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Denn am Ende steht...

von

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(K)ein Kinderspiel

Ladies and Gentlemen-
 

Heute ist es soweit:
 

Leira proudly presents the sequel of "Weihnachtswünsche"!
 

So; zuerst einmal ein herzliches ‘Welcome back’ an all die bekannten Gesichter, die sich auch zu dieser neuen Runde wieder eingefunden haben! *freu*
 

Dann ein ebenso herzliches Willkommen an all jene, die hier und heute zum ersten Mal das Fleckchen Mexxschen Serverplatz, den ich hier im wahrsten Sinne des Wortes zutexte, gefunden haben!
 

Diese Geschichte ist also die eigentlich nicht geplante Fortsetzung zu meinem Weihnachtsoneshot "Weihnachtswünsche".

Tja- wer sich jetzt fragt, ob man den gelesen haben sollte, lautet die Antwort natürlich: JA! Schließlich handelt es sich hier um eine Fortsetzung, Leute :)
 

Für alle, die sich auch mit einer kurzen Inhaltsangabe zufrieden geben (schließlich zwinge ich keinen zu nix *g*), hier die kürzeste Zusammenfassung, die es dafür gibt:

Ran erfährt an Weihnachten von Conans/Shinichis Geheimnis. Zumindest teilweise.
 

Jetzt geht’s darum, wie’s weitergeht… was sie mit diesem Wissen anstellen soll.
 

Also lehnt euch zurück… und ich hoffe, ihr habt Freude an der Fic.
 

Mit freundlichen Grüßen, eure Leira :)
 

PS: Ich lade wie gewohnt mittwochs hoch, wöchentlich. Falls jemand dennoch über das Erscheinen bzw. Hochladen des nächsten Kapitels benachrichtigt werden will, mag mir das bitte per ENS, Kommentar oder GB-Eintrag mitteilen. Merci beaucoup, mes chèrs.
 

PPS: Für alle nicht-Lateiner ;) "post" heißt "nach". Post-Weihnnachts-Reinemachen ist demzufolge das Säubern der Wohnung nach Weihnachten.
 

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Weihnachten war vorbei.
 

Heute war der sechste Januar- und demzufolge versuchte sie nun seit zwei Wochen, seit dem ersten Weihnachtsfeiertag, irgendwie mit der Situation klarzukommen, dass in ihrem Haus ein um zehn Jahre verjüngter Oberschüler lebte.
 

Ein um zehn Jahre verjüngter Oberschüler, der obendrein noch ihr Freund war.

Ihr fester Freund.

Der junge Mann, den sie noch vor zwei Wochen im Beika-Park geküsst hatte.

Geküsst!
 

Geküsst…
 

Ran seufzte schwer und wrang den Putzlappen im Eimer aus. Es spritzte, schaumiges Wasser tropfte von ihren Händen.

Heute war großes Post-Weihnachts-Reinemachen. Nachdem der Christbaum heute rausgeflogen war, und die gesamte Weihnachtsdeko ihren ‚Schönheitsschlaf’ bis zum nächsten Jahr angetreten hatte, war sie nun dabei, all die Nadeln, Kekskrümel, versteckte Geschenkpapierreste und weiteren Müll aus allen vorher übersehenen oder verdeckten Ecken der Wohnung zu finden und ihrem neuen Bestimmungsort zuzuführen- dem Mülleimer. Nachdem sie also nun den ganzen Vormittag damit zugebracht hatte, nach diesen Übeltätern zu fahnden, war sie jetzt dabei, die finalen Handgriffe zu tun- die Wohnung nass durchzuwischen.
 

Und bei dieser manchmal doch ziemlich meditativen Arbeit kam sie nicht umhin, ihr Liebesleben und ihre Beziehung zu überdenken, während sie den Mopp in geordneten Bahnen durch die Küche zog.
 

Es widerstrebte ihr zwar, aber sie musste zugeben, sie hatte es wohl tatsächlich ein wenig zu locker gesehen.

Ein wenig zu sehr auf die leichte Schulter nehmen wollen.

Nach zwei Wochen Zusammenleben mit ihm gestand sie sich ein, dass er tatsächlich wohl gewusst haben musste, wovon er sprach, als er sie im Park davor gewarnt hatte. Ihr versucht hatte, zu erklären, auf was sie sich einließ.
 

„Okay… aber sag, wenn es dir zu viel wird.“

„Jaja…“

„Nein, nicht jaja. Das wird nicht einfach werden, Ran, ich spreche aus Erfahrung…“
 

Er hatte verdammt Recht gehabt.

Es war kein Kinderspiel, im wahrsten Sinne des Wortes.
 

Jedes Mal, wenn sie Conan sah, wollte sie Shinichi in ihm sehen. Sie konnte beinahe seine Lippen auf ihren fühlen, empfand diese Sehnsucht nach seiner Nähe, dieses Verlangen, von ihm in die Arme genommen zu werden, seinen Atem auf ihrem Gesicht zu spüren… und wandte dann jedes Mal ruckartig den Kopf weg, als sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können, ihn so nah und gleichzeitig so weit weg von sich zu wissen.
 

Es war die Hölle auf Erden.

Und er merkte es. Er wusste es.

Es ging ihm ganz genauso- und er litt doppelt, nicht nur wegen der Situation, in der er steckte, sondern auch wegen ihr.
 

Das war wohl das Schrecklichste überhaupt.

Bestimmt vermisste er es auch, der Alte zu sein… Dinge tun zu können, die ihm so verwehrt blieben, versagt waren, solange er in dieser zehn Jahre jüngeren Version seiner selbst existierte.

Und er wusste, in welcher Zwickmühle sie steckte, weil er es ihr ansah. Sie wusste, dass er es mitbekam, er konnte es nicht verbergen. Sie las in seinen Augen, dass er ihr Leid sah- und sich die Schuld gab.

Sie war eigentlich der Meinung gewesen, sie hätte es schwer, aber wenn sie so drüber nachdachte… ihm ging’s jetzt wahrscheinlich noch schlimmer, weil er ja wusste, was er ihr allein mit seiner Existenz antat- wie er damit all die Jahre fertig geworden war, war ihr ein Rätsel.

Das musste furchtbar sein für ihn.

Sich die Schuld für ihr Dilemma zu geben… und ihre etwas verquere Beziehung war ja nicht das einzige, was ihm das Leben schwer machte.
 

Nicht zu vergessen war die Tatsache, dass er jetzt so unmündig war. Dazu gezwungen wurde, Dinge zu tun, die man ihm sagte, 'brav' zu sein... man hatte ihm die Entscheidungsgewalt über viele Dinge einfach entrissen.
 

Nicht als vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft zu gelten… das war bestimmt entwürdigend für ihn.

Nicht gehört zu werden, wenn er etwas zu sagen hatte. Nicht beachtet zu werden, wenn er eine Entdeckung gemacht hatte, wenn seine Augen etwas gesehen hatte, das allen anderen verborgen geblieben war.

Nicht gehört zu werden- einfach überhört zu werden.

Weggeschickt zu werden, übergangen zu werden, für dumm und vorlaut und nervend gehalten zu werden…
 

Er war einfach nicht da; für alle, die über eins dreißig groß waren, existierte er nicht.
 

Um dennoch gehört zu werden, musste er regelmäßig zu immer ungewöhnlicheren Maßnahmen greifen, eine Erfahrung, die er bis jetzt nie machen musste.

Auf Shinichi Kudô hatten sie alle gehört.

Immer und ausnahmslos.
 

Und…

Dann waren da noch all die Situationen, in denen er als Kind Hilfe brauchte. Wenn er ein Glas aus dem Küchenschrank holen wollte, musste er sich einen Stuhl hinschieben, um nur mal eine der vielen Gelegenheiten zu nennen, in denen er unter seiner ‚kleinen’ Größe litt - ein Paradoxon in sich.

Er konnte gewisse Dinge nicht heben, weil sie zu schwer für ihn waren, konnte sich ohne Hilfsmittel kaum verteidigen, war wehrlos- konnte nicht so schnell laufen wie früher, weil seine Beine viel kürzer, seine Kondition als Kind eine ganz andere war- er war schwach.
 

Er war ein Kind.

Und sie sah ihm an, wie sehr ihn das manchmal frustrierte.

Nichtsdestotrotz gab er nicht auf, schob sich eben den Stuhl hin zum Schrank, bediente sich Hilfsmittel, um seine körperlichen Handicaps auszugleichen - Augen zu und durch.
 

Manchmal sah sie einfach weg.
 

Oft war sie versucht, ihm zu helfen, das Gewünschte von den erhöhten Stellen runter zu reichen, oder ihn hoch zu heben, ihn beim Laufen einfach mitzuziehen, ihn zu tragen - aber sie hielt sich zurück. Sie konnte sich vorstellen, wie demütigend es schon allein sein musste, sich einen Stuhl hin schieben zu müssen. Ihm den Rest seiner Selbstachtung und Selbständigkeit dadurch zu nehmen, ihn als das zu behandeln, was er rein äußerlich war, als Kind also - würde ihre Beziehung auf eine Probe stellen, die nur schwer zu bestehen sein würde.
 

Er war kein Kind.

Und sie wusste, er wollte nicht wie eins behandelt werden.
 

Etwas, das ebenfalls schwierig war, war, wenn sie miteinander reden wollten. Sie wusste, er hasste es, aufzusehen- und sie wusste, er hasste noch mehr, wenn sie sich zu ihm hinunter bückte, nun, da sie ein Paar waren. Er wollte nicht, dass sie sich auf die kindliche Ebene begab, auf der er sich befand. Also blieb sie stehen- und ließ ihn aufschauen. Das kleinere Übel wählen- das war die Devise, nach der sie lebten. Schon in den zwei Wochen, die sie nun so verbracht hatten, war das zur Routine geworden. In der kurzen Zeit schon hatte sie diesen Grundsatz verstanden.

Sie wusste, er verdrängte das. Er versuchte, es zu ignorieren, die Differenzen, so gut es ging, einfach nicht zu beachten.

Versuchte, sich in Anwesenheit anderer wie ein Kind zu geben, und wenn sie allein waren als- als er, eben, so weit es irgendwie möglich war. Aber der Umstand, dass er war, was er war, würde ihre Beziehung auf eine harte Bewährungsprobe stellen.
 

Wenn man das, was sie mit Conan führte, überhaupt eine Beziehung nennen konnte. Klar, sie redeten jetzt so, wie wenn er so alt wäre wie sie. Aber der Bruch, der einfach da war, nicht nur wegen seiner kleinen Gestalt, nein, auch wegen seinem kindlichen Gesicht und dieser Stimme- dieser Kinderstimme- ließ sich nicht wegdiskutieren. Sie würde sich daran gewöhnen- gewöhnen müssen- schließlich hatte sie es selbst so gewollt, und sie wollte sein Vertrauen, seine Zuneigung nicht verlieren, aber…

Es würde schwer werden.

Sehr schwer.
 

Und dann war einfach ihre Sehnsucht, ihr Verlangen nach ihm. Nach Shinichi.

Nach einem eins achtzig großen Mann, fast zwanzig Jahre alt, der sie in seine Arme nahm, an den sie sich anlehnen konnte, bei dem sie sich geborgen, beschützt fühlte, der sie- der zärtlich zu ihr war, der sie küssen konnte… wollte seine Stimme hören, die so unglaublich angenehm in ihren Ohren klang...

Sie vermisste ihn, wollte ihn zurück, ihn, dem sie so nahe sein könnte, wie sie Conan nie sein würde.
 

Zwischen ihnen beiden lag eine ganze Welt. Und sie schufen sich eine Brücke, verwischten die Grenzen, suchten nach einer Grauzone, in der Platz für sie war.
 

Jetzt gerade war Conan nicht da. Er war vor ein paar Minuten zum Professor gelaufen, und das war ganz gut so - so konnte sie ihre Gedanken ein wenig ordnen.

Ja, es stimmte- sie litt unter diesem Zustand. Allerdings- sie war trotzdem wirklich, wirklich froh, jetzt zu wissen, wo er steckte. Shinichi in ihrer Nähe zu wissen, sich nicht ständig um ihn Sorgen machen zu müssen, mit ihm reden zu können, wann immer ihr danach war - all das ließ es sie ertragen.

Es war besser so, auf alle Fälle.
 

Auch wenn jedes Mal ihr Kopfkino eine Vorstellung gab, wenn sie ihn sah. Ihr jedes Mal die Erinnerung an die Zeit im Stadtpark vor Augen trat, sie sein Gesicht- Shinichis Gesicht - sehen konnte. Fast seine Haut, seine Haare unter ihren Fingern fühlen konnte…

Aber das würde schon werden.
 

Es war besser so.

Sie warf erschöpft den Putzlappen in den Eimer, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
 

Dann erblühte ein fröhliches Lächeln auf ihren Lippen. Heute würde Sonoko sie nachmittags besuchen kommen- und sie freute sich schon seit Heiligabend auf deren Gesicht. Bis jetzt war ihre Freundin nämlich noch im Skiurlaub gewesen, aber heute kam sie nach Hause. Und heute Nachmittag würde Ran ihr eröffnen, dass sie und Shinichi nun offiziell ein Paar waren. Sie platzte fast vor Aufregung.
 

Er hatte sie vorhin, als sie ihm ihr Vorhaben erklärt hatte, eher skeptisch angeschaut.

„Glaubst du, sie kann das dann für sich behalten? Du weißt-“

„Dass es nicht gut wäre, allzu sehr in der Öffentlichkeit breitzutreten, dass du noch lebst, ja. Aber ich muss es jemandem erzählen, muss mein Glück mit jemandem teilen und du weißt, dass meine Eltern nicht unbedingt prädestiniert dafür sind.“

Conan hatte schief gegrinst. Er hatte sich vorgestellt, was Kogorô mit ihm anstellen würde, wüsste er, was Sache war. Dann hatte er sich geräuspert.

„Da hast du wohl Recht. Aber Sonoko-“

„Ist die wohl größte Plaudertasche an der ganzen Teitanoberschule…“

„Oberschule?“, hatte er sie ungläubig unterbrochen. „Die größte Plaudertasche Japans, das triffts wohl eher…“

Ran hatte tief Luft geholt.

„Jetzt übertreibst du’s aber, Shinichi. Einigen wir uns darauf, dass sie die schlimmste Plaudertasche Tokyos ist…“

„…was in meinem Fall schon lange reicht, um mir den Garaus zu machen…“

„…aber sie ist auch noch meine bester Freundin. Bitte, ich muss es ihr sagen, ich platze sonst, ich will ihr so gern sagen, dass wir ein Paar sind, dass ich glücklich bin…“

Ran hatte unbeirrt weitergeredet.

Er hatte sie angeblinzelt, ihre nächsten Worte gar nicht gehört, sie nur angeschaut.

Ihre Wangen waren rot geworden und ihre Augen hatten gestrahlt, sie hatte in die Luft gestarrt, den Wischmopp mit beiden Händen fest umklammert.
 

Glücklich…? Bist du das?
 

Nach den letzten Tagen, in denen ihm ihre traurigen, zum Teil sehnsüchtigen Blicke nicht entgangen waren, waren die Zweifel, ob es wirklich das Richtige gewesen war, sie einzuweihen, immer größer geworden. Umso mehr hatte ihn ihre Euphorie erstaunt, ihr Strahlen… ihr Lächeln. Er war an ihren Lippen gehangen, ohne mitzukriegen, was sie sagte.
 

Dann hatte sie eine Pirouette gedreht, die ihn von den Füßen gefegt hätte, wäre er nicht rechtzeitig ausgewichen. Und damit hatte sie ihn wieder in die Realität zurückgeholt.

„Entschuldige.“, hatte er sie sagen gehört.

Sie hatte den Mopp abgestellt, immer noch gelächelt, er hingegen hatte tief geseufzt.

„Aber du sagst ihr nur-“

„Dass ich und du ein Paar sind. Nicht wer hinter Conan Edogawa steckt. Ich schwörs. Also…?“
 

„Tu, was du nicht lassen kannst…“

Er hatte mit den Schultern gezuckt und war gegangen.
 

…wenn es dich glücklich macht…
 

Das sanfte Lächeln, das sich auf seine Lippen gestohlen hatte, sah sie nicht mehr.
 


 

Auch er hatte etwas zu beichten.

Nachdem ihn Ai in den letzten zwei Wochen ungefähr sechzigmal gefragt hatte, warum er dermaßen gut drauf war, was soviel hieß, dass er nicht mehr ständig Trübsal blies und regungslos auf der Couch des Professors hing, weil es schrecklich für ihn war, dass Ran wegen ihm so litt, nachts wieder geweint hatte, ihn am Telefon angefleht hatte, doch endlich heimzukommen- war ihm die Erkenntnis gekommen, dass er sie nicht mehr länger über Rans Mitwisserschaft im Unklaren lassen konnte.
 

Wenn sie es selber rausfindet, dann gnade mir Gott.
 

Besser er sagte es ihr, gestand es ihr selber- als dass sie es über Umwege herausbekam. Ihre Reaktion würde dann wohl ungleich verheerender ausfallen.

Eigentlich könnte er jetzt Gottes Gnade auch schon gut gebrauchen, dachte er, als er den Klingelknopf an der Tür von Agasas Haus drückte.

Ai würde ihm den Kopf abreißen…

Ihn vierteilen, kleinhacken, und an ihre Labormäuse verfüttern...
 

Er schluckte, eine Schweißperle rann ihm an der Schläfe über die Wange entlang nach unten.

Ai konnte wahrlich diabolisch sein. Gerade wollte er wieder gehen, als er bemerkte, dass es zu spät war. Die Tür ging auf.
 

Augen zu und durch, Kudô…
 

Und so war es auch sie selbst, die öffnete.

„Also bist du jetzt endlich gekommen, um mir zu sagen, dass du es Ran erzählt hast? Warum jetzt erst? Hast du etwa Angst vor mir?“

Conans Kinnlade klappte nach unten.

„Woher…?“

„Ich bin eine Frau, mein Lieber. Dein Gesichtsaudruck spricht Bände.“

Conan legte skeptisch seine Stirn in Falten und drängte sich an ihr vorbei nach drinnen.

„Ach so. Ja klar. Das erklärt natürlich alles.“

Er war beunruhigt. Ai klang ruhig, zu ruhig für seinen Geschmack.
 

Hinter ihm fiel leise die Tür ins Schloss.
 

„WIE KONNTEST DU NUR?!?“
 

Conan fuhr herum.

Ja, genau so hatte er sich das vorgestellt. Sie stand da, ihre Haare wie elektrisiert, ihre Augen zornfunkelnd, die Hände fest in die Hüften gestemmt und holte tief Luft.

„Seit einer Ewigkeit reden wir lang und breit nur über dieses Thema, du weißt, was dran hängt und welche Risiken das hat, und du- du… du…!“

„Ai, hör zu…“, setzte er zu seiner Verteidigung an.

„NEIN, ICH HÖR JETZT NICHT ZU! Weißt du eigentlich, was du dir damit eingebrockt hast? Uns eingebrockt hast? Die Organisation-“

„Weiß jetzt auch nicht mehr als vorher. Ran ist nicht dumm, sie wird nichts sagen. Sie weiß außerdem gar nichts von den Männern in schwarz. Außerdem, wie redest du mit mir…? Das hier ist auch noch mein Leben! Es ist ja schön für dich, dass du so“, er zerrte an seinen Kinderklamotten, „leben kannst, aber du musst dir auch mal vorstellen, wie das für mich ist. Du hast keine Eltern, keine Freunde außer dem Professor, den Detective Boys und… mir…

Du musst dich nur um dein eigenes Leben kümmern. Du siehst nicht tagtäglich, wie sich jemand deinetwegen sorgt, sich quält und leidet, so wie ich. Du leidest nicht tagtäglich mit dieser Person. Du nicht. Ich schon. Und es ist mein gutes Recht, verdammt noch mal, diesem Leiden ein Ende zu setzen!“

Er atmete heftig, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu kriegen.
 

Ai schwieg, starrte in nur fassungslos an.
 

„Du warst nicht dabei, all die zwei Jahre, und du warst an Weihnachten nicht dabei im Park. Sie hat es gesagt, einfach so. Ich konnte es nicht leugnen. Sie stand da, sagte mir auf den Kopf zu, dass ich Conan wäre, und ich… ich konnte sie nicht schon wieder anlügen, nicht schon wieder… und erst Recht nicht als… als ich selber, als Shinichi, verstehst du? Sie ist meine Freundin, meine andere Hälfte - sie… sie bedeutet mir so unendlich viel. Sie hat es nicht verdient, dass ich sie so behandele. Also hab ich diesmal nicht abgestritten. Ich konnte es einfach nicht. Wir merken zwar beide, dass es problematisch ist, dass damit schwer umzugehen ist, aber wenigstens ist sie glücklich jetzt… zumindest glücklicher… du hast sie nicht gesehen…“
 

Er schluckte. Rans Gesicht wollte ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte gemerkt, wie schwierig es für sie war, die letzten zwei Wochen- und doch; so glücklich wie an Weihnachten oder vorhin hatte er sie in den letzten zwei Jahren selten erlebt. Trotz all der Hindernisse schienen bei ihr noch die positiven Aspekte zu überwiegen. Und diese Tatsache, dieses fröhliche Lächeln auf ihren Lippen, dieses Glücksgefühl, das sie auslebte, ließen ihn die Zweifel an seinem Handeln vergessen.

Wenn es ihr gut ging, dann war es richtig gewesen, es ihr zu sagen.
 

Ai schaute ihn an, ohne zu blinzeln.

„Mir kommen die Tränen.“

Conan blickte sie fassungslos an.

„Fahr doch zur Hölle.“, wisperte er.

Ai presste die Lippen zusammen.

„Schön, dann mach ich das! Es ist dir ja sowieso egal, wie es mir geht! Du redest doch auch nur mit mir, weil ich die einzige bin, die dir dein Gegengift besorgen kann!“
 

Alles, worum deine Welt sich dreht, ist Ran!
 

Diesen letzten Gedanken sprach sie nicht laut aus. Ihre Augen brannten, ihr Atem ging schnell. Sie wusste selbst nicht, warum sie so außer sich war, sie hatte doch gewusst, auf was sie sich einließ, als sie ihm das Gegengift gab.

Sie hatte doch gewusst, dass er Ran sagen würde, wie viel sie ihm bedeutete, hatte gewusst, dass sie ihn endgültig an Môris Tochter verlor, gab sie ihm nur die Chance-
 

Conan blinzelte.

„Ai?“

Er trat auf sie zu, wollte ihr die Hand auf den Arm legen, zuckte aber zurück, ließ den Arm wieder sinken. Irgendwas in ihren Augen sagte ihm, dass sie nicht berührt werden wollte.

Nicht jetzt, und nicht von ihm.
 

Conan schluckte, schaute sie ernst an.

„Ai? Kannst du mir mal sagen, was mit dir los ist?“

Ihre Lippen blieben geschlossen, ihr Blick war starr.

Conan seufzte.

„Was du sagst ist doch Schwachsinn, und das weißt du. Ich… ich rede nicht nur wegen dem Gegengift mit dir. Ich schätze dich als Verbündete, bewundere deinen Mut, dich von der Organisation abgewandt zu haben und nun gegen sie zu kämpfen… uns verbindet unser Schicksal, Ai.“

„Nicht mehr und nicht weniger.“, murmelte das rotblonde Mädchen bitter.

Conan starrte sie verwirrt an.

„Wie meinst du das…?“

Lange schwiegen sie sich an.

Dann-

„Shinichi…?“

Er sagte nichts, sah sie nur aufmerksam an.

„Ach, nichts...“
 

Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand die Kellertreppe nach unten. In der Tür zum Wohnzimmer erschien Professor Agasa.

Unter ihnen knallte eine Tür zu.
 

Ai? Hatte meine Mutter etwa doch… Recht?
 

„Was hat sie denn?“, murmelte der alte Mann.

Conan sah auf.

„Ich weiß es nicht.“
 

Das war gelogen.

(Un)glücklich verliebt

Hiho!
 

Vielen Dank für die Kommentare zu Kapitel eins! *freu*

Ich hoffe, ich kann eure Erwartungen erfüllen- ich geb mir die größte Mühe.
 

Ach ja: Die Detective Boys kriegen noch ihren Auftritt, und Ran wird sich über eben jene bestimmt noch ihren Kopf zerbrechen- genauso wie es zwischen Ai und Ran sowie Ai und Conan noch die eine oder andere Begegnung geben wird. *versprochen*

Aber alles zu seiner Zeit.
 

Jetzt kommt also zuerst das Fräulein Suzuki an die Reihe. Ladydetektivin Sonoko vor!!! *g*

Da ich ihren Charakter noch nie so wirklich in eine Fic eingebaut habe (kurzer, ganz kurzer Auftritt in Junischnee und noch viel kürzeres Gastspiel im Roten Faden), fand ich die Szenen mit ihr recht interessant zu schreiben. War mal etwas Neues- wie treffend oder misslungen ihre Darstellung geworden ist, das zu entscheiden, liegt bei euch.
 

Also- ich wünsch euch weiterhin viel Spaß beim Lesen!

Lehnt euch zurück und macht es euch gemütlich :)
 

Hochachtungsvoll,

eure Leira :D

*sichverzieht*
 

PS: Ich hasse den Titel. Einer der schlechtesten, der mir je eingefallen ist, ohne Zweifel, aber ich kam auf nichts anderes, was die beiden Kapitelteile besser verbinden kann.
 


 

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„Ist nicht dein Ernst!“

Sonoko starrte sie an, ihre Augen wurden groß und größer, ein breites Grinsen zierte ihr Gesicht.

Dann klatschte sie in die Hände und hüpfte auf und ab.

„Ihr seid zusammen? Du und Shinichi? Echt jetzt?! Fest zusammen? So als Mann und Frau… richtig als Paar, mit allem drum und dran?“

Ihre Stimme befand sich in der Tonlage einer Kreissäge, und immer mehr Worte sprudelten aus ihrem Mund hervor.
 

Ran schaute ihre Freundin an und wich einen Schritt zurück. Sie hatte ja geahnt, dass die Sonokos Reaktion, nun ja - laut - ausfallen würde, aber derart explosiv…

„Erzähl! Habt ihr euch geküsst? Wie küsst der liebe Shinichi denn so?!“

Ihr Grinsen schien sich bis zu ihren Ohren auszubreiten, aber sie ließ Ran, deren Gesichtsfarbe sich mittlerweile immer mehr dem satten Rot einer reifen Tomate anglich, keine Luft, um auch nur ansatzweise eine Antwort zu geben.

„Und, was hat er so gesprochen? Wie und wo hat er dir denn gestanden, dass er dich liebt? Hat er denn überhaupt wörtlich gesagt, dass er dich liebt oder hat er es eher umschrieben? Hat er dir was zu Weihnachten geschenkt? Wenn ja, was? Wo steckt er denn jetzt eigentlich? Und habt ihr euch denn nun geküsst?!
 

Sonoko holte Luft.

Ran nutzte die Chance, um ihre Freundin aufs Sofa zu bugsieren und ihr ein Stück Kuchen in die Hand zu drücken, in das die blonde Oberschülerin auch sogleich brav hinein biss.

Dann setzte sie sich selber hin, strich ihren Rock glatt und ihre Haare aus dem Gesicht.

Ihr war heiß - Sonokos Aufregung steckte sie an. In ihr machte sich Nervosität breit, ein sanftes Kribbeln wanderte von ihren Haarwurzeln bis zu ihren Zehenspitzen.
 

Dieses Gefühl keimte in ihr wieder auf, dieses Gefühl, das sie im Park verspürt hatte, als sie es noch nicht gewusst hatte, nicht gewusst hatte, wer er war, als das noch Leben frei und unkompliziert gewesen war, weil alles, was sie brauchte - der, den sie brauchte - bei ihr war…
 

Dieses schöne Gefühl des Verliebtseins- verbunden mit der Gewissheit, dass der, der dieses Gefühl in ihr auslöste, für sie ganz genauso empfand.
 

Verliebt sein…
 

„Ja.“, sagte sie schließlich, nachdem sie einen Schluck Kaffee getrunken hatte und von ihrer Wolke, auf der sie kurzzeitig geschwebt hatte, wieder herabgestiegen war. Sonoko, die bis jetzt den Kuchen gemampft hatte, kaute fertig, schluckte runter und schaute sie fragend an.

„Was, ‚ja’?“

Ran seufzte.

„Das kommt davon, wenn du einem so viele Fragen auf einmal stellst, Sonoko.“

Sie warf ihrer Freundin einen tadelnden Blick zu.

„Ja, wir haben uns geküsst, und ich…“, ihre Wangen färbten sich noch ein wenig mehr, „kann mich nicht beschweren denke ich. Ich finde schon, dass er gut küsst…“

Sie seufzte tief.
 

Sie beide, im Park… seine Lippen auf ihren, seine Hände in ihren Haaren, sein Atem, der sanft über ihr Gesicht strich…
 

Kopfkino ausschalten, Ran…
 

Sie rief sich innerlich zur Vernunft und blinzelte, um die Bilder zu vertreiben.

„Und weiter?“

Sonoko, die den leicht weggetretenen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Freundin wohl nicht bemerkt hatte, biss aufgeregt in ihren Kuchen und kaute energisch, ließ ihre Augen nicht von ihrer Freundin.

„Er hat mir gesagt, dass er mich liebt. Wörtlich. Und ja, ich hab ein Weihnachtsgeschenk gekriegt, das hier.“

Sie deutete auf das Medaillon um ihren Hals und ließ es von Sonoko bewundern.

„Ich wünschte so, er wäre jetzt hier…“, seufzte sie leise.
 

„Wie, ist er das nicht? Wo steckt der Freak denn schon wieder?“, fragte die Konzerncheftochter, setzte ein vorwurfsvolles Gesicht auf und versprühte Kuchenkrümel über den Teppich und das Sofa.

„Sonoko, ich hab geputzt…“

„Jaja, schon gut. Also, wo steckt er?“

„Ich weiß es, und das reicht mir, Sonoko.“
 

Eben diese wollte zu einer Antwort ansetzen, wurde aber abgelenkt, denn in dem Moment ging die Tür auf, und Conan trat ein, dick eingemummt in Schal, Winterjacke, Handschuhen und Mütze und starrte die zwei jungen Frauen erstaunt an.

Anhand des rosa Schimmers auf Rans Wangen konnte er sich denken, worum das Gespräch, in das er gerade geplatzt war, sich wohl drehte.
 

Ran schaute ihn an und schluckte. Das Kribbeln ebbte schlagartig ab. Leider war die Welt nicht so unkompliziert geblieben…
 

Sonoko folgte ihrem Blick, runzelte die Stirn.

Was ging hier ab…?

Normalerweise begrüßte sie ihn doch immer freudig mit ‚Hallo Conan!’, half ihm beim Ausziehen und dergleichen- heute saß sie nur da, und schaute ihn an, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der allzu deutlich ausdrückte… ja, was drückte er eigentlich aus? Grübelnd zog sie die Augenbrauen zusammen und stopfte sich ein Stück Kuchen in den Mund.
 

Dann brach er den Bann, der sich über sie gelegt hatte.

„Post.“

Er warf die Briefe, die er bis jetzt in einer Hand gehalten hatte, vor ihr auf den Tisch.

Ran blinzelte.

„D-danke,… Conan. Ich dachte, du wärst länger beim Professor?“

„Nein, der hatte zu tun. Er erfindet eine neue Erfindung, so drückte er es aus.“

Der Grundschüler grinste breit.

Genau das waren die Worte des alten Mannes gewesen- und nachdem mit Ai ja nicht mehr viel los gewesen war, hatte er sich schließlich, früher als geplant, auf den Heimweg gemacht.

Er zog sich die Mütze vom Kopf. Es knisterte, als sich seine Haare von der Wolle lösten, und er sich mit der Hand darüber fuhr, um sie zu entladen.

„Wow.“

Dann schaute er auf.

„Krieg ich auch Kuchen?“

„Zuerst gehst du dich ausziehen.“
 

Conans Kinnlade klappte nach unten, dann hustete er heftig, weil er sich verschluckt hatte.
 

Ran wurde rot, als sie merkte, wie eindeutig zweideutig ihre Worte für den geschrumpften Oberschüler geklungen haben mussten.

„Du weißt schon…“, murmelte sie perplex, geriet fast ins Stammeln.

„Ja, klar…“, er, der jetzt auch mächtig rot im Gesicht war, schniefte und stiefelte wieder nach draußen.
 

„Was war das denn jetzt?“, fragte Sonoko verwirrt, als er weg war.

„Sowas kapiert der Krümel doch noch gar nicht, oder? Ist der nicht noch ein wenig zu klein für anzügliche Witze?“

Ran, die gerade ein Stück Kuchen abschnitt, drehte ihren Kopf.

„Du vergisst, wer noch in diesem Haus wohnt.“
 

„Yokoooo!“, tönte Kogorôs entzückter Ruf wie bestellt aus dem Wohnzimmer in die Küche.
 

Sonoko runzelte die Stirn und nickte wissend.

„Ja, klar. Wie konnte ich das vergessen. Im Prinzip ist es ein Wunder, dass du trotz der Erziehung deines Vaters so normal geworden bist, Ran.“

Ran nickte lächelnd und legte den Kuchen auf einen Teller.

„Danke…“

Gerade noch mal gut gegangen.
 

„Aber sag mal, dann muss ich ja nach den Ferien sofort euer junges Glück der ganzen Welt mitteilen!“, fiel es dem blonden Mädchen plötzlich ein.

„NEIN!“, erklang es aus zwei Mündern. Ran ließ fast den Kuchenteller fallen und Conan, mittlerweile ohne Schal, Handschuhe, Jacke und Mütze, stand mit entsetztem Gesicht im Türrahmen.
 

„Was regst du dich denn da so auf, Zwerg?“

Conan blinzelte, seine großen Augen starrten unschuldig zu der genervt dreinblickenden Oberschülerin hinauf-

„Ich… ich hatte Angst, Ran lässt den leckeren Kuchen fallen…“, stotterte er.

Damit stürmte er zu ihr hin und entriss ihr den Kuchen, der tatsächlich schon halb über den Rand des Tellers gerutscht war. Ran starrte ihn an.
 

Man merkt, dass du der Sohn deiner Mutter bist, Shinichi. Tadellose schauspielerische Leistung…
 

„Keine Bange, dem Kuchen geht’s gut.“, grinste Sonoko gönnerhaft, tätschelte ihm den Kopf. Er ertrug es mit stoischer Resignation. Dieses Kleinkindgetue ging schon zu lange, als dass es sich noch lohnte, sich darüber aufzuregen.

Dann wandte sich Sonoko ihrer Freundin zu.

„Und nun zu dir, warum soll’s keiner wissen? Warum entsetzt dich das so sehr, dass du fast den Kuchen fallen lässt?“

„Weil…“, begann Ran zaghaft, „weil wir eben wollen, dass es geheim bleibt. Du bist meine beste Freundin, darum sag ich es dir. Wir wollen es einfach nicht an die große Glocke hängen, uns an jeder Ecke spekulatives Geflüster anhören müssen…“

Sonoko schaute sie nachdenklich an, dann wanderte ihr Blick nach unten auf den kleinen Jungen, der sie genauso ängstlich, angespannt und abwartend ansah, wie seine große Freundin neben ihm. Als er merkte, dass ihre Augen auf ihm ruhten, beeilte er sich, weg zu sehen und den Kuchen in sich hinein zu stopfen, wobei er demonstrativ kleinkindmässig den Boden unter sich mit Krümeln übersäte.

Sonoko kniff die Augen zusammen.
 

Irgendwas ist faul mit dir...
 

Dann seufzte Sonoko Suzuki geschlagen.

„Okay, das verstehe ich. Und ich werde schweige wie ein Grab, ich schwör’s.“

Sie legte eine Hand auf ihr Herz und hob die andere zum Schwur.

„Und ich fühle mich selbstverständlich geehrt, die erste und einzige zu sein, die von deinem neuen Glück in der Liebe weiß.“

Sie lächelte, dann umarmte sie ihre Freundin.
 

Dass der kleine Junge den Raum verlassen hatte, bekamen sie erst mit, als hinter ihm die Tür zufiel.
 

Er stellte das halb gegessene Stück Kuchen neben dem Telefon ab und zog sich wieder an. Da Sonoko noch da war, und Kogorô Yoko Okino beim Singen zusah, gab es für ihn hier nichts zu tun. Indem er sich hier fürs erste rar machte, verhinderte er, dass Ran noch mal so etwas passierte wie gerade eben- und dass Sonoko ihn weiterhin so seltsam ansah.

Er zog die Augenbrauen zusammen.

Allerdings - Sonoko?

Ein leicht süffisantes Lächeln trat auf seine Lippen.

Nein.

Neeeeiiiiin.

Nie im Leben. Sonoko würde das nie rausfinden, er sah schon Gespenster, war einfach überreizt, wegen der Sache mit Ran, und ihrem kleinen Altersproblem.

Sonoko würde nie im Leben dahinter kommen oder Verdacht schöpfen, wer hinter der Identität von Conan Edogawa steckte.

Ausgerechnet Sonoko!

Alles, worum sich ihre Gedanken drehten, waren Jungs und Klamotten.
 

Nie und nimmer würde sie ihn entlarven.
 

Eher friert wohl die Hölle zu.
 

Nichtsdestotrotz beschloss er, zu seinen Eltern zu gehen und seine Mutter über weibliche Intuition und Ai Haibara auszufragen.
 

Die Frau wusste doch was.
 

Sie hatte ihn davor gewarnt - er hatte es als lächerlich abgetan. Hatte sie am Ende doch Recht gehabt?

Er seufzte, starrte in den Spiegel und setzte sich mit Todesverachtung die quietschbunte Bommelmütze auf, die ihm Heiji zu Weihnachten geschenkt hatte. Er hatte es zweifelsohne für eine amüsante Idee gehalten. Conan hingegen konnte diese Ansicht ganz und gar nicht teilen.
 

Dafür wirst du noch büßen, mein Freund.
 

Nachdem er sich geweigert hatte, die Mütze auch nur anzufassen, hatte Ran alle anderen aus seiner Reichweite geräumt, was einfach nur unfair war. Unfair. Sie wusste genau, wie sehr sie ihn damit ärgern konnte.

Aber sie fand ihn mit der Mütze so niedlich.

Nicht nur niedlich. Sie fand ihn süß. Putzig.
 

Putzig!
 

Ich bring dich um, Heiji… wenn ich dich in die Finger kriege…
 

Selbstredend hatte er versucht, den starken Mann zu spielen und war aus lauter Trotz ohne Mütze raus- was ihm sein kindliches Immunsystem umgehend damit gedankt hatte, ihm eine Mittelohrentzündung anzuhängen.

Das einzig Positive dran war, sich von Ran das Medikament in die Ohren träufeln zu lassen.

Er grinste, dann schnappte er sich den restlichen Kuchen vom Teller und stapfte hinaus in den Schnee.
 


 


 

Yusaku Kudô sah von seinem Skript auf, als er hörte, dass die Haustür auf- und zuging. Kurz darauf hörte man Kleiderrascheln und kurze, leichte Schritte, die sich näherten.

„Unser Sohnemann stattet uns einen Besuch ab, Yukiko.“, meinte er leise, dann wandte er sich wieder seinem Manuskript zu.

Yukiko, die in der Tür zur Küche erschienen war, wandte den Kopf, als Conan das Wohnzimmer betrat.

„Hi.“

Er hüpfte auf ein Sofa und machte es sich bequem, hielt sich die Ohren zu und verzog das Gesicht.

„Mittelohrentzündung?“, fragte sein Vater grinsend, dessen Aufmerksamkeit, durch die unüblichen Handbewegungen seines Sohnes, die er aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, wieder erregt worden war.

Conan warf ihm einen genervten Blick zu, nickte dann aber.

„Warst wohl ohne Mütze draußen, Shinichi?“, tadelte Yukiko ihren Sohn und beugte sich zu ihm runter, zog ihm eine Hand vom Ohr weg. Er sträubte sich zunächst, ließ es dann aber geschehen.

„Naja. Sieht schon noch entzündet aus, aber wird wohl wieder. Also?“

„Ja.“, knurrte er leise.

„Hm?“

„Ja, ich war ohne Mütze draußen, verdammt noch mal. Das Ding ist entwürdigend, ich werde Heiji den Hals umdrehen, dieser…“

„Wieso Heiji?“

„Weil er mir die Mütze geschenkt hat. So ein widerliches Teil mit Bommel dran, und in allen Farben gestrickt, die’s nur gibt…“

Yusaku lachte leise.

„Lass mich raten, du wolltest sie nicht aufsetzen? Aber warum hast du dann keine andere genommen? Du weißt doch, du hast als Kind schon immer gern eine Mittelohrentzündung-“

„Weil Ran alle anderen aus meiner Reichweite geräumt hat. Und verschont mich mit Anekdoten aus meiner Kindheit…“

Der kleine Junge war mittlerweile sehr rot im Gesicht geworden und starrte finster seine kleinen Füße an.

„Aha. Und warum, wenn man fragen darf?“, wollte Yukiko wissen.

„So eben.“

Conans Blick auf seine Füße wurde immer starrer.

„Das glaub ich aber nicht. Warum hat sie dir die Mützen weggenommen? Einen Grund musste sie wohl gehabt haben? Vielleicht wollte sie sie waschen, oder flicken, oder sie waren schon kaputt…“

„Weder noch!“, brauste er nun auf.

Yusaku räumte sein Manuskript zusammen. Das hier hatte den Anschein, sehr amüsant zu werden, da war an ruhiges Schreiben nicht zu denken.

„Ach komm, Shinichi, ich kann mir kaum vorstellen, dass Ran grundlos die beiden anderen Mützen, die du hast, weggeschlossen hat-“

„Von Grundlosigkeit kann ja auch nicht die Rede sein.“

Er rutschte vom Sofa.

„Also? Ich glaube nicht, dass sie aus purer Willkür…“

„Nichts anderes war’s aber. Pure Willkür… zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit… sie nutzt das aus, dass ich ein Kind bin…“

Die letzten Worte nuschelte er nur, weil er sich einen Keks aus der Schale auf dem Tisch genommen hatte und gerade seine Zähne darin versenkte.

Yusaku stand auf und setzte sich neben seine Frau, schaute seinen Sohn nun gleichermaßen neugierig an.

„Also, Sohnemann, nun aber raus mit der Sprache. Warum zwingt dich die Liebe deines Lebens, eine Mütze aufzusetzen, die dir nicht gefällt?“, fasste Yusaku nüchtern zusammen und konnte sich ein Schmunzeln dennoch nicht verkneifen. Er setzte sich neben seine Frau aufs Sofa.

Conan kaute seinen Keks knirschend fertig und schluckte.

Als er sprach, klang seine Stimme angewidert und auf seinem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck höchsten Ekels - und es war nicht die Schuld des Kekses.
 

„Weil sie findet, ich sehe putzig aus damit.“
 

Das Wort „putzig“ spukte er gerade zu aus.

Yukiko jauchzte begeistert auf und rauschte in die Eingangshalle, aus der sie wenig später mit entzücktem Gesicht wieder auftauchte, ein buntes, wolliges Etwas in den Händen, das sie dem Grundschüler kurzerhand über den Kopf stülpte.

Ein entrücktes Lächeln erschien auf ihrem Lippen, als sie ihren sehr verdattert dreinblickenden Sohn anschaute. Yusaku verkniff sich ein Lachen, dann erbarmte er sich seines Jungens und zog ihm das Ding wieder vom Kopf.

„Yukiko, es reicht, wenn Ran ihn zu so einer Verzweiflungstat treibt, ohne Kopfbedeckung bei der Eiseskälte rauszugehen. Du musst ihn nicht auch noch ärgern.“

„Aber er sieht süß aus!“

Conan stöhnte auf und kletterte wieder aufs Sofa, sein Vater drückte seiner Mutter die Mütze wieder in die Hände.

„Shinichi ist aber eigentlich in einem Alter, in dem man nicht süß aussehen will. Also lass ihn in Ruhe.“

Dann seufzte er.

„Außerdem denke ich nicht, dass er gekommen ist, um uns den neuesten Schrei unter den Grundschülerkopfbedeckungen vorzuführen.“

Er warf ihm einen Blick zu. Conan nickte.

„Eigentlich bin ich gekommen, um mich mit dir zu unterhalten, Mama.“

Yukiko zog fragend die Augenbrauen hoch und setzte sich auf Conans andere Seite.

„Mit mir? Über was denn?“

„Über wen, besser gesagt. Ich… du, du hast doch einmal erwähnt…“

Er wurde rot und ließ seine Stimme sinken, bis sie kaum mehr ein Flüstern war, beugte sich zu seiner Mutter rüber.

„Du hast doch mal gesagt, du glaubst, dass Ai in mich verliebt ist?“

„Ja. Hab ich.“

Conan setzte sich wieder gerade hin und schaute sie an.

„Das ist ja schon einige Zeit her jetzt. Was ich dich fragen wollte, denkst du… glaubst du… glaubst du jetzt noch dasselbe?“

„Nein.“

Conan blinzelte. Er war sich doch eigentlich sicher gewesen, dass Ai…

Yusaku beugte sich interessiert vor.

„Wie jetzt?“, hakte der Junge nach.

Yukiko verdrehte ihre Augen gen Himmel und tippte mit ihrem rechten Zeigefinger auf ihre Nasenspitze.

„Damals sagte ich, ich glaube, dass sie in dich verliebt ist. Heutzutage würde ich sagen…“

„Ja?!?“

Seine Stimme klang genervt. Warum zur Hölle musste seine Mutter aus allem immer ein Geheimnis machen? Ein Riesentrara um alles veranstalten, jede noch so belanglose Kleinigkeit zu einem Drama ausbauen…

„Heutzutage bin ich der festen Überzeugung, dass sie in dich verliebt ist. Und dass sie sich, indem sie dir an Weihnachten das Gegengift gegeben hat, nicht wirklich einen Gefallen getan hat. Ist dir das jetzt etwa auch mal aufgefallen, mein lieber Shinichi?“

Sie zog die Augenbrauen hoch und lächelte triumphierend, stieß ihn mit ihrem rechten Zeigefinger in die Seite. Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.
 

„Ja…“

Auf seinem Gesicht erschien ein zerknirschter Gesichtsausdruck, der sich im nächsten Moment allerdings wieder verflüchtigte.
 

„Wisst ihr, ich war vorhin bei Professor Agasa, um es ihr zu sagen. Das mit mir und Ran. Dass Ran… dass Ran jetzt weiß, wer Conan ist. Nun, wie zu erwarten war, haben wir uns gestritten. Ich nahm ja auch gar nicht an, dass sie nicht wütend auf mich wäre aber…“

„Aber was?“, fragte Yusaku.

„Aber etwas, dass sie gesagt hat, ließ mich stutzig werden. Sie hat mir vorgeworfen…“

„Was hat sie dir denn vorgeworfen?“, unterbrach ihn Yukiko wissbegierig.

Conan warf ihr einen genervten Blick zu.

„Wenn du mich ausreden ließest, wüsstest du es schon längst. Sie hat mir vorgeworfen, der einzige Grund, warum ich noch mit ihr reden würde, wäre der, dass ich mir von ihr das Gegengift erhoffe. Und als ich ihr gesagt habe, dass sie Schwachsinn labert…“

Yusaku zog die Augenbrauen hoch.

„…also, dass es Mist ist, was sie da behauptet…“

Yusakus Augenbrauen wanderten noch höher.

„…dass ihre Anschuldigungen eigentlich total ungerechtfertigt sind…“

Yusaku nickte.

„… und ihr erklärt habe, dass ich sie bewundere, weil sie ja ausgestiegen ist, gegen die Organisation kämpft, und ihr gesagt habe, dass uns ein gemeinsames Schicksal verbindet, da hat sie geantwortet…“

Seine Eltern schauten ihn erwartungsvoll an.

„Ja. Aber auch nicht mehr.“
 

Yukiko holte Luft.

„Das hat sie gesagt? ‚Ja. Aber auch nicht mehr.’? Das waren ihre Worte?“

„Genau.“

Conan schaute sie abwartend an.

„Tja. So wie’s aussieht, ist sie noch lange nicht drüber weg.“

Yusaku nickte erneut.

Conan ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern.

„Könntet ihr mich mal aufklären, bitte?“
 

Yusaku wandte sich ihm zu.

„Als du weg warst, an Weihnachten, du weißt schon, die eine Stunde- da war sie noch bei uns. Ai. Erinnerst du dich?“

Conan nickte.

„Nun- in dieser Stunde hat deine Mutter ein wahrlich beachtliches Verhör geführt, und der lieben Ai ein Geständnis entlockt. Sie liebt dich tatsächlich, sie hat’s zugegeben.“
 

Conan sog scharf die Luft ein, in seinem Kopf arbeitete es.

Also doch…

Also doch, also doch, also doch…
 

Er blinzelte, dann schaute er seine Eltern fragend an.

„Aber ich hab ihr doch wirklich, wirklich keine Hoffnungen gemacht. Zumindest nicht absichtlich! Ich hab mich ihr gegenüber doch nie irgendwie - anders - verhalten, dass sie auf solche Gedanken kommen könnte. Und sie weiß doch, dass ich… dass ich Ran liebe. Und warum hat sie mir dann das Gegengift eigentlich gegeben? Sie hat doch gewusst, verdammt noch mal, wofür ich es wollte. Sie wusste es doch. Wenn sie mich wirklich liebt, wäre dann nicht viel eher in ihrem Interesse mich von Ran fernzuhalten…?“
 

Yukiko schüttelte bedächtig den Kopf.

„Nein, Shinichi. Das dachte ich anfangs auch, aber das ist ein Irrtum. Wahrlich liebt der, der alles gibt, um den, den er liebt, glücklich zu sehen. Sie wollte, dass du glücklich bist. Und jetzt sag nicht, dass dir der Gedanke fremd ist. Es gab Zeiten, da wolltest du Ran auch lieber aufgeben, als weiter mit anzusehen, wie sie sich deinetwegen quält, Ai hat…“

„Ai hat euch das erzählt…?“

Er war bleich geworden, wandte den Kopf ab.

Yusaku und Yukiko nickten.

„Ja. Auch in der Stunde, als du weg warst. Und indem sie dich gehen ließ, hat sie gleichermaßen ihre Hoffnungen begraben müssen, dass du jemals für sie etwas ähnliches wie für Ran empfinden wirst.“

Sein Vater seufzte.

„Du musst ihr Zeit geben, sie fängt sich wieder.“
 

Conan warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu.

„Natürlich tut sie das. Sie hat in ihrem Leben schon weit Schlimmeres erlebt…“, murmelte er.
 

Dann rutschte er vom Sofa, krallte sich die Mütze vom Tisch und setzte sie auf.

„Also dann, ich geh mal wieder. Danke fürs Gespräch.“
 

Damit verließ er das Wohnzimmer, und wenig später hörten sie die Haustür zufallen.
 

Yusaku und Yukiko schauten sich an und seufzten.

„Also, ganz ehrlich... Ich möchte nicht sein Leben führen, momentan.“

Yusaku wiegte seinen Kopf.

„Ich auch nicht Yukiko. Und ich hoffe, das nimmt bald ein Ende, denn lange macht er das auch nicht mehr mit. Anstatt dass die Probleme endlich mal weniger werden, werden es immer mehr…“
 

Seine Frau schaute ihn fragend an.

„Was meinst du damit?“

„Dass er, wenn sich nicht bald was tut, die Fäden selber in die Hand nehmen wird. Ihm wird das Risiko langsam egal, merkst du das nicht?“

„Wie kommst du darauf?“

„Nun- er sagt Ran, wer er ist, noch dazu im Park. Himmel, wer weiß wer ihn da gesehen und gehört haben könnte, und er wusste das, da bin ich mir sicher. Er hätte sie hierher einladen können, aber er tat es nicht. Das einzige, was Ran nicht über ihn weiß, ist, wer ihm das angetan hat. Damit hält er sie noch raus. Aber was mir aufgefallen ist, ist der Blick, mit dem er sich selber ansieht. Nicht resignierend, hinnehmend, melancholisch, traurig, wie vor Weihnachten, nein. In seinen Augen liest man seine Unzufriedenheit, sie sind voller Frustration, aber nicht die Art von Frustration, die einen ans Aufgeben denken lässt, sondern, ganz im Gegenteil, eher anstachelt. Seine Augen sind voller Hass auf diesen Körper, in dem er steckt, voller Hass auf die, die ihm das eingebrockt haben.

Und der Grund ist ein einziger. Ran. Er weiß jetzt, was er haben könnte, und er weiß, wer zwischen ihm und diesem Ziel steht. Er wird selber ermitteln, und es wird ihm egal sein, in welche Gefahr er sich begibt. Und weder das was wir, noch das was irgendwer anders ihm sagt, wird ihn aufhalten können.“
 

Damit ging er zurück zu seinem Schreibtisch und faltete sein Manuskript wieder auseinander. Wenige Minuten später hörte man die Feder eines Füllfederhalters übers Papier kratzen.

Yukiko saß da, wie vom Donner gerührt.

Problemerörterung

Bonjour!
 

Danke für die Kommentare zum letzten Kapitel! *freu*
 

So- viel gibt’s heute eigentlich nicht zu sagen… ich bin mir über dieses Kapitel selbst nicht im Klaren- aber es ist essentiell wichtig für den Fortgang der Handlung, soviel ist sicher- und deswegen hab ich es nach langem Überlegen so gelassen...
 

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen,
 

Mit freundlichen Grüßen, eure Leira

*sichverzieht*
 

_______________________________________________________________________________
 

Seit dem Gespräch mit seinen Eltern waren zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen in denen Conan sich selbst und auch Ran von Ai ferngehalten hatte, um sie nicht unnötig zu quälen. Er wollte ihr die Zeit geben, sich an die Situation zu gewöhnen. In der Schule, wenn er neben ihr saß, sprach er mit ihr nur das Nötigste, um… tja, warum...?

Um ihr keine Hoffnungen zu machen?

Er wollte sie in Ruhe lassen.

Er wollte, dass sie lernte, in ihm nur einen Freund zu sehen. Er wollte ihr nicht wehtun.

Inwiefern Ai das gut fand oder nicht, wusste er nicht. Aber vorerst würde er Abstand halten.
 

Den Detective Boys blieb das natürlich nicht verborgen. Während Ayumi sich heimlich freute, Mitsuhiko nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte, wurde Genta zunehmend nervöser, da sich in seinen Augen die Wahrscheinlichkeit, dass aus Conan und Ayumi ein Paar wurde, exponentiell erhöhte, wenn die Möglichkeit, dass aus Conan und Ai ein Paar wurde, nicht mehr bestand.

Natürlich fanden sich in seinen Gedankengängen nicht die Worte ‚exponentiell’ und ‚Wahrscheinlichkeit’, aber nichtsdestotrotz hielt er die Lage für brandgefährlich. Und stiftete Mitsuhiko und Ayumi, die ja immer sehr auf den Zusammenhalt der Detective Boys bedacht waren, dazu an, mit Conan und Ai eine Krisensitzung zu halten.

Aus einer Krisensitzung wurden fünf.

Erst vorgestern waren er und Ai wieder beiseite genommen und verhört worden, ob sie sich gestritten hätten. Es war ja gang und gäbe, dass sie sich stritten- aber wenn die beiden nicht mehr miteinander redeten, dann fiel das sogar den Kindern als Zeichen eines echten Problems auf.

Sie hatten beide dementiert, er und Ai- wie immer; ob die Kinder ihnen geglaubt hatten, stand auf einem anderen Blatt.
 

Tatsache war, dass nicht nur den Detective Boys aufgefallen war, das zwischen ihm und Ai was nicht stimmte.

Auch Ran war zunehmend misstrauisch geworden, aufgrund der immer neuen Ausreden, die er erfand, um sie von Ai und dem Haus des Professors fernzuhalten. Er wusste nicht, wie lange er ihr diese Sache noch verheimlichen konnte.
 

Es goss in Strömen, und Conan, der gerade von der Schule nach Hause kam, durchnässt wie eine Kanalratte, die ins Abwasser gefallen war, stemmte sich gegen die Haustür des Hauses, in dem die Detektei und die Wohnung der Môris lagen.

Als er die Wohnung betrat, brannte nur in der Küche Licht. Ran saß am Küchentisch über ihren Schularbeiten und aus dem Wohnzimmer war Kogorôs lautstarkes Schnarchen zu vernehmen.
 

Der Mann holzt wieder ganze Wälder ab…
 

Er grinste ironisch, blieb in der Tür zur Küche stehen, wollte Ran begrüßen - doch dann geriet er in Stocken, als er ein leises Geräusch hörte.

Sie schniefte.

Conan stand da wie versteinert und rührte sich nicht. Von seiner Nase und seinen Haaren tropfte das Wasser, aber es interessierte ihn in dem Moment nicht. Ran hatte ihn scheinbar noch nicht bemerkt, denn sie sah nicht auf. Minuten verstrichen, in denen nichts passierte. Sie las immer wieder die gleiche Stelle in ihrem Mathematiklehrbuch, wobei Conan sich sicher war, dass sie nicht wirklich las. Ihre Augen bewegten sich nicht und ihre Hand mit dem Kugelschreiber rührte sich nicht von der Stelle. Ein leises Wimmern erklang, übertönte kaum das Ticken der Küchenuhr.
 

Dann strich sie sich müde über die Augen, sah auf - und erst da merkte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie schaute ihn verwirrt an. Er nieste.

„Wie lange stehst du schon da?“, fragte sie.

„Ich weiß nicht.“, antwortete er wahrheitsgemäß. Er hatte nur Augen für ihr Gesicht. Ihr verheultes Gesicht.

Er merkte, wie ein Schauer ihm den Rücken hinab lief - und er wusste, der rührte nicht daher, dass er erbärmlich fror.

Sie hatte geweint. Und er wusste, warum. Und sie wusste, dass er es wusste.

Sie war jetzt noch völlig fertig, so fertig, dass sie sich nicht mal auf ihre Hausaufgaben konzentrieren konnte.

Conan schluckte, schloss die Tür hinter sich, dann machte er Anstalten, auf einen Stuhl zu klettern.
 

Schließlich saß er, die Hände auf er Tischplatte ausgestreckt und musterte sie.

Ran räumte ihr Schulzeug zurück in ihre Schultasche.
 

„Hattest du einen schönen Tag?“

Er klang angespannt. Versuchte, ein normales Gespräch zu führen.

„War schon okay.“

„Okay?“

„Ja. Du bist tropfnass, du solltest dich abtrocknen, bevor-“

Conan sah sie starr an.

„Ich bin nicht aus Zucker.“

„Du solltest wirklich… du wirst noch krank. Schließlich bist du noch ein-“

Sie brach ab, blickte ihn erschrocken an, wandte dann den Kopf ab.

