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Hyliar

Und morgen geht die Sonne wieder auf
von

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Der verlorene Sohn

Lee verstand nicht, was das ganze sollte. War er nun vollkommen wahnsinnig geworden um diesen Leuten zu folgen, oder war ihm alles so egal geworden? Nein, alles nicht, aber zumindest das, was sein Leben betraf. Es konnte für ihn selbst sowieso nicht mehr schlimmer kommen. Er war zum Mörder geworden und hatte Miakos Wegbegleiter auf den Gewissen. Sie hatte ihn vorher schon verachtet und in Schande davon gejagt. Ying hatte sich ebenfalls abgewendet von ihm. Er war allein auf der Welt und zudem bestimmt noch ein gesuchter Mörder.

Ob die Japanerin den Verlust von Minusch überhaupt schon bemerkt hatte?

Ganz bestimmt.
 

Der Junge wusste nicht ob es tatsächlich stimmte was man sagte, aber es hieß, wenn der Wegbegleiter eines Menschen starb, spürt man einen stechenden Schmerz in der Brust, als würde eine unsichtbare Macht ein Teil der eigenen Seele heraus reißen. Man hörte noch als einzige den letzten Schrei des Wesens, auch wenn er etliche von Kilometer von seinen Menschen getrennt sei. Und der tote Körper würde sich auflösen, in zarte blaue Lichter, ähnlich wie Staub, und dann eins mit der Natur werden.
 

Es gab keine Aufzeichnungen darüber, denn es galt als ein absolutes Verbot den Tod eines Wegbegleiters zu filmen oder anderweitig zu dokumentieren.

Je stärker die Bindung zwischen diesen zwei Bündnispartnern war, desto stärker auch der Schmerz der Trennung. Es soll Menschen gegeben haben, die nach dem Tod ihres treuen Begleiters ins Koma gefallen sind und nie mehr erwachten.
 

Lee sah sich um und betrachtete die heruntergekommenen Häuser. Die Außenwände waren mit grellen Grafitti beschmutzt, Fenster waren zum Teil eingeschlagen und dreckig, rostige Zaunelemente, die nur vereinzelt um die Grundstücke herumstanden, trennten das Territorium des anderen voneinander. Blumen gab es hier keine, nur Unkraut und Gestrüpp wucherte in den Gärten. Überall lag Müll und die Straße hatte mehr Schlaglöcher als ebene Fläche.

Ein einsamer und verlassener Spielplatz erweckte die Aufmerksamkeit des Jungen. Obwohl die Sonne schien wirkte der Ort trist. Die Farbe blätterte bereits an dem rostigen Gestell des Klettergestells ab und die Schaukel gab ein leises, monotones Quietschen von sich, während der Wind diese bewegte, als wolle er ein Kind anschaukeln.

„Du bist so still“, durchbrach Roberto von Lirchenfeld das Schweigen, welches sich über die beiden gelegt hatte. Die anderen Drei aus seinem Team waren bereits vorgegangen, weswegen er mit dem Jungen alleine war. „Ich hoffe doch Mal, dass du keine Angst hast, oder jetzt das Schlimmste erwartest. Freu dich, ab jetzt kann es nur noch besser werden“.

Ein resigniertes, kaum merkbares Nicken war die einzige Reaktion des Schwarzhaarigen. Am liebsten hätte er etwas gesagt, aber es wäre sowieso nur etwas zynisches, oder gar spöttisches heraus gekommen.

Wie um Himmels Willen sollte jetzt alles nur noch besser werden?

Ob Caligo ihn vielleicht helfen könnte? Kentau hatte damals auch in Schwierigkeiten gesteckt, als der Sektenanführer ihn aus dem Sumpf der schrecklichen Ereignisse herausgezogen hatte. Vielleicht war dieser Teufel doch gar nicht so schlimm und viel mehr ein Heiliger. Stand man nicht allen neuen Dingen skeptisch gegenüber und tat es als Böse ab? Vielleicht war die Sekte wirklich die Rettung und nicht die Verdammnis.
 

Sie näherten sich einen großen Grundstück, umgeben von einem alten Metallzaun. Rostige Spitzen warnten einen davor lieber nicht herüber zu klettern, wenn man nicht gerade auf eine Blutvergiftung scharf war. Dunkles und verdorrtes Unkraut hatte sich wie Sterbende auf den sandigen Boden ausgebreitet. Der Wind spielte sanft mit ihren toten Blättern und ließ diese leise rascheln. Eine verlassene Kirche, die Fenster waren schon mit Brettern vernagelt worden, bildete das Zentrum dieses sterbenden Grundstücks. Wie ein Mahnmahl Gottes erhob sich das gotische Bauwerk mit seinen spitzen Turm gen Himmel.

