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Seelensplitter

Rufe aus der Vergangenheit
von

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"Brüder"

"Brüder"
 

(Flúgar - Blaka - Blævar)
 

Klein, zerbrechlich… schwach.

Er kann sich nicht daran erinnern, den Säugling jemals schreien gehört zu haben. Vielleicht ist ihm das Glück einmal hold und das Balg stirbt innerhalb der nächsten Tage.

Kritisch mustert er das in mehrere Lagen gewickelte Bündel, verengt verstimmt die Augen zu schmalen Schlitzen.

Was ist an diesem blassen schmächtigen Winzling so besonders?

Obwohl es der erste Blick ist, den er auf seinen kleinen Bruder erhaschen kann, so ist er sich bereits über eines im Klaren: er hegt keinerlei Sympathien für das Baby.

Es macht ihm die Umstände nur noch schwieriger zu ertragen als zuvor.

Seine Mutter hat von Anfang an Schwierigkeiten mit ihm gehabt; sie trägt ihm bitterlich nach, dass sie es fast ihr Leben gekostet hatte, ihn auszutragen. Zudem war sie zu diesem Zeitpunkt noch eher ein Mädchen als eine Frau gewesen, somit viel zu jung, um ein Kind auf die Welt zu bringen und fürsorglich aufzuziehen.

Oftmals gelingt es ihm nicht, den Ausdruck in ihren Augen, wenn sie ihn anblickt, zu deuten, und er weiß nicht, wie er damit umgehen soll.

Sie hingegen tut sich schwer damit, seine kühle, unkindliche Art zu akzeptieren, zuweilen ist er ihr unheimlich.

Auf ihr zweites Kind hat sie sich lange gefreut, den tiefen, mütterlichen Wunsch verspürt, es endlich im Arm halten zu können. Ihr Erstgeborener reagiert nicht auf solche Gestiken, er wirkt angespannt und fehl am Platz, wenn man ihn berührt. Und dennoch wehrt er sich nicht.

Er treibt sie noch in den Wahnsinn, Flúgar ist nicht normal.

Aufgrund dessen fährt sie fürchterlich erschrocken zusammen, als sie ihn in ihren Gemächern, vor der Krippe ihres Neugeborenen knien sieht.

Panik, ja gar Hysterie, dass der Junge dem Baby etwas angetan hat, steigt augenblicklich in ihr auf.
 

„Flúgar!“
 

Ihre Stimme klingt wesentlich höher und schriller als sonst, überschlägt sich nach der ersten Silbe seines Namens.

Doch er hebt nur unmerklich den Kopf, weil ihm ihr gellender Aufschrei in den empfindsamen Ohren schmerzt.

Sein Interesse erlischt in diesem Moment und er wendet sich ab.
 

„Raus hier.“
 

Bedrohlich leise erreicht ihn das warnende Wispern der Frau, die nun keine Schrittlänge mehr von ihm entfernt ist.

Er versteht, dass er hier nicht erwünscht ist – die Gründe dafür kennt er nicht. Dem Kleinen ist nichts geschehen, er hat ihn von allen Seiten betrachtet, die Beschaffenheit der zarten Haut an seiner Wange in Erfahrung gebracht, indem er sie mit dem Zeigefinger der linken Hand angetippt hat. Der Säugling hat dabei keinen Laut von sich gegeben.

Doch er fügt sich dem Befehl seiner Mutter, taxiert ihren Rücken aus dem Augenwinkel mit einem gleichgültigen Blick, ehe er den Türrahmen passiert.

In diesem Augenblick beginnt das Baby zu schreien, der kleine Körper verkrampft sich sichtlich unter den Tücherlagen, die ihn bedecken und schützen sollen.
 

„Shhhht… ist schon gut, ist gut…“
 

Sie versucht es zu beruhigen, zuerst mit Worten, dann nimmt sie es auf den Arm, wiegt es behutsam hin und her.

Aber es hilft nicht, das Weinen und Jammern hält an.

Nach kurzer Zeit ist die junge Mutter mit ihrem Latein bereits am Ende – Flúgar ist kein weinerliches Kleinkind gewesen und hatte sich zumeist damit begnügt, ihr und seinem Vater mit bösen Blicken zu strafen, wenn ihn etwas gequält hatte.

Ja, ein sonderbares Kind, in der Tat.

