auf wundersame Weise aufhalten würde.

Was auch immer Kei suchte, er fand es nicht. Am nächsten kam der ersehnten zauberhaften Wunderwaffe noch sein eigener Carn, der einige Meter rechts neben der Treppe saß. Aus seiner Perspektive konnte Suzumaru den Fuchs bislang nicht gesehen haben. Aber wie Robin ihm helfen konnte, wusste Kei selbst nicht.

„Hast du noch irgendwelche letzten Worte?“ spottete Suzumaru, während er den Hahn spannte.

Resignierend beschloss Kei, seinen Blick auf Suzumaru zurück zu richten. Wenn dieser Mistkerl schon seinen Freund erschoss, dann wollte er ihm dabei in die Augen sehen und zumindest versuchen, ihn mit seinem Blick zu töten.

Kaum hatte Kei sich wieder umgedreht, musste er sich schon wieder zurückhalten, um jede auffällige Geste zu vermeiden. Diesmal sah er ausgerechnet hinter Suzumaru etwas, das ihm Hoffnung machte. Antoinette, oder eher Pierre, der nun in ihrem Körper eingeschlossen war, hatte den berühmten Kobrakragen aufgestellt und richtete sich geräuschlos hinter dem Mann auf. Suzumaru war über die Schlange getreten, als er die Treppe verlassen hatte, ohne das Tier weiter zu beachten. Ein großer Fehler.

Jetzt war auch Kei neu motiviert, etwas zu unternehmen. Er suchte den Blickkontakt mit seinem Carn und fand ihn. Robins Augen beobachteten seinem Zalei aufmerksam. So nahm er auch die unauffällige, kleine Geste von Keis rechter Hand wahr. Nur ein winziger Wink mit der Hand nach oben. Gehorsam stellte sich Robin auf die Hinterbeine wie er es oft geübt hatte. Dann wartete der Fuchs auf weitere Kommandos. Kei hatte sich inzwischen wieder Suzumaru zugewandt. Er wollte nicht riskieren, dass diesem sein Blick auf den Carn auffiel und damit sein Plan aufflog.

Pierre hatte seinen Schlangenkörper inzwischen bestimmt über einen Meter aufgerichtet. Kei bemerkte erst jetzt wie unglaublich riesig die Schlange war.
 

„Hey, du! Rühr dich keinen Millimeter weiter!“ fauchte Suzumaru in Keis Richtung, als dieser vor Überraschung einen kleinen Schritt zur Seite machte, um nicht die Balance zu verlieren. „Sonst bist du der nächste, den ich-AAAHH!“

Pierre hatte zugebissen. In pfeilschneller Bewegung war sein Schlangenkopf hervorgeschossen und genauso schnell hatte sein Giftzahn sein Ziel gefunden. Die Schlange hatte sich in den rechten Oberarm des Mannes verbissen und schien gar nicht mehr loslassen zu wollen. Eine gute Menge Gift musste sich inzwischen in Suzumarus Adern befinden. Er schrie wie am Spieß und ruderte wild mit den Armen.

Erst nach mehreren Minuten schaffte er es schließlich, die Schlange abzuschütteln. Er schleuderte das Tier regelrecht gegen den Pfosten des Treppengeländers. Noch in derselben Bewegung hob er erneut die Waffe in seiner linken Hand und richtete sie auf sein Opfer. Diesmal allerdings hatte er die Schlange als neues Ziel erwählt.

„Du dreckiges Mistvieh! D-das w-wirst du b-büßen!“ schäumte er vor Wut.

Suzumaru konnte vor Rage seine Hand kaum ruhig halten. Und nicht nur seine Hand, sondern sein ganzer Arm zitterte. Es dauerte eine Weile, bis er sich genug gefasst hatte, um zielen zu können. Doch auch dann hatte das Zittern noch nicht vollständig aufgehört. Suzumaru atmete in schnellen, flachen Stößen.

