Zum Inhalt der Seite

Go!Go!America!!

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Chapter 4

Ich betrat die Speisehalle und lief schnell zum Tisch meiner Freunde. Ich lies mich auf einen freien Stuhl fallen und atmete durch. Anna hatte sich auch zu uns gesellt zusammen mit Elisabeth. Sie grinste mich an. „Und wie war’s? Was hat er gesagt?“, fragte mich Sophie während sie sich eine Erdbeere in den Mund schob.

„Also ich hätte nie gedacht, dass wir ihn tatsächlich finden.“, meinte Chris und griff auch auf den Obstteller, wobei sie sich ein Stück Banane rausfischte. Dann fuhr sie fort. „Aber er sieht in Wirklichkeit noch viel besser aus, als im Fernsehen, oder?“

„Hast du gefragt, ob Kame auch hier ist?“, fragte Karmen hoffnungsvoll und ich musste lachen. Ich atmete nur wieder tief durch, dann wollte ich die Fragen beantworten. „Also wir haben eigentlich über alles Mögliche geredet. Auf welche Schule er nun geht, wie es ihm gefällt und so weiter. Nach Kame hab ich nicht weiter gefragt, aber er hat gemeint, dass er die anderen vermisst, also wird er wahrscheinlich in Japan sein.“

„Und? Wie ging’s weiter? Ihr seid doch nicht etwa einfach so auseinander gegangen, oder doch?“ Anna biss in ihren Apfel.

„Na ja, nein. Er hat mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihm in einen Club gehen will, aber ich hab abgelehnt.“

„Baka!!!“, nuschelte Karmen.

Ich warf ihr einen verächtlichen Blick zu, dann fuhr ich fort. „Und dann haben wir Nummern ausgetauscht, besser gesagt, er hat mir seine gegeben. Ich hoffe, es ist die Richtige.“

„Na dann hoff mal weiter. Das ist garantiert dieselbe Nummer, die er den Weibern von dem Foto gegeben hat.“ Sophie lehnte sich zurück und blickte zum Jungentisch rüber. Als sie sah, wie Abschaum und Konstantin sich gegenseitig Rosinen in die Nase schoben, schüttelte sie angewidert den Kopf und blickte mich an. Ich senkte den Kopf. „Na ja, ich bin optimistisch. Außerdem hab ich ihn auch darauf angesprochen und er meinte, dass er den beiden seine Nummer nicht gegeben hat. Also wird Ina mal wieder Recht gehabt haben…“

„Wenn du meinst…“ Sophie schob die Unterlippe vor und hielt sich den Bauch. „Langsam könnte es aber mal losgehen. Ich hab einen Kohldampf. Wo bleiben unsere werten Pädagogen denn?“

Ich grinste und griff mir in die Hosentasche, wo der Zettel von Jin steckte. Ich zog ihn heraus und betrachtete den kleinen Fetzen. Der Zettel stammt aus einem Notizbuch und man konnte noch ein paar eingedrückte Stellen erkennen, weil er wahrscheinlich beim Blatt davor zu sehr aufgedrückt hatte. Die Zahlen und das ‚Jin-kun’ darunter, waren schnell und unordentlich geschrieben. Typische Jungenschrift. „Was ist das?“, fragte Chris und beugte sich über mich. Ihre Augen weiteten sich. Dann blickte sie mich an. „Wow, er schreibt sogar schon ‚Jin-kun’. Wenn das nichts heißt…“ Sie stupste mich in die Seite. Ich wollte gerade etwas erwidern, da betrat die Lehrerschaft endlich den Raum.

Sie gingen zum größten Tisch des Saales und setzten sich. Nur einer blieb stehen und übernahm das Wort. „Schön, dass ihr alle so pünktlich seid. Ich hoffe ihr hattet alle einen angenehmen Tag. Ist irgendwer noch nicht da?“ Er legte eine Pause ein und durchsuchte die Runde nach Meldungen. Als er nichts fand, nickte er zufrieden und fuhr mit seiner Rede fort. „Wir werden morgen wahrscheinlich ein paar Ausflüge am Vormittag machen. In die City, ein paar Museen und vielleicht auch noch etwas anderes. Da wir aber möchten, dass ihr so viel wie möglich ohne uns unterwegs seid, sprich, dass ihr alleine Englisch sprecht, werdet ihr den Nachmittag alleine in der Stadt verbringen. Wir werden dann an einem bestimmten Punkt auseinander gehen und uns auch wieder dort treffen und dann gemeinsam zurückfahren.

