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Der Grüne Stein

- ein Märchen -
von

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Akt 4

Der Grüne Stein
 

„Wo müssen wir lang?“, fragte Heela und ließ ihren Blick von einem zum anderen Weg schweifen.

„Dort!“, entgegnete Lola und deutete auf den entferntesten Pfad, dessen Seiten fast vollends von hohen Büschen zugewuchert waren.

„Oh, nein!“, wehrte das blonde Mädchen beharrlich ab, „Da…gehe ich auf keinen Fall durch. Dort wimmelt es ja nur so vor Viechern!“

Lola zuckte mit den Schultern, „Egal, wir müssen dort entlang!“

Sie griff nach der Hand der anderen und zog sie hinter sich her. Wider ihren Willen folgte Heela ihr letztendlich und schob sich schwerfällig durch das Gestrüpp. Anfangs wurde es immer dichter und der Pfad undurchsichtiger. Aber nach ein paar Minuten lichteten sich der Wald und das Gebüsch, bis sich eine weite Wiese vor ihnen ausdehnte, deren Gras unbeweidet und in halben Meter Höhe stand. Lola lief geradewegs auf die Lichtung zu, nur Heela wartete, musterte skeptisch die unberührte Natur.

„Lola, warte doch!“, rief sie ihr nach.

„Komm schon, es gibt hier nichts, wovor du dich fürchten musst!“

Heela schüttelte über sich selbst den Kopf, als sie langsam dem Mädchen folgte. Aber plötzlich blieb sie stehen, gedachte möglicher Gefahren, wie Schlangen, die es vorzogen in hohen Graswuchs, oder unter Holzscheiten zu leben. Genau in diesem Moment vernahm sie sachtes Rascheln, das schnell näher kam, an Geschwindigkeit zunahm und eine bedrohliche Spur hinterließ. Nicht bewegen, dachte Heela und stand starr, öffnete ihren Mund, um Lola vor der kommenden Gefahr zu warnen. Doch die Worte blieben ihr vor Entsetzen im Halse stecken. Eine lange, schwarz gefärbte, Natter schlängelte sich knapp neben ihren Füßen vorbei, direkt auf Lola zu, die noch immer frohgemut durch das Gras hüpfte. Endlich gelang es Heela sie zu warnen: „Lola, dort kommt eine Schlange…“

Das junge Mädchen drehte sich erschrocken um, sah das Reptil auf sich zu kommen, und blieb wie angewurzelt stehen. Aber es war zu spät, die Schlange hatte ihr Opfer gesichtet und anvisiert. Auch Lola merkte ihre Entschlossenheit und schaffte es, sich aus ihrer Starre zu lösen und einen gekonnten Satz in die Luft zu machen, als das Tier zubeißen wollte. Es schnappte in die Luft und wurde von der landenden Lola erdrückt. Ein leiser Knack deutete daraufhin, dass sie tot sein musste.

Lolas Herz schlug noch immer rasend vor Entsetzen und Schrecken zugleich, als sie den schlaffen Körper des Tieres musterte. Der Kiefer war ausgerenkt und die lange rote Zunge lag unbewegt am Boden. Ein schmales Rinnsal dunkelroten Blutes bahnte sich einen Weg durch das enorm hohe Gras, sickerte anschließend in die weiche Erde. Heela eilte dem Mädchen entgegen, blickte erstaunt und angewidert auf den toten Tierkörper.

„Wir sollten hier schleunigst verschwinden, ehe noch mehr davon kommen!“, schlug sie vor.

Doch Lola wehrte ab, „Nein“, sie lief zu einem der Felsen, der wie eine Insel inmitten der Wiese lag und erklimmte ihn rasch, „es muss etwas passiert sein, bisher hat Es keine Wesen, außer Hexen betreten können!“

Heela musterte die andere zweifelnd, „ES? HEXEN?“

Lola nickte schweigend und bedeutete ihr, ebenfalls auf den Hügel zu klettern.

„Wovon redest du?“, fragte Heela.

„Hier“, Lola breitete ihre Hände um sich aus und zeigte auf ihre gesamte Umgebung. „Hier ist Hexenterrain! Eigentlich kann keine Nichthexe, diesen Ort betreten, aber es scheint, als sei es geschehen. Es muss uns ein Fehler bei der Sicherung unterlaufen sein.“, flüsterte sie nachdenklich.

„Du bist doch verrückt!“, mutmaßte Heela lautstark und sprang von den Felsen, „Ich bin keine Hexe und du auch nicht…Hexen gibt es nicht!“

Lola starrte sie verbittert an. Plötzlich donnerte es und ein greller Blitz fuhr krachend zu Boden, der Himmel hatte sich vollkommen verdunkelt.

„Sei vernünftig, Heela, und nimm es zurück. Du hast die Geister erzürnt!“

„Nein!“, schrie Heela scharf, „Du bist vollkommen verrückt!“

„Nein!“, gab sie sanft zurück, doch in ihrer ruhigen Stimme, schwang schon ein leichter Hauch von Zorn mit. „Es ist wahr und das musst du einsehen. Du gehörst zu uns. DU bist eine von uns!“

„Niemals!“, Heela stampfte entschlossen auf, worauf der gesamte Boden zu beben begann. „Du lügst. Ich weiß zwar nicht, wie ihr das gemacht habt, aber es ist mir egal. Ich werde nie eine Hexe sein. Hexen GIBT ES NICHT!“

Wütend funkelte sie die andere an und wartete, was als nächstes passieren würde, um sie überreden zu wollen. Doch sie würde sich nie ihnen anschließen, dieser verruchten Bande, aus Heuchlern, Mördern und Lügnern.

