Zum Inhalt der Seite

Papilio

Buchstabier mir Hoffnung
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Konfrontation

Anmerkung: Nein, ich habe die Geschichte hier noch nicht vergessen. Ich habe bloß nicht vor, in absehbarer Zeit daran weiterzuschreiben.

Dieses Kapitel ist vor einigen Monaten entstanden und ich fand es irgendwie schade, es weiter auf meiner Festplatte vor sich hin stauben zu lassen. Ich mag die Geschichte noch immer und nachdem ich sie noch einmal seit langer Zeit wieder durchgelesen habe, sind auch plötzlich all die Ideen zurückgekommen, die ich noch so gerne hatte umsetzen wollen.

und wer weiß, vielleicht wird ja doch noch was draus.
 

Meinungen sowie Verbesserungsvorschläge sind gern gesehen.
 

***
 

Die Küche ist winzig. Auf dem schiefen Plastiktisch türmen sich schmutzige Teller und umgefallene Flaschen.

Der Herd ist vollgestellt, die Spülmaschine funktioniert schon lange nicht mehr. Trübe fällt die Morgensonne durch die ungeputzten Fensterscheiben.

Es riecht nach Alkohol.

Mir ist kalt. Mühsam schleppe ich mich weiter durch den schmalen Flur, vorbei an dem ganzen Gerümpel aus Jacken und Schuhen. Meine linke Schulter schmerzt schrecklich und ich habe das Gefühl, keinen einzigen Schritt mehr laufen zu können.

Wenn ich schlucke schmeckt es immer noch nach Blut.
 

Marlo ist irgendwann einfach abgehauen. Nörgelnd und stampfend. Raupe hat mir beim Aufstehen geholfen. Mir war schrecklich schwindelig und ich war erschöpft und müde. Josha ist nicht mehr aufgetaucht. Der Rucksack war weg.

Als ich aufwachte, lag ich zusammengekauert im Treppenhaus, direkt neben der Wohnungstür.

Auf Raupe ist und bleibt eben Verlass.
 

Plötzlich wird die Schlafzimmertür geöffnet.

Eine Frau tritt heraus. Sie ist klein und beängstigend schlank, der weiße Bademantel fällt beinahe gespenstig an ihren blassen Schultern herab. Sie sieht aus wie eine lebensgroße, kaputte Porzellanpuppe.

"... hallo Ma.", sage ich. Ich hätte wissen müssen, dass ich ihr über den Weg laufe. Ich hätte gar nicht erst nach Hause kommen sollen.

Sie sieht mich an. Die Augen sind ausdruckslos und schimmern glasig.

Dann schiebt sie sich an mir vorbei in die Küche. Ihre Bewegungen sind eckig und langsam.

"Dion ..." Schranktüren knallen. Wahrscheinlich sucht sie nach einer sauberen Tasse. Widerwillig schlurfe ich hinter ihr her.

"... du siehst gar nicht gut aus heute." Wenn sie spricht, dann klingt es wie ein leiser Singsang. Früher hat mir ihre Stimme gefallen. Heute hört es sich an, als wäre sie ständig betrunken.

"Bin die Treppe runtergefallen.", nuschele ich. Im Grunde genommen, ist es ihr ja sowieso egal.

Sie seufzt. "Schon wieder?"

Mittlerweile hat sie eine Tasse gefunden, wankt zur Spüle und dreht den Wasserhahn auf.

"Wieso bist du nicht in der Schule?"

"Heute ist Samstag."

Sie reagiert nicht. Benommen lässt sie sich auf den Stuhl fallen und rührt in der Tasse mit dem Leitungswasser. Ich nehme ihr den Löffel aus der Hand.

"Du hast den Kaffee vergessen."

Für einen Moment sieht es aus, als wolle sie sich lachend an den Kopf fassen. So wie früher. Doch sie seufzt nur und schiebt die Tasse von sich weg.