Sein Finger schloss sich fester um den Abzug. Die Schlange vor ihm lag in großen Wellen in sich gewunden kaum zwei Meter vor ihm. Irgendeine Stelle würde er sogar mit zitternder Hand treffen können.

Suzumaru wollte gerade den Abzug betätigen, da wurde er ein zweites Mal gebissen. Aus dem Augenwinkel sah er ein rotes Fellknäuel über die Treppe auf den Pfosten am Geländer springen und von dort aus direkt mit dem Gebiss voran gegen seine Hand. Die scharfen Zähne des Fuchses gruben sich tief in das Fleisch. Suzumaru stieß einen Schrei aus und ließ augenblicklich die Waffe aus seiner Hand fallen. Doch der Fuchs packte weiterhin fest zu, er nahm sogar noch seine Pfoten zu Hilfe und kratzte ihm damit den Arm auf, wo immer er ihn erwischte. Blut lief in tiefroten Bahnen über seine Hand und seinen Arm.

Es war nicht Robin, der Suzumaru hier angefallen hatte, sondern Kei. Als Suzumaru ihn vorhin angeschrien hatte, sich nicht zu rühren, war Kei für einen Moment das Blut in den Adern gefroren. Er hatte gefürchtet, Suzumaru hätte seinen Körpertausch bemerkt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits Robin in Keis Körper befunden, während Kei sich in Robins Körper von hinten an Suzumaru angeschlichen hatte.
 

Endlich ließ Kei die Hand los, in die er sich verbissen hatte. Gleichzeitig löste er den Körpertausch auf. Robin zog sich vom Zentrum des Geschehens an die Seite hinter der Treppe zurück, wo er zuvor schon unbemerkt gesessen hatte. Kei beobachtete die weiteren Ereignisse nun aus seinem eigenen Körper weiter.

Noch schwerer, aber auch noch flacher als eben atmete Suzumaru jetzt. Er ließ auch seine zweite Pistole fallen und nutzte seine frei werdende Hand, um seine blutüberströmte Linke festzuhalten. Sein Zittern wurde stärker und er schluckte schwer. Kei wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass ein Fuchsbiss höllisch wehtat.

„W-w-was h-hast d-du-u…“ begann er stammelnd einen Satz, den er nie beendete.

Jetzt endlich verstand Kei. Suzumaru zitterte, schnaufte und stotterte nicht vor Wut. Das Kobragift hatte schon zu wirken begonnen. Allerdings war Kei nicht ganz klar, ob die ungewöhnlich schnelle Wirkung bedeutete, dass Antoinette außergewöhnlich starkes Gift hatte - vielleicht weil sie keine gewöhnliche Schlange war. Oder aber die Wirkung des Gifts verstärkte sich durch das Betäubungsmittel aus Pierres Pfeil, dessen Wirkung ebenfalls noch nicht ganz nachgelassen hatte. Im Grunde war es Kei aber auch relativ egal. Hauptsache, dieser Mistkerl würde endlich aufhören, seine Waffe auf Yuki zu richten.

Ein paar weitere Minuten verstrichen, da wurden Suzumarus Lider schwerer und schwerer. Er blinzelte auffällig oft und konnte dabei seine Lider schon gar nicht mehr ganz öffnen. Seine Atmung wurde noch unruhiger. Die endgültige Entwarnung verstand Kei, als Suzumarus zitternde Knie dessen Gewicht nicht mehr tragen konnten und er ganz langsam zu Boden sank. Suzumaru war nach wie vor bei Bewusstsein, aber seine Lähmungserscheinungen waren bereits so deutlich, dass er nicht mehr aufstehen und kaum noch sprechen konnte. Nein, der würde Yuki nicht mehr mit einer Waffe bedrohen können.
 

Ein riesengroßer Stein fiel Kei vom Herzen.