Heute Abend steht ein Kinobesuch an, wobei wir einen Film auf Englisch schauen werden. Beginn ist um zweiundzwanzig Uhr, bitte seid pünktlich um einundzwanzig Uhr am Ausgang.

Jetzt bleibt mir nur noch, euch einen guten Appetit zu wünschen.“

Damit nahm er Platz und wir konnten uns endlich über das leckere Buffet hermachen.

Nach dem Essen gingen wir erst einmal jeder auf das eigene Zimmer. Wir hatten nur noch eine halbe Stunde und die wollten wir uns noch ausruhen.

Ich kramte mein Handy heraus und speicherte sofort die Nummer von Jin ein. Den Zettel steckte ich in mein Portemonnaie. Ich überlegte, ob ich Jin eine Nachricht schicken sollte und entschied mich schließlich dafür. ~Hey, what’s up? Ich wollte nur fragen, ob du morgen Nachmittag Zeit hast, da haben wir nämlich Freizeit. Ich weiß noch nicht genau wann und wo, aber ich denke mal, ich erfahr es spätestens morgen früh. Hättest du Zeit?~

„Hey, an wen hast du geschrieben?“, fragte mich Chris, als sie mit ihrer Bürste aus dem Badezimmer kam.

„An Jin.“

„Und denkst du, er wird antworten?“

„Ich hoff es doch mal…“

„Na ja, egal… Lass das Grübeln, wir gehen jetzt ins Kino. Es läuft glaub ich ein Film mit Brad Pitt. Eine Schnulze also…“

„Na das wird ja lustig!“ Ich verleierte die Augen und folgte Chris aus dem Zimmer.
 

Am nächsten Morgen wurde ich durch den Föhn von Chris geweckt. Mit einem Ächzer setzte ich mich im Bett auf und schaute mich im Raum um. Ich blickte auf mein Handy und stellte enttäuscht fest, dass Jin nicht geschrieben hatte. Hätte ich mir eigentlich denken können… Doch ich gab die Hoffnung noch nicht auf. Es konnte ja auch sein, dass er die Nacht durchgefeiert hatte und noch nicht zum Zurückschreiben in der Lage war. Obwohl er ja eigentlich gesagt hatte, er wollte lernen.

„Hey, auch schon munter?“, riss mich Chris abrupt aus meinem Gedankengang. „Du weißt aber schon, dass wir in zwanzig Minuten beim Frühstück sein sollen, ja?“

„Hmmm…“, gab ich knurrend von mir. „Warum hast du mich denn nicht geweckt?“

„Hab ich doch versucht, aber du hast so tief geschlafen, dass du selbst das Klingeln deines Handys nicht mitbekommen hast. Dadurch wurde ich nämlich geweckt…“

„Ach so… Na dann gehe ich mal duschen!“ Ich erhob mich und schleppte mich in Richtung Bad.

„Sag mal, willst du denn nicht wissen, wer angerufen hat? Ich bin nämlich nach dem zehnten Klingeln mal rangegangen.“ Chris klang sehr aufgeregt. Ich blickte sie fragend an: „Nicht meine Mutter?“

„Nein…“

„Wer dann?“

Sie grinste geheimnisvoll und ließ ein paar Sekunden verstreichen, um meine Spannung zu steigern.

„Los jetzt, raus mit der Sprache!“, rief ich und machte einen Satz auf sie zu, worauf sie lachend zurückwich. „Okay, ich sag’s ja schon! Es war natürlich Jin!“ Meine Augen weiteten sich.

