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James vs. Augie

I'll be gone
von

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Deaf and Blind

I’m the deaf, you’re the blind
 

These tears you cry

Have come too late

Take back the lies

The hurt … the blame
 

-1-
 

Selbstmord schockt Plazybow High
 

Plazybow, 20 Mai
 

Am Morgen des 20ten Mai stürmte der 16jährige James Howell mit einer Handfeuerwaffe die Plazybow High School und erschoss sich vor den Augen einer ganzen Klasse. Als man seinen Zwillingsbruder Augie Howell nach seinen Beweggründen fragte, nannte dieser Neid als Motiv. James sei stark eifersüchtig auf seinen leistungsstarken Zwilling gewesen und habe sich von den Eltern benachteiligt gefühlt. Der Psychologe Dr. Prof. Michael Brown bestätigte Eltern und Bruder des Selbstmörders, dass dies durchaus denkbar sei.

Brown: „Der weniger intelligente Zwilling fühlt sich oft vernachlässigt von Familie und Bekannten und entwickelt so unbegründetes Selbstmitleid. Diese Form des Selbstmitleids nimmt daraufhin schnell ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) ähnliche Züge an.“ …
 

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„Wichser!“ Ryan warf die Zeitung vor sich auf die Erde. Wie konnten die solche Lügen verbreiten? Wie konnten die so gefühllos sein?! Er war so sauer, dass er diesen Fetzen Mist am liebsten in der Luft zerrissen hätte, aber er tat es nicht.

James hatte keine ADS-ähnlichen Züge. Wie wollten die das beurteilen können? Scheiß Presse! Und wie konnte Augie so etwas behaupten! Neid? Niemals! Ryan ließ sich auf sein Bett fallen und krallte die Hände in die Bettwäsche um nicht zu schreien. So musste er von James Tod erfahren. Das war ungerecht, wenn er doch nur wenigstens noch vorher mit ihm hätte reden können. Wenn er ihm das doch hätte ausreden können und wenn er doch nur wüsste warum! Nur den Grund. Er würde alles dafür tun. Aber den Grund kannte wohl niemand, außer Augie vielleicht. Aber auch nur vielleicht. Nach dem, was er der Polizei erzählt hatte, war Ryan etwas verunsichert was Augie anging. James hatte nie schlecht von seinem Bruder gesprochen. Im Grunde hatte er nie durchkommen lassen, dass er überhaupt einen Bruder hatte, obwohl es jeder zu wissen schien. Wie hatte das geschehen können? Und was war wirklich passiert? Ryan wollte es wissen, er wollte wissen was mit James passiert war. Er wollte wissen warum er James nie würde gestehen können was er schon so lange vorgehabt hatte …
 

Augie saß stumm in der Küche und starrte scheinbar leer auf den Tisch, während seine Augen sich immer wieder bewegten als würde er lesen. Aber er las nicht wirklich. Er kannte den Artikel auswendig und bald würde er ihn sogar glauben, wenn es so weiterging. Und das obwohl er mehr als genau wusste, wie verlogen das doch alles war, aber er konnte doch nichts dafür. Er hatte nichts Falsches gesagt. Mrs. Howell betrat leise die Küche. Sie füllte Augie einen Tee auf und stellte ihn ihrem Sohn hin.

„Ist alles in Ordnung, Schatz?“ fragte sie sanft und legte ihm eine Hand auf den Arm.

Augie nickte nur. Ja, sie hatten ihm alle bestätigt, dass er nichts dafür konnte. Seine Eltern hatten sich so um ihn gesorgt. James weinte scheinbar niemand eine Träne hinterher. Warum auch? Er war doch selbst Schuld an allem. Das wussten sogar Augie’s Eltern.

„Möchtest du nicht lieber nach oben in dein Zimmer gehen und etwas schlafen?“ fragte Mrs. Howell weiter und wieder nickte Augie nur.

Er erhob sich, ließ den Tee stehen und ging. Doch obwohl er sie nicht ansah spürte er die Blicke seiner Mutter genau. Er schauderte. Bloß weg. Er wollte niemanden sehen. Nicht einmal seine Eltern. Er wollte einfach nicht. Am oberen Treppenabsatz stolperte er und fiel. Hoffentlich hatte seine Mutter nichts gehört. Das Bild von James blutüberströmter Leiche leuchtete vor seinen Augen auf und er unterdrückte einen gepeinigten Schrei. Sie sollte ihn nicht hören. Sie durfte ihn nicht hören. Hastig rappelte er sich auf und lief in sein Zimmer. Kaum das er die Tür hinter sich geschlossen hatte überkam ihn ein tückisches Gefühl der Einsamkeit. Es war als hätte er etwas Wichtiges verloren, als wäre er der letzte Mensch hier auf dieser Welt, als wäre er vollkommen … allein.

