Blut und Feuer
„Ngh …“
Dean stöhnte gequält und presste die Hand auf die Wunde in seiner Schulter.
Sein eigenes Blut rann ihm warm durch die Finger, und für einen Moment war der Schmerz so unerträglich, dass er es nicht schaffte, die Augen zu öffnen.
Jagdgewehre gehörten eindeutig nicht in die Hände von durchgedrehten Zivilisten.
Dean stieg der unangenehm vertraute Geruch von Rauch in die Nase, er spürte eine unangenehm intensive Hitze, hörte ein beunruhigendes Knacken und Knistern, und als er sich endlich dazu gezwungen hatte, die Augen aufzuschlagen, realisierte er, dass das Krachen von vor wenigen Sekunden ein Blitz gewesen war, der in Sashas altes Haus eingeschlagen war, der es in Sekunden in Brand gesteckt hatte.
Die Flammen hatten sich schon beinahe im ganzen Raum ausgebreitet, und ob das jetzt die gerechte Strafe Gottes für das Herumspielen mit seinem höchsteigenen Puppenhaus war, wollte Dean nicht entscheiden.
Er ließ sich von Sam auf die Beine helfen und war dankbar für die Stütze, die ihm Sams Körper bot, dann warf er einen kurzen Blick auf Sasha, die die Winchester achtlos beiseite geworfen hatte und nun versuchte, ihre Voodoo-Puppen und die Haarsammlung vor den Flammen zu retten und dabei ununterbrochen wirres Zeug vor sich hin redete.
"Nein, nicht meine Puppen ... ich brauche meine Puppen", war alles, was Dean aufschnappte, und allein das verursachte ihm beinahe eine Gänsehaut.
Blut tropfte von Sashas Arm auf den Boden - Sam hatte im gleichen Moment schon beinahe reflexartig auf sie geschossen, als sie das Gewehr auf Dean abgefeuert hatte.
Der Rauch brannte Sam und Dean in den Augen, die Hitze wurde zunehmend unerträglich, und Sam beschloss, dass Deans und sein Leben Vorrang vor Sashas hatten.
Er legte den Arm um Dean, führte ihn so schnell wie möglich aus dem brennenden Haus und auf die gegenüberliegende Straßenseite, und dann krachte es erneut und ein zweiter Blitz schlug in Sashas Haus ein.
Beide Jäger zuckten zusammen, warfen sich einen kurzen aber aussagekräftigen Blick zu, Sam schlang seinen Arm noch ein wenig fester um Dean und führte ihn so schnell wie möglich vom Ort des Geschehens weg.
Die Voodoo-Puppen würden augenscheinlich auch ohne ihr Zutun vernichtet werden.
Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis – dass in ein und das selbe Haus tatsächlich zwei Blitze in so kurzer Folge einschlugen – war so verschwindend gering, dass Dean beinahe versucht war, doch an eine höhere Instanz zu glauben – aber auch nur fast, da er sich beim besten Willen nicht zwischen dem weisen Alten mit Rauschebart und der ein wenig verrückten, aber durchaus sympathischen Irren mit dem Laptop entscheiden konnte.
Aber das alles war im Moment nebensächlich.
Es war jetzt zunächst einmal wichtig, Deans Wunde zu versorgen, die für Sams Geschmack ein wenig zu stark blutete, und ihn von der Straße zu kriegen, denn Sam verspürte keinerlei Lust, Polizisten und Feuerwehrmännern zu erklären, was er und Dean am Tatort verloren hatten, und warum zum Teufel da so ein unangenehm großes Loch in Deans linker Schulter klaffte.
Ein paar Straßen von Sashas Haus entfernt machte Sam aus seinem Hemd einen Notverband um Deans Schulter, damit der nicht noch mehr Blut verlor, und als Dean bemerkte, dass Sam ziemlich zielsicher den Greenway und somit vermutlich Sharons Haus ansteuerte, fing er doch tatsächlich an, zu protestieren.
„Ich will da nicht hin, Sam!“
Sam verdrehte die Augen, packte Dean fester und zerrte ihn unerbittlich mit sich.
Sharons Haus war nahe, sie konnten es sich nicht leisten, noch länger den Augen der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein und noch viel weniger, sich in den Impala zu setzen und einen angemessenen Sicherheitsabstand zwischen sich und diesen verwunschenen Ort zu bringen.
Deans Schussverletzung musste versorgt werden, und Sharons Haus war der einzige Ort, an dem das in Ruhe möglich war – ins Krankenhaus konnten sie ja schlecht gehen, die würden dort viel zu viele Fragen stellen.
