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Dead Society - Past

Schwarze Vergangenheit
von

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Am Leben zu sein

Ich habe es schon in DS geschrieben: Das hier gehört zu den Kapiteln, die mich sehr viele Nerven gekostet haben. Zum einen ist es nicht leicht sich in einen DESNOS-Patienten mit peritraumatischer Dissoziation zu versetzen, erst recht, wenn er in der Pubertät ist. Zum anderen ist es nicht leicht zu schreiben, weil man ja eigentlich will, dass es den Charakteren gut geht, dass es eine Lösung oder Einigung gibt... so etwas ist bei chronischen Krankheiten leider nicht der Fall. Und zum letzten spielen hier auch sehr viele persönliche Erfahrungen mit - ich möchte hiermit versichern, ja, es gibt solche Menschen wie Seto, ja, sie und ihr Umfeld zeigen solch ein Verhalten. Was nicht bedeutet, dass ich mich nicht trotzdem über kontruktive Kritik freue ^.- Sicherlich gibt es auch ein bis zwei Momente, in denen möglicherweise anders reagiert wird - ich würde mich wirklich freuen darauf hingewiesen zu werden. Und noch einmal die Warnung an Betroffene: Bitte lest mit Vorsicht. Ich möchte niemandem schaden oder weh tun.

Das Lied trägt den Titel "Am Leben zu sein" und stammt aus einem Musical, dessen Namen ich nicht einmal kenne. Den Liedtext konnte ich im Internet ebenfalls nicht finden - ich gehe mal davon aus, dass das Ganze nicht sehr bekannt ist. Ich habe das Lied in der Vertonung mit Franziska Becker. Die Bibelstellen stammen aus dem Buch Genesis und den Psalmen.

Frohes Lesen ^.^
 

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„Seto.“, jemand rüttelte ihn an seiner Schulter, „Seto, wach auf. Seto!“

Die Person, die dort am Bettrand saß und sich erdreistete ihn anzufassen, seufzte tief. Was? Konnte man nicht sehen, dass es ihm nicht gut ging? Konnte man nicht mal versuchen ihn zu verstehen? Immer nur Forderungen, immer nur Menschen, die wollten, dass er dies war, dies schien, das tat, jenes wollte. Auf den Mond mit ihnen! Scheiße über diese ganzen Würmer, die nur von seinem Kuchen fressen wollten. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren.

„Bruder, du musst zur Schule. Wenn du schon wieder schwänzt, musst du das Jahr wiederholen.“, warnte jene Person, die sich in einem Rollstuhl neben seinem Bett befand und ihn wahrscheinlich aus den Bett gezerrt hätte, wäre er dazu in der Lage.

Setos Mundwinkel zogen sich mehr nach hinten als oben.

„Du nervst. Lass mich in Ruhe oder ich schmeiß‘ dich raus.“

„Seto, das hier ist auch mein Haus.“, erwiderte Noah mit einer tieferen, ruhigeren Stimme als zuvor, „Ich wollte dir nur sagen, dass du zur Schule musst. Kein Grund gleich auszuflippen.“

„Ich flippe nicht aus!“, schrie der Brünette, plötzlich wach aufrecht im Bett sitzend, „Geh‘ und kümmer‘ dich um deinen eigenen Scheiß!“

„Ist gut...“, der Sitzende atmete tief durch, „Mach dich einfach nur fertig und fahr in die Schule, ja?“

„Warum? Damit du mich aus dem Haus haben kannst?“, giftete Seto ihn an, doch verließ das Bett, was Noah dazu brachte den Rollstuhl weg zu rollen, damit er mindestens eine Armlänge Entfernung zu seinem Stiefbruder hatte – was ihm auch nicht half, wenn Seto wirklich sauer war, aber vielleicht gab es ihm ja irgendwie das Gefühl von Distanz. Seto zumindest gab es das, zusammen mit einem Stich im Herzen.

Er wollte nicht, dass sein Bruder Angst vor ihm hatte.

Er wollte diese Distanz nicht.

Noah war doch ein Teil seiner Familie. Ein Teil von ihm.

Er war es selbst Schuld, wenn er sich von Seto eine fing, weil er ihn schon wieder auf hundertachtzig gebracht hatte. Seine Schuld...

„Steh einfach nur auf und mach dich fertig. Ich habe nicht vor heute morgen schon mit dir zu streiten.“

„Mach mir keine Vorschriften!“, brüllte der Größere ihn an, doch Noah schüttelte nur den Kopf, während er den Rollstuhl drehte und sich danach aus dem Raum rollte.
 

Es ist schön am Leben zu sein.

Es ist herrlich sein Leben zu spüren.

Wir begreifen erst dann, was das Leben sein kann,

wenn wir Angst hatten es zu verlieren.
 

„Morgen, Seto.“, grüßte sein Wirbelwind von einem kleineren Bruder ihm im Vorbeigehen.

„Mokuba.“, der Brünette nickte, setzte seinen Weg in die Küche fort, wo sein Kaffee auf ihn wartete. Er wusste ohne hinzusehen, dass sein Kleiner sich ihm angeschlossen hatte, obwohl er sein Frühstück wahrscheinlich schon hinter sich hatte.

„Wann bist du heute Morgen nach Hause gekommen?“, erkundigte sich der Elfjährige.

„Gegen zwei. Yagahashi hat Schwierigkeiten gemacht.“, Seto war in wenigen Schritten bei der Kaffeekanne, nahm einen der bereit gestellten Becher und schenkte sich ein.

„Schwierigkeiten?“, der Junge legte den Kopf schief.

„Hat Zeter und Mordio geschrieen, als ich ihm die Forderungen vorgelegt habe. Dabei hat er nicht einmal das Recht dazu. Ich habe ihn nur aus reiner Höflichkeit über mein Vorgehen unterrichtet.“, er nahm den ersten Becher auf ex, „Wer zu dumm ist auf seine Aktien zu achten, hat mit so etwas zu rechnen.“

„Ist das nicht derselbe, der letzte Woche seine Frau verloren hat? Krebs oder so?“, Mokuba lehnte sich gegen den Küchentisch, Seto gegenüber, der einen Platz neben der Kaffeekanne bezogen hatte.

„Mir egal. Wenn der seinen Beruf nicht von seinem Privatleben getrennt kriegt, hat er in der Wirtschaft eh nichts zu suchen. Gefuhlsduselei kann man sich hier nicht erlauben.“

„Wenigstens hatte er ein Privatleben...“, murmelte der Junge leise.

„Wie war das?“, zischte Seto und stellte den Becher hörbar auf dem Tresen ab.

„Nichts!“, versicherte der Schwarzhaarige händeringend, „Ich hab‘ nix gesagt!“

Die rechte Augenbraue des Älteren hob sich ein Stück, während sich sein Blick in das kleine Mistvieh bohrte, dass sich sein Bruder nannte: „Hast du irgendein Problem?“

„Nein, gar nicht...“, Mokuba schluckte und machte einen Schritt zur Seite, „Ich werde... meine Sachen für die Schule packen, ja? Sehe ich dich heute Abend?“

„Ich muss arbeiten.“

Dieser undankbare kleine Bastard! Was dachte der eigentlich, für wen er das hier alles tat? Da arbeitete Seto sich schon den Rücken krumm, damit das Kind endlich ein angenehmes Leben hatte und jetzt beschwerte der sich darüber? Was fiel ihm eigentlich ein! Dieser verdammte Aasgeier...

„Bis dann.“, Mokuba hob die Hand, drehte sich auf Höhe des Türrahmens und lief davon.

Sollte er nur laufen! Laufen taten sie doch alle früher oder später. Immer nur ließen sie ihn allein. Keiner nahm sich etwas Zeit ihn kennen zu lernen. Ihn lieb zu haben. Diese ganzen Menschen um ihn herum waren alle nur Dreck, alle blieben sie nur freundlich wegen seines Geldes. In Wirklichkeit mochte ihn doch gar keiner.

„Weil du ein Monster bist.“, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf leise, „Du bist ein schlechter Mensch.“

Seine Schulter verloren die Spannung, sein Kopf fiel nach vorne und während er sich zu Boden fallen ließ, glitt der wieder aufgenommene Kaffeebecher aus seiner Hand. Weißes Porzellan mischte sich mit schwarzbrauner, dampfender Flüssigkeiten auf den Fliesen, von der einige Spritzer zwar seine Schuhe getroffen hatten, aber seine Kleidung nicht kontaminierten – er beließ es so, indem er sein Gewicht auf seine Füße stützte statt mit den Knien den Boden zu berühren.