„Ich bin nicht allein“, sagte Augie leise zu sich selbst und sein Blick fiel auf das handliche weiße Telefon neben seinem Bett. Er konnte jederzeit seine Freunde anrufen. Er war nicht allein.

Es klingelte unten an der Tür. Augie fuhr so heftig zusammen als hätte man ihn geschlagen. Leise öffnete er seine Zimmertür einen Spalt um lauschen zu können.

„Augie? Er ist oben. Aber ich denke er sollte sich ausruhen. Soll ich ihm etwas ausrichten, junger Mann?“ fragte seine Mutter und Augie fragte sich, wer das sein könnte.

„Nein, ich würde sehr gerne mit ihm reden Madam wenn Sie bitte schauen könnten ob er wach ist …“ Ryan!

Augie stürmte aus seinem Zimmer und die Treppe herunter. Seine Mutter sah ihn etwas entgeistert an.

„Aber Schatz ich dachte …“

„Schon gut, Mum. Ich – Es ist okay. Lass ihn rein.“

Mrs. Howell trat zur Seite um Ryan Platz zu machen, aber Augie sah ihn nicht an. Er drehte sich um und hoffte, dass Ryan es als Zeichen verstand ihm zu folgen. Und das tat er auch. Keine paar Minuten später fanden sie sich in Augie’s Zimmer wieder und Augie schien mit einem Mal wieder sehr lebendig.

„Was suchst du hier?“ fragte er und rannte nervös hin und her.

„Ich weiß nicht“, gab Ryan zu und sah sich um. Viel Kram. Nichts Wertvolles. „Darf ich?“ fragte Ryan und deutete auf Augie’s Bett.

Augie nickte nur und beobachtete wie Ryan sich setzte. Eine Haarsträhne fiel ihm dabei ins Gesicht und Augie war es als würde sein Herz einen Schlag aussetzten.

Meins …

Das Bett federte leicht als Ryan sich setzte und seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Als ob er etwas suchte.

Aber was?

Augie lehnte sich an die Tür und sah Ryan nur an. Er fühlte sich wacklig auf den Beinen, jetzt wo Ryan dort saß.

„Ryan?“ fragte er und sein Blick wurde irgendwie leer.

„Ja?“ Ryan sah ihn endlich wieder an und ein angenehmes Kribbeln breitete sich in Augie aus.

Es ist alles meins …

„Hast du … hast du den Artikel gelesen?“ fragte Augie stammelnd.

„Ja“, sagte Ryan und ein dunkler Schatten zog sich über sein Gesicht.

„Ja …“, wiederholte Augie und stieß sich von der Tür ab um sich neben Ryan zu setzten.

„Augie, du hast gelogen“, sagte Ryan während er ihn mit gesenktem Kopf von unten herauf ansah. Augie erwiderte seinen Blick sagte aber nichts.

Lüge?

„Augie bitte“, fing Ryan wieder an und hob dieses Mal den Kopf. Augie starrte ihn nur an. Er war so hübsch … „Augie, warum hat er das getan?“

„Was getan?“ fragte Augie abwesend. War etwas passiert?

Ryan seufzte und schüttelte leicht den Kopf. Es tat weh Augie anzusehen. Er war eine Kopie, ein Abbild von James. Sie unterschieden sich äußerlich kaum.

„Warum hat James …“

Erst jetzt spürte Ryan wie seine Augen feucht wurden. Augie’s Anblick war zu viel.

Augie hob die Hand und fuhr mit den Fingerspitzen über Ryans Wange. Er schien nicht gemerkt zu haben, was Ryan sagen wollte.

„Augie, was hast du? Soll ich lieber gehen?“ fragte Ryan vorsichtig und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Aber er wollte nicht gehen. Nicht wirklich.

„Geh nicht“, sagte Augie und näherte sich Ryan langsam. „Bleib hier.“

Ihre Lippen berührten sich und Ryan schloss die Augen. Eine Träne fand ihren Weg seine Wange hinunter. Augie legte die Arme um ihn und begann ihn flehend zu küssen. Ryan erwiderte den Kuss, doch dann stieß er Augie von sich und sprang auf.

„Nein“, sagte er nur und fuhr sich durch die Haare.

„Was nein!“ rief Augie plötzlich wütend und Ryan sah, dass auch ihm Tränen in den Augen standen.