„Sprichs aus, Ran. Ein Kind, das wolltest du doch sagen, nicht wahr? Das muss dir nicht unangenehm sein, schließlich ist es doch die Wahrheit.“

Seine Stimme troff vor Zynismus- doch in seinen Augen lagen Frustration und Sorge. Sorge um sie, Sorge, dass sie nicht mehr lange klarkam damit… wenn es ihr offensichtlich immer noch Schwierigkeiten machte, ihn so zu sehen.

Damit zu leben. Bei ihren Gesprächen immer noch glaubte, aufpassen zu müssen, was sie sagte...
 

Ran schaute auf, bemerkte den betrübten Ausdruck auf seinem Gesicht. Sie wusste, woran er dachte. Wusste, er fühlte sich schlecht, weil er sie mit seinem Zustand manchmal in einen Zwiespalt riss... ihre Gedanken, ihre Wünsche und ihr Leid, ihre Zweifel, in ihren Augen las.

Dann griff sie über die Tischplatte, drückte seine Hand.

„Mach nicht so ein düsteres Gesicht, Shinichi… du denkst zuviel nach, du machst dir zu viele Gedanken um mich...“

Sie lächelte ihn aufmunternd an.

„Ich komm schon klar…“

Conan seufzte. Sie versuchte, ihm nicht zu zeigen, dass es ihr nicht gut ging. Wie immer.
 

„Glaub mir, das tue ich nicht. Zuviel nachdenken, meine ich…“, murmelte er leise, entzog ihr seine Finger und stützte seinen Kopf auf beide Hände. Unter ihm bildete sich auf dem Tisch eine Wasserlache.

Er schüttelte den Kopf. Ran strich sich die Haare aus dem Gesicht, schaute ihn müde an. Es gab noch etwas anderes, was sie beschäftigte- ein Thema, über das er sich immer noch beharrlich ausschwieg.

„Du weißt, dass das nicht ewig so weiter gehen kann. Du machst dich kaputt mit all deinen Sorgen. Sag mir doch, was genau passiert ist. Wer hat dir das angetan, und warum? Und was ist los mit dir und…“
 

…Ai?
 

Er schüttelte resignierend den Kopf, nieste erneut, senkte seinen Blick auf die Tischplatte, zog sich die Brille von der Nase.
 

Ran starrte ihn an. Ohne Brille sah sie ihn noch viel deutlicher als ohnehin schon.
 

Shinichi…
 

Da war sie wieder- diese Sehnsucht. Sie überwältigte sie fast, riss sie mit sich. All ihre Fassung, ihre Selbstbeherrschung löste sich in diesem Moment im Nichts auf.

All ihre guten Vorsätze, ihn nicht mehr merken lassen zu wollen, wie sehr er ihr wirklich fehlte, schwammen den Bach runter, schwanden dahin... waren auf einmal irrelevant, wie weggewischt.

Sie biss sich auf die Lippen, merkte, wie ihr die Luft wegblieb, als sie versuchte, ihre Tränen, die sich in ihren Augen zu sammeln begannen, zu unterdrücken.
 

Lange sprach keiner ein Wort.
 

Als sie dann schließlich den Mund öffnete, klang ihre Stimme brüchig.

„Ich will dich wiederhaben.“
 

Er schaute auf, sah eine Träne in ihren Augen glitzern.

Das war es, auf das er gewartet hatte. Er hatte es kommen sehen… es war einfach unvermeidlich. Egal wie sehr sie versuchten, auf heile Welt zu machen - ihr Dilemma war offensichtlich, ihr Problem ließ sich weder wegdiskutieren noch totschweigen.
 

Er beugte sich nicht vor, um ihr die Träne wegzuwischen. Widerstand dem Drang, etwas Beruhigendes zu sagen.

Alles, was er ihr zu sagen gehabt hätte, wären Lügen gewesen.

Und wieder kamen sie, all die Zweifel, die er eigentlich vergangen geglaubt hatte. Zweifel, ob das, was er getan hatte, richtig gewesen war.

Ob Ran einzuweihen wirklich eine gute Idee gewesen war.
 

Sie saß ihm gegenüber, sah ihn erschöpft an.

„Ich liebe dich, verdammt. Ich will dich wieder…“

Sie weinte jetzt hemmungslos, schaute ihn an - in ihren Augen lagen Vorwurf und Verlangen gleichermaßen.

Er hielt ihrem Blick stand.
 

„Du hast gelogen.“

Innerlich brach gerade eine Welt für ihn zusammen. Was machten sie hier eigentlich? Wie hatte er jemals glauben können, er würde ihr einen Gefallen tun, wenn er ihr sagte, wer er war?

Sie starrte ihn perplex an.

„Was?“

„Du hast gelogen - im Speziellen, an dem Tag als Sonoko da war. Und im Allgemeinen, an jedem Tag seit Weihnachten…“

Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern.

„Wie… wie meinst du das?“

Sie schniefte.

„Du sagtest, du wärst glücklich, Ran. Das war eine Lüge. Eine verdammte Lüge. Du willst es sein, du spielst es mir vor, aber…

Du bist nicht glücklich, und ich bin es auch nicht, machen wir uns nichts vor.“
 

Ran schaute ihn an. Er hatte den Blick abgewandt, schaute wieder seine Spiegelung auf der polierten Holztischplatte an.

„Seit Weihnachten schwankst du gefühlsmäßig zwischen Himmel und Hölle. Glaubst du, das ewige Auf und Ab fällt mir nicht auf? Immer wenn du mich ansiehst, denkst du an die Stunde im Park, es ist doch so?“

Sie starrte ihn an.

Er sah auf.

„Versuch nicht, es abzustreiten, es ist so, mir geht es doch genauso. Und jedes Mal, wenn du mich ansiehst, und an diese Stunde im Park denkst… dann wird dir bewusst, dass wir davon weiter entfernt sind, als wir es jemals vorher waren. Das ist die Wahrheit, Ran, schüttle nicht den Kopf.“

Sie hörte auf, ihren Kopf hektisch von Links nach Rechts zu bewegen.
 

„Du liebst mich nicht.“

Ihr wurde kalt, als sie ihn das sagen hörte.

„Wie redest du mit mir…?“, wisperte sie fassungslos.

Er schluckte, sah sie an.

„Versteh mich nicht falsch, Ran. Aber wenn du zu mir, so wie ich jetzt vor dir sitze, sagst, dass du mich liebst, dann lügst du. Du liebst Shinichi, nicht Conan. In Conan sahst du immer nur den Bruderersatz, in Shinichi den, den du…“

Er brach ab.

„Aber du bist doch…“

Conan schüttelte den Kopf.

„Nein, da irrst du. Ich bin nicht Shinichi. Ich bin weit davon entfernt, Shinichi zu sein, solange ich in diesem Körper stecke. Conan ist eine Kunstfigur, Shinichi ist echt. Und genau da liegt der Hund begraben. Indem ich dir bestätigt habe, damals im Park, wer Conan ist… damit hab ich dich mit in den Zwiespalt gerissen, in dem ich schon längst stecke. Was hab ich mir dabei gedacht? Ich hab dir damit keinen Gefallen getan. Die kurzen Momente des Glücks, die du erleben darfst, wenn du an Weihnachten zurückdenkst, und die einzige Sorge, die ich dir nehmen konnte, nämlich die über Shinichis Aufenthaltsort, das wiegt das ganze Unglück, in das ich dich gestürzt habe, doch längst nicht auf… längst nicht…“

Er schluckte schwer.

„Ich seh’s dir doch an…“
 

Ran sah ihn an. Sie hatte aufgehört zu weinen. Langsam begriff sie, was er ihr klarzumachen versuchte.
 

Er starrte sie an.

„Ich liebe dich.“

Er seufzte matt.

„Weißt du, dass ich schon mal darüber nachgedacht hab, mich aus deinem Leben zu verabschieden, damit du glücklich werden kannst? Damit du mich vergisst und dir einen anderen suchst…?“

Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, seine Finger zitterten etwas.

„Langsam frage ich mich, ob das nicht die bessere Wahl gewesen wäre, als dir das hier anzutun…“
 

„NEIN!“

Sie klatschte mit der Hand so heftig auf die Tischplatte, dass er hochschrak.
 

Sie atmete tief durch.

„Nein.“, sagte sie dann noch einmal ruhig, schloss kurz die Augen.
 

„Ich liebe dich. So wie du bist. Auch so, wie du grad im Moment bist. Du weißt, ich hab schon oft geahnt, dass du Shinichi bist. Ich hätte dich nie vor vollendete Tatsachen gestellt, wenn ich nicht sicher gewesen wäre, damit umgehen zu können. Ich hab es mir leichter vorgestellt, das stimmt. Aber ich bereue nichts. Und mit dir jetzt hier zu sitzen und darüber so zu reden, zeigt mir, dass meine Entscheidung richtig war. Und deine damit auch. Ich bin froh, dass du mir vertraut hast und es mir gesagt hast. Mich nicht wieder im Unklaren gelassen hast.“

Ran schluckte, schaute ihn liebevoll an.
 

„Ich kann verstehen, dass du dich entzweigerissen fühlst, und dabei will ich dir helfen. Ich will, dass du wenigstens manchmal vergisst, dass du momentan einen Meter kürzer und zehn Jahre jünger bist, als du sein solltest. Aber du darfst nie vergessen, wer du bist. Ich gebe zu, es ist schwer. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich würde dich nicht lieber in deiner älteren Version hier haben. Aber ich bin froh, dass du da bist. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du gehst. Das wäre viel schlimmer, als alles, was hier noch kommen kann.“
 

Conan schaute sie unsicher an.
 

„Es ist gut so wie es ist. Mach dir nicht immer so viele Gedanken.“, wisperte Ran.

„Es gibt Hochs und Tiefs, das stimmt. Aber ich hab dich nie angelogen. Ich bin glücklich, dich zu haben. Vergiss nie, wir gehören zusammen. Uns verbindet etwas.“
 

Sie stand auf, ging um den Tisch herum, beugte sich neben seinem Kopf zu ihm runter.

„Vergiss nie, was ich gesagt habe. Ich halte auch was aus, trau mir doch auch was zu, Shinichi, auch wenn ich manchmal einen Durchhänger habe. Du musst das nicht mehr allein durchmachen.“

Ran gab ihm einen Kuss auf die Schläfe, dann stand sie auf.
 

„Ich mach was zu essen.“
 

Damit ging sie an den Kühlschrank und begann, die Zutaten fürs Abendessen auf die Anrichte zu türmen.

Lange sagte er nichts, sah ihr einfach nur stumm dabei zu. Dann-
 

„Ran?“

Sie drehte sich um.

„Hm?“

„Danke, Ran…“
 

Sie lächelte nur, dann wandte sie sich wieder der Zubereitung des Essens zu.
 

Er rutschte vom Stuhl und verließ die Küche, ging zuerst ins Bad, um sich abzutrocknen, dann in Kogorôs Zimmer, um sich umzuziehen und schließlich in Rans Zimmer. Da er ungestört überlegen wollte, verzog er sich lieber hierhin als in Kogorôs Schlafzimmer, in dem er für gewöhnlich schlief, falls Kogorô heimkam und ihn in seinen Gedanken störte.

Er mochte die Atmosphäre in ihrem Zimmer.
 

Er setzte sich aufs Fensterbrett, ließ seine Stirn gegen die Scheibe sinken und seufzte.

Jetzt, nachdem er das Gespräch ein wenig verdaut hatte, begann er sich zu fragen, wie es eigentlich soweit hatte kommen können. Sich so gehen zu lassen, auf solche Gedanken zu kommen. Er hätte gerade eben ziemlichen Mist bauen können. Waren seine Nerven wirklich schon so blank? Warum?

Weil er glaubte, Sonoko verdächtigte ihn?

Er schüttelte den Kopf.

Doch nicht Sonoko. Nein. Sonoko mit dem Intelligenzquotienten eines Handrührgerätes und dem detektivischen Gespür einer Straßenlaterne? Nein.

Er lachte innerlich auf. Aber trotzdem blieb bei dem Gedanken ein bitterer Nachgeschmack auf seiner Zunge zurück. Ihre Blicke letztens waren seltsam gewesen.

Und noch immer schaute sie ihn komisch an, in der Schule in der Pause, wenn sie bei Ran war- immer, wenn sie unter welchen Umständen auch immer, aufeinander trafen, schien sie ihn zu beobachten.
 

Aber Sonoko und ihn verdächtigen- ganz ehrlich? Nein.
 

War er so verwirrt wegen Ai?

Vielleicht…

Er machte sich Sorgen um sie. Sie hatte in ihrem Leben schon so viel gelitten, schon so viel verloren- ihre Eltern, ihre Schwester… sie wurde von der Organisation verfolgt, hinter ihr waren Leute her, die sie um jeden Preis umbringen wollten…

Shiho hatte wohl nie wirkliche Freunde gehabt, hatte sich bis dato nie ernsthaft verliebt… und dann suchte sie sich ausgerechnet jemanden wie ihn aus.

Er seufzte, massierte sich die Schläfen.
 

Ihr Leben bestand aus einer Aneinanderreihung von Katastrophen und Schicksalsschlägen.
 

Er wollte doch eigentlich auch, dass sie glücklich war, und gleichzeitig wusste er, dass er nicht derjenige sein würde, der sie glücklich machen würde.
 

Sicher machte er sich auch Gedanken wegen Ran, ja… er hatte sich die letzten zwei Wochen schon immer wieder Vorwürfe gemacht. Er hatte wirklich von Zeit zu Zeit bereut, sie da mit hineingezogen zu haben.

Warum machte es ihm eigentlich soviel aus, dass sie sich nach ihm sehnte? Er wünschte sich doch auch seinen Körper zurück, sich selbst an diesen See im Park, mit ihr… er konnte es nur nicht ertragen, wenn er sie leiden sah, wenn sie weinte, wegen ihm- und wenn er sie enttäuschen musste. Ihr seine Liebe, so wie sie damals gewesen war, jetzt versagen musste, sie ihr nicht geben konnte, weil es… weil es…

Weil es nicht gut war, so. Weil es nicht richtig war.

Er war ein Kind. Sie nicht.

Aber sie hatte Recht- sie war in diese Sache auch involviert, sie war auch in der Lage, selbstständig Entscheidungen zu treffen.

Warum traute er ihr eigentlich so wenig zu?
 

Vielleicht sollte er ihr ein wenig mehr sagen. Nur ein wenig mehr. Damit sie… die Umstände besser verstand.
 

Vielleicht sollte er ihr über Ai erzählen. Jetzt, wo sie über ihn Bescheid wusste, musste ihr Ais Verhalten ohnehin auffallen…
 

Er merkte nicht, wie die Tür aufging.

Auch nicht, wie sich jemand näherte. Erst als er den Duft ihres Parfums roch und sich kurz darauf ihre Arme um seinen Körper spürte.

„Essen ist fertig. Und wenn du dir weiterhin so fleißig deine Stirn in Falten legst, bleiben sie dir.“
 

Conan seufzte und drehte sich um.

„Es tut mir Leid.“

„Hm?“

Er holte Luft.

„Das von vorhin. Ich weiß nicht, was los war mit mir. Es tut mir Leid, dass ich dich so… so angefahren habe, dir diese Sachen unterstellt habe, nur weil ich eine Sinnkrise habe.“

Er lächelte schief.

„Ich hasse es, so zu sein, wie ich gerade bin. Ich vermisse dich auch, obwohl das von mir zu hören, komisch für dich sein mag. Und ich vermisse mich.“

Ran lächelte erleichtert.

„Ich versteh schon, was du meinst, mach dir keine Gedanken."

Sie schaute ihn ernst an.

"Das wird alles wieder werden, irgendwie... ich glaube fest daran, und das solltest du auch. Das solltest du auch.“
 

Er nickte, dann ging er in die Küche.

Ran blieb noch kurz stehen, schaute ihm nachdenklich hinterher, bevor sie sich ebenfalls zu Tisch begab.
 

Irgendetwas muss passieren, Shinichi. So geht das nicht weiter, du machst dich kaputt.

Warum erzählst du mir nicht einfach, was passiert ist…?
 

Das Abendessen verlief schweigsam. Kogorô schlang sein Essen schnell herunter, um sich dann für seine Pokerrunde zu verabschieden. So blieben Ran und Conan wieder einmal allein zurück.

Während Ran den Abwasch machte, blieb er sitzen, sah sie prüfend an. Ran, die seine Blicke im Nacken spürte, drehte sich um.

„Hm?“

Sie sah ihn aufmerksam an.

„Du hast dich in all der Zeit nicht gebessert, Shinichi. Wenn du was zu sagen hast, dann spuck’s aus.“

Er schaute sie verwirrt an.

„Sieht man mir das an?“

„Ja.“

Sie nickte.

„Man sieht es dir an. Also, was ist los?“

Conan blickte sie ertappt an.

„Aber ich weiß noch nicht, ob ich es dir sagen soll oder nicht.“

Ran seufzte genervt.

„Warum?“
 

„Weil es eigentlich eine- meine- Privatsache ist. Da sie dich aber doch irgendwie auch betrifft, und du es früher oder später wohl herausfinden wirst… und ich nicht will, dass du’s von einer anderen Person erfährst…“

„Shinichi…! Komm auf den Punkt.“

Ran schaute ihn nachdenklich, aber auch leicht ungeduldig an. Dass er so um den heißen Brei herumredete, war sie eigentlich nicht gewohnt von ihm.

Er schluckte, räusperte sich.

„Du darfst das aber jetzt nicht irgendwie wichtig nehmen oder so. Und es ist wichtig, dass du’s auch keinem sagst, mit niemandem drüber redest, erst recht nicht mit der betreffenden Person, sonst dreht sie mir den Hals um.“

Ran legte den letzten, abgespülten Teller beiseite und setzte sich an den Tisch.

„Jetzt machst du mich neugierig.“

Er seufzte tief.

„Es geht um Ai.“

„Also sagst du mir endlich, was los ist? Warum du mich mit aller Gewalt von ihr und vom Professor fernhältst, du mit ihr fast nicht mehr redest?“

Er zog die Augenbrauen hoch.

„Dann ist es dir wirklich aufgefallen.“

Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Ran nickte zustimmend.

„Was ist mit Ai?“
 

Conan schaute sie ernst an. Ihm war auf einmal heiß geworden, was sich in einer etwas rötlicheren Gesichtsfarbe manifestierte.

„Du darfst nicht lachen. Versprich es. Versprich mir, dass du nicht lachst.“

Ran schüttelte verständnislos den Kopf.

„Warum sollte ich lachen? Aber gut, okay, ich versprechs.“
 

„Ai ist in mich verliebt.“

Conan schaute sie abwartend an.

„Das ist Ayumi auch.“

Ran verzog krampfhaft die Lippen. Warum machte er jetzt so ein Aufsehen um eine Kinderliebelei? Er hatte doch mit Ayumi auch keine- äh- nennenswerten Probleme. Außer ihr gebrochenes Herzchen, wenn sie jemals erfuhr, wer Conan wirklich war.
 

Er hob tadelnd eine Augenbraue in die Höhe.

„Ich lache nicht!“

„Aber du würdest. Wenn ich dir jetzt noch etwas sage, dann wird es dir vergehen. Ai ist ein Jahr älter als ich.“

„Na und? Dann ist sie halt schon zehn…“

Conan schüttelte ernst den Kopf. Und jetzt begriff Ran.

„Oh mein Gott…“

Sie hielt sich die Hand vor den Mund, starrte in fassungslos an.

„Zwanzig? Ai ist schon zwanzig? Sie wurde…“

Ihre Stimme verlor sich. Ihr Teint war sehr blass geworden, ihre Augen voller Entsetzen.

„Auch geschrumpft? Mehr oder weniger, ja. Sie hat das Zeug erfunden.“

Conan vervollständigte ihren Satz, schluckte. Er wusste, es war gefährlich, so nahe an die Wahrheit heranzugehen, er wollte Ran ja eigentlich nichts über die Schwarze Organisation erzählen- aber er wollte ihr die Sache mit Ai nicht verheimlichen. Schließlich waren sie ein Paar.

„Sie war diejenige, dank der ich an Weihnachten eine Stunde Zeit für dich hatte.“

Er lächelte.

„Sie hat’s getan, weil sie mich mag. Ich hab sie angefleht, eine Woche vor Weihnachten, bevor wir telefoniert hatten. Da sagte sie noch, es würde nicht gehen. Dann kam sie am vierundzwanzigsten mit dem Mittel, den Rest kennst du.“

„Wusste sie, dass du…“

„Dass ich zu dir gehen würde und dir sage, was… was ich für dich empfinde? Ja. Sie wusste es.“

„Aber warum? Aus welchem Grund…?“

„Aus dem gleichen Grund, warum ich dich verlassen wollte. Um mir das Leben etwas leichter zu machen. Damit ich mal wieder glücklich bin, wenn auch nur kurz.“
 

Ran lehnte sich zurück. Sie musste diese Information erst einmal sacken lassen.
 

„Aber du bist doch schon länger Conan, als du Ai kennst… oder?“, fragte sie schließlich.

„Ja, das ist richtig. Ich hab Ai erst einige Zeit später kennen gelernt.“, stimmte er ihr zu.

„Also… also hast du das Gift nicht von Ai direkt bekommen?“

„Genau. Ich bekam es von jemand anderem.“

„Von wem-“, setzte Ran an, wurde aber durch Conans Kopfschütteln unterbrochen.

„Frag nicht weiter, Ran. Mehr wirst du aus mir nicht herauskriegen.“

„Aber…“

„Kein Aber.“

Er schaute sie ernst an. Dann wandte er den Kopf, ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Draußen gingen langsam der Reihe nach die Lichter in den Fenstern der Wohnblocks an.

Schließlich brach sie das Schweigen, stellte die Frage, die ihr schon seit Weihnachten auf der Zunge brannte.
 

„Shinichi? Warum erfinden Leute irgendwelche komische Substanzen und probieren die an Unschuldigen aus? Warum haben die dir das Gift gegeben, was sollte es eigentlich bewirken…? Und warum wären sie hinter dir her, wüssten sie, dass du noch lebst? Warum wissen sie genau das aber nicht, warum wissen sie nicht, wer du bist, wissen nicht, dass ihr eigenes Gift diese Wirkung haben kann?“
 

Er rutschte vom Stuhl, schaute zu ihr hoch.

„Frag nicht weiter, Ran.“
 

Damit ging er.
 

Sie schaute ihm nach, zum zweiten Mal an diesem Abend.

Und sie fasste für sich einen Entschluss. Wenn er es nicht für nötig hielt, mit der Wahrheit herauszurücken, lieber dein einsamen Wolf spielen wollte- dann würde sie ihn wohl irgendwie zum Reden bringen müssen.

Ihn, oder jemand anderen.
 

Und die perfekte Person dafür hatte er selbst ihr heute genannt.
 

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PS: Für den, den's interessiert: an Ostern wird es wieder Zeit für einen Oneshot- der diesmal auch einer bleibt. Hat mit Ostern zwar nicht direkt was zu tun, aber muss er ja auch nicht, oder? Kap vier kommt wie gehabt am Mittwoch nächste Woche.

Die Einladung

Welcome, Ladies and gentleman-
 

Na, habt ihr Ostern gut überstanden? Ich hoffe, euer Osterhase war fleißig :)
 

So- bevor das kommt, auf das ihr schon alle wartet- nämlich Rans Gespräch mit der süßen, kleinen Ai- kommt etwas anderes. Etwas, das ein wenig Licht in die Wahl des Titels dieser Fic bringen dürfte…
 

Ansonsten möchte ich mich wie immer an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kommentatoren bedanken! Dankeschön für eure Sicht der Dinge!
 

Und nun bleibt mir eigentlich nur noch übrig, euch viel Vergnügen beim Lesen zu wünschen…
 

Bis nächste Woche Mittwoch,

Hochachtungsvoll, eure Leira :D
 

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„Was starrst du ihn so an? Der geht schon nicht verloren.“
 

Sonoko ging neben Ran und schaute sie mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Ran wandte ihre Augen von Conan ab, der, eingerahmt von seinen kleinen Freunden, vor ihr herging- und warf ihrer besten Freundin den besten irritierten Blick zu, den sie zustande brachte und versuchte, sich ihren Schreck nicht anmerken zu lassen. Sie war gerade mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen…
 

„Ich… ich… ich starre ihn doch gar nicht an...! Wie kommst du darauf?“

Sie räusperte sich, versuchte wieder Herrin der Lage zu werden.

„Und selbst wenn, Sonoko- wo soll ich sonst hinsehen?“

„Na, dahin!“

Sonoko nickte nach vorne, wo zwei hoch gewachsene, zugegebenermaßen zumindest von hinten recht attraktive Oberschüler gingen, und grinste breit.

„Schöner Anblick, nicht?“

Ran schaute sie schräg von der Seite her an, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Sonoko, ich dachte, ich hätte dir erzählt, dass ich nen Freund hab.“, zischte sie aus dem Mundwinkel.

„Ja, das ist mir bekannt. Na und? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß! Sein Pech, wenn er sich nie blicken lässt.“

Ihre Stimme klang eindeutig provokativ.

Conan konnte nicht anders - reflexartig drehte sich um. Seine und Sonokos Blicke trafen sich kurz; dann wandte er sich wieder nach vorne, als ihn Ayumi fröhlich plappernd am Ärmel zerrte, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Das blonde Mädchen kniff die Augen nachdenklich zusammen, während sie auf den Hinterkopf des Grundschülers blickte, wo sich wie immer ein Haarbüschel sträubte, sich so etwas Banalem wie einer Frisur unterzuordnen.
 

Passt dir was nicht, Conan?
 

Ran wandte ihrerseits leicht verärgert wieder den Blick nach vorn. Das war so typisch für Sonoko. Manchmal verstand sie sie nicht.

Dann entspannten sich ihre Gesichtszüge, ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen - sie wusste ja, dass Sonoko solche Sachen nicht ernst meinte, sie nur ein wenig aufziehen wollte.

Gedankenverloren ließ sie ihre Augen über die Köpfe der Kinder schweifen, die immer noch wie eine kleine Herde vor ihr hertrabten.
 

Kinder, von denen nur drei wirklich so alt waren, wie sie aussahen.

Ayumi, Genta und Mitsuhiko.

Sie fragte sich, warum sie so unbedingt mit Conan befreundet sein wollten.

Fast jeden Tag holten sie ihn ab, zerrten ihn mit zum Fußballspielen, machten mit ihm und dem Professor Ausflüge, gingen mit ihm ins Kino oder zum Stadtbummel. Oder lösten einen Fall. Kurz tauchte in ihrem Kopf die Frage auf, was er eigentlich von dieser Detective Boys-Sache hielt - er wusste ja, dass das Metier nicht ungefährlich war, es konnte ihm doch unmöglich Recht sein… irgendwann würde sie sich mal mit ihm unterhalten, darüber. Er musste dieses Verbrecherjagen unterbinden, wenn er sie nicht auch noch in eine ganz spezielle Gefahr bringen wollte, aber das wusste er sicher selber.
 

Dann kehrten ihre Gedanken wieder zu ihrem eigentlichen Thema zurück.

Conan und seine Freunde. Freunde…
 

Shinichi war eigentlich der klassische Einzelgänger schlechthin gewesen, schon immer. Ganz nach Art von Sherlock Holmes - der war Zeit seines fiktiven Lebens auch nur mit einer Person, Watson, wirklich befreundet gewesen.

Seit jeher hatte Shinichi sich gehütet, sich zu sehr auf Mitschüler einzulassen, weil ihn das Misstrauen nie losließ, dass viele einfach nur mit ihm befreundet sein wollten, um seine berühmten Eltern kennen zu lernen. Auf solche Freundschaften konnte er verzichten.

Er war nicht unbeliebt - schließlich sah er nicht unbedingt übel aus, und die Tatsache, dass er sehr bald Kapitän der Schulfußballmannschaft geworden war, weil man sein Engagement schätzte, schadete seiner Popularität auch nicht gerade.

Früher waren es seine Eltern gewesen, die ihm diesen Beliebtheitsbonus verschafften, später dann, als er sich als brillanter Fußballer und noch brillanterer Detektiv herausgestellt hatte, stieg auch sein eigener Wert gegenüber den anderen. Die Mädchen himmelten den gutaussehenden, intelligenten Jungen an, schrieben ihm Liebesbriefe; die Jungs waren entweder neidisch oder versuchten, sich in seinem Glanz zu sonnen - ein Gefallen, den er ihnen nie tat.

Die wenigen, die’s vielleicht sogar ehrlich gemeint hätten, servierte er im Vorfeld ab. Er wollte sich einfach nicht zu tief auf solche freundschaftlichen Bindungen einlassen. Er war zufrieden als Einzelgänger. Als beliebter, verehrter, geachteter Einzelgänger.
 

Er kam mit den meisten aus, unterhielt sich mit ihnen in der Schule über belangloses Zeug - aber er ließ nie einen nahe genug an sich ran, um ihn wirklich kennen zu lernen. Er lud nie jemanden zu sich nach Hause ein, ging nicht mit ihnen irgendetwas unternehmen, was nicht schulischer Natur war.

Mit keinem.
 

Nur mit ihr.

Und Heiji, aber der war auch erst in jüngerer Geschichte dazugekommen. Ihn und Shinichi verband ihre gemeinsame Leidenschaft, schätzte Ran.
 

Aber nun - nun hing er mit diesen Kindern ab, und sie fragte sich, was ihn dazu trieb. Kinder, die deutlich unter seinem intellektuellen Niveau waren, weil sie eben Kinder waren.

Okay - es war offensichtlich, dass sie ihn manchmal nervten, aber er verhielt sich ihnen gegenüber anders. Er war mit ihnen tatsächlich befreundet. Sie gingen Spielen, ins Kino, Eisessen, Bummeln - all das, was er früher nie mit jemand anderem gemacht hatte als mit ihr.
 

Vielleicht war es diesmal anders, weil sie nicht wussten, wer seine Eltern waren.

Wer er war.

Weil sie mit Conan Edogawa befreundet sein wollten, nicht mit Shinichi Kudô.

Mit Conan, dessen Eltern im Ausland lebten, von denen sie nicht wussten, welche Berufe sie ausübten.

Mit Conan, den sie erst nach dem Beginn ihrer Freundschaft so richtig als Detektiven kennen gelernt hatten.

Sie wussten nichts von seiner Vorgeschichte, und es interessierte sie nicht.
 

Vielleicht deshalb?

Nicht zu vergessen, sie hatten sich zu einem Team zusammengeschlossen- einem Team unter seiner Leitung. Ein Freundeskreis, der keinen, der dazugehörte, jemals im Stich ließ. Eine Kette, in der kein Glied schwächer war als das andere.
 

Problematisch wurde es wohl nur, wenn es um Mädchen ging.

Ran grinste unwillkürlich.

Es war ganz klar, das Ayumi eine Schwäche für Conan hatte- und wie sie ihn kannte, war ihm das unbeschreiblich unangenehm. Es war klar, dass er versuchte, nur als Freund für sie zu fungieren, ihr keine Hoffnungen zu machen- aber er tat es dennoch, wenn auch unbewusst. Man verfiel ihm, einfach so, weil er war, wie er war.

Ran wusste, wovon sie sprach, schließlich sprach sie aus Erfahrung.

Genauso war es mit Ai.

Je mehr sie darüber nachdachte, das kleine Mädchen beobachtete, desto offensichtlicher wurde es eigentlich. Dass ihr vorher nie aufgefallen war, dass Ai heimlich, still und leise für Shinichi schwärmte, verwunderte sie im Nachhinein selber.

Sie hatte es bis jetzt noch nicht über sich gebracht, mit ihr zu reden…

Erstens, hatte sie ihm versprochen, nicht mit Ai über dieses Gespräch zu reden. Und eigentlich hielt sie ihre Versprechen.

Allerdings sorgte sie sich. Und sie wollte mit Ai ja eigentlich gar nicht über ihre Schwärmerei für ihren Freund reden- sie wollte mit Ai über das Schrumpfgift sprechen.

Über die Leute, die ihrem Freund das angetan hatten.

Über die Leute, die ihren Freund töten wollten…
 

Aber immer noch plagten sie Skrupel, einfach hinter seinem Rücken jemand anderen auszufragen, über Dinge, die seine Privatsache waren, von denen er nicht wollte, dass sie sie wusste. Die er ihr bewusst verschwieg. Jedes Mal, wenn sie das Thema anschnitt, blockte er ab, wich ihr aus, wechselte das Thema. Nur… langsam aber sicher riss ihr Geduldsfaden- aber noch war der Punkt nicht erreicht, an dem sie ihn so hintergehen würde.

Noch nicht.
 

Und wo sie gerade bei Ai war - sie zog noch ein Problem mit sich. Dass Genta in Ayumi verknallt war, war offensichtlich. Dass Mitsuhiko ebenfalls in die Kleine verliebt war, zeigte sich dadurch, wie sehr er manchmal mit Genta um ihre Aufmerksamkeit kämpfte.

Fakt war aber auch, dass Mitsuhiko wohl auch etwas für Ai übrig hatte.

Ran konnte es ihm nicht verdenken, Ai sah wirklich niedlich aus mit ihren rotblonden Haaren und großen, blauen Augen.

Andererseits wusste sie, dass genauso wie Ayumis Schwärmerei für Conan auch Mitsuhikos heimliche Liebe zu Ai wohl nichts als Tränen und gebrochene Herzen hervorbringen würde.

Und anders als Conan, der versuchte, nicht zu sehr auf Ayumis Avancen einzugehen, schon allein, weil ihm das wohl mehr als unangenehm war, schien Ai es entweder nicht zu merken, was mit Mitsuhiko los war, oder es einfach so abzutun. Sie nahm es nicht ernst.
 

Ran fragte sich, was mit ihr los war.
 

Dann allerdings zog Ayumis Piepsstimmchen alle Aufmerksamkeit auf sich. Das Mädchen deutete aufgeregt auf ein Filmplakat, das an einer Litfasssäule prangte.

„Ist das nicht toll, Conan? Kuck mal! Die berühmte amerikanische Schauspielerin Chris Finnjard…“

„Vineyard“, verbesserte sie Conan automatisch - und blieb dann wie angewurzelt stehen, starrte mit aufgerissenen Augen auf das Filmplakat, auf das Ayumi restlos verzückt hinwies.

„…gut, Vineyard - auf alle Fälle kommt sie nach Tokio zur Premiere ihres neuen Films ‚Denn am Ende steht der Tod’! Ist das nicht toll?! Angeblich soll sie schon da sein und sich Tokio ansehen! Die sieht so hübsch aus! Schau mal, was für schöne Haare die hat!“

Sie blickte zu Ai, in ihren Augen lag grenzenlose Begeisterung.

„Wenn du deine Haare wachsen lässt, Ai, vielleicht sehen sie dann genauso toll aus wie sie von der Schauspielerin!“
 

Ai verschluckte sich und begann zu husten, rang verzweifelt nach Luft. Ayumi klopfte ihr mitfühlend auf den Rücken.

Als ihre Freundin wieder Luft bekam, wandte sie sich Conan zu. Ihr Enthusiasmus war ungebrochen.

„Vielleicht sehen wir sie? Meinst du, sie gibt uns ein Autogramm, Conan?“

Conan sagte nichts, schien von der Welt um ihn herum gar nichts mehr mitzukriegen. Er stand nur da und starrte mit in den Nacken gelegtem Kopf und geweiteten Augen auf das Plakat an der Litfasssäule, auf dem Chris Vineyard mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen auf die Passanten herunterstrahlte.

Ran schaute ihn besorgt an. Er war in den letzten Sekunden kalkweiß im Gesicht geworden. Irgendetwas war nicht in Ordnung mit ihm, das spürte sie.

„Conan?!“

Ayumi stieß ihn in die Seite.

„Conan!“

Er drehte sich um.

„Was meinst du, Conan?“

„Äh…ja?“

„Echt!?“

Seiner verstörten Miene konnte Ran entnehmen, dass er keine Ahnung hatte, was Ayumi ihn gerade gefragt hatte. Er sah aus, als ob er ein Gespenst gesehen hätte.

„Wenn du sie tatsächlich triffst, kannst du sie ja nett fragen, ob du ein Autogramm haben kannst, Ayumi.“, meinte sie liebenswürdig. Sie warf Conan einen Blick zu, sah, dass er sich umgedreht hatte und grübelnd auf den Boden starrte. Ai, stellte sie fest, war mindestens genau so weiß im Gesicht geworden wie er und atmete schnell.

Das Mädchen war nervös…
 

„Gehen wir ins Kino, Conan? Schauen wir uns den Krimi an, ja? Der soll echt klasse sein!“, schlug Mitsuhiko eifrig vor.

„Ja!“, freute sich Genta. „Kino ist toll! Da gibt’s immer so gutes Popcorn und Kräcker und Cola…“

Conan schaute auf.

„Ja, machen wir das halt.“, murmelte er leise. Der Jubel seiner kleinen Freunde jedoch schien ihn nicht weiter zu interessieren, denn er ging einfach los, Richtung Schule.
 

Wenige Schritte hinter ihm folgte ihm Ai.

„Und, was machen wir?“, flüsterte sie, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte. In ihren Augen lag die nackte Angst, sie starrte so angestrengt in den Boden vor ihr, als wolle sie mit ihren Blicken Löcher in die Asphaltdecke bohren.

Ihre Lippen zitterten, ihre Hände hatte sie in ihren Manteltaschen vergraben.

„Wenn sie wirklich hier ist… wenn Vermouth tatsächlich in Tokio ist, und wir wissen beide, dass sie weiß, wer du bist, dann… dann… du bist in Gefahr, Shinichi. Und ich wohl auch. Wahrscheinlich ist sie nicht allein hier. Was willst du machen?“

„Woher soll ich das wissen?“, antwortete er gereizt.

Tatsächlich überschlugen sich in seinem Kopf die Gedanken.
 

Vermouth ist in der Stadt… Das wäre die Gelegenheit… aber wie?
 

„Kommt Kinder, wir müssen weiter, sonst kommen wir noch zu spät in die Schule.“

Ran schob die drei anderen Kinder vor sich her, ließ Conan dabei nicht aus den Augen.
 

Sonoko ging neben ihr und schaute den kleinen Jungen und ihre Freundin skeptisch an. Ihr waren seine Reaktion und Rans besorgter Gesichtsausdruck keinesfalls entgangen.
 

Irgendetwas ist los mit euch. Ich weiß nur noch nicht, was...
 


 

„Das ist sie. Sie war heut Morgen in der Post. Hab sie grad aus dem Briefkasten geholt.“

Conan hielt dem Professor die Karte hin.

„Die Einladung zur Premierenfeier von „Denn am Ende steht der Tod“ mit Sharon Vineyard in der Rolle einer perfiden Mörderin. Entschuldigung, Chris Vineyard, meinte ich. Die Rolle scheint ihr nichtsdestotrotz wie auf den Leib geschneidert.“

Er grinste sarkastisch. Jetzt, ein paar Stunden nach der schockierenden Nachricht, dass ein Mitglied der Schwarzen Organisation in der Stadt war, hatte er sich wieder voll und ganz im Griff.

Schließlich hatte er doch auf eine solche Gelegenheit gewartet- die Frage stellte sich nur, wie er sie nutzen sollte. Ob er sie nutzen sollte.

Agasa nahm die Karte entgegen.

„Wie immer an Shinichi Kudô gerichtet.“, murmelte er.

„Und von ihr höchstpersönlich mit ‚Vermouth’ unterzeichnet.“

Ai, die auf der Couch saß und in einer Modezeitschrift blätterte, schaute auf. Sie machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen- und er ging nicht um das Sofa herum, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Sie ahnte, woher sein abweisendes Verhalten rührte- und konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihm dafür dankbar sein sollte oder nicht.

Einerseits könnte sie einen Freund brauchen, der ihr half, ihr beistand- und andererseits war sie fast froh, wenn sie ihn und Ran nicht sah, weil sie dann nicht so sehr daran erinnert wurde, was ihr entging.

Sie wusste es nicht, wusste nicht, was ihr lieber war.

Sie ahnte, er würde da sein, wenn sie ihn brauchte- aber jetzt einfach unbefangen mit ihm Smalltalk machen, dass könnte sie wohl auch nicht. Jetzt, wo er anscheinend Bescheid wusste - und das nicht von ihr. Er hatte ihr nie einen offiziellen Korb gegeben, weil sie ihm nie offiziell ihre Gefühle gestanden hatte.

Und das war es, was wohl auch noch zwischen ihnen stand. Irgendwann würde sie für klare Verhältnisse sorgen müssen.

Aber nicht heute.

Heute war ein anderes Thema weitaus wichtiger.
 

„Und? Gehst du hin?“, fragte sie nun, drehte sich jetzt doch um. Das hier war schließlich eine ernste Sache.

„Ich weiß nicht…“, murmelte er, hob nun doch den Kopf. Kurz trafen sich ihre Blicke. Dann wandte er sich wieder ab, warf einen Blick auf die Karte in den Händen des Professors.

„Ich wäre dumm, wenn ich hingehe, und mindestens genauso dumm, wenn nicht. Ich werd’s mir noch mal durch den Kopf gehen lassen. Ich sag dir Bescheid, wenn ich mich entschlossen habe, schließlich betrifft uns das wohl beide.“

Er seufzte.

„Ich frage mich, was sie damit bezweckt… Vermouth...“
 

Er nahm dem Professor die Karte ab und steckte sie wieder in die Innentasche seiner Jacke.

„Tja. Ich geh dann mal, sonst macht sich Ran noch Sorgen.“

„Ja, mach das mal.“

Ai hatte den Blick wieder in ihr Magazin gesenkt, blätterte um.

Damit verließ der kleine Junge den Raum, ohne sich noch mal zu ihr umzudrehen.

Ai schaute ihm hinterher, als er den Raum verließ. Der Professor warf ihr einen fragenden Blick zu, dann folgte er seinem sehr jugendlichen Freund nach draußen, wo er ihn verabschiedete.

Als er wieder ins Zimmer zurückkam, schien das rotblonde Mädchen tief in ihrer Lektüre versunken. Er betrachtete sie ein paar Minuten- sie blätterte nicht um, ihre Augen bewegten sich nicht einmal.

Der alte Mann seufzte.

„Ai, was ist los mit euch beiden? Ihr redet miteinander, ohne euch wirklich anzusprechen, ihr seht euch kaum an… liegt das nur daran, dass er jetzt mit Ran fest befreundet ist? Dass sie jetzt weiß, wer er ist?“

Ai schüttelte den Kopf, ohne aufzusehen.

„Was ist es dann?“

Der Professor setzte sich in den Sessel ihr gegenüber und betrachtete sie aufmerksam.

Lange sagte sie nichts.

Schließlich-
 

„Er weiß es.“

Der Professor zog die Augenbrauen zusammen.

„Was weiß er?“
 

Doch Ai blieb ihm die Antwort schuldig. Es klingelte an der Haustür, und das Mädchen ging, um zu öffnen.

Draußen standen Ayumi, Genta und Mitsuhiko, um sie zum Spielen abzuholen.
 

Der alte Mann schaute ihr nur ratlos hinterher.

Und fragte sich insgeheim, ob es wirklich etwas brächte, wenn er Shinichi die gleiche Frage stellen würde.
 


 

Mittlerweile war es Abend. Nachdem er vor dem Fernseher eingeschlafen war, hatte Ran Conan ins Bett gebracht, was ihr ein mildes Lächeln entlockt hatte. Zum einen, wegen der Tatsache, dass sie ihren Freund ins Bett brachte, zum anderem wegen seinem fast schon entsetzten Blick, als er kurz noch mal wach geworden war, und feststellte, dass sie ihn zudeckte.

Sie wusste, ihn nervte die Tatsache, dass sein kleiner Körper nach mehr Schlaf verlangte, und heute hatte er die Quittung für sein tagelanges nächtliches Lesen bekommen- aber dass er vorm Fernseher einschlief, war schon fast entwürdigend für ihn. Sie hatte es nichtsdestotrotz genossen, ihn ein wenig umsorgen zu können.

Nun stand Ran im Wohnzimmer und schaute sich um. Ihr Vater war Mah-Jongg spielen, also hielt sich das Chaos in Grenzen. Gedankenverloren griff sie nach Conans Jacke, die über der Sofalehne hing, wollte sie gerade zusammenfalten- als sie stutzte.
 

Aus einer Tasche war ein weißer Umschlag geflattert.

Sie hob ihn auf, biss sich nachdenklich auf die Lippen.

Es war eine Einladung, wie ein schön geschriebener Schriftzug auf der Außenseite verriet.
 

Eigentlich war es ihr zuwider, seine Post zu lesen, aber irgendetwas ließ sie diesmal ihre Bedenken ignorieren.

Sie öffnete die Karte und erstarrte.
 

Sie war an Shinichi Kudô gerichtet.
 

Das alles wäre ja noch nicht weiter verwunderlich gewesen, aber der Absender dieser Karte lud ihren Freund zur Premierenfeier von ‚Denn am Ende steht der Tod’ ein, den Film, über den sie heute schon diskutiert hatten.
 

Und unterschrieben war sie von jemandem namens Vermouth.
 

Vermouth?
 

Sie zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

Der Name kam ihr bekannt vor, aber ganz einordnen konnte sie ihn noch nicht...

Viel wichtiger war aber jetzt auch: wer war Vermouth? Und was wollte er oder sie von Shinichi?
 

Nun- Shinichi schien ihr davon wohl nichts erzählen zu wollen, sonst hätte er sie doch sicher gefragt, ob sie hingehen wolle.

Er hatte sie doch schön öfter mal mit seinen Einladungen auf Feste geschickt… aber diesmal nicht. Warum nicht?

War es wegen Vermouth?
 

Es gab eigentlich nur eine Sache, über die sich Shinichi ihr gegenüber beharrlich ausschwieg, und das war die, wie er zu Conan geworden war. Er sagte ihr sonst alles, nur darüber- darüber verlor er nie ein Wort, dem Thema wich er immer aus.

Conan…
 

Er hatte das Plakat so voller Entsetzen angestarrt, heute Morgen. Die Neuigkeit, dass Chris Vineyard in der Stadt war, hatte ihn schier fassungslos werden lassen.

Und auch Ai… Ai hatte sich doch verschluckt, als Ayumi ihr den scheinbar harmlosen Vorschlag gemacht hatte, sich die Haare wachsen zu lassen, um so auszusehen wie die schöne Schauspielerin aus Amerika…
 

Irgendetwas sagte ihr, dass das eine mit dem anderen einiges zu tun hatte.
 

Sie ließ die Jacke fallen und stieg runter in die Detektei.

Dort untersuchte sie die Einladung genauer. Es war eine auf etwas dickeres Papier gedruckte Karte, handschriftlich mit schwarzer Tinte unterschrieben von Vermouth.
 

Ansonsten wies sie keine Besonderheiten auf. Keine Verzierungen, keine Bilder, auf der Außenseite war sie völlig blank.
 

Sie schluckte, dann schaltete sie den PC ein, legte die Karte unter den Scanner und kopierte die Einladung auf die Festplatte.
 

Ran fuhr sich nervös durch die Haare. Sie war unschlüssig, wie sie weiter verfahren sollte. Wenn Shinichi je erfuhr, was sie hier trieb, dann würde er ihr den Kopf abreißen, soviel stand fest. Aber diese Geheimnistuerei hielt sie nicht mehr aus- es wurde Zeit, dass sie auf eigene Faust etwas unternahm. Sie faltete die gescannte Karte wieder und steckte sie zurück in den Umschlag, legte sie auf den Schreibtisch. Dann startete sie ein Bildbearbeitungsprogramm und modifizierte die Karte.
 

Sie lud sich selbst zur Premiere ein. Mit etwas Glück würde man keine Gästeliste haben, sondern nur anhand der Einladungen die Gäste kontrollieren…
 

Als sie den Namen Shinichis gelöscht und mit der gleichen Schriftart ihren Namen eingefügt hatte, druckte sie das Blatt aus. Sie hatten ähnliches Papier noch da, die Reste stammten von den Visitenkarten für ihren Vater, die sie gedruckt hatte.

Sie zog es aus dem Drucker, schnitt es zu und hielt es prüfend neben das Original.
 

Zu guter Letzt zeichnete sie mit einem schwarzen Füller die Unterschrift nach und faltete die Karte in der Mitte.

Ran hielt sie ein wenig von sich weg und betrachtete ihr Werk.
 

Ziemlich gut für einen Laien, dachte sie bei sich. Hoffentlich klappte das.

Sie seufzte.

Auf den ersten Blick ging sie wohl als Einladung durch, genauer ansehen durfte sie aber wohl keiner...

Sie ging hoch in die Wohnung, steckte die Karte wieder in seine Jacke, schob sich ihre Fälschung in die Handtasche.

Einen Versuch war es wert. Was konnte schon passieren? Im schlimmsten Fall würde man sie rauswerfen.

Aber bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzte, musste sie sich noch mit jemandem unterhalten.
 

Noch lange lag sie wach in dieser Nacht- ihr ging der Name Vermouth nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwo hatte sie ihn schon gehört, gesehen - aber wo?
 

Wo?

Von Frau zu Frau

Guten Tag allerseits!
 

An dieser Stelle möchte ich mich zuallererst für die Kommentare zu meinem letzten Kapitel bedanken! Ich hab mich wirklich sehr über jeden einzelnen gefreut! :)
 

Und um einen kleinen Hinweis zu geben: nicht alles, was im letzten Kapitel auf den ersten Blick als Logikfehler erschien, wird sich auch im Nachhinein als einer rausstellen. Auf Deutsch: Okay, ihr habt mich- die Einladung war eben ein sehr klares, schlicht gehaltenes Schreiben, einfach zu fälschen (unterschätzt die moderne Bildbearbeitung nicht *g*), ich geb zu, da hab ich mich weit aus dem Fenster gelehnt- aber dass Vermouth auf der Karte und nicht auf dem Umschlag unterschrieben hat, hatte seinen Grund.

Den erfahrt ihr aber noch nicht in diesem Kapitel... ;)
 

Wobei ich anmerken muss: ich bin keinesfalls perfekt und grunsätzlich dankbar, wenn man mich auf den Mist, den ich gelegentlich fabriziere, hinweist. Manchmal sieht man die eigenen Fehler nicht... ^^;
 

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
 

Liebe Grüße, eure Leira :)
 

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Am nächsten Abend stand Ran im Türrahmen von Ais Labor im Keller von Professor Agasas Haus.
 

Den ganzen, lieben, langen Tag hatte sie überlegt, ob sie es tatsächlich tun sollte - tatsächlich ihr Versprechen, dass sie ihm gegeben hatte, brechen sollte und mit Ai reden.

Fakt war - Sonoko hatte sie heute in der Schule schon auf ihre Unaufmerksamkeit angesprochen… es war wohl wirklich augenscheinlich, dass etwas mit ihr los war, sie etwas beschäftigte. Sie war mit den Gedanken ganz woanders gewesen. Mehr als diesen Satz hatte Sonoko dann auch von ihr nicht als Antwort bekommen.

Shinichi schien ebenfalls irgendetwas zu ahnen - er warf ihr den ganzen Tag schon so sonderbare Blicke zu. Sie fühlte sich irgendwie nackt - als würde er ihre Gedanken lesen können. Sie wusste, das war Humbug - natürlich konnte er das nicht- aber egal, ob sie es wahrhaben wollte oder nicht, so wie sie wusste, wenn mit ihm etwas nicht stimmte, so schien auch er zu merken, wenn sie selbst etwas aus dem Takt war.

Er kannte sie eben.

Allerdings hätte sie nie geahnt, dass er sie so gut kannte.
 

Sie hatten die Schuldgefühle geplagt, ihr schlechtes Gewissen hatte ihr im Nacken gesessen, sie wie mit vielen, kleinen, spitzen Nadeln gepiesackt, erinnerte sie seit heute Morgen mit jedem Pieks und jedem Zwicken daran, was sie ihm versprochen hatte. Jetzt schon, obwohl sie noch gar nichts getan hatte.

Auf dem Weg von der Schule nach Hause hatte sie sich dann wieder eingeredet, dass sie im Grunde genommen ja ihr Versprechen gar nicht brach- er hatte von ihr lediglich verlangt, nicht über ihre Beziehung, über Liebe und dergleichen mit Ai zu reden.

Alles andere war ja eigentlich erst hinterher gekommen…
 

Allerdings hinterging sie ihn, nichtsdestotrotz, indem sie sich Informationen beschaffte über Dinge, von denen er nicht wollte, dass sie sie wusste.
 

Aber sie hatte es satt…

Sie hatte diese Geheimnistuerei so satt.

Egal wie oft sie ihm sagte, er sollte ihr einmal vertrauen, sich von der Seele reden, was ihn belastete- ihr endlich den Grund nennen, wie er zu Conan geworden war und warum - nichts.

Er blockte immer, immer, immer wieder ab.
 

Warum sagte er es ihr nicht? Glaubte er etwa, sie hielt dem nicht stand?

Es musste ihm doch klar sein, dass allein sein abwehrendes Verhalten, was dieses Thema betraf, ihr sagte, dass er in Schwierigkeiten steckte, größeren Schwierigkeiten, als er ihr glauben machen wollte.

Es waren Leute hinter ihm her, die seinen Tod wollten- aber das war anscheinend noch lange nicht alles.

Er hatte Angst, das wusste sie. Auch wenn er es versteckte, wenn er es sich nie anmerken ließ- seine Sorgen sah man ihm an, in all den Momenten, in denen er sich unbeobachtet glaubte.

Wenn seine Augen blicklos in die Ferne starrten, sein bleiches Gesicht, dieses junge, viel zu junge Gesicht, auf einmal zu altern schien…
 

Nein. Das musste ein Ende haben.

Ran straffte die Schultern.
 

Professor Agasa hatte sich etwas gewundert, dass Ran um diese Uhrzeit und noch dazu allein, zu ihm kam - aber er hatte sie bereitwillig hereingelassen.

Und so war sie wieder am Anfang- im Türrahmen zu Ais Labor.

Das Mädchen schien noch gar nicht bemerkt zu haben, dass sie nicht mehr allein war- zumindest ignorierte sie aber diese Tatsache, obwohl Ran nun doch schon einige Zeit in der Tür stand.
 

Die Kleine saß auch heute wieder, wie eigentlich fast immer, an ihrem Computer und machte Eingaben in ihren Rechner. Als sie nach ein paar weiteren Minuten immer noch keine Anstalten machte, sich um ihren Besuch zu kümmern, sondern ununterbrochen weitertippte, räusperte Ran sich vernehmlich.
 

Keine Reaktion.
 

Ein weiteres, lauteres Räuspern folgte.
 

Immer noch keine Reaktion.
 

Ran seufzte. Dann eben anders…
 

„Wir müssen reden, Ai.“
 

Das Klappern der Tastatur setzte kurz aus.

Dann wurde es fortgesetzt.
 

Ran legte den Kopf in den Nacken, seufzte erneut, lauter.

Himmel, diese Frau war stur.
 

„Ai, es ist wichtig. Wirklich. Wir müssen reden.“
 

Ai hob die Hände von der Tastatur, legte sie daneben ab. Langsam dämmerte ihr, dass egal, wie sehr sie Ran ignorieren würde, diese heute trotzdem so schnell nicht loswurde. Ran würde nicht gehen, ohne mit ihr geredet zu haben.
 

Also schön- dann bringen wir’s hinter uns. Er gehört dir…
 

Bestimmt hatte er es ihr gesagt. Hatte ihr gesagt, was er wohl von seiner Mutter wusste- nämlich, dass sie ihn liebte. Und Ran sah in ihr wohl eine potentielle Konkurrentin, die man in die Schranken weisen musste. Sie ging davon aus, nein, eigentlich war sie sich sicher, dass Ran hier war, um ihr Revier abzustecken, oder wie auch immer. Auf solche Gespräche hatte sie definitiv keine Lust, aber da musste sie jetzt wohl durch.

Des Weiteren wusste sie nicht, ob sie in Ordnung finden sollte, dass er ihr das alles erzählte. Ja, schön- sie war seine Freundin- aber rechtfertigte das alles?

Als ob es für sie nicht schon schwer genug war, dass er mit einer anderen glücklich war.

Da verliebte sie sich einmal- und dann unbedingt in so einen ignoranten Egozentriker, der noch dazu hoffungslos eine andere liebte. Sie wünschte sich, sie hätte damals bei den Kudôs die Klappe gehalten. Sie hätte dieses verdammte Gift abliefern und wieder nach Hause gehen sollen. Niemand hätte je erfahren sollen, was sie dachte, fühlte… dann könnte sie sich das hier jetzt sparen.

Sie stöhnte frustriert auf.
 

„Er erzählt dir wohl wirklich alles, nicht wahr...“

Ihre Stimme klang seltsam abweisend, emotionslos.

Das rotblonde Mädchen drehte sich nicht um; stattdessen tippte es nun wieder emsig weiter. Sie hoffte innerlich, dass sie die Sachlage in absehbarer Zeit geklärt hatten und ihr Besuch baldmöglichst wieder verschwinden würde.

Ran tat ihr den Gefallen allerdings nicht.
 

„Eben nicht, und deswegen bin ich hier. Ich habe ein paar Fragen an dich.“

Ran verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den Hinterkopf des rotblonden Mädchens an.

„Und warum, denkst du, würde ich dir deine Fragen beantworten?“
 

Sie drehte sich nun doch auf ihrem Drehstuhl um. Ran musterte sie eingehend.

Ein kleines Mädchen- ein süßes Gesicht, kleine Hände, kurze Beine, die ein Stück über dem Boden baumelten, wie sie so auf ihrem Stuhl saß…

Ein süßes kleines Ding, ein niedliches Mädchen- das nur auf den ersten Blick wie eines wirkte.

Auf den zweiten nicht mehr.

Ein kleines Mädchen mit einem Ausdruck von Seelenqual, Verlust und Schmerz in den großen, azurblauen Augen, der das scheinbar jugendliche Alter, das ihre Größe und ihr Gesicht vorzutäuschen versuchten, Lügen strafte.
 

Wie bei Shinichi… dass mir das nicht früher aufgefallen ist…?
 

„Ich will wissen, wer ihm das angetan hat, und warum. Und mich würde interessieren, warum du deine Zeit und deine Intelligenz darin investierst, Schrumpfgifte zu erfinden. Und…“
 

„Und…?“, hakte Ai nach. Sie war einerseits erstaunt und skeptisch- hatte sie sich tatsächlich getäuscht? Aber eigentlich war es doch offensichtlich… nachdem er sich, was dieses Thema betraf, weiterhin so zugeknöpft gab, musste Ran ja anfangen, sich Fragen zu stellen, nach Antworten zu suchen…

Ran war nicht dumm- sie ahnte wohl, das mehr im Argen lag, als er ihr glauben machen wollte.

Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen.
 

