Tränen, Tränen, nichts als Tränen
Er hatte nur das Licht der Neonröhren eingeschaltet, das kalt und lieblos den gekachelten Raum erhellte. Der Draht war schon fast durchgebrannt, deswegen flackerte das Licht hin und wieder, aber dennoch sah Ike genau, wie und wo er die Klinge ansetzen musste. Es gab ein hässlich reißendes Geräusch, als er erneut zum Schnitt ansetzte.
„Wie kannst du mir so was nur antun?“, schniefte er mit tränenerstickter Stimme. Seine Wangen glänzten feucht und seine Augen waren leicht rot und geschwollen. „Ich war doch immer gut zu dir, jetzt behandel’ mich nicht so.“ Mit dem Handrücken wischte sich Ike über Nase und Augen, aber das hatte nur zur Folge, dass er das Wasser in seinen Augen verteilte und für einen kurzen Moment fast blind war. Dennoch setzte er wieder das Messer zum Schnitt an und es gab wieder das hässliche Geräusch, wenn man die Haut durchschnitt. Die Flüssigkeit strömte langsam und zäh über seine Finger und verfärbte sie. Ein beißender Geruch fand den Weg in seine Nase und mehr Tränen quollen aus seinen Augen. Ein blitzartiger Kopfschmerz durchzuckte seinen Schädel.
„Verdammt, wann ist das endlich vorbei? Ich kann nicht mehr, ich will auch nicht mehr“, heulte Ike und eine Träne tropfte von seiner Nasenspitze auf den Boden. Wieder wischte er sich mit dem Handrücken Nase und Augen, wieder war er blind und schnitt weiter.
„Wieso muss das immer mir passieren? Dafür hasse ich dich!“ Ikes Stimme nahm einen zornigen Ton an, wütend stach er das Messer zu und schnitt ein wenig Fleisch mit heraus. Sein Kopfschmerz wurde schlimmer und alles drehte sich vor seinen Augen. Er schloss kurz die Lider, Tränen flossen aus seinen Augenwinkeln und aus Angst, die Augen nicht mehr aufzubekommen, riss er die Lider wieder nach oben, was die Schmerzen in seinem Kopf und den Tränenfluss verstärkte.
„Ist das denn nie vorbei?! André, Jon, Leland - das wird euch noch Leid tun, mich so behandelt zu haben!“ Noch mehr Tränen flossen ihm über die Wangen, als er die Haut abzog.
Aus dem Nebenraum drangen fröhliche Stimmen, heitere Musik und Gläser und Flaschen wurden aneinander geschlagen. Leute prosteten sich zu und wünschten sich alles Gute. Dieser Raum war von unzähligen Lampen erleuchtet, Leute lachten über Witze, bunte Papierschlangen und Konfetti schmückten die Wände, den Boden und die Köpfe der Partygäste. Nur Ike war allein in dem von dem flackernden Neonröhre illuminierten Raum, wo es niemanden interessiert, wie lange oder wie viele Tränen er vergossen hatte. Nein, das interessierte sie nicht. Am allerwenigsten seine Freunde. Die hatten ihn schließlich erst soweit getrieben, aber das würde sich noch ändern.
Mit tränenverklärten Augen legte er das feuchte Messer beiseite und genau in dem Moment kam Leland herein. Ein heller und warmer Lichtkegel fiel zu seinen Füßen in den Neonraum, wo Ike über ein Spülbecken gebeugt stand, und geweint hatte.
„Bist du endlich fertig?“, drängelte ihn sein Freund ungeduldig.
„Ja, gerade eben, du Arsch!“, rief Ike und griff eine von den Zwiebeln, die er geschnitten hatte. Er rannte damit auf Leland zu, der ziemlich überrascht immer noch im Türrahmen stand und nicht wusste, was nun folgen sollte. Ike nahm ihn in den Schwitzkasten, stemmte seine Kiefer auseinander und steckte die ganze rohe Zwiebel in Lelands Mund.
„So, das habt ihr jetzt davon! Mich mit so einer linken Wette hereinzulegen und mich die Zwiebeln für deine Partys schneiden zu lassen!“