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Der Austauschschüler

von

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Neue Ufer

Kapitel 3 – Neue Ufer –
 

„Ja, aber …“, setzte Kai wieder an, schürzte dann die Lippen als würde er nachdenken und sah Cody prüfend an. „War der Streit so schlimm?“

Cody zuckte mit den Schultern. Er sah nicht danach aus, als würde ihn die Trennung großartig beeindrucken und das beeindruckte wiederum Kai sehr. Er hatte nie eine Freundin gehabt, von der er sich hätte trennen müssen, deshalb hatte er keinen blassen Schimmer wie das war, aber das man die Trennung nicht einfach so abhakte, dass hätte er schon gedacht.

„Er hat die ganze Zeit gezetert, wie wenig ich doch Wert auf seine Meinung lege und das ich mich nur noch um dich kümmern würde und all so’n Kram. Völlig sinnlos. Da bin ich doch froh, wenn ich ihn los bin. Dann ist da niemand mehr, der mir auf den Sack geht, verstehst du? Es lief schon seit einer Weile nicht mehr so gut zwischen uns.“

Kai nickte und schlürfte vorsichtig an seinem Kaffee.

„Hattest du schon viele Freunde? So vor Joshua?“ fragte er neugierig und hoffte, dass er damit keine bösen Minuspunkte sammeln würde.

„Was ist denn bei dir viele?“ fragte Cody mit einem schiefen Grinsen und zwinkerte Kai zu, der leicht errötete. „Ich würde sagen, es waren nicht viele. Aber du siehst das wahrscheinlich anders. Seit ich gemerkt hab, dass ich schwul bin, hatte ich sicher schon mehr als 4 andere vor Joshy.“

Kai dachte darüber nach. Ja, er würde das für viel halten. Aber gegenüber nichts, war sogar einer viel. Bedächtig stellte er die Kaffeetasse ab, hielt sie aber noch mit beiden Händen fest.

„Echt krass“, sagte er nachdenklich. „Absolut krass.“
 

Kai unterdrückte ein Gähnen. Cody grinste und senkte den Kopf, damit der Lehrer das nicht sah.

„Es freut mich Sie kennen zu lernen“, sagte der Typ mit Hornbrille und Jackett wobei er Kai seine Hand reichte. Kai ergriff diese, setzte sein bestes Lächeln auf und erwiderte die Floskel. „Suchen Sie sich doch bitte einen freien Platz. Bei Fragen wenden Sie sich ruhig jederzeit an mich. Ich helfe gern.“

Kai nickte, bedankte sich und ging an dem immer noch grinsenden Cody vorbei, der in seiner Schuluniform so brav wirkte, dass es Kai völlig skurril erschien. Vorsichtig, da die Welt noch immer einem unguten Schwanken unterlag, setzte Kai sich und versuchte sich nicht anmerken zulassen, wie viele Promille in seinem Blut zurückgeblieben waren.

„Hey!“ Kai brauchte eine Weile um zu realisieren, dass er gemeint war. Verwirrt wandte er sich um, während vorne der Lehrer mit dem Unterricht begann. „Hey, du bist doch Kai!“

Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Hinter ihm saß seine Affäre von gestern Nacht. Kai wurde rot. Das er diesen Typen mit den tropengrünen Augen wieder sehen würde und das auch noch hier, damit hatte er nicht gerechnet. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Der andere Grinste ebenfalls.

„Ich habe deinen Namen vergessen“, flüsterte Kai und wirkte dabei eher schelmisch als schuldbewusst. Der andere Junge begann unterdrückt zu lachen.

„Du warst so betrunken“, wisperte er zurück und strahlte Kai dann an. „Ich heiße Kyden. Erinnerst du dich?“

„Ich erinnere mich an alles, nur deinen Namen hatte ich vergessen. Tut mir leid.“

„Pssst!“ machte jemand und Kai drehte sich mit einem letzten Lächeln wieder um. Vielleicht war es gar nicht so schlimm wie er dachte. Vielleicht war „schwul sein“ etwas ganz Normales und nichts Abartiges.
 

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass er auf deiner Schule ist und noch dazu in deinem Mathe Kurs!?“ fragte Kai belustigt, als er mit Cody ins Wohngebiet einbog. Die Schule war vorbei und sie waren gemeinsam zu Fuß nach Hause gegangen.