Lee hatte keine Ahnung was er hier sollte. Er war kein Christ, sondern Buddhist, eine Kirche wie diese sagte ihm nicht zu, er verband nichts damit.

Als hätte der Mann seine Gedanken gelesen, gab er ihm die Antwort darauf:

„Hier findest du auch die anderen, an den Ort bist du sicher. Wir sind nicht viele, aber das ist auch besser so. Ich erkläre dir gleich warum, aber lass uns erst einmal hinein gehen“.

Er streckte seine Hand nach den großen Doppeltüren aus und öffnete diese. Sie quietschen leise und ließen sich auch nur schwer öffnen.

Ein Lichtkegel fiel in das erwürdige Gebäude hinein und durchflutete den großen Raum.
 

Nur zögernd trat der Junge ein. Was die Christen an solchen Gotteshäusern fanden wusste er nicht. Auf ihn wirkten sie angsteinflößend und gar nicht beruhigend.
 

Lee staunte, als er ins Zentrum des Raumes blickte. Vor dem Altar hatte man mehrere Tische aufgebaut, die ein „U“ bildeten. Mehrere Bildschirme und Computer standen darauf, führten mit endlos wirkenden Kabeln in die Sakristei und waren dafür verantwortlich, dass überall kleine bunte Blinklichter leuchteten. Akten lagen verstreut herum, gemischt mit Fotos und irgendwelchen Berichten. Der Chinese war neugierig und ging näher drauf zu. Es waren dunkle Fotos, die ein und den selben Mann zeigten. Ein Südländer, wenn man nach dem Aussehen ging. Augen, wie die eines Huskys, waren trotz der Unschärfe deutlich zu erkennen.
 

Jemand räusperte sich hörbar absichtlich.
 

Vor Schreck ließ der Junge die Fotos fallen und sah hinauf zum Altar. Ein vierbeiniges Wesen mit grau- schwarzem Fell hatte sich auf den weißen Marmorblock gelegt und sah ihn mit schlagenähnlichen Augen an. Die Pinselohren zuckten leicht, während der viel zu lange Schwanz hin und her zuckte. Wie die Schlange im Paradies, die Eva schon verführt hatte um von der verbotenen Frucht zu kosten, lag Uri da und beobachtete ihn.

Lee war von diesem Tier gleichermaßen beeindruckt wie geängstigt. Noch nie hatte er ein solch ausgefallenes Wesen gesehen. Ganz bestimmt ein Mischling, anders war sein Äußeres einfach nicht zu erklären.

’Moment, was sagte er noch gleich? Hier sind noch mehrere?’. Kaum, dass ihn dieser Satz wieder eingefallen war, blickte er sich suchend um.
 

„Ist es uns jetzt endlich möglich ihn zu überführen? Es muss doch irgendwo Spuren geben. Fingerabdrücke, Haare, Hautpatickeln, meine Güte, er ist auch nur ein lebendes Wesen, wenn auch ein Dämon, er muss irgendwas hinterlassen haben“.

Lee war über die aufgebrachte Stimmung des Adeligen erschrocken. Gerade noch war er so freundlich gewesen und jetzt brüllte er in einer Kirche herum? Wie sollte das zusammen passen.

„Roberto du kannst fluchen so viel du willst, es ist uns nicht möglich. Erstens hängt uns ständig die CSI an den Fersen und beobachtet fast jeden unserer Schritte und zudem lag die Leiche im Wasser. Wir – “.

Soviel wollte der Chinese gar nicht hören. Allein das Wort Leiche hatte bei ihn bewirkt, dass er sich schlagartig umdrehte und weiter lief. Er war kein Gefangener, warum sollte er sich diesen Ort also nicht näher ansehen dürfen?

Er stieg die schwarzen Stufen hinauf und entdeckte den blonden Schopf eines Mannes. Inbrünstig betete der Fremde auf den Knien. Seine Hände waren gefaltet, kneteten aber unruhig, während leise und gehetzte Worte seinen Mund verließen. Die Robe eines Messdieners bedeckte seinen schmalen Körper und ließ ihn demütig erscheinen. Er wirkte fehl am Platz. Dies war kein Haus mehr um auf Gottes Beistand zu hoffen, es war ganz offensichtlich zu einer Zentrale geworden.

Oder hielten sie diesen Mann gefangen?

„Na wer bist du denn und was machst du hier?“, erklang eine helle Stimme direkt neben ihn. Ein Mädchen, welches viel kleiner war als er, tauchte direkt neben den weißen Marmorklotz auf.