„Das geht nicht. Ich kann nicht.“ Ryan drehte Augie den Rücken zu.

„Wieso kannst du nicht?“ Augie’s Stimme hatte einen schrillen Klang angenommen. Alles in ihm wollte schreien. Wie konnte Ryan es wagen ihn wegzustoßen?

„Verdammt noch mal!“ Ryan fuhr wieder herum und Augie sah kalt, dass er weinte. „Ich habe James geliebt! Verstehst du? Ich habe James geliebt! Jetzt ist er tot und ich weiß nicht einmal warum. Augie sag’ mir warum. Warum ist James tot?“

James geliebt …

Augie’s Hand wanderte langsam zu seiner Brust.

James geliebt …

Er fand es mit einem Mal so schwer zu atmen.

ICH HABE JAMES GELIEBT!

„RAUS HIER! RAUS! SOFORT!“

Doch Augie wartete nicht einmal bis Ryan gehorchte. Er sprang in Rage hoch und stürmte aus dem Zimmer. Ryan folgte ihm. Er hörte eine Tür schlagen und blieb ziellos auf dem Flur stehen. Wo war Augie hin?
 

-2-
 

Augie wollte schreien. Einfach schreien. Er lag in James Zimmer auf dem Boden und wand sich als hätte er Todesqualen auszustehen.

Dich hat keiner geliebt James. Keiner hat dich geliebt. Alle haben dich gehasst, ja alle! Sie haben alle nur mich geliebt! Hörst du? Nur mich!

Wie gern er es laut herausgeschrieen hätte, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Stattdessen zog er sich an James Kommode hoch und begann alles was er erreichen konnte zu zerschlagen. Ihm war egal was er war, Hauptsache war es ging kaputt. Stumm riss er die Bücher aus den Regalen, zertrat die Schranktür, riss alle Schubladen aus den Schränken und zerschmiss alles, was ihm in die Finger kam. Es sollte alles kaputt sein. James sollte aus seinem Leben verschwinden, als wäre er aus einem Comic ausradiert worden. Nichts sollte an ihn erinnern. Rein gar nichts. Er war es gar nicht wert! Irgendwann sank Augie leicht verletzt und vollkommen benommen auf den Scherbenübersäten Boden. Er legte den Kopf auf die Arme und schloss die Augen. Draußen waren Geräusche. Jemand hämmerte gegen die Tür und brüllte seinen Namen. Doch das war ihm egal. Draußen waren laute Rufe zu hören, das Fenster war zerbrochen. Doch das war ihm egal. Seine Handfläche blutete, weil er so sehr auf eine Lampe eingedroschen hatte. Doch das war ihm egal …

„Augie! Augie mach auf! Junge was machst du da drin?“

Mum .. er wollte mich leiden sehen. Mum, er hat gemacht, dass ich das getan habe. Mum, er ist schuld an allem!

Augie rappelte sich auf. Seine Haare waren zerzaust. Jeder Knochen in seinem Körper schien weh zu tun.

Das ist alles deine Schuld James!

Er sah hoch und erblickte sein Spiegelbild. Den Spiegel hatte er vergessen. Der Spiegel hing noch immer dort wo James ihn aufgehängt hatte. Augie starrte sich im Spiegel an, das Bild starrte zurück.

„Du!“ sagte er und deutete auf das reflektierende Glas. „Du bist Schuld an allem. Es ist alles deine Schuld! Ich bin glücklich, dass du gestorben bist. Du kannst mir nichts mehr antun. NICHTS MEHR HÖRST DU? NICHTS! DU HÄTTEST MICH TÖTEN KÖNNEN! DU WOLLTEST NICHT! JETZT LACHE ICH DICH AUS!“

Und mit bloßen Fäusten zertrümmerte er auch den Spiegel.

„Augie! Augie!“

Blut tropfte von seiner Hand auf den Boden. Die Welt verschwamm vor seinen Augen, dann wurde sie wieder unangenehm klar. Die Schmerzen, die er fühlte, taten so gut. Er fiel auf die Knie.

Ich habe keine Schuld …

Wieder wurde alles unscharf, doch es klärte sich nicht wieder. Es wurde dunkel. Unendlich dunkel. Augie zog sich an James Bett hoch und fiel kraftlos auf die Kissen, hinterließ mit seinen Händen Blut auf dem Laken. Sie rochen nach James. Starb er jetzt? Nein er würde nicht sterben. Er würde den toten James auslachen, ja das würde er tun. Und dann wurde es beklemmend Dunkel.
 