„Und das sagst du mir erst jetzt?! Was hat er gewollt?“

„Du, ich sag dir, ich war ganz schön aufgeregt… Man spricht ja nicht alle Tage mit einem Star… Eigentlich nie…“

„Ja ja, schon gut. Jetzt sag endlich. Wir müssen doch gleich los!“

„Also, wenn ich alles richtig verstanden habe, meldet er sich heute Nachmittag noch mal, weil er noch nicht weiß, wann er genau aus hat. Aber er würde sich freuen dich zu treffen. Er ruft dich dann an und kommt zu dir!“

Ich war geplättet und wusste nicht was ich sagen sollte. Chris betrachtete mich argwöhnisch und als sie bemerkte, dass ich nicht zum antworten fähig war, sprach sie einfach weiter: „Oh, das ist alles so romantisch. Ich find das einfach nur toll. Obwohl ich ihn ja auch gern hätte.“

Jetzt konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Chris fand Jin auch toll, aber sie hätte ihn mir niemals weggenommen.

„Tja, jetzt gehört er mir. Wenn man das so nennen kann. Ich kenn ihn immerhin noch nicht mal vierundzwanzig Stunden… Aber toll ist er, ne?“

Chris zog einen Schmollmund, bevor sie entgegnete: „Ach, geh endlich duschen. Ich hab Hunger!“

Wir kamen eine halbe Stunde zu spät zum Frühstück, worauf wir uns nicht nur die bösen Blicke der Lehrer einfingen. Auch Karmen und Sophie blickten ziemlich sauer, als wir uns an ihren Tisch setzten. „Na endlich! Wo seid ihr denn so lange gewesen?“

„Ria hat verpennt.“ Chris hob abwehrend die Hände.

„Sorry…“, meinte ich nur. Damit war die Sache vergessen. Chris und ich beeilten uns mit dem Essen und nebenbei erzählten wir den beiden noch die neusten Nachrichten. Sie hörten gebannt bis zum Ende zu.

„Das ist der Wahnsinn… Der totale Wahnsinn. Na hoffentlich klappt alles!“, meinte Karmen und lächelte nebenbei Konstantin zu, der gerade neugierig an unserem Tisch vorbeiging. Sophie lehnte sich mit einem Seufzer auf ihrem Stuhl zurück und sah die Sache noch immer skeptisch. „Ich weiß nicht so recht… Wir sollten uns überraschen lassen… Ihr solltet nicht zu enttäuscht sein, wenn er nicht kommt.“ Eine Sekunde lange herrschte Stille, weil wir alle über ihre Worte nachdachten. Dann meinte Karmen zu mir: „Aber wenn du ihn treffen solltest, könntest du mir einen Gefallen tun? Könntest du ihn nach der Nummer von Kame fragen?“ Sie schaute mich mit ihrem Hundeblick an, der bei mir aber nichts nützte. „Klar Karmen, ich frage Jinshi, nachdem ich ihn noch nicht mal einen ganzen Tag kenne, ob er mir die Nummer von Kame gibt… SPINNST DU????“

„Schon gut, war ja nur ne Frage! Na ja, vielleicht ein anderes Mal.“ Den letzten Satz fügte sie etwas leiser hinzu. Ich zeigte meiner Schwester einen Vogel und stand auf. „Wir sehen uns nachher. Ich muss noch schnell meine Tasche holen. Wartet ihr auf mich?“

„Ja, klar. Wir sind dann draußen.“ Sophie schlürfte ihren Kaffee aus und lächelte mich an.

Ich rannte in unser Zimmer und schnappte meine Tasche. Ich war schon fast aus der Tür, da fiel mir der Zettel ein, den ich am Abreisetag noch eingesteckt hatte. Ich kramte in meiner Reisetasche und als ich ihn schließlich fand, steckte ich ihn in meine Jackentasche. Man konnte nie wissen, ob vielleicht heute schon der richtige Moment wäre…

Wenig später saßen wir alle in dem unbequemen Reisebus, der uns zum Zentrum von Los Angeles bringen sollte. Ich schaute aller fünf Minuten auf die Uhr. Wir liefen ein wenig durch die Stadt, hörten uns einen Vortrag über die Landschaften Los Angeles’ an und besuchten zwei Museen. Doch das alles zog an mir vorbei und ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren. Gegen drei Uhr nachmittags wurden wir endlich entlassen und hatten ganze sieben Stunden Freizeit.