Erst geschah nichts, aber dann nahm die Bodenerschütterung zu. Heela sah kurz zu Lola auf, die mit vor Entschlossenheit glühenden Augen zu ihr hinabstarrte, die Hände erhaben in die Seite gestützt. Dann lenkte ihr Untergrund wieder Heelas Aufmerksamkeit auf sich. Das Beben verstärkte sich merklich, ging aber plötzlich in ein ungleichmäßiges Vibrieren über. Kurz darauf erfüllt ein ohrenbetäubendes Fiepen die Luft. Verzweifelt versuchte Heela dagegen anzukämpfen, aber nichts half es zu stoppen. Nur Lola blieb ruhig, es schien, als würde sie es gar nicht wahrnehmen. Es stoppte abrupt, als ein gleißendes Licht über sie hereinfiel. Kurz entschlossen stürzte sie zu Boden, um sich zu schützen. Genauso schnell, wie es gekommen war, verschwand es aber auch wieder. Langsam hievte sich Heela auf, wäre beinahe rücklings umgekippt, da vor ihr ein breiter Abgrund klaffte, der sich rasch verbreiterte.

„Was…?“, sie wich einige Schritte zurück.

Auf einmal erfüllte ein leuchtend rotes Licht ihre gesamte Umgebung, der Spalt war nun einige Meter breit und hatte zu Zittern aufgehört.

Plötzlich ertönte eine unheimliche Stimme, die durch den ganzen Wald zu schallen schien:

„HEELA!“

Erst lauschte sie ihr nur. Die Angst, vor dem Unbekannten war zu enorm, als dass sie sich eine Antwort getraut hätte. Doch die eiskalte Stimme rief erneut:

„HEELA!“

Nun sah sie hinauf zu Lola, die ungerührt noch an derselben Stelle stand, wie zuvor. Heela wagte sich endlich den Mund zu öffnen. Eine Antwort kam ihr nur schwer über die Lippen, sie waren trocken, schienen sie aufhalten zu wollen.

Sie schluckte, „Ja?“

Lola sah skeptisch auf sie herab, hob dann ihre Arme gen Himmel und rief:

„MÄCHTE DER MAGIE, ICH ERUFE EUCH!!“

Anfangs geschah nichts, doch dann blitzte und donnerte es abermals und die fremde, hallende Stimme kehrte zurück:

„WER RUFT UNS?“

„ICH - LOLA – SCHÜLERIN DER MEISTERIN DEOHA.“

„WAS WOLLT IHR?“

„ICH ERSUCHE EUCH, UM EINE SCHÜLERIN IN DEN BUND DER HEXEN

UND ZAUBERER AUFZUNEHMEN…“

„SIE IST KEINE VON UNS – WISST IHR DAS NICHT?“

„DOCH – ABER SIE WIRD ES WERDEN…“

„WARUM SOLLTEN WIR EUCH GLAUBEN SCHENKEN?“

Lola sah ein zweites Mal zu Heela, die zitternd einige Meter von dem Abgrund entfernt im Gras hockte.

„MEISTERIN DEOHA WAR ES, DIE UNS SCHICKTE…“

„SEID IHR SELBST DAVON ÜBERZEUGT?“

, wurde sie unterbrochen.

Nun war sich Lola etwas unsicher, sie starrte wieder zu Heela, ihre Blicke kreuzten sich. Lolas Augen funkelten voll Überzeugung,

„JA, ICH BIN FEST DAVON ÜBERZEUGT!“

„GUT, SO SOLL ES GESCHEHEN!“

Es folgte eine kurze Pause. Dann begann sich die Erdspalte zu bewegen und ein flacher Fels schob sich an die Oberfläche, auf dem eine große schmale Frau in einem ebenso hohen, himmelblau glitzernden Thron saß. Langsam erhob sich Heela und musterte sie.

„ICH BIN KAYA – HÜTERIN DER STEINE UND OBERSTE HEXENMEISTERIN

DER KÖNIGIN. WER SEID IHR?“

Heela trat ein paar Schritte auf sie zu und nahm all ihren Mut zusammen, der Boden hatte inzwischen aufgehört sich zu bewegen: „Ich bin Heela…“

„HEELA – WELCHEM KODEX GEHÖRT IHR AN?“

Das junge Mädchen überlegte, wovon sprach die unheimliche Frau, deren Gesicht vollends von hellblauen Schleiern umhüllt war? Da schaltete sich Lola ein und rief Kaya zu:

„DEM GRÜNEN!“

Überrascht drehte sich Kaya zu ihr um.

„DER GRÜNE ORDEN. IHR GEHÖRT ZU DEN SEHERN?!“

Lola nickte. Heela wusste nicht was sie tun sollte, als sich Kaya wieder ihr zuwandte und fragte:

„DIE SEHER SIND EIN SEHR ANGESEHENER ORDEN.