„Immer verletzt du alle.“

„Du bist es nicht wert am Leben zu sein.“

„Keiner braucht dich.“

„Du tust allen nur weh.“

Die Stimmen, die gleichzeitig nur eine Stimme waren, steigerten sich in ein Crescendo ineinander, überlappten sich und schlugen gegen seine Seele. Erschlugen sie.

Mit verzerrtem Gesicht griff er nach einer Porzellanscherbe.
 

Es ist schön am Leben zu sein.

Sich am Kleinen noch freuen zu können:

An dem lachenden Kind, an dem Herbstblatt im Wind

und das Gute vom Bösen zu trennen.
 

Seto betrachtete die roten Spuren auf seinem Bauch, die sich quer von einer Seite zur anderen zogen und an mehreren Stellen bereits kleine Krusten bildeten.

Scheiß Porzellan.

Scheiß Fußboden.

Scheiß Leben.

Das Küchenmesser war nur ein bisschen über einen Meter entfernt. Aber er schaffte nicht mehr hochzukommen. Die Stimmen hatten ihn wieder entführt in ihre Welt.

Die Welt aus Schmerz.

Die Welt, die nicht war.

Die Welt, wo süßes Vergessen mit ewiger Taubheit bezahlt wurde.

Und gleich würde Noah wieder kommen. Würde ihm sagen, dass er zur Schule musste. Würde ihm sagen, dass er hier nicht ewig bleiben konnte, dass er seine Haut in Ruhe lassen sollte, dass er Mokuba das nicht sehen lassen dürfte.

Scheißkerl.

Wäre er glücklich, wenn Seto alles zerstörte, was er unter der Haut trug, damit er eine hübsche Leiche abgab? Sollte er was erfinden, was seine Organe zerfetzte und seine Haut schön und gleichmäßig hielt? Würden sie ihn dann in Ruhe lassen? Diese ganze ekelhafte Welt sollte einfach nur endlich in die Luft gejagt werden!

Oder sie sollten ihn einfach töten.

Ja, töten.

Das wäre gut.

Noah hätte seine Firma. Dann konnte er zu diesen verdammten Geschäftsessen gehen. Konnte sich anhören, wie schön er war, wie jung er war, wie erfolgreich er war, wie er das bloß mache, ob er nicht einen neuen Firmenleiter suche, ob das ihm nicht alles zu viel wäre. Dann konnte Noah sich von den Reportern belagern lassen und sich Fragen anhören, die so weit unter die Gürtellinie zielten, dass es ein Wunder war, dass es noch keine Zeitschrift mit Fotografien der Geschlechtsteile aller VIPs gab.

Und Noah könnte den großen Bruder spielen.

Konnte Mokuba eine Kindheit geben, die dieser verdiente. Ein gutes Leben. Nicht so eins, wie er jetzt führen musste – in einem Haus mit einem Wahnsinnigen lebend, der nicht einmal auf sich selbst achten konnte.

„Das kann ich sehr wohl.“, knurrte Seto, mobilisierte alle Kräfte und stand auf, nahm sich ein neues Gefäß und schüttete sich einen Kaffee ein, bevor er seine Kleidung wieder richtete. Er nahm auch diesen Becher auf ex – er hörte den Rollstuhl im Flur.

„Seto, hast du schon wieder nichts gefrühstückt?“
 

Ich habe buchstäblich dem Tod ins Auge gesehen.

In drei Sekunden sah ich mein ganzes Leben vor mir ablaufen:

Meine Schulzeit in Salem,

mein Auslandssemester in Oxford – mit Auszeichnung,

die Traineezeit bei Siemens Niedersachsen

als einer von fünf bundesweiten Juniorchefs.
 

„Herr Kaiba?“, Akemi steckte ihren Kopf durch den Spalt zwischen den zwei großen Flügeltüren zu seinem Büro, „Herr Hidekai ist jetzt anwesend. Sie wollten, dass ich Bescheid sage.“

„Was ich will, geht sie nichts an und was ich ihnen gesagt habe, weiß ich auch selbst.“, zischte der Brünette nur, „Schicken sie ihn herein.“

Die Augenlider fest herunter pressend zog sie den Kopf zurück, bevor sich wenige Sekunden später einer der großen Türen öffnete und einen schwarzhaarigen Mann im Anzug herein ließ.

„Hidekai.“, der Jüngere erhob sich, während Akemi die Tür schloss – gutes Mädchen, hatte anscheinend gelernt, dass sie weder Tee anzubieten hatte noch sonst einen Schwachsinn. Seine Besuche gingen eh wieder, bevor solch ein Getränk eine angenehme Temperatur hatte.

„Der junge Kaiba, welch eine Ehre.“, der Mann nahm seinen Hut ab, legte ihn vor seine Brust und deutete eine Verbeugung an, „Ich hatte schon Angst, ich würde einen Stammkunden verlieren. Ich hörte vom Tod ihres Vater... ein sehr bedauerlicher Unfall.“, der Ton machte Seto unmissverständlich klar, was sein Gegenüber von dem Vorfall hielt.

„Bisweilen muss man über Leichen gehen.“, stimmte er zu.

„Die einzig wahre und gerechte Einstellung in der Welt wie der unseren.“, ohne zu fragen nahm der andere einen der beiden Stühle vor Setos Schreibtisch, während auch dieser wieder Platz nah, „Und welches Opfer verlangt das große Ganze nun?“

„Nur eine Kleinigkeit.“, versicherte der Firmenleiter und schob seinem Gegenüber eine Akte rüber, „Sicher haben sie schon gehört, dass dieser Mann der Kaiba Cooperation einige Probleme macht. Er strebt eine Gerichtsverhandlung gegen mich an. Eine sehr unangenehme Sache...“

Auf das Grinsen seines Gegenübers begann er weiter auszuholen.
 

Und ich dachte nur:

Was zählt das alles jetzt noch,

jetzt, wo du tot bist?
 

So schön.

So ruhig.

Alles dunkel.

Alles still.

Sein Körper war so leicht, so wundervoll schwerelos.

Es war eng, es gab keine Luft, es war kalt, es war schwarz und er hörte niemanden. Genau wie früher. Aber er konnte selbst bestimmen. Er konnte selbst entscheiden, wie lange er hier blieb. Niemand zwang ihn hier zu sein. Er konnte seine Grenzen selbst testen.

Er konnte über sich selbst hinaus wachsen.

Etwas über seinen geschlossenen Lidern änderte sich, was ihn automatisch die Augen öffnen ließ. Licht. Leicht verschwommen konnte er den Duschkopf über sich ausmachen. Komisch, das Wasser war doch still. Dennoch sah er nur so unklar? War es schon der einsetzende Sauerstoffmangel?

Würden sie ihn finden?

Eine Gestalt eilte heran, Sekunden bevor Hände die Wasseroberfläche durchbrachen, sich hart um seine Schultern legten und ihn in die Höhe zogen. Eine laute Stimme.

Sie hätten nicht so schnell ziehen sollen... nicht so...

Schwärze.

Er begrüßte die Ohnmacht. Er öffnete ihr die Arme. Er hieß sie willkommen wie eine lang vermisste Freundin.

Sie hatten ihn also gefunden... retten konnten sie ihn doch nicht.

Retten konnten sie ihn noch nie.
 

Es ist schön am Leben zu sein.

Es ist herrlich sein Leben zu spüren.

Wir begreifen erst dann, was das Leben sein kann,

wenn wir Angst hatten es zu verlieren.
 

Weiße Decke.

Weiße Wände.

Das Piepsen eines EKG.

Domino Hospital – er war Stammkunde. Das hier war sein eigenes Zimmer. Er erkannte es an dem blütenweißen Fleck am Kopfende des Bettes, in dem er lag. Vor ungefähr anderthalb Monaten hatte er mit seinem Blut die Wand dort bemalt.

Hätten sie bei dem Geld, das Noah „spendete“, nicht wenigstens ordentliche Malermeister bestellen können?

Er versuchte seine Hand zu bewegen, was erstaunlicherweise gut klappte. Hatten sie ihm keine Sedativa gespritzt? Na, wahrscheinlich nicht, schließlich war ja diesmal sein Kreislauf noch härter zusammen gebrochen als sonst. Was ein einfaches Eisbad mit dem Körper anstellen konnte, war wirklich erstaunlich.

Gekoppelt mit Sauerstoffmangel.

Gekoppelt mit Unterernährung.

Und der Packung Schlaftabletten.

„Willkommen zurück in Domino Hospital, Herr Kaiba.“, der Gesichtsausdruck von Schwester Yumi, die auf das Drücken des Notrufs erschienen war, lag irgendwo zwischen Desinteresse und Ablehnung, „Hausordnung ist noch dieselbe, das Essen schmeckt weiterhin wie bereits schon mal verdaut und nein, sie kriegen keine Zigarette.“

Sie warf einen Blick auf sein EKG, krallte sich Setos Handgelenk und legte die freie Hand auf seine Stirn, bevor sie damit sein Unterlid nach unten zog.