„Ich bin Lee und was ich hier soll, fragst du am besten Robert. Lange Geschichte, auf jedenfall hat er mich mitgenommen“.

’Bloß nicht zu viel verraten, wer weiß wo ich hier eigentlich gelandet bin’.

„Oh, achso. Na dann, willkommen“, begrüßte sie ihn und sendete dabei ein aufrichtiges Lächeln aus. „Mein Name ist Amy Luz del an Angel. Anwärterin der ESGO“. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Die Freundlichkeit wirkte echt, auch wenn der Junge mit dem Begriff ESGO nichts anfangen konnte.

Er nahm vorsichtig ihre Hand und schüttelte diese behutsam. Sie wirkte zerbrechlich. Alles an ihr war so dünn. Arme, Beine, Hüfte. Sie wirkte nicht wie eine junge Frau, sondern mehr wie ein Junge. Ihre Figur war knabenhaft, nur ganz leicht waren die Brüste unter ihrem grünen T-shirt zu sehen. Schulterlange, rote Haare umschmeichelten das liebliche Gesicht mit der gebräunten Haut.

Auch sie hatte kurze Haare, genauso wie Phung.

Nur, dass ihre Augen grün und die von seiner ehemaligen Freundin dunkel waren.

„Weißt du auch warum er dich mitgenommen hat? Bestimmt wegen white Cross oder?“. Ihre Stimme war munter und hell, sie wirkte wirklich sehr sympathisch.

Wie alt sie wohl war? Bestimmt jünger wie er, zumindest verhielt sie sich so. Größe hatte ja nichts auszusagen, obwohl sie wirklich sehr klein war.

Unsicher sah der Junge drein und wiegte den Kopf hin und her.

„Gesagt hatte man es mir so, aber um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung was das genau sein soll. Ich kann mir darunter nichts vorstellen als eine Sekte“.
 

Ruckartig hob der Messdiener seinen Kopf und sah die zwei an.

„White Cross ist bei weiten keine Sekte. Wir sind eine Organisation die auch nur einer bestimmten Gruppe helfen. Wir verführen nicht, wir täuschen nicht, wir zerstören keine Leben. Lass dir das von jemand anderen genauer erklären, aber wirf uns nicht mit den Sünder zusammen“. Kein Bibelzitat folgte der Predigt des Blondschopfs. Es waren die ersten normalen Sätze von Rene, seit er seinen Schützling verloren hatte. Selbst die Diskussion zwischen WV Europa war verstummt. Sie alle sahen den Verwirrten wie ein Weltwunder an.
 

„Was soll das heißen, Sünder?“. Lee war der einzige, der nicht begriff, was für einen Fortschritt diese garstige Antwort für den Zustand des Engels bedeutet. Vielleicht gab es für ihn doch noch Hoffnung, sein verwirrter Geist konnte durchaus noch gerettet werden. Wenn für ihn noch keine Hilfe zu spät war, war es für Marco auch nicht, ganz gleich was die Zeitungen schrieben und diese Adeligen sagten.

Der Spanier war zwar ein unangenehmer Zeitgenosse gewesen, aber im Laufe der Wochen hatte sie ihn irgendwie ins Herz geschlossen. Seine Art war barsch und grob, aber auch er hatte hin und wieder Momente, in denen er ein guter Lehrmeister war und seine Abneigung gegenüber dem Mädchen ganz verschwunden war.

„Sünder nennen wir besondere Wesen, die Älter als die Menschheit selbst sind. Sie sind fleischgewordene Sünden. Es gibt insgesamt sieben von ihnen und sie sind das Gegenteil zu den sieben Tugenden. Allerdings wissen wir von der Existenz der Sünder, aber nicht von den Tugenden. Sie scheinen weiterhin nur besondere und unsichtbare Kräfte zu sein“. An dem Gesicht des Chinesen konnte die Spanierin gut ablesen, dass es ihm schwer fiel ihr zu glauben. Amy seufzte und musste ihre Gedanken sammeln. Wie sollte man einen Laien, der von gar nichts eine Ahnung hatte, die Sache nur erklären?

„Caligo Salvatore ist einer dieser Sünder. Er gehört der Wollust an. Im Grunde kann man sagen, dass jeder Todsünder zu der Sekte gehört. Ihre Wurzeln sind alt, doch zum Glück ist bis auf Leviathan kein weiterer von ihnen erweckt worden. Lange vor unserer Zeit wurden sie von Heiligen verbannt. Manchmal mit Hilfe von Engeln wie Rene, aber auch mit anderen Wesen. Das gefährliche an den Sündern ist, dass sie die Menschheit beeinflusse. Egal wo sie sind, die Menschen werden unbewusst von ihren Sünden befallen und verhalten sich völlig unnormal. White Cross passt unter anderem auch darauf auf, dass die Sünder nicht wieder erweckt werden.