SEID IHR EUCH SICHER HEELA AUFZUNEHMEN?“

Irritiert blickte Heela der Hüterin entgegen, doch diese schien nicht mit ihr gesprochen zu haben, denn ihre unverdeckten Augen sahen sie keineswegs an, sondern starrten in den Abgrund des Spaltes. Plötzlich ertönte wieder eine unheimliche Stimme, diese klang allerdings weit aus kühler und fraulicher, als die vorausgegangene:

„IN DER TAT SIND DIE SEHER BEDEUTEND

DOCH FEHLT ES VIELEN AN DER NÖTIGEN DISZIPLIN,

WODURCH ES NUR WENIGE GIBT,

DIE ES JEMALS IN DEN ORDEN GESCHAFFT HABEN…

SOFERN SICH DIE BETREFFENDE PERSON

DAZU IN DER LAGE FÜHLT, DEN GESETZEN UND REGELN

DER SEHER ZU FOLGEN,

MÖGE SIE EINEN STEIN ENTGEGEN NEHMEN!“

Kaya überlegte, nickte und streckte ihre dünnen Arme, gleich Lola, in den Himmel. Wieder zuckten Blitze und lauter Donner grollte, ehe sich die Wolken verzogen und die Sonne zurückkehrte. Neben der Hüterin stieg eine leuchtende grüne Kugel auf, schwebte auf Heela zu und blieb vor ihr in der Luft stehen. Das Mädchen sah zu Kaya auf. Diese nickte ihr auffordernd zu und sprach:

„HEELA – NEHMT NUN DIESEN STEIN ENTGEGEN;

ER WIRD EUCH AUF, ALL EUREN WEGEN BEGLEITEN;

IHR WERDET LERNEN MIT IHM UMZUGEHEN

UND IRGENDWANN EINEN PLATZ IM ORDEN EINNEHMEN.

SEID IHR BEREIT EUER LEBEN FÜR IMMER

NACH DEM GRÜNEN KODEX ZU RICHTEN?

EIN LEBENLANG FÜR DEN ORDEN ZU EXISTIEREN

UND IHM IN ALLER HINSICHT ZU FOLGEN?

DANN NEHMT DEN STEIN ENTGEGEN

UND KEHRT IM MORGENGRAUEN ZURÜCK,

DORT WIRD EUCH EIN MEISTER ZUGETEILT WERDEN

UND EUCH NACH DEM GRÜNEN KODEX FRAGEN…“

Heela starrte sie nur an, ließ ihren Blick verzweifelt von dem Stein hinauf zu Lola schweifen. Angstschweiß perlte ihr von der Stirn und brachte Unbehagen. Ich werde mich niemals fügen. Ich gehöre nicht zu euch., versuchte sie sich in Gedanken zu wehren. Doch plötzlich spürte sie enormen Druck auf ihrem Geist, der schwer lastete. Nein, schrie sie stumm, lasst mich in Ruhe! Gleichsam einem wilden Tier, schlug sie um sich, Lola sah abschätzend auf sie herab. Ich will nicht! Mehr als ein ersticktes Kreischen brachte sie nicht heraus. Wie Schmerzen durchdrangen sie fremde Gefühle. Gefühle, die sie nicht zu deuten wusste. Was wollt ihr?, doch ihre Fragen blieben unbeantwortet.

„Nein.“, ächzte Heela leise, sah abermals zu Kaya, dann wieder zu Lola, in deren Augen Hoffnung, aber auch kühle Entschlossenheit schimmerten.

War sie es, die ihr diese schmerzlichen Gefühle sandte? Rasch schüttelte sie diesen Gedanken wieder ab, Lola hatte sich viel zu sehr, als Freundin ausgezeichnet, als irgendjemand anders, den sie bisher kennen gelernt hatte. Gefühle keimten in ihr auf, die tief aus ihrem Inneren zu kommen schienen. Sie konnten gar nicht von Lola, auch nicht von Kaya stammen, aber von wem dann?

Plötzlich blitzten unsägliche Schmerzen durch Heelas Schädel und eine leise Stimme flüsterte ihr Worte zu, Worte deren Sinn das Mädchen nicht zu erraten vermochte, ihr aber die Beherrschung über ihren Körper nahmen. Die Schmerzen ließen sie zusammenfahren, Heela hielt ihre Hände mit letzter Willenskraft gegen ihren Kopf gepresst, bis sie auch darüber die Kontrolle verlor und nach dem „Grünen Stein“ griff. Sie riss ihn mit aller Kraft aus der grünen Nebelwolke, die sich anschließend auflöste, genau wie der Stein. Das Mädchen fiel rücklings zu Boden, blieb für einen Moment reglos liegen, ehe sie sich wieder aufrichtete und mit leerem Blick in die Luft blickte. Kaya beobachtete ihr Verhalten und klatschte kurz mit den Händen. Dann erhob sie sich und verkündete laut:

„IHR HABT ES SCHNELL BEGRIFFEN!

MACHT WEITER SO HEELA UND IHR WERDET NOCH ZU

ANSEHEN UND MACHT GELANGEN!

NUN MUSS ICH MICH VON EUCH VERABSCHIEDEN,

ICH WERDE ERWARTET!“

Damit schloss sie die Unterredung und fuhr mit ihrem Felsblock zurück in den Abgrund. Heelas Geist sprang zurück in ihren Körper, der an den Rand getreten war und hinabstarrte. Sie vermochte kein Ende zu sehen, nur roter Dampf stieg auf. Die Spalte schien in der Unendlichkeit des Nichts zu verschwinden.

Lola stand immer noch an ihrem Platz auf dem Felsen und wartete ab, sie hatte sich nachdenklich ans Kinn gefasst.

Dann rief sie: „Heela, komm schon. Wir müssen gehen!“

Heela fuhr zu ihr herum, schüttelte sich kurz, seufzte.

„Ich verstehe nicht ganz, was sie meinte und wo ist der Stein?“, sagte Heela leise.

„Ich werde es dir erklären! Doch nun…“, sie sprang mit einem Satz auf den Boden und hielt ihre Hände stark aneinander gedrückt.

Langsam fuhr die Felsspalte wieder zu und normaler Rasen zeigte sich. Keine Narbe war zu sehen, weder zerstoßenes Gras, noch irgendein Anzeichen, dass hier einst ein Abgrund gewesen war.