Du bist ein Dummkopf, Shinichi…
 

Er unterschätzte die Frauen doch immer wieder. Ganz besonders aber unterschätzte er eine.
 

Ran schüttelte den Kopf.

Ai neigte ihr Kopf in mildem Interesse.

„Sonst nichts? Wirklich?“

Ran presste ihre Lippen aufeinander, schluckte die Frage, die ihr auf der Zunge lag, hinunter. Wenigstens ihr Versprechen wollte sie nicht brechen. Wenigstens das.
 

„Nein, nichts weiter. Das wär’s, und ich denke, das dürfte für eine Weile reichen...“

Das Mädchen schaute die junge Frau durchdringend an.

„Du willst es wissen, obwohl er es dir nicht sagen will?“

„Ja.“

Ihre Tonfall klang entschlossen.

„Hm.“

Ai verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Du hintergehst ihn.“

Das war eine Feststellung.

Ran blinzelte überrascht.

„Ich will wissen, was los ist.“, meinte sie dann, ihre Stimme klang fest, duldete keinen Widerspruch. Sie würde es ihm irgendwann irgendwie schonend beibringen müssen, was sie hier abzog, aber das interessierte sie fürs erste nicht. Sie wollte wissen, was das für ein Fall war, der ihren Freund an den Rand der Belastbarkeit trieb. Sie wollte ihn verstehen können. Ihm helfen.
 

„Du bist sicher, dass du das willst? Ich weiß nicht, ob er das so gut findet…“

„Fragt er mich denn, ob ich gut finde, dass er mir immer noch nicht die ganze Wahrheit erzählt?!“, entfuhr es Ran heftig. Dann schluckte sie, versuchte, ihre Fassung wieder zu finden.

„Ich hab ihm all die Lügen verziehen, ohne mit der Wimper zu zucken, und du solltest es mit am Besten wissen Ai, was er sich da alles geleistet hat. Und doch hält er es nicht für nötig, mir mal endlich alles zu sagen. Ist ja nett von ihm, dass er mich beschützen will, aber ich bin kein kleines Kind mehr…“

Sie biss sich auf die Lippen.

„Ich will wissen, mit wem er sich angelegt hat. Ich will wissen, wie das alles passiert ist. Ich will wissen, vor wem ich mich fürchten muss… denn nicht nur er ist in Gefahr, das macht er mir ja allzu deutlich mit seiner Geheimnistuerei. Mich so anzulügen und ins Messer laufen zu lassen finde ich nicht in Ordnung von ihm. Also- soll er sich aufregen, wenn er meint. Ich will die Wahrheit hören, Ai.“

Ai nickte langsam. Irgendwie- hatte Ran wohl Recht.

Sie grinste.

Und wenn er mit Ran über ihre Privatsachen plaudern durfte, dann galt das wohl auch umgekehrt.

„Also schön, wie du willst. Wenn ihr euch hinterher verkracht, bin ich nicht schuld.“

Ran wedelte ungeduldig mit der Hand.

„Jetzt erzähl’s endlich!“

Das kleine Mädchen glitt vom Stuhl, schnappte sich ihre Tasse und ging langsam durch den Raum, an Ran vorbei, die Treppe hoch, bedeutete ihr mit einem kleinen Wink, ihr zu folgen. Ran tat wie geheißen.
 

„Sie nennen sich die Schwarze Organisation. Sie alle tragen Schwarz, ihre Codenamen sind allesamt alkoholischen Getränken entlehnt, und die zwei Personen, die ihm das angetan haben, heißen Gin und Vodka. Ich war eine von ihnen, mein Name war Sherry, und eigentlich heiße ich Shiho Miyano. Meine Eltern, Elena und Atsushi Miyano haben schon für sie gearbeitet, sie kamen bei einem Unfall ums Leben. Meine Schwester, Akemi Miyano, wurde ermordet. Du kennst sie… sie lebte in Tokyo unter dem Pseudonym Masami Hirota…“
 

Ran wurde bleich.

„Masami…?“
 

Ai drehte sich um, schaute auf.

„Wie ich sehe, erinnerst du dich. Ich habe sie geliebt, meine Schwester. Und sie mich auch. Sie wollte mich da rausholen, mich freikaufen, deswegen der Eine-Milliarde-Yen-Raub. Aber die Organisation- sie wollte mich nie gehen lassen, sie hat sie nur benutzt, und dann ermordet, eiskalt umgebracht…“

Sie schluckte- ihre Stimme drohte rau zu werden, also hielt sie kurz inne. Ihre Gefühle gingen eigentlich doch keinen was an…
 

Nach all der Zeit fehlst du mir immer noch so sehr… Akemi?
 

Dann machte sie sich auf den Weg in die Küche, wo sie ihre Tasse unter den Kaffeeautomaten stellte.
 

„Und er war bei ihr, er war bei ihr, als sie starb. Er hätte das verhindern müssen, er wäre dazu in der Lage gewesen, er ist so brillant, so scharfsinnig, so intelligent, er hat doch gewusst, auf was sie aus war, wohin sie unterwegs war, stattdessen…“

Sie schluckte erneut. Hinter ihr brummte und brodelte die Kaffeemaschine. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee erfüllte den Raum.

„… hat er versagt.“

Ran starrte sie regungslos an, ohne zu blinzeln.

Ai sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, ihre Stimme zitterte, brach fast, aber sie hatte sich gut im Griff. Ein weiteres Indiz dafür, dass Ai nicht die war, die sie zu sein schien.
 

Wie sehr hast du schon gelitten, Ai…
 

Das Mädchen schaute auf, in Rans Gesicht, dann nahm sie ihren Kaffee, nippte an dem heißen Getränk, ehe sie weitersprach.
 

„Da habe ich mich geweigert. Mich geweigert, weiterzuarbeiten, an diesem Gift zu forschen, das ihn hätte töten sollen.“

Ran wankte, wurde bleich.

Ai blickte sie an, dann packte sie sie an der Hand und zog sie zu einem Stuhl.

„Eigentlich sollte er dir das erzählen, Ran.“, flüsterte sie.

Ran schluckte. In ihrem Kopf schwirrte es, ihr war furchtbar schlecht. Sie nahm dankbar Ais Kaffeetasse entgegen, die ihr das Mädchen entgegenhielt, trank einen Schluck, gab sie ihr zurück, wischte sich mit zitternden Händen übers Gesicht.
 

Töten… es hätte ihn töten sollen…

Um ein Haar wäre er nicht mehr am Leben, wir hätten uns nie… er wäre schon seit über zwei Jahren tot…
 

Sie schaute Ai an.

„Erzähl… erzähl weiter.“

Ihre Stimme bebte.

„Wirklich?“

Das rotblonde Mädchen sah sie unschlüssig an.

„Ja, sicher.“

Ran atmetet tief durch. Ai räusperte sich.

„Schön, also… gut. Wo war ich? Ach ja. Es… das Gift, es hätte todbringend sein sollen, aber es funktionierte nicht bei allen. Bei ihm nicht und bei mir. Zu den Umständen, wie und warum er es gekriegt hat, weiß ich nicht viel. Es passierte wohl auf dem Rummelplatz, er hatte zuviel gesehen - Dinge gesehen, die niemand hätte sehen sollen, wurde überfallen, soviel weiß ich. Nicht von ihm, sondern von Gin und Vodka. Er hat nie darüber geredet. Ich habe ihn gefragt, aber er hat nur immer den Kopf geschüttelt, sich ausgeschwiegen. Aber ich denke, was diese Geschichte betrifft, kann man Vodka und Gin vertrauen. Nun… weil noch zu viele Polizisten vor Ort waren, konnten sie ihn nicht erschießen, man hätte den Schuss gehört und sie wären verhaftet worden; also haben sie ihn… ihn als menschliches Versuchskaninchen benutzt. Er war der erste Mensch, dem man das Gift verabreicht hat. Ich habe es freiwillig genommen, als man mich in Beugehaft sperrte. Sie wollten mich dazu zwingen, weiter zu arbeiten, nach dem Mord an Akemi. Ich wollte nicht. Ich wollte nicht mehr leben, ohne meine Schwester… also hab ich das Gift genommen, mit der Absicht, daran zu sterben. Ich starb nicht, wie du siehst. Als Kind war ich klein genug, um fliehen zu können, stahl mich davon- ich wollte zu ihm, von dem ich glaubte, er würde mein Schicksal teilen, weil wir seine Leiche nie fanden. Vor Professor Agasas Haus verließen mich die Kräfte, er hat mich gefunden und mir ein Heim gegeben- seitdem bin ich hier. Und versuche, ein Gegenmittel zu erfinden, um meine Schuld zu begleichen…“
 

Ran fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er steckte in größeren Schwierigkeiten, als sie geahnt hatte.

„Und wenn sie euch finden…“
 

„Dann sind wir tot.“

Ai nickte schwer.
 

„Chris Vineyard…“, begann Ran.

„Was hat sie damit zu tun?“
 

Das kleine Mädchen schaute überrascht auf.

„Wow, du bist gut. Woher ziehst du die Schlussfolgerung, dass sie damit zu tun hat?“

„Aus deinem und Shinichis Gesichtsausdruck heut morgen.“

Sie seufzte.
 

Das kleine Mädchen wiegte den Kopf, dann lächelte es anerkennend.

Ran verengte nachdenklich die Augen.

„Ai, kann es sein, das Chris Vineyard Vermouth ist?“

„Woher…?“

Die Kleine schaute sie erstaunt an.

„Ich hab nachgedacht - der Name Vermouth, ich kenne ihn. Mein Vater hat von ihr auch schon mal eine Einladung erhalten, zu einem Kostümfest auf einem Schiff - genauso wie wohl Shinichi, an dem dann aber Heiji an seiner Stelle teilgenommen hat. Ich hab die ganze Nacht darüber nachgedacht - kurz vor halb zwei Uhr früh ist es mir eingefallen… dann euer Blick auf das Gesicht von Chris Vineyard und das hier…“
 

Ran zog die gefälschte Einladungskarte aus ihrer Jacke.

Ais Augen wurden groß.

„Was? Du wurdest auch eingeladen?“

Ran starrte das Mädchen an, dann schüttelte sie langsam den Kopf. Ais Augen wurden noch größer, als die Erkenntnis sie traf.

„Du hast seine Karte gefälscht?!“

Ihre bis gerade eben noch so gefasste Stimme überschlug sich nun fast.

„Bist du verrückt, Ran?!“
 

„Ich will endlich wissen, was los ist. Also ist Vermouth Chris Vineyard?“

Ai schaute sie an.

„Würde an meiner Stelle Shinichi antworten, würde er sagen: Ja, und Nein, meine Liebe…“

Die junge Frau schaute sie fragend an.

„Chris Vineyard ist Vermouth und auch wieder nicht. Chris Vineyard ist der neue Name von Sharon Vineyard und sie ist Vermouth.“

Rans Kinnlade klappte nach unten.

„Aber… aber das ist unmöglich, Sharon ist…“

Ai unterbrach sie mit einer herrischen Geste.
 

„Ran- nachdem du mich und Shinichi jetzt kennst, hältst du es da wirklich noch für unmöglich…?“

Ran schaute sie an, schüttelte den Kopf. Dann ließ sie sich gegen die Lehne sinken.

„Du hast Recht.“

„Ich weiß. Im Übrigen war er derjenige, der’s herausgefunden hat. Und Vermouth- sie ist gefährlich, Ran. Leg dich nicht mit ihr an. Sie weiß nämlich auch, wer wir sind. Warum sie’s noch nicht verraten hat, weiß nur der liebe Gott…“
 

„Gibt es einen Gott…?“, murmelte Ran abwesend.

Ai starrte sie fragend an.

„Wie meinst du das?“

Ran blinzelte.

„Ach nichts. Ich hab mich nur gerade an etwas erinnert.“

Sie lächelte unverbindlich. Ai legte ihre Stirn in Falten.

„Wie du meinst. Aber ich würde dir raten, geh da nicht hin. Du bringst dich nur unnötig in Gefahr, Ran. Du kannst ihm das nicht antun, nicht nach allem, was er für dich schon durchgemacht hat.“

Sie nickte mit dem Kopf zur Einladung in Rans Hand.

„Die Frau ist der Teufel, und sie macht das Leben eines jeden zur Hölle, der ihr zuwider handelt.“
 

Doch einem Engel vermag nicht einmal der Teufel etwas anzutun…
 

Ran schaute nachdenklich an die Decke. Sharon Vineyard eine Mörderin…? Vielleicht, aber nicht ihre. Die Frau würde ihr nichts antun, das wusste sie... irgendwie wusste sie das. Und jetzt machte auch die Szene damals Sinn.
 

Move it, Angel!
 

Sie war es gewesen.

Die Frau damals, an jenem Abend, an dem sie sich im Kofferraum von Jodies Wagen versteckt hatte, war sie gewesen. Sie war die Frau, die Jodie hatte stellen wollen, und es nicht konnte. Sie war die Frau gewesen, die Conan- nein, Shinichi!- mitgenommen hatte- und ihn in ihrem Wagen sitzen gelassen hatte. Sie war die Frau gewesen, die Ai damals, an jenem Abend, umbringen wollte…

Diese blonden Haare, diese Augen, diese Lippen - sie war die Frau auf dem Plakat.
 

Sie konnte dich nicht erschießen Ai, nicht, solange ich noch vor dir stand. Weil sie mich nicht erschießen wollte, weil ich der Engel war, der sie angelächelt hat. Wann und wie auch immer... Und ihn konnte sie auch nicht töten, sie hätte die Gelegenheit gehabt… warum? Was spielt sie für ein Spiel?
 

„Ich rate dir, hüte dich vor ihr.“

Ran schreckte aus ihren Gedanken hoch, schaute die sehr jugendliche Forscherin musternd an. Dann warf sie einen langen Blick auf ihre Einladung.
 

„Geht er hin?“

„Weiß er noch nicht.“
 

Ran seufzte.

„Wenn er hingehen würde, was würde er da wollen?“

Ai fixierte sie mit ihren blauen Augen. Ihr war unwohl.

„Du fragst mich aus, Ran. Warum fragst du ihn nicht?“

„Weil er mir keine Antworten gibt. Ich will wissen, was los ist, das hab ich dir doch bereits gesagt. Und bei dir kann ich an dein Schuldgefühl appellieren. Du und dein Gift seid der Grund, warum er und ich nicht zusammen sein können.“

Ran schaute sie ernst an. Dann lächelte sie traurig.
 

„Aber ihr seid doch…“, begann Ai irritiert.

„Ja, sicher. Aber schau uns doch einmal an. So wie es jetzt ist, sind wir nur platonisch ein Paar. Wir sind uns so nahe und gleichzeitig so weit von einander entfernt wie nie zuvor. Weißt du wie schrecklich das ist? Jedes Mal wenn ich Conan sehe, sehe ich Shinichi, und weiß doch, dass zwischen uns Welten liegen. Es gibt keine Nacht, in der ich nicht träume, es wäre alles wieder so wie an Heiligabend. Und ihm geht es genauso, ich weiß es. Er erträgt es kaum noch, auch wenn er nach außen hin den Starken raushängen lässt. Wir arbeiten zwar dran, wir versuchen, damit umzugehen, aber er weiß es, und ich weiß es auch, dass die Zeit, die wir das aushalten können, begrenzt ist. Ich habe mir das viel einfacher vorgestellt. Ich habe Angst, dass irgendeiner von uns zusammenbricht, irgendwann. Das Verhältnis zwischen uns stimmt nicht mehr… und doch lieben wir uns so sehr, dass wir nicht loslassen können.“
 

Ai schaute sie betroffen an.

„Denkt er genauso?“

„Er war derjenige, der das Thema auf den Tisch gebracht hat. Wir wollen es beide nicht wahrhaben, aber so den Alltag zu meistern ist sehr viel schwerer, als ich es mir je vorgestellt hätte, auch wenn ich versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er macht sich so schon viel zu viele Sorgen…“

Sie seufzte betrübt, dann schaute sie Ai fragend an.

„Schau mich nicht so an, Ran. Ich hab es ihm bereits gesagt, ein Gegengift liegt in weiter Ferne. Ohne das Gift kann ich es nicht herstellen, und selbst wenn ich das Gift einmal hätte, würde es noch lange dauern, bis das Gegenmittel reif zur Anwendung ist. Wenn es überhaupt machbar ist. Um die Symmetrie zwischen euch wieder herzustellen …“

„… müsste ich schrumpfen?“
 

Ai starrte sie entsetzt an.

„Das hab ich nicht gesagt! Schlag dir das aus dem Kopf, Ran, er würde mich töten. Ernsthaft. Das wäre der erste Mord, den er verübt. Er würde mich umbringen, wenn dir durch mein Gift etwas zustößt. Er würde nie wollen, dass du dir das antust. Niemals. Glaub mir, er erträgt alles, aber das würde ihn zugrunde richten. Vertraue auf ihn, er hält einiges aus…“
 

„Wenn er auf die Feier ginge, was würde er da wollen?“, wiederholte Ran nun ihre Frage, laut und deutlich. Ai zuckte zusammen.

„Ran, ehrlich. Lass es so wie es ist, es scheint jetzt ganz furchtbar zu sein, aber ihr gewöhnt euch daran…“

„Was – würde – er – da – wollen?“

Ran hatte sich zu dem kleinen Mädchen hinuntergebeugt, das ihren Kaffeebecher umklammerte. Ai schluckte.

„Hinweise auf die Organisation, optimalerweise verbunden mit einer Probe des Gifts.“, wisperte sie leise, schaute Ran dabei nicht an.
 

„Schön.“

Ran nickte und richtete sich wieder auf.

„Wie hoch sind seine Chancen, dass er da heil rauskommt, wenn er ihnen über den Weg läuft?“

Ai wurde bleich. Ran verstand.

„Nicht hoch, also… dann machen wir folgendes. Du beschäftigst ihn für morgen Abend, und ich gehe hin und seh zu, dass ich Sharon das Gift abluchsen kann.“
 

Ran fuhr sich durch die Haare. Der Plan war aberwitzig, und die Tatsache, ihn so hintergehen zu müssen, bereitete ihr Unbehagen, aber so wie es jetzt war, ging es nicht weiter. Nicht, wenn es eine Alternative gab. Wenn es eine Chance gab, das Verhältnis wieder zurecht zu rücken.

Ai, der mittlerweile gedämmert war, auf was die junge Frau hinauswollte, starrte sie entgeistert an.

„Du willst schrumpfen? Hörst du mir nicht zu? Das Gift hätte tödlich sein sollen! Für die meisten seiner Opfer war es das auch! Keiner kann wissen, wie dein Körper darauf reagiert…!!!“

Ihre Stimme überschlug sich fast.

Ran schaute die Kleine fest an.

„Dann wünsch mir Glück, Ai. Ich verlasse mich auf dich. Sorge dafür, dass er daheim bleibt. Und ich gehe davon aus, dass dieses Gespräch unter uns bleibt. Genau genommen… hat es so nie stattgefunden.“
 

Sie drehte sich um, wollte gehen, als eine leise Stimme sie zurückhielt.
 

„Du weißt, was er für mich ist. Und nebenbei ist er der beste Freund, den ich je hatte... er hat mir eine Chance gegeben, die ich nicht verdient hab...“, wisperte Ai, schluckte.

Sie holte tief, tief Luft, bevor sie fort fuhr.

„Und ich mag dich, irgendwie. Und weil ich weiß, dass er dich liebt, mehr, sehr viel mehr, als er mich je lieben könnte, hab ich ihm an Weihnachten den Gefallen getan. Er war so verzweifelt, er hat mich fast auf Knien angefleht, etwas zu machen. Ich konnte… ich konnte das nicht… mit ansehen, wie er litt, deswegen hab ich mich hinter meine Reagenzgläser geklemmt. Das war es doch, die Frage, die du noch stellen wolltest, nicht wahr? Du wolltest wissen, wieviel da wirklich dran ist...

Er hat es dir gesagt, mit Sicherheit. Die Wahrheit über meine Gefühle. Seine Mutter wird es ihm gesagt haben, es ist offensichtlich, er verhält sich die ganze Zeit schon so anders… So abweisend, hält Abstand, es ist ganz klar, dass er mich in Ruhe lassen will, dass es ihm Leid tut, dass ich…“
 

„Ai…“, murmelte Ran leise. Ihre Stimme klang hilflos. Sie betrachtete das kleine Mädchen, das vor ihr stand, sie anschaute mit großen, drängenden Augen. Ihr Herz wurde von Mitgefühl erfüllt, Mitleid für dieses Kind- für diese Frau.
 

„Ich bitte dich, Ran, tu’s nicht. Mach das nicht. Es ist faszinierend und rührend, was du bereit bist, für ihn zu tun, aber er würde das nicht wollen. Und wenn dir etwas passiert, dann verzeiht er sich das nie. Du reißt ihn ins Unglück, Ran, wenn dir etwas zustößt. Ich bin dir etwas schuldig, das weiß ich, deswegen werde ich tun, was du verlangst… aber ich flehe dich an, überleg dir das. Du kannst die Konsequenzen nicht absehen, du spielst mit deinem Leben und mit seinem. Mach es nicht.“

Ihre Stimme klang flehend und verzweifelt.
 

Ran blinzelte, sagte nichts mehr. Dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und ging.

Auftakt

Guten Tag, allerseits!
 

Zuerst einmal: vielen, vielen Dank für eure Kommentare! Ich freu mich über jeden einzelnen, und ihr helft mir wirklich weiter damit! Es gibt einfach Dinge, die fallen einem selber nicht gleich auf.

Danke für Lob und Kritik :)
 

Anderes hat wiederum durchaus seinen Sinn- wie etwa eine gewisse mysteriöse Einladung mit einer gewissen Unterschrift einer gewissen Person…

Nun- ich hoffe, ich brings einigermaßen plausibel rüber, wünsche euch viel Vergnügen und gute Unterhaltung und verbleibe bis nächsten Mittwoch
 

Eure Leira :D
 

*verbeug*
 

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Es war jetzt halb zwei Uhr nachmittags.

Draußen schien die Sonne, die Temperaturen waren ungewöhnlich mild… ein wunderbarer Tag.
 

Nur eine Person hatte es gegeben, die das schöne Wetter wohl nicht so ganz genießen hatte können.
 

Conan.
 

Ai hatte heute, nach ihrem gestrigen Gespräch mit Ran, ihren lieben Freund und Leidensgenossen einmal etwas genauer beobachtet.
 

Fakt war, was Ran sagte, stimmte.

Es entsprach leider der Wahrheit.
 

Die gute Laune und die Fröhlichkeit, die er vor ein paar Wochen noch an den Tag gelegt hatte, war mittlerweile ganz klar nur noch Show. Man merkte, die Situation fraß an ihm, nagte an ihm, zehrte an seiner Substanz, Tag und Nacht.

Jedes Mal, wenn er nicht damit rechnete, dass ihn jemand ansah, legten sich tiefe Schatten auf sein Gesicht, starrten seine Augen ins Leere - er litt er an der Situation, die er selbst herbeigeführt hatte, man sah es.

Allerdings nur, wenn man wusste, wonach man suchen musste.

Er war ein exzellenter Schauspieler.
 

Aber Schauspieler hin oder her - diese Zwangslage, in der er steckte, all das Leid, das er ertrug, die Sorge, die auf seinen Schultern lastete, ihn unter sich zu begraben drohte - das alles waren auch die Gründe, warum Ai gerade telefonierte. Denn seither hatte sie sich Gedanken gemacht, wie sie Shinichi ablenken konnte, wie sie Ran helfen konnte.

Der Versuch, ihn zu überreden nicht hinzugehen, würde wohl angesichts der Tatsache, dass er wirklich alles darum geben würde um wieder groß zu werden, eher nicht von Erfolg gekrönt werden.

Deswegen hatte sie die Einladungskarten heute in aller Früh, vor der Schule noch, von Ran noch mal geholt, sie Agasa gegeben, der sich mit Kopien noch ein Stück besser auskannte als die Amateurdetektivin- und zwar um Rans Kopie zu perfektionieren.

Wollte sie auch nur einen Hauch einer Chance haben, dann brauchte sie eine perfekte Einladung.
 

Der alte Mann hatte es nur sehr, sehr widerstrebend getan- aber er hatte am Computer ganze Arbeit geleistet. Die neue Einladung sah aus wie echt.

Mittags dann hatte sie ihr die beiden Einladungen wieder gebracht, damit Conan nichts merkte. Ai hatte sie, wie am Morgen verabredet, pünktlich in den Briefkasten geworfen. Sie hatte Ran noch gesehen, als sie die beiden Karten herausgeholt hatte…
 

Sollte Ran das Gift allerdings wirklich in die Finger kriegen, musste sie unbedingt verhindern, dass sie es schluckte. Unbedingt… sie half ihr nur, damit sie schneller an einem Gegengift für ihn arbeiten konnte.

Keinesfalls durfte sich Ran dem Risiko aussetzen, an dem Gift zu sterben.

Aber damit sie überhaupt ungehindert in die Nähe des Giftes kam, musste etwas anderes vorher passieren.

Shinichi musste weg.

Also musste sie ihn auf die Seite räumen.

Dafür Sorge tragen, dass er ihr nicht in die Quere kam.

Ihn den ganzen Abend mit K.O.- Tropfen auszuschalten war ihr zwar in den Sinn gekommen, aber- nach reiflicher Überlegung war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass sie das nicht machen konnte. Auch wenn er da mal weniger Skrupel gehabt hatte… er hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken mit der Narkoseuhr ausgeschaltet und in den Keller gesperrt.

Allerdings zweifelte sie nicht daran, dass es ihm, wie damals auch ihr, gelingen würde, auszubrechen. Und am Ende würde er dann genau das tun, was sie verhindern wollte- auf diese Premiere gehen.
 

Also hatte sie ihre kleinen, grauen Zellen nochmal etwas angestrengt- und tatsächlich war ihr eine andere, viel bessere Idee gekommen- sie würde an sein Moralgefühl appellieren.
 

Der Professor saß neben ihr. Sie hatte ihm, als sie ihm die beiden Karten in die Hand gedrückt hatte, in Rans Pläne für den heutigen Abend eingeweiht, und es war ihm anzusehen, dass er sie nicht billigte.

Keineswegs guthieß.
 

Minutenlang hatten sie diskutiert, debattiert und sich am Ende fast gestritten, ob sie nun Shinichi davon erzählen sollten oder nicht. Ai hatte schließlich die Oberhand behalten, und damit die Herrschaft über das Telefon, das der Professor schon in seinen Händen gehalten hatte, um Shinichis Handynummer einzutippen.

Jetzt saß Hiroshi Agasa also neben seiner kleinen Mitbewohnerin und schwitzte Blut und Wasser. Er wusste, wenn es eine Sache gab, weswegen sein Nachbar wirklich wütend werden konnte, dann war das, wenn man ihn anlog. Klar- momentan steckte er selber in der größten Lüge seines Lebens, täuschte die ganze Welt und nebenbei gelegentlich sich selbst- aber Agasa war sich sicher, dass das seiner Einstellung dem Thema gegenüber keinen Abbruch getan hatte.

Fast wäre es dem alten Mann lieber gewesen, Ai hätte ihm nichts gesagt, dann hätte er Shinichi nicht anlügen müssen. Der Abend heute würde die Hölle werden. Ihn wegzulocken von ihr, damit sie ihren wahrlich wahnwitzigen Plan durchführen konnte, wie konnten sie nur?

Was zur Hölle dachten sie sich dabei?

Was zur Hölle dachte sich Ran dabei?

Das war ihm gegenüber nicht fair, das war hinterlistig, hinterhältig und verschlagen. Sollte sie da heil rauskommen, und das Gift an sich genommen haben, so musste er sie unbedingt daran hindern, dass sie es tatsächlich einnahm.

Dieser Plan war doch irre- Ran war doch ansonsten immer so ein vernünftiges Mädchen, so bedacht, intelligent, alles andere als voreilig…

Was war nur in sie gefahren?

Tat sie das alles wirklich, weil sie ihn so sehr liebte? Welche Dimensionen konnte Liebe denn annehmen?
 

Nervös kratzte er sich am Hinterkopf, als er zum x-ten Mal seine Bedenken äußerte.
 

„Ai, ich halte das wirklich für keine gute Idee…“

„Ich auch nicht, Professor. Aber sie wissen ja, sie hat unsere Handynummern; falls sie auch nur ansatzweise denkt, sie wäre in Gefahr, ruft sie uns an. Und jetzt seien Sie bitte still, ich telefoniere.“

Ai lauschte angestrengt dem Freizeichen.

Der alte Mann seufzte schwer.

„Wir müssen es ihr ausreden, Ai. Sie könnte sich umbringen damit, was glaubst du, was dann los ist?“

„Das hab ich doch alles schon versucht, Professor Agasa. Was denken Sie denn? Fast auf Knien angefleht habe ich sie, das zu lassen, es sich zu überlegen, alles sinnlos, zwecklos. Und jetzt halten Sie den Mund, bitte.“

Sie rollte mit den Augen und presste den Hörer noch mehr an ihr Ohr.

„Aber wir müssen…“

„Professor!“

Das rotblonde Mädchen funkelte ihn ärgerlich an, als sich eine andere Stimme an ihrem Ohr meldete.
 

„Ai?“
 

„Oh, Ayumi, hi!“

Ai räusperte sich. Sie hatte einen Plan, und hoffte inständig, dass er aufging.

„Was ist denn, Ai?“

Das kleine Mädchen klang neugierig wie eh und je.

„Ach weißt du, Ayumi, wir hatten uns doch vorgestern dieses Filmplakat angesehen…“

„Ja?“

„Da wir uns den Film doch ohnehin ansehen wollen, dachte ich mir, wir könnten doch die Vorpremiere im Kino im Beikacenter anschauen? Was hältst du davon?“

„Klasse!“

Ayumi klang schlichtweg begeistert.

„Das ist eine super Idee, Ai! Aber wer bringt uns hin und holt uns ab…?“

„Das macht der Professor. Er sieht sich den Film auch an.“

Ai lächelte Agasa sarkastisch zu. Der verengte die Augen zu Schlitzen, schnaubte leise.

Ihm war das gar nicht Recht... gar nicht Recht. Er würde ihm wochenlang nicht mehr in die Augen sehen können... wenn Shinichi das rausfand...
 

„Super! Das wird bestimmt klasse! Ich freu mich schon so!“, freute sich Ayumi. Sie schien jetzt schon völlig aus dem Häuschen zu sein.

„Hast du Conan, Genta und Mitsuhiko schon Bescheid gesagt?“

Ai verneinte.

„Aber ich dachte, Ayumi, ich sage Genta und Mitsuhiko Bescheid und du übernimmst Conan. Dann kannst du das Ganze so darstellen, als ob das deine Idee gewesen wäre…“

Das rotblonde Mädchen sah die kleine Ayumi förmlich vor sich stehen, wie sie rot bis unter den Haarwurzeln wurde.

„W-wirklich? Darf ich das?“

Ihre Stimme klang aufgeregt, ein Hauch von Freude und Nervosität schwang in ihr mit.

„Klar! Sag ihm, wir holen ihn um halb sieben ab. Lass dich nur nicht abwimmeln! Wir sehen uns, ich freu mich schon!“

„Danke!“, Ayumi lachte fröhlich.

„Danke, Ai! Vielen lieben Dank!“

„Nichts zu danken, Ayumi. Bis heut Abend!“

Damit legte Ai auf und seufzte tief. Dann wählte sie die Nummern von Genta und Mitsuhiko und überbrachte ihnen die freudige Nachricht des Kinobesuchs.
 

Als sie endlich fertig war, ließ sie sich erschöpft in den Stuhl zurücksinken.

Mit Ayumis Gefühlen für Conan zu spielen und sie derart auszunützen, behagte ihr ganz und gar nicht. Ayumi war ein süßes Mädchen, und es tat ihr Leid, dass sie sich, genauso wie eine gewisse andere Person, die ihr nur allzu bekannt war, in eine Schwärmerei für einen Jungen verrannt hatte, der so was von außerhalb ihrer Reichweite war.

Es tat ihr wirklich Leid.

Sollte Conan wirklich wieder zu Shinichi werden, und er damit aus Ayumis Leben verschwinden, würde das wohl einer Katastrophe gleichkommen, und Ai schauderte vor dem Tag, an dem das der Fall sein würde - denn egal, ob sie die Kinder jemals einweihten - der Abschied würde nicht leicht werden.

Leider hatte sie keine Wahl, als Ayumi in diesem Fall als Helfershelfer zu benützen - Shinichi würde sich von ihr selber nie im Leben überreden lassen; fragte Ai ihn selbst, roch er den Braten sofort, wo doch der Kinobesuch genau auf die Premierenfeier fiel. Auch wenn er wohl nicht gleich alles, das hieß, den absolut absurden, gefährlichen, irrwitzigen Plan seiner großen Liebe, herausfinden würde, würde er doch skeptisch und misstrauisch werden und am Ende sogar selber auf diese verfluchte Feier gehen.
 

Fragte Ayumi ihn, und erklärte ihm, dass sie den Einfall gehabt hatte, würde er nicht nein sagen können. Er hatte ohnehin schon ein ziemlich schlechtes Gewissen wegen ihrer unbedarften Schwärmerei für ihn. Ihr zuliebe würde er mitgehen.

Und- er würde, selbst wenn er misstrauisch wurde, nicht einfach abhauen können.

Ai hatte mit Agasa und den Kindern vier Helfer, die Conan ganz bestimmt nicht aus den Augen lassen würden.

Er hatte keine Chance.
 

Shinichi mit Hilfe des Kinobesuchs, der sich parallel zur Premierenfeier im Tokioter Stadttheater abspielen würde, abzulenken und aus dem Verkehr zu ziehen, gefiel ihr noch viel weniger, als die Art und Weise, wie und mit wessen Hilfe sie ihn aus dem Verkehr zog. Warum tat sie das? Er würde sie hassen, hassen und verachten, wenn Ran was passierte. Er würde wohl allein deswegen schon ausrasten, wenn Rans ‚Plan zur Wiederherstellung des richtigen Verhältnisses’ aufging.

Ai schluckte.

Wenn er je davon erfuhr... und das würde er, dessen war sie sich sicher...

Dann war es wohl aus.
 

Wie war das, Herr Kudô? Ich und nobel? Nein, Sie haben sich wohl geirrt…

Meine Seele ist schon lange viel zu schwarz, um nobel zu sein…
 

Heute war wohl der letzte Tag ihrer Freundschaft mit Shinichi Kudô.

Sie wischte sich mit zitternden Händen übers Gesicht.
 

„Ich denke immer noch, dass diese Idee unvernünftig ist. Verrückt. Töricht. Gefährlich. Sie weiß doch gar nicht, was sie tut. Sie spielt mit dem Feuer…“, murmelte Agasa.

„Tun wir das nicht alle?“

Ai schaute ihn hilflos an.
 


 

Punkt halb sieben Uhr fuhr der gelbe Käfer von Professor Agasa bei den Môris vor. Er gab sich zwar heiter, aber in einem Moment, in dem er sich unbeobachtet fühlte, sah Ai ihm an, dass ihm nicht wohl war. Dass er sich Sorgen machte, dass sie seine Pläne für den heutigen Abend durchkreuzt hatten. Nun- er war sich noch nicht sicher gewesen, ob er gehen wollte, die Entscheidung hatten sie ihm nun abgenommen.

Aber allein das schien es nicht zu sein, was ihn beschäftigte.

Er ahnte wohl etwas, wenn sie den Blick, den er Ran zuwarf, richtig deutete. Sie fing sich einen warnenden Blick von Ran ein, und schluckte, dann zog sie ihn ins Auto.

Er sah sie nur an.

Sie wich dem Blick aus seinen unergründlichen Augen aus. Es kam ihr vor, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu lesen.

Er war einfach viel zu gut in seinem Metier.
 


 

Ran winkte ihnen gutgelaunt hinterher, dann ging sie zurück in die Wohnung. Es wurde Zeit, dass sie sich fertig machte.

Leider hatte Sonoko sich gemeldet und sie dazu gedrängt, mit ihr Essen zu gehen, weil sie mit ihr unbedingt über etwas Wichtiges reden wollte. Pflichtbewusste Freundin, die sie war, hatte Ran sich breitschlagen lassen- dann würde sie sich wohl etwas verspäten, aber das war vielleicht gar nicht schlecht. Mit etwas Glück würde sie sich auf die Feier schleichen können, ohne dass sie die gefälschte Karte – die zwar jetzt wirklich echt aussah - überhaupt erst herzeigen musste.
 

Mit diesen Überlegungen stand sie also vor dem Spiegel im Badezimmer und machte sich zurecht.

Ungefähr eine halbe Stunde später klingelte es an der Wohnungstür- Sonoko war gekommen, um sie abzuholen. Sie schlenderten los, unterhielten sich über Belanglosigkeiten wie das Wetter, über die Jungs in der Schule, über die Mädchen in der Schule, über Lehrer und berühmte Sänger, bis sie bei einem kleinen, italienischen Restaurant angekommen waren. Als Ran ihren Mantel am Garderobenhaken auf hing, fragte sie sich zum wohl hundertsten Male, was mit Sonoko los war.

Sie kam ihr so anders vor. Bedrückt, schweigsam… ängstlich, fast. Sie wusste nicht, was sie von ihr halten sollte. Den ganzen Weg über war sie schon so gewesen. Sie hatte geredet wie ein Buch, ohne wirklich was zu sagen.

Gut- Sonoko redete immer wie ein Buch, und was sie dabei sagte, war oft nicht unbedingt wirklich wichtig- aber es war immer für Sonoko wichtig gewesen, und dadurch war es auch für Ran wichtig geworden.

Das, was sie gerade auf dem Weg beredet hatten, war in keinster Weise wichtig für irgendeine von ihnen gewesen.

Es war nur der verzweifelte Versuch gewesen, ein Gespräch im Gang zu halten, damit die Stille, die ansonsten einsetzen würde, sie nicht erdrückte.

Irgendetwas war da doch im Busch.
 

Sie setzte sich ihrer Freundin gegenüber an den kleinen Tisch in der Ecke, den die blonde junge Frau ausgewählt hatte, sagte dem Kellner, der gerade herbeigeeilt war, ihre Bestellung und schaute sie durchdringend an.

Schließlich seufzte sie.
 

„Was ist los, Sonoko?“
 

Ihre Freundin, die bis dahin höchst interessiert ihre perfekt manikürten Fingernägel betrachtet hatte, schreckte hoch.

„N-nichts… was soll sein?“

Ran schüttelte tadelnd den Kopf.

„Du bestellst mich hierher, weil du mir etwas Wichtiges sagen willst, aber anstatt mit der Sprache endlich herauszurücken, schweigst du mich an oder redest über das Wetter. Was ist los?“

Sonoko wurde rot.

„Ich…“

„Ja?“

„Weißt du, Ran, ich…“

„Nein, weiß ich nicht, Sonoko…“

Ran stöhnte leise auf. Langsam wurde sie ungeduldig.

„Ich weiß nicht, wie ich sagen soll…“

„Sonoko.“

Die blonde Oberschülerin blickte sie fragend, scheu an.

„Hm?“

„Sags einfach.“

Ran schaute sie milde lächelnd an.

„Ja?“

„Ja!“

„Also schön…“

Sonoko schluckte schwer.

„Ich… es geht um Conan.“

Sie seufzte vernehmlich.

„Um Conan?“, hakte Ran mit hochgezogenen Augenbrauen nach.

„Ja.“

Sonoko nickte bestimmt.

„Ich denke, Ran, dass er nicht der ist, der er zu sein scheint. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Kerl, ich weiß nur nicht, was.“

Ran schluckte. Ach du gute Güte- genau das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Offensichtlich ahnte Sonoko etwas; oder? Jetzt war guter Rat teuer. Sie geriet ins Schwitzen.
 

„Was- was meinst du damit?“

„Na, er benimmt sich nicht wie ein kleines Kind!“, brauste Sonoko nun auf. Dass Ran jetzt die Unwissende spielte, ging ihr gar nicht ein. Warum das denn?

Warum tat sie das?

„Gerade in Gesellschaft mit seinen Freunden fällt mir immer wieder auf, wie wenig kindlich er ist. Er benimmt sich zu erwachsen, er ist zu intelligent für ein Kind, er denkt zu…“

Sie suchte nach Worten.

„…zu?“, hakte Ran nach, um auch einen Beitrag zu diesem höchst ungemütlichen Gespräch zu leisten.

„…zu logisch. Zu erwachsen, eben. Er erkennt Zusammenhänge, die ich nicht sehe. Er weiß Dinge, von denen er keine Ahnung haben dürfte. Er denkt wie…“

„…wie?“

Man merkte Sonoko an, wie schwer es ihr fiel, die nächsten beiden Worte zu sagen- und wie wichtig es gleichzeitig für sie war, ihre Bedenken nun endlich auszusprechen.

„…wie Shinichi.“

Ran spuckte ihr Mineralwasser, das der Kellner gerade gebracht hatte, und von dem sie gerade einen Schluck getrunken hatte, über den Tisch und hustete.
 

Sonoko, nicht doch!
 

Ihre Freundin klopfte ihr umständlich auf den Rücken und reichte ihr eine Serviette. Ran standen Tränen in den Augen und das Wasser tropfte ihr sogar noch aus der Nase. Vorsichtig, um ihr Make-up nicht zu ruinieren, brachte sie ihr Gesicht wieder in Ordnung - dann hatte sie sich wieder im Griff.

„Ich meine, kommt dir der Vergleich nicht auch manchmal in den Sinn?“, fuhr Sonoko fort.

„Äh…“, begann Ran, kam allerdings nicht weiter.

„Ich meine, die ganzen Fälle, in die er seine Nase steckt, die ganzen Bemerkungen die er fallen lässt, und ich hab mir letztens mal ein altes Kinderfoto von euch beiden angesehen, und Shinichi sah aus wie Conan! Ich meine, bei diesen seltsamen Haaren kam mir der Gedanke ja schon oft, aber die beiden sehen sich wirklich, wirklich ähnlich! Wie aus dem Gesicht geschnitten! Nur ohne Brille!“
 

Sonoko schaute ihre Freundin gleichermaßen verwirrt und erwartungsvoll an, rutschte kurz zurück, damit der Kellner ihr ihre Pizza servieren konnte. Ran ihrerseits bezahlte ihr Essen, das der Kellner ihr gerade gebracht hatte, trotz Sonokos verwundertem Blick, gleich. Dann nahm sie ihr Besteck und drehte mit der Gabel ein paar ihrer Spaghetti auf, steckte sie in den Mund und kaute bedächtig, um sich etwas Zeit zu verschaffen.

Die Lage war brenzlig.

Sonoko anzulügen behagte ihr zwar gar nicht, aber ihr Recht zu geben wäre verheerend. Oder? Sie wusste es nicht einzuschätzen. Und sie wollte zuerst seine Meinung hören, bevor sie etwas unternahm. Komisch, dachte sie- verglichen zu dem, was sie heute noch vorhatte, war Sonoko zu sagen, wer er war, doch eigentlich ein Klacks. Aber da bekam sie auf einmal Skrupel.
 

„Die Pasta ist köstlich!“, meinte sie dann, in der Hoffnung, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Der Versuch scheiterte kläglich.
 

„Ran! Ich hätte gerne deine Meinung gewusst…! Das kann dir doch nicht entgangen sein…?“

Sonoko ließ, nun, da sie einmal angefangen hatte, nicht locker.
 

Ran schluckte den zweiten Bissen hinunter.

„Sonoko, ich komm gleich wieder. Ich muss mal kurz für kleine Mädchen…“, meinte sie, dann stand sie auf. Sonoko starrte sie verständnislos an, nickte dann aber.

Sie ging in Richtung der Toiletten - dann schlich sie sich vorsichtig, Sonoko, die sich ein Bild an der Wand anschaute und an einem Stück Pizza kaute, nicht aus dem Auge lassend, zur Garderobe. Für das, was sie jetzt tat, hasste sie sich.

Einfach zu gehen…

Sie nahm den Mantel vom Haken, gratulierte sich zu ihrer Umsicht, die kleine Handtasche an dem langen, dünnen Trageriemen, die sie dabeihatte, vorhin bei Tisch nicht abgenommen zu haben, und tauchte ein in die dunkle Nachtluft.
 

Entschuldige Sonoko… aber ich kann diese Entscheidung nicht alleine treffen. Und ich weiß nicht, ob du mit der Wahrheit umgehen kannst…
 

Sie ging zügig durch die nur spärlich erhellten Straßen Tokios. Endlich tauchte das festlich beleuchtete Gelände des Stadttheaters vor ihr auf. Wie sie sich gedacht hatte, war die Premierenfeier schon in vollem Gange. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die gefälschte Karte herzeigte - der Türsteher warf nur einen kurzen Blick darauf und winkte sie durch. Das Dämmerlicht hatte wohl ebenfalls seinen Beitrag zu Agasas exorbitanten Fälscherkünsten geleistet.

Im Foyer nahm ihr ein zuvorkommender Portier ihren Mantel ab und drückte ihr eine Garderobenmarke in die Hand.

Am Eingang zum Festsaal stand der Platzanweiser.

Ran schluckte, merkte wie ihre Hände feucht und kalt wurden. Dann zog sie ihre gefälschte Karte erneut aus ihrer Handtasche, hielt sie dem Mann in roter Livree hin.

Der warf einen Blick drauf - und auf seinem Blick breitete sich Erstaunen aus.

Ran fing an zu zittern. Bestimmt würde man sie gleich rausschmeißen. Es hatte ja so kommen müssen.

Sie hätte es wissen müssen.
 

„Sie dürfen sich einen Platz in der zweiten Reihe aussuchen, Miss.“

Er lächelte sie freundlich an.

Sie lächelte zaghaft zurück.

„Wissen Sie, ich warte schon den ganzen Abend, mal eine solche Karte zu sehen, mein Kollege hatte schon fünf!“

Ran brach fast zusammen, starrte den Platzanweiser mit offenem Mund an.

Er nickte zu einem blonden, jungen Mann hinüber, der die gleiche Uniform wie er trug.

„Sie haben wohl bei dem Preisausschreiben gewonnen, das die Produktionsfirma zusammen mit der offiziellen Fanhomepage von Chris Vineyard veranstaltet hat!“

Ran nickte automatisch. Ihr Herz raste.

„Miss, Sie dürfen sich den Film exklusiv in der Reihe hinter den Schauspielern ansehen. Das war das besondere Extra, das noch versprochen wurde, sie erinnern sich doch?“

Ran nickte erneut, nun etwas enthusiastischer, versuchte so auszusehen, als wäre ihr das nicht neu.

Er notierte etwas auf seinem Klemmbrett.

„Herzlichen Glückwunsch! Genießen Sie den Film!“

Er öffnete die Tür für sie und ließ sie ein.
 

Ran ging mit schlotternden Knien in den Festsaal, nahm dankend ein Glas Wein an, das ihr ein Kellner reichte und ließ sich zuerst einmal gegen die Wand sinken, wartete, bis ihr Puls wieder etwas niedriger war, sich der Schock verflüchtigte.
 

Preisausschreiben?!
 

Hatte Shinichi bei einem Preissauschreiben mitgemacht? Unmöglich.

Der war beim Anblick des Filmplakats doch aus allen Wolken gefallen.

Ran war sich sicher, Chris Vineyard hatte dafür gesorgt, dass er eine Einladung bekam. Die Frau war sich bestimmt sicher gewesen, dass er kommen würde, wenn ihr Name in der Einladung stand. Wenn der Brief von Vermouth kam, konnte sie sich zu neunundneunzig Prozent sicher sein, dass er ihrem Ruf folgen würde- weil allein der Name ankündigte, dass es etwas mit der Organisation zu tun hatte. Ran war sich sicher, dass er heute auch gekommen wäre - hätte sie ihn nicht ausgebremst.

Und um nicht aufzufallen, hatte sie daraus ein Preisausschreiben gemacht, eine Karte abgezweigt und ihm zukommen lassen. Wahrscheinlich hatte sie in seinem Namen mitgemacht.

Was würde passieren, wenn sie statt ihm sie hier sah?
 

Aber warum so kompliziert? Warum hatte sie den Namen nicht wieder auf das Kuvert geschrieben?

Die Antwort folgte auf dem Fuße.

Weil so gut wie kein Mensch dem Kontrolleur bei einer Premierenfeier das Kuvert zeigte. Man zeigte immer die Einladungskarte selber her. Und es fiel sehr viel mehr auf, wenn nur einer eine Karte mit Vermouth als Unterschrift bekam - da war es wirklich geschickt gewesen, ein Preisausschreiben daraus zumachen.

Sie wollte sicher gehen, dass er kam.

Sich den Film ansah…

Warum?
 

Ran nippte an ihrem Wein und stutzte. Dann realisierte sie, dass das, was sie in der Hand hielt, gar kein normaler Wein war.

Es schmeckte süß und bitter. Sie hielt es von sich weg, schaute die Flüssigkeit an, schwenkte das Glas leicht.

Es war bis zur Hälfte gefüllt mit Wermut. Sie verzog das Gesicht, bei dem Gedanken, was das für ein makabrer Scherz war. Sie schaute sich um, sah einen Stand mit Filmprogrammen und ging hin, ließ sich von der Frau, die dort arbeitete, eins in die Hand drücken, verzog sich damit in eine Ecke.

Da wurde ihr auch prompt die Erklärung für diesen Running Gag geliefert - die Bedeutung des Aperitifs und der Karte; es war ganz einfach.
 

Die Mörderin in diesem Spielfilm tötete ihre Opfer mit Gift- gelöst in einem Gläschen Wermut.

Ran grinste sarkastisch.
 

Wie nett.
 

Daher wohl auch die Unterschrift- es war der Codename der Frau im Film. Da keiner wusste, wer die Mörderin war, hatte ihr die Filmkriminalpolizei den Namen ‚die Wermutmörderin’ verpasst. Der Filmfigur hatte das anscheinend so gut gefallen, dass sie nach jedem Mord einen Gruß von Vermouth hinterließ.

Wermut auf Englisch - Vermouth. Deswegen auch der Gruß auf der Einladungskarte.
 

Die Unterschrift war das Lösungswort des Preisausschreibens gewesen, zweifellos.

Im Programm wurde Chris außerdem als Mitproduzentin aufgeführt- also wurde hiermit auch klar, woher diese Namensgleichheit kam. Als Produzentin hatte sie viel mehr Mitspracherecht an Drehbüchern, Skripten und Castings, als wenn sie nur als Schauspielerin mitwirkte.
 

Offenbar wollte sie ihn auf etwas aufmerksam machen?

Aber das… das war… wirklich makaber. Sie glaubte wohl, ihr konnte keiner etwas anhaben, so offen aufzutreten, ihren Codenamen bei der Organisation einfach so zu verwenden… das zeugte von einer Selbstsicherheit, von einer Arroganz, die nicht mehr zu schlagen war.

Was bezweckte sie damit?
 

Ran atmete durch, faltete die Broschüre, stopfte sie sich in ihre Tasche und begann, sich umzusehen.
 

Es war wirklich beeindruckend, was und wen sie hier zu sehen bekam. Mehr oder weniger berühmte Schauspieler, bekannte Sänger, die offenbar am Soundtrack mitgearbeitet hatten, Leute aus Rundfunk, Fernsehen und Presse…

Als Leinwand war auf der Bühne ein großes Leinentuch aufgespannt worden, auf das der Film projiziert werden würde. An den Seiten waren verschiedene Buffets aufgebaut, mit verschiedenen europäischen und asiatischen Gerichten. Aus den Lautsprechern sprudelte leise Musik, die elektrischen Kerzen der vier Kronleuchter tauchte die Szene in sanftes, gelbliches Licht. Ran nippte an ihrem Getränk und stieg die Treppe neben den Rängen hinab, ließ ihren Blick zu den Logen in der Galerie schweifen. Ihre Augen suchten eine Person.
 

Chris Vineyard.
 


 

Sonoko stocherte lustlos in ihrer Pizza herum. Ran war jetzt schon eine halbe Ewigkeit weg, langsam kam ihr das ganze etwas komisch vor. Sie stand auf und machte sich auf den Weg zur Damentoilette.

Sie war leer.

Alle Kabinen- absolut leer.
 

Sonoko verzog die Augen zu Schlitzen.
 

Ran…?
 

Einer Ahnung folgend ging sie zur Garderobe, suchte, wühlte in den Jacken, bis ein Kellner sie ansprach.

„Suchen Sie etwas, Signorina?“

Sonoko blinzelte etwas perplex, bevor sie ihre Sprache wieder fand.

Der Kellner schaute sie freundlich an und wartete.

„Tja.“, meinte Sonoko dann.

„Nicht etwas, sondern jemanden. Haben Sie zufällig eine junge Frau gesehen, in meinem Alter, mit langen braunen Haaren? Sie trug ein rotes, knielanges Kleid, ihr Mantel war beigefarben, mit Kunstpelz am Kragen…“

„Si, Signorina. Die junge Frau, die Sie beschreiben, hat unser Lokal vor etwa einer Viertelstunde verlassen. Sie fiel mir auf, weil sie so angestrengt in eine Richtung geschaut hat, als sie zur Garderobe ging…“

Sonoko seufzte auf. Ärger kochte in ihr hoch.
 

Ran? Was hast du vor? Was soll das?
 

„Könnte ich bezahlen, bitte?“, wandte sie sich dann an den jungen Italiener.

„Si, Signorina. Wie Sie wünschen. Ich bin in ein paar Augenblicken bei Ihnen.“
 

Sonoko nickte und suchte sich ihren Weg zu ihrem Tisch. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Deshalb hatte Ran also gleich nach Eintreffen ihrer Bestellung bezahlt. Damit sie gleich abhauen konnte - aber wo wollte sie hin? Was hatte sie vor?

Steckte etwa Shinichi dahinter?

Oder Conan?

Oder… beide?
 


 

Im Kino fing der Film gerade an. Ayumi und Ai saßen jeweils rechts und links von ihm, daneben Genta und Mitsuhiko. Sie hatten ihn eingekeilt. Egal in welche Richtung er gehen wollte, es waren immer zwei an seiner Seite, über die er klettern musste. Auf einer Seite sogar drei, wenn man den Professor mitzählte.

Conan drehte den Kopf und warf einen Blick auf den alten Mann. Es war auffällig, wie oft und intensiv er zu ihm herüberstarrte. Und jedes Mal, wenn er zu ihm hinsah, wandte er sofort den Kopf ab.

Ai hingegen benahm sie wie ein Eiszapfen. Sie schien sich schon fast dazu zu zwingen, geradeaus zu schauen, auf die Leinwand, wo bis gerade eben noch die Werbung zu sehen war. Jetzt lief der Film an.
 

Ein Schauer lief ihm über den Rücken als sie ihren ersten Auftritt hatte, Sharon, viel zu jung, genauso wie er- und ihre Rolle zu spielen begann.
 

Ihr ganzes Leben bestand darin, Rollen zu spielen. Die Rolle der besten Freundin, die Rolle der trauernden Ehefrau, die Rolle der resignierten Mutter, die ganzen Filmrollen, Theaterrollen, die sie hatte, und - die Rolle der eiskalten Mörderin.

Wer von diesen Figuren war sie wirklich?

Oder war sie eigentlich jemand ganz anderes?
 

Was trieb sie dazu?

Warum war sie so jung? Warum inszenierte sie ihren Tod? Warum die Sache mit Jodies Eltern?

Die Nacht damals, als Jodie angeschossen wurde, war sehr informativ gewesen… aber sich einen Reim daraus machen zu können, würde wohl noch etwas dauern.
 

Er hätte sich nicht überreden lassen sollen von Ayumi. Was machte er hier?

Conan wollte weg.

Allerdings - er schaute noch mal nach links und rechts – konnte er das wohl vergessen.
 

Nichtsdestotrotz spürte er, dass er hier nicht sein sollte.

Unruhig begann er, in seiner Popcorntüte zu kramen.

Gedankenverloren stopfte er sich eine Handvoll Popcorn in den Mund und kam nicht umhin zu spüren, dass er hier im falschen Film war. Und zwar wörtlich.
 

Ai warf ihm einen Blick zu. In seinen Augen spiegelte sich die Kinoleinwand, reflektierte sich Sharon Vineyards Gesicht. Das sanfte Leuchten der Leinwand tauchte sein Gesicht in bleiches Licht, ließ ihn leichenhaft blass erscheinen. Und obwohl ansonsten nichts seine Anspannung verriet, wusste sie, allein aus der Beobachtung des monotonen Popcorn-in-sich-Hineinstopfens, das er gerade veranstaltete, dass er sich hier höchst unwohl fühlte.
 

Er ahnte wohl, ohne zu wissen woher, dass sich seine Freundin für ihn in Gefahr begab.
 

Ai seufzte tief, versuchte, das ungute Gefühl in der Magengegend zu unterdrücken. Sie hatte Angst, panische Angst um Ran, die für sie wie eine Art große Schwester geworden war.

Hatte Angst vor dem, was er tun würde, wenn ihr was zustieß.

Fühlte sich schlecht, hundsmiserabel, für das, was sie ihm gerade antat, weil sie ihn so schamlos anlog, hinterging, sein Vertrauen, sein mühsam gewonnenes Vertrauen, so ausnutzte.
 


 

Ran unterdessen hatte gefunden, wen sie suchte. Sie saß wider Erwarten nicht in einer Loge, nein, sondern vorne, in der ersten Reihe. Der Kontrolleur hatte zwar angekündigt, dass dort die Schauspieler sitzen würden, aber sie hätte für den Star des Abends doch erwartet, dass er hoch über allen anderen thronte.
 

Wie ein Stern am Himmel…
 

Die Stühle waren, wie sie feststellte, ziemlich ungewöhnlich; es handelte sich hier nicht um die gewöhnlichen Klappsessel, die sie aus dem Theater oder dem Kino kannte, nein, hier bestanden die Sitzgelegenheiten aus gepolsterten Holzstühlen, deren runde Rückenlehnen nicht durchgängig waren. Sie stützten hauptsächlich den oberen Rückenbereich, waren zwischen Sitzfläche und eigentlicher Lehne offen.

Schöne, bequeme Stühle...
 

Und auf einem davon saß sie.
 

Ran, die fast im rechten Winkel und relativ nah zur ersten Reihe stand, konnte sie genau beobachten, sah die Frau fast im Profil.

Sie trug ein schwarzes, gewagt ausgeschnittenes, schulterfreies Etuikleid mit einem breiten Gürtel, ihre Lippen feuerrot geschminkt und gab im Sitzen, mit übereinander geschlagenen Beinen, drei Reportern, die bei ihrem Anblick zusehends ins Schwitzen gerieten, ein Interview.

Die Frau war eine Diva wie aus dem Lehrbuch. Unnahbar, göttlich, im wahrsten Sinne des Wortes.

Gerade lachte sie gewinnend, zeigte ihre makellosen Zähne.
 