Ryan stand verlassen auf der Straße herum. Mrs. Howell hatte ihn rausgeschmissen nachdem Augie durchgedreht war. Und jetzt stand er hier bereits 5 Minuten, oder mehr? Nur einmal hatte ein lautes Scheppern ihn aus seiner Starre geholt. Er hatte aufgeblickt und gesehen, dass ein Fenster im zweiten Stock des Hauses zerbrochen war. Etwas flatterte ihm vor die Füße. Er hatte sich gebückt und es aufgehoben. Ein Photo von James. Und jetzt stand er hier und starrte es an.

Warum?

Augie wütete immer noch dort oben, bis es schließlich still wurde. Und dann diese Worte.

„Ich bin glücklich, dass du gestorben bist … du hättest mich töten können … ich lache dich aus …“

Hatte er das wirklich gesagt? Glücklich. In Ryan begann die Wut zu kochen. Und ihm wurde klar wie dumm er eigentlich gewesen war. Augie hatte ihn zu diesem Date verleitet und Ryan hatte angenommen, weil er glaubte, dass Augie vielleicht genauso lieb wäre wie James. Er hatte es die ganze Zeit geglaubt, hatte Augie für eine Art Opfer gehalten. Und jetzt das. Es traf ihn mit aller Wucht. Ryan drückte James Bild an sich. Wie hatte er so blind sein können? Aber das würde Augie schon noch bereuen. Ja, das würde er ganz sicher. Bei der nächsten Gelegenheit.
 

Augie seufzte und sah hoch in den Himmel. Er hasste Ärzte. Sie stellten immer so dumme Fragen. Außerdem wollten sie ihn für irre erklären. Schwachsinn. Zum Glück war er da jetzt raus. Zwingen konnten sie ihn ja zu nichts. Es ging ihm gut. Oh ja, sehr gut sogar. Da würde auch ein dummer Arzt nichts dran ändern. Immerhin war James endlich tot und Augie hatte die Welt für sich alleine. Auch dieses beißende Einsamkeitsgefühl würde bald vorübergehen. Und dann standen ihm alle Türen offen.
 

-3-
 

Müde betrat Augie das Klassenzimmer. Eigentlich hätte er in der 3.05 Unterricht haben müssen, aber aus irgendwelchen Gründen war der Raum immer noch unzugänglich. Was die für einen Terror um diesen kleinen Vorfall machten war Augie schleierhaft. Aber sollten sie nur. Irgendwann würde niemand mehr den Namen James Howell in den Mund nehmen. Augie stellte seine Tasche auf den Tisch und sah dann das erste Mal hoch. Alle starrten ihn stumm an und Augie hätte beinahe gelacht. Sie dachten wohl James Tod würde ihm nahe gehen. Unsinn.

„Hey Augie“, jemand legte ihm eine Hand auf die Schulter. Es war Sam. „Alles klar?“

„Warum nicht?“ fragte Augie fröhlich und sah seinen Kumpel an.

„Na ja … hätte ja sein können“, sagte Sam scheinbar cool, aber doch irgendwie beunruhigt.

„Keine Panik“, sagte Augie und packte seine Sachen aus. „Mir geht’s wunderbar. Alles bestens. Treffen wir uns wieder heute Nachmittag am Spielplatz?“

So gelassen hatte Sam Augie nur selten erlebt. Es war etwas gruselig.

„Klar doch“, sagte er nur.
 

Augie schloss die Tür so schnell hinter sich, dass er sich fast die Hand eingeklemmt hätte. Bloß raus aus diesem Ding was sich sein zu hause nannte. Er fühlte sich so unwohl oben in seinem Zimmer wie noch nie.
 

Ryan stand allein auf dem Friedhof vor James ganz frischem Grab. Sie hatten ihn heute früh beerdigt. Und das so schnell wie möglich und ohne viel Aufwand. Ein kahler Grabstein, ein paar einzelne Rosen … als hätte James keine Familie gehabt. Schon wieder wurde Ryan wütend. Doch die Trauer war stärker. Er starrte auf den kalten grauen Stein und spürte, wie ihm eine Träne über die Wange lief.

„Das ist unfair …“, brachte er hervor und kniete sich hin. „James, wenn du mich hörst, ich wünschte du könntest es, ich liebe dich, weißt du? Ich liebe dich wirklich. Ich hätte alles für dich getan. Wieso bist du nicht zu mir gekommen?“ Immer mehr Tränen liefen. „Ich werfe es dir nicht vor James. Du konntest es nicht ahnen, oder? Wäre ich nicht so feige gewesen …“

Ryan stockte. Er konnte nicht weiterreden. Das tat so weh. Er verstand gut warum Augie alles um sich herum zerschlagen hatte, aber er verstand nicht wie er es gewagt hatte James Sachen anzurühren.