„Komm jetzt!“

Heela nickte verwirrt, sie starrte auf ihre leeren Hände. Sie hatte den Stein doch gespürt, er war so hart, wie jede Wirklichkeit auch gewesen, doch dann hatte er sich in Luft auf aufgelöst, gleichsam ihren Gedanken, die sie in jenen Moment gespürt hatte, als sie unter der schweren Last ihrer Gefühle zu ersticken gedroht hatte. Obwohl sie die Kontrolle über ihren Körper verloren hatte, hatte sie alles ganz deutlich vor sich gesehen und gespürt. Doch da war noch etwas anderes, das ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte… trotz der Schmerzen hatte sie sich geborgen und sicher gefühlt…
 

Wortwörtlich in grüne Luft hatte sich der Stein aufgelöst und war mit dem restlichen Nebel davon gezischt. Sie schüttelte mit dem Kopf und folgte Lola, die dem Waldrand entgegeneilte.

„Was ist?“, fragte Heela.

„Warum? Was soll sein?“

„Warum bist du so schnell weggerannt?“ Lola grinste schief, „Ich wollte nicht schon wieder von einer Schlange angefallen werden, wenn du verstehst, was ich meine?!“

Heela lächelte. Auf einmal war Lola wieder, wie eine Freundin zu ihr, die sie schon seit Jahren kannte, ja fast wie eine Schwester.

Die beiden Mädchen liefen zurück auf den Hauptweg. Dort bogen sie in Richtung Burg ab. Vor einer kleinen Hütte machten sie Halt. Lola klopfte kurz an und schon wurde die Tür wie von Geisterhand geöffnet. Niemand hielt sich in der Hütte auf. Unsicher trat Heela nach Lola ein und sah sich um. Das Holzhäuschen war nur spärlich eingerichtet, hier und da stand ein Holzstapel oder ein Haufen aus Zweigen. Lola lugte unter einem dieser Asthaufen und hob ihn an. Darunter lag eine Falltür verborgen.

„Komm her!“, lud Lola ein und öffnete die Klappe, deutete Heela an, hinein zusteigen.

„Ich weiß nicht.“, entgegnete diese skeptisch und spähte hinab in das Dunkel der darunter liegenden Treppe.

„Dann gehe ich halt voran.“, sagte Lola und kletterte hinunter.

Schon nach kurzer Zeit verschwand sie aus Heelas Sichtfeld. Doch als sie einen dumpfen Aufschlag hörte, wusste sie instinktiv, dass Lola unten angekommen sein musste. Plötzlich entfachte am Ende der Treppe ein Licht und schien den gesamten Gang auszuleuchten.

„Jetzt du!“, rief Lola und tappte langsam voran.

Rasch hatte Heela zu ihr aufgeschlossen und schlich neben ihr her, durch den alten verdreckten Gang. Das Gemäuer musste Jahrhunderte überdauert haben, denn an den Wänden erstreckten sich große Moosteppiche, Wasser tropfte von der Decke und schmale Rinnsale schlängelten sich am Rande entlang. Ein Kreischen ließ Heela hochfahren.

„Das sind nur Fledermäuse!“, sagte Lola nüchtern.

Langsam liefen sie weiter, Lola hielt ihre Fackel mit aller Kraft fest, musste ab und zu herunterfallenden Tropfen ausweichen, um nicht das Feuer zu gefährden. Doch nach einer Weile erlosch es trotzdem und totale Finsternis umhüllte die Mädchen. Erschrocken griff Heela nach Lolas Schulter, die ungemein ruhig blieb, und fragte leise: „Was nun?“

Lola antwortete nicht, sondern flüsterte in einem monotonen Takt: „Jenseits Dunkel, jenseits Hell; liegt das Licht und auch die Quell…“

Ein gleißendes Licht zuckte durch den Tunnel und erleuchtete ihn bis in die entfernteste Ecke.

„Wie…?“

Doch das junge Mädchen hob beschwichtigend die Hand, „Du wirst es auch lernen!“

Heela schenkte ihr einen ungläubigen Blick und lief weiter.
 

Nach einer Weile gelangten sie an eine Mauer, über der eine hölzerne Tür in die Decke eingelassen war. Lola griff nach einer an der Wand befestigten Eisenstange und klopfte dreimal an die Tür. Kurz darauf wurde sie von oben geöffnet und eine Leiter zu ihnen heruntergelassen. Ungerührt kletterte Lola nach oben und winkte Heela herauf. Als sie oben anlangte, verspürte sie ein fremdartiges Gefühl. Sie zuckte zusammen und hielt sich die Stirn.

Erschrocken blickte Lola zu ihr und fragte: „Was ist?“

Doch Heela konnte die Schmerzen verscheuchen, „Ach nichts weiter!“

Ein junges Mädchen mit schwarzen zotteligen Haaren drehte sich zu ihr um.

„DU?“, fragte sie überrascht, auch Heela sah auf und erkannte sie wieder.

„DU?“, entgegnete sie.

Lola verstand nicht und blickte die beiden fragend an, „Ihr kennt euch?“

Die beiden Mädchen nickten.

„Sie hatte mich von den Rittern gelöst, war es nicht so?“

„MH.“, stimmte Tia zu und warf ihre wilden Haare zurück.

„Gut, dann kann ich es mir ja sparen, euch vorzustellen!“, sagte Lola grinsend.

„So“, begann Tia und musterte Heela, „bist du jetzt auch eine Hexe?“

„Nein!“, wehrte diese beharrlich ab und sah zu Lola, die ihre Augenbrauen fragend gewölbt hatte.