„Ich hab’s vergessen““, erwiderte Cody und seufzte. „Außerdem ist der eh nichts für dich.“

„Warum?“ Kai tanzte um Cody herum und betrachtete ihn neugierig. Cody kramte abwesend in seinem Rucksack nach dem Haustürschlüssel.

„Er nimmt jeden. Also erwarte nur nichts Ernstes.“

Kai blieb stehen, dort wo der schmale Fußgängerweg an das Gartentor stieß, durch das sie auf das Grundstück der Moores gelangten. Etwas beleidigt verschränkte er die Arme und lehnte sich gegen das Tor.

„Das ist fies! Er ist super süß und er hat gesagt, dass er mich sehr mag und das ich gut war auch!“

Cody blieb nun seinerseits stehen. Sie waren eingekreist von zwei Reihen der völlig gleich aussehenden Häuser. Eine enge kleine Wohnsiedlung war es hier am Rande von York, in der Kai untergekommen war, in der er Cody kennen gelernt hatte. Hier im Hatfield Walk hatte er sich entdeckt. Das war großartig und Kai würde sich das nicht versauen lassen.

„Das sagt er jedem“, versuchte es Cody noch einmal mit einer herablassenden Handbewegung.

„Er sieht mir nicht aus wie jemand, der es nur aufs Ficken anlegt.“

„Glaub mal nicht, weil du endlich gecheckt hast, wo du hingehörst, dass du sofort den Durchblick hast! Okay? Geh aus dem Weg! Kyden ist nichts für dich, das wirst du schon merken. Und nur wegen dieses kleinen Abenteuers gestern ist da noch lange nichts zwischen euch.“

Unsanft schubste Cody seinen Gastbruder zur Seite. Kai wirkte beleidigt.

„Gönnst du mir das nicht? Ist es das?“

Cody stieß das Gartentor auf und drehte sich noch einmal zu Kai um.

„Ich gönn dir viel. Aber du hast Recht, das nicht!“

„Du stehst selbst auf ihn. Deshalb hast du Joshua abgeschossen“, zischte Kai wütend und eine Spur eifersüchtig.

„Falsch!“ sagte Cody und hielt Kai das Tor auf. „Komm rein, oder du musst draußen schlafen.“
 

An diesem Abend herrschte bedrücktes Schweigen am Tisch der Familie Moore. Cody hatte die Hälfte des Essens stehen gelassen und war dann nach draußen verschwunden, um eine zu Rauchen. Mama Moore hatte ihn darauf hingewiesen, dass es Kai gegenüber vielleicht unhöflich sei am Küchentisch zu rauchen. Vielleicht mochte Kai, als Nichtraucher das ja nicht. Daraufhin war Cody mürrisch abgezogen. Kai starrte auf seinen leeren Teller hinunter. Er fühlte sich schläfrig und völlig voll gefressen. Mama Moore bestand darauf, dass Kai immer mindestens einmal Nachschlag bekam. Egal ob er das wollte oder nicht.

„Gab es Probleme in der Schule?“ fragte Papa Moore plötzlich und Kai fuhr etwas erschrocken aus seiner Schläfrigkeit hoch.

„Nein, warum?“ fragte er vorsichtig.

„Cody scheint schlechte Laune zu haben. Das ist meist so, wenn etwas in der Schule nicht so lief“, begann Papa Moore zu erklären. Kai zuckte mit den Schultern. Warum Cody so derart schlechte Laune schob, dass wusste er nicht, aber sicherlich lag es nicht an der Schule. Cody war nicht dumm. Er hatte viele Antworten in Mathe parat gehabt, auf die Kai nie im Leben gekommen wäre, dabei hatte er sich immer für relativ bewandert in Mathe gehalten und was die anderen Fächer anging: auch da war nichts Negatives passiert, was Cody die Laune hätte verderben können. Merkwürdig.

„Du siehst müde aus“, sagte Mama Moore und wieder wurde Kai aus den Gedanken gerissen.

„Ja, bin ich auch“, gab er zu und lächelte dabei einnehmend. Sie hörten die Haustür gehen. Cody war also mit dem Rauchen fertig. Doch er kehrte nicht zurück in die Küche. Kai lauschte und starrte dabei auf seinen Teller. Codys Schritte eilten die schmale Treppe hoch. Man hörte jeden einzelnen Schritt. Man hörte alles. Die Wände schienen aus Papier zu bestehen.