„Ich … ich räche dich James … alle … alle hacken auf dir rum … sogar jetzt noch … aber, aber ich werde …“

Ryan raffte sich hoch zog einen weißen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke und legte ihn unter einen spärlichen Strauß Rosen. Sein Gesicht war feucht, aber das schien ihn nicht zu kümmern.

„Ich liebe dich“, sagte er noch einmal leise und es klang wie ein Schwur …
 

Augie war als erstes am Spielplatz. Es war unheimlich leer hier und das gefiel ihm überhaupt nicht. Warum waren die anderen noch nicht da? War er zu früh? Wahrscheinlich war es das. Er setzte sich auf seine Tischtennisplatte und zog die Knie an. Trotz der Wärme des Sommers war ihm kalt. Gelangweilt begann er damit eine Haarsträhne um seinen Finger zu wickeln.

Einsam …

Augie schauderte, ließ von seinen Haaren ab und versenkte das Gesicht in seinen Armen, die er um die Knie geschlungen hatte.

„Mir geht es gut!“ redete er sich ein. „Mir geht es mehr als gut!“

Aber eigentlich ging es ihm überhaupt nicht gut.

Wir sind eins Augie …

„Sind wir nicht“, flüsterte Augie und schloss so fest die Augen, dass er bunte Punkte flimmern sah. Hoffentlich kamen die anderen bald. Sonst würde er einfach wieder gehen. Er wollte hier nicht allein sitzen und in irgendwelchen Halluzinationen versinken. Das machte ihn wütend. Sein Körper reagierte nicht so wie es sein Kopf gerne wollte und Augie hatte es schon immer gehasst, wenn etwas nicht nach seinem Kopf gegangen war. Plötzlich vernahm er Schritte. Hastig öffnete er die Augen und wollte sich umdrehen, doch jemand sprang von hinten auf die Tischplatte und legte ihm einen Arm um den Hals.

Augie erschrak so heftig, dass ihm einen Augenblick der Atem wegblieb. Doch die Zeit reichte dem Angreifer ihn heftig von der Tischtennisplatte zu stoßen, so das Augie schmerzhaft hart auf dem Boden landete. Ein Paar Füße tauchten neben ihm auf. Er konnte sie nicht zuordnen, aber wohl die Stimme die jetzt anfing zu sprechen.

„Du wirst schon noch spüren, was es heißt zu leiden!“

Ein Tritt traf ihn direkt in den Magen. Augie stöhnte auf vor Schmerzen. Das konnte nicht wahr sein. Das konnte einfach nicht wahr sein! Er wurde hoch gezerrt, sah für den Bruchteil einer Sekunde blaue Augen aufblitzen und bekam einen heftigen Schlag ins Gesicht. Sofort lag er wieder auf dem Boden. Augie schmeckte Blut. Irgendwo von weit weg sagte ihm eine Stimme er solle sich wehren. Eine andere Stimme lachte ihn aus. Lachte IHN aus! Zwei starke Hände griffen nach ihm.

„Verpiss dich!“ zischte Augie und wollte sich wehren, doch er steckte sofort wieder einen Schlag ein. Seine Lippe war aufgeplatzt. Er wollte die Arme vor den Kopf schlagen um weitere Schläge abzuwehren, doch scheinbar hatte der Angreifer vor eine Pause einzulegen. Zitternd vor Schmerzen sah Augie zu ihm hoch. Jeder Knochen tat ihm weh und seine ohnehin verletzte Hand pochte schmerzhaft. Ihre Blicken trafen sich.

„Das ist … unfair …“, brachte Augie hervor. Sein Gegenüber sah ihn nur an. „Ich … ich hab James vielleicht alles weggenommen, aber er hat mir das weggenommen was … was ich wirklich haben wollte. Das … was mir am wichtigsten war.“

„So? Was war DIR denn schon wichtig außer ihn zu quälen?“

„Er hat DICH … hat dich um den Finger gewickelt“, Augie spürte Tränen seine heißen Wangen herab laufen. „Ich wollte dich! Ja genau das wollte ich! Und … und er? Er hat dich angemacht! Und deshalb habe ich ihm erzählt, dass wir ein Date haben! Ich hab ihm erzählt ich würde mit dir schlafen! Ja, da hast du es! Da hast du deinen Grund! Das wolltest du doch!“

Ryan starrte Augie an, als wäre er etwas besonders Ekelhaftes.