„Dem Himmel sei Dank!“ atmete auch Yuki erleichtert auf. „Jetzt sollten wir aber schnellstens nach oben und La-…“

Yuki kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Kei breitete die Arme aus und zog Yuki in eine feste Umarmung. Zuerst gleichermaßen überrascht und verwirrt, erwiderte Yuki die Geste schließlich. Kei hatte beide Arme fest um Yukis Taille geschlungen und seinen Kopf in Yukis Schulter vergraben. Yuki schloss eine Arme um Keis Schultern. Es war nicht nur das erste Mal, dass Kei von sich aus Yukis Umarmung suchte, sondern es war auch das erste Mal, dass ihm die Gegenwart anderer dabei völlig egal war.

„Kei…?“ flüsterte Yuki nach einer Weile mit beruhigendem Ton, während seine Hand ebenso beruhigend über Keis Schulterblatt strich.

„Ich hatte solche Angst… Du hättest wirklich zu Hause bleiben und Däumchen drehen sollen.“ gab Kei im Flüsterton zu und verbarg dabei weiterhin sein Gesicht.

„Ich hatte auch Angst um dich.“ flüsterte Yuki zurück.

Einen Moment genossen beide noch ihre Berührung, auch um sich nach der ganzen Aufregung ein wenig zu sammeln. Dann streifte Yuki noch einen kleinen Kuss auf Keis Stirn und löste die Umarmung schweren Herzens.

„Wir sollten nach oben gehen und Lan suchen.“

„Du hast recht.“ nickte Kei.

„Ryu, Kiku, kommt ihr mit?“

Yuki drehte sich zu seinem Bruder und dessen Schülerin um. Kei folgte seinem Beispiel nur den Bruchteil einer Sekunde später. Sofort fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: In der ganzen Aufregung hatte er Ryu und Kiku völlig vergessen.

Ryu lag wieder flach auf dem Boden. Er war ansprechbar, aber geschwächt. Seine Gesichtsfarbe war blass und ein paar kleine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Obwohl es ihm seine Verletzung nicht leicht machte, versuchte er, möglichst ruhig und gleichmäßig zu atmen. An seiner gesamten rechten Seite war sein Hemd blutgetränkt und unter ihm benetzte sein Blut auch die Bodenfliesen der Halle. Auch Kikus Jeansjacke, die sie immer noch mit beiden Händen fest auf die Wunde presste, war inzwischen fast komplett blutrot gefärbt.

Kiku kniete neben Ryu. Wenn sie nicht mit beiden Händen auf die Jacke drückte, strich sie mit einer Hand ein paar seiner Haarsträhnen aus seinem Gesicht oder die Schweißperlen von seiner Stirn. Sie redete unaufhörlich auf Ryu ein, um ihm Mut zu machen, während ihre sturzbachartigen Tränen ihre Worte gleichzeitig Lügen straften.

„Sei mir nicht böse, aber ich schätze nicht, dass ich mitkommen kann.“ hauchte Ryu kraftlos.

„Ich bleibe bei ihm.“ schniefte Kiku. „I-Ich bin im Schulsanitätsdienst, wisst ihr? Ich kann helfen,… auch wenn wir dort nie was über Schusswunden gelernt haben.“

„Verstehe. Passt gut auf euch auf, ok?“ flüsterte Yuki sorgenvoll. „Habt ihr ein Handy? Ruft bitte Polizei und Notarzt.“

Kiku nickte und fischte ihr Handy mit zitternden Fingern aus ihrer Tasche.

Yuki wandte sich inzwischen wieder um zu Kei. Im Vorbeigehen streifte er sanft dessen Arm und signalisierte ihm so ihren Aufbruch. Mit einer Geste rief Kei seinen Carn an seine Seite. Auch Minuit folgte Yuki ganz selbstverständlich, als das Paar nebeneinander die erste Stufe betrat.
 