Brauchst du einen, gibt es einen Gott?
 

Ran schluckte.

Und erst jetzt schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, den sie vorhin zwar angerissen, aber nicht weiter verfolgt hatte. Ihr wurde siedendheiß, und doch merkte sie, wie ihre Finger blau anliefen.

Was, wenn Chris sie sah? Sie erwartete Shinichi, nicht sie…

Was…

Ran schluckte. Sie hatte nur eine Wahl. Warten, bis sie so sehr mit dem Film beschäftigt sein würde, dass sie sich nicht umdrehte. Erst zu ihrem Platz gehen, wenn der Saal dunkel wurde. Und sich bis dahin irgendwo verstecken.

Sie sah sich um, fand eine Säule in ihrer Nähe und stellte sich dahinter, allerdings so, dass sie noch ein wenig daran vorbeischauen konnte, Chris Vineyard unauffällig im Blickfeld behielt.

Ran zitterte, blieb stehen und wartete. Sie wollte erst nach vorne gehen, wenn der Film schon fast anfing - ihren Sitzplatz hatte sie ja sicher.
 

Also stand sie da, versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Ihre Nervosität zu überspielen.

Und wartete.
 

Wartete.

Und beobachtete. Keine Bewegung, keine Geste entging ihr.
 

Sharon…
 

Ihre Haare wallten in weichen Wellen über ihre nackten Schultern auf ihren Rücken, fingen das Licht der Kronleuchter und glänzten brillant wie gesponnenes Gold. Ab und an drehte sie suchend den Kopf - Ran war klar, nach wem sie Ausschau hielt.

Was nur wollte sie von ihm?
 

Rechts neben ihr stand ihre Handtasche auf einem freien Sitz, ein kleines, fast quadratisches Täschchen aus schwarzem Lackleder. Gerade als Ran überlegte, ob sich eventuell das Gift darin befinden könnte, erregte eine andere Bewegung Rans Aufmerksamkeit.
 

Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit langen, blonden, fast weißen Haaren näherte sich, setzte sich neben Chris Vineyard. Er trug einen schwarzen Anzug und einen schwarzen, tief ins Gesicht gezogenen Hut.

Ran fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Eimer Eiswürfel in den Magen gekippt.

Showtime

Hallo ^^
 

Vielen herzlichen Dank für eure Kommentare! *freu*

Dankeschön ♥
 

Nun- sehen wir mal, was für einen netten Film die gute Vermouth da gedreht hat- nur soviel; das genaue Warum folgt erst später. Das alles hat schon seinen Sinn. :)
 

Ansonsten... nein, es war nicht der Boss mit blondgefärbten Haaren, und bei mir herrscht immer noch Bratpfannenverbot *g*

Ob Ran mit ihrem Plan Erfolg hat? Lasst euch überraschen...
 

Ansonsten verabschiede ich mich hiermit wieder bis nächsten Mittwoch, Leute- ich wünsch euch viel Vergnügen beim Lesen dessen, was ich mir da wieder zusammenfantasiert habe...
 

Hochachtungsvoll :D

Eure Leira :)
 

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Sie kannte den Mann.
 

Er war damals dabei gewesen an dem Tag, als Shinichi verschwand. Einer der beiden Männer in Schwarz, die sie bei dem Fall in der Achterbahn gesehen hatte.

Das war einer von ihnen- wie hatte Ai sie genannt, als sie ihr von jenem Abend erzählt hatte?
 

Zu den Umständen, wie und warum er es gekriegt hat, weiß ich nicht viel. Es passierte wohl auf dem Rummelplatz, er hatte zuviel gesehen - Dinge gesehen, was niemand hätte sehen sollen, wurde überfallen, soviel weiß ich. Nicht von ihm, nicht von Shinichi; sondern von Gin und Vodka. Er selber hat nie darüber geredet. Ich habe ihn öfter als einmal gefragt, aber er hat nur immer den Kopf geschüttelt, sich ausgeschwiegen. Aber ich denke, was die Geschichte betrifft, kann man Vodka und Gin vertrauen…
 

Sie alle tragen Schwarz, ihre Namen sind alkoholischen Getränken entlehnt…
 

Ran schauderte.

Gin und Vodka?

Welcher von beiden war er?

Einer von beiden war es, dessen war sie sich absolut sicher.
 

Ran schluckte, presste ihre Kiefer zusammen, damit man nicht hören konnte, wie ihr vor Angst die Zähne aufeinander schlugen. Sie umfasste krampfhaft den Fuß ihres Weinglases, nahm einen großen Schluck der alkoholischen Flüssigkeit und atmete tief durch.
 

Anscheinend hatte der Mann nicht nur auf sie eine abschreckende und einschüchternde Wirkung - die Journalisten, die gerade noch voller Begeisterung mit der Schauspielerin geredet, ja, zum Teil sogar geflirtet hatten, verabschiedeten sich zügig und verzogen sich. Der Mann ließ sich neben ihr in einen Sitz sinken.

Ran stand zu weit weg - konnte nicht hören, was sie sagte.
 


 

Sharon drehte ihren schönen Kopf in seine Richtung.

„Du ruinierst mein Interview, darling.“

Ihre Stimme klang gelassen.

„Als ob du noch mehr Promotion brauchen würdest.“

Seine Stimme klang eisig wie eh und je.

„Das tut nichts zur Sache. Lass mir doch meinen Spaß… Außerdem bist du als mein Gast, meine Begleitung hier, also benimm dich. Sei ein braver Junge…“

Die Frau lachte amüsiert. Er würdigte sie keines Blickes.
 

Langsam füllten sich die Sitzreihen, das Licht wurde immer schwächer.

Ran schluckte, es war an der Zeit…
 

Let’s start the show…
 

Selbstsicher, das Weinglas mit drei Fingern haltend, ihr kleines Handtäschchen elegant um eine Schulter geschlungen, ging sie nun nach vorne, in die zweite Reihe. Bemüht, ihre Schritte fest und entschlossen, ihren Gang aufrecht und stolz erscheinen zu lassen, schlängelte sie sich ihren Weg durch plaudernde Prominente, Fotografen und Journalisten, und setzte sich schließlich auf den einzigen Stuhl der noch frei war - er stand einen Platz versetzt direkt hinter den Star des Abends, der schönen Chris- und saß somit genau hinter dem Stuhl, auf dem die Schauspielerin ihre Handtasche gelegt hatte…

Links neben Ran befand sich ein junges Pärchen, rechts neben ihr hatte bereits ein älterer Herr in feinem Anzug und leicht ergrauten Schläfen Platz genommen.

Sie merkte, wie sie nervös wurde, ihre Hände kalt wurden - und doch wurde ihr heiß, Schweißperlen traten auf ihre Stirn.

Gerade überlegte sie, ob sie die Sache nicht doch abblasen wollte, als sie sich eine Närrin und einen Feigling schalt- jetzt war sie schon so weit gekommen, nun zog sie es auch durch.

Ihr wurde flau im Magen. Und das Gefühl verstärkte sich, als sie ihn zum ersten Mal sprechen hörte.
 

„Wann fängt dein Scheißfilm jetzt endlich an? Ich will hier heut auch mal wieder rauskommen…“, zischte Gin seiner Partnerin zu.

Seine Stimme klang harsch, kalt und unerbittlich. Ran lief ein Schauer über den Rücken.
 

Mein Gott, Shinichi… mit wem hast du dich da bloß angelegt?
 

„Jetzt reiß dich mal zusammen, Blondie. Du kommst hier noch früh genug wieder raus. Hör auf, mir den Spaß zu verderben…“

Sie klang nun genervt.
 

Ran schluckte. Sharon.

Das war ganz eindeutig Sharons Stimme gewesen- der Tonfall, der Akzent, alles passte.

Die Frau vor ihr war wirklich Sharon Vineyard…
 

Dreht euch nicht um…
 

Sie presste sich in den Sitz, als könne sie dadurch unsichtbar werden, krallte ihre Hände um die Armlehnen.

Dann war der Saal vollständig dunkel, und auf der Bühne, im Lichtkegel eines einzelnen Scheinwerfers, erschien der Regisseur, um noch ein paar Takte zum bevorstehenden Film zu sagen. Dann verschwand auch er, gab den Blick frei auf die Leinwand, auf der nun der Film zu laufen begann.

Ran witterte ihre Chance- nun, endlich, wo die Dunkelheit ihr Treiben verbarg, konnte sie versuchen, Sharons Handtasche kurz ‚auszuleihen’, um in ihr nach dem Gift suchen zu können. Sie wollte sich gerade nach vorne beugen, um ihren Arm durch die Lücke zwischen Sitzfläche und Lehne zu schieben, als die Schauspielerin eine Hand auf ihre Tasche sinken ließ. Ran musste an sich halten, um nicht enttäuscht aufzustöhnen.

Anscheinend würde heute Abend ihre Geduld ein wenig auf die Probe gestellt werden.

Sie ließ sich wieder in die Polster sinken, starrte auf die Leinwand, und versuchte nicht zu sehr aufzufallen, als sie immer wieder einen Blick auf die Handtasche warf.
 

Mit einem Blick zu ihrer Rechten entdeckte sie frustriert und nicht ohne einen Anflug von Neid, dass das Pärchen neben ihr wohl kaum bemerken würde, was sie vorhatte. Die beiden waren gerade sehr mit sich selber beschäftigt.

Ran seufzte, dachte an den Kuss im Park, malte sich aus, wie es wohl wäre, wenn statt dem alten Herrn neben ihr jetzt Shinichi säße- würde er sich den Film ansehen, oder auch eher…?

Sie dankte Gott in Gedanken auf Knien, dass es im Saal stockfinster war, denn ihr wurde gerade ziemlich heiß, was sich ohne Zweifel an einer etwas sehr geröteten Gesichtsfarbe erkennen ließ.
 

Sie war so beschäftigt damit, darauf zu warten, dass die Frau vor ihr endlich ihre Hand von dem Objekt ihrer Begierde nahm und so von Neidgefühlen geplagt, dass sie auf den Film fast nicht achtete. Sie sah hin - beobachtete den Film ein paar Minuten, sah, wie mal wieder jemand starb, oder so ein tollpatschiger Beamter im Stile Lestrades versuchte, den Fall zu lösen - dann sah sie wieder die Frau vor ihr an… wartete…

Minute um Minute verging, ohne dass sich die Hand auch nur um einen Fingerbreit regte, oder die beiden neben ihr auch nur einen Anflug von Ermüdungserscheinungen zeigten. Sie fragte sich gerade, wie sie an die Tasche kommen sollte, wenn der Film zu Ende wäre- und ob sie die beiden neben sich nicht fragen sollte, ob sie kein Zuhause hätten- da kamen sie in eine Filmpremiere plus Aftershowparty, und dann vertrieben sie sich die Zeit mit…
 

Ran seufzte genervt, wandte den Blick von dem knutschenden Pärchen, die sich mittlerweile langsam immer hemmungsloser gaben, auf die Leinwand - und erstarrte.
 

Erst jetzt, wo sie ihn genau ansah, fiel es ihr auf.

Der Detektiv… er…

Er sah aus wie er.

Wie Shinichi.

Und er starb.
 

Neben ihm lag ein zerbrochenes Glas. Ran brauchte nicht raten, um zu wissen, was darin wohl gewesen war.

Gerade noch hatte er seine Schlussfolgerungen für sich gezogen, dem Zuschauer und seiner Freundin den Tathergang mit vor Triumph glühenden Augen erklärt, das hatte Ran aus dem Augenwinkel noch mitverfolgt, ansatzweise mitgehört-

und jetzt starb er qualvoll.
 

Vergiftet.

Er lag auf dem Boden und wand sich vor Schmerzen.

Seine Freundin stürzte zu ihm, Entsetzen stand in ihren Augen, Verzweiflung lag in ihren Gesten, sie schrie und schluchzte, und konnte ihm nicht helfen.

Konnte ihm nicht helfen.
 

Er starb in ihren Armen, und sie konnte nichts weiter tun, als zuzusehen.
 

Ran wurde übel. Sie setzte das Wermutglas an ihre Lippen und trank den mittlerweile lauwarmen Rest auf Ex aus, atmete schwer, versuchte nicht zu offensichtlich betroffen zu wirken.
 

Mein Gott…
 

Er war tot.
 


 

Conan war so schnell aufgesprungen, aus der Sitzreihe gerannt und aus dem Saal gelaufen, dass Professor Agasa und die Kinder mit dem Schauen fast nicht mitkamen. Ai war kreideweiß im Gesicht, schaute ihm hinterher, der Rest der Detective Boys wirkte eher verwirrt.

„Ist im schlecht?“, fragte Ayumi besorgt.

„Wahrscheinlich.“, murmelte Ai, versuchte glaubwürdig zu klingen.

„Bei soviel Popcorn wie der verdrückt hat, muss einem ja übel werden.“

Genta schaute besorgt in seine doppelt so große, leere Popcorntüte.

Der Professor stand auf, folgte dem Jungen. So wie er ausgesehen hatte, konnte er sich denken, wohin er gehastet war.

Und er sollte Recht behalten.
 

Conan stand in der Herrentoilette und übergab sich. Er wusste, das war nur ein Film, aber die Ähnlichkeit, die Ähnlichkeit… das war doch offensichtlich gewesen, wem die Anspielung gegolten hatte. Er war mittlerweile einfach viel zu überreizt, um auf solche Sachen noch gelassen reagieren zu können. Die ganze Sache mit Vermouth, diese Namensgleichheit, dann Sharon in der Rolle der Wermutmörderin, was ja an sich schon mehr als nur dreist war; jetzt kam auch noch dieser Detektiv, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, und starb…

Was für ein makaberer Scherz.
 

Was soll das?
 

Und immer noch plagte ihn das Gefühl, dass hier heute etwas sehr falsch lief.

Das irgendetwas nicht stimmte.

Irgendetwas… mit Ran?

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.

So ein flaues Gefühl kannte er eigentlich nur, wenn mit ihr etwas los war. So wie damals, im Tokio Tower- als an ihrer Schule die Bombe versteckt gewesen war. Oder als man versucht hatte, sie zu ertränken. Es war schon so oft passiert, er kannte das Gefühl…

Irgendetwas war im Gange, und er wusste es nicht.

Sollte es vielleicht nicht wissen?

Er zog die Augenbrauen hoch.

Warum wollte Ayumi heute unbedingt ins Kino? Woher hatte sie von der Vorpremiere erfahren? Wie kam sie auf die Idee, ihn und Ai zu fragen, und den Professor mehr oder weniger als Chauffeur einzuspannen…?

War das alles wirklich Ayumis Idee gewesen?

Und warum fielen ihm diese Bedenken erst jetzt ein, verdammt?!
 

Langsam wankte er zum Waschbecken, zog sich hoch, wusch sich das Gesicht und spülte sich den Mund aus. Er war kreidebleich, stellte er nach einem Blick in den Spiegel fest, kreidebleich und etwas grün um die Nase. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und im Nacken, seine Hände zitterten. Sein Kreislauf sackte wohl gerade etwas zusammen.
 

Er zog sein Handy aus der Tasche, wollte gerade Ran anrufen, als die Tür aufging.

Professor Agasa trat ein- und Conan steckte das Handy wieder weg. Der alte Mann schaute den Grundschüler besorgt an.

„Geht’s wieder?“

Conan sagte nichts, ließ sich langsam vom Waschbeckenrand gleiten, hielt sich fest, als ihm kurz schwindlig wurde.

„Du weißt, dass ist nur ein Film, Shinichi…“, begann der Professor, wurde allerdings sofort von dem kleinen Jungen unterbrochen.

„Also halten sie es für Zufall, dass der Kerl, der gerade sehr theatralisch sein Leben ausgehaucht hat, aussieht wie ein Klon von mir? Er wurde vergiftet, ist das auch Zufall? Sie heißt Vermouth in dem Film, ist das ZUFALL?!?“

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

„Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich wollte sie nur…“

„… ein wenig Angst und Schrecken verbreiten? Mich nervös machen? Hat sie geschafft.“

Er lachte bitter.

Der Professor seufzte, warf ihm einen betrübten Blick zu.

„Aber nichtsdestotrotz ist es nur ein Film. Vielleicht wollte sie sich einfach einen Spaß machen… du weißt doch, wie sie ist…“

„Komischer Sinn für Humor.“
 

Und außerdem ist es nicht nur der Film, der mir zu schaffen macht…
 

Agasa blickte fragend auf ihn hinab. Als sein kleiner Freund keine Anstalten machte, sich weiter zu äußern, seufzte er leise.

„Beruhige dich. Komm, ich kauf dir eine Cola, damit dein Kreislauf wieder ein wenig in Schwung kommt, du siehst furchtbar aus. Und dann lass uns zurückgehen, und sehen, ob als nächstes eine junge Forscherin dran glauben muss.“

Der Mann griff ihn an der Schulter, wollte ihn raus schieben, als er merkte, dass der Junge ihn anschaute. Er blickte hinunter, in ein ungläubig dreinschauendes Gesicht.

„War das Zynismus, Professor? Haben sie echt grad versucht, zynisch zu sein? Nicht zu fassen…“

In seiner Stimme schwang Erstaunen.

Der Professor zog die Augenbrauen zusammen.

„Witzig, wirklich… mach dich nur lustig über mich, Shinichi. So schlecht, dass du dich nicht auf meine Kosten amüsieren kannst, kann’s dir gar nicht gehen, hab ich Recht?“

Damit zog er den kleinen Jungen hinter sich her.
 


 

Ran saß in ihrem Stuhl, zitterte immer noch am ganzen Körper. Einzelne Tränen rannen aus ihren Augen. Die Freundin des Detektivs hatte beschlossen, seine Schlussfolgerungen der Polizei vorzutragen. Ran wandte ihre Augen ab von der Leinwand, fuhr sich mit einer schweißnassen Hand übers Gesicht. Bekam nicht mehr mit, wer der Mörder gewesen war, wie man die Leiche des Detektivs wegtrug… und die Reste seines Trinkglases beseitigte.
 

Sie bekam nichts davon mehr mit.

Sie wollte ihn sehen, jetzt gleich, hier, sofort, wollte sich überzeugen, dass es ihm gut ging, dass er nicht der Detektiv auf der Leinwand war…
 

Sie unterdrückte ein Schluchzen, schalt sich selbst eine Närrin. Das hier war ein Film, nichts weiter. Nur ein dummer, dummer Film, bei dem Sharon Vineyard beim Casting wohl ein Wörtchen mitzureden gehabt hatte. Anders war diese Ähnlichkeit kaum zu erklären. Sie wollte ihm wohl drohen. Oder warnen…?

Ran warf der Frau schräg vor ihr einen hasserfüllten Blick zu- dann wanderten ihre Augen zu dem Sitz neben ihr, und ihre Kinnlade klappte etwas nach unten.

Sie hatte ihre Hand endlich weggenommen! Das war ihre Chance!
 

Sie beugte sich nach unten, stellte ihr Glas unter ihrem Sitz ab, und zog, als sie sich wieder aufrichtete, so unauffällig wie möglich, die Tasche hervor.

Aus den Augenwinkeln warf sie kurze Blicke zu dem Mann neben ihr, der, wie sie erstaunt feststellte, ob des tragischen Ablebens des heldenhaften Detektiven Tränen vergoss; und bemerkte, weniger erstaunt, dass das Pärchen neben ihr immer noch keinerlei Interesse am Film zeigte, in dem man nun langsam und sehr schwermütig mit einem Trauerchor auf einem Friedhof dem tapferen, tragischen Helden Ehre und Respekt zollte.

Wenn sie jetzt in der Handtasche kramte, würde es für einen Beobachter ohnehin nur aussehen, als suche sie etwas in ihrer eigenen Handtasche. Wichtig war nur, dass sie keiner bemerkte, wie sie das Ding wieder zurückstellte, und dass Sharon ihre Handtasche nicht vermisste. Eilig öffnete Ran den Magnetverschluss und begann mit einer Hand, darin herumzutasten. Sie ertastete ein Handy, eine Geldbörse, die sie kurz herauszog und öffnete, um sie dann enttäuscht wieder zurückzustecken, einen Lippenstift, ein Puderdöschen, einen Taschenspiegel, eine Türkarte für ein Hotel… alles, was eine Dame für einen Abend brauchte eben. Nur keine Giftkapseln.

Dafür allerdings etwas anderes.

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ihr Gehirn die Informationen, die ihm ihre Fingerspitzen lieferten, zusammensetzte.

Der harte, kühle Gegenstand, der sich neben Schminkutensilien, Geld und Schlüsselkarte in der Tasche befand, war ein kleiner Revolver.
 

Sie zog ruckartig ihre Hand zurück, als ob sie sich verbrannt hätte - und schaute fassungslos in die Tasche. Dann verschloss sie sie mit zitternden Fingern, und stellte sie, nach vorsichtigem Umschauen, wieder zurück.

Leise aufatmend ließ sie sich in den Stuhl sinken. In ihr machte sich Enttäuschung breit.
 

Ein Revolver.

In der Tasche war ein kleiner Revolver gewesen.

Aber kein Gift.

Wenn Sharon Vineyard alias Vermouth nicht gerade dazu übergegangen war, ihren Opfern das Gift aufzupudern, ihnen die Lippen giftig anmalte oder die Kapseln mithilfe des Revolvers in ihnen versenkte - was physikalisch unmöglich war, was sie sehr wohl wusste -, dann hatte sie das Gift nicht bei sich.

Ran legte ihre Stirn in Falten. Ihr Blick schweifte von der blonden Mähne der Schauspielerin zu dem Mann neben ihr, der auch im Theater seinen Hut nicht abgenommen hatte.

Aber seinen Mantel sehr wohl, wie’s aussah. Ran konnte nur ein schwarzes Sakko erkennen.

Wenn nicht sie die Kapseln mit sich trug, dann vielleicht ja er?
 

Das Kino wurde auf einmal noch einen Tick dunkler. Der Abspann lief, wie sie feststellte, als sie wieder nach vorne schaute.

Sie hatte das Ende des Films verpasst…
 

Langsam ging das Licht wieder an. Das Publikum stand auf, zum zu Applaudieren- Ran stand auch auf, aber sie applaudierte nicht. Während der Regisseur, die Crew und die Besetzung auf die Bühne gingen, um sich im Ruhme ihrer Arbeit zu sonnen, schlich sie sich aus dem Saal ins Foyer. Einerseits, um von Sharon oder diesem Mann in Schwarz nicht gesehen zu werden, und andererseits, weil sie etwas zu tun hatte.

Sie hatte einen neuen Plan.
 

Sie ging zu der Dame an der Garderobe und bat um ihren Mantel.

Die schaute sie zwar etwas verwirrt an, wohl weil sie nicht erwartete, dass so ein junges, hübsches Ding, wie sie es war, schon so früh von einer Aftershowparty verschwinden wollte, doch suchte sie ihr bereitwillig ihren Mantel heraus und händigte ihn ihr wieder aus.

Ran nahm ihn lächelnd an, murmelte ein Dankeschön und ging um die Ecke, so dass die Frau nicht sah, was sie machte.

Sie riss sich am Ärmel einen Knopf ab.

Mit klopfendem Herzen ging sie zurück, den Knopf in einer Tasche versteckt, und hoffte inständig, dass ihr Plan aufgehen würde.
 

„Entschuldigen Sie?“

Sie lehnte sich an die Theke, setzte eine unschuldige Miene auf.

„Ja, bitte?“

Die Frau tauchte von ihrem Stuhl weiter hinten, wo sie sich wieder hingesetzt hatte, um ihr Buch weiter zu lesen, auf.

„Entschuldigen Sie bitte“, wiederholte Ran höflich, „aber ich habe gerade bemerkt, dass von meinem Mantel ein Knopf abgegangen ist, sehen Sie?“

Sie hielt ihr ihren rechten Ärmel hin.

„Ich bin mir ganz sicher, dass er noch dran war, als ich rein gekommen bin. Leider sind die Knöpfe nicht besonders gut verarbeitet, deswegen befürchte ich, dass er irgendwo in der Garderobe“, sie warf einen suchenden Blick an der Frau vorbei auf den Boden unter den hunderten Jacken und Mäntel, die da hingen, „abgegangen und auf den Fußboden gefallen ist.“

„Oh.“ Ein Ausdruck von Mitleid erschien auf dem Gesicht der Frau, gefolgt von kaum verhohlener Unsicherheit.

„Haben Sie keinen Ersatzknopf mehr?“

Ran schüttelte bedauernd den Kopf.

„Nein, leider nicht. Der ging schon beim anderen Ärmel drauf.“

Sie lächelte entschuldigend.

„Wie gesagt, sie wurden nicht besonders gut festgenäht, und ich bin noch nicht dazu gekommen, sie alle neu zu befestigen. Sagen Sie, könnte ich nicht kurz…?“

Die Frau seufzte. Anscheinend hatte sie genau diese Frage befürchtet. Sie schaute sich unsicher um, ob jemand sie beobachtete, dann beugte sie sich vor.

„Wissen Sie, Fräulein, ich darf hier eigentlich keinen reinlassen. Aber weil Sie es sind…“, murmelte sie zögernd, als sie Rans enttäuschtes Gesicht bemerkte.

Die lächelte dankbar, als sie durch die kleine Tür in der Theke trat, die ihr die Garderobenfrau öffnete.

„Ich beeil mich auch, vielen lieben Dank!“

Sie lächelte ihr strahlend entgegen.

Und bevor die Frau noch irgendetwas entgegnen konnte, war sie im Wald aus Mänteln und Jacken verschwunden.
 

Der Mann, wer auch immer er war, hatte damals, im Tropical Land einen langen, schwarzen Mantel getragen, soweit konnte sie sich erinnern. In der Hoffnung, dass er seine Kleidungsvorlieben seit damals nicht geändert hatte, ließ sie ihre Augen auf der Suche nach derartigen Kleidungsstücken suchend umherschweifen.

Sie hatte nicht viel Zeit, das wusste sie. Nervös ging sie zum ersten Mantel, tastete die Taschen von außen ab. Sie scheute sich davor, hineinzugreifen- also wollte sie zuerst einmal prüfen, ob es sich überhaupt lohnte, ihre Hand in die Taschen zu stecken, die Privatsphäre anderer Leute zu verletzen. Beim ersten fraglichen Objekt war dies nicht der Fall. Also ging sie zum nächsten.
 

„Und, schon was gefunden?“, hörte sie die Stimme der Garderobenfrau.

„Nein, noch nicht! Ich beeil mich!“, antwortete Ran, nur teilweise wahrheitsgemäß, tastete den zweiten Mantel ab. Wieder nichts. Sie eilte zum dritten verdächtig aussehenden Kleidungsstück.
 

Sorgfältig ließ sie ihre Finger über den Stoff wandern. Da erfühlte sie es- irgendetwas beulte die Tasche aus. Sie griff mit ihrer Hand hinein, tastete umher, aber sie fand nichts. Nichtsdestotrotz beulte etwas den Stoff aus, etwas Kleines, Hartes. Ran benützte nun beide Hände, schob und drückte an der Beule herum, bis aus einer versteckten Innentasche eine kleine Dose rutschte. Sie nahm sie in die Hand, öffnete den Deckel- und schluckte. Da lagen sie.
 

Shinichi…
 

Kleine, rot-weiße Kapseln. Sie klaubte mit zitternden Fingern zwei heraus, ließ sie in ihre Jackentasche gleiten, nahm stattdessen den Knopf in die Hand.

Dann hörte sie Schritte.

Mindestens zwei, wenn nicht sogar drei, Personen näherten sich.

Ran geriet in Panik.

„Fräulein?“

Sie stopfte die Dose zurück in die Tasche, aber schaffte es nicht, sie wieder in die Innentasche zu schieben. Eilig entfernte sie sich ein paar Schritte von dem schwarzen Mantel, ließ ihren Knopf auf den Boden fallen, als sie auch schon um die Ecke bogen.

Die Garderobenfrau- und Chris Vineyard, zusammen mit ihrem Bekannten.

Ran wurde bleich.

„Haben Sie ihn gefunden?“

Ran schüttelte den Kopf.

„Nein, leider… leider noch nicht…“

Sie schaute auf den Boden, tat so, als würde sie suchen, war innerlich doch starr vor Angst. Die Art und Weise, wie der Blonde sie anstarrte…
 

„Was suchen Sie denn?“

Chris Vineyards Stimme klang freundlich.

Ran schaute auf.

„Meinen… meinen Jackenknopf. So sieht er aus.“

Sie ging näher, zeigte ihr den Knopf am anderen Ärmel. Die Frau betrachtete ihn eingehend, dann begann sie ebenfalls, den Boden abzusuchen.

Kurz darauf schrie sie triumphierend auf.

„Ha! Da, das ist er doch? Isn’t it?“

Sie ging an Ran vorbei, die in einer Duftwolke ihres Parfums zurückblieb, ging ladylike in die Knie, um keine ungewollten Einblicke zu gewähren, und hob den Knopf auf.

„Here you are, darling.“

Sie stand auf, reichte Ran ihren Jackenknopf.

Ran starrte sie an.

„Oh. Äh, ja, das ist er. Dankeschön, Mrs Vineyard.“

Ran bemerkte ihren Fauxpas im selben Moment, als die Schauspielerin sie mit aufgerissenen Augen anstarrte.

Sie hielt sich die Hand vor den Mund.

„Oh, Entschuldigen Sie bitte!“

Sie fing an zu stammeln.

„Ich… Sorry! Das… das… das tut mir Leid, ich meinte natürlich, Miss Vineyard… wissen Sie, ich habe Sie jetzt gerade wohl mit Ihrer Mutter verwechselt, sie sehen ihr so ähnlich… ich bin… war ein großer Fan von ihr. Entschuldigen Sie!“

Damit senkte sie den Kopf und beeilte sich, die Garderobe, das Foyer, das Gebäude zu verlassen.

Vor den Toren des Theaters begann sie zu laufen.
 


 

Sie standen vorm Kino, warteten auf Ayumi, Genta und Mitsuhiko, die unbedingt noch mal für kleine Jungs, beziehungsweise Mädchen gemusst hatten.
 

„Müssen wir jetzt unbedingt noch Hamburger essen gehen?!“

Conan stöhnte auf.

„Glaubt mir, ich krieg eh nix runter. Liefert mich zuhause ab und geht alleine.“

„Auf keinen Fall!“

Ais Stimme war lauter geworden, als sie es beabsichtigt hatte. Der Professor warf ihr einen warnenden Blick zu.

Conan drehte sich zu ihr hin.

„Warum nicht?“

Ai starrte ihn an.
 

Ich kanns dir nicht sagen, verzeih mir. Du darfst es nicht wissen…
 

Denn wüsstest du, was Ran gerade macht, dann würdest du zu ihr eilen wollen, dein Leben riskieren- und das kann ich nicht zulassen.
 

„Ai?“

Er klang misstrauisch. Irgendetwas war faul hier, irgendetwas verheimlichte man ihm, etwas Wichtiges…

Der kleine Junge warf dem Professor einen Blick zu.
 

Verschweigt ihr mir was?
 

Agasa fühlte sich höchst unwohl.

Er wusste es. Shinichi wusste, dass etwas vorging, und dass man ihn bewusst außen vor ließ.

Er drehte sich um, murmelte, er müsse nach den Kindern sehen und ging.

Conan starrte ihm mit offenem Mund hinterher.

Was zur Hölle ging hier vor sich?!
 

Er wandte sich wieder Ai zu, die scheinbar hochinteressiert das Stück Asphalt vor ihren Füßen inspizierte.
 

Conan legte einen Hand unter ihr Kinn, hob ihren Kopf, zwang sie, ihm ihn die Augen zu sehen. Ai schluckte schwer.

Sie konnte das nicht tun.

Sie konnte ihn nicht anlügen, wenn er sie jetzt fragte…

Sie konnte nicht. Sie wollte nicht.

Sie liebte ihn doch…
 

„Ai… gibt es was, das du mir sagen willst?“

Er nahm seine Hand weg. Ihr Augenkontakt blieb ungebrochen.
 

Dann schüttelte sie ruhig den Kopf.

„Nein, Shinichi. Nichts.“
 

Sie hatte es doch getan. Sie hatte es doch getan. Warum nur…?

Sie ging dem Professor und den Kindern entgegen, die gerade das Kino verließen, versuchte, nicht anmerken zu lassen, wie weich ihre Knie waren- wie schlecht sie sich fühlte.

„Nein, es gibt nichts, was ich dir sagen will. Außer, dass ich sehr wohl Hunger habe.“
 

Er starrte ihr nach, wusste nicht, was er tun sollte.

Ai log ihn an; soviel war klar.

Aber warum?

Was trieb sie dazu?
 

Irgendetwas ist hier los…
 


 

Sie fühlte sich elend.

Sie hatte ihn angelogen. Und er wusste das.

Verdammt, er wusste es, sie sah es in seinen Augen, diese Enttäuschung, diese Verwirrung…

Er war enttäuscht von ihr.
 

Aber er wusste nicht, weshalb sie das tat. Wüsste er es, dann wäre in seinen Augen mehr als Sorge, Enttäuschung und Verwirrung zu lesen- sondern grenzenlose Wut, panische Angst, unbändiger Hass auf die Person, die seiner Freundin geholfen hatte, sich in Todesgefahr zu begeben.

Und er würde ihnen die Hölle auf Erden bereiten, fand er es heraus.
 

Was dann morgen soweit wäre, spätestens.
 

Ai schluckte, wandte den Kopf, begann mit Ayumi zu plaudern, als er zu ihnen stieß.
 

Leb wohl, mein Freund.
 


 


 

„Zwei fehlen.“

Gin und Vermouth standen vor dem Theater, beide mit je einer Zigarette in der Hand, und rauchten.

„Bist du sicher, dass du dich nicht verzählt hast? Are you sure, you can count properly?“

Sie warf ihm einen fragenden, provozierenden Blick zu.
 

„Ja, verdammt. Die Dose war nicht mehr in der Innentasche, und zwei der Kapseln fehlen. Und es kommen eigentlich nur zwei infrage, die an meinen Mantel hätten kommen können.“

Er nahm einen tiefen Zug. Vermouth sah ihm dabei zu.

„Entweder die Garderobentussi oder die Kleine.“

Gin verengte seine Augen zu Schlitzen.

Vermouth schloss kurz die Augen dann warf sie ihrem Partner einen schnippischen Blick zu.

„Warum sollte die Kleine in deinem Mantel nach dem Gift suchen? Sie hat ihren Knopf gesucht, das weißt du doch. Wir haben ihn doch auch gefunden. Außerdem, was hat das Zeug in deinem Mantel zu suchen?“

„Ich hab’s immer da drin. Ich nehme den Mantel doch sonst nie ab. Ich wollte ihn diesem übereifrigen Portier ja auch nicht geben. Und dieses Sakko hat keine Taschen…“

Er knurrte leise.

„Und wenn es die Kleine nicht war, was sollte denn dann die Garderobenschlampe damit wollen? Warum sollte sie…?“
 

„Nun,“ begann Vermouth und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, inhalierte den Rauch genüsslich und blies ihm dann die Wolke ins Gesicht, „nehmen wir mal an, die Frau geht grundsätzlich an alle Jacken, rein aus Neugier. Und dann fand sie in deiner das Gift, hält die bunten Kapseln für irgendeine Droge und zweigt sich was davon ab… oder hält dich jetzt für einen Dealer und geht damit demnächst zur Polizei. Vielleicht ruft sie ja da in diesem Moment gerade an.“

Er warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus.

„Da könnte was dran sein.“

„Hm.“

Gin zog ihr ihre Handtasche von der Schulter, nahm ihren Revolver heraus.

„Du solltest deine Fans nicht länger warten lassen, Chris…“

Er grinste bösartig.

Sie schaute ihn an. Dann drückte sie ihre Zigarette im bereitgestellten Aschenbecher aus und ging hinein.

Sie wusste, was nun folgen würde.
 

Und während sie sich von über hundert Leuten ein Alibi geben ließ, die später vor der Polizei Stein und Bein schwören würden, sie in der fraglichen Tatzeit dabei beobachtet zu haben, wie sie ein paar Cannapées verzehrte und ein Glas Beaujolais trank, dachte sie sich, dass heute kein guter Tag für Ayako Sugiyama, die nette Frau aus der Garderobe, gewesen war.

Und wohl auch nicht für einen der vielen Verdächtigen, der für diesen Mord, den er nie begangen hatte, in den Knast wandern würde. Deswegen brachte Gin die Frau auch mit ihrer Pistole um. Später würde einer oder eine sie in seiner oder ihrer Manteltasche wieder finden.

Ihre Pistole war einfach handelsüblicher… und handlicher.

Ein Giftmord wäre unter diesen Umständen nicht angebracht und auch nicht ratsam.
 

Und sie fragte sich, was Angel vorhatte. Oder ob es Silver bullet war, der hinter all dem steckte. Allerdings traute sie ihm nicht zu, dass er seine Freundin ihr Leben riskieren ließ.
 

Wo war er überhaupt gewesen? Wie kam es, dass sie seinen Sitzplatz bekommen hatte…?

Der Vorhang fällt...

Mesdames- Messieurs- Bonjour!
 

Voilà, le huitième chapitre. J’espère que vous avez votre plaisir!
 

So- nun hör ich aber auf, mich mit eingerostetem Französisch zu blamieren. Man möge mir eventuell falsch gesetzte accents verzeihen- mein Schulfranzösisch ist schon… äh. Wartet mal. Fünf Jahre her.
 

Warum ich trotzdem französisch schreiben muss? Weil ich will ^^;
 

Nunja- was dieses Kapitel betrifft, ich bin eher zwiegespalten. Und hochgespannt auf eure Meinungen- im Übrigen, vielen, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! Ich hab mich wahnsinnig gefreut, ihr seid die Besten :)
 

Nya. Enjoy yourself,
 

Bis nächsten Mittwoch, verbleibe ich, wie kann es anders sein - eure Leira :D

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Ran war außer Atem und heilfroh, als sie beim Haus des Professors ankam.

Hinter jeder Häuserecke, in jeder dunklen Gasse hatte sie geglaubt, schwarze Schatten zu sehen, ein Streich, den ihr ihr völlig überreiztes Nervenkostüm spielte. Aber nun war sie ja in Sicherheit, fischte den Ersatzschlüssel des Professors von der Laterne an seinem Haus und ließ sich selber ein.

Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss- aufatmend ließ sie sich dagegen sinken, schaute ein paar Sekunden einfach nur in die vertraute Dunkelheit von Professor Agasas Hausflur, hörte nichts, außer ihrem eigenen Atem, spürte die solide Tür unter ihren Fingern, ihr Herz, dass ihr immer noch bis zum Hals schlug - dann machte sie das Licht an, ging in die Küche.
 

Erschöpft machte sie sich eine Tasse Tee und setzte sich damit auf die weiße Couch im Wohnzimmer. Sie wusste, das war etwas unhöflich, aber sie brauchte jetzt dringend Tee. Wirklich dringend.

Langsam trank sie die heiße Flüssigkeit, in kleinen Schlucken - merkte, wie mit jedem Schlückchen grünem Tee ein bisschen mehr Wärme in ihren Körper zurückkehrte. Langsam fiel die Anspannung, die seit dem Zeitpunkt, als sie mit der gefälschten Karte den Filmsaal mit kalten Klauen ergriffen hatte, von ihr ab. Gedankenverloren holte sie die zwei Kapseln aus ihrer Jackentasche und legte sie vor sich auf den Tisch.
 

Puh- das war knapp gewesen.

Wirklich knapp.

Sie seufzte einmal mehr erleichtert auf und gratulierte sich zu ihrer Brillanz und Abgebrühtheit.

Shinichi unterschätzte sie maßlos, aber das würde er noch bald genug erkennen.
 

Dann hörte sie, wie jemand die Haustür aufsperrte und die Stimmen von Ai und Professor Agasa erklangen im Flur.
 


 

Conan betrat die Wohnung. Alles war finster - Onkelchen schlief wohl schon, und Ran wahrscheinlich auch.

Er gähnte. Langsam hatte er sich wieder gefangen, versuchte, den Tod des Detektivs im Film als harmlos zu sehen.

Ganz gelang es ihm noch nicht. Irgendetwas steckte sicher dahinter.

Er zog sie Augenbrauen zusammen.

Und Ais Benehmen sowie das ebenfalls sehr seltsame Verhalten von Professor Agasa wollten ihm ebenfalls keine Ruhe lassen.

Was hatte das heute zu bedeuten gehabt?

Irgendetwas verheimlichte man ihm… irgendetwas ging da vor sich, von dem er keine Ahnung hatte - und von dem er auch nichts ahnen sollte.
 

Aber er war wirklich zu erschöpft, um heute noch konstruktiv denken zu können. Er würde sich morgen seinen kleinen Kopf darüber zerbrechen.

Er gähnte ausgiebig.

Morgen war schließlich auch noch ein Tag.

Müde zog er sich um und legte sich auf seinen Futon neben Kogorôs Bett, der tatsächlich schon schlief - ärgerte sich einmal mehr über dessen unglaubliches Geschnarche - und lag kurz darauf ebenfalls in Morpheus’ Armen.
 


 

Ai hätte weinen können vor Erleichterung, als sie Ran auf der Couch sitzen sah.

Natürlich tat sie es nicht.

Stattdessen kam ihr ein anderer Gedanke, und sie wusste nicht, woher, aber - es hatte etwas von einem modernen Kunstwerk, wie Ran so da saß, aufrecht in ihrem hübschen, roten Kleid, auf dem weißen Sofa, vor ihr die rot-weißen Kapseln…
 

Rot wie Blut, weiß wie die Unschuld eines Engels…
 

Ran stand auf. Sie warf dem Professor und Ai fragende Blicke zu.

„Wo…?“

Die Frage brannte ihr noch immer auf der Zunge. Seit dieser einen Szene - sie wusste, es war dumm sich deswegen zu sorgen, aber sie konnte nichts dagegen tun.

Rein gar nichts.

„Bei dir zuhause. Wahrscheinlich liegt er schon im Bett, er war ziemlich müde. Er wollte schon nicht mehr mit zum Pommes frites und Burger-Essen, aber wenn wir nicht dahin gegangen wären, wären wir vor dir zuhause gewesen.“, beantwortete Ai ihre Frage.
 

„Und wie fand er den Film?“

Sie versuchte gelassen zu klingen, aber ihre Stimme zitterte dennoch.

Diesmal übernahm der Professor die Antwort.

„Er fand ihn wohl wortwörtlich zum Kotzen.“

Ran starrte ihn erstaunt an. Ai schaute ungläubig zu ihm auf.

„War das jetzt Ironie, Professor?!“, wisperte sie erstaunt.

„Du nicht auch noch! Was habt ihr heut denn alle?!“, fuhr sie der Professor aufgebracht an.

„Zum Kotzen?“, wiederholte Ran fragend und zog damit die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf sich.

„Nun“, murmelte Ai, „er fand die Idee mit dem Detektiven und Vermouth wohl nicht sehr amüsant.“

„Ich auch nicht.“, seufzte Ran.

Dann erinnerte sie sich daran, warum sie sich den heutigen Abend eigentlich angetan hatte, und nahm eine der Kapseln vom Tisch, betrachtete sie eingehend.
 

„APTX 4869…“, las sie vor. In winzigen Buchstaben war der Name aufgedruckt- auf der roten Hälfte stand in weißer Schrift APTX, auf der weißen in roten Ziffern die Nummer- 4869.

Sie sah auf.

„Ist es das?“

Ein Blick in Ais weit aufgerissene Augen genügte ihr.
 

„Was heißt das eigentlich?“

„Apoptoxin.“, flüsterte Ai, nahm die zweite Kapsel in ihre Hand, ging rüber zu einem Regal und deponierte sie in eine Petrischale, hielt Ran die Schale auffordernd hin- aber die ging nicht auf das stumme Angebot ein, ihre Kapsel ebenfalls rein zu legen.

„Und das heißt…?“, hakte Ran stattdessen nach und schaute das kleine Mädchen mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Toxin heißt Gift- wenn etwas toxisch ist, so ist demnach giftig. Und die Apoptose- so nennt man den Zelltod. Das Gift löst den Zelltod aus.“

Ran schaute die kleine Kapsel auf ihrer Handfläche an.

„Zelltod?“

„Ja. Es sollen so viele Zellen sterben, dass der Körper nicht mehr lebensfähig ist. Bei mir und Shinichi ging das aus unerfindlichen Gründen schief, wie du siehst.“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hielt die Petrischale noch höher.

„Ran. Denk nicht dran. Leg sie jetzt da rein, bitte. Ich verspreche, ich beeile mich mit dem Gegengift…“

Ran zögerte, ließ ihre Hand etwas sinken, aber hielt die Kapsel noch fest.

„Wie lange…?“
 

Ai starrte sie an.

„Eine Woche?“

Das war eine glatte Lüge. Und noch schlimmer-

Ran merkte es. Sie zog die Hand wieder zurück, hielt die Kapsel an ihre Brust wie einen kostbaren Schatz- schaute das kleine Mädchen vor ihr aus zusammengekniffenen Augen skeptisch an.

„Du lügst mich an.“

Ai starrte sie wütend und verzweifelt gleichermaßen an.

„Ja, verdammt, ich lüge dich an! Ja! Es wird lange dauern, bis ich es fertig habe, weil ich ausschließen muss, dass uns das Gegengift umbringt, vollendet, was das Gift nicht geschafft hat- vorher kann ich es ihm nicht geben. Und bis ich die Komponente gefunden habe, die den Schrumpfvorgang ausgelöst hat, kann es dauern. Wenn es überhaupt möglich ist, ein Gegengift zu finden- schließlich sollte es ja auch nicht schrumpfen, sondern sofort töten! Gegen den Vorgang der Apoptose gibt es kein Gegengift... Aber ich will nicht, dass du das Gift schluckst, also gibs her! Leg das Gift jetzt sofort in diese Schale!“

Ihre Stimme war hoch, überschlug sich. Der letzte Satz war ganz klar als Befehl formuliert worden- und war auch als solcher zu verstehen.

Ran blickte sie starr an.

"Es gibt vielleicht gar kein Gegengift?", hauchte sie tonlos.
 

Das kleine Mädchen vor ihr war kreideweiß, zornentbrannt- ihre rotblonden Haare schienen zu lodern. In diesem Moment war Ai nicht Ai- sondern Shiho.

Shiho, die wütend war, über soviel Unvernunft, soviel Unverständnis, soviel Dummheit.

„Ran, gib das Ding her! Gib es endlich her! Es wird dich töten!“
 


 


 

Er saß über einem Skript, als er sie kommen hörte.

Hörte knirschend Schritte über den Kiesweg zum Haus gehen, die zwei Stufen hoch, dann, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte…

Die Tür ging auf, und wurde sehr leise wieder ins Schloss gedrückt.
 

Weitere, dumpfe Schritte im Hausflur - und dann wurden aus den gerade noch schweren Schritten leichte, federnde Schritte, die sich näherten.

Als sie schließlich aus den langen Schatten, die den Raum in Dunkel tauchten, in den sanften Lichtkegel der Schreibtischlampe trat, zog sie sich gerade die Maske vom Gesicht, nahm sich die grauhaarige Perücke vom Kopf.
 

Er schaute kurz auf.

„Du weißt, ich hasse das, Yukiko. Es sieht irgendwie abartig aus, wenn du dir dieses Silikonzeug von der Haut reißt.“

Sie erwiderte nichts. Trat nur noch ein Stück näher.

„Und, wie war der Film? War er ihn der Vorstellung? War deine kleine Untersuchung denn erfolgreich?“, fragte er, strich wütend mit harschen Strichen ein paar Sätze durch.

Sie fing an, sich ungeschickt Haarnadeln aus ihren zusammengesteckten Haaren zu ziehen.

„Nein. Er nicht.“

Ihre Worte, obgleich verzweifelt um Beherrschung bemüht, klangen kratzig.

Und erst jetzt, bei diesem Ton in ihrer Stimme, schaute er wieder auf.
 

Sah, wie sie schluckte.

Und erst jetzt, als sie fast vor ihm stand, bemerkte er es.

Sah er, dass sie geweint hatte. Dass ihr Gesicht ungewöhnlich blass war.

„Yuki?“
 

„Er war nicht in der Vorstellung.“, wiederholte sie leise.

„Er nicht? Was meinst du damit? War jemand anderes da, außer- ich meine…“

Yusaku Kudô schraubte seinen Füllfederhalter zu.

„Yukiko - warum hast du geweint?“
 

Sie schaute an die Decke, kämpfte um ihre Fassung.

„Ran war in der Vorstellung. Sie saß neben mir.“

Sie ging um den Tisch herum. Er rutschte einen Schritt zurück, sie ließ sich auf seinen Schoß nieder, schmiegte sich an ihn.

„Warum war Ran da?“

„Weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Shinichi- dass er es weiß. Er hat ja nur erzählt, dass er eine Karte hat- und nicht weiß, ob er gehen soll oder nicht, und dass wir auf uns aufpassen sollen, weil es sein kann, dass außer Vermouth auch noch andere in der Stadt sind. Sharon saß vor uns. Sie - sie war es wirklich. Er hatte Recht.“

Er strich ihr übers Haar. Er merkte, wie sie zitterte, ahnte, dass die Überraschung, dass Ran auf der Premiere gewesen war und die Enttäuschung, die Angst ob der Tatsache, dass Shinichi was Sharon betraf, Recht gehabt hatte, nicht alles waren, was sie so aufbrachte.
 

„Was noch…? Was hat Ran zu dem Film gesagt, hast du mit ihr gesprochen? Hat sie dich erkannt?“
 

Sie drehte ihren Kopf, machte dann langsam die letzten Haarnadeln aus ihrer Frisur, ließ ihren nussbraunen Locken wieder ihren Willen. Dann schüttelte sie ihr Haupt.

„Nein, ich hab nicht mit ihr gesprochen, und ich denke nicht, dass sie mich erkannt hat. Sie ist plötzlich weg, nach der Vorstellung. Als alle klatschten, muss sie wohl gegangen sein, ich hab nicht aufgepasst, weil ich… weil ich zu beschäftigt war, zu abgelenkt war durch Sharon. Als sie nach vorn ging, im Rampenlicht stand - es war fast wie an dem Tag, als sie ihren Oskar bekam. Sie hielt eine kleine Rede über den Film, über ihre Inspiration… dann war sie kurz weg, ging mit ihrer Begleitung nach draußen, kam aber bald wieder, ihr Begleiter kam erst ein paar Minuten zurück.

Dann aß sie ein paar Häppchen, plauderte, trank ein Glas Rotwein...

Ich bekam erst mit, dass Ran weg war, als eine Frau herein lief und panisch brüllte, dass auf der Damentoilette eine tote junge Frau liegt.“
 

Yusaku zuckte merklich zusammen. Er starrte seine Frau entsetzt an.

„Sag nicht, dass- Yukiko, es war nicht,… oder?“

Sie schüttelte beruhigend den Kopf.

„Nein, das dachte ich auch zuerst. Es war nicht Ran. Es war die Frau aus der Garderobe. Erschossen.“

Sie atmete tief durch.

„Dann kam die Polizei, führte die Ermittlungen, fand die Tatwaffe in einem großen Blumenkübel. Wie sich herausstellte, hat eine völlig verwirrte, verängstigte Frau die Pistole in ihrer Manteltasche gefunden - und sie dann so entsorgen wollen. Als sie sie versteckte, war noch gar nicht klar gewesen, dass eine Frau tot war. Natürlich eine ganz falsche Reaktion…“

Yusaku nickte grimmig.

Yukiko fuhr fort.

„Sie hätte die Polizei rufen sollen. Das Dumme ist, nicht nur, dass die Pistole von ihren Fingerabdrücken übersät ist, nein - ihr Seidenschal, den sie laut eigener Aussage im rechten Ärmel ihres Mantels deponiert hatte, und der in einem Toilettenkasten gefunden wurde, wies ein Loch und schwarze Brandspuren auf.“
 

„Es wurde durchgeschossen, um Schmauchspuren zu vermeiden?“

„Ja, das sagt die Polizei.“

Yukiko nickte.

„Yusaku, ich glaube nicht, dass sie es war. Sharon war es auch nicht, sie hatte dazu keine Zeit. Ich glaube, ihr Begleiter war es. Er sah… er sah aus, wie er uns Gin beschrieben hat.“
 

Unwillkürlich zog er sie fester an sich.

Sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil - sie presste sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, so gut es eben ging.

Und er ahnte, dass noch etwas im Busch war.

Dass es noch etwas gab, was seine Frau zutiefst ängstigte.
 

„Yukiko? Was ist los…?“

Er drückte sie an sich.

„Was ist los…?“

„Der Detektiv in dem Film. Er…“

„Was…?“

„Er ist Shinichi wie aus dem Gesicht geschnitten. Ehrlich. Ich dachte für den ersten Moment, er wäre es, ich, seine Mutter…! Er sah ihm so unglaublich ähnlich…“
 

„Was ist mit ihm?“
 

„Er ist gestorben, Yusaku…“

Tränen liefen ihr erneut übers Gesicht.

Er sagte nichts, streichelte seiner Frau nur unablässig übers Haar.
 


 


 

Ran trat einen Schritt zurück.

„Nein. Denn wenn deine Befürchtung wahr ist, dass es vielleicht nie eine Heilung gibt... dann muss ich es erst Recht tun. Und wenn ich warte- dann redet er es mir aus. Ich muss es tun. Jetzt...“

Ihr Verstand sagte ihr, dass Ai Recht hatte - und dass Shinichi wohl nicht wollen würde, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte.

Aber diese Stimme war so leise - so leise, kaum hörbar im Vergleich mit der Stimme der Sehnsucht, die laut und klar aus ihr sprach, die verlangte, was ihr schon so lange vorenthalten worden war- Liebe.

Die Zuneigung des Jungen, den sie liebte. Der sie liebte.

Er konnte es von sich aus nicht tun - konnte ihr Verlangen nicht stillen, ihre Sehnsucht nicht lindern.

Also musste sie ihm helfen. Musste sie so werden wie er.

Musste sie die Brücke bauen.
 

Ai legte den Kopf in den Nacken, seufzte tief.

Als sie sie wieder anschaute, lag in ihren Augen Trauer und Sorge.

„Ran, bitte. Bitte. Bitteee…! Nimm es nicht. Du wirst sterben, wenn du es schluckst, kein Mensch weiß, warum es nicht immer funktioniert.“
 

„Ich muss es aber versuchen… ich muss, für ihn. Er hat doch dieses Gegengift auch schon genommen, ohne zu wissen, ob er es überlebt. Warum darf ich nicht das für ihn tun, was er auch für mich tut…? Ai, wie oft soll ich es dir noch erklären? Also, wie nimmt man die am besten ein? Einfach so schlucken, oder lieber mit Wasser runterspülen?“

„Gar nicht!“, fuhr Ai sie erneut an.

„Am besten nimmt man sie gar nicht ein!!!“

Der Professor war ebenfalls näher getreten. Ran schaute beide lange an.

Ais Stimme kippte ihr weg. Ihre Hände waren eiskalt, ihr Magen schien Achterbahn zu fahren - ihr ganzer Körper, ihr ganzes Denken war benebelt von Furcht.

Nicht auch noch Ran… wenn ihr was passierte, allein, wenn sie schrumpfte, würde Shinichi sie hassen, noch mehr, als er sie ohnehin schon verachten würde, weil sie Ran diese Aktion überhaupt erst ermöglicht hatte- dann würde sie den einzigen echten Freund wohl verlieren, den sie hatte - je gehabt hatte. Für immer.
 

Aber - wenn sie starb, kam das dem Weltuntergang gleich für ihn. Und er würde neben sich selber auch ihr die Schuld geben, und zwar zu Recht.
 

Wenn Ran starb…

Ai schluckte. Sie mochte Ran. Sie war zwar ein wenig neidisch, und eifersüchtig, ja- aber Ran erinnerte sie an Akemi, ihre Schwester. Ran war ihr so ähnlich, kam einer älteren Schwester, besten Freundin, am nächsten.

Sie durfte das nicht tun. Weil sie nicht wollte, dass sie es tat.

Also versuchte sie noch mal, an ihre Vernunft zu appellieren.
 

„Selbst wenn du schrumpfst - du kannst die Konsequenzen doch gar nicht absehen. Du weißt nicht, wie das ist. Shinichi würde nie wollen, dass du das tust…

„Wir hatten das Thema doch gestern schon. Ich will so nicht mehr weitermachen…“, unterbrach die junge Frau das kleine Mädchen unwirsch.

„Aber wenn du stirbst, Ran, überleg doch mal…“

Der Professor versuchte es mit gutem Zureden.

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Dann sterbe ich eben. Aber mit etwas Glück schrumpfe ich auch…“

Sie starrte die Kapsel hoffnungsvoll an, Ai hingegen blickte sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte.

„Glück? Glück nennst du das hier?!“

Sie atmete heftig, zerrte an ihren Haaren, ruderte mit den Armen, um ihre Lage zu verdeutlichen.

„Glück? Weißt du, wie oft Shinichi wohl sein Glück schon verflucht hat? Wie oft er sich schon gewünscht hat, damals einfach gestorben zu sein, hinterm Riesenrad im Tropical Land?!“

Ran starrte sie erschrocken an.

„Hat er das gesagt?“, hauchte sie entsetzt.

Ai wandte den Blick ab, sagte nichts mehr. Hätte sie mal besser die Klappe gehalten.
 

„RAN!“

Diesmal war es der Professor gewesen, der gerufen hatte. In dem Moment, als die zwei nicht aufgepasst hatten, hatte Ran das Gift geschluckt.
 

Sie schrie schmerzerfüllt auf, griff sich unwillkürlich an den Brustkorb.

Was gerade passierte, war mehr, viel mehr, als sie verkraften konnte.

Nur am Rande merkte, sie dass Ai auf sie zu rannte, in ihrem bleichen Gesicht waren Panik und Entsetzen nur allzu deutlich zu lesen.

Gequält stöhnte sie auf, schnappte hilflos nach Luft.

„So… heiß…“, wimmerte sie.

Agasa fing sie auf, als sie zusammensackte.
 

Shinichi!
 


 

Er wachte auf.

Sein Atem ging schnell, er zitterte, war schweißgebadet. Er setzte sich auf, sah sich um.

Jemand hatte geschrien? Oder hatte er das nur geträumt?

Ein Gefühl von Unruhe ergriff ihn, von Angst… Panik.

„Ran?“, murmelte er. Dann stand er auf, verließ leise Kogorôs Schlafzimmer, tapste barfuss den Gang entlang zu Rans. Vor der Tür blieb er stehen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, irgendetwas war anders…

Er klopfte leise an, drückte, als niemand antwortete, die Klinke runter, trat ein.

Durch das Fenster schien der Mond. Offensichtlich hatte sie vergessen, die Rollläden runter zu lassen.