„…oder…ja?“

„Du musst mir helfen!“, erklärte Lola ihrer schwarzhaarigen Freundin und nahm sie an der Schulter.

„Irgendetwas stimmt mit dem Hexenplatz nicht!“

„Was soll denn sein?“, hakte Tia nach.

Währenddessen sah sich Heela in der ebenfalls kleinen, aber gemütlich eingerichteten Hütte um. Ein warmes Feuer knisterte in der einen Ecke und in der anderen stand ein schmales Bett. Es schien größtenteils aus Moos und Heu zu bestehen.

„…deswegen hatte Heela auch keinen Stein erhalten!“, sagte Tia nachdenklich.

Lola nickte, „Genau, ich denke jemand war dort und hat ihn gefunden…“

„Und ich dachte immer, das könnten nur Hexen!?“, murmelte Tia.

„Schon wahr, aber vielleicht ist er, oder sie eine Hexe, weiß es aber nicht. Wir müssen es herausfinden. Schließlich geht es um Heelas Zukunft. Ich bin heilfroh, dass sie überhaupt in den Nebel gegriffen hat…!“, Lola ließ ihren Blick hinüber zu Heela schweifen, die gerade einige von Tias Bildern musterte.

„Wir müssen zurück an den Ort des Geschehens!“, schlug Tia vor.

„Deshalb bin ich ja hier. Heela und ich müssen zurück zur Burg. Könntest du solange bitte den Hexenplatz inspizieren?“

„Natürlich!“

Daraufhin klopfte sie ihr auf die Schulter und meinte noch: „Aber vergiss beim nächsten Mal nicht, mir was Leckeres von der Burg mitzubringen!“

Lola grinste, „Ich werde daran denken – Komm Heela wir müssen los!“

Diese nickte verständnisvoll und trat nach draußen, folgte Lola bis tief in den Wald, bis sie den Hauptweg wieder erreicht hatten und zur Burg eilten.
 

„Seid Ihr wieder da?“, fragte Deoha und hob ihren Blick zu den beiden Mädchen, die gerade eintraten.

Lola nickte, „Wie Ihr seht.“, aufgeregt hüpfte sie an die Seite der alten Frau. „Sie ist aufgenommen, es gibt nur ein Problem…“

„Ich weiß.“, entgegnete die Alte, „Der Stein…“

„Ja“, Lola sah zu Heela, die gelangweilt auf der Kante ihres Bettes saß und verträumt in die Luft starrte, „ich weiß zwar nicht so ganz warum, aber ich glaube Heela ist nicht irgendeine Hexe…sie hat vor mir die Präsenz einer Schlange gespürt und in den Nebel hat sie auch sehr selbstbewusst gegriffen, obwohl ich genau gespürt habe, wie sie sich dagegen gewehrt hat…“

„Ich verstehe“, murmelte Deoha und klopfte dem Mädchen anerkennend auf die Schulter, „ich bin wirklich stolz auf Euch. Ihr werdet einmal eine sehr gute Hexe… aber bei Heela verspüre ich noch etwas anderes. Sie scheint mir sehr auf ihre eigenen Wünsche einzugehen und nicht unbedingt auf Regeln zu achten. Haltet bitte immer ein waches Auge auf sie und damit meine ich nicht nur die äußeren!“

„Sehrwohl!“, damit sprang Lola auf und lief zu Heela. „Wenn du willst, kannst du mit in meiner kleinen Kammer schlafen?!“

Überrascht wandte Heela sich ihr zu, „Wirklich, dass ist sehr nett, aber ich will Deoha auch nicht verärgern.“

„Ach nein, das tust du ganz gewiss nicht. Ich habe sie schon gefragt, sie hat eingewilligt!“, Lola grinste schief.

„Wenn du es sagst.“, gab Heela bereitwillig nach und stand auf.

Deoha warf dem jüngeren der beiden Mädchen noch einen flüchtigen, aber ausdrucksstarken Blick zu, der nichts anderes, als „Gut so!“ bedeuten sollte. Dann führte Lola die andere in ihre eigene Schlafkammer. Das kleine Zimmerchen,erschien bei Weitem nicht groß genug, zwei Personen aufnehmen zu können, doch Lola verstand ihr Handwerk. Sie ließ einmal den Hocker in eine Ecke schweben, andermal wechselte sie die Standorte zweier Holzschränkchen. Wozu sie diese benötigte und woher sie überhaupt stammten, wollte Heela gar nicht erst erfahren.

Sie beobachtete lediglich den Umbau, bis Lola meinte: „So, wenn du dich nun etwas näher an die Tür stellen würdest!?“

Heela tat wie man ihr hieß, schenkte dem Mädchen allerdings einen fragenden Blick. Dann hob Lola ihre Arme, wie sie es am Hexenplatz verübt hatte, und murmelte Sprüche, die in Heelas Ohren keinerlei Sinne ergaben. Schließlich zuckte ein grelles Licht durch die Kammer und ein Holzbett stand vor ihnen. Unwillkürlich klappte Heelas Kiefer nach unten. Doch diese blieb ungerührt und nutzte abermals die Magie des Schwebens, um das Bett in die Ecke zu rücken. Endlich hatte sich Heela wieder gefasst und auf ihrem neuen Schlafplatz ausgebreitet. Auch Lola hatte sich für einen Moment hingelegt, um sich von den Anstrengungen zu erholen.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Heela voll Erfurcht.

„Ach, das lernst du auch noch.“, sagte Lola und starrte an die Decke.

