Todesbotin
Schon wieder ich ... möchte meine Leserschaft lediglich auf einen Link in meinem Steckbrief hinweisen - ich schwöre, es lohnt sich! ;)
Das war's auch schon.
Viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
moko-chan
„Dude, du siehst verdammt scheiße aus.“
Dean unterdrückte den nachdrücklichen Impuls, Sammy eine rein zu hauen und beschränkte sich auf einen furchteinflößenden Blick.
„Danke.“
Drei Nächte hintereinander hatte er jetzt quasi komplett ohne Schlaf auskommen müssen, und seine Laune war auch ohne Sams unqualifizierte Bemerkungen schlecht genug.
Das Einzige, das er nicht verstand, war, warum Sam die abartigen Geräusche, die ihn Nacht für Nacht wach hielten, nicht hörte.
Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, verdammt!
Dean nahm einen tiefen Schluck Kaffee – er lief inzwischen ausschließlich auf Kaffee und falls aus irgendwelchen Gründen seine Kaffeezufuhr zum Erliegen kommen sollte, wäre er geliefert – und unternahm einen heldenhaften Versuch, sich auf das zu konzentrieren, was Sam zu ihm sagte.
„… kann doch nicht sein, dass nur du das hörst. Bist du wirklich sicher, dass es einfach nur Katzen sind?“
Sam sah Dean an, dass der ihn zwar gehört hatte, aber nicht wirklich verarbeiten konnte, was gesagt worden war.
Er runzelte die Stirn, als ihm mit plötzlicher Schärfe bewusst wurde, wie sehr Dean von dem Mangel an Schlaf der letzten Nächte gezeichnet war.
Die Ringe unter seinen Augen hatten schon beinahe Doughnut-Größe – was nicht unbedingt ein attraktiver Anblick war – und bildeten zusammen mit Deans Drei-bis-Vier-Tage-Bart ein unansehnliches Ensemble.
Wenn Sam die Augen ein wenig zusammenkniff, sah Dean sogar ein kleinwenig aus wie Tim Burton – nur lange nicht so zerzaust und natürlich fehlte diese unglaubliche Brille.
Sam blinzelte – höchstwahrscheinlich hatte er noch nie zuvor so lange Tim Burton visualisiert – besser zurück zum Problem.
Wenn sie zufällig etwas Übernatürlichem begegnen sollten, würde Dean sich in seinem komatösen Zustand nicht verteidigen können, und es war erst recht nicht dran zu denken, aktiv nach einem neuen Job zu suchen, bevor Dean endlich etwas Schlaf bekommen hatte.
Sam fasste einen Entschluss, nahm seinem Bruder energisch die Kaffeetasse aus der Hand, und der blinzelte ihn verwundert an – zu mehr war er nicht in der Lage – und sah zu, wie Sam ihre Rechnung beglich.
Dann wurde Dean von Sam aus dem Diner geschleift und in ihr Motelzimmer verfrachtet, Sam befahl ihm mit der ganzen Autorität seiner überlegenen Größe – 8 Zentimeter waren 8 Zentimeter – sich ins Bett zu legen und sofort, aber sofort, einzuschlafen.
Vorher musste Dean ihm allerdings noch kurz das Geräusch beschreiben, das ihm den Schlaf raubte, was dem nicht wirklich schwer fiel, da er inzwischen unter der Wahnvorstellung litt, es immer und überall zu hören, und dann fiel Dean zu den klackernden Geräuschen von Sams Fingern auf der Tastatur des Laptops in erlösenden Schlaf.
Mit Deans dezentem Schnarchen als Hintergrunduntermalung drang Sam in die unendlichen Weiten des WorldWideWeb ein, kam sich selbst ein kleinwenig dumm vor, als er die Suchbegriffe „Heulen, Kreischen, sterbende Katze“ eingab und war, gelinde gesagt, überrascht, als er tatsächlich fündig wurde.
Sams Stirn bewölkte sich zusehends, als er den Text las, den seine Suchmaschine ausgespuckt hatte, und als er schließlich am Ende angelangt war, wünschte er sich zum ersten Mal in seinem Leben, nicht ständig den Drang zu verspüren, allen Dingen auf den Grund gehen zu müssen.
Dean erwachte mit der wundervollen Gewissheit, endlich mal wieder ein paar Stunden durchgeschlafen zu haben – gut, dass er höchstwahrscheinlich niemals Kinder haben würde, über einen längeren Zeitraum würde er sowas nicht überleben – und schlug die Augen auf.