Langsam wandte er den Kopf. Auf ihrem Bett blieb sein Blick haften.
 

Es war leer.

Und nicht nur das- es sah so aus, als wäre sie nicht heimgekommen, die Kissen waren sauber aufgeschüttelt, die Bettdecke faltenfrei zusammengelegt. In dem Bett hatte keiner geschlafen.
 

Ran?
 

Wo war sie? Hatte er sie schreien gehört?

Jetzt hielt ihn nichts mehr. Er rannte durch die Wohnung, machte überall das Licht an, suchte verzweifelt… aber sie war und blieb verschwunden.
 

Und dann kam ihm die einzig logische Erklärung für ihre Abwesenheit. Er atmete tief aus.

Sie übernachtete wohl heute bei Sonoko.

Es war zwar komisch, dass sie vorher nichts gesagt hatte, aber… vielleicht hatten sie sich ja spontan dazu entschlossen. Er wusste, die beiden waren heute aus gewesen, also lag die Vermutung nahe.
 

Er seufzte.

Sie anzurufen hatte wohl keinen Zweck - wahrscheinlich schlief sie schon.
 

Er fischte sein Handy vom Wohnzimmertisch und schrieb ihr eine Mail, sich doch bitte zu melden, wenn sie sie las. Dann klappte er das Mobiltelefon zu, ließ die Hand wieder sinken.

Müde strich er sich übers Gesicht.

Schön, er hatte jetzt eine sehr plausible Erklärung gefunden, dafür, dass Ran nicht zuhause war.

Den Schrei erklärte er sich jetzt einfach mal mit einem Alptraum - wäre nach diesem Tag schließlich nicht verwunderlich.
 

Aber eine Erklärung für das mulmige Gefühl, das blieb, fand er nicht. Und es verließ ihn nicht, bis er wieder eingeschlafen war, genauso wie der Hilferuf in seinen Ohren nachhallte, ihn bis in seine Träume verfolgte.
 


 


 

Ai hörte Rans Handy vibrieren. Sie kramte es aus ihrer Tasche, klappte es auf und las die Nachricht. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen.
 

Du bist gut, mein Lieber…
 

Sie drehte sich um. Der Professor sah sie fragend an.

„Wer war es?“

Ai biss sich auf die Lippen, atmete tief durch bevor sie antwortete.

„Shinichi.“

Der Professor nickte nur. Dann wandte er sich wieder dem Mädchen zu, das neben ihm auf der Couch lag, tupfte ihr mit einem nassen Waschlappen die schweißnasse Stirn.
 


 

Als er aufwachte, war dieses ungute Gefühl immer noch da.

Als Ran um halb elf immer noch nicht da war, und auf seine Mail auch nicht geantwortet hatte, schlug es erneut in blanke Panik um.
 

Kogorô bekam von alledem nichts mit. Er schlief wieder mal einen Rausch aus.
 

Conan tigerte von einem Zimmer ins nächste, sein Handy in der Hand, angestrengt auf das Telefon horchend. Nichts tat sich.

Nichts.
 

Um halb zwölf klingelte es an der Tür.

Der kleine Junge rannte zur Wohnungstür, riss sie stürmisch auf, wollte Ran entgegenbrüllen, was er von ihrer Aktion hielt- aber ihm blieb das Wort im Halse stecken.

Vor der Tür stand nicht Ran.
 

Es war Sonoko.
 

Er seufzte frustriert. Das blonde Mädchen warf ihm einen finsteren Blick zu.

„Na, das nenn’ ich mal eine nette Begrüßung.“

„Hallo Sonoko.“, murmelte er pflichtschuldig, schaute zu Boden.

Die Oberschülerin verschränkte die Hände vor der Brust.

„Ist Ran schon wach?“

„Weiß ich nicht.“, antwortete er wahrheitsgemäß. Er wollte sie loswerden, diese Nervensäge konnte er gerade gar nicht gebrauchen.

Sonoko schaute ihn mit genervter Miene an.

„Was soll das heißen?“

„Na, das was es heißt. Sie ist nicht hier. Einen schönen Tag noch, Sonoko.“

Er wollte gerade die Tür zumachen, als sie einen Fuß in die Spalte stellte.

„Was soll das heißen, sie ist nicht hier? Dann ist sie ja doch wach, aber schon wieder weg?“

Irgendetwas in seiner Stimme ließ ihn aufhorchen. Er gab es auf, sich mit seinem Grundschülerfliegengewicht gegen die Tür zu stemmen und schaute hoch.

„Nein. Sie war nicht zuhause, letzte Nacht.“

Er wurde bleich.

„Ich dachte eigentlich, sie wäre bei dir?!“

Sie schaute runter zu ihm, sah in sein erschrockenes Gesicht. Angst und Sorge standen in seinen Augen.

„Nein, war sie nicht. Sie hat mich gestern im Restaurant einfach sitzen gelassen, kannst du dir das vorstellen?“

Sie wedelte theatralisch mit den Händen, trat an ihm vorbei in den Flur.

„Nein.“, antwortete er zögernd.
 

Das war ganz und gar nicht typisch für Ran. Was war hier nur los? Wo war sie?
 

„Tja. Ich konnt’s auch nicht, bis gestern Abend eben.“

Sie drehte sich um, sah ihn immer noch in der Tür stehen. Ein tief nachdenklicher Blick lag auf seinem Gesicht, eine Hand hatte er an sein Kinn gelegt, mit der anderen stützte er sich an der Haustür.

Und sah, in dieser Haltung, jemand ganz bestimmten verdammt ähnlich.
 

Shinichi?
 

Sie legte den Kopf schief.

„Mach die Tür zu, es zieht.“, sagte sie dann.

Er gab ihr einen Schubs, dann ging er an ihr vorbei ins Wohnzimmer. In ihm herrschte Aufruhr. Er hatte Angst- wo war sie bloß? Warum meldete sie sich nicht? Warum verhielt sie sich so anders…?
 

Gedankenverloren nahm er ein Buch aus dem Regal.

Am liebsten hätte er die Polizei angerufen, aber die unternahm erst nach vierundzwanzig Stunden etwas. Und Kogorô zu wecken, wenn er einen Rausch ausschlief, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Also warten…
 

Er seufzte tief.
 

Sonoko starrte ihn an. Sie war sich so gut wie sicher. Dieser Ausdruck von Sorge auf seinem Gesicht, die Art, wie er sich verhielt… seine Bewegungen, alles…

Dass ihr das, der Ladydetektivin Sonoko, noch nicht viel früher aufgefallen war?
 

Einen Versuch war es auf jeden Fall wert…
 

„Und, was macht die Kunst, Shinichi…?“

Ganz gelassen kamen ihr die Worte über die Lippen.

Conan ließ sein Buch fallen, ignorierte den Schmerz, als es ihm mit der Kante auf den Fuß prallte, und drehte sich langsam um.

„S…Sonoko?“

Er versteckte seine Hände hinter dem Rücken, damit sie nicht sehen konnte, dass sie zitterten. Seine Nerven lagen ohnehin schon blank, und jetzt auch das noch.

Dann setzte er den unschuldigsten Kinderblick auf, den er drauf hatte und starrte zu ihr hoch. Also hatte er doch Recht gehabt, auch wenn er es nicht hatte glauben wollen - sie verdächtigte ihn tatsächlich. Sonoko Suzuki ahnte etwas… ausgerechnet Sonoko…!

Das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Also erst mal nach Schema F vorgehen - alles leugnen und herausfinden, wie viel der Feind wusste.

„Was meinst du damit?“

„Das weißt du ganz genau.“

Sonoko hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn berechnend von oben herab an. Dann ging sie in die Knie, um ihm in die Augen sehen zu können, und tippte ihm mit einem Finger an die Brust.

„Du bist Shinichi.“

Er blinzelte. Die war aber hartnäckig heute.

„Du machst Witze, Sonoko? Ich bin ein kleiner Junge, Shinichi ist fast erwachsen…“

„Nein, ich mache keine Späße. Was weiß ich, wie du das angestellt hast. Aber du bist Shinichi. Und die Art und Weise, wie Ran dich behandelt, spricht Bände. Du kannst aufhören, mich anzulügen, Kudô. Ich kenne Ran seit Jahren, ich kann ihr Verhalten deuten.“

Seine Nerven lagen blank. Und wahrscheinlich war es genau diese Situation, die ihn langsam ahnen ließ, dass er auf verlorenem Posten stand. Er konnte nicht mehr- er hatte im Moment keine Kraft dazu. Als ob er nicht schon genug Probleme hatte, weil Ran verschwunden war…

„Aber…“, begann er trotzdem, wenig überzeugend.

Wo war Ran bloß?

„Hör endlich auf, mich für dumm zu verkaufen, Shinichi, und sag mir lieber, wie so was passieren kann. Und was du mit Ran angestellt hast.“

„Ich bin nicht-“

Ein letzter Versuch.
 

Dann knallte es. Er hielt sich die Wange, starrte sie zornentbrannt an. Sie schaute abwechselnd auf ihre Hand, dann in sein Gesicht, offensichtlich überrascht über ihre eigene Reaktion.

„Ich…“, begann sie stammelnd.

„Schön.“, unterbrach er sie.

Seine Stimme schwang nun eine Oktave tiefer, klang definitiv verärgert und überhaupt nicht mehr kindlich. Etwas Drohendes haftete ihr an.

Sonoko schaute in abwartend an.

Schön. Wenn du glaubst, du machst dir das Leben leichter damit, okay. Ja. Ich bin Shinichi Kudô. Und wenn ich jemals wieder der bin, der ich mal war, dann, Sonoko, wird dir die noch Leid tun.“

Er atmete tief durch, versuche, sich wieder zu fangen. Versuchte, nicht daran zu denken, wie lächerlich, wie absurd, diese Situation war.

„Eine Entschuldigung wär angebracht. Kleine Kinder schlägt man nicht.“

„Tschuldigung.“, murmelte sie bedröppelt, schaute ihn mit großen Augen an, blinzelte ungläubig.

Conan schaute zu Boden, dann langsam wieder hoch. Als er sie jetzt ansah, schien sein Zorn ein wenig verraucht zu sein.

„Ich weiß nicht wo sie ist.“

„Du…“

„Das ist der einzige Grund, warum ich nicht so wütend auf dich bin, wie ich sein sollte, weil du mir eine Ohrfeige gegeben hast. Warum ich dir sage, was Sache ist…

Weil ich weiß, dass du dir wohl genauso viele Sorgen machst, genauso viel Angst um Ran hast, wie ich. Ihr Verhalten ist nämlich wirklich seltsam...

Du sahst keinen anderen Weg, mich zum Reden zu bringen, also gut, ich rede.

Sie ist gestern nicht nach Hause gekommen, reagiert nicht auf die SMS, die ich ihr geschickt habe, geht nicht ans Telefon. Ich weiß nicht, wo sie ist, das ist die Wahrheit. Und es macht mich fertig. Ich kann nicht mehr.“

Er ließ sich zu Boden sinken. Sonoko tat es ihm gleich.

„Weiß Ran…?“

„Wer ich bin? Ja. Seit Weihnachten.“

Sonoko nickte bedächtig.

„Das dachte ich mir."

Er schaute auf.
 

"Was hat uns verraten?"

Die blonde Oberschülerin musterte ihn nachdenklich.

"Ihr benahmt euch beide so anders… sie schaute dich einfach nicht mehr an wie vorher. Sie sah dich an, wie sie früher immer Shinichi angesehen hatte…“

Sie lächelte kurz.

„Ich wollts selber lang nicht glauben, hab dich beobachtet… und du hast es mir nicht einfach gemacht. Irgendwann jedoch- war der Punkt erreicht, wo zu viele Zufälle auf einen Haufen kamen, um noch zufällig zu sein. Aber sag mal… wie- ich meine… hast du den Jungbrunnen gefunden, oder was?“

Conan seufzte tief, schaute sie genervt an.

„Ja klar. Und draus getrunken oder wie? Ich war jung, warum würde ich noch jünger werden wollen?!“

Sonoko schaute ihn genervt an.

„Jaja, is ja gut… also, wie geht so was?“

Sie machte eine bezeichnende Geste.

Er schüttelte den Kopf.

„Das weiß selbst Ran nicht, und dir werde ich es auch nicht sagen.“
 

„Das wusste selbst Ran nicht, meinst du wohl?“
 

Conan fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen. Diese Stimme klang fremd, doch hatte sie auch etwas Vertrautes.

Er kannte diese Stimme- aber er hatte sie schon lange nicht mehr gehört.

Als er sie dann sah, die Person, die gerade gesprochen hatte, traf ihn der Schlag, und zwar wörtlich. Das konnte nicht sein, das war zu viel. Zuerst der Film gestern, dann diese schreckliche Nacht, in der er kaum geschlafen hatte, all die Sorgen, die er sich gemacht hatte… und jetzt das.

Sein kleiner Kinderkörper streikte jetzt, das war zu viel des Guten.

Er merkte, wie ihm schummrig wurde, sich die Welt auf einmal drehte... wollte das Gefühl der nahenden Ohnmacht niederkämpfen- aber er verlor den Kampf.

Er kippte um. Wie sein Kopf auf dem Teppichboden aufschlug, bekam er schon nicht mehr mit.
 

Sonoko bewies mehr Stehvermögen in diesen Minuten. Sie saß nur da, schaute ihr Gegenüber an.

„Ran?“, fragte sie vorsichtig.
 

Das kleine Mädchen nickte.

Kindheitstrauma

Seid gegrüßt!
 

Zuerst einmal vielen, vielen Dank für eure Kommentare! *verbeug*

*rotwerd*

Danke! Ehrlich, ich bin platt- vielen, vielen Dank!!!
 

Ich wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen von Kapitel 9!
 

Bis nächste Woche, gleiche Zeit, gleicher Ort :)
 

Liebe Grüße, eure Leira
 

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Als er wieder zu sich kam, schwebte Kogorôs Gesicht über seinem. Kurz darauf packten ihn zwei Hände am Kragen und hoben ihn hoch.

„Du kleine Ratte, dafür wirst du büßen, was du mit meinem Mausebein-“

Der Ärger, die Wut in der Stimme des aufgebrachten Vaters seiner Freundin waren kaum zu überhören.

Conan schaute ihn nur müde an; Kogorôs Gebrüll schwappte über ihn hinweg wie eine Welle, betraf ihn ansonsten aber nicht weiter. Seine Worte gingen zum einen Ohr rein, und zum anderen wieder raus. Er fühlte sich so matt, so kraftlos, er hatte weder Lust noch Energie, sich zu wehren… zu streiten…
 

Immer wieder sah er sie vor seinem inneren Auge, wie sie in der Tür stand- klein.

Ein kleines Mädchen.

Eine Grundschülerin.
 

Ran… Ran…

Wie konnte das passieren? Wie konnte das nur passieren...?

Warum hast du das getan?
 

Kogorô donnerte weiter, ließ ein wahrlich wortgewaltiges Gewitter über ihn nieder - Conan hörte ihn zwar, aber der Sinn seiner Worte ging an ihm gänzlich vorbei. Er horchte erst wieder auf, als er sie hörte.

Diese Stimme.
 

„Paps!“

Hoch und doch energisch schallte es zu ihnen hoch. Als sie beide nach unten sahen, sahen sie das Persönchen, zu dem sie gehörte. Ran stand da, die kleinen Kinderhände in die eher schmalen Hüften gestemmt, und funkelte ihren Vater von unten herauf wütend an.

„Lass ihn runter.“

Ihre Stimme klang leise - und befehlend. Und obwohl sie eine Oktave höher war als sonst, erkannte man ganz klar Ran, die da sprach.

„Mausebein, dieser Kerl hier ist der Grund, warum du-“, begann ihr Vater grollend. Ran schüttelte den Kopf, holte Luft.

„Lass ihn sofort runter!“, fauchte sie wütend, etwas lauter diesmal.

„SOFORT!“
 

Der Mann beeilte sich, den Jungen auf dem Boden abzusetzen, warf seiner Tochter einen gleichermaßen verärgerten wie verwirrten Blick zu.
 

Ran wollte auf ihn zugehen, wollte sich ihm erklären, hielt aber inne. Irgendetwas an ihm signalisierte Ablehnung. Conan stand schwankend vor ihr, sah ihr nicht in die Augen.
 

Kogorô räusperte sich, stutzte aufgrund dieser seltsamen Reaktion des Jungen. Sein Plan war doch anscheinend aufgegangen, Ran war klein; warum freute er sich nicht? Abwartend schaute er die beiden Kinder an.

Als er aufgewacht war und seine Tochter in diesem… diesem Zustand gefunden hatte, hatte sie ihm alles erklärt - allerdings nicht wirklich alles, wie es nun schien. Sie hatte ihm erzählt, wer Conan Edogawa wirklich war, und was hinter dem Mythos des schlafenden Kogorô steckte.

Conan Edogawa hatte ihm zu seinem Ruhm verholfen.

Ran hatte ihm erzählt, wie es dazu gekommen war- wie Kudô geschrumpft wurde. Welche Gründe allerdings die Ursachen für ihre Verjüngungskur gewesen waren- der Frage war sie sehr geschickt ausgewichen; und es war ihr nur gelegen gekommen, dass ein leises Stöhnen sein Erwachen angekündigt hatte.
 

Gerade eben war er sehr, sehr wütend auf eine gewisse Person in diesem Raum, und machte auch keinen Hehl daraus. Er war überzeugt davon, dass er es gewesen war, der seine Tochter dazu gebracht hatte, ebenfalls zu schrumpfen. Der sie angestiftet hatte. Er war schon immer ein Egoist gewesen, dieser...

Zornig funkelte er den Grundschüler an, der, wie er nun wusste, niemand geringeres als Shinichi Kudô himself war.

Und er fragte sich zum hundertsten Male, was dieser Kerl an sich hatte, das seine Tochter derart faszinierte, sie dermaßen in den Bann schlug.

Dann konzentrierte er sich wieder auf die Beobachtung der beiden Kinder vor ihm.
 

Lange sagte niemand etwas. Die Anspannung lag fast greifbar in der Luft. Ran versuchte aus seinem Gesicht lesen zu können, wie er dachte, aber er schien seltsam ausdruckslos. Sie sah nichts.

Nicht einmal in seinen Augen konnte sie eine Reaktion erkennen. Er schaute sie nämlich gar nicht an, starrte immer noch stur auf einen Punkt vor ihren Füßen.

Tatsächlich herrschte ihn ihm nach dem anfänglichen Chaos, was zu seinem kurzen Blackout geführt hatte - für den er sich nun irgendwie schämte - nun Resignation. Er wusste weder ein noch aus, aus noch ein - sie so zu sehen war die Hölle auf Erden für ihn.

Im wahrsten Sinne des Wortes.

Keine Folter konnte schlimmer sein - allein ihr Tod hätte das Gefühl von Schmerz, Qual und Verzweiflung, dieses tiefe Gefühl von Schuld, das tief in ihm wühlte, noch übertrumpft.

Er hatte das nicht gewollt.

Nie gewollt, dass sie das tat.

Sie so zu sehen, Ran so zu sehen… zu wissen, was sie auf sich genommen, riskiert hatte - was sie aushalten hatte müssen -

Es war ein Alptraum, der wahr geworden war.
 

„Warum hast du das getan…?“, flüsterte Conan schließlich tonlos, nach einer Weile, die endlos wie die Ewigkeit schien. Er zwang sich, sie anzusehen.

In ihm schien alles zu Eis erstarrt.
 

Ran schluckte, knetete ihre kleinen Hände. Kogorô musterte sie verwirrt.

Nun war es das kleine Mädchen, das es nicht wagte, seinem Freund ins Gesicht zu sehen. Sie ertrug diesen geschlagenen Ausdruck in seinen Zügen nicht. Er sah unglücklich aus, jetzt, in diesem Moment, und das war das genaue Gegenteil von dem, was sie hatte erreichen wollen.

Sie hatte ja nicht damit gerechnet, dass er ihr freudestrahlend um den Hals fallen würde, aber das hier...

Er war todunglücklich. Wegen ihr.

Als sie nicht antwortete, wiederholte er seine Frage.

„Warum?“
 

Eri und Sonoko waren mittlerweile auch ins Zimmer gekommen, blickten den kleinen Jungen erstaunt an. Kogorô hatte seine Frau natürlich umgehend informiert, hatte ihr noch am Telefon erklärt, was vorgefallen war. Eri war sofort aus ihrem Büro hergefahren, um sich selber ein Bild zu machen.

Und stellte nun fest, dass es stimmte.

Ihre Ran… ihre Tochter war tatsächlich wieder ein kleines Kind.

Und er auch. Shinichi Kudô, zurückgeworfen in der Zeit um zehn Jahre.

Und sie fragte sich, wie, verdammt noch mal, sie nur so blind hatte sein können.

Sie hätte ihn erkennen müssen, ihn, der ihre Tochter schon immer mit seinen wahnsinnigen Ideen angesteckt hatte, mit dem Ran seit ihrer frühesten Kindheit befreundet war, so gut wie keinen Tag ohne ihn verbracht hatte.
 

Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie ihn an und stutzte.

Er wirkte nicht eben glücklich, dafür, dass sein neuester Coup doch offensichtlich ein Volltreffer gewesen war. Was eigentlich nur einen Schluss zuließ - den sie eigentlich kaum glauben mochte. Sie wehrte sich gegen die Vorstellung, dass ihre sonst so vernünftige, besonnene Tochter...
 

Alle Augen waren nun auf den kleinen Jungen gerichtet.

Er schien mit den Nerven am Ende zu sein, wirkte völlig erschöpft.
 

Das konnte nur einen Grund haben. Eri wurde bleich, ihr Blick huschte von Ran zu Shinichi, von Shinichi zu Ran.

In Rans Gesichtchen spiegelten sich Verzweiflung und Sehnsucht- in seinem Gesicht sah man nichts.

Nichts.

Er hatte aufgegeben.
 

„Wusste er es etwa gar nicht?“, fragte Eri flüsternd die Oberschülerin neben sich. Wollte nun endlich eine Antwort auf ihre Frage.

„Nein.“

Hinter ihnen erschien Ai im Türrahmen. Die beiden Frauen drehten sich um.

„Er wusste von gar nichts… von gar nichts. Er hätte es nie zugelassen, dass sie das tut. Sie kennen ihn nicht, wenn sie ihm das unterstellen.“, wisperte das rotblonde Mädchen betrübt.

„Er wusste es nicht. Ich hab ihr geholfen, ihren Plan durchzuführen, und dafür wird er mich hassen… mich hassen...

Hätte er es gewusst, hätte er es ihr ausgeredet. Ganz sicher. Aber er wusste es nicht.“

Ihre Stimme klang bitter, voller Reue.

Sie starrte den kleinen Jungen an, der nun doch zusehends seine Fassung verlor.

Eri und Sonoko folgten ihrem Blick.
 

Seine Augen sprachen Bände- seine Verzweiflung spiegelte sich nun allzu deutlich in ihnen.

Er fing an zu zittern, am ganzen Körper, als ihm aufging, mehr als zuvor bewusst wurde, was tatsächlich passiert war. Es ihm in all seinen Facetten klar wurde, all die Konsequenzen, die noch folgen könnten, der Reihe nach vor seinem geistigen Augen auftraten.
 

Was passieren hätte können. Was noch passieren könnte...
 

Er holte Luft, hob nun doch den Kopf, schaute sie fest an.

Ran schreckte zurück, als sie in sein Gesicht sah.

„Warum zur Hölle hast du das getan, Ran? Warum? WARUM?!“

Seine Gesichtszüge entgleisten, pures Entsetzen lag in seiner Stimme, sie überschlug sich fast.

Das kleine Mädchen scharrte mit ihren Füßen auf dem Boden, wich seinem Blick erneut aus. Eri und Kogorô sahen sie erstaunt an, versuchten zu verstehen, was hier vor sich ging.
 

„Warum bist du dahin gegangen? Du warst auf der Premierenfeier, nicht wahr? Du hast meine Einladung gefunden, stimmt’s? Wie sonst hättest du… wie sonst…

Warum hast du das Gift genommen, du hättest draufgehen können, verdammt! Sterben! Du könntest jetzt tot sein!“
 

Er war außer sich. Conan bemühte sich nicht einmal mehr ansatzweise, sich zu beherrschen, schrie, brüllte, war leichenblass im Gesicht, gestikulierte mit den Händen, mit denen er schließlich Rans Kragen packte und sie zu sich zog, sie somit zwang, ihn anzusehen.
 

„Warum hast du das getan?!“
 

Er atmete heftig, ließ sie wieder los, gerade als Kogorô eingreifen wollte. Sie stolperte zurück, starrte ihn ängstlich an. Eine Träne rann ihm aus dem Augenwinkel. Er wischte sie unwillig weg.
 

Das hatte sie nicht gewollt.
 

Und das war das erste Mal in seinem Leben, wo er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte… was er tun sollte. Er wusste, was man von ihm erwartete, aber er wusste nicht, ob er es tun konnte. Ob er in der Lage dazu war.
 

Ran…!
 

„Ich wollte bei dir sein. Wenn du schon nicht bei mir sein kannst…“

Ihr Erklärungsansatz scheiterte kläglich.

Conan schüttelte fassungslos den Kopf.

„Du hättest sterben können, verdammt! Oder wusstest du das nicht?!“

Ran nickte zögernd.

„Doch, ich wusste es…“

Kogorô blinzelte. Conan schien über Rans wundersame Verwandlung genauso wenig zu wissen wie er und Eri. Dabei hatte sie bis jetzt noch gedacht, er hätte ihre Tochter angestiftet.

„Warum dann, Ran? Warum hast du…?“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
 

„Es gibt für das Gift eventuell kein Gegengift, deswegen wollte ich… ich dachte…

Du willst doch auch mit mir zusammen sein, oder?“

Tränen sammelten sich in den Augen des kleinen Mädchens.
 

Conan, der bei den Worten „eventuell kein Gegengift“ Ai, die hinter Eri stand, einen entsetzten Blick zugeworfen hatte, wandte sich nun wieder Ran zu, die mit bebenden Lippen vor ihm stand.

„Du weißt, ich will mit dir zusammen sein.“

Er schluckte, stöhnte leise auf, als er seine Augen über ihre kleine Gestalt wandern ließ.

„Aber doch nicht so…“

Seine Stimme brach, verlor sich. Eine weitere Träne rollte ihm über die Wange- und wieder wischte er sie weg.

„Aber doch nicht so, Ran. Das Risiko war doch viel zu hoch, verdammt. Und du weißt doch noch gar nicht, was du dir damit angetan hast, das kann es doch nie wert sein, dass du mit mir jetzt wieder auf gleicher Augenhöhe bist… das kann ich doch nicht wert sein…“
 

Kogorô warf Eri einen ernsten Blick zu. Das Drama, das sich vor ihren Augen abspielte, brachte immer mehr Details, immer mehr Wahrheiten, zutage.

Für einen Außenstehenden würde es fast komisch anmuten, diese ernsten Worte aus den Mündern von Grundschülern zu hören, die Hauptrollen dieser Tragödie besetzt mit kleinen Kindern zu sehen - aber die, die sich im Raum befanden, sie alle wussten, was sich hier abspielte.

Sie wussten, das war kein Spiel, sondern bittere Realität.
 

„Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast?“

„Weil du -“

„- versucht hättest es dir auszureden, ja, verdammt noch mal, ja! Ran!“

Er atmete schwer. Das konnte doch nicht wahr sein. Gestern war sie noch achtzehn gewesen, eine junge Frau, schön, intelligent - jetzt stand ein achtjähriges Mädchen vor ihm, in Tränen aufgelöst. Ihm wurde das zuviel, das konnte nicht sein, er wollte ja, dass sie ihn liebte, aber nicht so, nicht so… sehr- nicht bis zur Selbstaufgabe…
 

„Es kann nicht angehen, dass du dich meinetwegen ins Unglück stürzt, Ran…“

„Ich dachte, du liebst mich!“

Sie schluchzte, schaute ihn verletzt an. Da brachte sie schon dieses Opfer, und was tat er…? Machte ihr Vorwürfe, schrie sie an, tat ihr weh, versagte ihr, was sie jetzt brauchte - ihn, seine Liebe, das Gefühl, dass sie das Richtige getan hatte…
 

Er öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Hilflos ließ er die Hände sinken.

„Aber das tue ich doch…“, flüsterte er leise.

„Und genau deswegen will ich nicht, dass du dein Leben aufgibst wegen mir…“
 

Conan strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie schniefte.

„Aber... du gehörst doch auch zu meinem Leben... du bist momentan der wichtigste Mensch auf der Welt für mich...“, wisperte sie.

Er fühlte sich, als hätte ihm jemand mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen.

Ihm wurde kalt, sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
 

„Nein. Bin ich nicht. Und will ich auch gar nicht sein…“
 

Mehr sagte er nicht. Er schluckte nur hart, trat einen Schritt zurück. Ran weinte jetzt hemmungslos - er biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte. Er wusste, die letzten Worte hätte er sich sparen sollen, aber er hatte sie nicht für sich behalten können. Es wurde ihm zuviel. Diese Macht, die ihre Gefühle über sie beide hatten - sie hatten sie wohl gründlich unterschätzt. Aber jetzt war Schluss- er konnte doch nicht zulassen, dass sie wegen ihm ihr Leben ruinierte…
 

Eri sah ihm an, dass er geschockt war- dieses Geständnis aus Rans Mund zu hören musste ihn treffen.
 

„Ich denke, es ist nicht gut, dass wir soviel Zeit miteinander verbringen.“, murmelte er leise.

Ran starrte ihn an.

„Warum?“

„Darum. Wegen dem, was du gesagt hast. Wegen dem, was du getan hast. Ich will... wir brauchen Abstand, Ran. Das ist nicht gut für dich-“

Er war weiter zurückgetreten.

Ran ging ihm nach.

„Shinichi…?“

Langsam begriff sie. Langsam, ganz langsam begriff sie, verstand sie, warum er so abweisend war. Warum er sich von ihr entfernte, warum er nicht in Begeisterung ausbrach. Warum er so verzweifelt war, so erschrocken und panisch reagierte…
 

Er hatte Angst. Er verlor die Kontrolle über diese Situation, und das machte ihm Angst.
 

Er schluckte, starrte auf seine Füße, dann hob er den Kopf, schaute sie besorgt an.

„Ran…“, begann er, brach dann ab, schien verzweifelt nach Worten zu suchen.

Sie ließ ihm dazu keine Zeit.
 

„Ich brauche dich. Und ich weiß, dass du mich auch brauchst. Ich hab’s gesehen, an Heiligabend. Der einzige Grund, warum ich dir geglaubt habe, waren nicht deine Worte, sondern der Blick in deine Augen. Wir spielen immer mit Risiko, wenn wir uns einem anderen öffnen… Shinichi, versteh doch, ich musste...“

Er hob die Hand, brachte sie damit zum Schweigen.

„Aber nicht unter solchen Bedingungen Ran. Normale Beziehungen zwischen normalen Menschen gehen normal in die Brüche. Geht unsere in die Brüche, wenn wir noch so rumlaufen, dann wird das eine Katastrophe sein, die mindestens eins unserer Leben zerstören könnte. Und ich will nicht, dass es deines ist, welches vielleicht auf der Strecke bleibt…“

Seine Stimme war so leise, dass sie ihn kaum hörte.

„Ich liebe dich. Wirklich. Aber ich kann das nicht. Ich will das nicht… ich... ich muss jetzt gehen. Ich muss nachdenken.“
 

Er sah sie an, in dieses junge Gesicht, diese großen Augen, die ihn flehend anschauten, schluckte schwer- dann schüttelte er nur den Kopf und ging.
 

Keiner hielt ihn auf. Ran starrte ihm hinterher, heiße Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie wollte ihm nachlaufen, aber ihr Vater hinderte sie daran.

Sonoko griff unwillkürlich nach Eris Arm.
 

Als er bei Ai angekommen war, die immer noch in der Tür stand, blieb er stehen.

Schaute sie an.

Sie kniff die Augen zusammen, als er vor ihr stehen blieb, wartete auf ein Donnerwetter, egal was...

Sie konnte seine Wut spüren - sie wallte fast greifbar in der Luft, wie eine Aura strahlte er sie ab.

Dann öffnete sie die Augen wieder, schaute in sein ausdrucksloses Gesicht.

Er hatte sich verdammt gut im Griff. Er war bleich wie der Tod, aber seine Gefühle verriet einzig und allein sein Blick.

Ai starrte ihn ängstlich an, wollte etwas sagen, aber das Wort blieb ihr im Halse stecken, als sie in seine gleichermaßen hasserfüllten wie verzweifelten und unglaublich enttäuschten Augen schaute.
 

Tränen stiegen ihr in die Augen.

Alles hätte sie ertragen - wenn er sie angeschrien hätte, ihr ins Gesicht gebrüllt hätte, dass er sie hasste - dass er sie verachtete - dass er sie nie, nie wieder sehen wollte, sie ihm gestohlen bleiben konnte - aber nein.

Diesen Gefallen tat er ihr nicht.

Er sah sie nur an.

Und dieser Blick, dieser Ausdruck von Resignation, von Kapitulation in seinen Augen, diese Enttäuschung - das machte sie fertig.

Sie konnte ihn so nicht sehen.

Was hatte sie ihm angetan?
 

Er warf ihr einen letzten Blick zu - dann ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ohne ein Wort gesagt zu haben, wandte er sich ab von ihr. Für ihn war das Thema Ai fürs Erste gegessen.
 

Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.
 

Alle schauten auf das kleine Mädchen, das wie unter Schock auf die zugefallene Tür schaute. Ran konnte es nicht fassen.

Von allen Szenarien, die eintreten hätten können, war das hier das Schlimmste.

Und was es noch schlimmer machte: es war tatsächlich passiert.

Er war weg.
 

Sie schluchzte.

Er war weg.
 

Und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Sie… Er war total außer sich gewesen. Er hatte Angst gehabt, Angst um ihr Leben, das sie, wie sie sich nun, bei Tageslicht betrachtet, eingestehen musste, tatsächlich mehr als leichtfertig aufs Spiel gesetzt hatte.
 

Was hatte sie getan?

Anstatt die Situation für ihn leichter, besser zu machen, hatte sie alles nur noch verschlimmert. Den Druck, der auf seinen Schultern lastete, nur noch zusätzlich erhöht.

Kein Wunder, dass er so fertig war.

So erschöpft, so müde.
 

Er wusste sich keinen Rat mehr, nun, da er auch noch sie auf ‚seinem Gewissen’ hatte.

Sie hatte das wegen ihm gemacht - aber an ihrem Zustand gab nun er sich die Schuld.

Wie immer- er war einfach so.
 

Sie sank zu Boden.

Erst jetzt, langsam, kam ihr der Gedanke, dass sie tatsächlich… tatsächlich einen Fehler gemacht haben könnte.

Sie hätte zumindest mit ihm darüber reden sollen. Sie hätte das Für und Wider genauer abwägen sollen. Nur mal eine Sekunde darüber nachdenken-

Unglücklich zupfte sie an ihrem Kleid.

Aber nein… sie hatte es ja unbedingt gleich haben müssen.

Weil sie ihn wieder haben hatte wollen.
 

Mit dem Resultat, dass sie ihn nun vielleicht für immer verloren hatte.

Ihre Tränen versiegten langsam, alles was in ihr zurückblieb war ein Gefühl von Schmerz, von Verlust, das ihr Innerstes betäubte.
 

Er war weg.
 


 

Als er auf die Straße hinaustrat, war er binnen Sekunden bis auf die Haut durchnässt. Es goss in Strömen - und er stand hier, in Hausschuhen, hatte keine Jacke an, geschweige denn einen Regenschirm dabei.
 

Aber zurückgehen würde er auch nicht mehr.
 

Er stapfte den Gehweg entlang, bekam nicht mit, wie die Passanten, die trotz dieses Sauwetters noch unterwegs waren, ihn anstarrten.

Es war ihm egal.
 

Er fühlte sich mies.

Conan wusste, er tat ihr weh. Er wusste, er behandelte sie unfair, er verletzte sie damit, dass er jetzt ging, aber… er konnte nicht mehr.

Es ging nicht. Nicht jetzt. Er brauchte jetzt erst einmal Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Sich neu zu sortieren. Und das konnte er nicht, wenn er sie sah. Sie auch nur hörte.
 

Er wollte nicht, dass sie soviel aufgab wegen ihm, auch wenn eine kleine Stimme in seinem Kopf ihn beständig daran erinnerte, dass das jetzt auch zu spät war.

Sie war bereits ein Kind, sie hatte das Gift genommen. Es war nicht mehr zu ändern.

Er sollte jetzt bei ihr sein, ihr helfen, für sie stark sein - stattdessen brach er zusammen.

Stattdessen ließ er sie im Stich, als könne er dadurch alles ungeschehen machen.
 

Er spielte sich was vor, das wusste er.

Aber er ertrug sie jetzt einfach nicht. Er ertrug sie so nicht.
 

Er musste nachdenken, er brauchte seine Ruhe…
 

Irgendwann, ihm kam es vor wie eine Ewigkeit, war er vor dem Haus seiner Eltern angekommen.

Er fror erbärmlich, es schüttelte ihn förmlich. Er triefte, seine Haare klebten an seinem Kopf, in seinem Gesicht, seine Kleidung hing an ihm wie ein nasser Sack, seine Zähne schlugen aufeinander.

Aber all das nahm er nicht wirklich wahr.

Er dachte nur an eines.

An Ran.
 

Als sein Vater ihm öffnete, seinen Sohn in diesem entsetzlichen Zustand sah, diesbezüglich Fragen zu stellen begann - schaute der kleine Junge nur auf, schüttelte den Kopf, und drängte sich an ihm vorbei, ins Innere des Hauses.
 

Yusaku Kudô starrte ihm nachdenklich hinterher. Yukiko kam aus dem Wohnzimmer, schaute ihrem Sohn dabei zu, wie er, eine nasse Spur hinter sich herziehend, die Treppe raufstapfte.

Dann ging sie ihm nach.
 

Yusaku fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. Es gab nicht viele Dinge, die seinen Sohn so aus der Bahn werfen konnten- und so, wie er aussah, ging es hier wohl um Ran.
 

Er presste die Lippen aufeinander.

Er würde ihn nicht fragen. Wenn sein Sohn Wert auf seinen Rat legte, würde er von selber kommen.
 

Solange würde er warten.

Optimierung des Suboptimums

Buenos dias!
 

Hallo :D
 

Zuerst mal- first and foremost:
 

Vielen, vielen Dank für eure Kommentare! Ehrlich. Ich danke euch sehr!

*verbeug*

Danke, dass ich diese Fic von eurer Seite aus sehen darf :)

Man selbst hat einen doch recht fixen Standpunkt, als Autor ^^
 

So- die unvernünftige, egoistische kleine Ran- mit ihr geht's jetzt weiter. Sie hat halt nicht nachgedacht- wie oft macht man mal Sachen ohne nachzudenken. Mal sehen, inwiefern sie da noch was hinbiegen kann...
 

Bis nächtste Woche, gleiche Zeit, gleicher Ort *g*

Viel Spaß beim Lesen!
 

Eure Leira :)
 

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Der Tag war damit gelaufen für Ran. Sonoko, die endlich ihre Sprache wieder gefunden zu haben schien, sowie Eri, die beschlossen hatte, über Nacht zu bleiben, hatten versucht, der Kleinen so gut wie möglich zu helfen - sie zu trösten, ihr Mut zu machen. Shinichis Ausbruch vorhin hatte sie alle nur stillschweigen lassen - zu erstaunt, zu erschüttert waren sie gewesen. So hatte ihn noch keiner erlebt; sie kannten ihn nur als arroganten, eingebildeten Krimifreak und brillanten Detektiv - so tief wie gerade eben hatte er noch nie blicken lassen.

Nicht ihnen gegenüber.
 

Kogorô hatte gebrodelt innerlich, nichtsdestotrotz, als die Tür hinter ihm zugefallen war.

Sein Mausebein war traurig - wegen ihm.

Das machte ihn wütend; keiner durfte seine Ran traurig machen. Der Vater in ihm litt mit seiner Tochter und war zornig auf den, der ihr das antat.

Es war zwar klar geworden, dass dieser kleine Bastard, dieser elende Mistkerl, dieser - ein paar weitere überaus unflätige Bezeichnungen waren ihm an der Stelle noch eingefallen – seine Ran nicht dazu getrieben hatte, dieses Zeug zu schlucken, sich das anzutun.

Wohl aber war er doch der Grund gewesen - denn sie hatte es getan, um ihm wieder nahe sein zu können.

Sie liebte ihn. Warum, war ihm ein Rätsel.

Und er hatte sie verlassen. Verlassen!
 

Er war weiß vor Zorn geworden, war drauf und dran gewesen, ihm doch noch nachzulaufen und ihm zu zeigen, was dem passierte, der seinem kleinen Mädchen das Herz brach, als eine melancholisch klingende Stimme ihn aufgehalten hatte.
 

„Sie dürfen ihm nicht böse sein."

Er hatte nach unten geschaut.

"Er muss das erst verdauen, genauso wie Sie selber.“
 

Es war Ai gewesen, die gesprochen hatte. Dieses kleine, rotblonde Mädchen, die ihm manchmal unheimlich vorkam.
 

Sie war vor ihm gestanden, als er gerade aus der Tür hatte stürmen wollen, ihn angesehen, mit ihren großen, blauen Augen. Er hatte geseufzt, einen Blick auf seine Tochter geworfen - und dann verstand er. Auch wenn er nicht verstehen wollte.
 

„Er wird wiederkommen, und er wird ihr beistehen. Er würde Ran nie alleine lassen, sie nie im Stich lassen. Er wird dafür sorgen, dass dieser Zustand nicht lange bleibt. Und ich auch. Es muss ein Mittel geben… es muss einfach…“

Sie war seinem Blick gefolgt.
 

„Und außerdem- wenn Sie ihm schon böse sind, dann sollten Sie auch mich hassen. Ich hab ihre Tochter nicht aufhalten können. Ich hab Shinichi noch von ihr weggelockt, auf ihre Bitte, damit er es auch nicht kann. Er hätte das nie zugelassen. Er liebt Ran. Er liebt sie wirklich. Er würde sterben für sie, und ich sage das nicht einfach so. Wenn Sie jemanden hassen wollen, hassen Sie mich, aber nicht ihn. Ich habe das Zeug erst erfunden…“
 

Damit hatte sie sich umgedreht und war gegangen. Und er war geblieben.
 


 

Jetzt war es Morgen - durch ihr Zimmer schien die Sonne, viel zu hell, viel zu fröhlich, kitzelte sie an der Nase - sie hatte vergessen, die Rollläden zu zu ziehen.
 

Ran wusste nicht, wann sie gestern eingeschlafen war. Schuldgefühlte hatten sie gequält- ihm gegenüber, und auch wegen Ai. Seine Augen, so voller Resignation und Verzweiflung, hatten sie noch lange gefolgt. Es war offensichtlich gewesen, nachdem, wie er sie angeschaut hatte, dass er ihr fürs Erste nichts mehr zu sagen hatte. Sie hatte eine Freundschaft zerstört. Sie hatte Ai Schmerz und Trauer beschert, durch ihren Egoismus. Sie musste versuchen, das wieder zu beheben- mit ihm reden. Wenn er denn überhaupt wieder mit ihr redete.

Und sie musste sich bei Ai entschuldigen. Wenigstens das.

Und für sich selber klären, warum sie eigentlich so kopflos gewesen war. Warum ihr all diese Konsequenzen nicht im Vorfeld bewusst geworden waren.

Jetzt war es zu spät dafür.
 

Sie schluckte. Sie hatte gewaltigen Mist gebaut.
 

Irgendwann am Vormittag hielt sie es nicht mehr aus. Er ging nicht an sein Handy, er beantwortete keine ihrer Mails.

Also zog sie sich nach dem Mittagessen an, dann schritt sie an ihren Eltern vorbei, ohne sie anzusehen, oder etwas zu sagen, nach draußen, machte sich auf den Weg. Die beiden wussten auch so, wo sie hingehen würde.
 


 

Yukiko schaute unschlüssig die Treppe hoch. Seit er da war, hatte Conan das Haus nicht mehr verlassen, kam nicht mal zum Essen runter.

Sie fragte sich, was los war. Er war gestern nach Hause gekommen, bleich wie ein Gespenst, tropfnass, völlig neben sich - und weigerte sich standhaft, ihr oder Yusaku endlich zu sagen, was Sache war. Sie und ihr Mann waren sich einig, dass es etwas mit Ran zu tun hatte- die Frage stellte sich nur, was genau.
 

Dann läutete es an der Haustür, und sie ging, um zu öffnen.

Yukiko traf fast der Schlag, als sie sie sah. Krampfhaft klammerte sie sich an der Tür fest.
 


 

Conan lag auf seinem Bett, brütete vor sich hin.

Er wusste, er benahm sich unmöglich Ran gegenüber. Sein Verhalten war an und für sich unverzeihlich, und er schämte sich deswegen. Da gab sie seinetwegen so viel auf - und er dankte es ihr, indem er sie einfach allein ließ. Aber er konnte nicht mehr.

Mit der kleinen Ran war sein allerschlimmster Alptraum Realität geworden. Noch schlimmer wäre nur ihr Tod gewesen.

Je mehr er darüber nachdachte, je öfter er sich ihr mädchenhaftes Gesicht in Erinnerung rief, umso klarer wurde es für ihn, dass diese Situation noch viel schlimmer für ihn war, als er gedacht hatte.

Er hielt es kaum aus. Das alles… das alles war zuviel, war sehr viel mehr, als er ertragen konnte.
 

Allein der Klang ihrer hellen Stimme...

Er verstand einfach nicht, wollte nicht verstehen, dass sie es so besser fand, dass sie es besser fand, geschrumpft zu sein.

Er ertrug es nicht, sie so zu sehen… seine Ran, so zu sehen, als Kind, als… als kleines Mädchen, als Menschen, der in genau derselben Situation steckte wie er…

In derselben, verdammten Scheiße…

Und schier unerträglich war der Gedanke, was sie hatte durchmachen müssen, um ihm näher zu sein, welches Leid, welche Qualen dieses Mädchen, das ihm so unglaublich viel bedeutete, auf sich genommen hatte, um ihn glücklicher zu machen.

So viel aufgegeben, geopfert hatte, für ihn.
 

Und er hasste sich dafür, ihr jetzt abzuschlagen, was sie sich so bitter erkämpft hatte. Seine Liebe, seine Nähe, seine Zuwendung - weil er sie so nicht ertragen konnte. Weil ihn ihr Anblick schier verrückt werden ließ. Weil er ihre Nähe nicht ertrug.

In ihr sah er seine Schuld.
 

Seine Schuld.

Und er fühlte sich mies.

Wie war sie in den letzten zwei Wochen mit ihm wohl klar gekommen, wenn er jetzt schon austickte…?
 

Ein Versager, das war er.
 

Er wusste, er liebte sie. Er würde alles für sie tun.

Und nahm an, sie akzeptierte das.

Was er auch wusste, war, dass sie ihn liebte.

Und offensichtlich bereit war, ebenfalls alles für ihn zu tun.

Aber er konnte das nicht akzeptieren.
 

Eigentlich war das ungerecht - aber es war einfach so. Er konnte nicht anders. Und er war sich sicher, auch Ran würde nicht wollen, dass er sein Leben für sie aufs Spiel setzte.

Was ihm selbstverständlich egal wäre.

Er stöhnte auf.
 

Diese Gedankengänge machten ihn wahnsinnig.
 

Dann hörte er die Türglocke und den entsetzten Ruf seiner Mutter. Er stand auf, setzte sich draußen auf dem Gang hinter das Geländer. Von dort hatte er einen guten Blick in die Eingangshalle. Es war genau das eingetroffen, was er erwartet hatte.
 


 

„Ran?!?“
 

Yukiko stand da und schaute fassungslos die Kleine an, die gerade ihr Mäntelchen auszog, nahm ihn ihr ab und hängte ihn auf, schloss die Tür hinter ihr.

Warst du deshalb da? Hast du auf der Premierenfeier etwa das Gift geklaut?
 

„Guten Tag, Frau Kudô.“

Das Mädchen schaute sie sichtlich mitgenommen an.
 

Yukiko fuhr ruckartig herum, suchte die Galerie ab, und fand, wen sie suchte.

Der schaute sie mit müdem Blick an.

„Shinichi!“

Ihre Stimme klang wütend. Ihm war es egal.

„Seit vorgestern Nacht sieht sie so aus. Und ich gratuliere, du steckst es wesentlich besser weg als ich.“

Yukiko ließ sich zu Boden sinken, bis sie vor dem kleinen Mädchen hockte. Sie starrte zuerst Ran an- dann wanderten ihre Augen zu ihrem Sohn.

„Ich hätte nie gedacht, dass du sie dazu drängst…! Zuerst schickst du sie los, damit sie das Zeug klaut, und jetzt… Und jetzt lässt du sie sitzen, oder was?! So hab ich dich aber nicht erzogen!“, zischte sie böse.

Conans Augen weiteten sich ungläubig.

„Du kannst doch nicht wirklich denken, dass ich…? Und woher weißt du, dass sie das Gift geklaut hat?“

Er war währenddessen die Treppe heruntergegangen.

„Wieso sonst sollte sie so rumlaufen wollen, wenn nicht du ihr die Idee in den Kopf gesetzt hättest, mein Lieber? Und letzteres geht dich nichts an.“

Sie war rot geworden. Selbst wenn er mit den Nerven fertig war, hörte ihr Sohnemann noch außerordentlich gut zu, wie’s schien.
 

„Ich denke, du unterstellst ihm da was.“
 

Yusaku war in der Tür zum Wohnzimmer erschienen.

„Schau ihn dir doch an. Der sieht doch total fertig mit den Nerven aus- würde er so aussehen, wenn er sie dazu angefeuert hätte? Du hast ihn doch gestern gesehen, Yukiko… Und glaubst du wirklich, unser Sohn würde sie allein lassen, wenn er ihr das eingebrockt hätte? Mittlerweile solltest du ihn besser kennen.“

Der kleine Junge warf seinem Vater einen dankbaren Blick zu.

Yukiko richtete sich wieder auf und schaute nun zu Ran. Sie war sichtlich verwirrt. Sie hätte das von Shinichi auch nicht erwartet - aber warum sonst hätte Ran das gemacht?
 

„Ich hab’s freiwillig getan.“, erklärte diese nun leise.

„Shinichi wusste es nicht. Er hatte wirklich nichts damit zu tun. Sie hätten ihn hören sollen, nachdem er wieder aus seiner Ohnmacht-,“ sie schaute ihn an, „erwacht ist. Eine schöne Predigt durfte ich mir anhören, bevor er… bevor er gegangen ist.“

Ihre Lippen zitterten, sie warf ihm einen sehnsüchtigen Blick zu. Er starrte auf den Boden vor seinen Füßen. Yusaku seufzte, schaute seinen Sohn nachdenklich an. Er konnte sich vorstellen, was in ihm gerade vorging.
 

Yukikos Augen ruhten immer noch auf Ran.
 

Wenn ich das gewusst hätte-
 

„Aber warum hast du…? Wenn er nicht - warum hast du dann…?“

Die Frau schaute das kleine Mädchen bass erstaunt an.
 

Liebst du ihn denn so sehr…?
 

„Weil ich wollte, dass er wieder größer ist als ich. Dass das Verhältnis wieder stimmt. Weil ich, falls es kein Gegengift gibt, mit ihm wieder groß werden will. Ich will bei ihm sein, ganz. Und weil es nicht in seiner Macht stand, etwas zu ändern, musste ich halt etwas tun. Ich liebe ihn…“

Conan regte sich immer noch nicht. Einzig und allein ein leiser Seufzer kam über seine Lippen.

Ran sah ihm an, dass er mit der Entwicklung der Dinge nicht einverstanden war. Immer noch nicht.

„Es war nicht gut so, wie es war, Frau Kudô. Es ist so jetzt viel besser, auch wenn er es noch nicht glaubt.“

Das kleine Mädchen starrte ihn mit brennenden Augen an. Er sah kurz auf, dann wieder weg. Ran warf ihm einen verletzten Blick zu, biss sich auf die Lippen.
 

„Aber wie…?“, hauchte Yukiko fassungslos. Sie wusste zwar, woher Ran das Gift hatte- aber nicht, woher Ran überhaupt von dem Gift wusste. Er hatte ihnen damals noch eingeschärft, Ran ja nichts davon zu verraten, weil er es ihr eben nicht gesagt hatte.
 

„Ich hab mich mit Ai über die Organisation unterhalten, nachdem Shinichi ja nicht besonders auskunftsfreudig war…“, wandte sich das kleine Mädchen wieder an seine Mutter.

„…und das nicht ohne Grund…“, warf er ein, doch sie fuhr unbeeindruckt fort.

„Dann hab ich seine Einladungskarte zur Premierenfeier gefälscht, mich an Chris Vineyard und ihre Begleitung rangemacht und ihnen das Gift geklaut. Et voilá!“

Yukiko Kudô blinzelte.

Hinter ihr räusperte sich ihr Mann und nickte beeindruckt.

„Nicht schlecht.“

„Jetzt lob sie nicht auch noch dafür!“, brauste sein Sohn auf.

„Sie hätte draufgehen können bei der Aktion…!“

Er atmete heftig, schaute seine Eltern und Ran anklagend an.

Sterben, verdammt noch mal!

Er holte tief Luft.

„Was glaubt ihr eigentlich? Was denkt ihr eigentlich von mir? Habt ihr auch nur eine Ahnung, welche Sorgen ich mir- wie’s mir jetzt geht? Dass sie das getan hat…“

Er brach ab.
 

„Dann siehst du mal, wie das für die ist, denen du was bedeutest, Shinichi.“

Yukiko schaute ihn ernst an. Er blickte mindestens genauso ernst zu ihr hoch.

„Sag mal, du verstehst den Ernst der Lage nicht, oder?! Jetzt ist wirklich kein geeigneter Zeitpunkt für Moralpredigten!“

Seine Stimme klang harsch.

Er schluckte, starrte an die Decke, versuchte, sich wieder einzukriegen.

„Glaub mir, es war die Hölle, nicht zu wissen, wo sie steckt…“, flüsterte er dann.

Seine Mutter blinzelte.

„Und es ist die Hölle, sie so sehen zu müssen. Es ist noch schlimmer, als mich so im Spiegel zu sehen. Sieh sie dir doch an…“

Seine Stimme klang gequält.

„Die Hölle…“
 

„Shinichi…“

Ran starrte ihn an.

Er drehte sich zu ihr um, sah sie aber nicht an.

„Du hast noch keine Ahnung, was du dir damit angetan hast. Ich hätte nie von dir verlangt, dass du es tust, ich…“

Er seufzte.

„Und nicht auszudenken, wenn sie dich gesehen hätten…“
 

Ran blickte ertappt zu Boden. Er kapierte sofort.

„Nein!“, hauchte er. In seinen Augen stand pures Entsetzen.
 

Yusaku Kudô warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, dann verschwand er kurz nach draußen, um die Tageszeitung zu holen.
 

„Sie haben dich gesehen?!“

Seine Stimme überschlug sich fast.

„Ja, in der Garderobe. Kurz nachdem ich das Gift aus dem Mantel von diesem blonden Typen geklaut hatte…“

Er sagte nichts mehr. Sein Magen fühlte sich plötzlich an, als ob jemand ihn gezwungen hätte, einen Liter Eiswürfel zu schlucken.

„Gin…“, hauchte er.

Seine Knie drohten nachzugeben.
 

Ran schaute ihn fragend an.

„Ja, er kam mir schon bekannt vor… ich dachte mir schon, dass es einer von den beiden sein musste, die dir das…“

Er unterbrach sie.

„Wie bist du eigentlich in die Garderobe gekommen? Da darf man doch eigentlich…“

„Ich hab vorgegeben, einen Knopf verloren zu haben. Nachdem kurz nach der Vorstellung noch nichts los war im Foyer, hat sie mich suchen lassen. Sharon und dieser… Gin… wollten wohl Zigaretten holen, zumindest haben sie das noch zu der Frau gesagt. Da sie nicht in die Taschen greifen wollte, hat sie die zwei wohl mit zu den Mänteln genommen. Ich meine, Sharon, äh, Chris, ist ja eine Berühmtheit…“
 

Conan nickte nur, ohne sie anzusehen. Dann ging die Haustür wieder auf, und Yusaku kam wieder herein, mit der Zeitung in der Hand, die er wortlos seinem Sohn reichte.
 

Mord auf Premierenfeier
 

Die Schlagzeile war nicht zu übersehen.
 

Vorgestern, kurz vor Mitternacht, hat sich bei der Premierenfeier des neuesten Kinofilms der US-Schauspielerin Chris Vineyard ein grausames Verbrechen ereignet. Die Garderobendame des Tokyo Theatres, Ayako Sugiyama, ist das traurige Opfer eines Mordes geworden. Die 24-jährige, die schon seit drei Jahren bei dem Theaterhaus angestellt ist, wurde durch einen Kopfschuss richtiggehend hingerichtet. Zurzeit verhört die Polizei die zur Tatzeit anwesenden Gäste. Verdächtigt wird eine Frau mittleren Alters…
 

Conan reichte die Zeitung seinem Vater, schluckte schwer. Ran schaute ihn fragend an.

„Shinichi?“

„Nichts.“

„Aber…?“

„Es ist nichts!“, fuhr er sie an. Ran wich zurück.

Sofort machte sich ein entschuldigender Ausdruck auf seinem Gesicht breit.

„Ich muss nachdenken.“

Er ging in die Bibliothek, sein Vater folgte ihm schweigend.
 

„Ran, komm, lass uns Kuchen essen. Ich mach uns einen schönen Tee, solange hast du doch noch Zeit?“

Ran schaute auf zu Yukiko, die sie freundlich anlächelte.

„Komm schon. Der fängt sich schon wieder, er braucht nur etwas Ruhe, um die Ereignisse ordnen zu können. Dann kommt er wieder. Glaub mir. Sein Vater ist genauso.“

Ran nickte nur sacht, dann folgte sie seiner Mutter in die Küche.
 

Hinter ihnen fiel die Tür der Bibliothek ins Schloss. Yusaku wandte sich seinen Sohn zu, zog eine Augenbraue kritisch in die Höhe.

„Du denkst…?“

„Ja. Das war mit Sicherheit er. Wahrscheinlich hat er bemerkt, dass etwas vom Gift fehlt, schloss daraus, dass entweder Ran oder die Garderobenfrau…“

Ihm wurde übel. Er nahm seine Brille ab, fuhr sich über die Augen. Suchten sie jetzt nach Ran? Nachdem Gin das Gift nicht bei Ayako Sugiyama gefunden haben konnte, war er bestimmt auf die Idee gekommen, dass er die Falsche umgebracht hatte…

Dann war es vielleicht gar nicht schlecht, dass sie… nun gut getarnt war.