Immer wieder öffnete Lee seinen Mund um zu sprechen, doch überlegte er sich das anders. Während des gesamten Vortragens ging es so und es erstaunte ihn mit welcher Inbrunst das Mädchen über diesen Orden sprach. Sein Verhalten irritierte sie kein bisschen, obwohl er immer wieder Anstallten machte sie zu unterbrechen. Geduldig wartete er, bis ihre glockenhelle Stimme verstummt war:

„Und ich soll nun helfen ebenfalls darauf aufzupassen? Wieso, was habe ich damit zu tun?“.

„Nun“, begann die Rothaarige und warf einen hilfesuchenden Blick in die Kirche. Irgendwer musste den Jungen doch aufklären, sie konnten ihn unmöglich ohne Erklärung mitnehmen und hier stehen lassen. Sie verstand ja, dass der Fall höchste Priorität hat, aber dann hätte Roberto ihn erst gar nicht mitnehmen dürfen.
 

„Es ist vor allem so, dass die Hauptaufgabe von white Cross in der Unterstützung liegt“.
 

In Gedanken schickte die Spanierin ein Dankesgebet für die Hilfe des nubischen Steinbocks zu Gott.

Auch wenn Rene nicht in der Lage war eine Erklärung zu liefern – sein Glaube war zutiefst erschüttert – vermochte es wenigstens sein Wegbegleiter.
 

Die matt grauen Hufe des Tieres erklangen ungewöhnlich laut bei jedem Schritt, egal wie vorsichtig er auch auf die Fliesen auftrat. Sein Kopf schob sich vor das bunte Kirchenfester, die großen, nach hinten gebogenen Hörner brachen das Licht. Sein Fell glänzte silbern wie die kräftigen Beine. Wie in Stein gemeißelt stand der Bock auf den Stufen zum Altar. Seine Stimme war tief und angenehm ruhig.

„In erster Linie ist white Cross wie eine Hilfsorganisation zu betrachten. Wir helfen ehrenamtlich und werden von gewissen Sponsoren unterstützt wie die ESGO. Offiziell sind wir nicht mehr als so was wie das rote Kreuz, wir helfen Menschen, die es im Leben schwer haben, obdachlos sind, seelische Betreuung brauchen, oder einfach nur eine warme Mahlzeit am Tag. So ist die offizielle Version. Die eigentliche ist ähnlich nur mit dem einen Unterschied, dass die Hilfebedürftigen alles keine Menschen sind. Es sind Mischwesen, oder auch solchen Tiermenschen wie du. Sie sind kein Problem für unsere Gesellschaft, oder eine Last, es ist eher andersherum. Diese Wesen sind die Zukunft, irgendwann wird jeder diese Evolution machen, in Millionen von Jahren werden alle so sein. Dass es euch jetzt schon gibt ist so gesehen eine Laune der Natur, ein Sprung. Aber wie es mit allen Minderheiten ist, werden sie vertrieben, gejagt, ermordet. Die Menschheit ist noch nicht bereit für euch, sie fürchtet sich. Und da kommt white Cross ins Spiel. Wir helfen allen Fuß zu fassen und im Leben zu Recht zu kommen. Wir sorgen für Schulplätze, Ausbildungen, Arbeit, Wohnmöglichkeiten und rund um die Uhr ein offenes Ohr“.

Der Chinese schwieg und sah von den dunklen Augen des Wegbegleiters zu Amy. Es lag ein Lächeln auf ihren Lippen, als sich ihre Blicke trafen. Ganz bestimmt war auch sie kein gewöhnlicher Mensch. Erstaunlicherweise machte es Lee keine Angst, oder beunruhigte ihn. Im Gegenteil, es übte auf ihn eine gewisse Faszination aus.

Aber was genau bedeutete es jetzt für sein Leben? Hatte Roberto ihn mitgenommen, damit ihm geholfen wird? Was erwarteten sie als Gegenleistung? Wollte er überhaupt unter ihnen Weilen, wenn sie sich mit einer so alten Sekte anlegten und mit gefährlichen Menschen, oder Wesen, wie Caligo?

„Der Junge muss das ganze wohl erstmal sacken lassen. Es gibt für dich gerade nichts zu tun, genauso wenig für mich, mit der einen Ausnahme, dass ich mich um meinen Menschen kümmern muss. Amy, sei so lieb und nimm dich dem Jungen wenigstens für so lange an, bis der Deutsche entscheidet wie es weiter gehen soll“, bat der Steinbock höflich. Er war einer der wenigen, die der Spanierin solch einen Respekt gegenüber brachten.