„Was denkst du dir eigentlich? Was erlaubst du dir eigentlich mit dem Leben anderer? Egoist!“

Rasend vor Wut zerrte Ryan den wimmernden Augie wieder vom Boden hoch. Es interessierte ihn nicht, dass er schon blutete. Er sollte seinetwegen verrecken.

„Arschloch!“

Er schlug Augie so heftig ins Gesicht, dass er wieder nach hinten stolperte, mit dem Kopf gegen die Kante der Tischtennisplatte knallte und bewusstlos auf dem Boden liegen blieb. Ryan starrte angewidert auf ihn herab. Lautlos floss Blut auf die grauen Steine.

„Hey! Was macht der da! Ey!“

Ryan sah sich hektisch um. Augie’s Freunde waren im Anmarsch. Er musste weg.
 

-4-
 

Kopfschmerzen …

Macht, dass es aufhört.

Leere …

Wo bin ich?

Dunkelheit …

Wer bin ich?
 

Licht. Langsam öffnete er die Augen. Kaltes Licht. Steriles Licht.

„Er wacht auf!“

Sein Kopf dröhnte. Alles war so unwirklich.

„Augie, hörst du mich?“

Augie? Mit wem redeten sie? Vorsichtig hob er einen Arm, streckte ihn leicht aus und betrachtete seine Hand. Sie war fast weiß. Wer waren diese Leute um ihn herum?

„Doktor er ist bei Bewusstsein!“

„Gott sei dank!“

Er legte die kalte Hand an seinen Kopf und fühlte Stoff. Ein Verband?

„Lassen Sie mich bitte durch Mrs. Howell.“ Ein Mann in einem weißen Kittel beugte sich über ihn. Er trug eine Brille und sein Haar war bereits ergraut.

„Hören Sie mich?“ fragte er sanft.

Ein Nickten.

„Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?“

Er überlegte.

„Nein.“

„Wissen Sie wo sie wohnen, mein Guter?“

„Nein.“

„Wie alt sind Sie?“

„Ich weiß es nicht.“

Eine Frau schluchzte auf.

„Amnesie“, murmelte der Arzt und sein Gesicht verschwand.

„Wo bin ich?“ Er wollte doch nur wissen, was mit ihm passiert war. Er wollte so viele Antworten und keiner gab sie ihm.

„Sie sind im Krankenhaus mein Junge“, sagte die Stimme des Arztes. Wieder tauchte das gutmütige Gesicht über ihm auf. „Ihr Name ist Augie Howell, verstehen Sie? Sie hatten einen Unfall. Wahrscheinlich Amnesie, falls Sie verstehen. Versuchen Sie einfach ruhig zu bleiben Junge. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun.“

„Augie?“ Er schloss die Augen. Ein Bild tauchte vor ihm auf.

Blut!

Augie schrie leise auf. Was war das? Sein Unfall?

„Haben Sie Schmerzen?“

„Nein“, sagte Augie ehrlich und blinzelte den Arzt durch ein paar Tränen hindurch an. Der Schock.

„Mr. und Mrs. Howell? Wir müssen Ihren Sohn noch eine Weile hier behalten. Wir wissen noch nicht, wie stark die Amnesie ist. Ich denke er wird sich wieder erinnern. Zumindest hoffe ich das. Aber Sie dürfen ihn jetzt nicht mit Fakten überschütten. Bitte, bitte gehen Sie. Er wird Ihre Anwesenheit noch nicht verarbeiten können. Bitte. Folgen Sie mir.“

Wieder schluchzte die Frau. Eine Krankenschwester tauchte auf.

„Haben Sie durst?“

Augie sah sie irritiert an.

„Ja“, sagte er schließlich, als er spürte wie trocken sein Mund war.

Sie wollte gehen, doch er hielt sie zurück.

„Wer sind Sie? Muss ich Sie kennen?“ fragte er etwas ängstlich. Das Schluchzen der Frau hatte ihn verwirrt.

„Nein, das müssen Sie nicht. Ich bin Schwester Emily. Ich bin nur eine Krankenschwester. Machen Sie sich keine Sorgen junger Mann. Doktor Persuade wird sich um Sie kümmern“, sie hatte eine nette Stimme und Augie wurde sofort viel ruhiger.

„Danke“, sagte er noch, schloss die Augen und schlief wieder ein.
 

(zwei Wochen später)
 

„Sind schon irgendwelche Erinnerungen aufgetreten Mr. Howell?“ fragte der Arzt während er Augie’s Blutwerte kontrollierte.

„Nein, noch nichts, Sir“, sagte er und seufzte.