Das Erste, das er erblickte, war Sam, der am Fenster stand und in die Dunkelheit hinaus starrte – offenbar hatte er bis zum Abend geschlafen – dann sah er den Ausdruck auf Sams Gesicht und sprang mit einem Satz aus den Federn.
Sam kniff die Augen zusammen, als er Deans nackte Füße auf dem Holzfußboden hörte, und er spürte die Nähe seines Bruders stärker als jemals zuvor, als dieser schließlich schräg hinter ihm zum Stehen kam.
„Was ist los, Sam?“
Sam presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
Er konnte es ihm nicht sagen, er wollte es nicht.
Dann spürte er, wie Dean sich von ihm entfernte, und als er die Augen wieder aufriss und zu ihm herumfuhr, war es schon zu spät.
Dean starrte auf den Bildschirm des Laptops, beide Hände so fest zu Fäusten geballt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, und eine aberwitzige Sekunde lang war Sam fest davon überzeugt, Dean würde seinen Computer packen und aus dem Fenster schleudern.
Ihre Blicke trafen sich, Sam sah den Ausdruck endloser Verzweiflung vermengt mit Angst in Deans Augen und er schluckte.
„Eine Banshee?“, murmelte Dean nach einer scheinbaren Ewigkeit fassungslos, und Sam konnte ihn nicht mehr ansehen und wandte ihm den Rücken zu.
Wieder waren Deans Füße auf dem Holzfußboden zu hören, und im nächsten Augenblick fühlte Sam, wie er in eine Umarmung gezogen wurde, die so unerwartet kam, dass er für einen Moment schwindelte.
Dann schlang er seine Arme um Dean und drückte sich an ihn, und er weinte nur deswegen nicht, weil er genau wusste, dass es ihm nicht helfen, Dean aber nur noch mehr belasten würde.
Wenn es wirklich eine Banshee war, die Dean gehört hatte, dann gab es sowieso nichts, das ihm noch helfen würde.
„Ich wusste gar nicht, dass wir irische Vorfahren haben“, hörte er irgendwann Deans Stimme und er musste lächeln – Dean hatte ihn umarmt, er wusste, wie es wirklich in seinem Bruder aussah.
Nach einer Weile löste er sich endlich von Dean, sah ihm wieder in die Augen und war erleichtert zu sehen, dass dieser sich gefangen hatte, und dann beobachtete er auch schon, wie das vertraute Grinsen auf Deans Gesicht zurückkehrte, das er immer dann aufsetzte, wenn ihn seine wahren Gefühle schlichtweg überforderten.
„Jetzt lass uns rausfinden, wie wir die Ziege platt machen.“
Beschreibungen von gesichteten oder gehörten Banshees variieren zum Teil stark, die meisten weisen jedoch eine Anzahl gemeinsamer Merkmale auf.
Es tritt stets nur eine Banshee auf.
Sie wird meist als totenbleiche und weißgekleidete Frau mit langem weißlichem Haar dargestellt, die Augen sind oft glutrot vom ständigen Weinen.
In den meisten Beschreibungen ist sie in stark fortgeschrittenem Alter, seltener auch jung und schön. Sie wird allerdings seltener gesehen als gehört: Meist einige Tage vor dem Verscheiden eines Familienmitglieds setzt sie sich – Berichten und verbreitetem Glauben zufolge – vor das Fenster der Familie und schluchzt (banshee wail).
Dabei erscheint die Banshee vorzugsweise am Stammsitz jener alteingesessenen irischen Familie, der sie sich angeschlossen hat, selbst wenn das Familienmitglied, dem ihre Totenklage gilt, im Ausland lebt.
Häufig wird sie auch am Rande von Wegen oder an Gewässern gesehen/gehört. Die Person, deren Tod die Banshee ankündigt, hört ihr Klagen berichtetermaßen nicht.
Angeblich besitzt jede Familie in Irland ihre eigene Banshee.
Dean fluchte, schloss das Buch, in dem er zum Tausendsten Mal den gleichen nutzlosen Schund gefunden hatte, mit einem dumpfen Knall und sah nur deswegen davon ab, es als Wurfgeschoss zu verwenden, weil er das anklagende Hüsteln des Bibliothekars in seinem Nacken hörte und nicht rausfliegen wollte, da er sich noch immer an die leise Hoffnung klammerte, irgendwo in diesem verstaubten Laden einen Text über Banshees finden zu können, der ihm weiter helfen würde.
Seit er die verdammte Heulboje vergangene Nacht am Fenster gesehen hatte, war er sich nämlich sicher, dass es sich um eine Banshee handeln musste, und er wollte verdammt sein, wenn er einfach so zuließ, dass Sam starb.