„Geh ins Bett, heute helfe ich beim Abwasch“, sagte Papa Moore großzügig und lächelte Kai über seinen runden Bauch hinweg an.

„Oh, das ist wirklich sehr lieb!“ Kai versuchte zu strahlen, brachte aber nur ein schwaches Leuchten zustande. Man hatte es ihm zur Aufgabe gemacht nach dem, zugegeben immer leckeren, Abendessen Mama Moore beim Abwasch zu helfen und er hatte keine Sekunde auch nur daran gedacht es nicht zu tun. Mama Moore war von seinem Eifer begeistert gewesen. Scheinbar machte sich Cody nicht so viel aus Hausarbeit. Das merkte man schon an seinem unordentlichen Zimmer.

„Und ich dachte immer, Schwule sind wie Frauen“, sinnierte Kai auf dem Weg nach oben. Dem war wohl nicht generell so. Wieder was gelernt.

Kai betrat sein Zimmer und sah sich um. Er tat das immer wieder gern um festzustellen, ob sich seine Sicht auf die Dinge verändert hatte. Als er das erste Mal in dieses Zimmer getreten war hatte ihn ein Gefühl der Fremde überkommen. Inzwischen war es fast heimisch hier. Das große Bett direkt gegenüber der Tür. Der hüfthohe Schubladen Schrak gleich links von ihm, dann der Kleiderschrank rechts, das große Doppelfenster und die so schön in Pastellfarben aufeinander abgestimmten Vorhänge. Kai trat wieder vor den runden Spiegel, der ungefähr die Größe einer überdurchschnittlichen Melone hatte. Neben dem Spiegel hatten sich Bücher und Schulsachen angesammelt. Er hatte keinen Schreibtisch in seinem Zimmer. Seine Hausaufgaben machte er in der Küche, unterstützt von Papa Moore.

„Warum ist er so gemein?“ fragte Kai sein Spiegelbild, wie immer auf Deutsch. Es war vielleicht krank, aber er mochte seine kleinen Selbstgespräche, in denen er immer ungestört betrachten konnte, wie sehr er sich in den letzten Wochen verändert hatte.

„Vielleicht will er ja was von dir? Haha!“

Kai grinste schief.

„Das hättest du wohl gerne!“

„Ja, warum nicht?“

Er bemerkte wie er errötete und brach das Spielchen ab. Er sollte sich lieber nichts einbilden. Cody würde ihn für bescheuert halten, wenn er das gehört (und verstanden) hätte. Typen wie Joshua, die waren was für Cody, aber doch nicht er. Er kleines Blondchen, mit den blauen unauffälligen Augen und … den Stino Klamotten. Selbst Kyden hatte Kai gefragt, warum er denn so komisch aussah. Komisch ist gut, hatte Kai gedacht und versucht sich nichts anmerken zu lassen, auf der Party sah ich komisch aus!

Aber das stimmte so nicht. Kai setzte sich auf sein Bett und nahm den Spiegel in die Hände. Er war schwer durch den dicken Holzrahmen und den hölzernen Standfuß. Kritisch betrachtete er sein Gesicht. Wie hatte er auf der Party ausgesehen? Gestylte Haare zunächst, das heißt, sie hatten nicht einfach so auf gut Glück rum gehangen. Dann noch die Klamotten. Alles in schwarz. Kai konnte nicht behaupten, dass es ihm wirklich missfallen hatte. Codys Klamotten hatten fast besser gesessen, als seine eigenen. Vielleicht kaufte er seine Sachen immer etwas zu groß. Ja, er sollte auf eine Nummer kleiner umsteigen. Und dann das Make-up. Kai lachte leise. Nein, Make-up nun wirklich nicht!

Er stellte den Spiegel zurück und starrte auf die Tür. Draußen wurde es langsam dunkel. Das Zimmer war in mattes Dämmerlicht getaucht, das ihm vorgaukelte, die Schatten würden tanzen. Schon komisch das alles. Hätte er auch nur ein bisschen davon geahnt, als er sich für das Auslandsjahr entschied, wäre er dann hierher gekommen? Sein altes Ich verneinte das klar, sein neues grinste nur vernebelt in die herabfallende Dunkelheit. Egal was er getan hätte, das war vorbei. Jetzt lag alles nur vor ihm.
 