Rene war immer nett zu ihr gewesen und hatte sie gut behandelt…

Warum musste er jetzt so leiden?
 

„Selbstverständlich werde ich das“.
 

„Himmel Herrgott noch mal. Jetzt sagt mir endlich, dass das nicht wahr ist“. Roberto war außer sich vor Wut, es durfte nicht schon wieder geschehen. „Was für Versager sind wir, wenn wir immer und immer wieder ihre Spur verlieren und uns von denen an der Nase herumführen lassen? Wie viele sollen eigentlich noch sterben, bis endlich mal jemand auf Caligos Spur kommt?“.

„Also im Grunde“, begann Sebastian und fuhr sich dabei nervös durch die blonden Haare. Er hasste es wenn sein Teamkollege so war. Sein eigenes Temperament war zwar nicht zu unterschätzen, aber im Vergleich zu der grässlichen Laune des Deutschen nicht so hoch. „Wir sind ihm ja auch der Spur und wir wissen es ja auch, aber es fehlen uns die Beweise, damit – “
 

Eine Hand, zur Faust geballt, sauste auf den Tisch herab und schlug Laut auf die Holzplatte. Diese Geste ließ den Franzosen sofort verstummen.

„Ich weiß, dass uns diese verfluchten Beweise fehlen und genau das sollt ihr ändern. Es gibt so viele von der ESGO die ihr Leben gelassen haben, weil sie Caligo zu nahe gekommen sind, Mitglieder von white Cross sind ihm zu Opfer gefallen und fürchten sich jetzt noch vor seiner Rache. Das ganze muss ein Ende haben, es darf so nicht weiter gehen. Insgesamt drei Fragmente befinden sich in seinem Besitz. Sie haben das Buch des Lebens, in dem die Geschichte der Erde steht, den Spiegel der Seele und das Collier des Schattens. Ihre Macht wird wachsen, sie werden noch andere Fragmente finden und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis white Cross nichts mehr unternehmen kann und jeder von uns schon mal sein Testament schreiben kann. Dann gibt es keinen mehr von uns und dieser Teufel kann in aller Seelenruhe die Hölle auf die Erde holen. Es ist nicht an uns gegen Dämonen zu kämpfen, wir müssen nur den Wächtern helfen. Ihr alle habt vor langer Zeit gehört was Lanson gesagt hatte. Gebt ihm die Fragmente und die Wächter werden das Gleichgewicht wieder zurück erobern. Und wir schaffen es noch nicht Mal einen einzigen Mann aufzuhalten und zu überführen?“.

Sebastian beobachtete mit voller Sorge die pochende Ader an der Schläfe seines Gegenübers. Er wollte jetzt kein Arzt sein und den Blutdruck des Menschen messen. Ganz sicherlich befand dieser sich in einen kritischen Bereich. Ob er wohl in seinen Alter und Zustand einen Herzinfarkt erleiden konnte?

„Robert! Nun hör doch zu. Die Widergeborenen machen gemeinsame Sache mit dem Staat. Sie helfen sich gegenseitig und vertuschen die Beweise. Wie sollen wir an etwas herankommen, wenn die Sekte ausgerechnet alle Sicherheitsbranchen für sich beansprucht? Wir können einen Zeugen ruhig verhaften, die Polizei hält uns hin, weil sie mit drinnen stecken und wenn wir es doch schaffen einen anzuklagen, dann sprechen die Richter ihn frei, während sie an ihren Ringfinger das Symbol der Sekte tragen. Oder andere Bereiche wie Ärzte und Wissenschaftlern. Finde eine Leiche die eindeutig Spuren aufweist, irgendwelche aus dem Krankenhaus oder Privatärzte werden die Leiche verschwinden lassen. Es ist einfach unmöglich“.
 

Die schweren Flügeltüren der Kirche öffneten sich durch einen großen Kraftaufwand ruckartig.

„Es ist nicht unmöglich und ich habe die Beweise“, hallte die Stimme eines Mannes durch die Kirche. Der Schall erklang noch Sekunden danach wider, aus den Turm mischte sich das Schlagen von Schwingen hinzu. Ein schwarzes Tier ließ sich auf einen der hölzernen Bänke wieder und richtete die großen Ohren auf.

„Aber das ist“, stammelte der Deutsche, der ganz offensichtlich mit der Fassung rang. Er fuhr sich mit den Handrücken über die Augen, vielleicht hatte er nur zu lange keinen Schlaf mehr gehabt und bildete sich deswegen Dinge ein. „Beim Allmächtigen, du lebst!“.