Es war furchtbar ohne Erinnerungen zu Leben. Niemand konnte ihm helfen. Er hatte angeblich Freunde, aber die mochte er eigentlich gar nicht. Sie waren arrogant und hielten sich für sehr cool. Dann diese ganzen Leute, die ihm sagten, wie Leid ihnen das tat was ihm passiert war, obwohl er keinen davon je gesehen hatte.

„Das ist nicht gut. Nicht einmal kleine Hinweise?“

Augie dachte nach.

„Nun ja … es gibt da ein Zimmer in unserem Haus, das ist immer verschlossen. Meine Eltern wollen es mir nicht zeigen. Und ein Junge aus der Shane Hammington High beobachtet mich oft, aber ich habe nie geschafft mit ihm zu reden“, sagte Augie und sah seinen Arzt hoffnungsvoll an.

Doch der schüttelte nur mit dem Kopf ohne etwas zu erwidern.

„Bitten Sie Ihre Eltern Ihnen alles über Ihre Vergangenheit zu sagen. Was auch immer es ist. Mehr kann ich leider nicht für Sie tun. Ihre Werte sind gut. Körperlich sind Sie wieder topfit.“

Der Arzt erhob sich und sah Augie an.

„Bitte Sir, wissen Sie etwas, wovon ich nichts weiß?“ fragte Augie und sah ihn traurig an.

„Reden Sie mit Ihren Eltern. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Oder vielleicht fragen Sie diesen Jungen. Es kann sein, dass auch er etwas weiß.“

Augie wurde rot. Er konnte ihn doch nicht fragen. Er war total verliebt in diesen Blondie mit den schönen blauen Augen. Hastig bedankte er sich bei seinem Arzt und verließ die Praxis. Es war schön warm draußen und Augie genoss das eine Weile bevor er sich in Richtung seines Elternhauses aufmachte.

„Hey!“

Augie fuhr erschrocken herum. War er etwa gemeint?

Wenn man vom Teufel spricht …

„Meinst du mich?“ fragte Augie errötend und sah den großen Blonden vor sich schüchtern an.

„Wen denn sonst, du Idiot?“ fragte er und ließ seinen Blick wachsam über Augie gleiten. „Hab gehört du kannst dich nicht mehr erinnern. Stimmt das?“

Der Blick, den der Blonde ihm schenkte war kalt. Augie schauderte unwillkürlich. Es machte ihm traurig, dass er nicht wusste, was er ihm getan hatte.

„Ja, das stimmt.“

„So …“ eine kurze Pause entstand in der Augie nicht wagte, den anderen anzusehen. „Mein Name ist Ryan. Sagt dir das was?“

Ich habe James geliebt!

Augie’s Kopf fuhr hoch.

„Ja! Ja, das sagt mir etwas!“ meinte er aufgeregt und betrachtete Ryan genauer.

„Fein“, sagte Ryan wieder kalt und holte etwas aus der Tasche, die er um die Schultern trug. Es war ein weißer Umschlag. Er reichte ihn Augie, der ihn zitternd annahm. „Da ist eigentlich alles drin, was du wissen musst.“

Damit drehte er sich um und ging. Augie sah ihm nach. Ein kleiner Stich in seinem Herzen erinnerte ihn wieder daran, wie verliebt er eigentlich war und wie weh es tat abgelehnt zu werden. Mit zitternden Fingern öffnete er den Umschlag. Ein Foto war darin. Und ein älterer Zeitungsartikel. Jemand, wahrscheinlich Ryan hatte eine kleine Notiz auf die Rückseite dieses Artikels geschrieben. Nervös suchte sich Augie eine Bank um sich alles genauer anzusehen. Auf dem Foto war ein Junge, den er zuerst für sich selbst gehalten hatte. Doch auf der Rückseite fand er ebenfalls eine kleine Notiz: James, rest in peace Darling

James …

Hastig klappte er den zusammengefalteten Zeitungsartikel auf und fing an ihn zu lesen.

… erschoss sich vor den Augen einer ganzen Klasse … Zwillingsbruder Augie Howell …

Als Augie wieder hochsah war er sichtlich verwirrt. Er hatte zwischendurch geglaubt sich zu erinnern, aber bestimmte Passagen dieses Artikels hatten dieses Gefühl wieder schwinden lassen. Er faltete den Artikel wieder zusammen. Eines war ihm klar. Er hatte einen Bruder gehabt, einen Zwilling, aber er war tot. Er hatte Selbstmord begangen. Aber noch fehlte ein großes Stück seiner Erinnerung. Die Sonne war inzwischen sehr tief gesunken. Der Horizont hatte sich orange verfärbt. Augie hätte längst zu hause sein wollen, aber das war nicht so wichtig. Er drehte den Artikel um uns sah die Notiz darauf an. Es war ein Brief.
 