„Ihre Arme sehen aus wie ein Schlachtfeld.“, sie verzog die Lippen vor Ekel, „Blutdruck ist kaum messbar, Puls rast und ihren Hb schätze ich auf vier. Ich hoffe, sie wissen noch, was das heißt?“

Er sparte sich die Antwort.

„Na ja...“, sie strich eine Strähne ihres Haares hinter ihr Ohr, „Ein Gutes haben diese Selbstmordversuche ja – sie bringen sie regelmäßig zu den Routineuntersuchungen zu uns.“, sie brachte so was wie ein Lächeln zustande, „Fühlen sie sich in der Lage sich den Vortrag über die Schönheit unseres Krankenhauses vom Chefarzt mal wieder anzutun, während ich die Spritzen vorbereite?“

Ein dünnes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

„Weißt du, Seto...“, sie ließ sich auf die Seite des Bettes sinken und strich dem Brünetten einige Strähnen seines Haares aus dem Gesicht, die Stimme plötzlich sanft und voller Gefühl, „Wäre ich so eingebildet, wie du dich gibst, würde ich ja sagen, du tust das alles, um mich immer wieder zu sehen.“, sie zwinkerte, „Ein Glück, dass es in meinem Kopf einen Funken Realismus gibt, was?“, sie kraule ihn einen kurzen Moment hinter dem Ohr, „Trotzdem... danke, dass du dich diesmal nur auf die Allgemeine gebracht hast. Es hat mich ziemlich erschrocken, als sie dich vor zwei Wochen auf der Intensiv hatten. Du solltest armen, alten Damen wie mir nicht solch einen Schock geben.“

Seto schloss nur die Augen und lehnte den Kopf gegen die wohltuende Berührung.
 

Was kann angesichts dieser existenziellen Bedrohung noch von Bedeutung sein?

(Die FAZ will sie auf Seite sieben)

(Der Bischof von Münster will für sie beten)

(Genesungswünsche aus dem Kanzleramt)

(Und ein Anruf aus Boston) – sagen sie, ich rufe zurück.
 

„Wow!“, Yumi ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, „Hast du dich umentschieden und wirst Florist?“, sie kam lächelnd zu Seto herüber.

Der machte sich nicht die Mühe von seinem Laptop aufzusehen, auf dem er fieberhaft herum tippte.

„Ja ja...“, sie stellte eine Sprühflasche und ein Nierenschale auf dem Nachttisch ab, „Zwei Dienstzeiten ist man nicht da und schon hast du jemanden dazu gekriegt deine Fesseln zu lösen und dir deine Arbeitssachen zu geben.“

„Ich bin halt charmant.“, gab der Brünette tonlos und kalt zurück.

„Ich kann es mir denken... und, was machst du?“, sie sah auf den Bildschirm, auf dem Diagramme mit einer Textdatei wechselten.

„Ich werte Statistiken aus.“, er speicherte die Daten und ließ eine andere laden, „Ich habe mich entschieden eine riesige Spielhalle mitten in der Stadt zu errichten.“, die Baupläne waren on und er wechselte in die 3D-Ansicht, „So ungefähr.“

„Sieht aus wie ein Wolkenkratzer. Wie viele Etagen sind das?“, wollte sie wissen.

„Sieben oder acht. Wird hohe Decken haben.“, murmelte er nur und scrollte, „Hier kommt ‘ne Geisterbahn hin. Und hier die normale Spielhallenausrüstung. Hier auch. Ansonsten... hatte ich noch keine Ideen.“

„Die kommen schon, wenn du wieder genug Blut hast.“, sie lächelte, während er den Laptop runter fuhr und ihr aushändigte.

„Bindest du mich auch wieder fest?“, flüsterte er leise.

„Wenn du mir versprichst brav im Bett liegen zu bleiben und dich auszuruhen, nein.“, sie durchbohrte ihn mit ihnen eigentlich langweilig graugrünen Augen, „Wenn du dich nicht kratzt, keine Wunden öffnest und weder aufstehst noch arbeitest, können sie ab bleiben.“

„Ich verspreche es.“, sagte der Brünette kleinlaut und hielt ihr seinen Arm hin für die Spritze, die sie heute mitgebracht hatte.

„Ich komme das in vier Stunden überprüfen.“, warnte sie ihn vor, während die Butterflynadel in seine Armbeuge fuhr, „Aber wer weiß... vielleicht bringe ich ja deinen Laptop mit...“

„Echt?“, sein Gesicht hellte sich auf.

„Vielleicht. Wenn du lieb bist.“

„Ich bin ganz lieb.“, versicherte er.

„Wir werden es sehen.“
 

Das alles wird in einem solchen Moment so unwichtig.

In einem solchen Moment ist es

nur noch schön am Leben zu sein

und zu spüren wir sind das, was wir träumen.
 

„Ich will entlassen werden.“

„Aber Herr Kaiba...“, der Chefarzt hob die Hände und legte die Stirn in Falten, „Diesmal ist es wirklich noch zu früh. Das können wir nicht verantworten. Ihr BMI liegt bei siebzehn und ihr Hb bei acht Komma zwei. Das sind keine Entlassungswerte. Damit werden andere Leute bei uns eingeliefert!“

„Herr Honayashi...“, Setos Stimme nahm einen honigsüßen Ton an, „Sie erinnern sich doch sicher an die Abmachung, die wir beim letzten Mal gemacht haben, nicht? Ich komme jeden Morgen für meine Spritzen und bin dafür offiziell entlassen.“

„Und als nächstes lagen sie auf der Intensivstation.“, gab der Ältere nur trocken zurück.

„Das hatte andere Gründe, das wissen sie so gut wie ich.“, fauchte Seto, „Sie können mich hier nicht festhalten. Ich habe eine Firma zu leiten.“

„Das will ich auch gar nicht anzweifeln...“, der Arzt versuchte eine beschwichtigende Geste, „Aber bevor sie wieder Verantwortung für ihre Firma übernehmen können, müssen sie erst einmal welche für sich selbst übernehmen.“

„Wie bitte?“, donnerte der Drache los, „Wollen sie mir etwa unterstellen, ich könnte nicht für mich selbst sorgen? Wollen sie das ernsthaft behaupten?“

„Ich... ich...“, der Chefarzt sah Hilfe suchend zum Stationsarzt und den zwei Assistenzärzten, die mit ihm im Raum standen.

„Herr Kaiba.“, einer der beiden Letzteren trat vor, „Es ist sehr schwer jemanden eine solch verantwortungsvolle Aufgabe zuzusprechen, der sich beinahe wöchentlich ins Krankenhaus verfrachtet.“

Mistkerle. Die waren doch nur neidisch. Was konnte er dafür, dass sie es nur zu solch einem bescheidenen Einkommen gebracht hatten?

„Und wie wollen sie das ändern?“, fragte er mit einer ordentlichen Portion Gift in der Stimme.

„Mit einer Einweisung in die Jugendpsychiatrie.“, wagte es der Chefarzt sich doch wieder zu Wort zu melden, während er sein Kreuz straffte.

„Hm.“, ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen, „Sie sollten sich ein wenig besser informieren – den Versuch hat ihr Vorgänger gemacht. Dadurch haben sie diesen Titel jetzt überhaupt.“

Er beobachtete das Wandern des Adamsapfels bei seinem Gegenüber.

„Nun... ohne die Unterschrift ihres gesetzlichen Vertreters dürfen wir sie nicht gehen lassen. Reichen sie diese mit den Entlassungspapieren gegen ärztlichen Rat ein.“, er nickte seinen Kollegen zu, „Bis nächste Woche, Herr Kaiba.“
 

Plötzlich wird es dir klar,

jeder Tag ist ein Jahr

und du hast keine Zeit zu versäumen.
 

„Du bist... zurück?“, fragte Noah leise, schon fast vorsichtig, während Seto einfach nur an ihm vorbei in Richtung Hausbüro schritt, „Seto, ich rede mit dir.“

„Was willst du?“, der Jüngere fuhr herum und sah auf seinen Stiefbruder hinab.

„Bist du entlassen worden oder hast du dich entlassen lassen?“, verlangte Noah zu wissen.

„Ist das wichtig?“, meinte Seto nur und hob die Nase ein Stück höher.