Die letzten Tage hatte er seinen kleinen Bruder nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, und auch jetzt saß Sam am Tisch hinter ihm, in ein Buch über irische Legenden und Fabelwesen vertieft, und Dean wusste, wenn er sich jetzt umdrehen und Sam in die Augen sehen würde, dann wäre sein Highscore auf der Männlichkeitsskala total im Eimer, weil er dann zu ihm gehen und ihn in aller Öffentlichkeit umarmen würde.
Er stellte das nutzlose Buch zurück ins Regal, griff sich das nächste und fing an zu blättern.
Das dumpfe Gefühl in Deans Magengegend wurde praktisch von Stunde zu Stunde schlimmer, langsam konnte er es nicht mehr ignorieren, und wenn das so weiter ging, würde er ganz bestimmt ein Magengeschwür bekommen.
Es konnte doch nicht angehen, dass keiner dieser dämlichen Wälzer eine Lösung für sein Problem anbot!
Langsam aber sicher entwickelte Dean eine ernstzunehmende Abneigung gegen Bücher aller Art.
Sonderlich belesen oder ein Bücherwurm war er ja noch nie gewesen, aber nach dem Märchendebakel mit Nigel und dem Aufenthalt in diesem Sammelsurium von Staub und Altpapier hatte er von Büchern gestrichen die Schnauze voll.
Dean hatte ja schon immer geahnt, dass die Welt scheiße war, aber so langsam hatte er wirklich keinerlei Lust mehr, für ihr Andauern zu kämpfen.
Das war doch einfach nur unfair!
Sam durfte nicht einfach so sterben, er war doch gerade erst wieder normal geworden und kein dummer Prinz mehr, und Dean hatte ihn noch gar nicht mit dem tollen, so wunderbar passenden, neuen Spitznamen belegt, den er sich für ihn ausgedacht hatte – Adelheid – dabei war er doch so unglaublich stolz auf sich selbst, dass ihm sowas Pfiffiges eingefallen war!
In Anbetracht der momentanen Umstände wäre es allerdings total unpassend gewesen, Sammy so zu nennen, und irgendwie war Dean auch nicht so wirklich danach.
Verdammte Banshee!
Wenn die ihm wenigstens erzählen würde, woran genau Sam dahinscheiden sollte, dann könnte er die entsprechenden Gegenmaßnahmen ergreifen, aber da sie ja augenscheinlich nichts anderes konnte, als wehleidig vor sich hin zu wimmern, tappte er völlig im Dunkeln und litt sogar unter Angstzuständen, wenn Sam allein im Bad war – wer sagte schließlich, dass ihn etwas Übernatürliches zur Strecke bringen würde, er könnte sich auch total unspektakulär unter der Dusche den Hals brechen – und Dean schaffte es nur unter Aufbietung all seiner Entschlossenheit, Sam allein auf die Toilette gehen zu lassen.
Nicht genug also, dass er vor Sorge um Sam ganz krank war, die dumme Banshee suchte ihn noch immer Nacht für Nacht heim und beglückte ihn mit ihrem furchtbaren Gejaule.
Der einzige Lichtblick war, dass Sammy sie nicht hören musste – aber im Prinzip war das auch nicht wirklich ein Lichtblick, wenn er sie nämlich hören könnte, dann gäbe es überhaupt keinen Grund zu all der Aufregung.
Dean pfefferte das Buch zurück ins Regal, als er nichts Gescheites über Banshees fand, und biss die Zähne zusammen, um nicht all die Schimpfworte herauszubrüllen, die in seinem kreativen Geist Gestalt annahmen.
Er drehte sich zu Sam um, in der Hoffnung, dass der vielleicht etwas gefunden hatte, mit dem man arbeiten konnte, und als er sah, dass Sam ihn beobachtete, kam ihm der Verdacht, dass dieser das schon eine ganze Weile lang tat, und so, wie er aus der Wäsche guckte, fiel es Dean nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, worüber Sammy gerade nachdachte.
Dean seufzte leise und ging zu Sam hinüber, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. „Wir kriegen das hin, Sam. Wir haben es immer hingekriegt. Zur Not -“
Dean hielt inne, als er Sams Blick einfing, und biss sich auf die Unterlippe.
Sam würde ihn umbringen, wenn noch mal so einen Deal abschließen würde, aber um ehrlich zu sein, würde er das sogar in Kauf nehmen – sein eigener Tod war ihm nach wie vor sehr viel lieber, als ein Leben ohne Sam.