Kai trottete ins Bad und warf dabei einen Blick auf Codys Zimmertür. Sie stand einen Spalt offen. Kai konnte die beige Wand sehen und ein kleines Stückchen des Bettes an dessen Fußende eine Heizung angebracht war. Wunderschön für kalte Winternächte in diesem kleinen Reihenhaus mit seinen Papierwänden. Er schloss die Badtür hinter sich und seufzte. Er hatte schlecht geschlafen und geträumt. Nichts in seinem Leben lief mehr in klaren Linien. Liebe machte alles so schwer. Aber wieso Liebe? Er liebte Kyden nicht, er fand ihn attraktiv, süß und irgendwie anbetungswürdig. Etwas, was Cody ganz anders sah. Liebe war aber immer noch etwas anderes. Man liebte ja auch nicht unbedingt den Star, den man am meisten mochte. Man vergötterte ihn eher. Man liebte seine Freunde, das schon, oder eben seine Freundin oder auch seinen Freund. Kai blickte sich im Badezimmer um und sein Blick verfing sich im Spiegelschrank rechts neben ihm. In letzter Zeit übten Spiegel eine gewisse Anziehungskraft auf ihn aus. Nicht, dass er sich selbst besonders toll fand, aber sein Spiegelbild war der einzige mit dem er sich auf Deutsch unterhalten konnte und sein Spiegelbild schien ihm immer zu antworten. Als würde er seine eigenen Gedanken lesen. Das sollte er lieber niemandem erzählen, sonst würde man ihn noch für verrückt halten.

Kai beugte sich über das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. In diesem Moment, dröhnte irgendwo hinter ihm etwas los, was man entfernt als Musik bezeichnen konnte. Erschrocken blickte Kai sich um. Das musste wohl aus Codys Zimmer kommen. Kai suchte seinen Blick im Spiegel. Er sah verwirrt aus, bemerkte er. Entschuldigend lächelte er den Spiegel Kai an und wandte sich wieder seiner Zahnbürste und dem Zahnputzbecher zu. Langsam brachte ihn nicht mehr so viel aus der Ruhe.

Als Kai das Bad verließ stieß er fast mir Cody zusammen, der halb angezogen, das heißt mir einer Hose bekleidet und dem offenen weißen Hemd aus seinem Zimmer gekrochen kam.

„Sorry“, murmelte Cody verschlafen.

„Schon okay, hätte doch auch aufpassen können“, erwiderte Kai und trat ein Stück zur Seite. Er hatte Cody schon öfter leicht mürrisch erlebt, aber nie so müde.

„Schlecht geschlafen?“ fragte er vorsichtig. Cody, die Hand an der Türklinke des Badezimmers hielt inne und betrachtete Kai aus müden Augen.

„Schlecht ist gar kein Ausdruck“, murmelte er.

„Darf man fragen warum?“

„Schlecht geträumt …“, damit flog die Badtür Kai vor der Nase zu. Ah ja, schlecht geträumt also. Hoffentlich träumte Cody nicht öfter schlecht.

„Hab dich auch lieb“, murmelte Kai beleidigt und wandte der Tür den Rücken zu. Nervös strich er über seine Schulkleidung und ging dann hinunter zum Frühstückessen. Er hoffte, dass Codys Laune sich während des Tages noch verbesserte.

Codys Laune ging aber ihre eigenen Wege und beachtete Kais Hoffnungen nicht wirklich, genau wie seine Aufmunterungsversuche. Kais Gastbruder stellte auf Durchzug, sobald Kai versuchte, ihm zu entlocken, was ihm so die Stimmung vermiest hatte. Der Weg zurück zu den Moores, dehnte sich in ihrem Schweigen, wie besonders klebriges Karamell und Kai fiel einfach nichts ein, worüber er sich mit Cody neutral unterhalten konnte. Ständig musste er über seine neuen Erfahrungen nachdenken und hätte sich nur zu gern mit seinem Gastbruder ausgetauscht. Am Haus angekommen, schloss Cody jedoch nur schweigend die Türen auf und verschwand ebenso wortlos nach oben in sein Zimmer. Kai seufzte, zurückgelassen im kühlen Flur und sah ihm nach. Kai wollte in diesem speziellen Moment nichts mehr, als Cody zu verstehen, seine Gedanken lesen zu können um zu wissen, was mit ihm los war und ihn aus diesem lästigen Schneckenhaus zu holen.



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