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Liebe wie Gurkensushi

YUAL mit BxB-Oneshots!
von  Memphis

Kapitel 4: Even a stopped clock gives a right time twice a day

Ich saß in der Küche meiner Zwei-Zimmer-Wohnung und mein Blick wanderte unruhig zu der alten Küchenuhr. Sie ging nicht mehr. Sie ging schon nicht, als ich sie bei meinem Umzug mitgenommen habe und sie wird auch nicht gehen, wenn ich sie bei meinem nächsten Umzug mitnehmen werde.
Sie sah ziemlich old-fashioned aus in meiner nigelnagelneuen IKEA-Küche und passte nicht zum Rest des Raums – tat sie aber nie. Ihr Zeiger waren auf drei Minuten vor halb neun stehen geblieben. Geforen in der Ewigkeit.
Von 1440 Minuten am Tag ging sie zwei davon richtig, zwei ganze Minuten lang war sie eine ganz gewöhnliche, funktionierde Uhr, obwohl sie nichts tat. Manchmal dachte ich mir, dass sie Glück hatte, dass sie keinen Sekundenzeiger besaß, sonst hätte sie nur zwei Sekunden am Tag, an der sie recht hatte. Aber ich glaube, meiner Uhr war das eigentlich egal. Ihr war immer alles egal, sie musste sich ja um nichts kümmern. Nur zweimal am Tag erwartete ich von ihr, dass sie mir die richtige Uhrzeit sagte. Ich würde die Person umbringen, die auch nur daran dachte diese Uhr umzustellen oder sie gar wieder zum Laufen zu bringen.
Ich liebte diese tote Uhr. Vermutlich gerade weil sie nicht ging.
Ich schaute auf meine Armbanduhr mit Digitalanzeige. Es war Viertel vor Acht. Ich griff zu meiner Zigarettenschachtel und zündete mir eine Kippe an. Ich inhalierte gierig den Rauch und bließ ihn dann etwas ruhiger wieder aus. Schlechte Angewohnheit, ich mochte sie.
Auf meinem Küchentisch lag neben ein paar dreckigen Tellern, die Weihnachtskarte von meiner Schwester, die ich jedes Jahr bekam.
Ich hatte sie nicht mal aufgeklappt. Meine Schwester und ich hatten seit Jahren eher nur sporadisch Kontakt. Es lag nicht daran, dass wir uns verstritten hätten. Wir hatten uns nur nicht viel zu sagen.
Zweimal im Jahr hörte man voneinander. Am Geburtstag und an Weihnachten.
Von meinen Eltern war die Karte noch nicht da.
Mit ihnen verhielt es sich ähnlich, wie mit meiner Schwester. Ich hatte ja das Gefühl, dass sie ganz froh waren, als endlich beide ihrer Kinder ausgezogen waren. Nicht weil sie uns nicht mochten, aber seien wir mal ehrlich, sie hatten es immer gehasst Eltern zu sein.
Sie hatten ihr bestes gegeben, uns großgezogen ohne das es uns an etwas materiellen gemangelt hatte und uns dann nach unserem Abschluss gleich die neue Wohnung gezahlt.
Das war aber auch schon alles über zehn Jahre her. Wie die Zeit verging.
Ich blickte kurz auf die Uhr. Ihre Zeit verging nicht.
Ich war ganz froh, dass niemand auf ein gemeinsames Weihnachten bestand. Es wäre ein kühles, distanzieres Weihnachten gewesen. Ein Spiegel meiner Kindheit, vielleicht.
Wir würden zu viert an dem antiken Esszimmertisch sitzen, schweigend das Festessen, dass meine Mutter von einem Service hätte kommen lassen, essen und dann pflichtbewusst zu dem fertig geschmückten Baum gehen, unter dem die Geschenke lagen, die eigentlich nur aus Geldgutscheinen bestehen.
Wir hatten einmal so ein Weihnachten. Danach war klar, dass wir es nie wieder zusammen feiern würden. Nicht, dass wir es abgesprochen hätten, aber es war uns allen klar. Wir hatten nicht das Zeug zu einer Familie. Aber man konnte niemand einen Vorwurf machen, so war es nun mal.
Ich drückte die halbgerauchte Zigarette in einem der Teller aus und erhob mich. Ich wollte aus der Küche raus und weg von der toten Uhr, die mich anklagend ansah.
Ich gebe mir wenigstens die Mühe, zweimal im Jahr zu funktionern. Aber was tust du?
Manchmal hasste ich die Uhr. Weil sie mich nicht verstehen konnte. Sie hatte die Zeit gefangen, aber ich konnte ihr nur nachrennen und niemals einholen. Aber die Uhr wusste von so etwas nichts.