„Auch wenn du mich schon längst aufgegeben hattest Roberto und nur darauf gewartet hast die Führung zu übernehmen, muss ich dich leider enttäuschen. Ich bin nicht umsonst der beste spanische Agent“. Der Mann schloss die Türen hinter sich und verbannte das blendete Licht aus dem Gotteshaus. Erst jetzt war die Sicht auf den Ankömmling nicht mehr geblendet.

Er war es tatsächlich!

Sein gebräunter und trainierter Leib steckte zwar in den erbärmlichen Sachen eines Bettlers, aber die kurzen schwarzen Haare standen wie eh und je nach oben hin ab. Auch an der aufrechten Haltung und der Arroganz war kein Makel gekommen.
 

„Marco!“.

Amys Stimme hallte durch das ganze Gebäude, so sehr freute sie sich ihren Vorgesetzten wieder zu sehen. Ihre kleinen Füße rannten die Treppe hinunter und führten sie eiligst durch den Mittelgang geradewegs auf ihn zu.
 

Der Agent schob mit den Mittelfinger die Brille auf seiner Nase zurecht.
 

Man wie hatte sie diese Geste vermisst, die nur so vor Selbstsicherheit und Arroganz sprühte.
 

„Was soll das heißen du hast die Beweise?“, unterbrach Roberto das freudige Wiedersehen, das es augenscheinlich nur für die Spanierin gab. Jeder andere verzichtete darauf den Agenten zu begrüßen. Aus guten Grund! Die Adeligen waren nicht gut auf Marco zu sprechen, sie kannten ihn viel länger als Rene oder Amy.

„Wir können Caligo überführen. Leider nicht für alles was er getan hat, aber reichen Diebstahl, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, Geldunterschlagen, Erpressung, Drohung, Körperverletzung und Einbindung öffentlicher Ärzte in Mitwirken der Sekte, sowie Mord erstmal?“.
 

Amy war stehen geblieben. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie von den Agenten. Sie hatte ihn vermisst, sogar sehr. Aber jetzt traute sie sich doch nicht ihn in die Arme zu schließen. Sie spürte deutliche die Spannung zwischen den Erwachsenen und mit einen Mal fühlte sie sich unwohl, wollte einfach nur noch weg und Marco in einen Moment, in dem er alleine war, aufsuchen und ihre Freude mitteilen.
 

„Wessen Mord?“.

Der Spanier presste die Lippen zusammen, sodass sie nur noch ein schmaler Strich in seinem ausgemergelten Gesicht waren. Seine Kleidung stank nach Müll und Unrat.

Wo war er all die Tage gewesen, und wie war er an die Beweise gekommen?
 

„Die Leiche, die man herausgefischt hat. Nun… von ihm habe ich die Beweise. Ihr kennt ihn nicht, aber“. Unbemerkt für die Spanierin senkte sich kurz der Blick des Mannes auf sie. In ihrer Anwesenheit darüber zu sprechen fiel ihn ausnahmsweise Mal schwer. Keine Belehrung von Abhärtung folgte, sondern ein beunruhigter Blick. „Es ist jemand aus meinen Reihen. Ein junger Anwärter namens Husky. Er war Caligo so nahe gekommen wie kein anderer. Ich will es nicht verdeutlichen, aber ihn haben wir es zu verdanken, dass wir endlich was in der Hand gegen die Sekte und vor allem gegen den Sünder haben. Seine Hinrichtung war nicht umsonst“.
 

Es erschien Amy so, als habe man ihr den sicheren Boden unter den Füßen weggezogen, als hätte man ihr den Halt genommen. Ihr verstand stürzte in die unendlichen Tiefen, bevor sie begriff was das bedeutete.

Die Bilder eines jungen Mannes, der noch nicht seine Volljährigkeit erreicht hatte, brannten sich in ihr Gedächtnis. Diese klaren blauen Augen, weswegen er den Namen Husky bekommen hatte, das strahlende Lächeln, seine lieblichen Worte mit den versteckten Komplimenten, all dies schmerzte ihr jetzt so entsetzlich stark in der Brust.
 

„Nach welchem Prinzip lebt ihr in eurer Geheimstation überhaupt?“, erklang Robertos anklagende Stimme direkt neben den Spanier. „Opfert ruhig die Jungen, so lange ihr einen Sieg damit erringen könnt?“.

Selbstverständlich konnte Marco diese Anschuldigung nicht auf sich sitzen lassen, es kratzte an seinem Ego, wenn jemand die Firma angriff.