Inzwischen bemühte sich Kiku nach Leibeskräften, ihre Tränen unter Kontrolle zu bekommen. Sie wollte sich zumindest so lange zurückhalten, bis sie Hilfe gerufen hatte. Zwischen ihren heftigen Schluchzern konnten Polizei und Notarzt sonst womöglich gar nichts verstehen.

„Das war vorhin an der Tür echt gutes Teamwork, oder?“ versuchte Ryu zu lächeln.

„Ja… Aber du hast mir einen Riesenschreck eingejagt. Ich dachte im ersten Moment wirklich, du wärst…“

„Du hast die Trance diesmal sehr schnell erreicht, und auch noch trotz solcher Ablenkung. Du wirst immer besser.“

„Ryu… W-warum hast du die Kugel abgefangen? N-nach allem, was ich dir angetan hab! Seit ich für K.R.O.S.S. gearbeitet hab, hab ich dich ständig hintergangen, dich belogen und dich ausgenutzt. Du musst doch wissen, dass ich alles, was ich K.R.O.S.S. ausplaudert habe, von dir wusste.“ Kikus guter Vorsatz starb in einem neuen Tränenausbruch.

„Ich weiß nicht. Ich schätze, ich mag dich eben mit allen deinen Fehlern, genauso wie du bist.“

„U-und sogar jetzt, wo du wegen mir angeschossen wurdest, bist du immer noch nett zu mir. Und sagst so l-liebe Sachen…“

Auch um ein wenig ihre Verlegenheit zu überspielen, wählte Kiku den Notruf. Wer auch immer gleich am anderen Ende abnehmen würde, würde die schwere Aufgabe haben, Kikus Nachricht aus einem Meer von Tränen und Schluchzern herauszufiltern.

„Soll ich etwa lieber still sein?“ lächelte Ryu erneut.

„Nein, das nicht. Unser Erste-Hilfe-Trainer hat immer gesagt, ein redender Patient ist ein lebender Patient. Also rede bitte weiter. Aber… z-zwing dich nicht zu lächeln, nur um mich zu beruhigen.“

Es beruhigte Kiku überhaupt nicht, wenn Ryu sich zu einem Lächeln zwang. Ganz im Gegenteil machte es ihr sogar Angst. Es war fast so, als wollte Ryu sich mit einem Lächeln von der Welt verabschieden, das er sonst zu selten trug. So ähnlich wie die Verstorbenen, die man in ihren besten Kleidern und mit ihrem erlesensten Schmuck aufbahrte, nachdem es in ihrem Leben zu wenig Anlässe gegeben hatte, sie zu tragen.

Wenn sie den heutigen Tag hinter sich gelassen hatten, musste Kiku dringend dafür sorgen, dass Ryu mehr Gelegenheiten bekam, sein wertvolles Lächeln aufzusetzen. Wenn er sie lassen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Dielli
2011-05-15T21:26:14+00:00 15.05.2011 23:26
Jauu! Wieder mal ein gelungenes Kapitel, wieder ordentlich spannend. (: Hm, und jetzt wo man weiß, dass Pierre doch einer von den 'Guten' ist, wird er in den Körper seiner Schlange gesperrt? :( Du bist herzlos. Naja, jetzt sieht ja erstmal alles wieder ganz gut aus. Rettung für Ryu naht, Kiku wird doch noch gemocht und Yuki und Kei haben freie Bahn um die Beweise zu beschaffen. Bin gespannt aufs nächste Kapitel, und vor allem Lans Verbleib interessiert mich brennend! Nur irgendwie ein bisschen traurig, dass es gerade zuende geht mit Snowdrops and Chocolat.. Ist die einzige FF, die ich hier überhaupt lese. Freu mich immer wie ein kleines Kind, wenns n neues Kapitel gibt. :3 Und übrigens, mich wunderts dass ausgerechnet ICH die einzige bin die neuerdings Kommentare schreibt. ICH, als geoutete HARDCORESCHWARZLESERIN! Verwundert mich. However, ich gehe. Bis zum nächsten Kapitel. (:


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