Mama
Es war absolut still geworden im Stellas, nachdem der kleine Drache Hrune mit dem Feuer erwischte hatte. Holly und Trouble trauten sich beide nichts zu sagen, um nicht vielleicht ebenfalls die Wut dieses winzigen Geschöpfes auf sich zu ziehen. Sie hatten keine Ahnung, was sie jetzt tun sollten und warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu, doch eine Antwort wollte keinem einfallen. Was sollte jetzt aus dem Drachen werden?
Der Kleine räkelte sich ausgiebig, spuckte noch einen letzten Funken in Hrunes Richtung und wandte sich dann ab. Holly musste lachen, so hochnässig wirkte das Drachenkind dabei.
Sein geschuppter Kopf zuckte herum und die matschfarbenen Augen fixierten die Elfe, der augenblicklich das Lachen im Hals stecken blieb. Sie wich nach hinten zurück, bis sie gegen einen Tisch stieß. Trouble stellte sich schützend zwischen sie und das Miniaturmonster.
Und dann fiepte der Winzdrache wahrlich mitleiderregend. Er kniff den Schwanz ein und ließ die Flügel hängen wie ein geprügelter Hund. Mit dem Unterschied, dass Hunde normalerweise keine Flügel haben, natürlich.
„Oh...“
Holly drängte sich an Trouble vorbei, obwohl er versuchte sie zurückzuhalten. Die Miene des Drachenkindes hellte sich auf. Es schlug ganz leicht mit den Flügeln und hob vom Boden ab, bis er in Hollys Augenhöhe auf der Stelle schwebte.
„Mama“, quäkte es und pustete ein wenig Rauch aus. „Fantastisch.“
Dann versuchte es, Hollys Lachen nachzuahmen, was ihm mehr oder minder gänzlich misslang. Allerdings stimmten dann und auch Trouble in das Lachen mit ein. Aus klugen Augen sah es die beiden an und rief noch einmal „Mama“.
Draußen fielen mehrere Autotüren ins Schloss. Stimmen wurden laut und es näherten sich mindestens ein Dutzend Leute, dem Geräusch der Schritte nach zu urteilen. Holly wechselte einen schnellen Blick mit Trouble. Der Elf nickte. Er glaubte ebenso wie sie, dass jetzt endlich eine ZUP-Bergungseinheit im Anmarsch war. Wenn man sich auf eines verlassen konnte bei der Bergung, dann war es die Tatsache, dass sie immer dann kamen, wenn eigentlich alles schon längst vorbei war. Manchmal glaubte Holly, sie würden das mit Absicht machen.
Die Tür des Stellas verwandelte sich innerhalb von Sekunden in einen Splitterhaufen zu den Füßen der Einsatzelfen. Insgesamt neun Officer stürmen in das Gebäude. Einige blieben wohl draußen, um dort Wache zu stehen.
„Sie sind hier, Commander. Ich kann sie sehen“, rief jemand in sein Mikrofon. „Ja, Captain Short und Major Kelp. Beide dem Augenschein nach unverletzt.“
Mit einem leisen Fiepen lenkte der Drache Hollys Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Sie schauten sich einen Moment lang in die Augen und Holly wusste plötzlich ganz genau, was er jetzt als Nächstes tun würde. Er sagte es ihr nicht und sie erriet es auch nicht. Nein, ist wusste es einfach von einer Sekunde auf die andere.
„Mama... bis bald.“ Und schneller als die Augen ihm folgen konnten, hatte er seine Flügel zu ihrer vollen Spannweite von dreißig Zentimetern ausgebreitet, flog quer durch den Raum mitten durch die Glasscheibe des Fensters und ließ nur ein Loch in dem schönen Buntglas zurück.
Wie betäubt sah Holly dem Kleinen hinterher, obwohl er schon gar nicht mehr zu sehen war. Sie bemerkte es kaum, wie Trouble sie zu einem Stuhl zog und mit sanfter Gewalt zum Sitzen zwang. Er sagte auch irgendetwas, aber sie verstand es nicht. Der Stress der letzten Stunden machte sich bemerkbar.
Ganz am Rande bekam sie noch mit, wie der Commander eintraf und von Trouble ebenfalls zu einem Stuhl dirigiert wurde. „Setzen Sie sich erst einmal, Sir. Das Ganze ist eine etwas längere Geschichte.“
Dann wechselte sie hinüber ins Reich süßer Träume.