Da Dean langsam schlecht wurde und er im Prinzip ja auch kein wirklich schlüssiges Argument vorbringen konnte, warum sie nicht bei Sharon Unterschlupf suchen sollten, gab er Sams Ziehen und Zerren also nach, wurde allerdings ohnmächtig, gerade als Sam auf die Klingel unter ihrem Namensschild gedrückt hatte.
„Dean?“
Eine große warme Hand strich sanft über Deans Wange, und er blinzelte vorsichtig.
Irgendwie kam ihm diese Stimme, die in sein müdes Bewusstsein drang, bekannt vor, und allein ihr Klang machte ihn lächerlich glücklich.
„Ist er wach?“
Ok, DIESE Stimme kam ihm definitiv bekannt vor, und er hätte gut und gern auf sie verzichten können.
Blöde Sharon, was wollte die schon wieder?
Und dann, halbwegs wach, begriff Dean endlich, schlug die Augen auf und strahlte Sam an.
„Du hast deine Stimme zurück!“
Sam grinste liebevoll, strich ihm noch mal über die Wange, und Sharon zog sich mit einem „Er IST wach“ zurück.
Kluge Frau.
„War ich lange weggetreten?“, erkundigte Dean sich leise, als er Sams müdes Gesicht sah, und Sam nickte und warf einen kurzen Blick auf Deans fest verbundene Schulter.
„Du hast verdammt viel Blut verloren diesmal.“
So beschissen, wie er sich im Moment fühlte, glaubte Dean das gerne.
Er schloss die Augen, spürte, wie Sam seine Haltung auf der Matratze leicht veränderte und dann wurde er sanft geküsst.
„Mh …“
Dafür lohnte es sich doch beinahe, angeschossen zu werden.
Sam zog sich wieder von ihm zurück und Dean hörte Schritte, die ganz bestimmt nicht von Sam stammen konnten, weil der erstens noch neben ihm saß und sich zweitens niemals so leichtfüßig fortbewegen könnte, selbst dann nicht, wenn er eine fünfjährige Balletausbildung hinter sich hätte.
„Ich hab ihm Suppe gemacht …“
Ja, da war sie wieder, die Sharon – aber da sie ihm Essen mitgebracht hatte, wollte Dean mal nicht so sein.
Er öffnete die Augen, ließ sich von Sam beim Aufsetzen helfen, und strafte den mit einem Schein-Todes-Blick, als er Anstalten machte, ihn füttern zu wollen.
„Ich kann das alleine, vielen Dank!“, schnappte er, entriss Sam den Löffel und fing etwas umständlich an zu essen, weil Sam den Teller nach wie vor in seinen Pranken hielt und sich weigerte, ihn herzugeben.
„Das Haus ist komplett abgebrannt …“
Dean hielt kurz beim Essen inne und warf Sharon einen überraschten Blick zu.
„Bitte?“
„Kam eben in den Nachrichten – ich hab unten den Fernseher laufen. Das Haus ist hinüber … und Sasha ist tot – verbrannt … sie konnten sie nur noch an ihren zahnärztlichen Daten identifizieren.“
„Mh …“
Dean fing wieder an zu löffeln und aß ein wenig von der Suppe, bevor er etwas dazu sagte.
Wenigstens kochen konnte die doofe Sharon.
„Wir konnten nichts für sie tun – selbst wenn wir gewollt hätten“, meinte er schließlich und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, das hat Sam auch schon gesagt … und ich mache euch auch keinen Vorwurf, nachdem, was sie getan hat.“
Dean verkniff es sich, darauf etwas zu erwidern und aß seinen Teller leer, mit dem Sharon prompt wieder aus dem Zimmer verschwand.
Irgendwie mochte er sie doch so langsam – das musste an dem Blutverlust liegen, er war nicht mehr Herr seiner Sinne.
„Sharon hat angeboten, dass wir hier bleiben, bis es dir besser geht …“
Dean löste seinen Blick von dem Türrahmen, durch den Sharon verschwunden war, und fixierte ihn auf Sams Augen.
„Hier bleiben? Ausgerechnet bei ihr?“
Sam biss sich unsicher auf die Unterlippe, und Dean grinste schwach.
„Klingt vernünftig.“
Er fing sich einen sanften Klaps ein, grinste noch ein wenig breiter und rutschte ein Stück zur Seite, damit Sam sich neben ihn setzen konnte.
Sam folgte dem subtilen Hinweis, setzte sich zu ihm an die Kopfseite des Bettes und legte sogar den Arm um ihn.
Dean brummte zufrieden, lehnte seinen Kopf an Sams und schloss die Augen.