Panik stieg in ihm hoch, nur mit Anstrengung gelang es ihm, sie wieder niederzukämpfen. Wenn er jetzt kopflos wurde, half das keinem.
 

„Und du willst es ihr nicht sagen, nehme ich an?“
 

Conan fuhr ruckartig herum.

„Nein! Nein, auf gar keinen Fall. Sie würde sich sonst die Schuld am Tod der Frau geben, das will ich nicht, damit kommt sie nicht klar, so ein mitfühlender Mensch wie sie es ist… sie hat ohnehin schon genug um die Ohren…“

Er schluckte.

„Ihr zu sagen, dass jemand anderes an ihrer Stelle sterben musste, das kann ich ihr nicht auch noch antun.“

Seine Stimme klang verzweifelt.

„Sie weiß doch noch gar nicht, was sie sich damit angetan hat…“

Er wurde immer leiser, schlurfte zum Sofa, ließ sich auf die Sitzfläche sinken und schloss die Augen.

„Was für ein Chaos…“
 

Yusaku Kudô schaute seinen Sohn besorgt an.

„Meinst du nicht, du bist etwas zu hart zu ihr?“

Conan schaute ihn an. In seinen Augen lag Bitterkeit.

„Meinst du, ich weiß das nicht? Ich kann nicht anders. Ich… ich dreh durch…“

Er presste seine Hände gegen seine Schläfen, kniff die Augen noch einmal zusammen.
 

„Ich wollte nie, dass sie das tut.“, murmelte er dann leise. Er klang hilflos.

„Das weiß ich.“, wisperte Yusaku und setzte sich neben ihn.

„Ich hätte es ihr nie sagen sollen, nie… was hab ich mir dabei gedacht, was…was hab ich getan?“
 

„Shinichi…“, begann Yusaku, „Shinichi, ich sag dir jetzt mal eines…“

Der kleine Junge wandte den Kopf.

„Auch du bist nur ein Mensch. Und du bist mein Sohn- du wirst letzten Endes das Richtige tun, dessen bin ich mir sicher.“
 

Er drückte kurz seine Schulter, dann stand er auf, um sich an seinen Schreibtisch zu setzen. Kurze Zeit später verriet das Kratzen des Kugelschreibers, dass er an seinem Manuskript weiter schrieb.
 

Conan schaut an die Decke.
 

Nur ein Mensch…?
 

Hieß das, auch er dürfe Fehler machen…? Schön und gut, aber er war momentan in einer Situation, in der jeder Fehler tödlich enden konnten… fatal…

Oder meinte sein Vater damit, dass auch er nicht alles kontrollieren konnte? Die Zukunft ja nicht vorhersehen konnte…?
 

Er seufzte frustriert.

Auf alle Fälle musste jetzt einmal Bewegung in die Sache. Er wollte für Ran ihre zweite Kindheit so kurz wie möglich halten.

Zweite Kindheit… zweite…

Zweite…
 

Plötzlich schoss ihm eine Frage durch den Kopf, und er fragte sich, warum er sie sich nicht schon viel früher gestellt hatte, sie ihm nicht schon eher eingefallen war.

Der kleine Junge sprang vom Sofa und rannte in die Küche.

Yusaku Kudô sah im kurz hinterher. Dann wandte er sich wieder an sein Manuskript.
 

Er machte sich Sorgen. Und er wusste doch, dass er gegen seinen Sohn nicht ankam. Nicht mehr. Alles, was er tun konnte, war ihm beizustehen, da zu sein, sollte er ihn brauchen, denn - die Feder aus der Hand nehmen ließ sich Shinichi von ihm schon lange nicht mehr.
 

In der Küche angekommen fand er sie, beide, seine Mutter und Ran, am Küchentisch sitzend. Er kletterte auf einen Stuhl.

„Auch ein Stück Kuchen?“, fragte Yukiko.

Er hob den Kopf.

„Hm?“

Sie stand auf, holte eine Tasse und einen Teller für ihren Sohn, schenkte im Kaffee ein und legte ein Stück Apfelkuchen auf den Teller. Conan schob sich das erste Stück in den Mund und kaute nachdenklich. Als er schließlich sprach, schaute er sie nicht an.

„Sag mal, Ran…?“

Sie blinzelte, zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.

„Hm?“

„Als du vorgestern diese himmelschreiende Dummheit gemacht hast und das Gift geklaut hast…“

„Shinichi!“

Yukiko schaute ihn scharf an.

„Ist doch so…“, murmelte er.

„Ihr wisst doch gar nicht, was alles hätte schief laufen können.“

Ran seufzte.

„Ja, das sagtest du schon mal. Aber worauf willst du hinaus?“

Er zog die Augenbrauen zusammen, schaute angestrengt in seine Kaffeetasse. Irgendwie schaffte er es immer noch nicht, sie anzusehen. Der Anblick war qualvoll für ihn.

Ihre helle Stimme zu hören, war schon genug…
 

„Wie viele Kapseln hast du geklaut?“
 

Sie blickte ihn an. Sie hatte eigentlich gehofft, dass er sich nach ihrem Gespräch gestern Vormittag beruhigen würde, sich abfinden würde, aber sein abwehrendes Verhalten machte ihr nur allzu deutlich, dass er noch länger damit kämpfen würde, zu akzeptieren, was geschehen war. Sie wusste, er würde sie nicht im Stich lassen- aber sie wusste auch, dass sie ihr Ziel, ihr Verhältnis wieder gerade zur rücken, noch nicht erreicht hatte. Die Symmetrie stimmte zwar wieder, aber die Balance noch nicht.
 

„Zwei.“

„Zwei?“

Nun schaute er doch auf, ganz kurz nur. Dann wandte er den Blick, schaute aus dem Fenster.

„Wer hat die zweite…?“

Er wusste, die Frage war fast überflüssig.

„Ai. Sie versucht, das Gegengift herzustellen, allerdings sagte sie, sie könne nicht versprechen, dass es eins gibt; und falls es eines geben wird, könne das unter Umständen noch lange dauern, und so lange…“

„Wolltest du nicht warten.“, vervollständigte er ihren Satz, warf ihr einen anklagenden Blick zu, bevor er wieder scheinbar hochinteressiert in die unergründlichen Tiefen seiner Kaffeetasse blickte.

Dann ertönte die Türglocke.

„Geh schon.“, murmelte er und rutschte vom Stuhl.

Ran schaute ihm nach.

Yukiko seufzte.

„Lass ihm Zeit, Ran…“

Das kleine Mädchen wandte den Kopf. Ein Ausdruck von Bitterkeit lag auf ihrem Gesicht - Reue und Entschlossenheit fochten in ihr einen stummen Kampf aus.
 

„Aber viel Zeit kann ich ihm nicht geben.“

Sie baumelte mit ihren Beinen.

„Ich brauche ihn doch…“
 

Conan öffnete die Tür und legt den Kopf in den Nacken, um zu sehen, wer gekommen war.
 

„Was willst du denn...“, stellte er fest, als er erkannte, wer ihn da besuchte.

Auf Heiji Hattoris Gesicht breitete sich mildes Erstaunen aus.

„Ja, ich freu mich auch wahnsinnig, dich zu sehen Kudô.“, meinte er dann gelassen.

„Welche Laus is’ dir denn über die Leber gelaufen? Is’ es wegen der Mütze…?“

„Wen interessiert schon die Mütze…“, unterbrach ihn Conan abwesend.

„Und was die Laus betrifft- sie ist cirka eins fünfundzwanzig groß und neunzehn Kilo schwer.“

Er ging zur Seite, winkte seinen verwirrt dreinschauenden Freund herein.

„Was-?“

„Das erklär ich dir gleich, bevor wir reingehen. Die Erklärung wirst du auch bitter nötig haben…“

Heiji warf ihm einen musternden Blick zu, als er aus seinen Schuhen schlüpfte. Irgendwas hatte seinen Freund mächtig aus dem Gleichgewicht gebracht, soviel war sicher.
 

Im nächsten Moment sollte etwas passieren, das ihn ebenfalls, und zwar wörtlich, aus dem Gleichgewicht bringen sollte.

„Heiji! Hallo!“

Der Jungdetektiv, der sich gerade den zweiten Schuh auszog, sah auf- und kippte vor Schreck hinten über. Er rappelte sich mit den Ellenbogen hoch, starrte auf das kleine Mädchen, das im Türrahmen zur Küche erschienen war, dann zu Conan, der angestrengt auf den Boden stierte, und wieder zurück.
 

„RAN?!“, entfuhr es ihm dann.

„Mein Gott, was…? Wie? Warum…? Wie konnte das passieren?!

Er warf Conan einen bestürzten Blick zu.

Der kleine Junge wich ihm aus.
 

„Lass dir das von ihr erklären.“

Seine Stimme klang emotionslos. Gedankenverloren machte er sich auf den Weg in sein Zimmer.

Er wusste, es war unhöflich, Heiji, über dessen Besuch er sich gerade eigentlich irgendwie gefreut hatte, einfach stehen zu lassen. Für sein Verhalten gegenüber Ran fehlten ihm die Worte.

Er war furchtbar zu ihr, unfair, unterkühlt, abweisend, und er wusste, er tat ihr weh damit.

Nichtsdestotrotz schlug er die Tür seines Zimmers hinter sich zu.
 

Heiji, der eben noch wortlos seinem Freund hinterher gestarrt hatte, wandte sich nun dessen Freundin zu, die mit den Tränen kämpfte und die Treppe hinaufblickte.
 

„Ran“, begann er sanft und stand auf.

„Was is' passiert, Ran?“

Mitfühlend sah er sie an.

Sie schluckte, bedeutete ihm, ihr in die Küche zu folgen.
 


 

Als Ran geendet hatte, sagte Heiji lange nichts.

Dann seufzte er laut, nahm einen großen Schluck Kaffee aus der Tasse, die ihm Yukiko Kudô gereicht hatte. Sie selber war zu ihrem Mann ins Wohnzimmer verschwunden.

„Ran- ich weiß, ich kenn' ihn noch nich' so lang wie du, aber - wenn er sich wieder eingekriegt hat, wird er sicher…“

„Aber seit gestern früh redet er nicht mehr wirklich mit mir! Er sagt nur das Nötigste, und dabei sieht er mich nicht mal an, wenn er nicht muss… Dabei dachte ich, dass es jetzt leichter wird für ihn…“

Ihre Stimme klang verzweifelt.

„Wie hast du dich denn gefühlt, als er dir gesagt hat, wer er is'…?“, fragte er vorsichtig. Vielleicht schaffte er es auf die Art, ihr zu erklären, was er meinte.

„Geschockt…“, murmelte Ran.

„Und unglücklich. Ich dachte mir, dass das alles schrecklich sein muss für ihn. Und die ersten Tage wusste ich gar nicht…“

„…wo dir der Kopf stand.“

Heiji sah sie an, nickte.

„Und du warst immerhin vorbereitet, du ahntest es ja schon lange. Und er hat dich vorgewarnt. Für ihn kam das aus heiterem Himmel, er hatte sicher Angst um dich, und jetzt plagen ihn wohl sein Gewissen, weil du dir das alles wegen ihm antust und Schuldgefühle, weil er weiß, was du ertragen und riskiert hast...“

Ran setzte ein schuldbewusstes Gesicht auf.

„Weißt du, ich kann’s ja verstehen. Für mich war’s auch furchtbar, ihn am ersten Weihnachtsfeiertag so zu sehen. Conan zu sehen, und zu wissen, dass es Shinichi ist, der vor einem steht. Aber…“
 

Heiji zog die Augenbrauen hoch.

„Aber?“

Das kleine Mädchen schniefte leise.

„Ich weiß, es war egoistisch von mir, zu handeln, ohne ihn gefragt zu haben. Und mir ist klar, dass es noch wesentlich egoistischer ist, ihn jetzt zu bitten, mir zu helfen, wo ihn das doch offensichtlich so mitnimmt, und ich mir das alles ja auch selbst eingebrockt habe. Aber ich brauche ihn…

Tränen rollten über ihr Gesicht.

„Jetzt. Verdammt, ich brauche ihn, um zu wissen, wie ich mich verhalten soll, ich brauche ihn, seine Hilfe, ich komme sonst nicht klar… und ich brauche ihn, um glücklich zu sein, ich brauche ihn, seine Nähe - und ihn jetzt so bedrückt zu sehen, zu sehen, dass er noch unglücklicher ist als je zuvor, von ihm so abweisend behandelt zu werden, das… das…

Ich hab Mist gebaut, Heiji…“
 

Sie starrte ihn aus tränennassen Augen an.

„Ich hab Angst, dass ich ihn verloren hab…“
 

Dann brach sie in einen wahren Heulkrampf aus, vergrub ihren Kopf in ihren Händen, schluchzte gequält- und merkte nicht, wie die Küchentür aufging.
 

Heiji schon.
 

Er warf dem kleinen Jungen, der in der Tür erschienen war, einen abwartenden Blick zu.

Conan sah wirklich elend aus. Heiji stand auf, trat neben ihn, schaute ihn ernst an, dann ging er ebenfalls ins Wohnzimmer. Er kam sich hier jetzt fehl am Platz vor.

Der kleine Junge kletterte auf die Bank, auf der Ran saß, nahm sie vorsichtig in die Arme. Sie zuckte zuerst zusammen- als sie erkannte, dass er es war, klammerte sich hilfesuchend an ihm fest.

Lange Zeit sagte er nichts, spürte ihren kleinen Körper zittern und beben und fühlte sich elend, weil er sie schon wieder zum Weinen brachte.

Als er dann sprach, klang seine Stimme brüchig.
 

„Ich verlasse dich nicht.“, wisperte er leise, streichelte ihr übers Haar.

„Das könnte ich nicht, ich liebe dich. Auch jetzt noch. Das weißt du doch.“

Er schob sie ein wenig von sich, nahm ihren Kopf in beide Hände.

„Aber dich so zu sehen… dich so zu sehen ist nicht einfach für mich. Weil ich weiß, welche Qualen du ertragen hast, und ich weiß, welche noch vor dir liegen. Vor uns liegen.“

Er sah mitgenommen aus. Und erschöpft.

Ran schluckte, wischte sich die Tränen mit ihren kleinen Fingern aus ihrem kleinen Gesicht.

„Das tut mir Leid…“

Er schüttelte den Kopf.

„Das muss es nicht.“

Sanft hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn.
 

„Du hast Angst.“, murmelte Ran.

Er nickte nur.

Abstreiten brachte nichts, denn es stimmte- ja. Er hatte Angst.

Wahnsinnige Angst.

Angst, vor dem, was sie verband, vor der Macht, der sie beide unterworfen waren, hatte Angst, die Kontrolle über sein Denken und Handeln zu verlieren, und Angst, dass sie eines Tages aufwachen und enttäuscht sein würde, weil sie ihre Zeit mit ihm verbracht hatte, ihr Leben vergeudet, ihre Jugend verschwendet, ihre Gesundheit völlig umsonst gefährdet… weil sie vielleicht erkannte, dass er nicht der war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
 

Er hatte Angst.

Angst um sie, um ihr Leben.
 

Ran schaute ihn zärtlich an.

„Spucks aus, Ran.“

Sie blinzelte.

„Du bist nicht besser als ich, man sieht dir an, dass dir was auf dem Herzen liegt- also, was willst du mir sagen?“, fragte er müde.
 

Sie schaute ihn unsicher an.

„Ich wollte nur- ich wollte nur erklären, warum ich…“

Er schluckte, schaute sie fragend an.

Und sie räusperte sich, begann mit leiser Stimme zu reden.
 

„Wie du schon vor einiger Zeit festgestellt hast, sind zehn Jahre Altersunterschied für unsere Beziehung nicht gut. Du hast an Weihnachten den Stein ins Rollen gebracht, und ich gebe zu, ich hab dir beim Anschieben geholfen. Was dann kam, habe ich allein entschieden. Ich wollte wieder mit dir von Gleich zu Gleich reden können, ohne schief angesehen zu werden. Ich wollte, dass du wieder größer, älter bist als ich, auch wenn es sich nur um ein paar Zentimeter handelt, die du mich jetzt wieder überragst. Ich wollte, dass das Verhältnis wieder stimmt, weil wir sonst irgendwann zu Grunde gegangen wären. Entweder du oder ich wären irgendwann eingebrochen, deine Angst und Bedenken deswegen waren durchaus berechtigt. Und falls- falls es kein Gegengift geben wird, da wollte ich- wollte ich mit dir wieder groß werden. Ich will bei dir sein. Ich weiß, ich war voreilig und leichtsinnig, aber was passiert ist, ist passiert...“

Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.

„Nein, hör mir zu. Da du… da du momentan nicht in der Lage bist, etwas an der Situation zu ändern, dachte ich, es liegt an mir, etwas zu tun. Also ging ich zu Ai, und hab sie gefragt. Hab mich aufklären lassen über diese Organisation, habe deine Eintrittskarte gefälscht, auf dem Premierenabend des Films das Gift geklaut und ihr gebracht.

Ich verlange von dir keine Dankbarkeit, denn es war meine Entscheidung. Ich verlange von dir lediglich, dass du mich nicht allein lässt. Dass du zu dem stehst, was du an Weihnachten gesagt hast. Dass du mich liebst, hörst du?“

„Hm…“

„Hey!“
 

„Ja, ich habs gehört…“

Er seufzte. Völlig überzeugt hatte sie ihn noch nicht. Aber langsam verstand er ihre Gründe, auch wenn das Resultat ihm immer noch nicht gefiel.

Conan sah auf, und merkte, dass sie sich auf die Lippen biss.

„Was liegt dir noch auf dem Herzen?“

Sie blinzelte erstaunt, dann malte sie kleine Kreise mit ihrem kleinen Finger auf die Tischplatte.

„Sprich dich aus, Ran, nun komm schon.“, murmelte er matt.

Sie kam näher- so nah, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte.
 

„Es ist wohl eher eine Frage…“, murmelte sie, schaute ihn forschend an.

„Tu dir keinen Zwang an.“
 

Ran schluckte, räusperte sich.
 

„Shinichi, würdest du sterben für mich?“
 

Conan glaubte, sich verhört zu haben. Er schaute sie an, in seinem Gesicht stand Verwirrung, Erstaunen und - Furcht.

Ganz deutlich.

„Wieso fragst du mich das?“, wisperte er entgeistert. Während der letzten Sekunden hatte er sich immer mehr angespannt, seine Finger krampften sich um die Kante der Sitzfläche.

„Eine Frage beantwortet man nicht mit einer Gegenfrage. Würdest du?“

„Ran…!“
 

„Shinichi…“, sie flüsterte seinen Namen sanft, wie eine Brise, hauchte ihn fast.

„Shinichi, nur ja oder nein. Ich kann verstehen, die Frage ist prekär, aber ich muss es wissen, es ist wichtig für mich. Ja oder nein?“

Conan schluckte, stand mit dem Rücken buchstäblich zur Wand. Das genau war die Frage aller Fragen - der Gedanke, der ihn vorhin schon heimgesucht hatte, seit gestern nicht losließ. Wie weit würden sie gehen, für einander?
 

„Ja.“
 

Seine Stimme war leise, aber fest. Er meinte, was er sagte.

„Natürlich.“ Er schaute weg.

Ran nickte zufrieden.

„Und warum dann ist es dir so zuwider, wenn ich das Gleiche auch für dich tun würde?“

Das kleine Mädchen funkelte ihn an. Von ihrem Entsetzen und ihren Zweifeln war nicht mehr viel übrig- neben ihm saß Ran, wie sie leibte und lebte, nur eben in Mini.

„Weil…“

Er ruderte, suchte nach Worten, nach Argumenten.

„Weil…?“, hakte sie nach.

Er seufzte geschlagen.

„Du kannst keinen Grund finden, nicht wahr? Du bist unfair, wenn du dieses Recht nur für dich herausnimmst. Ich will dich genauso lieben dürfen wie du mich.“

„Das hat nichts mit Fairness zu tun…“

Die Worte kamen ihm über die Lippen, ohne dass er es kontrollieren konnte. Er wusste, dass sie nicht stimmten, und sie auch.

Alles hier - ihre ganze Beziehung- fußte auf Vertrauen und Gleichberechtigung. Ohne dieses Fundament brach alles zusammen, egal wie sehr sie sich liebten.
 

„Du weißt, dass das nicht stimmt.“

Ran sah ihm an, dass er seine eigenen Worte nicht glaubte. Er wollte nur nicht zugeben, dass es so war- dass sie Recht hatte. Weil es unerträglich für ihn war.

Genauso unerträglich wie für sie. Sie wollte auch nicht, dass er sein Leben für sie riskierte. Und doch hatte er es schon mehr als einmal getan.

Ohne sie vorher zu fragen.
 

Conan machte eine bezeichnende Geste, seufzte, ließ sich wieder zurücksinken.

„Was ist, wenn du eines Tages aufwachst, und erkennst, dass du einen großen Fehler gemacht hast? Was, wenn du eines Tages kapierst, dass ich nicht der bin, den du willst, und du aber immer noch in diesem Körper steckst? Was ist dann?“

Endlich sprach er sie aus, seine Bedenken.

„Ich will nicht Schuld sein, dass du dein Leben verpfuscht hast.“
 

„Ich hätte mein Leben verschwendet, wenn ich es nicht gemacht hätte, Shinichi. Es stimmt, du bist…“, sie streckte die Hand aus und strich ihm über die Wange, „momentan das Wichtigste auf der Welt für mich. Aber ich kann noch klar denken, glaub mir. Und keiner kann sagen, wie lange eine Liebe hält, wie stark die Beziehung ist. Aber… aber ich will das hier. Ich will dich. Und wenn es anders nicht geht, dann eben so. Ich würde viel eher bereuen, dich zu verlieren, als diesen Zustand hier…“

Sie zog an ihrem kleinen Kleid.
 

„Stehst du mir bei?“, wisperte sie, schaute ihn mit großen Augen fragend an.

„Wie könnte ich nicht?“, murmelte er leise.

„Natürlich bin ich für dich da. Immer, auch wenn ich mal einen Durchhänger habe…“

Er grinste schief.

„Du wirst das noch bereuen, Dickkopf. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es das nicht wert war.“

„Glaub ich nicht. Und jetzt halt die Klappe.“

Sie kuschelte sich an ihn.

„Und du hättest sterben können, verdammt!“

Er schob sie noch einmal weg von sich, schaute sie ärgerlich an.

„Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht hab? Ich bin aufgewacht mitten in der Nacht, und du warst nicht da! Am Morgen warst du immer noch nicht da, gingst nicht ans Handy, keine Nachricht von dir, ich dachte, dir sei sonst was zugestoßen und…“

Conan seufzte, strich sich müde über sein Gesicht.

„… wie sich herausstellt, hatte ich damit gar nicht Unrecht…“

Ran legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen, dann schmiegte sie sich wieder an seinen Körper. Er legte seine Arme um sie, drückte sie an sich, atmete tief durch. Ran atmete tief durch.

Sie hatte ihn wieder. Das war im Moment das Wichtigste.
 

Ran schloss die Augen, und genoss es einfach, von ihrem Freund in die Arme genommen zu werden. Spürte seine Wärme und fühlte, dass es auch ihm gut tat. Sie merkte, dass er langsam wieder ruhiger wurde, seinen Kopf auf ihren sinken ließ und seufzte zufrieden.
 

Das war zwar noch nicht ganz das Optimum, aber sie waren schon recht nah dran.

Alles Weitere würde sich zeigen müssen.
 

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Wer sich über den Titel wundert, hier die Erklärung, bzw. Übersetzung: Es handelt sich um die Verbesserung (= Optimierung) eines nicht bestmöglichen Zustands (=Suboptimum).

Ich liebe Fremdwörter. Und ich mag das Wort 'suboptimal'. :D

Der neue Status Quo

Guten Tag allerseits- oder besser: guten Abend!
 

Hier also der Aufbruch ins zweite Drittel dieser Fic... ich muss sagen, mit dem Kap hatte ich so meine Probleme -.-
 

Nun... irgendwie fällt mir nicht mehr ein...
 

Außer: Vielen, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! *verbeug*

Ich geb mir Mühe, damit ihr auch weiterhin Freude an der Fic habt- und ich die Fehler, die ich noch mache, ausmerze *g*
 

Anonsten: bis nächste Woche!
 

Viel Vergnügen mit Kapitel elf! Vorhang auf!
 

Hochachtungsvoll (ich liebe dieses Wort...*g*)

Eure Leira :D
 

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Heute war Montag.
 

Heiji war gestern wieder abgereist - schließlich hatte auch er Schule; und dummerweise eine wichtige Arbeit zu schreiben, die er nicht schwänzen konnte. Man sah ihm an, dass er gern noch länger geblieben wäre - aber diese Prüfung konnte er nicht sausen lassen. Er war, wie Conan später noch erfahren hatte, eigentlich deshalb gekommen, weil Ai ihn angerufen hatte. Sie hatte ihm nur erzählt, dass sein Freund seine Hilfe, seinen Beistand brauchen könnte - aber nicht gesagt, warum.

Und so hatte Heiji sich in den Zug gesetzt, war von Osaka früh am Sonntagmorgen mit der Bahn angereist - und hatte leider auch schon recht bald wieder abreisen müssen. Conan und Yusaku hatten ihn wieder zum Bahnhof gefahren - aber er war nicht gegangen, ohne zu versprechen, bald wieder zu kommen.

Neben der Tatsache, dass er sich verpflichtet gefühlt hatte, seinem Freund zu helfen, wie er immer wieder betont hatte - und was er auch getan hatte, indirekt zwar, aber er hatte geholfen, und das stimmte ihn zufrieden, man hatte es ihm angesehen - war er auch dankbar gewesen für die Abwechslung. Er hatte mal wieder Stress mit einer gewissen Oberschülerin gehabt, deren Name mit K anfing und mit azuha endete, wie Conan erfahren hatte - ob er es denn nun wollte oder nicht. Die ganze Autofahrt hatte Heiji nur von ihr geredet – beziehungsweise, sich über sie aufgeregt.
 

Was für ein gigantischer Holzkopf Heiji doch zuweilen war.

Conan hatte nur stumm den Kopf geschüttelt, unbemerkt von Heiji und seinem Vater, weil er, das kleine Kind, auf die Rückbank verbannt worden war, wo es hingehörte.
 

Der kleine Detektiv hatte ihm dann am Bahnsteig nachgewunken, sein Vater, der hinter ihm gestanden hatte, hatte ebenfalls die Hand zum Gruß gehoben. Er war froh, den besten Freund seines Sohns nun auch kennen gelernt zu haben, und bescheinigte Shinichi eine gute Menschenkenntnis - auch wenn es ihn wunderte, dass zwei doch durchaus talentierte Detektive so gut miteinander auskamen. Eigentlich hätte er meinen können, Konkurrenzkämpfe wären eher wahrscheinlich, aber er hatte sich getäuscht; was in diesem Fall ganz und gar nichts Schlechtes war.
 

Nichtsdestotrotz hatte es den Kriminalschriftsteller gefreut. Gute Freunde konnte man nie zuwenig haben - erst Recht nicht, wenn man sich so gern und so gründlich in Schwierigkeiten brachte, wie sein Sohn.
 


 

Das war also gestern gewesen.

Und Conan fragte sich heute noch, was dieses breite Grinsen, das sein Vater gestern auf der Heimfahrt auf den Lippen gelegen hatte, zu bedeuten hatte.

Hatte ihn die Sache mit Kazuha amüsiert? Oder war es was anderes?

Der Grundschüler seufzte. Auf seine Fragen diesbezüglich hatte ihm sein werter Herr Papa natürlich keine Antwort gegeben. Wäre auch mal was ganz Neues.
 

Heute also aber war Montag - und Conan hatte mit Ran gerade das Schulhaus verlassen. Und er hatte es überhaupt nicht eilig, zu den Môris nach Hause zu kommen, ganz im Gegensatz zu ihr.

Auf ihn wartete namenloses Grauen - er hatte sich breitschlagen lassen, sich mit Ran und ihrer Mutter in die Hölle zu begeben, das hieß, in die Tokyo Shopping Mall. Ran brauchte neue Klamotten und Eri, die sich erstaunlich schnell an die Verjüngung ihrer Tochter gewöhnt hatte, brannte schon darauf, ihr kleines Mädchen in rosa Kleidchen zu verpacken.

Und Ran – sie freute sich darauf, mit ihrer Mutter shoppen zu gehen.

Man sah es ihr an, sie freute sich wirklich - schon lange hatte sie mit ihrer Mutter mal wieder richtig einkaufen gehen wollen, und heute war es endlich soweit.

Auch wenn sie, wie sie sagte, verhindern würde, dass ihre neue Garderobe unter dem Titel ‚pretty in pink’ laufen würde.

Und er - er sah dem eher mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, um nicht zu sagen - ihm graute davor. Er wusste, wie solche Shoppingnachmittage auszusehen pflegten.
 

Heute war Ran also zu ihrem zweiten ersten Schultag an der Teitan Grundschule angemeldet worden- und er hatte Ran alias Kohana Akechi erfolgreich in die Detektive Boys integriert, was nicht zu wenig ihrem süßen Erscheinungsbild zu verdanken war – die Jungs hatte man nicht weiter überzeugen müssen, was ihn geringfügig wurmte- Ayumi hatte sich eher etwas zurückhaltend gezeigt. Ai hatte Ran angeboten, freiwillig ihren Platz neben Conan zu räumen, damit Hana, wie sie bald alle nannten, neben ihrem Freund sitzen konnte. Sie wusste, es tat ihr gut, ihn an ihrer Seite zu wissen - und sie wusste auch, dass es ebenfalls für Conan besser so war.
 

Ran hatte es ihr mit einem glücklichen Lächeln gedankt.

Er nicht.
 

Conan sah sie nicht mal an.
 

Ai ging nun auch mit ihnen nach der Schule nach Hause, doch redete sie während des Weges kaum. Conan würdigte sie immer noch keines Blickes - er war unglaublich wütend auf sie. Er fühlte sich von ihr betrogen; natürlich hatte er jetzt, nachdem alles ans Licht gekommen war, das Ablenkungsmanöver und ihren „Verrat“ (so bezeichnete er die Tatsache, das Ai Ran das erzählt hatte, was er ihr um jeden Preis hatte verschweigen wollen) sofort durchschaut.

Hana hatte sich anfangs redlich bemüht, zwischen den beiden zu vermitteln. Nachdem ihr Freund allerdings so gar keine Anstalten machte, einen Schritt auf Ai zuzugehen, sich ihr gegenüber etwas versöhnlicher zu zeigen, verabschiedete nur sie sich von Ai, die mittlerweile Tränen in den Augen hatte, aber tapfer keine Miene verzog.

Er war vor der Mauer stehen geblieben, wartete auf Ran. Als sie wieder aus dem Haus des Professors herausgekommen war, warf sie ihm einen verständnislosen Blick zu. Er jedoch schüttelte nur den Kopf und starrte stur vor sich hin.

Er wusste selbst nicht, warum er auf Ai so wütend war. Er müsste auf Ran eigentlich genauso wütend sein - Fakt war, er war auch wütend gewesen; aber jetzt war er es nicht mehr. Schließlich brauchte sie ihn. Er musste für sie da sein.

Und Ai?

Hatte er ihr nicht mal was versprochen…? Wie war das noch mal gewesen, er wäre immer für sie da, würde ihr immer helfen?

Er seufzte tief.

Wenn es darauf ankam, würde er ihr natürlich beistehen. Aber irgendetwas hielt ihn davon ab, jetzt schon mit ihr genauso umzugehen wie vorher.
 

Außerdem… einmal abgesehen von Rans kleiner Größe und seinem Streit mit Ai, beschäftigte ihn noch zusätzlich etwas ganz anderes.
 

Etwas von öffentlichem Interesse.
 

Sie war noch da.

Die Zeitungen waren voll von ihr - Chris Vineyard war immer noch in Tokio.

Conan seufzte, raufte sich die Haare.

Es war zum Verrücktwerden - sie war noch da, und mit ihr bestimmt auch Gin, wahrscheinlich auch Wodka, der Prügelknabe vom Dienst - und ihm waren die Hände gebunden. Er wusste nicht, wie er an sie ran kam. Er wusste ja nicht einmal, wo sie sich aufhielten, geschweige denn, was ihre Pläne waren.

Und er hatte Angst, dass einer von ihnen Ai, Ran oder ihn sah – dass es ans Licht kam, was es mit APTX 4869 tatsächlich auf sich hatte.
 

Ai war heute im Kapuzenmantel zur Schule gekommen, und es war ein offenes Geheimnis, dass sie sich für morgen, und für den Rest der Woche, des Monats, wenn es sein musste, krankschreiben ließ. Ihn wunderte, warum sie sich den heutigen Schultag überhaupt angetan hatte.

Ihre Angst war fast körperlich fühlbar gewesen, sie strahlte sie ab wie ein Heizkörper Wärme verbreitete, steckte ihn an damit.
 

Andererseits wurde er fast wahnsinnig bei dem Gedanken, dass die Organisation ihm so nahe war, er ihr so nahe war, und nichts tun konnte. Er wusste nicht, warum sie hier war. Wusste nicht, was sie im Schilde führte.
 

Wusste nicht, was Sharon damit bezweckte, ihm länger auf der Pelle zu sitzen als nötig.
 

Und zu was war der Mist mit dem Detektiven, der sein Klon hätte sein können, denn nun eigentlich gut gewesen? Die Sache mit Vermouth, mit der Wermutmörderin? Sollte dieser Film ihn warnen? Ihm drohen?
 

Ihm sein Ende vor Augen führen…?
 

Conan schluckte. Er merkte, wie Ran ihre Hand in seine schob, wandte den Kopf und warf ihr ein liebevolles Lächeln zu. Er wollte nicht, dass sie ihm seine Sorgen ansah.
 

Solange die Organisation nichts um die verjüngende Wirkung des Giftes wusste, und Ai sich außer Sichtweite brachte, war sie nicht in Gefahr.

Solange Sonoko, Heiji, seine Eltern, Rans Eltern und der Professor dicht hielten, sich nicht verplapperten…

War zumindest Ran in Sicherheit. Dass Vermouth wusste, wer er war - und wer Ai war - das war ein offenes Geheimnis. Warum sie dicht hielt, eher nicht. Diese Tatsache war immer noch ein Rätsel für ihn. Viel wichtiger war jedoch -

Von Ran wusste sie nichts.

Noch.
 

Er schloss die Augen. Das hier nahm Ausmaße an, die fast nicht mehr kontrollierbar waren, und er hasste das.

Er hasste es, wenn er die Übersicht verlor, sich zu sehr auf Schicksal und Zufall und sein Glück verlassen musste.
 

Sein Glück hatte ihn schon so oft verlassen, der Zufall ihn zur falschen Zeit an den falschen Ort geführt und sein Schicksal - sein Schicksal hatte ihm mehr als nur einmal übel mitgespielt.

Er forderte Wiedergutmachung, aber die ließ auf sich warten.
 


 

Nun standen sie also vor der Detektei Môri- und Conan stellte fest, dass es tatsächlich keinen Gott gab.

Sonoko würde sie beim Shoppen begleiten.

Er stöhnte innerlich auf, versuchte nach außen hin gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Es gab kein Entrinnen.
 

Und so fand er sich fünf Minuten später zusammen mit Ran auf der Rückbank des blauen Minis von Eri wieder, und starrte aus dem Fenster, wohl wissend, das Sonoko alle drei Minuten ihren Kopf drehte, um sie anzustarren, mit einem unverschämt breiten Grinsen auf dem Gesicht und ununterbrochen (wobei sie immer noch grinste) davon schwärmte, wie süß sie beiden miteinander seien, wie niedlich, wie putzig - und wie heldenhaft und tapfer und selbstlos sie Rans Aktion fände (ein Gedanke, der Conan immer noch sauer aufstieß und einen mehr als nur einfach bitteren Nachgeschmack bei ihm hinterließ). Die Tatsache, dass Ran sie für ihn im Restaurant ohne ein Wort sitzen gelassen hatte, schien sie schon wieder völlig vergessen zu haben.

Da konnte man ihr wohl wirklich nichts nachsagen - Sonoko Suzuki war alles, nur nicht nachtragend.
 

Berieselt von diesem Dauerredeschwall fragte er sich gerade zum hundertfünfzigsten Mal, was ihn verdammt noch mal geritten hatte, ihr damals, am Tag von Rans Verschwinden Recht zu geben, was seine Person betraf - als etwas, oder besser gesagt, jemand, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er sah die Person nur aus den Augenwinkeln, und nur ganz kurz - aber nichtsdestotrotz hegte er keinen Zweifel, dass er sich täuschen könnte.
 

Also seid ihr auch hier…?

Wisst ihr es? Wisst ihr mehr als ich?
 

Was habt ihr vor?
 

Er drehte den Kopf, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Ran schaute ihn fragend an.

„Hast du… jemanden gesehen?“

Sonoko unterbrach sich abrupt - und ihm Auto wurde es auf einmal gespenstisch still. Eri warf ihm einen Blick durch den Rückspiegel zu.

Conan schüttelte den Kopf.

„Niemand, über den du dir Gedanken machen müsstest, Ran.“

Eri seufzte entnervt.

„Kannst du auch mal Klartext reden?“

„Es war keiner von denen.“

Er sah, wie sich Eris Augen im Rückspiegel verengten - ihre Augenbrauen auf einander zu wanderten, als sie ihn anstarrte.

„Dann ist es ja gut.“, meinte sie schließlich, als sie wohl zu dem Entschluss gekommen war, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Und Sonoko fing wieder an, zu quasseln.

Er atmete innerlich auf - er hatte keine Lust mit Rans Mutter über das FBI zu diskutieren. Conan bildete sich ein, dass es Black gewesen war, den er vorhin an der Ampel gesehen hatte - aber jetzt Ran, Sonoko und Rans Mutter seine Kontakte zum Federal Bureau of Investigation und dessen Rolle im Fall um die Schwarze Organisation zu erklären, war nicht in seinem Sinne.

Und wahrscheinlich auch nicht in dem des FBIs.

Allzu lange konnte er sich darüber allerdings nicht seinen Kopf zerbrechen, denn kurz darauf bog Eri auf den Besucherparkplatz der Mall ein.
 


 

Wie er die folgenden Stunden überlebt hatte, konnte er hinterher nicht mehr sagen.

Nachdem sie satte dreieinhalb Stunden damit zugebracht hatten, durch sämtliche Boutiquen der Mall zu ziehen, um nicht nur für Klein-Hana, nein, auch für Sonoko, neue Kleider zu kaufen, und die drei Frauen immer noch keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigten, hatten sie sich ein neues Opfer ausgesucht.
 

Ihn.
 

Und so hatte ihn Eri, die ihm von Sekunde zu Sekunde immer unsympathischer geworden war, gnadenlos in das Kinderkaufhaus geschleppt, in dem sie auch Ran neu eingekleidet hatten, und suchte für ihn Klamotten, wobei ihr Sonoko mit dem größten Vergnügen zur Hand ging.

Ihre Mission: der perfekte Pärchenlook. Ran hatte ihm nur immer wieder ein entschuldigendes Lächeln geschenkt. Gegen ihre Mum und Sonoko kam auch sie nicht an. Und so hatte er sein Schicksal erduldet - still für sich gelitten und sich zum hundertsten Male gefragt, warum Frauen gerne shoppen gingen.

Das war doch die reinste Tortur.
 

In gewisser Hinsicht, dachte er bei sich, als sie nun, weitere anderthalb Stunden später, im Café saßen und er wie ein Verdurstender an seiner Cola hing, hatte er das wohl verdient. Schließlich wäre Ran jetzt nicht so klein, wenn er ihr nicht gesagt hätte, wer er war. Er zog am Strohhalm.

Tapfer hatte er wohl an die sechs oder sieben Hosen, dazu je ein Shirt, Hemd oder passenden Pullover anprobiert, die Verkäuferin an sich rumzupfen lassen, den perfekten, lieben, kleinen Grundschüler gegeben- und jetzt war er müde. Und durstig.

Er äugte in sein Glas. Der halbe Liter Cola neigte sich unerfreulich schnell dem Ende zu.
 

Dann warf Conan dem kleinen Mädchen neben sich einen vorsichtigen Blick zu.

Ran, oder besser gesagt, Hana, sah einfach zu niedlich aus, wie sie so da saß, in ihrem Kleidchen, und durch einen Strohhalm ihren Erdbeermilkshake trank. Er fragte sich, warum sie so lange gebraucht hatten, um für sie Kleidungsstücke zu finden, sie hatte in allem süß ausgesehen.

Ran bemerkte seinen Blick und lächelte, rutschte ein wenig näher und lehnte sich an ihn.
 

„Das mit meiner Mutter tut mir Leid…“ murmelte sie entschuldigend.

„Das muss es nicht.“

Er nahm einen weiteren Schluck Cola. Tante Eri würde wohl noch ein Glas springen lassen müssen.

„Danke.“, seufzte sie dann.

„Wofür?“, fragte er verwirrt.

„Dafür, dass du mich nicht allein lässt, dass du bei mir bist, dass du heute mitgekommen bist und dich von Mama uns Sonoko derart…“, sie lächelte entschuldigend, „foltern hast lassen. Du musst die Sachen nicht anziehen, wenn du nicht…“

„Ran, lass gut sein…“, flüsterte er. Er war zwar kein begeisterter Anhänger des Pärchenlooks, aber wenn es sie glücklich machte…

Er drehte den Kopf, warf einen Blick auf die Tüte neben ihm, in der jetzt tatsächlich zwei Outfits steckten, die perfekt zu Rans passten, und zog die Augenbrauen hoch.

Dann fühlte er warme, weiche Lippen auf seiner Wange, begleitet von einem zarten Lufthauch. Er wandte den Kopf und schaute in Rans blaue Augen.

„Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich glücklich bin?“, wisperte sie.

Er sagte nichts, hob nur die Hand und streichelte ihr sanft über die Wange.
 

„Hrmhrmmmm.“

Erschrocken blickten die beiden Grundschüler hoch.

Vor ihnen standen Eri und Sonoko, beladen mit Kuchen, den sie soeben an der Selbstbedienungstheke geholt hatten. Während Sonoko ihr altbekanntes Von-Ohr-zu-Ohr-Grinsen aufgesetzt hatte, schaute Eri die beiden streng an. Conan und Ran schluckten zeitgleich, machten sich auf ein Donnerwetter gefasst.

Dann passierte etwas Unerwartetes.

Auf dem Gesicht der Rechtsanwältin breitete sich ein leichtes Lächeln aus, dann stellte sie den beiden Grundschülern je ein Stück Torte vor die Nase und setzte sich ebenfalls.

„Aber in der Öffentlichkeit solltet ihr ein wenig… ich meine, ihr seid Kinder…“

„Glauben Sie mir, Eri - keinem ist das mehr bewusst als mir. Und Ran wird es auch noch schnell genug merken. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“

Er seufzte, warf ihr einen bezeichnenden Blick zu.

Sie nickte nur. Er wusste, wie weit er gehen durfte - egal ob öffentlich oder nicht.
 

Dann begann sie mit Sonoko und ihrer Tochter ein Gespräch, und Conan, der zu dem Thema, das die drei aufarbeiteten, nicht wirklich einen Kommentar geben konnte, sah seine Zeit sinnvoller darin investiert, seinen kleinen Magen mit Sahnetorte zu füllen.

Gedankenverloren ließ er seinen Blick durchs Café schweifen - blieb hie und da an einem Gesicht hängen, schnappte einen Gesprächsfetzen auf, versuchte die Thematik und die Situation, oder die Stimmung der Personen zu erraten, als seine Augen an einem Hinterkopf kleben blieben.
 

Die Person kannte er doch…
 

Also waren sie tatsächlich alle hier? Was wollten sie? Wirklich das, was er vermutete?
 

Er rutschte mit der Bemerkung, schnell mal für kleine Jungs zu müssen, von der Bank, allerdings nicht ohne sich noch eine letzte Gabel voll Sahnetorte in den Mund zu schieben. Dann schlängelte er sich durch die Menschenmassen und setzte sich auf den Stuhl gegenüber des Menschen, den er als seinen neuen Gesprächspartner auserkoren hatte.
 


 

Jodie Starling hob erstaunt die Augenbrauen hoch.

„Cool kid! Was machst du denn hier?“

Sie strahlte ihn freundlich an.

Er lächelte höflich zurück.

„Kaffeetrinken, Miss Starling, das was man in einem Café eben so macht.“

Er grinste breit.

„Und was treibt Sie in dieses Etablissement?“

Jodies Augen funkelten amüsiert.

Sie mochte den kleinen Detektiv. Er war schlau, gewitzt und äußerst clever. Und für einen Grundschüler verfügte er über ein deutlich zu großes Allgemeinwissen.
 

Einmal mehr fragte sie sich, ob ihr Verdacht nicht vielleicht doch der Wahrheit entsprach…
 

„Der Kaffee, kleiner Mann. Was sonst?“

Conan legte seinen Kopf auf seine zusammengefalteten Hände.

„Na, Sie müssen ja arge Entzugserscheinungen haben, wenn Sie gleich drei Tassen auf einmal brauchen?“

Er grinste breit. Jodie warf einen resignierten Blick auf die drei Tassen schwarzen Kaffees, die sie gerade geholt hatte. Jetzt hatte sie ein klitzekleines Problem.

„Ich bin süchtig, du hast mich erwischt, cool kid.“

Abwartend blickte sie ihn an. Dieses Gespräch auf diesem Niveau zu führen war einerseits spaßig, andererseits anstrengend. Sie wusste, er war mit ihr intelligenzmäßig auf einer Stufe; aber sie wollte sich nicht verraten. Wollte ihre Ahnung nicht preisgeben, noch nicht. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie sich durch dieses betont kindgerechte Reden nicht noch viel eher verdächtig machte.

Dann riss er sie aus ihren Gedanken.

„Dann sollten Sie aber mindestens noch eine davon holen.“

Sie zog die Augenbrauen hoch.

„Warum? Ich denke, drei sind genug für mich…“

Sie lächelte amüsiert. Doch, es hatte etwas Spaßiges an sich.

„Na, noch eine für James Black, auf den warten Sie doch. Oder holen sich beim FBI die Vorgesetzten ihren Suchtstoff selber?“

Jodie zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Nun war sie in der Tat verblüfft.

„Woher…?“

„Ich weiß, dass Black in der Stadt ist - den hab ich vorhin auf der Straße gesehen. Also hab ich Recht?“

„Das musst du selber herausfinden, cool kid. Aber was machst du denn nun wirklich hier? So ein Hosenmatz wie du wird wohl kaum allein in ein Café gehen. Zumal du gar nicht nach Kaffee riechst. Ich tippe auf Cola.“

Conan seufzte gespielt theatralisch.

„Sie haben natürlich Recht. Ich bin mit Frau Kisaki, Sonoko und… einer neuen Freundin hier. Wir waren einkaufen.“
 

Jodie zog die Augenbrauen hoch.

„Willst du mir deine neue Freundin dann nicht vorstellen?“

Sie verengte die Augen.

Conan starrte zurück. Er wusste, dass sie ahnte, wenn nicht wusste, wer Ai in Wirklichkeit war. Alles was sie noch zaudern ließ, war, dass sie ihre Theorien nicht beweisen konnte.

Und er hatte keine Ahnung, wie nahe sie schon war, herauszufinden, wer er eigentlich war. Er vermutete, sie war gefährlich nahe dran, so wie sie sich verhielt- sie jetzt Ran, das hieß, Kohana vorzustellen, wäre unklug. Kohana benahm sich noch viel zu wenig wie ein kleines Kind.

Er wusste nicht, ob es intelligent war, sich gegenüber dem FBI schon zu stellen- die Maske fallen zu lassen. Er wollte damit eigentlich noch ein wenig warten.
 

Und irgendwie gefiel ihm dieses Spiel…
 

„Sie heißt Kohana. Und sie ist ziemlich schüchtern. Ich stelle sie Ihnen ein anderes Mal vor.“

Er lächelte sein allerliebstes Kinderlächeln.

„Wahrscheinlich werden wir uns ohnehin noch mal über den Weg laufen. Sie sind doch auch bestimmt hier, um Vermouth zu sehen, nicht wahr?“

Seine Stimme war immer leiser geworden - zum Ende des Satzes konnte sie ihn kaum mehr hören. Er sah sich kurz um, er kam sich irgendwie beobachtet vor - und fand ihn auch, seinen Beobachter, schüttelte belustigt den Kopf und wandte sich der Agentin wieder zu.

Jodie seufzte.

„Also schön, ich sehe, es ist zwecklos. Ja, das sind wir. Es heißt, sie wäre noch in der Stadt, obwohl die Premiere ihres Films ja schon drei Tage her ist. Wir konnten da ja leider nicht auftauchen, schließlich brauchte man dazu eine Einladung. Und einen Agenten undercover einzuschleusen war uns nicht möglich… die Sicherheitsvorkehrungen waren exorbitant - und dem Veranstalter zu unterstellen, sein Star wäre eine Verbrecherin, ohne das beweisen zu können… wäre irgendwie dilettantisch gewesen. Also konnten wir nur überwachen, was passiert.“

„Deswegen treffen Sie sich hier auch mit James. Und mit Shuichi Akai. Also noch zwei Tassen Kaffee, sofern Sie Ihre Ausrede der Kaffeesucht weiter aufrechterhalten wollen.“, fügte er lässig an.

„Geben Sie’s auf, Miss Jodie…“

Die FBI-Agentin hob erstaunt die Augenbrauen.

„Woher zum Teufel weißt du das schon wieder?!“

Er grinste breit.

„Er kommt da hinten. Und wussten Sie, dass Gin auch in Tokio ist?“

Damit rutschte er vom Stuhl.

„Zumindest war er das vor drei Tagen, aber ich denke nicht, dass er Vermouth allein hier lässt. War nett, mit Ihnen zu plaudern. Bis demnächst, und schränken Sie Ihren Koffeinkonsum ein wenig ein, Miss Jodie! Oder teilen Sie einfach.“
 

Er lachte, dann tauchte er unter im Gewühl der Massen.
 

Eine Einladung - wenn ihr wüsstet, wie leicht ihr an eine hättet kommen können.
 

Jodie starrte ihm sprachlos hinterher.
 

Wer zur Hölle bist du… Conan Edogawa?
 

„Was schaust du so?“

Shuichi ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem Conan gerade noch gesessen hatte, und blickte seine Partnerin skeptisch an.

„Wusstest du, dass Gin auch in der Stadt ist?“

Sie zog die Augenbrauen hoch und schaute ihn fragend an.

„Nein, wusste ich nicht. Aber das macht die Sache um Einiges interessanter.“

Ein kühles Lächeln umspielte seine Lippen.

„Woher hast du die Information?“
 

Jodie seufzte.

„Kennst du cool kid?“

Akai seufzte.

„Den kleinen Hosenscheißer, der bei den Môris wohnt? Nun, nicht persönlich, nur vom Sehen, warum?“

„Von ihm hab ich die Info.“

Akai blinzelte, ein einigermaßen interessierter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Ich frag mich, woher er die Info hat. Kann man dem wirklich trauen… ich meine… hat er ihn gesehen? Wo? Es ist ungewöhnlich, dass Gin sich einfach so in der Öffentlichkeit zeigt, darum weiß ich nicht, inwieweit seine Information da stimmt…“

„Sie stimmt hundertprozentig, mein Bester.“

James Black ließ sich auf den einzigen noch freien Stuhl am Tisch fallen und nahm sich eine der drei Tassen Kaffee.

„Wenn er sagt, dass Gin in der Stadt ist, dann ist Gin in der Stadt.“
 

Shuichi ächzte.

„Wie lange beobachtest du uns schon?“

„Länger als ihr denkt. Und der einzige, der es mitbekommen hat, war er.“

Er lächelte hintergründig.
 

„Mr. Sherlock Holmes…“
 

Jodie und Shuichi schauten ihn fragend an.

James Black schaute sich eingehend um.

Gut - keine verdächtige Person schien in der Nähe zu sein, auch der Knirps schien verschwunden zu sein - und die Geräuschkulisse des Cafés bot einen geradezu idealen Abhörschutz.
 

„Habt ihr euch noch nie gefragt, woher er so viel weiß? Wie es sein kann, dass ein Grundschüler schon so schlau ist? Du wirst es doch schon mitbekommen haben Jodie - du hattest mit ihm doch schon öfter zu tun… ich hatte bis jetzt ja leider nur zweimal das Vergnügen.“

Er lächelte, die Enden seines Schnauzbarts wanderten nach oben.

Jodie zog die zweite Tasse zu sich her, riss eins der Süßstoffpäckchen auf und ließ die zwei Pillen in den Kaffee gleiten, beobachtete, wie sie sich sprudelnd auflösten.

„Doch, das ist mir schon aufgefallen. Und ich habe schon ernsthaft überlegt, ob er nicht auch ein Mensch ist, dem irgendwie dasselbe widerfahren ist wie Vermouth, was auch immer das ist. Und irgendwie denke ich auch, dass das kleine rotblonde Mädchen nicht ist, wer sie zu sein scheint.“

Sie nahm einen Schluck Kaffee.

Shuichi zuckte zusammen. James quittierte es mit einem Nicken.

„Denkst du nicht auch, Shuichi, du weihst uns jetzt einmal in alles ein, was du damals herausgefunden hast? Auch die scheinbar unbedeutenden, eher privaten Sachen? Auch wenn du nicht gerne drüber sprichst, es wird Zeit…“
 

Akai nahm die letzte der Kaffeetassen in die Hand, starrte in die schwarze Flüssigkeit, ohne etwas zu trinken.

„Du meinst…“

„Die Sache, dass Akemi Miyano eine Schwester hatte, exakt.“

Shuichi seufzte.

„Also schön, ja. Akemi hatte ein Schwester, Shiho. Ich hab sie nur ein paar Mal getroffen, sie arbeitete im Labor, und die Abteilung, in der ich war, hatte nicht viel mit dem Laborbetrieb zu tun. Ich vermute aber stark, dass die kleine Ai Haibara Akemis Schwester ist, sie sieht Shiho einfach auffallend ähnlich... Was eigentlich gleichzeitig unmöglich scheint, weil Shiho mittlerweile zwanzig Jahre alt sein müsste. Die Kleine, die sich mit unserem Mini-Holmes rumtreibt, ist aber erst zehn. Aber dann wäre noch die Sache, dass Vermouth sie erschießen wollte, du warst doch dabei, Jodie. Und diese unglaubliche Ähnlichkeit zu Shiho. Warum würde die Organisation auf einmal dazu übergehen, kleine Kinder zu töten? Ich meine, auf die Art und Weise? Ihnen auflauern, sie entführen wollen und dann um die Ecke bringen? Und außerdem… sie nannte sie Sherry.“

Er seufzte.

„Das war Shihos Codename. Und das Mädchen, das sich vor Ai geworfen hat, nannte sie Angel.“

Jodie nickte.

„Es schien, als würde sie sie kennen.“

Akai nickte langsam, fixierte James mit seinen eisblauen Augen.

„Aufgrund dieser Tatsachen bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass die Kleine Ai Haibara in Wirklichkeit Shiho Miyano ist, die es irgendwie geschafft hat, die Organisation gegen sich aufzubringen.“

„Wie, das wissen wir doch, oder nicht? Sherry gilt als Verräterin. Und auf Verrat steht der Tod. Wir alle wissen, dass Gin hinter ihr her ist wie der Teufel hinter der armen Seele... und genauso wie ihn hat man auch Vermouth auf sie angesetzt. Sie weiß, wer sie ist, sie nannte sie Sherry, wie du sagtest - warum hat sie nicht schon längst versucht, sie zu töten? Warum hat sie ihn damals nicht umgebracht, als sie die Gelegenheit hatte? Sie weiß, er ist gefährlich. Und wenn Sherry nun wirklich die kleine Ai Haibara ist…“

Er seufzte, stellte den Kaffee ab, ohne getrunken zu haben.

„Und in Anbetracht der Tatsache, dass auch Vermouth nicht zu altern scheint…“

Er warf Jodie einen ernsten Blick zu.

„… kann man vielleicht davon ausgehen, dass die Organisation irgendein Mittel hat, um Menschen zu verjüngen. Ob nun bewusst oder unbewusst. Und wenn dem so ist, dann könnte es sein, dass unser kleiner Detektiv…“

„…wie ich schon lange vermute, gar kein kleiner Detektiv ist.“, vollendete Jodie seine Satz.

„Sondern ein ganz Großer.“

James Black nickte.

„Und- fällt euch ein großer Detektiv ein, der schon seit längerer Zeit wie vom Erdboden verschluckt scheint?“
 

Jodie und Shuichi schauten ihn abwartend an.

„Cool guy.“, meinte die Agentin dann.

„So nannte ihn Vermouth. Cool guy, der Freund von Ran Môri… brillanter Denker, ausgezeichneter Beobachter… hat noch jeden Fall gelöst, der ihm unter die Finger kam… und verschwand, von einem Tag auf den anderen, völlig spurlos.“

James Black zog einen Zeitungsausschnitt aus der Innentasche seiner Jacke, faltete ihn auseinander, legte ihn auf den Tisch.

„Exakt. Cool guy alias Shinichi Kudô.“
 

Shuichi starrte auf das Foto. Zu sehen war ein Foto von einem Jugendlichen, der in die Kamera grinste.

Darunter die Schlagzeile:
 

Sein Name ist Shinichi Kudô
 

„Das war der letzte Fall, den Kudô gelöst hat, bevor er verschwand. Es wird Zeit, dass wir mit unserem kleinen Detektiv mal ein Wörtchen reden.“

Black zog die Zeitungsseite wieder zu sich, faltete sie zusammen, leerte seine Kaffeetasse mit einem Zug und erhob sich.
 

Die anderen folgten seinem Beispiel, und gemeinsam verließen sie das Café.
 


 

Conan warf ihnen einen beunruhigten Blick hinterher, wandte sich schnell wieder seiner mittlerweile zweiten Cola zu, die ihm Ran dankenswerterweise besorgt hatte, als James seinen Kopf in seine Richtung drehte.
 

So wie es aussah, ging es jetzt erst richtig los.

Lebensbeichte

Hallo!
 

Vielen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! Dankeschön :D

*freu*
 

Nun- Kohana Akechi. Wo das Akechi herkommt, sollte jeder eingefleischte Conan-Fan wissen; Kogorô hat seinen Namen auch von ihm- Kogorô Akechi, der berühmte Detektiv von Ranpo Edogawa, von dem sich unser lieber Grundschuldetektiv seinen Nachnamen geklaut hat.