„Ich hatte deinen Vormund angewiesen die Papiere nicht zu unterschreiben, damit du dich endlich mal ein wenig erholst.“

„Erholen?“, Seto schnaubte, „Von was? Vom Leben? Falls dir das nicht aufgefallen ist, das tue ich öfter. Wenn ich mich recht entsinne, ist es das, was dir gegen den Strich geht.“

„Seto... ich möchte doch nur nicht, dass du stirbst.“, der Achtzehnjährige lehnte sich in seinem Stuhl vor, „Bitte versteh doch... ich mache mir Sorgen. Ich habe Angst, dass wir einmal nicht rechtzeitig kommen.“

„Gib‘ doch zu, dass du erleichtert wärst.“, giftete der Andere nur und drehte ab, um weiterzukommen.

„Kannst du einfach mal akzeptieren, dass es Leute gibt, die dich trotz der ganzen Scheiße, die du anstellst, lieben?“, platzte es aus Noah heraus, „Seto! Bleib stehen!“

Vorsichtshalber schloss er die Tür hinter sich auch noch ab, nachdem er sie geschlossen hatte. Nicht, dass sein Stiefbruder noch auf die Idee kam ihn hierher zu verfolgen.

Liebe... was für ein Quatsch. Alles, was Noah haben wollte, war die Firma. Er wollte Seto von seiner Arbeit abhalten, um seine Position zu schwächen. Er schamloser Lügner war er, ganz wie sein Vater. Ganz wie- Setos Hand fuhr an seinen Kopf, während ihm die Beine beinahe weg knickten. Argh... verdammt, das tat weh! Auch die zweite Hand legte sich an seine Schläfe, sodass er seinen Schädel zwischen ihnen quetschte. Grauenhafter Schmerz...

Nein.

Die Zähne zusammen beißend schritt er zu seinem Schreibtisch. Er hatte keine Zeit zusammen zu brechen. Er hatte keine Zeit für seine heftigen Migräneattacken. Er hatte eine Firma zu leiten.
 

Es ist schön am Leben zu sein.

Und dank Gott siehst du mit neuen Augen,

was du sonst überseh’n und beginnst zu versteh’n:

Wahre Kraft liegt im richtigen Glauben.
 

Seto lehnte sich vor, schloss die Lider und verbarg sein Gesicht hinter seinen offenen Handflächen. Er musste nicht auf die Uhr sehen, um zu wissen, dass nicht viele Stunden Schlaf vor ihm lagen – wenn überhaupt – bevor er zurück in die Klinik musste.

Sollte er seine Augenringe überschminken? Würde Schwester Yumi es merken? Wahrscheinlich. Würde sie etwas sagen? Vielleicht... er schluckte schwer und begann zu rezitieren, was durch seine Gedanken spukte: „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drückt mich. Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir: derselben Gift muß mein Geist trinken, und die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet.“

War es nicht so? War er nicht das Opfer? War er es nicht, den man erniedrigt, den man geschlagen und allein gelassen hatte? Und doch, er hatte gekämpft. Er hatte sich an die Spitze gekämpft. Und er hatte wieder einmal gesiegt.

„Denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe vor deinem Drohen und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Denn meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Meine schweren Sünden sind durch seine Strafe erwacht und in Haufen mir auf den Hals gekommen, daß mir alle meine Kraft vergeht.“

Nur zu welchem Preis... war es nicht ironisch? Wie er hier saß, in exakt demselben Sessel, vor dem er gekniet hatte, nackt, zitternd, weinend, doch still. Still, während er von der Leine seines Halsbandes aufrecht gehalten wurde, während der Schlagstock auf ihn niederfuhr.

„Der Herr hat mich also zugerichtet, daß ich nicht aufkommen kann. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit. Ich gehe krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag gehe ich traurig. Denn meine Lenden verdorren ganz, und ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Es ist mir gar anders denn zuvor, und ich bin sehr zerstoßen. Ich heule vor Unruhe meines Herzens.“

Idiot. Wieso dachte er gerade jetzt daran? Er schluckte, wischte die Tränen aus seinen Augenwinkeln, sah zurück zum flimmernden Bildschirm seines Laptops, doch dieser verschwamm vor seinen Augen, während seine Lippen nicht stoppten.

„Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Mein Herz bebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir. Meine Lieben und Freunde treten zurück und scheuen meine Plage, und meine Nächsten stehen ferne. Es geht mir so übel, daß ich bin eine große Schmach geworden meinen Nachbarn und eine Scheu meinen Verwandten; die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir. Meine Nächsten haben sich entzogen, und meine Freunde haben mein vergessen. Und die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach; und die mir übelwollen, reden, wie sie Schaden tun wollen, und gehen mit eitel Listen um.“

Unbewusst hatte seine Hand den Brief gegriffen, der ganz oben auf dem Stapel mit zu bearbeitenden Papieren lag. Die Vorladung. Dieser verdammte Yagahashi... er würde zahlen. Mit weit mehr als nur Geld, mit mehr als seinem Ruf und seiner Firma...

„Ich aber muß sein wie ein Tauber und nicht hören, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich bin verstummt und still und schweige der Freuden und muß mein Leid in mich fressen. Und muß sein wie einer, der nicht hört und der keine Widerrede in seinem Munde hat.“

Ein schiefes Lächeln legte sich auf Setos Lippen, während er den Brief genüßlich wieder glättete und zurück auf den Stapel legte, bevor er sich in seinem Sessel zurück lehnte.

„Tja... das hättet ihr wohl gerne...“, das Lächeln wurde ein fast wölfisches Grinsen, „Aber ich werde mein Schicksal selbst bestimmen.“
 

Auf der Anklagebank sitz‘ ich zu Unrecht,

doch ist es typisch deutsch

die Menschen zu strafen, die dafür kämpfen,

dass dieses Land noch eine Zukunft hat.
 

„Nun, der Fall ist wirklich nicht einfach...“, der Richter ließ eine längere Pause.

„Bei aller Ehre, Herr Richter, aber was hieran ist nicht einfach?“, Seto sprach zum ersten Mal außerhalb seiner eigenen Verhörung – schließlich hatte er einen Anwalt, um für ihn zu sprechen, „Herr Yagahashi behauptet über diesen Sachverhalt nicht informiert gewesen zu sein. Aber sollte das der Fall sein, so zweifele ich ernsthaft seine Kompetenz als ehemaligen CEO eines führenden japanischen Konzerns an. Mit einem solchen Wissensmangel sollte man nicht an die Börse gehen – so etwas fällt bei gesundem Menschenverstand unter die Kategorie Selbst-Schuld.“

„Herr Kaiba...“, der Mann am Podest massierte einen kurzen Moment seine Schläfen, während er sprach, „Sich zu irren oder etwas nicht zu wissen, das ist menschlich. Das Gericht entscheidet in diesen Fällen, ob dieses Nicht-wissen fahrlässig oder ein unglücklicher Zufall ist. Ich gebe ihnen natürlich recht, dass ein Firmenleiter über solch einen Fakt eigentlich informiert sein sollte, aber wenn ich das Recht ihrer Seite zuspreche, so kostet diesen Mann ein kleiner Fehler die Arbeit seines Lebens.“

„So es überhaupt ein Fehler ist und er nicht noch einen letzten Ausweg aus einer Lage sucht, die er selbst zu verschulden hat.“, erwiderte Seto kalt.

„Sie sind ein Monster...“, seine Augen legten sich gelangweilt auf den Mann, der einige Plätze rechts von ihm hinter seinem Anwalt zu ihm sah, „Wie können sie so gefühllos sein? Sie haben mich ausgebeutet, sie haben mir meine Rechte genommen, meine Entscheidungsfreiheit, meine Firma...“

„Ich habe ihnen ihr Unternehmen für mehrere Millionen abgekauft und sie mit einer ähnlich großzügigen Abfindung entlassen. Sie sollten sich freuen.“, meinte der Sechzehnjährige nur und wandte den Blick wieder ab, „Ansonsten können wir auch alles rückgängig machen und es bei Schadensersatz in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises belassen.“

„Das würde uns ruinieren!“, schrie Herr Yagahashi aufgebracht und erhob sich.

„Ruhe!“, mahnte der Richter und ließ den Hammer mehrfach auf sein Pult niederfahren.
 

Ich habe die internationalen Maßstäbe nicht erfunden. (Oh nein)

Doch ich habe sie studiert, (Ja ja ja ja)

damals ins Oxford auf eigene Kosten, (Oho)

ohne einem Staat auf der Tasche zu liegen.
 

„Nun gut.“, Seto lehnte sich ein kaum merkliches Stück zum Richter, „Gibt es aktuell einen Lösungsvorschlag?“

„Ah- wie...“, der Mann blinzelte verwirrt und starrte den Jüngeren an.