Spinnweben zierten ungemein in einem Hexenheim, doch Lola war nicht gerade bestrebt danach, an einem Morgen einer Spinne Auge in Auge gegenüberzustehen. Daraufhin hob sie ihre Hand und ließ mit einer kurzen Bewegung die Netze verbrennen.

„Ich staune immer wieder“, sagte Heela und sah zu ihrer Freundin, „was kannst du eigentlich nicht?“

„Vieles“, entgegnete Lola, blickte sie dabei aber nicht an, „ich mag noch nicht sehr alt sein, doch Meisterin Deoha meinte, aus mir würde noch mal etwas werden. Sie ist sehr zuversichtlich…“

„Ja, das glaube ich dir ja, aber du kannst doch schon alles, oder täusche ich mich da?“

Jetzt wandte sie sich dem älteren Mädchen zu, „Du hast ja keine Ahnung, was ich noch alles zu lernen habe. Das was ich schon kann, sind nur die wichtigsten Grundregeln, um sich vor den Nichtmagiern zu schützen…“

Heela sah sie erstaunt an, „Wieso schützen?“

„Du willst mir doch nicht etwa weis machen, dass du noch nie etwas von Hexenverbrennungen, oder ähnlichem gehört hast?!“

„Nein…nur…“

Doch Lola unterbrach sie, hatte sich nun wieder der Decke zugedreht, „…du weißt nicht, was auf dich zukommt. Ich weiß es ja selbst nicht einmal richtig…“

Sie schwieg für einen Moment, schloss dann ihre Augen und fuhr fort, „…es gibt Dinge in der Welt der Hexen, von denen du nicht einmal im Traum denken würdest…ja, es mag sein, dass man als Magier gewisse Vorteile den Normalen gegenüber hat, doch muss man auch die Gefahren aus unseren Breiten bedenken. Es gibt nicht nur gute Hexen, die auf das Wohl der Menschheit aus sind und Frieden stiften wollen…nein, es gibt auch das Böse in uns. Mit jedem geht es einher, doch kommt es nur bei den wenigsten zum Ausbruch und wenn es doch geschieht, ist das Unheil größer als du denkst.“

Sie blickte zurück zu Heela, „Unsere Macht ist begrenzt, die schwarze Magie können wir nicht einmal berühren, außer wir wollen umsatteln, doch die Kräfte der schwarzen Magier sind weit größer, viel ausdehnbarer als die unseren. Eigentlich sind wir ihnen unterlegen, doch wenn wir zusammenhalten, in der Überzahl bleiben, haben SIE keine Chance!“

Heela nickte bedächtig, „Ich glaube ich weiß wovon du redest.“

Eine Zeit lang schwiegen sie sich an, doch ein hektisches Klopfen vertrieb die Ruhe in diesem Moment.

„Ja?“, rief Lola und sprang zur Tür.

Gil stand vor Nässe triefend vor ihr, sah sie aus großen Augen, „Ich brauche deine Hilfe“

Er rannte schon los, als Heela noch nicht einmal zur Tür getappt war.

„schnell“, setzte er noch nach und eilte schon weiter, Lola hinter her.

„Was?“, doch ehe Heela weitere Fragen stellen konnte, wurde sie von einer unsichtbaren Kraft gezogen und vorwärts gestoßen.

Lola sah kurz zu ihr, wodurch sie wusste, dass sie ihnen folgen sollte. Sie liefen eine Weile, rannten durch Gänge, Hallen und Kammern, bis sie an eine halbverborgene Hintertür gelangten. Gil schob sie schwerfällig auf und wies die Mädchen an, ihm hindurch zu folgen. Danach schloss er sie wieder und eilte weiter. Nun ging es durch strömenden Regen und von Wasser überfluteten Straßen. Die Nässe drang tief unter die Sachen der drei und ließ eisige Kälte entstehen, als sich zu allem Überfluss auch noch der sachte Wind zu einem gewaltigen Sturm aufblähte und Blitze den verdunkelten Himmel zerfurchten.

Heela folgte den beiden anderen blind, sie hatte weder eine Idee, noch ein aussagekräftiges Gefühl, wo sie hineilten. Endlich machten sie Halt. Gil bedeutete ihnen zu warten und lief geradewegs auf den Wald zu. Ehe sie einen Einspruch vorbringen konnten, winkte er ihnen zu.

„Kommt jetzt!“, rief er aus voller Kehle und lief weiter, geradewegs in den stockfinsteren Wald.

Lola verlor keine Zeit, ihm zu folgen, nur Heela hatte Vorbehalte. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen ihr Gefühl an, dass ihr riet sich nicht in solch offensichtliche Gefahrenzonen zu begeben, doch der Drang ihre neuen, einzigen Freunde nicht im Stich lassen zu wollen, besiegte die natürliche Angst. Rasch hatte sie die beiden aufgeholt und folgte ihnen tiefer in den Wald.

Sie rannten und rannten und langsam verloren alle drei die Kraft weiter zu rennen. Aber Gil trieb die Mädchen an, „Es ist von äußerster Wichtigkeit, nicht zu spät zu kommen. Es ist nicht nur eure Pflicht, sondern müsste es euch auch eine Ehre sein, mir zu helfen…“

„Worum geht es eigentlich?“, platzte es aus Heela heraus.

Schnell schloss sie wieder ihren vorlauten Mund.

„Das weißt du nicht, aber ich dachte du gehörst zu Lola…bist du denn keine…du weißt schon!?“

„Nein!“, stellte sie sich dumm und grinste.

Lola beachtete die beiden gar nicht, sondern lief stur weiter.

„Eine Hexe?“ Heela erschrak, als er das Wort voller Furcht und Unsicherheit hervorbrachte.