"Hast du schon gehört?", fragt sie. "Gestern Nacht hat jemand bei den Weingarts eingebrochen. Die Schwester von Dreifinger Eddie hat es mir erzählt, unten bei dem kaputten Zigarettenautomaten."

Der Löffel landet klirrend auf dem Boden. Irgendwie gefällt mir diese Situation nicht. Ganz und gar nicht.

Der Blick meiner Mutter ist traurig.

"Pflaster sind im Bad.", murmelt sie dann und ich krieche unter den Tisch, um den Löffel aufzuheben. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht bloß so tut, als würde sie nichts von meiner plötzlichen Nervosität mitbekommen.

"Hm.", mache ich nur, richte ich mich schnell wieder auf und lege den Löffel auf den Tisch. Die hässliche Uhr in der Küche steht auf halb elf.

Meine Mutter ist schon längst wieder woanders mit ihren Gedanken.

"Vorhin hat dieser Marlo angerufen. Du warst nicht da.", während sie spricht, steht sie auf und geht zur Spüle. Schmutziges Leitungswasser fließt aus der Tasse zurück in den Abguss.

Ich zucke mit den Schultern. Mir tut alles weh.

"Und du musst wirklich nicht zur Schule?", fragt sie dann.

"Nein. Ich hab doch gesagt, es ist Samstag, Mama."

Sie murmelt irgendetwas unverständliches vor sich hin.

Sie ist verrückt, sagen die Leute im Haus. Ich sage, sie ist rettungslos verzweifelt.
 

Schweigend schlurfe ich ins Bad. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie meine Mutter den Kühlschrank aufreißt und eine halbvolle Flasche herausholt.

Es riecht immer noch nach Alkohol.
 

***
 

Hinterhof.

Eine Gruppe Jugendlicher lungert bei den alten Bänken herum. Gelächter. Vor geraumer Zeit hat irgendjemand an der Hofmauer provisorisch einen hässlichen Basketballkorb befestigt. Er hängt schief und wackelt und das Netzt ist aus schäbigen Lumpen geknotet.
 

Marlo, wie immer in der Mitte. Wild gestikulierend und mit einem netten Veilchen im Gesicht. Ich atme einmal tief durch, trete durch die ausgehängte Eingangstür meines Wohnblocks und gehe dann leicht zögerlich auf den Pulk zu. Er macht mich rasend, dieser Kerl. Rasend. Wie er da steht, mit seiner verdammten Secondhand-Lederjacke und dem überheblichen Grinsen im Gesicht. Das schreit ja förmlich nach einem hübschen Fausthieb. Vielleicht auch nach zweien.

Gestern bei Weingarts eingebrochen. Kumpel im Stich gelassen. Sich mit mir geprügelt. Heute wieder Star des Häuserblocks.

Erwähnte ich bereits, wie sehr ich ihn hasse?

Eine Gruppe Mädchen kichert, als ich an ihnen vorbeigehe. Sie tragen viel zu weite Hosen und die meisten von ihnen viel zu kurze Röcke. Die Nylonstrümpfe haben Laufmaschen, die Gesichter trotz Schminke fahl und längst nicht mehr zart und mädchenhaft. Sie rauchen.

Mich erinnern sie ein bisschen an bissige, streunende Katzen, die zu oft ihre Bekanntschaft mit dem Wasser gemacht haben.
 

"Dion!" Eine kleine Gestalt löst sich aus der Menge und läuft auf mich zu. Wieder kichern die Mädchen. Blöde Hühner. Auf dem Boden konkurrieren zertretene Zigarettenstummel mit kaputten Flaschen. Der Inhalt? 200% alkoholischer Herkunft.

Raupe lächelt. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wütend gesehen habe.

"Danke noch mal," sage ich und bewundere verlegen die schöne Bodendekoration. "...wegen gestern und so."

Raupe nickt und ich merke, wie sein Blick zu den Mädchen schweift. Marlo grölt.