Also- wie der Vater so die Tochter; der Nachname steht also fest. Und Kohana-

Nun; Ran heißt "Orchidee" auf Deutsch (unter anderem); und Kohana heißt ungefähr "kleine Blume"; nun hab ich aus der großen, prachtvollen Orchidee ein kleines Blümlein gemacht- aus Ran, der jungen Frau ein kleines Mädchen, Kohana. Somit wäre die Namensherkunft geklärt :)
 

Ansonsten- geht's hiermal um ein etwas spezielleres Verhältnis. Ich bin gespannt, was ihr sagt- mir lag das Kap irgendwie schon am Herzen :)
 

Enjoy reading- viel Spaß beim Lesen!
 

Liebe Grüße, bis nächste Woche!

Eure Leira :)
 

_________________________________________________________________________________
 

Der Einkaufsbummel war jetzt schon drei Tage her, als Conan abends auf dem Sofa im Wohnzimmer der Môris saß und höchst gelangweilt seine Hausaufgaben in sein Heft schmierte. Ihm gegenüber kauerte Ran in einem Sessel und malte ihre Matheaufgaben förmlich aufs Papier.

Er beobachtete sie eine Zeitlang amüsiert, ehe er den Mund aufmachte.
 

„Das wird Frau Kobayashi aber freuen, wenn du dir soviel Mühe mit den Schriftzeichen gibst, Hana-chan.

Sie sah auf, bemerkte in seinen Augen ein belustigtes Funkeln.

„Dann solltest du vielleicht auch mal mit etwas mehr Sorgfalt an deine Aufgaben gehen, Conan-kun.“, neckte sie zurück.

Sie schmunzelte.

Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf, warf ihr einen leicht süffisanten Blick zu, dann grinste er.

„Das brauche ich nicht. Ich bin ein intelligenter kleiner Hosenscheißer, das reicht, um mich bei ihr einzuschleimen. Ich darf mir meine Sauklaue erlauben.“

Er zog die Augenbrauen zusammen, unterstrich sein Ergebnis, dann schlug er das Heft zu.
 

„Hat das gestimmt, was du gesagt hast? Vor ein paar Tagen?“

Der witzelnde Tonfall von eben war verschwunden.

Ran schaute ihn fragend an.

„Was, Shinichi?“

Der Rollenwechsel klappte nach der kurzen Zeit erstaunlich reibungslos.

Von einem Wimpernschlag auf den nächsten, waren sie nicht mehr Conan und Kohana, sondern Shinichi und Ran.
 

Er legte den Kopf schief, beugte sich nach vorne.

„Als du sagtest, dass du glücklich bist, hat das gestimmt, war das die Wahrheit?“

Ein warmes Lächeln erblühte auf Rans Lippen.

„Ja, das war mein voller Ernst. So glücklich wie momentan war ich lange nicht mehr.“

Er lächelte zurück, allerdings nicht ohne einen Hauch von Bitterkeit.

„Dann ist es ja gut.“

Langsam ließ er sich wieder nach hinten fallen, starrte an die Decke.

Dachte an Gin, der vielleicht hinter Ran her war, nachdem er das Gift, dessen Diebstahl er ohne Zweifel bemerkt hatte, nicht bei der Frau aus der Garderobe gefunden hatte.

Dachte an diese ganze, verdammte Organisation, die ihm, und damit ihnen beiden, das hier antaten.

Und hoffte, hoffte inständig, dass Shiho sich mit dem Gegengift beeilte.

Damit das hier für Ran ein Spiel blieb - nicht zu dem Ernst ausartete, der er für ihn selber schon längst war; nie derart wirklich wurde, derart real wurde, wie für ihn.

Denn in einem Punkt war er sich sicher - Ran hatte noch lange nicht kapiert, in was sie sich da Hals über Kopf gestürzt hatte. Er wollte, dass dieser Zustand schell vorbei war, bevor sie begriff, welche Tragweite ihre Entscheidung gehabt hatte- damit sie nie an den Punkt kam, an dem er schon lange stand.

Begriff, was es hieß, nicht mehr man selbst sein zu können.
 

Er seufzte betrübt.

Sie schaute auf.

„Shinichi…“

Er warf ihr einen Blick zu, lächelte. Sie wusste, dass er es sich aufzwang.
 

„Du musst vorsichtig sein, Ran, sie sind noch in der Stadt. Du darfst nicht vergessen - du bist nicht mehr so stark wie vorher. Selbst dein Karate hilft dir herzlich wenig - einen Erwachsenen kannst du damit nicht umlegen. Und du musst darauf achten, dass du dich wie ein kleines Kind benimmst.

Als Grundschülerin bist du gegenüber Erwachsenen ehrfürchtig, fast schreckhaft, auf alle Fälle höchst respektvoll. Wenn du was zu Essen bestellst, wählst du nicht die kalorienärmste Speise, die du kriegen kannst, sondern die süßeste, fettigste, leckerste, die auf der Karte steht. Du nimmst nie Cola light, du bestellst keine Pizza Margherita. Du musst ausgelassen sein, hüpfen auf dem Gehweg, dich mit Kindern laut und lachend unterhalten, rennen, nicht brav und gesittet deines Weges gehen. Du musst in der Schule so tun, als wäre alles neu und interessant für dich - oder neu und todlangweilig, eins von beiden, suchs dir aus. Aber keinesfalls darf es den Anschein haben, als wüsstest du schon alles, als beherrschtest du den Stoff schon…

Und du musst aufpassen wie du redest. Du musst dich kindlich ausdrücken, dich daran erinnern, dass du mit acht Jahren nicht den Wissensstand von achtzehn haben kannst.“

„Etwas, das du regelmäßig vergisst…“

„… was kann ich dafür, wenn sich die Erwachsenen manchmal so blöd anstellen, dass sie mir keine Wahl lassen…“

Ran grinste.

Er wandte ihr den Blick wieder zu. Er lächelte nicht.

„Ich mein das ernst, Ran. Das ist wichtig. Wirklich wichtig, denn davon hängt dein Überleben ab. Und meins. Und Shihos. Wenn einer von uns auffliegt, dann tun wir das alle. Also pass auf, dich wie ein Kind zu benehmen. Und sag auch Sonoko und deinen Eltern, dass sie dich in der Öffentlichkeit wie ein kleines Mädchen behandeln sollen. Und…“

„Und was?“

„Und wenn du sie siehst, die Männer in Schwarz oder Vermouth, Sharon… dann spiel nicht die Tapfere sondern mach, dass du wegkommst. Hörst du?“

„Shinichi…!“

Er stand ruckartig auf.

„Nein, Ran. Nein. Wenn du sie siehst, dann siehst du zu, dass du verschwindest, hast du mich verstanden? Egal, wo ich abbleibe. Ich will nicht, dass dir was zustößt, das was du bis jetzt gemacht hast, ist schon genug… ich will nicht, dass das noch weiter geht. Ich will nicht, dass du dich noch mehr in Gefahr begibst. Versprich mir, dass du weglaufen wirst, wenn sie auftauchen. Egal ob mir einer eine Pistole an den Kopf hält, oder ähnliche Späße betreibt…“

Er schaute sie ernst an.

Ran starrte fassungslos zurück.

„Das kannst du nicht verlangen…“

Sie klang entsetzt- und sie war es auch. Sie liebte ihn- sie würde alles für ihn tun, das wusste er doch. Wie kam er dazu, jetzt diese Diskussion mit ihr zu führen…?

Ein trotziger Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Nein. Nein! Ich werde nicht weglaufen- du würdest es doch auch nie tun! Du darfst von mir nicht verlangen, zu was du selber nicht bereit wärst, Shinichi! Du kannst von mir doch nicht ernsthaft verlangen, dass ich dich im Stich lasse…“
 

Conan schaute sie nur an- wiegte betrübt den Kopf. Warum machte sie es immer nur so schwer.

„Oh doch, ich kann. Und ich tu es auch. Also, versprich mir, dass du verschwinden wirst. Versprich es mir!“

Das kleine Mädchen schüttelte stur den Kopf.

„Nein! Ich könnte dich nicht allein lassen… ich könnte es nicht— ich hab dich einmal gehen lassen, das war ein Fehler, ich…… das kann ich nicht…“

Ihre Stimme war leise, fast wimmernd. Er schaute sie nur an.

„Doch. Doch, das kannst du. Und du wirst es auch. Und dass du es das letzte Mal schon getan hast, war kein Fehler. Wer weiß, was passiert wäre, wärst du mir nachgelaufen. Ich will gar nicht dran denken…“

Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.

„Du wirst gehen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, Ran.“

Ran war sehr blass geworden, schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Ich lass dich nicht allein. Das kann ich nicht. Ich…“
 

Conan ging um den niedrigen Wohnzimmertisch herum, beugte sich über Ran, stützte sich links und rechts von ihrem Kopf mit den Händen am Sessel ab.

„Ich diskutiere nicht mit dir, Ran. Du hast schon ein viel zu großes Risiko auf dich genommen. Ich will nicht, dass du wegen mir noch draufgehst. Du wirst mir jetzt versprechen, dass du verschwinden, dich in Sicherheit bringen wirst, wenn du jemals diesen Leuten über den Weg laufen solltest. Egal ob ich dabei in ihre Hände falle oder nicht. Ich hab mir das selber eingebrockt, du dir nicht. Ich will nicht, dass dir was passiert, wegen meiner Dummheit. Was du bis jetzt getan hast, kann ich nicht mehr ungeschehen machen, aber ich lasse nicht zu, dass so was noch mal passiert. Dass es so weitergeht.“
 

Er fixierte sie mit seinen blauen Augen. Sein Gesicht war ihrem so nahe, dass sie seinen Atem als Lufthauch auf ihrer Haut spüren konnte.

Sie konnte den Kopf nicht abwenden, nicht einmal ihre Augen schließen. Er hatte sie da, wo er sie haben wollte, und sie wusste es- und er wusste es auch.
 

„Versprich mir, dass du gehen wirst, wenn es gefährlich wird. Wenn ich dir sage, dass du weglaufen sollst, dann wirst du genau das tun. Wenn mich jemand verschleppt, mich umbringt oder sonst etwas anstellt, Ran- dann wirst du zusehen, dass du dich aus dem Staub machst. Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben ruinierst. Ich will nicht, dass du stirbst wegen mir, mit dieser Last könnte ich nicht leben - und nicht sterben. Du sollst glücklich sein und in Sicherheit, und wenn es unbedingt so sein muss, dann auch ohne mich. Also, versprichst du es mir jetzt?“
 

Eine Träne rollte ihr aus dem Augenwinkel, ihre Unterlippe zitterte.
 

Dann nickte sie, zögernd zwar- aber es war ein Nicken.

„Ich verspreche es dir. Aber ich tu das nicht gerne.“

Ihre Stimme schwankte.

Er wischte ihr zärtlich die Träne von der Wange, gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Das weiß ich. Und ich danke dir.“

Er seufzte, wandte den Kopf ab.

„Erinnere dich daran, wenn es soweit ist.“
 

Dann lächelte er sie an, ein warmes, aufmunterndes Lächeln, und stieß sich von der Sessellehne ab.

„Und jetzt mal mal schön deine Matheaufgaben fertig, Hana-chan. Ich geh noch schnell zum Professor.“

Ran wollte noch etwas sagen, aber er war schon zur Tür raus, hatte sie hinter sich zugeschlagen. Sie seufzte schwer, wandte sich ihren Aufgaben wieder zu.
 

Ein gemeiner Kerl war ihr Freund.

Und sie liebte ihn.
 


 

Draußen lief er geradewegs Kogorô in die Arme. Es war offensichtlich, dass er gelauscht hatte. Der Mann bedeutete ihm nur durch ein Nicken, ihm zu folgen. Conan zog sich an und ging ihm nach, runter in die Detektei.
 

Dort wandte sich der schlafende Meisterdetektiv um, starrte den kleinen Jungen mit einem schwer zu deutendem Ausdruck in den Augen an.

„Ich denke, wir müssen reden. Das ist schon lange fällig.“
 

Conan nickte ernst.

„Da haben Sie wohl Recht, Herr Môri.“
 

Kogorô räusperte sich.

Es vergingen ein paar Augenblicke, ehe er die richtigen Worte gefunden hatte.

Dann begann er, ließ den kleinen Jungen vor ihm dabei nicht aus den Augen.
 

„Weißt du, Shinichi… ich hielt dich für einen arroganten, kleinen Bastard. Gut- ein wenig hab ich dich vielleicht gemocht- schließlich mochte dich Ran. Ich begann mich damit abzufinden, dass es dich gab; du behandeltest sie ja schließlich gut, sie schien glücklich, wenn sie mit dir zusammen war.“

Er hielt inne. Conan starrte ihn ungläubig an.
 

„Tja, ich weiß. Ich hab immer über dich hergezogen, ich war zugegebenermaßen neidisch; aber ich wollte dir nichts Böses. Und du weißt, dass ich Conan mochte. Auch wenn ich ihn als Nervenzwerg und kleine Ratte und was weiß ich was bezeichnet habe, ihm gelegentlich eine Kopfnuss verpasst habe- irgendwie ist mir der kleine Kerl ans Herz gewachsen. Als er- als du damals auf diesem Campingausflug verletzt wurdest, im Krankenhaus lagst- ich hab mir ehrlich Sorgen gemacht.“

Er kratzte sich am Hinterkopf, sah fast ein wenig verlegen aus.
 

„Bis letzten Samstag. Ich stand da wie der letzte Idiot, als Ran mir alles erzählte - und zuerst glaubte ich, dass meine allererste Meinung von dir, nämlich die, dass du ein Taugenichts bist, ein eingebildeter Mistkerl, ein Betrüger und ein Lügner - die Richtige war. Deine Aktionen als Conan haben meine ohnehin nicht ganz gesicherte Meinung über Shinichi Kudô nicht unbedingt gebessert. Der schlafende Kogorô… wie konntest du?! Gerade du, der große Moralapostel, der Prediger und Verteidiger der Wahrheit und Gerechtigkeit…?! Ha! Das ich nicht lache…“

Conan schluckte schuldbewusst, ließ geschlagen den Kopf hängen. Als Kogorô fort fuhr, schaute er jedoch wieder auf.
 

„Du hast mir eine Karriere verschafft, die ich ohne dich nicht aufrechterhalten kann. Du hast mir Ruhm geschenkt, den ich nicht verdiene. Du ruinierst mein Leben, meine Existenz, mein Ansehen. Was soll ich jetzt machen? Der schlafende Kogorô ist Geschichte, meine Karriere am Ende. Ich bin ein Versager. Du gibst mir dieses Gefühl, du machst mich dazu. Du bist erst neunzehn, und bist brillant. Du warst mit fünfzehn schon viel intelligenter als ich, du bist begnadet, in dem was du tust. Aber menschlich gesehen bist du das Letzte, wie’s scheint. Was hast du dir dabei gedacht, das all die Jahre mit mir zu machen? Mich mit Betäubungspfeilen schlafen zu schicken? Mich derart zu benutzen? Oder Ran die ganze Zeit über anzulügen? Weißt du überhaupt, was du ihr angetan hast? Hast du eigentlich auch nur ein einziges Mal darüber nachgedacht, Shinichi?!“
 

Er schaute den kleinen Jungen ernst an. Conan öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber Rans Vater schnitt ihm das Wort ab.

„Nein, zuerst lässt du mich ausreden.“

Kogorôs Stimme bebte vor unterdrückter Wut.

Der kleine Detektiv schluckte - und schwieg.
 

„Und als ob das nicht schon genug wäre - nimmst du mir meine Tochter weg. Aus irgendeinem Grund kommt sie nicht von dir los. Du lügst sie an, machst ihr Kummer- aber sie verzeiht dir alles. Alles. Also entweder lässt sie dich von dir übers Ohr hauen, und es gnade dir Gott, falls das der Fall sein sollte - oder sie weiß mehr über dich als der Rest der Welt.“

Kogorô räusperte sich, verschränkte die Arme vor der Brust.

„Jetzt - jetzt darfst du dazu was sagen.“
 

Conan schaute auf.

„Es tut mir Leid.“

Er schluckte schwer.

„Wirklich. Ich wollte das nicht. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, aber das kann ich nicht. Sie haben jedes Recht der Welt, wütend auf mich zu sein und mich zu hassen, ich wäre eher erstaunt, wenn es nicht so wäre. Sie haben dafür mein vollstes Verständnis und meine Zustimmung, weil es die Wahrheit ist. Ich habs verdient. Ich hab mich in was reingeritten und Sie benutzt, für meine Zwecke. Das ist widerlich. Ich verabscheue mich selbst dafür… sie haben ganz Recht, mit dem was Sie von mir denken.“

Seine Stimme klang bitter. Kogorô schaute ihn prüfend an.

Der kleine Junge schluckte, starrte seine Hände an.

„Was Ran betrifft - ich würde Ran nie etwas Schlechtes… ich könnte ihr nicht… Ich dachte, sie wäre am Sichersten, so. Wenn sie nichts weiß… ich wollte sie raushalten - sie nicht mit meinen Sorgen belasten und ich wollte sicher gehen, dass diese Leute nicht auf sie aufmerksam werden…

Ich könnte ihr wirklich nicht... Ich will ihr nicht wehtun, wollte ich nie… Ich hatte Angst, was passieren könnte, wenn sie sie finden. Ich könnte mir niemals verzeihen, wenn ihr- oder auch Ihnen, Herr Môri - etwas wegen meiner Dummheit, meinen Fehlern passiert. Zu der Frage, ob ich je darüber nachgedacht habe…“

Kogorô kniff die Augen skeptisch zusammen, musterte ihn weiterhin eindringlich.
 

„Tag und Nacht, seit jenem Abend. Es hat mich nie wieder losgelassen, oft sogar nachts nicht ruhig schlafen lassen. Ich war nicht einverstanden mit dem, was ich tat, aber ich sah auch keinen anderen Weg. Es tut mir Leid. Mehr als entschuldigen, Sie um Verzeihung bitten, kann ich nicht mehr tun. Aber es war nie meine Absicht, Sie oder Ran auszunutzen oder Sie beide in Gefahr zu bringen. Das müssen - das müssen Sie mir einfach glauben.“
 

„Das will ich hoffen…“
 

Ein nachdenklicher Gesichtsausdruck machte sich auf Kogorôs Gesicht breit.

„Nun - wie gesagt, das war das, wofür ich dich hielt, was gleichbedeutend damit ist, dass ich nicht weiß, was ich jetzt genau von dir halten soll. Und ich kann dir sagen, ich bin wegen der Sache mit dem schlafenden Kogorô und den narkoleptischen Anfällen wirklich wütend auf dich. Und das wird auch noch eine Weile so blieben.“
 

Kogorô wandte sich um, drehte ihm den Rücken zu.

„Aber - ich habe in den letzten vier Tagen wohl mehr über dich gelernt, als in den neunzehn Jahren, die ich dich nun schon kenne. Und ich hab dich zum Teil wohl falsch eingeschätzt. Was heißen soll, dass ich wirklich dachte, du hättest sie zu dieser Tat angestiftet, ihr diesen Wahnsinn, schrumpfen zu wollen, eingeredet - die Szene, die du ihr am Samstag gemacht hast, die Art und Weise, wie du reagiert hast, hat mich eines Besseren belehrt. Du bist zwar ein guter Schauspieler - man merkt die Gene deiner Mutter…“

Er fuhr sich übers Gesicht.

„Aber so gut bist du auch wieder nicht. Du hättest dich mal sehen sollen... und deswegen habe ich mich entschlossen, mir einmal deine Version dieser Geschichte anzuhören. Deine Gründe und die Ursache zu erfahren, warum du all den Mist gebaut hast, und zwar aus deinem Mund. Damit ich mir endlich ein eindeutiges Bild über dich machen kann.“

Conan schaute erstaunt auf.

„Jetzt gleich?“

Kogorô drehte sich wieder um, schaute ihn fest an und nickte.

„Jetzt gleich. Ich will sie wissen, die Wahrheit über Conan Edogawa.“
 

Der kleine Junge seufzte, schwieg lange.

Schließlich blickte er kurz auf.
 

„Dann setzen Sie sich besser.“

Kogorô ließ sich in einen der Sessel sinken. Der Grundschüler nahm auf dem Sofa ihm gegenüber Platz.
 

Conan wusste nicht, was ihn ritt, als er sich sammelte, um seine Geschichte zu erzählen. Noch nie, nicht einmal seinen Eltern hatte er gesagt, was er nun Kogorô zu erzählen gedachte. Die genauen Umstände, wie es passiert war.

Nicht, dass es passiert war- sondern wie es geschehen war.

Er wusste nicht, warum er das jetzt machte. Das Einzige, was er wusste war, dass er etwas tun musste. Dass sein Leben so, wie es jetzt war, nicht weitergehen konnte.

Und dass Kogorô die Wahrheit verdiente, nach allem, was er ihm angetan hatte.

Er seufzte, dann räusperte er sich und begann zu erzählen.
 

„Angefangen - angefangen hat es an dem Tag, als ich mit Ran ins Tropical Land ging. Es war vor drei Jahren, am dreizehnten Januar. Ich besuchte es mit ihr, weil sie die Karatemeisterschaft gewonnen hatte, erinnern Sie sich?“

Rans Vater nickte.

„Ich hatte ihr versprochen, wenn sie gewinnt, da mit ihr hinzugehen. Also sind wir gegangen. Den ganzen Tag über war eigentlich nichts Auffälliges los…“
 

Er wandte sein Gesicht zum Fenster, sein Blick verlor sich in der Ferne. Vor seinen Augen tauchten die Szenen wieder auf, die Erinnerungen an jenen schicksalhaften Tag holten ihn wieder ein. All die Jahre hatte er versucht, sich daran nicht zu erinnern…

Hatte niemandem je darüber erzählt.
 

Die kleine Person, die hinter ihm in der Tür erschienen war, bemerkte er nicht.
 

„Es dämmerte bereits, als wir in die Achterbahn gingen. Wir wollten uns noch das Feuerwerk ansehen, deswegen waren wir überhaupt so lange da… als wir in der Schlange standen, trafen wir auf eine Gruppe junger Leute, die ebenfalls eine Runde fahren wollten. In der Achterbahn dann ereignete sich der Mord. Vielleicht haben Sie es ja gelesen, am Tag danach, in der Zeitung… eine junge Frau hat ihren Exfreund mit einer Perlenkette umgebracht. Sie hat die Kettenschnur durch eine Klaviersaite ersetzt, ihm die Kette umgelegt und den Haken, den sie an der Saite befestigt hatte, aus dem Wagen geworfen. Er wurde enthauptet, bei voller Fahrt, es war… es war widerlich.“

Ein Schauer lief ihm über den Rücken, allein beim Gedanken daran.
 

„Als wir wieder im Bahnhof der Achterbahn einfuhren, da sah ich sie zum ersten Mal. Die Männer in Schwarz.“

Er seufzte.

„Sie kamen mir sofort verdächtig vor, vor allem der Blonde… Gin. Ich war mir sicher, dass er schon ein paar Menschen auf seinem Gewissen hatte, es war diese… diese Kälte in seinen Augen… verstehen Sie? Wie dem auch sei… mit diesem Fall hatten weder er noch sein Partner etwas zu tun. Die Polizei löste also den Fall, Ran und ich verließen die Achterbahn. Sie… sie war ziemlich aufgewühlt, Sie kennen sie ja. Sie hat geweint, mir vorgeworfen, ich wäre gefühlskalt und abgestumpft.“

Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen.

„Eigentlich denke ich das nicht. Sie kennt mich gut, wirklich - aber in der Hinsicht hat sie Unrecht. Ich zeige es nicht offen, ich lasse keinen sehen, ob es mich mitnimmt oder nicht, aber Fakt ist- das tut es. Manchmal mehr, manchmal weniger, aber niemals lässt es mich kalt. Niemals.

Sollte es mir - sollte mich eines Tages der Anblick eines zerstörten, ausgelöschten Lebens, eines toten Menschen, nicht mehr berühren, nicht mehr zu mir durchdringen - dann hänge ich meinen Beruf, meine Berufung an den Nagel. Denn dann ist etwas nicht mehr in Ordnung mit mir…“

Er schloss die Augen, massierte sich die Schläfen.

„Auf alle Fälle - wir… wir wollten gerade heimgehen, als ich einen von ihnen noch mal sah. Er lief hinters Riesenrad.“

Er wischte sich mit einer Hand über die Augen. Darüber zu reden fiel ihm schwerer, als er gedacht hätte. Und jetzt erzählte er es ausgerechnet Kogorô Môri, so ziemlich dem letzten Menschen, von dem er je gedacht hätte, ihm seine Geschichte einmal zu erzählen.
 

Hinter ihm ließ sich das kleine Mädchen zu Boden gleiten.
 

„Und das war der Moment, als ich einen Fehler gemacht habe. Den Fehler meines Lebens, wahrscheinlich. Ich hätte ihre Tochter nach Hause bringen sollen, so wie immer, stattdessen hab ich zu Ran gesagt, sie soll vorgehen, ich würde gleich nachkommen. Ich sah sie noch aus dem Augenwinkel, wie sie mir nachlaufen wollte, aber irgendetwas hat sie wohl dran gehindert. Glücklicherweise, muss man sagen. Als… als ich dann am Riesenrad angekommen war, hab ich ihn wieder gesehen. Den kleineren, dicken - Vodka. Er hat jemanden erpresst, es ging um Waffenschmuggel und dergleichen. Und während ich ihm nachspioniert hab, hab ich nicht… hab ich nicht…“
 

Er schloss die Augen.

„Ich hab nicht aufgepasst. Ich hab nicht geschaut, wo der andere abgeblieben war.“

Er öffnete sie wieder, schaute in die Fensterscheibe, sah sein eigenes, kindliches Gesicht als Reflexion auf dem Glas - und die Tür hinter ihm. Und ein weiteres, kleines, kindliches Gesicht, mindestens so blass wie seins. Er schluckte.
 

„Der Schlag traf mich am Hinterkopf, ich ging zu Boden, war fast bewusstlos, bekam nur am Rande noch mit, was sie sagten. Vodka wollte… wollte mich erschießen, Gin, sein Vorgesetzter, hat ihm das untersagt. Er meinte, es wären wegen dem Mord in der Achterbahn noch zu viele Polizisten in der Nähe, das Risiko geschnappt zu werden wäre zu groß. Also haben sie…“

Er brach wieder ab.
 

Das war er gewesen, der Moment, als sein Leben in die Brüche ging.
 

„Also haben sie beschlossen, mir das Gift zu geben, das ihre Organisation entwickelt hatte. Es wäre in Sekunden tödlich und im Blut nicht nachweisbar, das sagten sie. Ich… ich war unfähig mich zu wehren, vom Schlag wie betäubt-“

Unwillkürlich griff er sich an den Hinterkopf.
 

Er hatte schnell geredet, die Worte waren aus ihm geradezu hervorgesprudelt. Man merkte, er wollte schnell fertig werden, um nicht weiter darüber nachdenken müssen.
 

„Es...es war furchtbar. Und es ist jedes Mal wieder entsetzlich. Und zu wissen, dass Ran- dass Ran- das Gleiche…“

Kogorô schluckte unwillkürlich.

Conan hielt sich die Hand vor den Mund, unterdrückte seinen Würgereflex.

Es war so nah da, alles. Wie als ob es gestern erst gewesen wäre.

Die Hitze, die Schmerzen, das Gefühl zu glauben, jetzt zu sterben…

Zu sterben…
 

Und der Gedanke, dass Ran ebenfalls diese Schmerzen hatte erfahren müssen…
 

Dann hatte er sich wieder einigermaßen im Griff, erzählte weiter.

„Ob Sie’s glauben oder nicht, zuerst hab ich gar nichts mitgekriegt. Es... es tat so schrecklich weh... ich ging ohnehin davon aus, dass es das war. Dass ich sterben würde. Als ich wieder zu mir kam, festgestellt hab, dass ich nicht - nicht gestorben war, da… ich war da wohl ein wenig neben mir.“
 

Er lächelte bitter, wischte sich mit zitternden Händen den Schweiß von der Stirn.

„Ich hab mich zwar ein wenig gewundert, warum mich die Polizisten als ‚Kleiner’ bezeichneten, warum sie so groß waren - und dass mir, Shinichi Kudô, keiner glauben wollte, dass zwei Schwerverbrecher sich in der Nähe des Rummelplatzes rum liefen. Irgendwann fiel mir auf, dass meine Klamotten zu groß waren. Dann sah ich mich in der Fensterscheibe der Sanitätsstation - und kriegte den Schock meines Lebens, das dürfen Sie mir glauben. Ich bin weggelaufen... Ich war entsetzt. Aber was sollte ich machen? Also ging ich nach Hause, bevor die Polizisten ihre Drohung wahr machen konnten, mich in ein Kinderheim zu bringen, bis sie meine Angehörigen gefunden hätten.“
 

Zum ersten Mal während seiner Erzählung schaute er Kogorô wieder an.

„Sie können sich das nicht vorstellen…“

Er lachte bekümmert auf, berührte seine Wange mit seiner kleinen Hand, starrte auf seine kleinen Füße, bevor er sich wieder dem Erwachsenen zuwandte.
 

„Ich ahnte, dass das etwas mit dem Gift zu tun hatte, und wollte erstmal nach Hause kommen, um in Ruhe nachzudenken. Und als ich dann vor unserem Haus stand, war ich zu kurz, um an die Klinke des Gartentors zu kommen. Haben Sie eine Ahnung, wie sich das anfühlt? Es war stockfinster, ich war klatschnass weil es in Strömen regnete, kurz davor komplett durchzudrehen, und kam nicht in mein Haus…“

Er räusperte sich noch einmal, holte Luft, bevor er erneut ansetzte.
 

„Dann explodierte mal wieder etwas bei Professor Agasa, was dazu führte, dass er selber durch eine Hausmauer und seine Gartenumgrenzung flog. Wissen Sie, wie lange ich ihn überreden musste, bis er mir glaubte, wer ich war?“

Er schüttelte frustriert den Kopf.

„Nun, ich konnte ihn überzeugen. Und er - er hat mich davon überzeugt, es niemandem sonst zu sagen. Auch nicht Ran. Nicht mal meinen Eltern hab ich es gesagt. Die hörten es irgendwann von Agasa, als sie mal nachschauen wollten, warum ich mich nicht melde.“
 

Er lächelte traurig.
 

„Der Professor wusste nicht, was das für ein Gift war, das mir das angetan hat. Und ohne eine Probe des Gifts konnte und kann er mir kein Gegengift herstellen. Also hat er vorgeschlagen, mich bei Ihnen einzuquartieren, schließlich führen Sie eine Detektei. Ein Ort, wie geschaffen dafür, irgendwann eine Spur zu finden… eine Spur, die uns zur Organisation führt. Nur leider - leider neigen Sie in Ihrem Übereifer -“, er warf Kogorô einen entschuldigenden, vorsichtigen Blick zu, „bei der Lösung eines Falles ein paar wichtige Details zu übersehen. Und konsequenterweise die falschen Schlüsse zu ziehen. Was wiederum zu falsch gelösten Fällen führt, die ihrerseits in ihrer Auftragsflaute münden. Deswegen erfand der Professor das Narkosechronometer, mit dem ich Sie außer Gefecht gesetzt habe, und den Stimmenimitator, um Ihre Stimme nachzuahmen. Damit Sie mehr Aufträge kriegen, damit ich schneller einen Hinweis auf die Männer in Schwarz kriege… Später kam dann noch Ai hinzu; sie hat das Gift erfunden, APTX 4869, so heißt es-, hat es genommen, um sich selber zu töten, nur leider ging das mit dem Sterben bei ihr ähnlich in die Hose wie bei mir. Ohne das Gift konnte und kann allerdings auch sie kein Gegengift herstellen. Und auch jetzt, wo sie es hat, wird es wohl noch dauern, bis dieser Zustand hier ein Ende findet. Wenn das überhaupt jemals der Fall sein wird.“

Conan, der bis gerade eben noch seine Hände angeschaut hatte, schaute dem Mann, der vor ihm saß, ins Gesicht.

Kogorô war etwas bleich um die Nase geworden, schaute ihn sehr ernst an.
 

„Glauben Sie mir, ich hab das nicht gern gemacht. Ich habe nie über Sie gelacht, und ich hatte jedes Mal Gewissensbisse, wenn ich Sie mal wieder schlafen geschickt hab. Gut…“

Er seufzte, als er Kogorôs prüfenden Blick bemerkte.

„Nicht jedes Mal. Aber es hat mir keineswegs Spaß gemacht. Wirklich nicht. Es macht mir nicht Spaß zu lügen, ich hab Sie nicht gern angelogen, und noch weniger Ran. Ich dachte, sie wäre so am Sichersten, und mit ihr auch Sie, und deswegen habe ich es ihr verschwiegen. Ich hab mich so gehasst dafür. Tu’s heute noch. Jemanden so zu hintergehen, der einem so viel… bedeutet… der einem so vertraut, das ist abscheulich. Es ist ein Wunder, dass sie mich dafür nicht hasst.

Wenn Sie wüssten, wie oft ich so…“, er kniff ein Auge zusammen und bezeichnete mit seinem Zeigefinger und Daumen einen Abstand, „knapp davor gewesen bin, es ihr zu sagen. Ihr zu sagen, wer ich bin. Und hab’s nicht getan. Bis Weihnachten.“
 

Er schlang die Arme um seinen kleinen Körper.

„Da hatte ich für eine Stunde Zeit, mich mit ihr zu treffen. Ich wollte ihr eigentlich nur kurz…“, er geriet ins Stottern und wurde rot, „etwas… etwas Bestimmtes sagen. Und ihr mein Weihnachtsgeschenk geben…“

Kogorô unterbrach ihn.

„Was war das denn, was du ihr da sagen wolltest…?“

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

Conan schluckte.
 

„D-das wissen Sie doch, Herr Môri.“

Dann beeilte er sich fort zu fahren.

„Nun auf alle Fälle hat sie mich da gefragt. Ob ich Conan bin. Also, ob Shinichi Conan ist. Ob ich Shinichi bin?“

Er runzelte die Stirn.

„Egal. Fakt ist, ich konnte sie nicht anlügen, an dem Tag. Ich konnt’s einfach nicht. Und seitdem- seit Weihnachten weiß sie, wer ich bin. Weiß sie von meiner Doppelidentität. Von allem anderen- wie es zu meiner Verjüngungskur kam, von den Männern in Schwarz, von APTX 4869 wusste sie nichts. Das alles hab ich ihr nicht gesagt. Ich wollte nie, dass sie es weiß.“
 

Er seufzte.

„Den Rest wissen Sie ja. Sie ging zu Ai. Ließ sich aufklären, fälschte meine Eintrittskarte, klaute das Gift.“

Er schluckte, wippte kurz mit den Beinen, ehe er wieder aufsah.
 

„Ich wär dann fertig.“
 

„Hm.“

Kogorô nickte.

„Bin ich- entlassen?“

Er zog die Augenbrauen hoch.

Kogorô grinste schief.

„Ja, das bist du wohl…“
 

Conan rutschte vom Sofa - dann hielt er inne, starrte zu dem Mann, der sich mittlerweile auch erhoben hatte, auf.
 

„Was ich an dieser Stelle noch anzumerken hätte, Herr Môri - Sie sind kein Versager, beileibe kein schlechter Detektiv. Sie lösen durchaus auch Fälle - und zwar vorwiegend die, in denen Sie persönlich betroffen sind, weil Sie sich da mehr anstrengen, auf keinen Fall den Falschen eines Verbrechens bezichtigen wollen. Sie sind kein hoffnungsloser Fall. Sie müssten sich nur ein wenig besser im Griff haben, sich nicht immer zu vorschnellen Schlussfolgerungen hinreißen lassen, Ihre Theorie auf Herz und Nieren überprüfen, bevor Sie sie lautstark in die Welt hinausposaunen…“
 

Er runzelte die Stirn.

„Und Sie waren doch ein guter Polizist, nicht? Warum fangen Sie da eigentlich nicht wieder an?“
 

Damit wollte er gehen, doch nun war es Kogorô, der ihn zurückhielt.

"Shinichi?"
 

Hinter Conan hatte ihm seine geschrumpfte Tochter deutlich zu verstehen gegeben, dass sie zuerst noch verschwinden wollte. Mit angehaltenem Atem stand sie auf und drückte sich aus der Tür. Sie war so mitgenommen von seiner Erzählung gewesen, dass sie fast zu spät gemerkt hatte, dass er fertig war.
 

„Danke.“

Conan blinzelte.

„Danke wofür?“, hakte er nach, obwohl er ahnte, was Kogorô meinte.

„Danke, dafür dass du mir das alles erzählt hast. Und dafür, dass du Ran raus hältst. Sie hätte mir dieses Versprechen nie gegeben.“
 

Leise zog sie die Tür hinter sich zu, stieg die Treppen zur Wohnung hinauf. Sie fühlte sich ein wenig komisch, weil sie ihn so einfach belauscht hatte- etwas gehört hatte, was eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen war. Es war zwar nicht alles neu gewesen für sie, von Ai hatte sie ja schon so einiges gehört. Aber sie hatte nie geahnt - das alles aus seinem Mund zu hören machte ihr klar, was er tatsächlich durchgemacht hatte. Ein sehr nachdenklicher Ausdruck hatte sich auf ihrem Gesichtchen ausgebreitet.
 

Der kleine Junge schaute gedankenverloren aus dem Fenster.

„Ich hoffe nur, sie hält es auch.“

Der Mann blickte ihn an, schluckte.

„Und sagen Sie ihr, sie braucht nicht so zu tun, als hätte sie das gerade eben nicht gehört.“

Conan schaute ihn an und seufzte.

„Für wie blöd hält sie mich? Die Tür spiegelt sich im Fenster…“

Er schüttelte traurig den Kopf.
 

Kogorô starrte ihn mit offen stehendem Mund an.

„Ich- ich richt’s ihr aus, geht klar…“, ächzte er dann. Dann fiel ihm noch etwas ein.
 

„Du hast ihr gesagt, dass du sie liebst, nicht wahr? An Weihnachten.“
 

Es dauerte ein Weilchen, eher er mit leiser Stimme seine Antwort gab.

„Ja, das hab ich.“

Conan nickte, seufzte, dann drehte er sich um, wollte zur Tür hinaus.

Weit kam er nicht.

„Wo gehst du noch hin?“

Kogorôs Stimme klang irgendwie- seltsam.
 

„Zum Professor. In einer Stunde bin ich wieder da.“

Ein erstaunter Ausdruck war auf sein kindliches Antlitz getreten.
 

Macht sich der Alte etwa Sorgen?
 

„Nicht in die Höhle des Löwen?“, hakte der Ältere nach.

Conan schüttelte den Kopf.
 

Er macht sich tatsächlich Sorgen…
 

„Nein, heute nicht.“

Conan seufzte.
 

„Sie brauchen sich keine Sorgen machen. In einer Stunde bin ich zurück."

Er zwang sich zu einem müden Lächeln.

„Schließlich bin ich ja ein kleiner Junge- und Kinder brauchen leider viel Schlaf."
 

Damit ging er.
 

Kogorô schaute der Tür beim Zufallen zu, blieb noch ein paar Minuten stehen, als er schon längst gegangen war.
 

Du bist alles, aber kein Kind. Du bist heute erwachsener als du es je warst, Shinichi. Indem du wieder zum Kind wurdest, zwang man dich dazu, erwachsen zu sein.

Kogorô seufzte, verließ die Detektei, sperrte ab.
 

Dann ging er hinauf zu seiner Tochter, die mit Tränen in den Augen am Küchentisch saß und ein Taschentuch zerpflückte.

„Er hat dich im Fenster gesehen. Du musst ihm nichts vormachen.“, murmelte Kogorô leise.

„Soll ich dir ausrichten. In einer Stunde ist er wieder da.“

Damit drehte er sich um, wollte in sein Schlafzimmer gehen.
 

„Mir ist der Schnürsenkel gerissen.“, flüsterte sie. Kogorô drehte sich noch einmal um, warf ihr einen fragenden Blick zu. Ran sah auf.

„Als er davongelaufen ist. Damals im Tropical Land. Ich wollt ihm nachlaufen, ihn aufhalten, aber mir ist der Schnürsenkel gerissen… wenn mir der Schnürsenkel nicht…“

Eine weitere Träne rollte ihr über die Wange.

„Ich hätte nie mit ihm da hingehen sollen…“
 

Kogorô schaute sie schwermütig an; dann ging er zurück, setzte sich neben sie und nahm sie schweigend in die Arme, ließ sie weinen.

(Nach)forschungen

Hallo!
 

Vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel! *freu*

Ehrlich- Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt!

Und ich muss sagen, ich war sehr froh zu hören, dass meine Meinung und meine Sicht des schlafenden Kogorôs nicht total daneben lag *g*
 

Ich mag diese väterliche Seite an ihm auch recht gern... ^^;

Das macht ihn irgendwie sympathisch.
 

Ansonsten- dürft ihr jetzt selber lesen, obs bei der einen Stunde bleibt...
 

Liebe Grüße, viel Vergnügen beim Lesen!
 

Eure Leira *verbeug*
 

______________________________________________________________________________
 

Der intensive Duft von starkem Kaffee waberte durch die Luft.
 

Ai stand in ihrem Labor im Keller und bereitete ihren Arbeitsplatz auf eine Versuchsreihe vor. Was im Klartext hieß, dass sie sich erstens, eben jenen Kaffee gekocht hatte, der nun neben ihrem Mikroskop stand und sein Aroma im Raum verteilte, und zweitens, jetzt dabei war, ihre Reagenzgläser, Petrischalen, Lösungen und Pipetten zu sortieren.

Richtig konzentrieren konnte sie sich jedoch nicht.
 

Sie fragte sich immer noch, was Ran geritten hatte… dass sie sich das antat. Gut, sie liebte ihn. Liebe machte ja bekanntlich blind. Und sie hatte ihn ja scheinbar wirklich vermisst.

Und ja, ihre Situation war eine, um es mal diplomatisch auszudrücken, unangenehme gewesen.

Eine Katastrophe, ein Fiasko, ein Desaster, wenn man nicht diplomatisch sein wollte.

Aber das…? Ihr Leben hatte sie riskiert. Mehr als leichtfertig.

Es glich einem Wunder, dass sie nicht gestorben war. Und jetzt lag es an ihr, für ein Wunder eine logische Erklärung zu finden, mal so ganz nebenbei…

Sie seufzte.
 

Okay- in Anbetracht der Sache, dass Gin sie gesehen hatte- soviel hatte sie mittlerweile über den Professor erfahren, mit dem Shinichi immerhin noch gelegentlich redete- war es vielleicht sogar die beste Lösung, dass sie jetzt ein Kind war.

Erwiesenermaßen war so ein Kinderkörper eine gute Tarnung. Gin würde, nachdem er die Kapseln nirgendwo mehr gefunden haben würde, bestimmt seine Schlüsse ziehen, und konsequenterweise nach Ran suchen- aber solange er nichts von der unerwünschten Nebenwirkung wusste, war Ran sicher.
 

Also war sie jetzt bei zwei Gründen, warum Ran das Gift genommen hatte. Ran war sich wohl eventuell bewusst gewesen, dass sie, jetzt, da Gin sie gesehen hatte, in Gefahr war, aber der Hauptgrund, dieses Teufelszeug zu schlucken, war zweifelsohne doch er gewesen.

Er- ohne den sie sich ein glückliches Leben anscheinend nicht mehr vorstellen konnte.

Shinichi.

Dass es ewig mit ihnen so nicht weitergehen konnte, war irgendwie vorhersehbar gewesen. Zehn Jahre Altersunterschied und dazu Gefühle, die einfach nach mehr verlangten als nette Gespräche, das wäre nie gut gegangen, auf Dauer.

Sie machte sich da keine Illusionen, auch wenn sie versucht hatte, sie Ran zu machen. Erfolglos, wie sie ja erfahren musste.
 

Und sie sah ihm an, dass er sich immer noch Vorwürfe machte, weil er ihr an Weihnachten so leichtfertig verraten hatte, wer er war.

Er sah ihn ihr seine Schuld- genauso wie sie selbst in ihm die ihre sah.

Aber langsam schien er sich mit Ran zu arrangieren- er konnte es ja nun nicht mehr ändern. Auch wenn er es nie vergaß, was sie für ihn riskiert hatte.
 

Aber trotzdem- dass Ran so stur war, nur weil sie noch ein paar Wochen länger auf ein Gegengift warten musste? Oder Monate… oder Jahre… oder ewig.

Ai schluckte schwer- dann stöhnte sie laut auf.
 

Irgendwo verstand sie sie langsam.
 

Es stand in den Sternen, wann und ob überhaupt ein Gegengift entwickelt werden konnte, und Ran war sich dessen genauso bewusst gewesen wie sie. Und ihre Intuition hatte sie dann das Gift schlucken lassen, ihr freier Wille, ihr Gefühl; sie war nicht nur blind vor Liebe gewesen…- aber jetzt mussten sie beide sehen, wie sie klarkamen.

Ihre Aufgabe war eine andere.
 

Und dennoch schweiften ihre Gedanken ständig ab, versagten ihr, sich auf die ihre Mission angemessen zu konzentrieren.
 

Es war jetzt fast vier Tage her, seit Ran geschrumpft war.

Ai seufzte.

Vier Tage, in denen er nicht ein Wort mit ihr geredet hatte. Nicht eins.

Vier Tage, in denen er sie nicht einmal angeschaut hatte. Nicht einmal.
 

Und sie hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es sie so fertig machen würde.

Nicht mal im Traum.

Ai hatte erwartet, dass sie sich einsam fühlen würde.

Verlassen.
 

Aber sie hatte nie geahnt, dass es so wehtat.

Nun hatte sie nicht nur ihre Liebe verloren, nein- sie hatte ihren Freund verloren.

Ihren besten Freund.

Ihren einzigen, wirklichen, echten Freund.

Weil sie ihn verraten hatte.

Sie war eine Verräterin.
 

Komisch…

Sie war doch bereits eine Verräterin- sie hatte die Organisation verraten. Aber sie hatte sich nie wie eine gefühlt.

Aber jetzt- jetzt fühlte sie sich wie eine. Sie fühlte sich elend, mies, schlecht- sie hatten den einzigen Freund verraten, den sie hatte. Den einzigen.
 

Stumm rollte ihr eine Träne über die Wange, als sie ihre Reagenzgläser ordnete. Unwillig wischte sie sie weg. Tränen waren ein Zeichen von Schwäche. War sie etwa schwach?
 

Oben klingelte es an der Haustür.

An den schweren Schritten, die zu vernehmen waren, erkannte sie, dass der Professor es auch gehört hatte, und ging, um zu öffnen.
 

Dann hörte sie ihr Stimmchen.

Ayumis dünnes, helles Stimmchen.

„Ist Ai da?“
 

Ai warf einen Blick auf die Uhr.

Halb sechs. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass es bereits dunkel war. Sie seufzte.

Eine ungewöhnliche Zeit für Ayumi.
 

Dieselben schweren Schritte, die gerade zur Tür gegangen waren, kamen nun die Treppe herunter. Der Professor steckte seinen Kopf herein. Er sah besorgt aus.

„Ai? Ayumi ist da.“

Sie nickte nur, streifte ihren Kittel ab und folgte ihm nach oben.
 

Im Flur stand eine sehr verheulte Ayumi. Das personifizierte Häuflein Elend.

Und erst da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Das hätte sie sich doch denken können- neben ihrem eigenen Schmerz hatte sie an den von Ayumi nicht mehr gedacht.

Dabei war es klar gewesen, was Kohanas Erscheinen auslösen würde.

Ayumi hatte Liebeskummer. Und was für welchen.

Ai schluckte.
 

Ein kleines, gebrochenes Herz…
 

Sie ging ihr wortlos entgegen, nahm sie in die Arme. Ayumi krallte ihre kleinen Hände in ihren Pullover und ließ ihren Tränen freien Lauf.
 

„Er hat sich in Hana-chan verliebt…!“
 

Ai hatte keine Ahnung, wie lange sie mit dem kleinen Mädchen im Gang gestanden war- Ayumi heulte buchstäblich Rotz und Wasser. Es schüttelte sie richtig, nicht zuletzt, weil sich zu ihrem Weinkrampf ein ausgewachsener Schluckauf gesellte. Irgendwann hatte sie sich ein wenig beruhigt- und Ai hatte die Gelegenheit genutzt, sie in die Küche gezogen, auf einen Stuhl bugsiert und ihr und sich selber heiße Schokolade gekocht.

Heiße Schokolade war in solchen Situationen immer gut.

Auch wenn sie nicht genau wusste, was das für eine Situation eigentlich war- sie hatte nie eine Freundin gehabt, der sie über ihren Liebeskummer hinweghelfen hatte müssen.

Ayumi war die erste- und somit hatte Ai ihre Premiere als Seelentrösterin und Kummerkasten.
 

Erst als sie beide einen Becher mit dem dampfenden Glücklichmacher in ihren Händen hielten, sie sich ebenfalls auf einen Stuhl gesetzt hatte, sagte Ai etwas.
 

„Ich weiß.“
 

Ayumi sah von ihrer Tasse auf, hickste.

Ihre Augen waren immer noch rotgerändert.

„Ich dachte mir schon, dass… dass es dir auch aufgefallen ist. Ich meine- sie ha- sie hahah- sie haaalten Händchen…“

Ayumis Augen begannen wieder nass zu werden.

„Ayumi…“, murmelte Ai mitfühlend. Das kleine Mädchen tat ihr wirklich sehr Leid.

„Sei nicht traurig...“
 

„Aber ich liebe ihn doch. Ich dachte, wir wären füreinander bestimmt. Und nun- nun hängt er Tag und Nacht mit Hana rum. Sie wohnt sogar bei ihm!“

Sie schniefte vernehmlich. Ai schaute sie nachdenklich an.
 

Wie viel weißt du von Liebe, Ayumi…?

Kannst du ein so großes, so herrliches und gleichzeitig so grausames Gefühl überhaupt schon verstehen…?

Weißt du, was es heißt, wahrlich zu lieben…?
 

Ein weiterer Hickser von Seiten Ayumis riss sie aus ihren Gedanken.

„Sie sind immer zusammen…“

Ihre Stimme wurde leise.

„Und das, obwohl sie sich erst drei Tage kennen. Sie scheinen schon eine halbe Ewigkeit befreundet zu sein, so vertraut wie sie miteinander umgehen. Sie tuscheln. Sie halten Händchen. Er teilt seinen Schokoriegel mit ihr. Gestern hat sie ihn sogar auf die Wange geküsst!“

Ihre Stimme überschlug sich. Es war offensichtlich, das Ayumi vor Eifersucht kochte- bis dato war sie die Einzige gewesen, die Conan auf die Wange hatte küssen dürfen.

Nun tat es Hana. Und es schien ihm auch noch zu gefallen.
 

Ai seufzte schwer, schaute Ayumi an, die sich in Rage geredet hatte.

Okay- sie hatten wirklich etwas geturtelt in letzter Zeit. Sie hingen einfach aneinander, man sah ihnen an, dass sie sich verstanden, dass sie die Gegenwart des anderen genossen. Sie sahen dabei zwar immer noch kindlich aus- aber man merkte einfach, dass es zwischen den beiden knisterte.

Dass die Chemie einfach stimmte.

Dass die beiden wie füreinander gemacht waren.

Shinichi und Ran- Conan und Kohana- waren verwandte Seelen. Sie gehörten zusammen, wie Pech und Schwefel, wie Blitz und Donner, wie Nitro und Glyzerin, wie Vanillepudding und Schokoladensoße-
 

Und nun war genau das eingetreten, was Ai eigentlich erst für ihren Abschied prophezeit hatte: Ayumi gings beschissen. Sie war am Ende die Gelackmeierte, ohne etwas dafür zu können.

Da war sie verliebt, das erste Mal in ihrem Leben- himmelte ihn schon an, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wahrscheinlich- und nun war sie verdammt tief gefallen von ihrer kleinen rosa Wolke, und der Aufprall auf den Boden der Tatsachen war ein überaus harter gewesen. Ihr blieb nichts übrig, als dazustehen, zu sehen, wie er mit einer anderen glücklich war, und ihre schönen Träume beim Platzen zu beobachten, zuzuschauen, wie ihr Wolkenschlösschen sich auflöste, zusammenbrach, bis nicht mal mehr eine Ruine von ihm übrig blieb.

Ihr Angebeteter liebte eine andere.

Sie hatte wirklich Liebeskummer, sah in Ran ihre Konkurrentin, die ihr den Liebsten wegnahm.

Sie sah Ran so, wie auch sie selbst Ran für einige Zeit gesehen hatte.
 

„Ayumi.“, begann sie sanft.

„Ayumi-chan, glaub mir- Conan wäre nicht der Richtige gewesen für dich.“

„Woher willst du das wissen?“

„Ich weiß es einfach.“

Ayumi schluckte.

„Das glaube ich nicht. Glaubst du, wenn ich mit Hana-chan rede- wenn ich ihr sage, dass ich Conan lieb hab- glaubst du, sie verlässt ihn dann? Für mich? Sie scheint doch nett zu sein-… sie versteht es sicher…“

Ai lächelte bitter.

„Glaub mir- sie ist nett. Aber so nett auch wieder nicht.“
 

Und wenn du wüsstest, was sie durchgemacht hat, um dieses Glück zu erfahren, kleine, süße Ayumi- dann würde dir dieser Gedanke bestimmt nicht kommen. Denn auch du bist nett.
 

„Ai…?“

„Hm?“

Ai nippte von ihrer heißen Schokolade.

„Ai-chan, du bist doch meine beste Freundin…“

Dem rotblonden Mädchen wurde heiß. Gütiger Himmel, daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Ayumi war nicht nur hoffnungslos in Shinichi verschossen- was an und für sich schon eine Katastrophe war- nein- sie sah in ihr ihre beste Freundin. Ayumi würde den Schock fürs Leben kriegen, wenn sie eines Tages, nachdem die Liebe ihres Lebens sich als Reinfall erwiesen hatte, auch noch erfahren musste, dass ihre beste Freundin sie verließ.
 

„Wahrscheinlich bin ich das.“

Ayumi überhörte den resignierten Ton in der Stimme ihrer Freundin.

„Könntest du nicht mit ihm reden?“

„Nein!“
 

Die Antwort kam unerwartet heftig.

Ayumi verschluckte sich, starrte Ai aus wässrigen Augen verletzt an.

„N- nein…?“

Ihre Stimme klang weinerlich. Sie hustete.

Ai stöhnte innerlich auf.

„Nein, Ayumi.“

Ais Stimme klang etwas sanfter.

„Du kannst seine Liebe nicht erzwingen. Wenn du ihn wirklich liebst, ihn wirklich so gern hast, wie du behauptest…“

Ayumi nickte heftig.

„… dann lässt du ihn gehen. Freu dich mit ihm, freu dich für ihn. Wer wirklich liebt, will den anderen, den geliebten Menschen glücklich sehen. Er ist glücklich mit Hana-chan, nicht wahr?“
 

Ayumi nickte traurig.

„Dann lass ihm sein Glück. Oder gönnst du es ihm nicht?“

Ayumi schüttelte den Kopf.

„Doch, doch! Ich gönne es ihm schon. Ich… es ist nur so… so schwer…“
 

Ai schwieg lange, leerte ihren Kakao auf einen Zug.

„Ich weiß.“
 


 

Sie sah ihn, wie er aus der Tür des Hauses, in dem Môri wohnte, auf die Straße trat.

Beobachtete ihn, wie er langsam seines Weges ging, wie er von der Dunkelheit ins Licht eintauchte und umgekehrt, als er von einem Laternenpfahl, einem Lichtkegel, zum nächsten wanderte.

Ja, es war dunkel geworden, mittlerweile. Es war Nacht geworden über Japan. Nicht ein Stern erhellte die Finsternis, weil die Dunstwolke über Tokio jedes Sternenlicht verschluckte, und auch der Mond ließ sich nicht blicken, nahm sich seine monatliche Auszeit- es war Neumond.

Und so war der Himmel über Tokio pechschwarz.
 

Die blonde Frau löste sich aus dem Schatten der Hausmauer, in dem sie bis jetzt geduldig gewartet hatte, und ging über die Straße, nahm die Verfolgung des kleinen Jungen auf.
 

Den Vorsprung, den der Grundschüler gewonnen hatte, holte sie schnell wieder auf, schließlich schritt sie viel weiter aus als er- aber dennoch gab sie Acht, dass er nicht zu sehr schrumpfte. Sie wollte verhindern, dass er Verdacht schöpfte, ihnen entwischen konnte, bevor sie ihn in ihrer Mitte hatten. Vor sich sah sie ihren Partner kommen, der sich durch die Schatten an den Hausmauern bewegte, neben sich in einem parkenden Wagen, den Dritten in ihrem Bunde.
 

Er konnte nicht entkommen.
 


 

Dann blieb er stehen. Drehte sich um…
 

„Finden Sie das nicht ein wenig lächerlich, Miss Jodie? Sagen Sie Akai und Black, dass sie mit diesem Spielchen aufhören sollen. Glauben Sie, dass ich flüchte?“

Conan stand da, die kurzen, dünnen Arme vor der Brust verschränkt und schaute sie mit einer hochgezogenen Augenbraue von unten herauf musternd an.

Und sie kam sich albern vor. Ein kleiner Junge, der es schaffte, dass sie rot wurde, peinlich berührt war. Dann fing sie sich wieder.
 

Jodie Starling verdrehte die Augen und seufzte.

„Ach, cool kid. Du bist einfach zu clever. Wir haben etwas mit dir zu besprechen, wir wollten nur sicher gehen, dass du auch wirklich mit uns redest. Wie du selber weißt, bist du ein Meister im Verschwinden aus brenzligen oder unangenehmen Situationen… und das, worüber wir mit dir reden wollen, könnte dir tatsächlich unangenehm sein.“
 

Mittlerweile war Akai ebenfalls angekommen, stellte sich vor Conan, schaute ihn mit eisblauen Augen unergründlich an und zündete sich eine Zigarette an.

„So wie’s aussieht musst du deine Beschattungsmethoden mal wieder ein wenig verfeinern, Jodie.“, meinte er dann, zog tief an seiner Zigarette. Die Spitze glühte in der Dunkelheit kurz hell gelborange auf, dann verglomm sie wieder zu einem sanften orangeroten Leuchten.

„Was hat ein kleiner Knirps wie du denn eigentlich so spät abends noch auf der Straße verloren?“

Akais Stimme klang gelassen.

Dann klappte neben ihnen eine Autotür auf und James Black stieg aus, warf den dreien einen durchdringenden Blick zu, ehe er die Tür wieder zuschlug und das Auto absperrte.
 

Conan schaute von einem zum anderen. In ihren Gesichtern konnte er es sehen- er musste sie nicht fragen, um zu wissen, dass sie es herausgefunden hatten.

„Tja, was wohl?“, beantwortete er schließlich Akais Frage, indem er keine Antwort gab, warf dem schwarzhaarigen FBI-Agenten einen schrägen Blick zu und marschierte langsam weiter.