Dieser verdrehte nur seufzend die Augen und machte eine ausladende Bewegung mit der Hand in Richtung Herr Yagahashis mit den Worten: „Im Gegensatz zu diesem Mann habe ich noch eine Arbeit. Ich habe weder Zeit noch Lust mir seine haltlosen Vorwürfe weiter anzuhören. Wenn sie in nächster Zeit keine Entscheidung treffen, lasse ich ihnen gern meinen Anwalt als Vertretung hier, aber ich gedenke jetzt zu gehen.“

Der komplette Saal verstummte.

Die Anwälte, die restlichen Juristen, der Richter, die Presse, die Zuschauer, selbst der Mann neben ihm, der murmelnd durch seine Unterlagen gesehen hatte. Sie alle verstummten mit einem Schlag. Der Mann in Schwarz vorne in der Mitte öffnete und schloss seinen Mund, als wäre er ein Fisch auf dem Trockenen.

„Sie sind...“, schaffte er es schließlich hervorzubringen, „Wirklich unmöglich.“

„Dann lassen sie mich mich selbst korrigieren.“, Seto erhob sich, legte sich seinen Mantel über den Arm und griff nach seinem Aktenkoffer, „Ich habe weder Zeit noch Lust mir seine als auch ihre Beleidigungen anzuhören. Einen guten Morgen.“

Er nickte dem Richter zu, trat in den mittigen Flur zwischen den Sitzreihen und verließ den Gerichtssaal – begleitet von Schweigen und geschockten Gesichtern. Zumindest bis er die Tür öffnete. In dem Moment schienen die meisten Pressegeier entschieden zu haben, dass ein Exklusivinterview mit ihm möglicherweise mehr wert war als die Reaktion des Richters.

Interessierte ihn nicht.

Von ihm würden sie kein Wort hören.

Er musste ins Krankenhaus – Schwester Yumi würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er nicht pünktlich erschien zur täglichen Untersuchung.
 

Weil ich gerne Leistung bringe

aus eigenem Antrieb

und dafür sitze ich jetzt hier!
 

„Herr Kaiba, Herr Kaiba, was haben sie zu dem Fall zu sagen?“

„Halten sie Herrn Yagahashi wirklich für inkompetent?“

„Herr Kaiba, bitte ein Kommentar!“

„Was denken sie, wie diese Verhandlung ausgehen wird?“

„Herr Kaiba-“

„Fassen sie mich nicht an!“, schrie Seto spitz, schubste einen Reporter direkt vor sich zur Seite und strebte so schnell ihn seine Beine trugen – und es nicht wie rennen aussah, das wäre unter seiner Würde – zur wartenden Limousine. Die Tür wurde schon aufgehalten, wodurch er sich praktisch sofort auf seinen Sitz fallen lassen konnte und mit der freien Hand die Verriegelung der Tür aktivierte.

Es hielt die Reporter nicht davon ab die getönte Scheibe zu fotografieren und weit unhöflichere Fragen dagegen zu schmettern, die jedoch von Roland übertönt wurden, der darauf hinwies, dass sie Abstand zum Wagen halten sollten – er wollte ihnen ja nicht über die Füße fahren.

Der junge Firmenchef seufzte nur, warf Koffer und Mantel zur Seite und legte seinen Oberkörper auf die lederne Rücksitzbank.

„Sir?“

„Was?“, fauchte er ungehalten.

„Ich muss sie darauf hinweisen, dass sie sich anschnallen müssen. Sonst darf ich nicht losfahren.“

„Lass mich in Ruhe, Roland.“, er schloss die Augen. Konnte nicht jemand mal die Reporter leiser drehen?

„Wie sie wünschen, Sir.“

Einige Sekunden vergingen.

„Fährst du jetzt mal endlich los?“

„Wenn sie sich anschnallen.“, in der Stimme seines Fahrers – und Vormundes – war ein Hauch von Amüsement.

„Ich habe keine Lust auf den Scheiß, fahr endlich!“, Setos Oberkörper schnellte hoch und sein Blick bohrte sich in den Hinterkopf des Älteren.

„Es gibt Gesetze, die kann man umgehen. Und sie sind sicherlich der Erste, der das hinkriegt, Sir. Aber Anschnallen gehört nicht dazu.“, erwiderte Roland in aller Seelenruhe.

„Willst du Yumis Standpauke, weil ich nicht pünktlich bin?“

„Willst du nächstes Mal deine Entlassungspapiere?“, gab er zurück.

Touché.

Das Gesicht verziehend legte Seto den Gurt um.
 

Und muss mich beschimpfen lassen

von einer parasitären Person,

die ich selbst finanziere

mit meinen eigenen Rundfunkgebühren!
 

„Hey, Seto.“, Mokuba hüpfte in die Küche, schnappte sich ein Joghurt aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Tisch, „Hast du heute schon einen Blick in die Zeitung geworfen? Du hast die Titelseite gemacht!“

„Ach wirklich...“, Seto nippte an seinem Kaffee und ging weiter den Börsenteil der Tageszeitung durch, „Worum ging es?“

„Na, um die Verhandlung! Wie du dort alles gesprengt hast. Die Presse war entsetzt.“, ein breites Grinsen strahlte ihm entgegen, doch er sah nicht einmal auf, „Sie haben den Richter und Yagahashi zitiert, was die über dich gesagt haben. Sie sagen, du wärst ein Dämon in Menschengestalt.“

„Hätten sie nicht wenigstens kreativ sein können? Antichrist oder Maldoror?“, Seto schnaubte, „Die benehmen sich, als hätte ich Kleinkinder abgeschlachtet.“

„Tja, dieser Yagahashi hat Selbstmord begangen. Sie haben ihn gestern abend in seinem Haus erhängt gefunden. Sie geben dir die Schuld.“, informierte sein kleiner Bruder ihn weiter – schien für ihn wohl eher nebensächlich zu sein. Sollte für einen Elfjährigen Suizid schon nebensächlich sein? Nun... bei einem großen Bruder wie ihm war das wohl nicht ungewöhnlich.

„Sollen sie meinetwegen.“, Seto schlug die Zeitungsseite um und begann mit der nächsten Aktienspalte, „Mir ist es recht, es löst die Verhandlung. Wo kein Kläger, da kein Richter.“

„Sie meinen, du hättest kein Gefühl für Ehre.“

„Ich habe es dir letztens gesagt – Gefühle stören beim Arbeiten.“, der Brünette schlug die Zeitung zu und sah auf das Titelblatt, „Hm... gut getroffen. Das Bild hat Stil.“

„Ja, du siehst voll cool aus.“, stimmte auch Mokuba zu, „Wenn auch ziemlich steif. Deine Ausgehklamotten sind viel krasser.“

„Mit denen kann ich aber kaum zum Gericht.“, ein Lächeln schlich sich auf Setos Lippen, während er aufsah, „Der Skandal wäre größer als diese Lapalie.“

Sein kleiner Bruder nickte nur und wechselte das Thema: „Gehst du heute wieder zur Schule?“

„Hm... ich denke schon. Ab und zu sollte ich mich da wohl zeigen.“, der Sechzehnjährige streckte sich und gähnte, „Vielleicht sollte ich mir irgendein Hobby zulegen... was, womit ich ein bisschen mehr Interesse an Schule kriege.“

„Hm... spielen?“, Mokuba legte den Kopf schief, „Da sind Leute in deinem Alter. Ist das kein Anreiz?“

„Eigentlich ni- ... warte... du hast Recht.“, Seto lächelte ihn an, „Spielen ist das perfekte Stichwort. Danke, Mokuba.“
 

Haben sie je gekämpft?

Haben sie je gelitten?

Haben sie dem Tod ins Auge geseh’n?

Nein? – Dann wissen sie auch nicht:
 

„Seto.“, Noah stoppte vor seinem Schreibtisch, „Würdest du bitte denn Laptop zur Seite stellen? Ich möchte mit dir reden.“

„Worüber?“, der Jüngere tippte weiter ohne seinen Stiefbruder anzusehen.

„Bitte, Seto.“

Die eisblauen Augen bohrten sich in schimmerndes Türkis, bevor Seto mit einem genervten Seufzen den Bildschirm herunter klappte.

„Was willst du?“

„Seto... so kann es nicht weitergehen. Mokuba heult sich die Augen aus wegen dir. Und ich kann dich auch nicht mehr ertragen. Ist dir eigentlich klar, was du uns zumutest? Was du tust, ist psychische Folter.“

„Ich reagiere nur auf das, was ich von meiner Umwelt kriege – Ablehnung.“, erwiderte der Brünette kalt, während die Nägel in seine Handinnenflächen schnitten.

