Seine Hände
Der Regen prasselt einen einschläfernden Rhythmus auf die Holzdielen der Going Merry, im Krähennest spähen dunkle Augen in die Nacht. Am Horizont erhellen Blitze die dichte Wolkendecke und Zoro zählt die Sekunden bis das Donnergrollen ihn erreicht. Weiter entfernt als noch vor einer halben Stunde. Der Sturm zieht an ihnen vorbei; kein Grunde also, seine Nakama zu wecken.
Mit geschlossenen Augen lehnt er sich zurück an die durchnäßte Holzwand, läßt den Regen über sein Gesicht spülen. Zoro versucht nicht, die Hitze, die sich hinter seinen Lidern sammelt, aufzuhalten, hat ja doch keinen Zweck. Heiße Tropfen verbinden sich mit kalten und laufen in kleinen Bächen seine Wangen hinunter. Seit Jahren hat er nicht mehr geweint, seit Kuinas Tod, aber in letzter Zeit tut er kaum noch etwas anderes. Natürlich nur nachts. Ausgerechnet diese Schwäche will er seinen Nakama nicht zeigen. Es reicht, daß sie wissen, daß sein Herz gebrochen ist.
Sowieso eine bescheuerte Sache, das Herz. Er war völlig zufrieden, als es sich noch nicht in sein Leben einmischte. Die meisten Leute, die nur sein strenges Äußeres kennen, bezweifeln, daß so etwas überhaupt in seiner Brust wohnt. Tut es. Tat es. Bis er es in zwei schlanke Hände gegeben hat, magische Hände, die Wunder bewirken können – mit Lebensmitteln und mit Zoro. Perfekte Hände, die ihn beruhigen können und erregen, die sanft streicheln und leidenschaftlich zupacken. Hände, eigentlich dafür geschaffen zarte Zerbrechlichkeit zu halten, nicht grobe Muskeln und Sehnen. Wenn diese Hände ihn berühren, fühlt er sich wertvoll, angenommen. Für diese Hände hat er seine Ängste aufgegeben, seine Barrieren fallengelassen und den Weg freigemacht für Wärme und Liebe. Oh ja, er liebt. Er hat sein sorgsam gehütetes Herz aus seinem Schutzmantel gelöst und es zutraulich in diese Hände gegeben, damit sie es behüten und pflegen. Und er hat sich frei gefühlt. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er verstanden, daß teilen gewinnen bedeuten kann. Er war glücklich.
Aber die Hände haben ihn im Stich gelassen. Ihre zärtliche Berührung verschwand. Die warmen Finger ließen los, ließen sein Herz entgleiten und es fiel, fiel und zerbrach. Nichts hat Zoro auf diese Schmerzen vorbereitet. Selbst Mihawks Wunde fühlte sich besser an, sauberer und präziser. Dieser neue Schmerz ist diffus. Jeder Winkel seines Wesens ist von ihm erfüllt bis nichts anderes mehr übrig bleibt. Denken tut weh, Fühlen tut weh, Essen tut weh, jede Mahlzeit ist Folter. Aber schlimmer als der Schmerz ist die Hilflosigkeit. All seine Kraft, all seine Geschicklichkeit und seine Schwertkunst sind nutzlos. Nichts kann Sanji zurückholen. Und nichts kann die Fragen aufhalten: Warum? Warum hat er mich verlassen? Warum... liebt er mich nicht?
Zoro hört nicht, wie sich unten an Deck eine Tür öffnet. Er hört weder das Knarzen der Takelage noch sieht er das lange Bein, das sich über den Rand des Aussichtskorbs schwingt. Als er seine Präsenz bemerkt, kniet der Mann schon neben ihm. Kühle Finger flattern über sein Gesicht, wischen den Regen von seinen Wangen.
Ein heiseres Flüstern: „Es tut mir so leid... ich ...“ Die Finger zittern zu einem unterdrückten Laut.
Die Augen immer noch geschlossen finden Zoro’s Arme die bebenden Schulten. Er zieht Sanji fest an sich heran, die Nase vergraben in dem vertrauten Geruch von Zigaretten, Essen und Aftershave.
„Idiot,“ raunt er als Erleichterung durch seinen Körper strömt und den Schmerz aus ihm herauswäscht. Und als der schlanke Körper sich enger an ihn preßt, fieberhaft seine Nähe sucht, breitet sich helle Wärme in seiner Brust aus, dort wo sein Herz zu heilen beginnt.
Keiner der beiden merkt, daß es aufgehört hat zu regnen.