Es kränkte sie doch sehr, Angst einflößend zu sein.

„Mh“, murmelte sie bestürzt, „aber es dauert noch, bis ich völlig ausgebildet bin…aber woher weißt du das? Bist du auch ein Magier?“

„Nein“, er schüttelte lachend mit dem Kopf, „Ich? Niemals.“

„Woher weißt du dann davon?“, hakte sie neugierig nach.

„Das erzähle ich dir später, denn jetzt gibt’s weit wichtigere Dinge zu erledigen!“

Er deutete auf eine Kutsche, die mitten auf der verschlammten Straße stand. Ein Achsenbruch, schien eine Weiterfahrt unmöglich gemacht zu haben, denn das gesamte Gefährt, hatte sich weit nach Osten gelehnt.

„Mh“, überlegte Lola und betrachtete das Problem aus nächster Nähe, hielt aber dennoch soviel Abstand, um nicht erkannt zu werden. „ich glaube hier können wir etwas tun, oder zumindest ich!“

Heela stemmte trotzig die Hände in die Seite, „Ich kann ja wohl nichts dafür, dass ich noch keinen Lehrmeister habe!?“

Gil hob beschwichtigend eine Hand, „Seid lieber nicht zu laut, wir wollen doch nicht bemerkt werden…“

Doch in diesem Moment kletterte ein junger Mann aus der Kutsche und blieb wie erstarrt stehen, als er die Drei bemerkte.

„Wer seid Ihr denn?“, fragte er verwundert und trat näher.

„Wir sind gekommen, um Euch zu helfen! Äh, wir waren gerade in der Nähe, als wir Eure Kutsche erblickten!“, sagte Gil und stellte sich vor die Mädchen.

Er warnte sie mit einer kurzen Handbewegung, vorsichtig zu sein.

„Aber Ihr seid keine Räuber, oder Diebe.“

Gil schüttelte verneinend mit dem Kopf, „Wofür haltet Ihr uns denn?“

Der Mann zuckte mit den Achseln und meinte: „Ich würde ja meinen Hut zu Eurer Begrüßung abnehmen, verehrte Edeldamen, aber bei dem Regen könnte sich mein Haupt verkühlen.“

Gil schüttelte sich, von der Sprache des Mannes, angewidert und deutete auf die Kutsche. „Wer seid Ihr und zu welchem Hause gehört Ihr? Dieses Wappen sagt mir nichts!“

„Ihr seid doch gewiss ein Knappe, oder?“ Gil nickte zustimmend, „Aber…“

„Dann werdet Ihr die beiden Damen in meine Kutsche geleiten und mit mir das Gefährt erneuern…“

Doch Lola mischte sich ein, „Hört mal, erst wollen wir wissen, wer Ihr seid“, dabei tippte sie ohne jeder Scheu auf seine Brust, „und was Ihr hier wollt…Ihr seid doch gewiss auf dem Weg nach Hainburg, oder?“

Der Mann nickte überrascht, nicht zuletzt, da sie sich gewagt hatte, ihn anzugehen.

„Nun gut, ich bin Sir Sean Philip von Hohenstalle und mit wem habe ich die Ehre?“

Mit stolz gewellter Brust beugte er sich hinab auf Lolas Augenhöhe. Diese jedoch dachte nicht daran, auf seine Frage einzugehen, sondern lief schnurstracks auf die Kutsche zu und sagte: „Kommt bitte heraus. Wir werden Eure Kutsche wieder instand setzten!“

Ein älterer Mann kletterte auf die Straße und half einer etwas jüngeren Dame ebenfalls hinaus, gefolgt wurden sie von einer Frau, die Heelas Alter entsprechen musste. Angeekelt von dem noch immer strömenden Regen und der bis in die Knochen kriechenden Kälte, schob sie sich zu den anderen unter einen kleinen mit halbdurchnässten Stoff bespannten Schirm.

„Wenn Ihr mich entschuldigen würdet!“, sagte Lola und machte einen gekonnten Knicks.

Heela grinste sie schräg an, „Ich wusste gar nicht, dass du zu so etwas in der Lage bist!?“

„Danke, nur kein Neid!“, erwiderte sie ernst und wandte sich zu Sean, der verzweifelt versuchte, dem Regen zu entkommen.

„Hallo?“, fragte Heela belustigt, „Seid Ihr noch ganz bei Trost. Wer versucht schon, Regentropfen auszuweichen, das ist unmöglich!“

Bestürzt über das Verhalten der jungen Leute, drehte er sich zu seiner Familie um und stolzierte langsam auf sie zu.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte Heela leise in die Runde, sodass es die Fremden nicht mitbekommen würden.

„Du kannst doch nicht in aller Öffentlichkeit zaubern…“

„…kann ich schon“, widersprach Lola, „doch wäre das gewiss nicht klug.“

Gil fasst sich nachdenklich ans Kinn und meinte schließlich: „Wir sagen ihnen, sie sollen sich im Wald unter den Bäumen verstecken, während wir das regeln. Am besten gehst du noch mit, Heela, und passt auf, dass sie uns nicht beobachten…“

Lola nickte, „Eine gute Idee.“

Doch Heela hegte Zweifel, „Ich will ja nun wirklich nicht euren Plan ruinieren, aber glaubt ihr nicht, dass Sir Obertoll mitkommen will?“

„Mh, ich glaube du hast gar nicht so Unrecht, dann müssen wir sie irgendwie ablenken!“, meinte Lola und schnipste zufrieden mit den Fingern.