Ich muss mich zusammenreißen, nicht kopfüber auf ihn loszustürzen und meine Faust seinem Gesicht Guten Tag sagen zu lassen.

Ein paar Jungs mit grellbunten Haaren und Punkerkluft starren zu uns rüber.

"Marlo hat erzählt, dass du den Rucksack versemmelt hast.", erklärt Raupe, jetzt wieder mit Blick zu mir. Eins von den Mädchen lacht auf und stößt ihre Nachbarin grinsend an. Sie ist klein und ihre Haut hat die Farbe von hellem Mokka. Die Haare sind teuflisch rot und mit zwei lustigen Haargummis zu mehreren kleinen Zöpfchen gebunden. Sie trägt bunte Ringelstrumpfhosen.

"Nicht anders zu erwarten", knirsche ich. "Richtig leicht, jedes Mal aufs Neue der Versager der Nation zu sein. Mit Marlo zum Kumpel, jedenfalls",

Raupe versucht ein Lächeln, jedoch wirkt das Resultat leicht gequält. Er beugt sich vor und flüstert: "Kennst du Joshas Schwester?"

Ich schüttele den Kopf. Doch ich ahne, es muss sich wohl um das Mokka-Mädchen handeln. Sie hat die gleichen Augen und den eigenwilligen Stil. Ich glaube, Raupe mag sie. Aber das nur nebenbei. Der Kleine räuspert sich.

"Sie hat erzählt, Josha ist gestern nicht nach Hause gekommen. Und heute auch noch nicht",

Eine zarte Furche gräbt sich in Raupes Stirn.

"Hoffentlich ist ihm nichts -"

"Dreck", wütend balle ich die Fäuste. Ich hätte Josha nicht hängen lassen sollen. Meine Schuld. Rucksack weg. Josha weg. Schwester besorgt. Meine Mutter trinkt schmutziges Leitungswasser. Himmel noch mal, wie beschissen kann ein Leben eigentlich sein?

Beschwichtigend schüttelt Raupe den Kopf.

"Marlo hätte genauso gut -"

"Dieser Mistkerl - !" Unbewusst hebt sich meine Stimme und ich werfe giftige Blicke in Richtung Marlo. Noch hat er mich nicht bemerkt. "Schau ihn dir doch an! Wie der sich sonnt in verdammter Bewunderung und seiner Selbstverliebtheit. Und wofür? Was hat er den gemacht, gestern? He?"

"Lass es einfach ...",

Ein zaghafter Versuch seitens Raupe, mich zurückzuhalten. Doch ich bin gerade viel zu sehr in Rage, als dass ich mich einfach so bremsen lasse. Mittlerweile spüre ich die ersten neugierigen Blicke auf mir.

"Von uns hat doch jeder schon mal was geklaut.", redet Raupe leise auf mich ein. "Das ist keine Seltenheit. Und das gestern ...",

"... war nichts weiter als ein netter kleiner Einbruch, Wochen vorher bis ins Detail und auf kriminelle Art und Weise geplant.", vervollständige ich. "Mensch, Raupe, kapierst du es nicht? Eben im Treppenhaus, da hab ich gehört, der alte Weingart soll dich und Marlo erwischt haben und -",

"Es war zu dunkel, er konnte uns bestimmt nicht erkennen!" Raupe wirkt gehetzt.

"... und dann hat Marlo ihn kurzerhand einfach so mal niedergeschlagen. Klar. Das hat ja jeder von uns schon mal gemacht. Ich mach das ständig, jeden Tag mindestens dreimal, ehrlich."

Raupe kaut auf seiner Unterlippe herum.