„Kümmere dich nicht um Dinge von denen du nichts verstehst. Außerdem wärt ihr ohne diese Opfer noch immer bei Null und könntet nichts vorweisen“. Mit einem lauten Knall landete die schwere Mappe auf einen der aufgebauten Schreibtische. Lose Zettel lugten zum Teil unter dem Deckel hervor, sowie einige Fotos.

Aber es gibt noch etwas anderes“, fuhr der einst verschollene Mann fort. „Mit diesen Beweisen können wir nicht nur Caligo auffliegen lassen und seine Sekte, sondern auch seine kleine Akademie in Russland. Diese Schule für besonders begabte Kinder. Leider Gottes befindet sich in den Daten auch genügend belastendes Material für das russische Team. Sie werden mit gefangen werden müssen. Und dieser Kai aus dem amerikanischen Team“.
 

Der Blick des Mannes glitt von Roberto zu Amy, bevor er den Deutschen wieder ins Visier nahm.
 

„Kai Tares wurde ebenfalls in Russland geboren und ging auf diese Schule. Mit zehn Jahren brach er aus und reiste nach Amerika, genauer gesagt, nach New York. Aber bevor er abgehauen ist, stand er in den Diensten des Sektenanführers. Auch gegen ihn wird Anklage erhoben werden müssen. Sein Leben hier war nämlich nicht friedvoll. Ich denke die Einzelheiten klären wir in Abwesenheit der Kinder“. Anklagend klangen die letzten Worte, als seien Amy und Lee nur eine Last. Dabei waren sie genau das Gegenteil, auch wenn der Spanier es nicht einsehen wollte. Es stimmte, für diese Dinge hatten die beiden kein Händchen. Wie auch, keiner von ihnen war alt genug um das Machtspiel der Gesellschaft zu verstehen. Würde es nach ihnen gehen, so würden sie unter einem großen Medienaufgebot Caligo hochgehen lassen. An die Folgen, dass auch viele Existenzen daran hingen, dachten sie gar nicht.

Man musste das ganze mit Vorsicht angehen.

Aber eines war trotz der Schwierigkeit sicher:

Sie hatten den Sünder überführt, seine Zeit war abgelaufen. Nur noch ein par Tage und all seine Werke wären zunichte.
 

Lee konnte die Enttäuschung aus dem Gesicht der Spanierin sehen. Das Lächeln war verschwunden, Tränen verschleierte ihre sonst so strahlenden Augen. Sie versuchte stark zu bleiben und nicht zu zeigen wie sehr es ihr zu schaffen machte. Sie hatte sich so sehr auf Marcos Rückkehr gefreut, wo doch alle an seinen Tod geglaubt hatten. Doch anstatt ein par freundlichen Worte hatte er nichts als nur Spott für sie übrig.

Das war ungerecht, so konnte man mit einem jungen Mädchen nicht umgehen, egal wie hart das Leben als Agentin, Anwärterin, oder was auch immer, war.
 

Aber warum immer diese Blicke zu ihr?
 

Es war auffallend, dass der Mann nicht so sprechen konnte wie er wollte und dies musste an ihrer Anwesenheit gelegen haben. Es gab sonst keinen Grund, warum Marco immer wieder zu ihr sah. Verstohlen, fast so, als würde sie mehr verstehen als der Spanier selbst.
 

Der Chinese betrachtete den Agenten.

Ein Musterbeispiel für die Polizei wäre er bestimmt, zumindest was seine Art, sein Aussehen und sein Auftreten anging. Vom Charakter her war er ein absolutes Schwein. Arrogant, herzlos und keine Rücksichtsnahme.

Obwohl…

Der Schwarzhaarige konnte beobachten wie der Spanier bei dem Altar stehen blieb. Die Adeligen gingen an ihn vorbei, ignorierten sein Zögern und traten in die Sakristei. Leise schien der Agent irgendwas zu sagen, etwas, was dem Messdiener galt. Doch dieser reagierte nicht, starrte einfach nur auf das Kruzifix hinauf, welches bedrohlich von der Decke hing. Marcos harte Züge schienen sich ein wenig verkrampft zu haben. Die Stirn war in Falten gezogen, die Lippen zu schmalen Schlitzen zusammen gepresst. Er berührte den Gottesfürchtigen an der Schulter.
 

„Naja, die Hauptsache ist doch, dass es ihm gut geht“.

Überrascht drehte Lee sich um und ließ die beiden Männer außer Augen. Das Mädchen hatte ihn mit ihrer hellen Stimme überrascht. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Es war eine gezwungene Freude, um zu überdecken, wie traurig sie eigentlich war.