Sie war ein Geschenk meiner Großmutter gewesen zu meinem Auszug aus dem Elternhaus. Sie ging damals schon nicht. Ich wusste nicht warum sie mir das Teil geschenkt hatte und ich wusste auch nicht, warum ich so sehr an ihr hing. Vielleicht steckte sogar in mir ein bisschen Sentimentalität.
Ich ließ mich auf die Couch in meinem Wohnzimmer fallen und schaltete den Fernseher ein. Es war Heilig Abend, für Leute wie mich, musste jetzt einfach etwas im Fernsehen laufen.
Kurz überlegte ich, ob Niklas jetzt wohl auch fernsehen würde, aber dann dachte ich daran, dass er sicher bei seinen Eltern war. Er war ein Mensch, dem Familie immer sehr wichtig war.
Letzte Woche hatte er nach drei Jahren Beziehung Schluss gemacht. Er klang ziemlich verzweifelt und schien die ganze Zeit darauf gewartet zu haben, dass ich ihm in seinem Entschluss zu gehen abhalten würde. Ich tat es nicht.
Ich verbrachte Weihnachten sowieso lieber alleine. Allein mit mir und der Uhr.
Meine erste Minute des Lebens in der ich richtig funktionierte war jetzt vorbei. Das spürte ich. Es würde wohl nochmal die gleiche Zeit dauern, achtundzwanzig Jahre, bis ich wieder meine Minute hatte, meine Minute, die drei Jahre andauern würde bis sie endete.
Und dann würde wieder ein Heilig Abend sein und ich in der Küche sitzen und wissen, dass die zweite Minute meines Lebens nun vorbei war und ich nicht mehr weiter von Bedeutung war, weil ich nie wieder die richtige Zeit anzeigen werde.
Ich seufzte und zappte mich gelangweilt durch das Programm. Es gab nicht wirklich etwas was ich sehen wollte. Überall kamen einem Filme entgegen die von glücklicher Familienidylle, warmherzigen Menschen erzählten. Und das wurmte mich gerade.
Eigentlich sollte mir Weihnachten egal sein. Ich war für ein Fest der Liebe viel zu unsensibel, viel zu unterkühlt, zu wenig sentimental.
Aber vielleicht wurde mir das nur einmal im Jahr klar, was für ein Mensch ich war. Und vielleicht war mir Weihnachten deswegen nicht egal. Vielleicht wollte ich deswegen alleine sein, keine Geschenke bekommen und keine lieblosen Karten von einer lieblosen Familie. Weihnachten war für mich das Fest der Einsamkeit und ich fand es irgendwie okay so.
Unruhig stand ich wieder von der Couch auf, ich ließ den Fernseher einfach auf irgendeinem Sender laufen, vielleicht wollte ich keine Stille um mich herum haben. Nachher würde es still genug werden.
Ich zündete mir wieder eine Kippe an und starrte auf die Uhr.
Wenn sie nur wieder gehen würde, das dachte ich manchmal, wenn sie nur wieder ticken würde, dann wäre alles okay.
Dann hasste ich mich wieder für den Gedanken, es war dumm so etwas zu denken. Die Uhr ging eben nur zweimal am Tag richtig. Dafür würde sie das auf Ewig tun.
Ich fing an in der Küche auf und ab zu tigern. Ich war schon immer ein eher nervöser Mensch und die vielen Zigaretten und Tonnen an Kaffee, den ich in meinem Leben schon in mich reingeschüttet hatte, hatte den Zustand nie verbessert.
Bei Zeiten hatte ich das Gefühl, als würde ich ungeduldig auf etwas warten. Vielleicht auf die Minute in meinem Leben, in der funktionierte.
Ich wollte, dass die Uhr mir jetzt die richtige Zeit gab. Ich starrte auf die Digitaleuhr: 8:26. Zufrieden lächelte ich. Gleich.
Es war als würde man ein Ticken hören und zeitgleich klingelte es an der Tür.
Niklas hatte einen Hang zur Dramatik, er wusste wie sehr ich jedes Mal dieser Uhrzeit entgegen fieberte.
So stand er vor der Tür, wie jedes Jahr, wenn er vor lauter Verzweifelung kurz vor Weihnachten mit mir Schluss gemacht hatte, weil er zu dieser Zeit nicht mit meinem unterkühlten Verhalten klar kam. Er hatte ein häßlich verpacktes Geschenk in seiner Hand und schaute mir mit einem schiefen Grinsen entgegen. Das Geschenk hatte er bestimmt selber verpackt, damit es mehr Liebe ausstrahlte. Wenn so seine Liebe war, war sie etwas schief und sehr schlicht. Aber eigentlich reichte sie mir.
Ich lächelte. Vielleicht verstand ich auch die Sache mit der Uhr völlig falsch, vielleicht war einfach nur Niklas meine Minute Glück, die immer wieder kam.


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