"Weißt du eigentlich, wie man so was nennt? Weißt du’s? Einbruch. Körperverletzung. Wir waren immer stolz, nicht zu den Typen zu gehören, die sich hier durch die Gegend " verbrechern" ...! Wir haben es immer irgendwie anders geschafft, wir -,"

Mitten im Satz breche ich ab und schiebe Raupe beiseite. Marlo ist gerade dabei viel zu detailliert und viel zu großkotzig herumzuposaunen, wie er vor ein paar Tagen ein Mädchen namens Jessica abgeschleppt hat.

"Den kauf ich mir,"

Raupes Augen werden groß wie Tischtennisbälle. "Lass es!" zischt er.

Ich gehe nicht weiter darauf ein. In einem Anflug von höchstem Mut und tiefster Idiotie mache ich ein paar Schritte in Richtung Pulk.
 

"Hey!", rufe ich. "Mr. Obermacker!"

Beinahe bin ich erschrocken über die Lautstärke meiner eigenen Stimme. Die Mädchen stellen augenblicklich ihre Gespräche ein und einer der Punks vergisst sogar an seiner Zigarette zu ziehen.

Marlo horcht auf.

Jetzt bin ich mir entgültig sicher, dass nahezu ALLE Augenpaare auf mich gerichtet sind.

Verdammt.

Hab ich mich nicht gerade gefragt, wie beschissen ein Leben eigentlich sein kann?

Knapp ein Dutzend Kerle, Marke: “Wer will Hiebe?“ drehen sich zu mir um. Darf ich vorstellen, Marlos ganz persönliche Gangster-Gilde.
 

Und ich hab noch nicht mal mehr eine Lederjacke.
 

...



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-05-31T17:44:14+00:00 31.05.2009 19:44
Huch? *umguck* Was ist hier denn los? Wieso ist es hier so leer?
Ehrlich, nach diesen ersten drei Kapiteln hätte ich eigentlich sehr, sehr, seehr viel mehr Kommentare erwartet. Skurril...

Du hast - ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll - die Zeilen mit Farbe gefüllt. Von der ersten Seite an war ich komplett drin.
Der Prolog ist ein herrliches Über-allem-drüber-schweben, dagegen knallt es mit dem Anfang des ersten Kapitels sofort rein und geht voll los. ... Ok, das klingt wahrscheinlich mehr als unverständlich, aber so ist es halt für mich und ich finde es großartig.
Hier und da waren winzige Rechtschreibfehler, aber im Vergleich zu allen anderen Geschichten hier war es wirklich sehr wenig. Sehr angenehm :)
Die Formulierugen, deine Schreibweise finde ich toll.
Zum Beispiel war der Dialog mit seiner Mutter sehr bewegend. Sehr schön geschrieben. Und auch sonst wirkten die Dialoge auf mich sehr authentisch.

Ansonsten kann ich meinem Vorredner nur zustimmen, es wäre wirklich Verschwendung, wenn du das hier nicht weiter schreiben würdest.

lg Aleonora
Von: abgemeldet
2009-02-02T08:05:16+00:00 02.02.2009 09:05
O.K., also das erste Kapitel war wunderschön. Jetzt versteh ich auch, was du mit Heiratsanträge meintest.- Danach hast du bestimmt enige erhalten. XD
Und danach das zweite, war ein klein wenig, den Leser in unbekanntes Terrain geworfen. Und ein wenig war die Schönheit des ersten Kapitels... weg ist das falsche Wort, aber umgewandelt. Ein bisschen war es zu sehr in der Handlung drin, und das hat den Prolog invertil gemacht. Dennoch hattest du da enige schöne Formulierungen. "Zusammengekauert wie ein Embryo." war genial.
Und das zweite Kapitel war dann endgültig Naganaga. Die Handlung hat endlich Sinn gemacht und war super, und mann hat endlich gemerkt wozu der Prolog gut war. Und die Mutter war super- Bei der mann nicht wusste ob mann lachen oder weinen soll.

P.S.: Hoffentlich schreibst du das irgendwann doch noch mal weiter.- Wäre sonst wirklich zu schade.


Zurück