An Augie,

hast du das Bild gesehen? Hast du den Artikel gelesen? Sieh dir das Bild deines Bruders an und sag mir: WAR NEID SEIN MOTIV? Ich sage nein. Ich werde immer bei nein bleiben. Du hast Lügen über ihn verbreitet. Du hast ihm den Tod an den Hals gewünscht. Du hast sein Zimmer zertrümmert. Du hattest nur ein Hobby: James Leben zu zerstören. Und es tut dir nicht einmal Leid! Du besitzt die Kälte zu sagen es würde dich freuen, dass er tot ist! Wie kann man nur? Sag mir gefälligst die ganze und ungekürzte Wahrheit. Du hast ihm erzählt wir würden ein Date haben, ja? Gut das stimmt. Aber sicher nicht, weil ich etwas von dir wollte. Du hast mich darum angebettelt. Und das weißt du! Doch wie hast du James diese Geschichte verkauft frage ich mich immer noch? Du bist wirklich das Letzte. Und wenn dir etwas daran liegen sollte, mich eines anderen zu belehren, dann sag mir die Wahrheit. Sag mir nichts als die Wahrheit denn etwas anderes ertrage ich nicht. Und wenn dein Gedächtnis und die Wahrheit dich völlig verlassen haben, komm mir nie wieder unter die Augen …

Ryan
 

Augie faltete den Brief langsam zusammen. Eine Träne tropfte auf das Papier. Was sollte er jetzt tun? Ja, Ryan hatte es geschafft. Die Vergangenheit zog wie ein Film an ihm vorbei. Er hatte alles kaputt gemacht.
 

Augie rannte die ganze Strecke nur. Tränen liefen in Strömen, aber er fand es nur gerecht. Wie hatte er auch so sein können? Das Tor zum Friedhof stand noch offen. Er schlüpfte hinein. Es wurde langsam dunkel, aber wen kümmerte das schon? Hektisch suchend lief er zwischen den Gräbern umher und blieb plötzlich wie angewachsen stehen. Vor einem Grab kniete ein junger Mann. Er legte sanft Rosen auf die Erde und schien leise zu reden. Augie brauchte nicht lange um Ryan zu erkennen. Langsam ging er auf den Blonden zu. Ryan bemerkte ihn recht schnell und sah hoch, als er näher kam. Ein Stückchen abseits blieb Augie stehen. Ryan trat zurück, als wolle er ihm den Weg frei machen. Zitternd ließ sich Augie auf die Knie herunter und sah den grauen Grabstein an. Immer noch liefen ihm Tränen über die Wangen.

„James“, fing er irgendwann leise an. „Es tut mir ganz furchtbar leid. Ich habe mich dumm benommen. Nein, ich habe mich benommen wie das größte Arschloch. Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte es wieder gut machen. Ich wünschte das wäre nie passiert. Bitte verzeih mir.“

Er vergrub das Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. Ryan hinter ihm nickte nur stumm. Lieber jetzt als nie, dachte er und machte noch einen Schritt zurück. Augie hatte sich verändert durch die Amnesie und Augie würde sich weiter verändern. Da hatte Ryan keine Zweifel dran. Vielleicht würden sie eines Tages wieder ein wenig zueinander finden. Aber im Moment konnte Ryan seine Anwesenheit noch immer nicht ertragen. Aber bald … bald würde vielleicht alles wieder ganz anders sein …

Verzeih mir, bitte verzeih mir …
 

And when I’m out of view

I break down and start to cry …
 

I couldn’t fight these tears, even if I wanted to …
 

Anm. d. A:
 

Ein wenig schleimig, oder? Aber auch ein böser Bube kann einmal ein lieber Bube werden ^^ *hust* Nun ja ... es geht noch weiter ...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kato_chan
2007-01-09T18:46:30+00:00 09.01.2007 19:46
hey^^
echt coole ff, hätte auch nicht gedacht das sie noch weita geht^^
nya... also ich find die geschichte richtig cool ;) aba auch irgendwie traurig^^
Von:  Snaked_Lows
2007-01-08T22:37:00+00:00 08.01.2007 23:37
Cool die FF geht ja noch weite rich dachte das wäre ein One-Short, da hba ich ja noch mal Glück gehabt. Freu mich auf das näcshte Kapitel.
Finde es gut das der 'böse' so langsam wieder 'lieb' wird^^


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