Sobald es ihm besser ging, würde er als erstes diesen dummen Knebel wegwerfen, der ganz unten in der braunen Plastiktüte lag.
„Erzähl mir was …“
Sam wandte sich zum Bett um, als Dean sich regte, und warf ihm einen prüfenden Blick zu, bevor er seine ursprüngliche Haltung wieder einnahm und weiter aus dem Fenster sah.
Es war kurz nach sechs in der Früh, die Sonne hatte gerade beschlossen, aufzugehen, und da Sam ohnehin nicht länger hatte schlafen können, war er kurzentschlossen aufgestanden.
Sie waren nun schon seit zwei Tagen bei Sharon, Dean hatte sich relativ gut von seiner Verletzung erholt, und Sam war guten Mutes, dass er seine Schulter auch in Zukunft problemlos würde einsetzen können.
Es war Sam klar, was für unendliches Glück sie mal wieder gehabt hatten.
Dean würde mit ein paar Narben davon kommen, er selbst war unverletzt, und dann hatten der doppelte Blitzeinschlag und das durch ihn verursachte Feuer wahrscheinlich auch noch sämtliche Beweise vernichtet, dass er und Dean jemals am Tatort gewesen waren.
Sasha war ihrem gerechten, wenn auch grausamen, Schicksal zugeführt worden, und weder Deans noch sein eigenes Gewissen waren mit dem Mord an einem Menschen belastet – das war vielleicht das größte Glück von allen.
„Sammy …“
Sam wandte sich erneut zum Bett um, als Deans müde Stimme erklang, und lächelte, als er sah, wie Dean – scheinbar im Halbschlaf – die Hand nach ihm ausstreckte.
„Komm her, es isso ungemütlich ohne dich“, nuschelte Dean dumpf, wedelte leicht mit der Hand, und Sam ging zu ihm hinüber, schlüpfte zu ihm unter die Decke und nahm ihn in den Arm.
„Nhpf … du bist ganz kalt“, murrte Dean, kuschelte sich nichtsdestotrotz an ihn, und Sam wusste gar nicht wohin mit seiner Begeisterung.
Dean würde sich später vermutlich nicht an diesen Moment erinnern, er selbst aber schon – und er würde es sich auf gar keinen Fall nehmen lassen, sein Entzücken über Deans putziges Verhalten an diesen weiter zu geben.
Sam strich Dean mit einer zärtlichen Geste durch das ein kleinwenig wirre Haar – das war zu kurz, um wirklich jemals so richtig wirr zu werden – und betrachtete versonnen Deans inzwischen wieder schlafendes Gesicht.
Zwischen ihm und Dean war endlich wieder alles in Ordnung.
Sam schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
Sicher, Dean hatte ihm auch dann schon verziehen gehabt, als sie noch beide von seiner Schuld überzeugt gewesen waren, aber jetzt … Sam hatte irgendwie das Gefühl, dass sie sich jetzt noch näher als zuvor waren.
Das Wissen, dass Dean ihn so sehr liebte, dass er ihm sogar diesen Fehltritt, mit dem er ihn so unglaublich verletzt hatte, verzeihen konnte, strahlte warm durch Sams Körper, und er nahm sich vor, in Zukunft noch besser auf Dean aufzupassen.
Sam öffnete die Augen, um wieder Deans Gesicht ansehen zu können, und drückte ihm wie im Zwang einen sanften Kuss auf die ein wenig kratzige Wange.
Dean gab ein zufriedenes Schnaufen von sich, drängte sich enger in Sams Umarmung und schlief selig weiter.
Sam begann, Dean sanft im Nacken zu kraulen, während er stumm die Sonne dabei beobachtete, wie sie nach und nach ihr Zimmer eroberte.
Es war ein hübsches, freundliches Gästezimmer, in dem Sharon sie untergebracht hatte, Sam und Dean fühlten sich darin gleichermaßen wohl, und es bildete einen angenehmen Kontrast zu den Motelzimmern, in die es sie für gewöhnlich verschlug.
Sam schloss die Augen und schmiegte seine Wange an Deans.
Wenn er sich auf Deans Präsenz und seinen Geruch und seine Wärme konzentrierte, dann würde er es vielleicht schaffen, noch einmal einzuschlafen.
Da Dean ein relativ anstrengender Patient war, brauchte Sam im Prinzip nämlich jeden Schlaf, den er kriegen konnte und -
„Nmpf … Sammy …“
Andererseits war es natürlich unglaublich verlockend, wach zu bleiben und herauszufinden, wie oft Dean im Schlaf seinen Namen flüstern würde.