„Oh nein.“, Noahs Züge bebten, „Das, auf was du reagierst, ist der Geist meines Vaters. Du reagierst auf deine Vergangenheit, die du nicht hinter dir lassen kannst. Sieh ein, dass es mit seinem Tod nicht geendet hat.“, er holte Luft und fuhr Seto ins Wort, der zum Sprechen ansetzte, „Du leidest immer noch und das kann ich verstehen. Aber ich kann dir nicht verzeihen, dass du es an Mokuba und mir auslässt.“

„Was weißt du schon?“, zischte Seto, „Du weißt nichts. Gar nichts!“, er sprang auf und wischte mit einem Armschlag alles vom Tisch, was darauf gewesen war, bevor er sich vorbeugte, „Du hast keine Ahnung!“

„Der, der keine Ahnung hat, bist du, Seto! Weil du dich davor sperrst einzusehen, dass du nicht in Ordnung bist. Du bist zu einem Misanthropen verkümmert, der seine inneren Aggressionen an Unschuldigen auslässt. Ist dir klar, wie viele Menschen du schon in den Tod getrieben hast mit deinem Verhalten?“, Tränen rannen über Noahs Wangen, „Du bist krank.“

„Bin ich nicht! Bin ich nicht, bin ich nicht, bin ich nicht!“, Setos Faust schlug auf den massiven Eichenholztisch, „Ich bin nicht krank!“

„Seto, du hältst es keine Woche aus ohne dich selbst aufzuschlitzen oder anderweitig zu suizidieren. Das ist krank.“, der Achtzehnjährige im Rollstuhl schluckte und zitterte am ganzen Leib.

„Das kann ich sehr wohl.“, zischte Seto, plötzlich ruhig, die Lider zu Schlitzen verengt.

„Dann hör auf. Hör auf dich selbst zu verletzen!“, verlangte Noah.

„Das kann ich.“, wiederholte der Stehende noch einmal.

„Gut...“, sein Stiefbruder atmete tief durch, „Ich nehme dich beim Wort, Seto. Du wirst dich nicht mehr selbst verletzen.“

Seto nickte langsam.
 

Es ist schön am Leben zu sein.

Es ist herrlich sein Leben zu spüren.

Wir begreifen erst dann, was das Leben sein kann,

wenn wir Angst hatten es zu verlieren.
 

„Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“, die Lehrerin ließ das Buch in ihrer Hand ein Stück sinken und sah in die Klasse, „Was soll uns diese Stelle sagen?“

Setos Blick schweifte durch den Raum. Spielen... oh ja, Mokuba konnte sehr gute Ideen haben. Auch wenn er es sicher anders gemeint hatte, als Seto es auffasste. Hideki? Hm, ja, doch... er sah nicht schlecht aus. Gut proportioniert, trainiert, gepflegt – keine schlechte Wahl.

„Herr Kaiba?“

„Bitte?“, er sah auf.

„Würden sie wohl die Güte haben die Frage zu beantworten?“, forderte die Lehrerin ihn auf.

„Die Stelle ist entnommen aus dem alten Testament, Buch Genesis. Sie ist die Einleitung zur Sintflut, in der der christliche Gott alle Menschen außer Noah und seiner Familie vernichtete. Sie gehört zu den ursprünglich jüdischen Erzählungen und fokussiert somit auf die Allmacht Gottes und sein zorniges, strafendes Wesen. Sie ist zum einen die Erklärung des Einbruchs des schwarzen Meeres um siebentausend bis fünftausend vor Christus, zum anderen eine Mahnung an die Gläubigen Gottes Gesetze einzuhalten, damit so ein verheerendes Ereignis sie nicht auch heimsucht.“

Die Unterlippe seiner Lehrerin hatte sich um einige Zentimeter von ihrer oberen getrennt, doch wenige Momente nach seiner Antwort gewann sie ihre Statur wieder und schloss ihren Mund.

Seto jedoch hatte eher Augen für den jungen Schwarzhaarigen, der sich wie die meisten anderen Schüler der Klasse zu ihm gedreht hatte. Er zwinkerte jenem mit dem Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen zu.
 

Es ist schön am Leben zu sein. (Und zu spüren wir sind das, was wir träumen)

Plötzlich wird es dir klar,

jeder Tag ist ein Jahr

und du hast keine Zeit zu versäumen.
 

„Guten Morgen, Seto.“, grüßte Noah, der wieder einmal neben sein Bett gerollt kam, „Persönlicher Weckdienst.“

„Mor’n...“, der Sechzehnjährige richtete sich ein Stück auf und strich sich den Schlaf aus dem Augenwinkel, bevor sein Blick auf den jungen Mann fiel, der anscheinend auf seiner Brust gelegen hatte – und jetzt langsam die Augen öffnete, „Morgen.“

„Guten Morgen, Kaiba...“, der Typ – wie hieß er überhaupt? – richtete sich auf und nickte Noah zu, „Darf ich deine Dusche nutzen?“

„Die Tür.“, der Brünette zeigte lustlos Richtung Bad, wohin sein Spielzeug sich auch gleich aufmachte – es schien ihn nicht zu stören, dass Noah auch im Raum war.

Sobald die Tür sich schloss, atmete dieser tief durch.

„Sag mal, Seto...“, jener sah zu seinem Stiefbruder, „Geht es dir eigentlich... besser?“

„Wieso?“

„Nun...“, Noahs Blick fiel auf seine in seinem Schoß gefalteten Hände, „Du hast dich seit zwei Monaten nicht mehr selbst verletzt, was mich sehr freut. Du wirkst auch nicht mehr so angespannt. Aber dass hier jeden Morgen ein anderer Typ liegt, macht mir doch ein bisschen Sorgen.“

„Warum? Ist doch meine Sache.“, gab Seto zurück.

„Natürlich ist es das.“, sein Stiefbruder hob die Hände, „Ich will dir da auch gar nicht rein reden. Ich möchte nur... ich sorge mich halt um dich. Ich will dir helfen, damit es nicht wieder so wird wie vorher.“

„Du fürchtest nur deine eigene Haut, schon klar.“, Seto schnaubte und schwang sich aus dem Bett, „Ich geh‘ erstmal und lass‘ mir in der Dusche einen runterholen. Solltest du auch bisweilen tun.“, er warf einen Blick über die Schulter mit einem sadistischen Lächeln, „Oh, ich vergaß... kannst du ja nicht.“
 

(Es ist schön)

Es ist schön

(Es ist schön)

Oh so schön

(Es ist schön)

Am Leben zu sein

Am Leben zu sein



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Eisenprinzessin
2010-08-02T22:42:40+00:00 03.08.2010 00:42
Held Müller. Heißt das Musical. Falls es noch keiner gesagt hat.

Würd das Lied gern hören.
Von:  MarieSoledad
2009-06-26T12:42:13+00:00 26.06.2009 14:42
huch, ich hab dazu noch gar nicht reviewt? wahr wohl zu erschüttert das letzte mal...

ich schließe mich feuerregen an *g* der liedtext ist echt sowas von makaber, das geht fast nicht schlimmer :D

also im großen und ganzen natürlich sehr heftig (eh klar)
aber dazwischen auch mal wieder sehr berührend, besonders die stellen mit der krankenschwester und roland.
es ist traurig zu sehen, wie sehr er sich in seinen eigenen wiedersprüchen verstrickt.
Aber ich frage mich auch, was es mit den suizidversuchen auf sich hat. ich hab mal wo gehört, wer sich wirklich umbringen will, der shcafft das auch meistens und wird nicht gefunden. seto aber wird jedes mal gefunden. sind das die sogenannten "auszeiten"?

Was mich auch wundert ist im zusammenhang zu DS: sieht man die narben auf seinen armen nicht mehr? müsste man eigentlich, wenn sie so schlimm waren. oder ist es joey nciht aufgefallen?
Also meine kann man sicherlich auch in zehn jahren noch nciht übersehen...

ein großes lob auf alles, du hast es wirklich sehr gut getroffen (jedenfalls so weit ich das beurteilen kann) großartiges kapitel.
auch wenn mich die bibeltexte etwas irritieren, dass seto sowas gelesen hat...?

"schön" dass er am ende doch etwas gefunden hat, was ihm ausgleich gibt. ich frage micha llerdings wie er mit seiner kalten art alld ie burhscne ins bett kriegt....