„Ich hab es: Heela du gehst in den Wald, weil du mal musst, Gil und ich warten solange hier und überlegen mit Sir Sowieso, wie wir das alles regeln könnten, dann schreist du und alle werden dir zu Hilfe eilen. Denk dir irgendetwas aus, was auch einigermaßen wahrscheinlich klingt. Gil geht mit den anderen zu dir, ich bleibe zurück, sie werden es nicht merken, dafür sorge ich schon und dann repariere ich die Achse und renne zurück zu euch. Wenn wir alle wieder bei der Kutsche sind, sieht es so aus, als sei es durch ein Wunder geschehen und wir können beruhigt zurück zur Burg…“

„Eine Frage noch!“, sagte Heela, „Wie kommen wir zurück zur Burg?“

Gil seufzte, „Auf dem gleichen Weg, wie wir her gekommen sind!“

„Och nein!“, stöhnte sie und nickte, „Wenn es denn unbedingt sein muss!?“

Gil erwiderte das Nicken und wandte sich den anderen zu. Nun begannen sie ihren Plan in die Wirklichkeit umzusetzen…

„Ich gehe mal eben in den Wald!“, Heela schmunzelte, deutete auf die Bäume und lief los.

Kurz darauf erschallte ein lautes Kreischen. Erschrocken drehten sich alle in die Richtung um, in die sie gegangen war.

„Schnell, es muss etwas passiert sein!“, rief Sean aufgebracht und rannte los, die anderen hinterher.

Nur Lola blieb zurück und schickte ihnen eine perfekte Illusion ihres Körpers nach.

„Heela, wo bist du?“, fragte Gil, wobei sein Ruf schon fast einem Schrei gleichkam.

Sie war nirgends zu entdecken. Doch plötzlich wiederholte sich der Schrei des Mädchens und die Gruppe stürzte ihr nun zielbewusst entgegen. Sean schob einen großen Busch zur Seite und erkannte Heela, die bleich am Boden lag und geradeaus in den Wald starrte.

„Was ist passiert?“, fragte er nervös, während er ihr auf die Beine half.

Aber sie zeigte nur auf einen Pfeil, der in einem nahen Baum steckte. Gil riss ihn mit aller Kraft aus dem Stamm und musterte ihn.

„Weißt du, wer es war?“

Heela schüttelte mit dem Kopf und hielt sich unbewusst an Sean fest. Hektisch warf Gil einige Blicke in ihre Umgebung, „Wer es auch immer war, er ist jetzt weg!“

Das ältere Ehepaar sah sich suchend um, „Wo ist eigentlich die andere Edeldame?“, fragte die Frau.

Heela drehte sich um, sie hatte Lolas Kommen bemerkt.

„Ich bin hier, falls Ihr mich meint!“, sagte diese vorwurfsvoll und stemmte ihre Hände in die Seite. „Am besten kehren wir zur Kutsche zurück, nicht dass noch all Eure Wertsachen gestohlen werden!“

Die anderen nickten zustimmend und schon kurz darauf, hatten sie sich alle auf der Straße eingefunden. Das Gewitter war weiter gezogen und hatte lediglich eine stehende Nässe in der lauen Luft hinterlassen, die sich schon bald in Dampf wandelte. Die entstandenen Nebelschwaden lagen schwer auf den Pflanzen und senkten sich hinab in das nahe gelegene Tal. Ein bunter Regenbogen schob sich in den blauen Himmel empor, als die warmen Sonnenstrahlen in das Land zurückkehrten. Die kleinen Wassertropfen, die an den Pflanzen und Spinnennetzen zurückgeblieben waren, glitzerten wie Diamanten und verliehen, der sonst so langweiligen Landschaft, einen märchenhaften Glanz.

Die Mädchen sahen sich strahlend um, „Das ist wunderschön!“, entfuhr es Heela und auch Lola trieb es bei diesem traumhaften Anblick ein Lächeln auf die schmalen Lippen.

Nur Gil blieb unbeeindruckt und tippte die beiden an die Schulter.

„Wir sollten nun gehen!“, sagte er auffordernd.

Sie nickten und verabschiedenden sich von den Edelleuten.

Doch Sean wollte sie aufhalten: „Wollt Ihr nicht mir uns kommen? Wir sind auf dem Weg nach Hainburg und von dort stammt Ihr doch, oder?“

„Ja, aber wir gehen lieber zu Fuß, da wir noch etwas erledigen müssen!“, log Gil und lief los.

Lola und Heela folgten ihm, beachteten Seans Versuche, sie zur Mitfahrt zu überreden, nicht.
 

„Echt aufdringlich, diese Edelleute!“, knurrte Heela im Laufen. „Dauert es lange, bis wir wieder zurück sind?“

Lola schüttelte mit dem Kopf, „Nicht länger, als auf dem Hinweg!“

„Na toll, das kam mir aber ganz schön lang vor!“

Gil grinste breit, „Normal bei so einem Mistwetter.“

Endlich gelangten sie an den verdeckten Hintereingang und schoben sich hindurch.

„Seid leise und benehmt euch unauffällig!“, flüsterte Gil den Mädchen zu und führte sie zurück in die Empfangshalle.

Dort sah er sich skeptisch um, Lola meinte dann: „Niemand da!“

„Merkwürdig!“, murmelte der junge Knappe und wandte sich zu Lola.

Diese blickte ihn lächelnd an, als sie abermals festgestellt hatten, dass sich niemand in der Nähe aufhielt, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und packte Heela am Arm.

„Komm lass uns von hier verschwinden.“, sagte sie.

Gil sah ihnen noch einen Moment nach, ging dann aber die Treppe hinauf, in seine eigene Kammer.



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