Trouble hatte Holly in dieser Nacht noch nach Hause gebracht. Sie hatte eine Dose Instant-Suppe warm gemacht und Trouble gebeten, dass er noch ein Stündchen da blieb. Sie redeten nicht viel. Viel gab es eigentlich auch nicht zu sagen. Erst als sie beide ihre Suppenteller geleert hatten, stellte sie ihm die Frage, die ihr schon die ganze Zeit brennend auf der Zunge lag. „Hast du dem Commander von dem Drachen erzählt?“
„Das musste ich wohl“, erwiderte er seufzend. „Wie hätte ich sonst das Verschwinden des Eis erklären sollen?“
Widerwillig musste sie daraufhin zustimmend nicken. „Werden... werden sie ihn suchen? Ich will nicht, dass...“
„Dass er endet wie eine Zirkusattraktion?“
Wieder ein Nicken.
„Root hat allen befohlen, dass keine Suche beginnen soll. Er denkt, dass er allein da draußen ohnehin keine Überlebenschancen hat. Vermutlich ist das besser so.“
„Vermutlich...“
Trouble legte tröstend einen Arm um Hollys Schulter und sie legte ihren Kopf an seine Schulter. „Das war ein verrückter Tag.“
Sie lächelte. „Das kannst du aber laut sagen.“
„Etwas Gutes hat es“, meinte Trouble und lachte, als er sah, wie Holly zweifelnd eine Augenbraue anhob. „Root hat uns für den Rest der Woche freigegeben.“
„Ach ja, ich kann es immer noch kaum glauben.“
Dann wurden sie irgendwie beide wieder still. Keiner wusste mehr, was er noch sagen sollte und eigentlich brauchte dieser Moment auch gar keine Worte. Holly schloss die Augen. Obwohl sie eben im Restaurant schon beinahe drei Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich todmüde. Trouble streichelte ganz sanft über ihre Schulter. Dabei konnte sie wirklich wieder einschlafen. Vielleicht würde sie das ja sogar auch. Allerdings gab es da vorher noch eine Sache zu klären.
Holly drehte den Kopf ganz leicht, um Trouble besser ins Gesicht sehen zu können. „Willst du mich nicht fragen?“
Beinahe wie ein auf frischer Tat ertappter Schuljunge sah er aus und wurde rot. „W-was denn?“, tat er den Ahnungslosen, doch Holly ließ sich davon nicht ablenken.
„Was du mich schon seit dem Mittagessen in der Kantine zu fragen versuchst.“
„Ach so, das... Das ist gar nicht so wichtig.“ Ausweichend sah er sich im Zimmer um, betrachtete fasziniert ein Bild, dass Holly mit ihren ersten Flügeln zeigte.
Doch Holly wusste es besser. Sie hatte von Anfang an gewusst, was Trouble so verzweifelt zu fragen versucht hatte. „Was hältst du davon, wenn wir noch einmal zusammen essen gehen? So ganz privat dieses Mal natürlich. Ein Date, wenn du so willst.“
Trouble glaubte seinen eigenen Ohren kaum, als er das hörte. Er traute seiner Stimme nicht, deshalb sah er Holly einfach nur an und nickte glückselig.
„Okay.“ Holly lehnte ihren Kopf wieder an seine Schulter und schloss erneut die Augen. „Nächsten Samstag. Sieben Uhr.“
Ohne sich davon zu überzeugen, ob Trouble dieses Mal auch mit einem Nicken seine Zustimmung zeigte, fuhr sie fort: „Ich ziehe ein rotes Kleid an. Achte bei den Blumen darauf, welche du mitbringst. Es passen sicher nicht alle gut zu der Farbe.“
Trouble konnte nur noch staunen. Nie hätte er gedacht, dass diese Elfe ihn so gut verstand. Aber es herauszufinden, machte ihn unglaublich glücklich. Er hatte ja schon immer gewusst, dass es einen guten Grund geben musste, weshalb Holly Short für ihn etwas ganz Besonderes war.
_________________________________________
A/N: *einen dicken "Happy End"-Schriftzug einblend* Nun sind wir schon an das Ende dieser kleinen Geschichte gekommen. Ich hoffe, dass euch auch das letzte Kapitel gut gefallen hat.
Es wäre übrigens sehr schön, wenn sich auch mal die Schwarzleser mit einem kleinen Kommentar zum Abschluss melden würden. (Verstecken ist sinnlos. Ich weiß, dass ihr da seid. ;))