JEdenfalls kann ich schlussfolgern, dass ich keine DESNOS habe, denke ich.

ich hoffe, dass mal wieder ein past-kapitel folgt


Ach ja, zum vorigen kapitel, witzig dass ich genau dieses lied immer mit seto verbunden habe. genau wie "the unforgiven" von metallica^^
Von: abgemeldet
2009-03-22T19:12:27+00:00 22.03.2009 20:12
Wow, ein heftiges und sehr beeindruckendes Kapi… es rüttelt nochmal so richtig auf.
[…] „Ich wollte dir nur sagen, dass du zur Schule musst. Kein Grund gleich auszuflippen.“
„Ich flippe nicht aus!“, schrie der Brünette, plötzlich wach aufrecht im Bett sitzend, „Geh‘ und kümmer‘ dich um deinen eigenen Scheiß!“ […]
Er kommt mir vor wie ein pubertierender Teenie, der zuviel Macht durch sein Verhalten und seine Kraft hat… und dass er um diese Macht genau weiß und sie für sich nutzt… einfach nur ganz schön borderlinig.
[…]Er war es selbst Schuld, wenn er sich von Seto eine fing, weil er ihn schon wieder auf hundertachtzig gebracht hatte. Seine Schuld... […]
Er war es selbst Schuld?
Kleiner Narzisst. Du bist Schuld, wenn ich dir eine scheuere… oh man, schieb schön die Eigenverantwortung auf andere.
[…]Gefuhlsduselei kann man sich hier nicht erlauben.“
„Wenigstens hatte er ein Privatleben...“, murmelte der Junge leise.
„Wie war das?“, zischte Seto und stellte den Becher hörbar auf dem Tresen ab.
„Nichts!“, versicherte der Schwarzhaarige händeringend, „Ich hab‘ nix gesagt!“ […]
Witzig, so eine Aussage von jemandem zu hören, der so extrem von seinen negtiven Gefühlen beherrscht wird. *drop*
Erschreckend, wieviel Einfluss er dadurch hat. Ich meine, er hat niemanden, der ihm Grenzen setzt und ihn stoppt, wenn er übers Ziel hinaus schlägt… dadurch hat er die Kontrolle übernommen und seine Mitmenschen lassen es mit sich geschehen, aus Angst, dass es weiter eskaliert… eine auf Angst und Aggression aufgebaute Symbiose.
[…]Dieser undankbare kleine Bastard! Was dachte der eigentlich, für wen er das hier alles tat? Da arbeitete Seto sich schon den Rücken krumm, damit das Kind endlich ein angenehmes Leben hatte und jetzt beschwerte der sich darüber? Was fiel ihm eigentlich ein! Dieser verdammte Aasgeier... […]
Wow, wieso so klassisch… Sehr gut beschrieben…
Wieso bedankt er sich auch nicht, dass er angeschrien und unterjocht wird… das ist ja auch ärgerlich. U.u
[…] „Immer verletzt du alle.“
„Du bist es nicht wert am Leben zu sein.“
„Keiner braucht dich.“
„Du tust allen nur weh.“
Die Stimmen, die gleichzeitig nur eine Stimme waren, steigerten sich in ein Crescendo ineinander, überlappten sich und schlugen gegen seine Seele. Erschlugen sie. […]
Beeindruckend. Dieser Selbsthass und dieser starke Abwehr… er kann einfach nicht aus seiner Rolle.
[…]Und gleich würde Noah wieder kommen. Würde ihm sagen, dass er zur Schule musste. Würde ihm sagen, dass er hier nicht ewig bleiben konnte, dass er seine Haut in Ruhe lassen sollte, dass er Mokuba das nicht sehen lassen dürfte.
Scheißkerl. […]
Du musst, du musst, du musst… Vorschriften ohne ihm das Gefühl zu geben, man würde ihn verstehen oder es zumindest versuchen, bringen gar nichts…
[…]Konnte Mokuba eine Kindheit geben, die dieser verdiente. Ein gutes Leben. Nicht so eins, wie er jetzt führen musste – in einem Haus mit einem Wahnsinnigen lebend, der nicht einmal auf sich selbst achten konnte.
„Das kann ich sehr wohl.“, knurrte Seto, mobilisierte alle Kräfte […]
Gefangen im Zwiespalt seiner Gefühle… er liebt die Personen, die er verletzt, hasst sich selbst dafür, verspürt aber auch die Einsamkeit, weil keiner ihn versteht und kommt aus der Spirale der Aggressionen nicht mehr raus.
[…]Domino Hospital – er war Stammkunde. Das hier war sein eigenes Zimmer. Er erkannte es an dem blütenweißen Fleck am Kopfende des Bettes, in dem er lag. Vor ungefähr anderthalb Monaten hatte er mit seinem Blut die Wand dort bemalt. […]
Er will schockieren, aufrütteln, schreit gerade zu: „Hier bin ich, hör mir zu!“
[…] „Ihre Arme sehen aus wie ein Schlachtfeld.“, sie verzog die Lippen vor Ekel, „Blutdruck ist kaum messbar, Puls rast und ihren Hb schätze ich auf vier. Ich hoffe, sie wissen noch, was das heißt?“ […]
Sehr unprofessionell, muss ich sagen! Man zollt jedem Patienten den gleichen Respekt, den man auch möchte. Ekel hat vor dem Patienten nichts zu suchen!
[…] „Weißt du, Seto...“, sie ließ sich auf die Seite des Bettes sinken und strich dem Brünetten einige Strähnen seines Haares aus dem Gesicht, die Stimme plötzlich sanft und voller Gefühl, „Wäre ich so eingebildet, wie du dich gibst, würde ich ja sagen, du tust das alles, um mich immer wieder zu sehen.“, sie zwinkerte, „Ein Glück, dass es in meinem Kopf einen Funken Realismus gibt, was?“, sie kraule ihn einen kurzen Moment hinter dem Ohr, „Trotzdem... danke, dass du dich diesmal nur auf die Allgemeine gebracht hast. Es hat mich ziemlich erschrocken, als sie dich vor zwei Wochen auf der Intensiv hatten. Du solltest armen, alten Damen wie mir nicht solch einen Schock geben.“
Seto schloss nur die Augen und lehnte den Kopf gegen die wohltuende Berührung.[…]
Boar. *umfall* Die Alte ist auch nicht ganz knusper. ><V
Solch übergriffiges Verhalten signalisiert schon ein Helfersyndrom.
[…] „Bindest du mich auch wieder fest?“, flüsterte er leise.
„Wenn du mir versprichst brav im Bett liegen zu bleiben und dich auszuruhen, nein.“, sie durchbohrte ihn mit ihnen eigentlich langweilig graugrünen Augen, „Wenn du dich nicht kratzt, keine Wunden öffnest und weder aufstehst noch arbeitest, können sie ab bleiben.“ […]
Der erste Satz erinnert mich an meine Station, da bat der Patient darum, fixiert zu werden… Verantwortung abgeben und Grenzen spüren…
Wie auch immer.
[…] „Aber wer weiß... vielleicht bringe ich ja deinen Laptop mit...“
„Echt?“, sein Gesicht hellte sich auf.
„Vielleicht. Wenn du lieb bist.“
„Ich bin ganz lieb.“, versicherte er. […]
Dieses Rumagieren bzw. Manipulieren ist ebenfalls klassisch.
[…] „Mit einer Einweisung in die Jugendpsychiatrie.“, wagte es der Chefarzt sich doch wieder zu Wort zu melden, während er sein Kreuz straffte.
„Hm.“, ein Lächeln legte sich auf Setos Lippen, „Sie sollten sich ein wenig besser informieren – den Versuch hat ihr Vorgänger gemacht. Dadurch haben sie diesen Titel jetzt überhaupt.“
Er beobachtete das Wandern des Adamsapfels bei seinem Gegenüber.
„Nun... ohne die Unterschrift ihres gesetzlichen Vertreters dürfen wir sie nicht gehen lassen. Reichen sie diese mit den Entlassungspapieren gegen ärztlichen Rat ein.“, er nickte seinen Kollegen zu, „Bis nächste Woche, Herr Kaiba.“ […]
Auch sehr beeindruckend formuliert. Er merkt ganz genau, wer es ernst meint und wer unsicher ist und das nutzt er für seine Zwecke geschickt aus. Beeindruckend, wie viele Ressourcen er hat. Allein schon das genaue Beobachten… siehe der Adamsapfel.
[…]Liebe... was für ein Quatsch. Alles, was Noah haben wollte, war die Firma. Er wollte Seto von seiner Arbeit abhalten, um seine Position zu schwächen. Er schamloser Lügner war er, ganz wie sein Vater. […]
Hach, auch wieder toll. Mit Liebe kann er nicht umgehen, das kennt er nicht. Also sucht er sich einen anderen Grund: mit List und Tücke, mit Lügen und Manipulation, mit Hass und Missgunst kann er da schon besser umgehen und weiß, wie er zu reagieren hat.
[…]War es nicht so? War er nicht das Opfer? War er es nicht, den man erniedrigt, den man geschlagen und allein gelassen hatte? Und doch, er hatte gekämpft. Er hatte sich an die Spitze gekämpft. Und er hatte wieder einmal gesiegt. […]
Sein Krieger ist wacher dennje… er hat immer gekämpft und er würde auch immer kämpfen.
[…]Nur zu welchem Preis... war es nicht ironisch? Wie er hier saß, in exakt demselben Sessel, vor dem er gekniet hatte, nackt, zitternd, weinend, doch still. Still, während er von der Leine seines Halsbandes aufrecht gehalten wurde, während der Schlafstock auf ihn niederfuhr. […]
Schlafstock?
Und hier wieder der Selbsthass und die Quälerei… er ruft ihn sich immer und immer wieder ins Gedächtnis.
[…]Er musste ins Krankenhaus – Schwester Yumi würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er nicht pünktlich erschien zur täglichen Untersuchung. […]
Bei ihr scheint er das Gefühl zu haben, auf Verständnis zu stoßen. Deshalb hält er sich auch an ihre Vereinbarungen… gut angebrachter Gegensatz.
[…] „Lass mich in Ruhe, Roland.“, er schloss die Augen. Konnte nicht jemand mal die Reporter leiser drehen?
„Wie sie wünschen, Sir.“
Einige Sekunden vergingen.
„Fährst du jetzt mal endlich los?“
„Wenn sie sich anschnallen.“, in der Stimme seines Fahrers – und Vormundes – war ein Hauch von Amüsement.
„Willst du Yumis Standpauke, weil ich nicht pünktlich bin?“
„Willst du nächstes Mal deine Entlassungspapiere?“, gab er zurück. […]
Interessant, Roland ist sein Vormund.
Und dieses Du – Sie – Umschwingen… *ggg*
[…] „Tja, dieser Yagahashi hat Selbstmord begangen. Sie haben ihn gestern abend in seinem Haus erhängt gefunden. Sie geben dir die Schuld.“ […]
Das ist so dämlich… entschuldige. Auch wenn Seto sich wie der letzte Arsch verhalten hat, Suizid ist eine selbstständige, private Entscheidung. Ich finde es immer wieder furchtbar, wenn jemandem dafür die Schuld gegeben wird.
[…] „Seto... so kann es nicht weitergehen. Mokuba heult sich die Augen aus wegen dir. Und ich kann dich auch nicht mehr ertragen. Ist dir eigentlich klar, was du uns zumutest? Was du tust, ist psychische Folter.“
„Ich reagiere nur auf das, was ich von meiner Umwelt kriege – Ablehnung.“, erwiderte der Brünette kalt, während die Nägel in seine Handinnenflächen schnitten.
„Oh nein.“, Noahs Züge bebten, „Das, auf was du reagierst, ist der Geist meines Vaters. Du reagierst auf deine Vergangenheit, die du nicht hinter dir lassen kannst. Sieh ein, dass es mit seinem Tod nicht geendet hat.“, er holte Luft und fuhr Seto ins Wort, der zum Sprechen ansetzte, „Du leidest immer noch und das kann ich verstehen. Aber ich kann dir nicht verzeihen, dass du es an Mokuba und mir auslässt.“ […]
Noahs Ausbruch ist mehr als verständlich und endlich versucht er ihn nachzuvollziehen, aber er hat wieder begonnen, ihn mit Anschuldigungen zu bomardieren. Versteht er nicht, dass Seto dadurch nur an vergangene Tage und Negatives erinnert wird und sofort mit der entsprechenden Reaktion um die Ecke kommt, zu macht und er damit das genaue Gegenteil erreicht?
[…] „Bin ich nicht! Bin ich nicht, bin ich nicht, bin ich nicht!“, Setos Faust schlug auf den massiven Eichenholztisch, „Ich bin nicht krank!“ […]
Wie ein bockiges Kleinkind… die verstehen auch nicht, was das soll.
[…]Spielen... oh ja, Mokuba konnte sehr gute Ideen haben. Auch wenn er es sicher anders gemeint hatte, als Seto es auffasste. Hideki? Hm, ja, doch... er sah nicht schlecht aus. Gut proportioniert, trainiert, gepflegt – keine schlechte Wahl. […]
*drop*
Da tobt er sich also auf eine gesellschaftlich anerkanntere Art aus. Das macht es allerdings nicht besser, denn die Ursache bleibt…
[…] „Du fürchtest nur deine eigene Haut, schon klar.“, Seto schnaubte und schwang sich aus dem Bett, „Ich geh‘ erstmal und lass‘ mir in der Dusche einen runterholen. Solltest du auch bisweilen tun.“, er warf einen Blick über die Schulter mit einem sadistischen Lächeln, „Oh, ich vergaß... kannst du ja nicht.“[…]
… wie man hier sieht.
Das war wirklich mal ein ausgesprochen interessantes Kapi. Bravo. Das hast du sehr gut rüber gebracht. *nicknick*
*zurückblick* Wow, eins meiner längsten Kommis... oder mein Längstes?
*wink* Pan