„Leider musst du jetzt wohl noch ein wenig länger warten, bis man dir sagt, was du genau machen sollst. Aber ich denke Mal, dass es nicht fiel sein wird, wahrscheinlich wollen sie dir wirklich nur helfen eine Existenz aufzubauen“.

Stumm nickte der Junge.

Ah verdammt, wieso bekam er einfach kein Wort raus? Musste man denn so verschwiegen sein, wenn fremde Menschen sich mit einen unterhalten wollen?

„Bist du… auch bei dieser Organisation und kein Mensch?“.

Kaum war die Frage ausgesprochen, hätte Lee sich am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Es gab so vieles was ihn interessierte und was er wissen wollte. Aber er fragt ausgerechnet nach etwas, was sie wahrscheinlich sowieso nicht sagen durfte.

Ihr warmherziges Lachen kränkte ihn nicht, im Gegenteil, er freute sich an ihrer Fröhlichkeit.

„Nein, ich bin bei der gleichen Organisation wie Marco. ESGO. Aber mehr darf ich dir nicht sagen, ist nämlich geheim, weißt du?“. Sie zwinkerte ihm zu und dem Chinesen wurde augenblicklich wärmer ums Herz. „Und nein, ich muss dich leider enttäuschen, ich bin ein ganz langweiliger Mensch“.

So langweilig wie sie behauptete fand der Junge sie nicht. Im Gegenteil, so ein interessantes Mädchen hatte er zuvor nur einmal getroffen. Und das war Phung. Aber was die beiden unterschied war, dass Amy ehrlich zu sein schien. Ehrlich, aufrichtig und mit einem bodenlosen Optimismus. Sicher, irgendwann würde so was bestimmt auch mal nerven, aber im Moment erfreute er sich nur daran.

’Auch wenn ihre Figur eher Jungenhaft ist, ich finde sie wunderschön’, ging es Lee durch den Kopf, während sein Bewusstsein ins Reich der Träume driftete.
 

„Wann werden wir also zuschlagen?“. Robertos Frage war nur reine Formalität, er fragte nicht aus Interesse.

Nachdenklich sah Marco an die vergilbte Decke. Eine einsame kleine Spinne hing vertrocknet in ihrem staubigen Spinnennest. Anstatt ihren Fressfeinden eine Falle zu basteln, hatte sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt.

„Wenn alles so klappt wie gerade besprochen, werden wir in acht Tagen ausschwärmen. So lange dürfte es wohl auch dauern sämtliche Einsatzkräfte aus Europa zu beschaffen, die in diesem Fall mit drinne hängen. Außerdem dürfte dann auch die Sache mit der Regierung geklärt sein. Will ich zumindest hoffen. Wir müssen aber von diesen acht Tagen ausgehen. Nicht früher und nicht später. Sollte Caligo aber Wind von der Sache bekommen, oder irgendwas planen, müssen wir eher eingreifen. Aber noch muss ich zusehen, wo ich bis dahin alle Einsatzkräfte unterbringe. Ein Hotel wäre zu gefährlich und sie können nicht alle am gleichen Tag hier hin kommen. Sie müssen nacheinander aufkreuzen, um alles schon mal vorzubereiten“.

„Was ist mit Amy?“.

Es überraschte jeden Einzelnen, dass ausgerechnet der maulende Franzose diese Frage stellte.

Der Spanier war verwundert und verbarg dies auch nicht. Offensichtlich wussten die Adeligen von white Cross doch mehr wie er gedacht hatte.

„Nun… im Grunde wäre es besser, wenn sie nicht mehr da ist. Beseitigt sie. Euch ist es doch auch zu verdanken, dass sie so geworden ist. Also kümmert euch um eurer Versuch auch gefälligst und biegt es so hin, dass es akzeptabel ist. Sie wird nicht mehr benötigt und ist somit nur eine unnötige Gefahr für die Mission“, sprach der Spanier das Schlusswort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kushiel
2008-11-19T17:59:30+00:00 19.11.2008 18:59
Klingt interessant was da so alles passiert muss aber noch einige Kapis von vorher lesen, dann versteh ich alles sicher besser.

Z.B. warum Amy beseitigt werden soll.
Von:  SUCy
2008-11-16T12:15:39+00:00 16.11.2008 13:15
Hi^^
Sorry das ich solange mit meinem Kommi gewartete hab, aber ich kam nicht dazu ^^°
So aber das Kapitel ist echt gut geworden ^.^
Das Marco lebt ist ja ne echte Überraschung ich war mir eigentlich ziemlich sicher das er tot ist oO naja dafür ist ja der arme Husky von ihnen geangen <.<
Aber ich trau den Braten nicht....
Du musst ganz schnell weiter schreiben! -^-^-
Bis bald!


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