„Woah, endlich. Wollen wir was Trinken gehen? Ich hab Durst!“ Chris streckte sich und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Wir liefen also zur nächsten Strandbar und bestellten uns einen Eiskaffee. Während wir warteten, betrachteten wir die vielen Leute die vergnügt im Wasser tollten. „Oh ja, wir müssen nachher unbedingt baden gehen.“, schwärmte Sophie, zog sich die Sonnenbrille aus dem Haar, setzte sich diese auf die Nase und lächelte zufrieden. Sophie liebte den Sommer. Ihr konnte es nie warm genug sein.

„Können wir gern machen. Aber sag mal, Schwesteherz, hat sich Jinni-boy noch mal gemeldet?“

„Nein.“, antwortete ich knapp, denn ich wollte den Gedanken an ihn endlich abschieben, da ich schon enttäuscht genug gewesen war, dass er sich nicht gemeldet hatte. Ich gab es langsam auf.

Er war ein Star, er lernte jeden Tag jemand Neuen kennen, warum sollte er sich bei einer wie mir melden?!

Ich zog Sophie am Arm Richtung Strand. Wir verbrachten die meiste Zeit dort und als wir uns schließlich auf den Rückweg machen wollten, verweilten wir dann doch dort, weil die Sonne gerade untergehen wollte. Wir setzten uns in den warmen Sand und schauten aufs Meer. Es sah wunderschön aus, denn die rote Sonne spiegelte sich darin. Eine leichte Brise kam auf und die Wellen wurden langsam zum Ufer getragen. Ich hätte Stunden dort sitzen können und wollte nicht wieder weggehen. Wir lehnten uns aneinander und sagten nichts. Wir hingen wahrscheinlich alle unseren Gedanken nach und es musste ja auch nicht immer so sein, dass jemand redete. Doch leider mussten wir schließlich gehen, denn der Bus wartete nicht auf uns. Wir putzten uns den Sand von unseren Kleidern und liefen die kleine Promenade entlang, die immer leerer wurde. Die meisten Touristen saßen in einem Restaurant und man konnte die Anstrengung an den Gesichtern der Kellner ablesen.

„Ria-chaaaaan!!!! Wait, please!!!“ Ich fuhr zusammen. Abrupt blieb ich stehen und blickte mich um. Und da kam er angerannt.

Es war Jin. Er hatte eine Bermudas an und trug ein lockeres Hawaiihemd. Auf der Nase saß eine große Fliegersonnenbrille.

„Gomen. I mean: sorry. Ach, ich bin ganz durch den Wind. Tut mir leid, ich konnte nicht eher. Ich hab mich etwas verspätet. Können wir los?“ Ich verstand nur Bahnhof. Er hatte sich verspätet? Er wollte los? Wohin denn?

„Akanishi-san…“

„Geh schon, Ria. Wir machen das klar!“

„Was meint ihr? Ich verstehe nicht ganz.“

„Man, du bist aber langsam. Wir haben dich überrascht. Ria, Jin hat heute früh angerufen und mich nach der Zeit gefragt. Die hab ich ihm dann genannt und er meinte, er komme dann. So und jetzt hat er sich ein wenig verspätet. Verstehste?“ Chris lachte sich kaputt über mein total verdattertes Gesicht.

„Nicht wirklich…“

„Ach, egal… Geh einfach mit ihm mit. Wir machen das bei den Lehrern schon irgendwie klar. Sagen, dir ging’s nicht gut und du bist schon eher gefahren. Den Busfahrer haben wir auf unserer Seite… Der sagt, dass er dich gefahren hat. Also los jetzt!!“ Sophie schob mich lachend in Richtung Jin, der immer noch außer Atem war und gespannt unserem Deutsch gelauscht hatte. Ich lächelte ihn an und er lächelte zurück. Mir war das ganze peinlich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich atmete tief durch.

„Okay, also dann. Bye. Bis nachher dann.“

„Ja, bis dann.“ Sie liefen ohne ein weiteres Wort wieder weiter und lachten laut. Ich stand einfach nur reglos da.