Von:  Blanche7
2009-02-17T19:55:35+00:00 17.02.2009 20:55
Ein gutes Kapitel. Darüber werde ich bestimmt wieder viel nachdenken! Bin gespannt wie es bei Dreaming society Kapitel 33 weiter geht!

lg Blanche7
Von:  Shakti-san
2009-02-17T03:46:02+00:00 17.02.2009 04:46
oja, ich kann Seto echt nachvollziehen.
die ablehnung die er kassiert hat, an andere weiter zu geben. egal ob sie etwas dafür können oder nicht. einfach nur, weil man es selbst nicht anders erfahren hat.
vllt sollte ich es auch mal ausprobieren. spielen um sich selbst nicht zu verletzen. vllt ist dies nicht ganz so heftig als der jetzige kampf.
und weiß zwar nicht genau wieso, aber ich finde diese zwei caps diesmal wirklich heftig.
LG Ran

Von:  Dragon1
2009-02-16T20:51:02+00:00 16.02.2009 21:51
wow.... also der letzte Satz.
Krass..... und ich muss ehrlich sagen, das hätte ich Seto nicht so zugetraut.
Ich weiß nicht... ich kann mich da vielleicht auch nicht so sehr hineinversetzen, aber... ach ich weiß nicht Recht. Mir tat/tut Noah so leid in dem Moment.... >___< *snief*

Aber sonst ist es ein wirklich gutes Kapitel. Gut finde ich auch die Gerichtsverhandlung, wo Seto einfach aufsteht.... das konnte ich mir richtig bildlich vorstellen!^-^

Der Liedtext ist wirklich schön und ist so richtig Gegensätzlich gegenüber Setos Gefühlen. So gegensätzlich, dass er schon wieder richtig rein passt!^^

Traurig fand ich auch die Textstelle, wo sich Seto an die Szene vor dem Bürostuhl erinnert. Ach Seto.... der tut mir auch so leid.
(Irgendwie tun die mir immer alle leid, merk ich grade oO Aber ich schäme mich nicht dafür! Deine FF bewegt mich einfach!)
Mach weiter so!!!!
**knuddl*
Vicky
Von: abgemeldet
2009-02-16T19:26:38+00:00 16.02.2009 20:26
Ganz ehrlich?
Ich konnte Seto bei jedem gedanken und so, wie ich dir schon gesagt habe verstehen haber ganz ehrlich?
Der letzte Satz, den den er zu Noah gesagt hätte, hätte ich nicht gesagt!
Nicht in so einem Moment!
WEnn ich sauer gewesen wäre, wenn er wirklich verletzt hätte mit den Worten, was er aber nicht tat.
Aber aus reiner Wohllust den anderen leiden zu sehen. bei jedem anderen Menschen ja, bei Noah? Niemals!
Nicht in so einem zusammenhang.

Ich wusste es das Seto das spielen x'D so aufnahm... Tat ich aber auf xD
Was ich witzig find, er nahm alle mit nach hause... ist das nicht ein bisschen zu auffällig?
Ich mein für die presse und so?

Joar...
War n langes Kapitel aber unglaublich toll!
Und es hat mich nicht noch mehr ins tief hinein geschlittert*
*so eine bewegung macht*
Und scheisse nochmal mein Ellenbogen ist schon wieder gegen das Holz gedonnert...
*drop*
Wie auch immer x'D
Freu mich aufs nächste xD
Und wennich Zeit habe lese ich das zweite kapitel der Past Szenen! <3

Liebe Grüsse
Yoshiru
Von:  feuerregen
2009-02-16T19:21:25+00:00 16.02.2009 20:21
weißt du, wie herrlich unpassend dieser liedtext ist?

ausführlicherer kommentar folgt. ;)
LG


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