Sie ist hoffnungslos überfordert, und der Verzweiflung nahe, als sie zufällig wieder auf Flúgar trifft, der teilnahmslos vor einer der äußeren Balustraden des Hauptkomplexes steht und offenbar ins Nichts starrt. Stundenlang kann es gehen, dass er keinen Muskel rührt – sie hat dieses Verhalten bei Súnnanvindurs Vater beobachtet, sich damals genauso gewundert, wie jetzt. Er hat viele Ähnlichkeiten mit seinem Großvater…

Erst nach einer Weile wird ihr bewusst, dass der Kleine nicht mehr weint und schreit. Sie ist dankbar dafür, denn ihre Nerven zehren sich rasch auf, Geduld war noch nie eine ihrer Stärken.

Als sie sich dann wieder in Bewegung setzt, um sich zurück ins Innere ihres Quartiers zu begeben, fängt das Baby abermals an zu quäken. Es ist ihr offensichtlich, was passieren wird, wenn sie noch einen weiteren Schritt tätigt.

Jede andere Richtung entpuppt sich als ebenso falsch wie diese.

So hält sie inne.

Eine vage Vermutung beschleicht sie, und sie kann sich ihrer Neugier nicht erwehren.
 

„Flúgar, komm her.“
 

Dieser dreht sich bloß ein wenig zur Seite, und seine finstere Miene verbirgt den in ihm aufwallenden Missmut keinesfalls.

Doch das schreckt sie nicht ab, und aus der Kehle des Jungen löst sich ein untypischer Laut, als er mit einem Mal das Gewicht des Bündels auf seinen Armen lasten spürt.

Perplex blinzelnd fixiert er die bläulich schimmernden Iriden des Säuglings.

Kurz darauf findet er sich im Schoß seiner Mutter wieder, wird sich ihrem Zaudern gewahr, bevor sie einen Arm um seine Taille legt. Ihre freie Hand streichelt bald zögerlich über seinen Nacken, und unbewusst weicht jedwede Anspannung aus seinem Leib.
 

***---***---***
 

[Anm. der Autorin]

Eigentlich war die Szene ganz anders geplant, ursprünglich kam Blaka darin gar nicht vor - allerdings gefällt es mir so wesentlich besser, da von Flúgars kleinem Babybrüderchen nicht allzu viel Aktion ausgeht.

Ich sollte mehr über Blaka und die Beziehung zu ihren Söhnen und Súnnanvindur schreiben!



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Lizard
2007-07-16T15:40:46+00:00 16.07.2007 17:40
Die ganze Clanoberhaupt-Familie scheint eine nicht so ganz einfache Beziehung zueinander zu hegen. Das macht neugierig auf mehr...
Deine Meinung, du solltest mehr zu Blaka und ihrer Beziehung zu Mann und Söhnen schreiben, möchte ich mich anschließen: JA! Mehr davon! Tob dich in SA gerne dazu aus! Von Flugars Beziehung zu seinem jüngeren Bruder bzw. zu seinem Vater hat man ja zumindest schon etwas erfahren, doch gegen ein bisschen mehr Familiengeschichten hätte ich absolut nichts einzuwenden. Mir gefällt dein Spiel mit den Gefühlen sehr gut. Hat Blaka Sunnanvindur eigentlich aus Liebe geheiratet oder war/ist es eine arrangierte Zweckehe? Ich tippe ja eher auf letzteres, wobei sich Gefühle ja auch später einstellen können. Nicht jede Verheiratung endet schließlich unglücklich.
Von:  Carcajou
2007-06-29T22:03:25+00:00 30.06.2007 00:03
Die Beziehung zwischen Flugar und Blaka ist ja scheints auch recht "interessant"...
Und der anfänglich abgelehnte Bruder wird nach seinem Großvater für Flugar die einzige Vertrauensperson in seiner Familie.
Ich fand es anrührend zu lesen, das der Kleine es schafft, eine zärtliche Annäherung zwischen Mutter und Sohn zu ermöglichen.

Etwas über die Beziehung zwischen Vater und Großvater würde mich allerdings auch interessieren^^°
Und wie war das nochmal zwischen Askas Bruder und Flugar?

Liebe Grüße,Carcajou
Von:  Hotepneith
2007-06-27T05:57:39+00:00 27.06.2007 07:57
Der Anfang einer wunderbaren Beziehung..^^
Ich finde es eine gute Idee, deine Protagonisten aus der Vergangenheit zu beleuchten. Wirst du auch etwas über die Vater/Großvater- Beziehung schreiben?

bye

hotep


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