„Are you okay? Du schaust so verdattert? Die Überraschung scheint gelungen zu sein!“

„Ähm, ja, das kann man wohl sagen. Und was machen wir jetzt Schönes?“

„Ach, ich wollte dir eigentlich den Sonnenuntergang zeigen. Aber der ist ja jetzt leider schon vorbei.“

Ich lachte. „Wie wär’s, wenn du mir ein paar Plätze zeigst, die du magst?“

„Ja, gern. Also dann mal los. Ich bin mit meinem Baby da!“

„Du fährst Auto?“

„Nein, aber Motorrad. Ich habe mir hier eine Harley Davidson gekauft.“

Er lachte, als ich ihn so verdutzt anschaute. Dann lief er voran und ich folgte ihm. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also blickte ich wieder auf das Meer.

„Sagst du mir jetzt, was mit ‚Jinni-Schatz’ gemeint ist?“ Ich hatte meine Probleme, zu verstehen, doch als ich die Worte ‚Jinni-Schatz’ hörte, wusste ich sofort, worauf er hinaus wollte.

„Du lässt nicht locker, was? Na gut, dann sag ich’s dir: Im Englischen würde man wahrscheinlich honey sagen. Ja, honey ist das einzige Wort, was darauf passt.“

Er nickte.

„Und?! Schockiert?“

„Nein. Ich habe dich nicht so wirklich verstanden.“ Ich musste so laut lachen, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Er schaute betreten zu Boden und freute sich dennoch, dass er mich so zum Lachen gebracht hatte. „Ach Akanishi-san. Du bist vielleicht einer. Na ja, ist ja auch egal.“

„I’m sorry. Ich muss noch viel lernen. Warum sprichst du so gut Englisch?“

„Ich spreche nicht gut Englisch. Ich denke mal, dass ich jetzt schon wieder ein Haufen Grammatikfehler gemacht habe…“ Ich rollte mit den Augen.

„Wie bist du eigentlich hierher gekommen?“

„Wir machen eine dreiwöchige Sprachreise mit der Schule.“

„Oh, das ist cool. So was haben wir früher nicht gemacht.“

„Ist auch das erste Mal. Naja, unsere Schulen sind ja sowieso etwas anders als eure. Wir müssen keine Schuluniformen tragen, haben im Sommer große Ferien und solche Sachen…“

„…“

Er erwiderte nichts und nickte nur. Ich wollte ihn unter keinen Umständen langweilen, aber ich hatte das Gefühl, das tat ich gerade. Vielleicht verstand er mich aber auch nicht. Er hatte wieder diesen Blick, der mir am Vortag schon aufgefallen war. Als würde er an etwas denken.

„Weißt du schon, wann du wieder nach Japan gehst?“ , fragte ich schließlich, um das Thema zu wechseln.

„ Noch nicht so ganz genau. Aber ich wollte eigentlich Weihnachten wieder zurück sein. Mit Kazu-chan und Pi feiern. Ich liebe Weihnachten.“ Seine Augen leuchteten auf, wie die eines kleinen Jungen.

„Ich auch… Aber den Sommer find ich auch schon irgendwie toll.“

„Alle Jahreszeiten haben ihre Vorteile, oder?“

„Klar.“

Wir waren an einem Parkplatz angekommen, der ziemlich verlassen wirkte. Wir schlenderten an den verschiedenen Fahrzeugen vorbei, bis wir schließlich an einer gigantischen Harley angekommen waren. Sie war schwarz und der Name prangte golden am Kühler. Meine Augen wurden immer größer und allmählich fragte ich mich, ob ich das wirklich wagen sollte.

„Are you okay?“ , fragte er freundlich und seine Augen forschten in meinem Gesicht. Er reichte mir einen Helm, den er aus dem Sitz des Hintersitzes rausgefischt hatte. Ich tat es ihm gleich und setzte ihn auf. Locker stieg er auf das Motorrad und nach dem letzten Anflug von Panik setzte ich mich schließlich hinter ihn. Er hielt seine Hände nach hinten und unwillkürlich legte ich meine hinein. Er zog mich näher an sich heran und verschloss meine Hände an seinem Bauch. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Herz einen Moment aussetzen. Ich schnappte nach Luft.

Er startete den Motor und mit lautem Geknatter fuhren wir vom Parkplatz. Ich krallte mich an ihn, aus Angst, ich könnte vom Motorrad fallen. Doch er sagte nichts und das beruhigte mich irgendwie. Nach einiger Zeit lockerte ich meinen Griff dann etwas. Ich hatte mich an das unbekannte Fahren gewöhnt. Ich überlegte, ob ich etwas sagen sollte, entschied mich aber dagegen.

Nachdem wir einige Zeit gefahren waren, merkte ich, wie sein Magen unter meinen Händen knurrte. Ich grinste vor mich hin.

„Wollen wir vielleicht etwas essen?“ , fragte ich also.

Er antwortete nicht, sondern fuhr einige Meter weiter an eine Imbissbude. Verschmitzt lächelte er mich an.

„Tut mir Leid… Ich habe wohl zu wenig zum Mittag gegessen.“

„Ach, ist doch kein Problem.“

Wir gingen an die Bude.

„Möchtest du auch etwas?“ , fragte er mich.

Ich verneinte. Ich konnte nicht ans Essen denken. Das alles hier war viel zu spannend.

„Good Evening. Ihre Bestellung bitte.“ Gelangweilt sah die Imbissbudenfrau auf Jin hinab. Nachdem er eher schlecht als recht seinen Wunsch abgegeben hatte, stellten wir uns an einen der Tische, die herumstanden.

„Was heißt Guten Abend eigentlich auf Deutsch?“ Ich war überrascht über die Frage und antwortete automatisch: „Guten Abend.“

„Guden Avendo?“ , probierte er es.

„Gar nicht so schlecht…“, meinte ich. Es machte mir Spaß ihm beim Deutsch reden zuzuhören. Naja, Deutsch konnte man es ja noch nicht nennen.

„Guden Abendo?!“

Ich lachte.

„Was ist los?“ , fragte er unsicher.

„Nichts. Es ist einfach schön, dir zuzuhören…“, meinte ich ehrlich. Er sah mich ernst an und ich lächelte zaghaft. Warum nur machte er so einen traurigen Eindruck?

Als er seinen letzten Happen gegessen hatte, stiegen wir wieder auf seine Harley und düsten davon. Mittlerweile machte mir das Fahren richtig Spaß. Ich war mir sicher, dass er mich nicht hören konnte und summte ‚Real Face’ vor mich hin. Doch als er plötzlich mitsummte, war mir klar, dass ich mich geirrt hatte. Trotz der kalten Fahrtluft, spürte ich, wie mein Gesicht zu glühen begann. Abrupt hörte ich auf.

„Oh no. Warum hörst du auf?“

„Weiß nicht. Du hast eine viel schönere Stimme als ich…“

„Ria-chan. Warum so nervös?“

„Ich weiß nicht genau… es ist wahrscheinlich alles auf einmal: du, das ungewohnte Fahren, die fremde Stadt, die fremde Atmosphäre…“

„So ging es mir auch, als ich hier ankam. Ich hätte am liebsten das nächste Flugzeug zurück nach Japan genommen, doch dann erinnerte ich mich an die Worte von Kazu-chan und den anderen zurück.“

„Was meinten sie?“

„Dass ich nicht aufgeben solle, egal wie schwer es werden würde.“

„Hmm… Also ich möchte eigentlich nicht unbedingt zurück. Ich meine, ich habe dich getroffen, das hätte ich mir nicht mal zu träumen gewagt. Es ist schon ein wenig verrückt, oder?“

„Ja, verrückt… das ist wahrscheinlich das richtige Wort.“

Ich ließ mir diesen Satz durch den Kopf gehen. Ich blickte mich ein wenig um. Es war dunkel und man konnte die Stadt bei Nacht sehen. Ich liebte Städte bei Nacht.

„Toll, nicht?“ , riss er mich aus meinen Gedanken.

„Ja, ich liebe es. Du müsstest mal Leipzig bei Nacht sehen. Die ganzen alten Gebäude, die um diese Zeit angeleuchtet werden.“

„Ich würde gern mal nach Deutschland kommen…“

„Dann komm doch! Und bring die anderen gleich mit! Ich wette, jedes eurer Konzerte in Deutschland wäre ausverkauft. Ihr wisst gar nicht, wie viele Fans ihr habt. Gut, sicherlich nicht so viele wie in Japan…“

Er lachte. Oh Gott, ich hatte viel zu viel geredet.

„Du kannst ja richtig gesprächig sein, Ria-chan… Naja, mal sehen…“

Er bog ein letztes Mal ab, dann schaltete er den Motor ab. Wir waren an eine Klippe gefahren. Man hörte die Wellen rauschen und die Atmosphäre war wunderbar romantisch.

„Magst du diesen Ort, Akanishi-san?“

„Jo.“

Ich nickte und starrte in die Dunkelheit. Ich schloss die Augen und ließ den Wind durch meine Haare wehen. Auf einmal spürte ich seinen Arm auf meiner Schulter. Bei der Berührung zuckte ich zusammen. Langsam öffnete ich meine Augen wieder. Er hatte sich hinter mich gestellt und nahm meine Hand in seine und streckte sie dann in Richtung Himmel. „Siehst du den Stern da?“

„Ja, warum?“

„Er leuchtet am hellsten von Allen. Ich suche immer nach den Sternen, die am hellsten leuchten, weißt du?“

„…“

„Manchmal, wenn ich mich allein fühle, wenn ich an Kazu-chan und die anderen denke, dann komme ich hierher und schreibe… Ich schreibe… Ich schreibe alle meine Gedanken auf.“

Ich griff an meine Tasche. Jetzt war der richtige Moment. Ich löste mich aus seiner Hand und wand mich ihm zu. Ich seufzte.

„Alles okay, Ria-chan?“

„Ich…“

„Ja?“

„Ich… Ich habe etwas für dich. Ich habe es selbst geschrieben. Es waren so meine Gedanken, als ich gerade etwas einsam war. So wie du manchmal… Bloß das mein Ort nicht diese Klippe war, sondern mein Zimmer.“

„…“

Ich kramte in meiner Tasche, bis ich den kleinen Zettel in der Hand hielt. Mit letztem Zögern reichte ich ihn ihm.

Er wollte ihn auffalten, doch ich hielt ihn zurück.

„Nein, nicht jetzt. Mach es, wenn du dich das nächste Mal einsam fühlst, okay?“

Er blickte verwirrt, doch schließlich nickte er und steckte den Zettel in seine Hosentasche. Ich atmete erleichtert auf. Ich glaubte, den Grund für seine Verschlossenheit zu kennen. Er war einsam. Ich wusste nicht, ob ich ihm die Einsamkeit nehmen konnte, doch ich wollte es versuchen.

„Wollen wir zurück zum Internat?“ , fragte er schließlich.

„Ist vielleicht besser…“

„Gut, dann komm.“

Er griff nach meiner Hand und wir stiegen wieder auf sein Motorrad.

Die gesamte Fahrt über sagten wir kein Wort. Jeder musste über die Worte des anderen nachdenken. Auch wenn wir uns nicht immer verstanden, so wussten wir, dass wir an diesem Nachmittag doch ganz schön viel über den anderen gelernt hatten. Ich merkte, wie ähnlich er mir war und wie wenig ich doch eigentlich von ihm gewusst hatte… und wie viel es noch gab, das ich vielleicht nie wissen würde.“ Ich fragte mich, ob ich ihm das auch irgendwann mal so sagen könnte.

Als wir vor dem Internateingang standen, war es schon fast halb elf. Die Zeit war wie verflucht gerannt.

„Hast du morgen Zeit?“ , fragte er mich.

„Ich weiß es nicht… Kommt darauf an, was unsere Lehrer mit uns vorhaben.“

„Kannst du dich nicht wieder krank stellen?“

„Kommt auf meine Freunde drauf an.“

„Ach, deine Schwester, Karmen, die scheint mir ziemlich clever zu sein. Und diese Sophie auch.“

„Findest du? Tja, sind halt meine Freunde!“ Ich verdrehte die Augen melancholisch und kicherte. Er blieb ernst. In solchen Momenten wusste ich nicht, was ich denken sollte. Verstand er mich einfach nur nicht, oder fand er es nicht lustig?!

„Also, wenn du Zeit hast, rufst du mich an, oder schreibst du mir?“

„Klar, gern. Wenn ich dich nicht störe.“

„No, no. Was denkst du nur?“

„Weiß nicht so recht…“

„Der Abend hat heute sehr viel Spaß gemacht, Ria-chan.“

„Mir hat der Abend auch gefallen.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“

„Oyasumi nasai, Ria-chan!“

„Guten Nacht, Akanishi-san!“ Wir lachten beide, dann nahm er meine Hand und blickte mir tief in die Augen. Wieder dieses Kribbeln in meiner Magengegend. Sein Gesicht kam näher. Erschrocken kniff ich die Augen zusammen und spürte seine Lippen auf meiner Stirn. Dann umarmte er mich. Ich stand reglos da und auch als er sich von mir löste und umkehrte, verharrte ich in meiner Pose. Er blickte sich noch mal um, bevor er auf seine Harley stieg und davonfuhr.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch so dastand, aber irgendwann überkam mich ein Frösteln, sodass ich hineinging. Ich schlich mich sofort die Treppe hinauf und betete, dass mich keiner der Lehrer entdeckte. Ich wagte kaum zu atmen und erst als ich das Zimmer von Chris und mir betrat, fühlte ich mich sicher. Sie saß in einem der Korbsessel und schlief. Wahrscheinlich wollte sie auf mich warten, um alles zu erfahren. Ich versuchte sie in ihr Bett zu transportieren, was mir auch relativ gut gelang, da sie so leicht war. Ich war sehr froh, dass sie nicht aufwachte, denn ich wollte erst einmal selber über die vergangenen Stunden nachdenken, bevor ich mit jemanden darüber sprach.

Als ich das Licht löschte und in meinem Bett lag, konnte ich genau aus dem Fenster blicken. Da oben war ein Stern. Er leuchtete ganz klar und hell. Ich schloss die Augen und in meinen Gedanken wirbelten die vergangenen Stunden umher. Als letztes sah ich sein Lächeln, als ich ihm den Zettel gab. Ich seufzte und öffnete noch einmal die Augen, um zu sehen, ob der Stern noch da war. Er war es. Ganz klar leuchtete er vom Himmel auf mich herab, als ob er mich beschützen und mich nicht mehr aus den Augen lassen wollte. Mir wurde warm ums Herz. Meine Augen schlossen sich wie von selbst und ich konnte beruhigt einschlafen, mit dem Gedanken an meinen Beschützer, der da von oben auf mich hinab leuchtete.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  San-chi
2009-03-13T23:12:23+00:00 14.03.2009 00:12
hach gott das sind soo schöne dialoge da schmilzt man ja richtig hin...
ganz toll bisher ...
Von: abgemeldet
2009-02-08T00:25:38+00:00 08.02.2009 01:25
Ups, ich merke gerade, dass die Story schon im Juni 2007 begonnen wurde und das letzte Update im letzten Oktober zurückliegt... Trotzdem, machts ja nichts, wenn ich noch Feedback gebe, oder? *g*
Von: abgemeldet
2009-02-08T00:24:00+00:00 08.02.2009 01:24
Hahaha, also die Dialogführung hast du wirklich drauf - so kreativ und überraschend - bei jeder Zeile! XD
Mich hat's die ganze Zeit über gestört nicht zu wissen, wie Ria aussieht. Ich kann sie mir einfach nicht vorstellen. Ziemlich lästig, wenn sie der Hauptcharakter ist.
Irgendwie sind die beiden auch sehr schnell durch ihre Verabredung gerauscht... Fast schon zu schnell, um richtig zu fesselnd. Musst aufpassen, dass die Story keine Achterbahnfahrt wird. ^^
Er fährt eine Harley Davidson ohne Motoradkluft? Ziemlich gefährlich. *ggg* Es wäre interessant zu erfahren, was sie trug, wie die anderen aussahen und so weiter. Die Charaktere gewinnen aufgrund der mangelnden Infos, die du gibst, leider noch keine Tiefe. Ein was glaube ich endlich heraus gefunden zu haben - kommt sie aus Leipzig?


Zurück