Als er ein paar Schritte gegangen war, merkte er, dass sie hinter ihm zurückgeblieben waren, ihm verblüfft hinterher sahen.

Es war offensichtlich, dass sie alle drei erst jetzt, wo sie den Beweis für ihre Theorien leibhaftig vor sich stehen hatten, langsam begriffen, was diese überhaupt bedeuteten.

Er runzelte die Stirn.
 

„Was ist jetzt? Ich dachte, Sie wollen reden, also gut- reden wir. Aber nicht hier, auf offener Straße, also kommen Sie nun mit oder nicht?“

Damit drehte er sich wieder um.
 

Es musste ein wahrlich komisches Bild abgeben haben, wie da ein Grundschüler, mit lässig hinter dem Rücken verschränkten Armen voranschritt, drei Erwachsene im Schlepptau.
 


 

„Meine Mami kommt gleich.“

Ayumi schaute auf ihre schweinchenrosa Armbanduhr.

„Danke für den Kakao, Ai-chan.“
 

Sie stand auf und stellte die Tasse ins Spülbecken. Ai tat es ihr gleich.

„Und danke, dass ich mit dir immer reden kann…“
 

Ai schaute sie schüchtern an. Das lange verloren geglaubte Gewissen wühlte und tobte in ihr. Sie glaubte, ihr Gesicht müsse brennen. So hatte er sich wohl gefühlt, wenn Ran sich damals, als sie noch von nichts wusste, bei Conan für seinen Beistand bedankt hatte. Dafür bedankt hatte, dass er für sie da war, wo ihr bester Freund, ihre große Liebe, ihr eben diesen Beistand versagte.

Sie enttäuschte.

Sie allein ließ.
 

„Nichts zu- gern geschehen, Ayumi.“

Ihre Stimme krächzte. Sie räusperte sich geräuschvoll.
 

Dann hörten sie die Türglocke klingeln.

„Das wird deine Mama sein.“, meinte das rotblonde Mädchen, ging, gefolgt von Ayumi, zur Haustür, öffnete sie- und erstarrte.
 

Draußen stand nicht Frau Yoshida.
 

Vor der Tür standen Conan, Jodie Starling, Shuichi Akai und James Black.

Sie wich zurück, zog Ayumi, die Conan einen schmerzerfüllten Blick zuwarf, mit sich.

Er ging an ihnen vorbei- nahm von ihr, wie mittlerweile gewohnt, keine Notiz- einzig und allein Ayumis feucht schimmernde Augen nahm er wahr.

Er schluckte schwer, wandte schnell den Kopf und führte die drei ins Wohnzimmer.
 

Ayumi… sie hatte er, nach dem ganzen Trubel mit Ran, total vergessen.

Sein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit- aber er schob es zurück, verdrängte es, für den Moment zumindest. Dafür hatte er jetzt keine Zeit- das musste warten.
 


 

Draußen fuhr ein Auto vor.

„Das wird sie sein!“

Ayumi, die schon wieder kurz vorm Losheulen war, drückte Ai kurz, dann lief sie die Treppe hinunter. Ai winkte ihr hinterher, dann schloss sie die Tür, verzog sich in den Keller. Sie war mehr als nur nervös, seit sie ihn gesehen hatte. Seine Augen waren kurz an ihrem Gesicht hängen geblieben, eisblau, genauso, wie sie sie in Erinnerung hatte - und sie wünschte nicht, ihm heute noch mal über den Weg zu laufen.
 


 

Ayumi sah sich um. Sie hatte sich offenbar getäuscht- das Auto war erst an der nächsten Einfahrt stehen geblieben, und es war auch nicht das ihrer Mutti. Also lief sie den Gartenweg zurück, wollte gerade klingeln, als sie merkte, dass die Haustür ohnehin offen war- der Fußabstreifer war verrutscht und hatte sie am Schließen gehindert.

Sie ging hinein, wollte gerade in den Keller zu Ai gehen, um mit ihr noch ein wenig zu warten- sie wusste, das Ai oft im Keller die Spiele vom Professor ausprobierte- als Stimmen aus dem Wohnzimmer sie ablenkten. Leise schlich sie näher, sank zu Boden, horchte am Türspalt.
 


 

Ai hatte sich währenddessen in ihr Labor zurückgezogen und hinter den Computer geklemmt. Sie wollte ihm einfach nicht begegnen. Er erinnerte sie an… sie.

Er war der erste gewesen, der versagt hatte, sie zu beschützen- der zweite war Shinichi gewesen.

Und außerdem hatte sie Arbeit zu tun.

Schließlich galt es, ein Gegengift zu entwickeln.
 

Sie hatte die Kapsel, die Ran ihr gebracht hatte, schon längst analysiert.

Das Gift in seine Einzelteile zerlegt, aufgegliedert, gemessen, gewogen und in den Computer eingegeben.

Und vervielfältigt, um Proben für Tests zu haben. Soweit lief alles bestens.
 

Jetzt hieß es, herauszufinden, was genau die Komponente, der Wirkstoff gewesen war, der das Rückwärtswachstum ausgelöst hatte.

Bei dieser Arbeit hatte sich vor ihr ein neues Problem aufgetürmt: warum wurden nur manche Menschen verjüngt- warum starben die meisten? War das wirklich nur Zufall?
 

Bevor sie dieses Problem nicht geklärt hatte, konnte sie auch kein Gegengift herstellen. Kein sicheres.

Sie wollte einfach nicht riskieren, dass sie bei der Einnahme des Heilmittels starben. Sie hatte sich mit Shinichi schon einmal ein Experiment erlaubt.

Und eins war eigentlich schon eins zuviel...

Allein der Gedanke daran… dass er…

Sie schluckte schwer.
 

Also hieß es, zu forschen…

Deshalb hatte sie sich von Shinichi und Ran ein paar Tropfen Blut, sowie Gewebeproben geben lassen. Er war nicht begeistert gewesen, sich von ihr eine Nadel in den Arm stechen zu lassen, aber er hatte eingewilligt- er sah die Notwendigkeit der Sache ein.

Ran hatte ohne zu zögern oder zu widersprechen den Ärmel hochgekrempelt.
 

So weit, so gut.
 

Nun stellte sich immer noch die Frage aller Fragen:

Warum hatten sie denn nun den programmierten Zelltod überlebt?

Was unterschied sie von anderen? Welche Gemeinsamkeiten hatten sie? Welcher gemeinsame Nenner verband sie…
 

Wenn ich mal nur von uns dreien ausgehe… nun, wir sind in etwa gleich alt.

Der Haken an der Sache ist- wenn ich Sharon, von der keiner so recht weiß, wie sie so jung geblieben ist, auch mit einbeziehe, dann geht diese Rechnung wieder mal nicht auf.
 

Gedankenverloren zog sie eine Petrischale zu sich heran.

Eigentlich hätten sie sterben sollen. Das Gift löste den Zelltod aus- es stimulierte die Zellen dazu, zu schrumpfen, sich schließlich in kleine Bläschen aufzuteilen und sich von Fresszellen vertilgen zu lassen.

Ihr Gift hätte das in einem solchen Maß bewirken sollen, das ein Mensch dran starb. So viele Zellen zum Selbstmord anregen sollen, dass es tödlich für den Organismus endete.
 

Hinterher hätte man nur die Apoptose, den Zelltod, nachweisen können, aber nicht, was sie ausgelöst hatte.
 

Warum hatten sich ihre Körper verjüngt? Irgendwann beim Wirkungsablauf des Giftes musste etwas schiefgelaufen- anders verlaufen- sein. Irgendwas.
 

Sie zog ein Probengläschen zu sich, schnappte sich eine Pipette und zog etwas von der Flüssigkeit in dem Behältnis auf, ließ es in die Petrischale tropfen.

Zellen vom Professor… sie lächelte verhalten. Er hatte als Vergleichsprobe herhalten müssen.

Dann zog sie ein Glas hervor, in dem sie ein weißes Pulver aufbewahrte.
 

APTX- 4869
 

Sie nahm ein winziges Löffelchen, schraubte den Deckel auf, entnahm eine kleine Menge und ließ sie in ein Reagenzglas fallen. Dann verschloss sie das Glas wieder gründlich, stellte es beiseite.

In das Reagenzglas ließ sie ein wenig Wasser laufen, dann schwenkte sie es so lange, bis sich das Pulver vollständig gelöst hatte.

Zu guter Letzt ließ sie das nun flüssige Gift in die Petrischale mit Agasas Probe fließen.
 

Sie seufzte.

Schauen wir mal, ob sie das Gift überlebt hätten, Professor…
 

Die Zellprobe hatte sie erst vor einer Stunde entnommen- man würde sehen, was es brachte. Sie verschloss die Schale mit ihrem Deckel und stellte sie beiseite. Eigentlich hätte das Ergebnis, sofern es eines gab, gleich sichtbar sein müssen- aber sie wollte dem Gift Zeit zum Reagieren geben.

Demzufolge dokumentierte sie ihren Versuch zuerst einmal sorgfältig. Das hieß, sie wollte ihn dokumentieren.

Etwas, dass sie nur aus den Augenwinkeln sah, ließ sie stutzen.
 

Langsam drehte sie ihren Kopf.
 


 


 

Oben im Wohnzimmer saßen James Black, Shuichi Akai und Jodie Starling auf der Couch, ihnen gegenüber Agasa und Conan, alle mit einer frisch aufgebrühten Tasse Tee in der Hand.
 

„Kommen wir zur Sache.“, begann James Black schließlich, als mehrere Minuten verstrichen waren, in denen außer dem gelegentlichen Nippen an einer Teetasse begleitet von leisem Schlürfen, dem Ticken der Wanduhr und dem Summen des Videorekorders des Professors, der eine Wissenschaftssendung für Ai aufnahm, nichts zu hören war.

Eigentlich viele Geräusche, die ihrerseits allerdings das Schweigen der Anwesenden nur noch lauter machten.
 

Er stellte seine Tasse auf dem Tisch ab, schaute Conan dabei aufmerksam an.
 

„Wir sind hier, um uns mit dir zu unterhalten. Eigentlich auch mit der Kleinen, aber sie scheint wohl weniger kommunikativ zu sein als du.“

Der Grundschüler platzierte seine Teetasse ebenfalls in aller Ruhe vor sich auf dem Tisch, dann ließ er sich in aller Gelassenheit zurück in die Kissen sinken.
 

„Und was ist es dann, dass Sie hierher treibt? Das Sie glauben lässt, mich beschatten und umzingeln zu müssen?“

Er wusste genau, was die drei wollten. Und die FBI-Agenten wussten genau, dass er es wusste- allerdings schien er es von ihnen persönlich hören zu wollen. Er würde nicht mit der Tür ins Haus fallen, also lag es an ihnen, eben das zu tun.
 

„Du bist Shinichi Kudô.“

Es war Shuichi Akai, der gesprochen hatte.

Seine Stimme klang abgeklärt und gelassen wie immer- seine Augen hatten etwas Berechnendes an sich, sein Gesicht verriet ansonsten nichts. Auch er hatte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zurückgelehnt.
 

Jodies Lieblingsdetektiv.
 

Während Professor Agasa neben ihm einen entsetzten Japser hören ließ, schien ihn nichts aus der Ruhe bringen zu können.

Er schaute die drei über seine Brille hinweg an.

„Sie haben lange genug gebraucht, das herauszufinden.“
 

James Black grinste verhalten amüsiert, Jodie lächelte- und Akai verzog keine Miene.
 


 

Ayumi saß vor der Tür, ihre Lippen zu einem lautlosen Schrei geöffnet.

Unbewusst krallte sie ihre Hände um ihr kleines Täschchen.

Conan- Conan war… Conan war Shinichi Kudô?

Der Shinichi Kudô? Der berühmte Detektiv? Rans… Rans Freund?!
 

Conan war ein Erwachsener? Sie, sie- sie hatte die ganze Zeit einen Erwachsenen…?

Sie wollte aufstehen, wegrennen… allerdings hielt sie ihre Neugierde zurück. Und die nächsten Worte, die aus dem Zimmer zu ihr drangen.
 


 

Ai starrte die Petrischale an.

Sie war von ihrem Stuhl aufgesprungen, eineinhalb Meter zurückgewichen, und schaute nun entsetzt auf das, was sich vor ihr abspielte.

In der Schale wallte der Dampf, vernebelte die Sicht.
 

Dann war es vorbei.

Als sie sich wieder näher wagte, zeigte sich beim ersten Blick eigentlich kein Unterschied. Die Petrischale fühlte sich etwas warm an, kein Wunder, war die Dampfentwicklung in ihrem Inneren doch enorm gewesen- doch rein augenscheinlich schien sie keine Differenzierung zu vorher aufzuweisen.
 

Lange stand sie da, überlegte, ob sie es gleich wagen sollte, die Probe zu untersuchen. Sie mit den anderen vergleichen…

Sie biss sich auf die Lippen, dann trank sie den mittlerweile kalt gewordenen Kaffee auf Ex aus- stellte die Tasse beiseite, nahm die Schale in die Hand, zog sich ihre Latexhandschuhe wieder an und schraubte das Gefäß auf, entnahm mit einem Wattestäbchen etwas von dem Gewebe, strich es auf einen Objektträger, legte einen zweiten darauf und schob das Ding unter ihr Mikroskop. Bevor sie an die chemische Analyse ging, wollte sie zuerst einmal feststellen, ob es offenkundige Unterschiede oder Veränderungen gab.
 

Sie stellte ihre Linse scharf, ihr Atem stockte.

Dieses Bild hatte sie so oft schon gesehen, so oft- zwar nur bei Gewebeproben von Mäusen, aber doch war es ihr nicht fremd- und doch war es jetzt das erste Mal, dass ihr ein kalter Schauer den Rücken runter lief.
 

Sie waren tot.

Zumindest die meisten.
 

Professor Agasas Zellen waren geschrumpft- und hatten sich in kleine Bläschen aufgeteilt. Sie hatten Selbstmord begangen.
 

Professor Agasa würde an dem Gift sterben, nähme er es ein.

Angstschweiß stand ihr auf der Stirn.
 

Sie atmete tief durch, rief sich zur Vernunft.
 

Dann nahm sie seine, Conans Probe, entnahm ein wenig für eine Untersuchung, präparierte den Objektträger und schob ihn unter das zweite Mikroskop.
 

Und erst jetzt erkannte sie es.

Die Zellen von Shinichi, genauso wie wohl auch ihre eigenen und Rans, hatten den Zelltod nach der Schrumpfphase abgebrochen. Sie hatten den letzten Schritt, das blebbing, das Aufteilen in Bläschen, Zerstören der Zelle, nicht getan.
 

Es war ganz offensichtlich- warum war sie auf diese Idee noch nicht viel früher gekommen?
 

Sie selber, Ran und Shinichi- sie waren nicht verjüngt worden. Nur geschrumpft.

Die hohen Stimmen waren durch die durch die Schrumpfung verkürzten Stimmbänder zu erklären.

Ihr nächster Gedanke versetzte ihrem Hochgefühl einen herben Dämpfer.

Was war mit dem jugendlichen Körperbau…?

Sie schaute an sich herunter.

Ihre Körperformen waren definitiv schon mal ausgeprägter gewesen. Wenn sie einfach nur geschrumpft wäre- dann würde sie doch noch genauso aussehen wie als Shiho, nur kleiner. Oder?

Also musste nach dem Abbruch des Zellselbstmordes doch noch etwas passiert sein. Also doch verjüngt?

Ai schwirrte der Kopf.

Ja, oder nein?

Sie entschied sich für ja.

Irgendwo musste sie ja anfangen. Sollte sich dieser Weg als Sackgasse erweisen, so blieb ihr immer noch der andere- dass sie einfach geschrumpft worden waren.
 

Wie sagte noch Sherlock Holmes... Wenn man alles Unmögliche ausschließt, muss das, was übrig bleibt, und sei es auch noch so unwahrscheinlich, die Wahrheit sein...
 

Ai runzelte ihre Stirn. Dann fing sie an, ein Liedchen zu summen, und dokumentierte ihr Experiment sowie die Schlüsse, die sie daraus gezogen hatte.

Es ging vorwärts! Allerdings lag noch ein weiter Weg vor ihr. Sie musste noch herausfinden, was ein Rückwärtswachstum verursachte. Ein Rückwärtswachstum im wahrsten Sinne des Wortes. Welcher Bestandteil des Giftes brachte eventuell die Zellteilung dazu, zu mutieren, störte sie in diesem Ausmaß?

Und was unterschied Shinichi, sie und Ran von Agasa? Oder Vermouth?
 

Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Endlich, endlich ein paar Punkte, an denen sie wirklich ansetzen konnte. Wo sie nicht nur ins Blaue schoss, wie mit dem Chinesischen Knollenwurzelschnaps.
 


 

Conan schaute seine Besucher interessiert an.

„Also? Sie sind nur gekommen, um mir das zu sagen?“
 

Akai sagte nichts, schaute ihn nur interessiert an.

Jodie seufzte.

„Nein, nicht nur. Ich meine, davon abgesehen, dass du unglaublich intelligent bist- allein die Art und Weise, wie du uns damals mit dem Fall geholfen hat, bei dem Kir verunglückt ist, hat das gezeigt- ist uns natürlich nicht entgangen, dass du außergewöhnlich viel über die Organisation weißt. Woher weißt du soviel? Und was weißt du? Und wie… wie ist das passiert?!“

Sie machte mit ihren Händen eine bezeichnende Geste.
 

Conan trank einen Schluck Tee, ehe er zu einer Antwort ansetzte.
 

„Ich fürchte, dazu kann ich Ihnen nur bedingt eine Antwort geben.“

Er schaute sie fest an.

Black erwiderte seinen Blick.

„Immerhin besser als keine Antwort.“
 

Conan hatte nicht vor, Rans Aktion dem FBI zu erzählen. Zumindest nicht alles- er würde nicht erzählen, dass sie sich geschrumpft hatte, dass sie das Gift geklaut hatte und er würde nicht sagen, woher er an eine Einladung gekommen war.

Dass er von jemandem aus der Organisation persönliche Einladungen bekam, ging das FBI nichts an.

Und solange er nicht wusste, welches Spiel Sharon spielte, wollte er nicht riskieren, dass sie in die Hände des FBI fiel. Er würde nichts über ihre Verbindung erzählen. Vorerst.

Er wollte wissen, was sie bezweckte.
 

„Ich nehme an, sie haben herausgefunden, ab wann ich als Conan Edogawa herumlaufe?“, fing er schließlich an.

„Seit der Woche um den 13. Januar 1994. Da war nämlich der letzte Fall, den du gelöst hast, der in den Medien noch gezeigt wurde. Ging um einen Rummelplatzmord.“

Conan nickte nachdenklich.

„Es war genau der 13. Januar 1994.“

Er seufzte, merkte, wie ein Gefühl der Unruhe sich in ihm breit machte. Gerade hatte er Kogorô die Ereignisse geschildert, da musste er es gleich wieder tun. Aber das FBI würde die Kurzversion kriegen. Alles mussten sie nicht wissen.
 

Und so schaute der Grundschüler auf, blickte von einem Gesicht ins nächste, ehe er fort fuhr.

„Ich war mit einer Freundin im Vergnügungspark, als dieser Mordfall passierte. Bei der Lösung fielen mir zwei Männer ins Auge, die zwar mit diesem Fall nicht direkt in Verbindung zu bringen waren, sich aber irgendwie doch recht… verdächtig verhielten.

Als ich mit meiner Freundin…“, er schluckte, „den Park verlassen wollte, sah ich einen von ihn noch mal. Tja. Sie können sich denken, was dann kam.“

Akai schaute ihn ruhig an.

„Was ist, wenn nicht?“

Conan erwiderte seinen Blick ebenso gleichmütig.
 

„Dann muss ich es Ihnen vorkauen. Ich lief ihm nach, beobachtete ihn bei einem zwielichtigem Geschäft- es ging um Waffenschmuggel, sofern ich mich Recht erinnere- und bemerkte es nicht, passte nicht auf… auf einmal stand sein Partner hinter mir, zog mir von hinten mit irgendeinem Stock über den Schädel. Sie haben mich nicht erschossen, weil noch zu viele Polizisten auf dem Platz waren. Stattdessen haben sie an mir ein noch nie am Menschen erprobtes, tödliches Gift getestet. Nur leider war das Gift in meinem Fall gar nicht tödlich…“
 

Jodie starrte ihn an.

„Es hat dich geschrumpft.“

Er nickte.

„So ist es. Ich war sechzehn- plötzlich war ich sechs.“

Er trank seinen Tee aus.

„Später erfuhr ich dann, dass die beiden Gin und Vodka hießen. Und ich lernte noch eine Menge anderer Alkoholika kennen- Tequila, der ja umgekommen ist, bei einer Explosion… Pisco, der von Gin erschossen wurde. Calvados, der Ihnen ein Begriff sein sollte…“

Er schaute Shuichi Akai gelassen an.

„Dann Korn, Kir, Chianti. Und Vermouth…“
 

Conan lächelte unschuldig.

„Ich nehme an, Sie ahnen, wer sie ist? Sie vermuten wohl, dass es sich bei Vermouth um Chris Vineyard handelt, die wiederum eigentlich Sharon Vineyard heißt? Ich kann Ihnen ein kleines Erfolgserlebnis bescheren, es stimmt tatsächlich. Wie sie so jung geblieben ist, kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber wenn ich mir mich mal so ansehe…“

Er hob mit einem leichten Grinsen seinen Arm, dann einen Fuß.

„Da kommt mir doch durchaus die eine oder andere Theorie in den Sinn…“
 

„Ja, mir auch.“, stimmte James Black ihm zu.

„Also ist die Kleine, die es da vorhin gar nicht eilig genug haben konnte, außer Sichtweite zu geraten, wirklich…“

„Shiho Miyano?“

Jetzt mischte sich auch Shuichi wieder ins Gespräch ein.

Conan nickte.

„Ja, Sherry, wie sie sie nannten. Sie war bei der Entwicklung des Giftes beteiligt, nahm es nach der Ermordung ihrer Schwester Akemi ein, um sich selber zu richten.“

Ihm war Akais Reaktion auf diesen Satz nicht entgangen. Er wusste zwar nicht, warum der Mann vom FBI den Kopf abgewandt hatte, aber es war Fakt, dass er es gemacht hatte.

Warum?
 

„Als sie gemerkt hatte, dass sie nur geschrumpft, aber nicht tot war, machte sie sich auf die Suche nach mir, dem einzigen zweifelhaften Todesfall auf ihrer Liste. Und wie sie sehen, hat sie mich gefunden.“
 


 

Ayumi japste. Sie zitterte am ganzen Körper, war kreidebleich…

Conan und Ai waren in Wirklichkeit erwachsen?! Beide? Ai auch?

Ai-chan, ihre beste Freundin?

Sie hatten sie beide angelogen, jahrelang?

Sie schluckte, riss sich zusammen, als drinnen weiter gesprochen wurde. Sie wollte alles hören.
 


 

Jodie nickte.

„Und woher weißt du, dass Gin und Vermouth in der Stadt sind?“
 

Conan lächelte.

„Nun- Vermouth grinst einen momentan ja von fast jeder Litfasssäule Tokios an, oder sagen Sie bloß, Ihnen ist das entgangen? Haben Sie den Film etwa noch nicht gesehen?“

Einstimmiges Kopfschütteln beantwortete seine Frage.
 

„Nun, dann lassen Sie es. So toll ist er nicht. Aber selbst Sie sollten aus den Zeitungen wissen, dass sie noch in Tokio weilt. Was Gin betrifft - meine Quellen verrate ich nicht.“

Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Jodie starrte ihn an, konnte über den Bruch, der sich zwischen Stimme und den Worten auftat, die dieser süß aussehende kleine Junge von sich gab, nur staunen.

Conan Edogawa war kein Kind- er war nie eins gewesen. Sie hatten sich alle an der Nase herumführen lassen, nie mitbekommen, wer sich hinter dieser Maske des kleinen Grundschülers verbarg…
 

Er seufzte.

„Fakt ist, durch eine… glückliche Fügung… kam ich an eine Einladung zur Premierenfeier. Jemand- jemand anderes ist mit der Einladung hingegangen, und dort hat die betreffende Person Vermouth und Gin miteinander gesehen. Außerdem liegt nahe, dass Gin die Frau in der Garderobe umgebracht hat. Und da recht medienwirksam darauf aufmerksam gemacht wird, dass Chris Vineyard noch in Tokio ist, wird wohl auch ihr Schießhund noch da sein. Was mich nun interessieren würde… warum wissen Sie das nicht? Warum haben Sie immer noch nicht herausgefunden, in welchem Hotel Sharon wohnt? Warum haben Sie Gin noch nicht gefasst, warum haben Sie noch nicht in Erfahrung gebracht, ob außer ihm noch weitere Mitglieder der Schwarzen Organisation hier sind?“
 

Conan war zum Ende seiner Rede immer lauter geworden. Seine Stimme war immer noch die eines neunjährigen Kindes- sein Tonfall war der eines Erwachsenen. Eines ungeduldigen Erwachsenen, bestimmt, fest und unnachgiebig.
 

Die drei Beamten vom FBI schauten ihn etwas konsterniert an.

„Woher willst du wissen, dass wir das alles noch nicht in Erfahrung gebracht haben? Und warum sollte Gin die Frau in der Garderobe getötet haben? Welches Motiv hätte er denn?“

Black schaute ihn eindringlich an.
 

Conan ignorierte die letzten beiden Fragen, stand auf, ging zur Tür, dann drehte er sich um.

„Wären Sie sonst hier? Wenn sie das alles schon wüssten- es beweisen könnten- wären sie sonst hier? Würden Lestrade und Gregson zu Sherlock Holmes kommen, kämen sie mit dem Fall alleine klar?“

Seine Stimme triefte vor Zynismus.
 

James Black blinzelte. Über Akais Lippen huschte ein Lächeln.
 

Dich will ich sehen, wenn du wieder groß bist- du steckst uns ja schon als Zwerg in die Tasche…
 


 

Ayumi fuhr hoch.

Conan kam zur Tür!

Er durfte sie hier nicht sehen! Nein, nein, nein… auf keinen Fall. Nicht, bevor sie sich nicht selber klar darüber geworden war, was sie gerade gehört hatte.

Er würde sicher wütend werden, wenn er herausfand, dass sie gelauscht hatte. Sie wetzte auf Zehenspitzen zur Haustür, rannte nach draußen, lief ihrer Mutter direkt in die Arme.
 

„Ayumi, Schatz, tut mir Leid, dass ich zu spät bin…“

„Schon gut, Mama.“

Sie lächelte ihr liebstes Lächeln, dann ging sie mit ihrer Mutter zu ihrem Auto.

In ihrem Kopf herrschte Chaos, nur mit Mühe unterdrückte sie das Zittern in ihrer Stimme.

Was sollte sie tun? Sollte sie es Genta und Mitsuhiko sagen? Ja, das war eine gute Idee. Mitsuhiko wusste bestimmt, was zu tun war. Und außerdem war sie es ihnen quasi schuldig- schließlich kannten sie Conan und Ai genauso lange wie sie, waren von ihm genauso angelogen worden.

Und dann würden sie sie zur Rede stellen.

Vielleicht.
 


 

Conan runzelte die Stirn, stutzte. Hatte er etwas gehört? Wahrscheinlich war das Ai gewesen, die Kaffee kochen ging...

Er schluckte, dann hielt er den Leuten vom FBI die Tür auf.

Die Geste war eindeutig.
 

Die drei standen geschlossen auf.

„Das war alles, was du uns erzählen willst…?“

Blacks Stimme klang ernst.
 

„Bis auf weiteres, ja.“
 

Jodie seufzte.

„Falls du es dir überlegst…“

Sie reichte ihm eine kleine Karte.

„Meine Handy-Privatnummer.“

Die blonde Frau schaute ihn an.

„Ruf an, jederzeit, wenn dir danach ist. Es ist Tag und Nacht eingeschaltet.“

Conan nickte nur.
 

Dann verließ sie mit den beiden anderen das Haus des Professors.
 


 


 

Ai kam langsam die Treppe wieder hoch.

Sie sah den Professor und Conan am Fenster stehen, sah, wie die drei FBI- Agenten in der Dunkelheit der Nacht verschwanden.
 

„In welcher Beziehung stehst du zu Shuichi Akai?“

Er fragte das, ohne sich umzudrehen.

Ai zuckte zusammen.
 

„Ich- in gar keiner.“

Conan drehte den Kopf- gerade soweit, dass er sie aus dem Augenwinkel sah. Sah ihr bleiches Gesicht, ihre fast blutleeren Lippen und einen schwer zu deutenden Blick in ihren Augen.
 

„Und deine Schwester?“, flüsterte er fragend.

Sie sagte nichts, drehte sich wieder um und verschwand im Keller. An der Tür unten angekommen blieb sie noch mal stehen. Ein Gedanke war ihr in den Sinn gekommen.
 

„Professor Agasa- nehmen Sie bitte niemals das Gift in die Hand.“

Sie drehte sich um, zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Sie würden dran sterben. Und du…“

Sie sah ihn nicht an.

„Du solltest mal mit Ayumi reden. Oder wenigstens deine Flirterei in ihrer Gegenwart etwas einstellen, oder bist du blind?“

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu.

"Ich flirte nicht."

Er warf ihr einen verstimmten Blick zu.

Sie lachte bitter auf, dann verschwand sie in ihrem Labor, ohne ein weiteres Wort.

Der Professor schaute nur runter und schluckte, warf dem kleinen Jungen neben sich einen fragenden Blick zu.
 

Ai war eigentlich müde- aber irgendwie war sie viel zu aufgewühlt, um jetzt schlafen zu können. Also warf sie ihren Computer noch einmal an, warf einen Blick in ihre Thermoskaffeekanne- erfreulicherweise war noch etwa eine Tasse drin. Sie goss sie in ihre Tasse, nahm einen tiefen Zug, ehe sie Milch und Zucker hinzufügte.

Sie trank ihren Kaffee niemals schwarz.
 

Dann fing sie an, Agasas Zellen zu analysieren, sowie Shinichis Gewebeprobe. Was war anders als bei Agasa?

Was, was, was..?
 

Was?
 


 

Conan seufzte, schaute immer noch durch die Scheibe nach draußen.

„Was halten Sie davon?“
 

Der Professor warf ihm einen nachdenklichen Blick zu.

„Ich weiß es nicht. Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn du dich ihnen gegenüber etwas kooperativer zeigen würdest- sie sind schließlich vom FBI, sie könnten dir helfen…“

„Ich bin doch kooperativ. Aber ich sehe nicht ein, mit offenen Karten zu spielen, solange sie’s nicht tun. Und sie haben ja gesehen- sie stellten nur Fragen, aber gaben keine Antworten.“

Conan vergrub seine Hände in den Hosentaschen, dann hob er den Blick, schaute seinem alten Freund freundlich ins Gesicht.

„Aber lassen Sie uns von etwas anderem reden, Professor. Ich bin eigentlich gekommen, um Sie zu fragen, wie’s ihrer neuen Erfindung geht. Sie sagten, es wäre eine Überraschung…?“
 

Ein breites Lächeln erhellte Agasas Gesicht.

„Genau. Eine Überraschung, und ja, in der Tat- sie ist fertig. Ich zeige sie dir, du wirst Augen machen, Shinichi…“

Er stieg ebenfalls in den Keller, ging an dem Raum vorbei, in dem Ai arbeitete und führte seinen jungen Freund in sein Versuchslabor.
 

Er hob eine kleine Apparatur vom Tisch und hielt sie ihm hin. Der Junge nahm sie ihm ab, beäugte sie kritisch.

„Und wozu soll das jetzt gut sein? Was ist das, Professor?“

Das Ding, welches er in seiner Hand hielt, war klein, flach und sehr leicht, hatte an der Seite ein paar Knöpfe und eine Projektionslinse, sowie in der Mitte ein Display.
 

„Das, mein lieber Shinichi-“, meinte Agasa mit vor stolz geschwellter Brust, „ist der wohl kleinste Beamer der Welt. Und er speichert die Daten, die er abspielen soll auf einen kleinen Chip, hat eine integrierte Kamera. Ich hab ihn im Kino ausprobiert und verbotenerweise etwas aufgenommen…“

Der Professor nahm Conan den Minibeamer ab, betätigte ein paar Knöpfe und richtete die Linse auf die Wand.

Zu sehen war die Szene des sterbenden Detektivs.
 

Conan hustete trocken, räusperte sich.

„Ihr Sinn für Humor ist nicht zu übertreffen, Professor.“

Damit nahm er ihm den Beamer ab, schaltete ihn aus.

„Mal sehen, zu was der noch nützlich sein kann. Ich danken Ihnen, Professor!“
 

Damit verabschiedete sich Conan, verließ das Haus und tauchte ein weiteres Mal an diesem Abend ein in die Finsternis der Nacht.
 

Draußen in der Dunkelheit saßen Akai, Jodie und Black in Blacks Auto, sahen ihm hinterher und schwiegen sich an. Der Abend war wirklich denkwürdig gewesen.
 


 

Als er zuhause ankam, standen Ran und Kogorô schon an der Tür. In Rans Augen gewann langsam die Erleichterung den Kampf mit der Angst- Kogorô schaute besorgt und ärgerlich drein.

Er warf ihm nur einen Blick zu.

„Wie viel zu spät…?“

„Eine halbe Stunde…!“

Kogorô starrte ihn an. Conan schluckte schuldbewusst.

„Und warum gehst du nicht ans Handy?!“

„Lautlos…“

Er seufzte.

„Ich habs nicht gehört…“

Kogorô grollte.

„Eigentlich bist du doch alt genug um…!“
 

Dann hielt er inne. Ran trat nur näher, legte ihre Arme um Conans Hals und ließ sich gegen ihn sinken. Atmete tief aus und wieder ein. Er drückte sie kurz an sich.
 

„Es tut mir Leid. Kommt- kommt nicht wieder vor.“

Conan schaute auf- Kogorô, der die Arme immer noch vor der Brust verschränkt hatte, nickte. Dann scheuchte er die beiden Grundschüler in die Wohnung.

Gefährliche Gedanken

Hallo!
 

Leute, ich muss mich bedanken :D

Vielen, vielen Dank für eure Kommentare! *rotwerd*
 

Und natürlich war beabsichtigt, dass ihr bei der Frau zuerst an Vermouth denkt :D
 

Sooo- bei diesem Kapitel hab ich graue Haare gekriegt *ausrupft*

Ich hoffe, ich hab ein paar lose Enden verknüpfen können. Ich bin gespannt, was ihr sagt- ein paar von euch werden sich wohl schon gefragt haben, wann das kommt...
 

Lehnt euch zurück, viel Spaß beim Lesen wünscht euch

eure Leira :D
 

Bis nächste Woche! *sichverzieht*
 

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„Und ich sag dir, irgendwoher kam mir die Kleine bekannt vor.“
 

Gin nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, inhalierte tief und stieß den Rauch in einer blaugrauen Wolke aus. Abwartend schaute er sie an.
 

Das Gift war nicht bei der Frau in der Garderobe gewesen. Er hatte sorgfältig alles abgesucht - es war und blieb verschwunden.

Das ließ für ihn nur einen Schluss zu - die Diebin war doch das Mädchen gewesen.

Was ärgerlich war, denn ganz davon abgesehen, dass sie wertvolle Zeit verloren hatten, und er sie nicht einmal kannte, nicht wusste, wer sie war, wie sie hieß - fehlte von ihr jede Spur.

Aber beim Nachdenken war ihm langsam wieder in den Sinn gekommen, dass er dieses Gesicht schon einmal wo gesehen hatte…
 

Er zog ein weiteres Mal an seiner Zigarette, wartete auf ihre Reaktion.
 

Vermouth schaute aus dem Fenster, betrachtete die Tokioter Skyline. Dann drehte sie sich langsam um, schaute ihn fragend an.

„Von wem redest du?“
 

Sie ahnte, worum es ging - Gin sprach seit Tagen von nichts anderem mehr.

Die verschwundenen Kapseln.

Man hatte in bestohlen, und das kratzte an seinem Ego, und zwar gewaltig.

Aber nicht nur das- der Stoff, der geklaut worden war, war hochbrisant. Und das wusste er. Er musste wiederbeschafft werden- und dessen zeitweiliger Besitzer eliminiert, und mit ihm alle, die davon Wind bekommen hatten.
 

„Na, von der Kleinen, die in der Garderobe ihren Knopf gesucht hat, am Abend dieser dummen Filmpremiere.“

Seine Partnerin warf ihm einen verärgerten Blick zu.
 

„Ich denke, du kannst dich an Gesichter nicht erinnern?“, hakte sie dann nach, versuchte ein wenig Spott in ihrer Stimme klingen zu lassen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass dieses Gespräch in eine gefährliche Richtung gehen würde.

Ihr war, als wolle er sie auf Glatteis führen, sehen, ob sie einbrach, in die dünne Decke gefrorenen Wassers.
 

„Ich sagte, ich kann mich nicht an die Gesichter der Leute, denen ich den Weg ins Jenseits geebnet habe, erinnern.“

Er lachte höhnisch.

„Aber die Kleine lebt doch noch. Ein Umstand, den sie wohl nicht zuletzt dir zu verdanken hat…“

Er kniff die Augen zusammen, schaute sie lauernd an. Sie hielt seinem Blick gelassen stand.
 

„Aber ich sag dir, Vermouth, sie kam mir bekannt vor. Irgendwo hab ich sie schon mal gesehen. Und irgendwie…“

„Irgendwie was…?“

Sharon Vineyard zückte ihr Zigarettenetui und ein Feuerzeug, um sich ebenfalls eine Zigarette anzuzünden. Das Gerede ihres Partners machte sie nun doch zunehmend nervös. Mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk klappte sie den Deckel auf- fast wie automatisch rutschte ihr Daumen über das kleine Rädchen, entzündete den Funken. Das Feuer loderte auf, eine kleine Flamme züngelte hervor.

„Irgendwie hab ich das Gefühl, das war öfter als einmal… “
 

Vermouth starrte ihn an. Die Flamme ihres Feuerzeugs brannte weiter, ihre Zigarette, die sie sich gerade zwischen die Lippen geklemmt hatte, kippte bedrohlich nach unten, als sie kurz die Fassung verlor.

Dann beeilte sie sich, sie anzuzünden, zog daran, bis die Spitze glühte und ließ den Deckel des Feuerzeugs geräuschvoll zuschnappen.
 

Sie wusste, wo er sie das erste Mal gesehen haben konnte- nämlich in der Achterbahn, mit ihm. Kurz bevor er und sein Schwachkopf von einem Partner versucht hatten, ihn umzubringen.

Aber wo war das zweite Mal? Und wann?
 

Wann?
 

Und- war er dabei gewesen?
 

Sie zog an ihrer Zigarette, schaute sich unruhig in der feudal eingerichteten President’s Suite ihres Hotels um. Kein Mensch wusste, dass sie hier war. Sie hatte in zwei anderen Hotels eingecheckt, um Journalisten abzuwimmeln- ließ sich gelegentlich beim hineingehen fotografieren und von der Menge bejubeln- und kein Mensch bekam mit, wie die Küchenhilfe, das Zimmermädchen oder der Müllmann das Gebäude durch den Personalgang verließen. Umkehrt natürlich auch.

Gin bemerkte ihren Blick.

„Warum bleiben wir eigentlich noch hier? Die Promo-Tour für deinen bescheuerten Film ist doch schon seit Tagen vorbei.“

Er ließ sich lässig nach hinten sinken, blies den Rauch seiner Zigarette an die Decke, schaute ihm zu, wie sich der Dunst wie ein graublauer Schleier aus feiner Seide um die elektrischen Glühbirnen des Lüsters hängte.

Sie dachte nach, ging nicht auf seine Frage ein.
 

Gin grinste in sich hinein. Seit Monaten hegte er einen Verdacht- er schätzte, dass Vermouth nicht mit offenen Karten spielte. Nicht ihm gegenüber- und auch nicht gegenüber dem Boss. Irgendetwas verschwieg sie- und irgendetwas ließ ihn vermuten, dass dieses Schweigen mit der jungen Frau aus der Garderobe zu tun hatte.

Oder mit…
 

Er sog an seiner Zigarette, inhalierte tief, ließ den Rauch dann langsam durch den Mund entweichen.
 

Sie hatte keine Ahnung, wie viel er wusste. Er ließ sich nie in die Karten schauen, hielt sie alle auf Distanz, ließ nie durchblicken, dass er sich sehr wohl erinnerte, wo er die Kleine, die ihren Knopf gesucht hatte, die den ganzen Abend im Kinosaal hinter ihnen gesessen hatte und beim Anblick des sterbenden Detektivs hörbar nach Luft geschnappt hatte, schon einmal gesehen hatte.

Ja, er hatte sie sehr wohl bemerkt, im Theater. Sie war ihm nicht entgangen.
 

Und er würde sehr bald herausgefunden haben, wie viel sie wusste… Sharon…

Er richtete sich auf. Es wurde Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Ihre Reaktion würde wohl sehr interessant sein.
 

„Bei dem Fall mit dem Waffenschmuggler.“

Er lachte breit, überheblich.

„Genau, das war’s. Sie hat geheult, weil so ne kleine Schlampe ihren Ex mit einer Perlenkette geköpft hat. Sehr stilvoll, wie ich finde, die Frau hatte Klasse. Und wenn mich nicht alles täuscht, war da Tokios kleiner Superschnüffler auch dabei, du weißt schon, Vodka kann sich den Namen merken… den, den wir hinterher hopsgehen haben lassen…“
 

Vermouth drückte ihre gerade mal angerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, stand auf und ging wieder zum Fenster. Das Gespräch entwickelte sich tatsächlich in eine gefährliche Richtung.
 

„Shinichi Kudô.“
 

Sie flüsterte den Namen.

„Ja, irgendwie so was in der Art. Da gab’s doch mal so ne Aktion, als ein Freund von ihm ihn imitiert hat- Vodka war ganz außer sich. Du weißt schon, die Party auf dem Geisterschiff. Als wir dich hinterher noch aufgabeln mussten.“
 

Vermouth nickte nur, starrte aus dem Fenster. Was wusste Gin? Worauf wollte er hinaus…?

Hatte sie ihn unterschätzt?
 

„Irgendwie pietätlos, sich als sein toter Freund zu verkleiden, oder?“

Vermouth horchte auf. Irgendwie hatte sich Gins Tonfall verändert.
 

„Findest du nicht auch?“

Seine Stimme war ein Flüstern.

Sie zuckte zusammen, stieß einen erschrockenen Schrei aus, als er seine Hand in ihre Haare krallte, ihren Kopf nach hinten zog. Er war wohl aufgestanden, und so leise hergekommen, dass sie ihn nicht gehört hatte.

Kein Wunder eigentlich, sie war mit ihren Gedanken gerade ganz woanders gewesen.

Unwillkürlich griff sie nach dem Revolver unter ihrem Blazer.

„Oder Sharon? Findest du das nicht auch irgendwie makaber?“
 

Sie zuckte bei der Nennung ihres Namens unmerklich zusammen - konnte den Zigarettengestank in seinem Atem riechen, und es widerte sie an.

„Er ist doch tot, oder, Vermouth?“

Der Zug verstärkte sich.

„Nimm deine Hände weg von mir.“, zischte sie.
 

Ist er tot, Sharon?!“

Er legte seine freie Hand um ihre Hüfte und den Arm, der ihre Waffe hielt, presste sie an sich und hinderte sie so daran, ihren Revolver zu ziehen.
 

„Was soll er sonst sein?“, fragte sie harsch zurück. „Ihr habt ihn doch…“

„Sag du’s mir…“

Seine Stimme war leise, und etwas Lauerndes haftete ihr an. Sie spürte seine Lippen an ihrem Hals - und ekelte sich.

"Nimm deine Hände..."

„Du weißt was mit Verrätern passiert, Sharon… und du weißt von uns am Besten, welche Mittel und Methoden wir in der Organisation haben, Leute zum Sprechen zu bringen…“

Er stieß sie von sich, sie prallte gegen das Fenster, klammerte sich am Sims fest.
 

„Du- das wirst du- wie kannst du es wagen?!“

Sie schrie ihn an, ihre Stimme kreischte fast. Er ließ sich davon nicht beeindrucken, zog an seiner Zigarette, blies ihr den blauen Dunst entgegen.

„Weißt du, wo ich das Mädchen noch gesehen habe? Im Beika-Park. An Weihnachten…“
 

Ihr Atem ging schnell. Sie versuchte, nicht allzu erstaunt auszusehen, sie war doch Schauspielerin, so was beherrschte sie doch aus dem Effeff…

Sollte es zumindest beherrschen…
 

Guter Gott, nein…!
 

„Und da war sie nicht allein.“

Er zog sein Mobiltelefon aus seiner Manteltasche, klappte es auf, tippte ein wenig daran herum und zeigte ihr schließlich das Display.
 

„Und jetzt sag mir, wer das ist, Sharon, wenn nicht Shinichi Kudô. Damals hat es mich nicht interessiert, ich hielt ihn für tot, ahnte nicht, wer da vor mir stehen könnte- und auch sie hat mich eher wenig gejuckt. Das Photo hab ich geschossen, um den Treffpunkt für einen Deal zu dokumentieren- es ging als E-mail an unseren Kunden, damit er sich nicht verläuft. Die beiden da sind nur durch Zufall drauf. Ein interessanter Zufall…“
 

Er grinste hämisch.

„Ist er es tatsächlich? Ich weiß, dass du ihn kennst, fang nicht an, das zu leugnen. Du warst mit seiner Mutter befreundet.“

Sharon schluckte hart.

„Woher…?“

„…ich das weiß? Google weiß alles, meine Teuerste. Ist er es?“

Vermouth starrte auf das Photo, versuchte ein Zittern zu unterdrücken.

„Könnte sein.“

Er starrte sie an.

„Du weißt, wenn er es ist, müssen wir ihn finden. Er weiß zuviel, er muss beiseite geschafft werden. Zwar gilt er als tot- aber wenn es Sherry damals war, die diesen Eintrag gemacht hat, dann darf man sich da wohl nicht allzu sicher sein… diese Verräterin... und wenn sie es war, die das Gift geklaut hat… dann muss sie auch weg.“

Seine eisblauen Augen bohrten sich in ihre. Er wollte wissen, ob sie Kudô und seine Freundin deckte, versuchte in ihren Augen zu lesen, ob sie ihn anlog. Ob sie eine Verräterin war…
 

Denn er war sich eigentlich sicher, dass er es war. Er hatte nach Bildern gesucht, sie mit seinem Handyphoto verglichen- er könnte es tatsächlich sein.
 

„Also?“

Seine Stimme klang scharf, schneidend.
 

„Was willst du?“, hörte sie sich sagen.

Sie hatte sich endlich wieder im Griff, hielt seinem Blick stand.

„Sie dir doch das Foto an. Das könnte auf jeden x-beliebigen Japaner passen, sie sind viel zu klein drauf. Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass es wohl vom Alter hinkommen kann. Wenn du ein genaueres Urteil brauchst, dann brauche ich ein qualitativ hochwertigeres Photo.“
 

Er kniff die Augen zusammen.

„Du weißt schon, auf welcher Seite du stehst? Du nimmst dir in letzter Zeit ein wenig viel heraus…“

„Ja, ich weiß verdammt noch mal genau, auf welcher Seite ich stehe, Gin. Und ich sage dir, ich brauche ein besseres Foto. Oder aber du gewöhnst dir an, dir die Gesichter derer, die du umbringst, besser zu merken, nur für den Fall der Fälle, dass einer seine Ermordung durch dich überlebt. Hast du den Boss schon informiert?“
 

„Nein. Ich wollte zuerst dich fragen. Wie gesagt, du kennst ihn ja persönlich.“

„Damals war er fünfzehn, mittlerweile ist das vier Jahre her. Er dürfte sich wohl auch ein wenig verändert haben. Aber wenn er es ist, dann ist er hier in Tokio, und dann läufst du ihm schon noch mal über den Weg.“
 

Sie schaute ihn kühl an. Dann griff sie sich ihren Mantel vom Stuhl, und warf ihn sich über.

„Im Übrigen- wenn du wissen willst, was wir hier noch tun, dann frag doch den Boss. Der weiß Bescheid.“
 

Er wandte sich um, nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette und zündete sich an den verglimmenden Resten eine Neue an. Sie warf ihm einen abgeklärten Blick zu, drehte sich um.
 

„Ach, noch was.“

„Was denn?!“

„Wie bist du eigentlich so jung geblieben, Chris? Was ist dein Geheimnis?“
 

Sie grinste spöttisch.

„A secret makes a woman woman, darling.“
 

Damit war sie zur Tür hinaus.
 


 

Er ging zum Fenster, schaute ihr hinterher, als sie das Hotel verließ.

Dann holte er sein Handy noch einmal hervor.

„Wenn du noch lebst, Kudô… dann finde ich dich. Und ich werde dafür sorgen, dass du dir wünschst, damals schon gestorben zu sein.“
 

Ein winziges, grausames Lächeln umspielte seine Lippen.

„Glaub mir.“
 


 


 

Sharon rannte, kaum dass sie außer Sichtweite war, die Straße entlang, winkte hektisch ein Taxi herbei und nannte dem Fahrer die Adresse.
 

Sie musste ihn warnen.

Eigentlich hätte sie das schon viel früher tun sollen- schließlich wusste sie nicht erst seit gestern, dass sie und Gin hier in Tokio sein würden, länger als nötig, weil ein gewisser Môri zu viel Aufsehen erregte. Und noch dazu kam… dass ein gewisser kleiner Junge ebenfalls zuviel Aufsehen erregte. Gin hatte sein Versprechen nicht gebrochen- er hatte ihn nie ganz vom Haken gelassen.
 

Das war der Grund gewesen, warum sie drauf bestanden hatte, den Namen der Mörderin des Films in Vermouth zu ändern. Nicht Bordeaux, wie ursprünglich geplant. Deshalb dieses Preisausschreiben. Um zu garantieren, dass er den Film auch sah, ihre Warnung verstand. Sie schrieb ihn mit seinem richtigen Namen an, damit er wusste, dass sie wusste, wer er war.

Wenn er es anders nicht kapieren wollte, musste sie ihm eben die sprichwörtliche Zaunlatte um den Schädel donnern.
 

Wegen ihm hatte sie den Film überhaupt erst gedreht.
 

Denn die Organisation war auf ihn aufmerksam geworden.

Zwar verband sie ihn noch nicht mit Shinichi Kudô- sehr wohl aber sahen sie in Môri wieder eine Gefahr, und in Conan einen kleinen Schnüffler, der lästig war.

Sehr lästig war.
 

Und das schon seit über einem halben Jahr, seit der Sache mit Kirs Unfall.

Deshalb hatte sie den Detektiven gewählt, diesen jungen Japaner, der ihm so ähnlich sah. Um ihn ein wenig auf seine Situation aufmerksam zu machen, ihn zu signalisieren, etwas vorsichtiger zu sein.

Um ihm zu zeigen, wie er enden könnte.

Hatte darauf bestanden, den Film so schnell wie möglich abzudrehen und in die Kinos zu bringen- sie hatte als Schauspielerin schon großen Einfluss, und als Produzentin noch mehr.
 

Natürlich hätte sie ihm auch einen Brief oder eine e-Mail schreiben können - aber sie befürchtete, dass sie beobachtet wurde, und zwar von Gin.

Er traute ihr nicht. Zu Recht, wie sie ihm zugestehen musste.

Zweifellos überwachte er sie, hatte vielleicht Zugriff auf ihre Handydaten. Und er schlich ihr nach.

Sie war zwar der Liebling vom Boss- aber seiner wohl nicht.

Nicht mehr.
 

Jetzt war eine günstige Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen; jetzt, wo er mit sich und seiner Wahnvorstellung, die wohl eigentlich keine war, zu sehr beschäftigt war.
 

Bis dato hatte man sich damit begnügt, Conan und Môri zu beobachten- ihn im Auge zu behalten. Und es war nicht zu gering ihr Verdienst, dass die Organisation noch nicht zu viel über ihn wusste.

Môri war so gut wie aus dem Schneider. Die letzten Tage war es um ihn erfreulich ruhig gewesen. Ihr Hauptaugenmerk war jetzt eigentlich nur noch er.
 

Sie war hier mit Gin und Vodka abgestellt worden, um ihn zu beobachten- um herauszufinden, ob der Junge und sein Umfeld neutralisiert werden musste, oder ob die Zusammenstöße mit der Organisation nur Zufälle gewesen waren.

Bisher hatte er sich gottseidank als unauffällig erwiesen. Kein Mordfall, kein Verbrechen gelöst, war brav in die Schule gegangen und wieder nach Hause.

Wenn in den nächsten drei Tagen nichts passiert wäre, dann hätten sie wieder abreisen können, ihn weiter von der Ferne aus beobachtet.

Deswegen hatte sie ihm nichts gesagt. Damit er nichts unternahm.

Sich weiterhin wie ein kleiner Junge benahm.
 

Nun aber, wo Gin herauszufinden drohte, was Sache war- musste sie ihn warnen.

Unbedingt.
 


 

Yukiko Kudô traf fast der Schlag, als sie die Tür öffnete. Sie erblickte die Person, die vor ihr stand, erkannte sie- und schlug die Tür mit aller Kraft zu, ehe sich ein Schrei des Entsetzens von ihren Lippen löste.

Yusaku, vom Panikschrei seiner Frau aufgescheucht, lief in die Eingangshalle und fand sie dort, zitternd wie Espenlaub, an der Tür gelehnt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, Angst umgab sie wie ein kühler Hauch.
 

„Yukiko?“

Sie blinzelte, formte mit ihren Lippen ein Wort, doch kein Laut verließ ihre Kehle.
 

Yusaku trat näher.

„Yuki, wer steht da draußen?“
 

„Sh…“

Er zog sie von der Tür weg.

„Sch…?“, wiederholte er.

„Sha-“

Sie schluckte, riss sich zusammen.

„Shar-… Sharon…!“

Ihre Stimme war hoch und furchtsam.
 

Sharon Vineyard stand vor der Tür und schwieg. Sie hatte ihn gesehen, diesen angsterfüllten Ausdruck in den Augen ihrer ehemals guten Freundin.

Also wusste sie es.

Und sie konnte sich denken, von wem.
 

Er hatte es ihr erzählt.
 

Sie lehnte mit dem Kopf gegen die Tür, seufzte gequält. Es schmerzte sie, im Innersten ihrer Seele.

Was hab ich nur getan…?
 

Gerade wollte sie den Knopf erneut drücken, als sie Schritte hörte, einen weiteren Panikschrei vernahm, den zu Tode verängstigten Schrei eines Kindes, eines kleinen Mädchens. Sie drehte sich um, sah das kleine rotblonde Mädchen den Kiesweg entlang hetzen, doch weit kam sie nicht. Ein dicker, alter Mann fing sie ein, hob sie hoch. Sie krallte sich an ihm fest, wimmerte.
 

Sharon schluckte.

Sie verbreitete Angst und Schrecken, wohin sie kam.
 

Und dann sah sie ihn.

Sie wunderte sich, wie sie ihn übersehen hatte können.
 

Er stand vor ihr, schaute sie berechnend an.
 

„Du weißt schon, dass das FBI in der Stadt ist? Was willst du hier?“

Seine Stimme klang abwartend und ein wenig harsch. Dann ging er zur Tür, klingelte Sturm.

„Mach schon auf, Mama- sie erschießt hier und heute keinen, sie versprichts.“

Er schaute sie durchdringend an. Sie nickte.
 

Cool guy.
 

Die Tür öffnete sich wieder, und Yukiko trat zurück, hielt sich krampfhaft am Arm ihres Mannes fest- erst als sie sah, wie ihr Sohn gelassen die Türschwelle überschritt, entspannte sie sich etwas.

Wenn er sich keine Sorgen machte, bestand auch kein Grund zur Sorge.
 

Sie warf Sharon, die ihm folgte, einen prüfenden, auch ein wenig betrübten Blick zu. Die blonde Frau fing ihn auf- schluckte, und wandte beschämt den Kopf ab.

Die letzten waren der Professor und Ai, die immer noch außer sich war- ihre Augen waren vor Schrecken geweitet, ihr Gesicht leichenblass, ihre Hände zitternd in den Mantel des Professors gegraben.
 

Die kleine Gruppe wanderte ins Wohnzimmer, wo sich alle auf die Sessel und Sofas verteilte- Yukiko verschwand mit dem Vorwand, Tee zu kochen, in der Küche.

Yusaku starrte die Schauspielerin feindselig an.
 

Ai, die neben dem Professor saß, versuchte in den Polstern und Kissen zu verschwinden, auf denen sie saß, drückte sich gegen die Lehne. Conan warf ihr einen beunruhigten Blick zu. Ihre Angst stand ihr nicht nur ins Gesicht geschrieben- ihre ganze Körperhaltung verriet sie, sie lag fast greifbar in der Luft.

Todesangst.

Selten hatte er einen Menschen gesehen, der sich so fürchtete.
 

Am Besten brachte er es schnell hinter sich.
 

„Also- was willst du hier, Sharon?“

Die blonde Frau wandte ihm ihren hübschen Kopf zu.
 

„Weißt du, was deine Freundin angestellt hat?“

Er nickte nur.

„Sie hat Gin das Gift geklaut.“

Sharon zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen.

„Genau. Und jetzt sag mir bitte, dass du Angel nicht dazu angestiftet hast!“

Ihre Stimme klang streng, unerbittlich. Er stutzte.

„Nein, hab ich nicht. Natürlich nicht! Du bist wie meine Mutter, ihr beide traut mir wohl alles zu?! Was meinst du, wie entsetzt ich war…?“

Sie entspannte sich.

„Entschuldige. Nun- es ist so, es war denkbar knapp für sie. Wir fanden sie in der Garderobe, in der Nähe unserer Mäntel, hat sie dir das erzählt?“

„Ja.“

Er nickte.

„Gin hat es bemerkt. Er hat bemerkt, das zwei Kapseln fehlen, und du kennst ihn, er ist gerissen- er hat sofort erkannt, dass nur zwei Personen in der Lage gewesen sind, an seinen Mantel zu gelangen- die Garderobenfrau-“

„Die für ihre Anwesenheit bitter bezahlt hat…“, murmelte er.

Sharon nickte.

„Ja. Und die zweite Person war Ran. Ich hab ihm ausgeredet, dass sie es hätte sein können, obwohl ich wusste, dass sie es gewesen ist.“
 

Er hob den Kopf, schaute sie erstaunt an.

„Danke…“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
 

„Nichts zu danken. Aber das ist es nicht, weshalb ich hier bin. Ich bin hier um euch zu warnen. Da er das Gift bei dieser Garderobendame nicht gefunden hat, ist er zu dem einzig möglichen Schluss gekommen- dass es doch Ran war, die ihn bestohlen hat. Gin hat sich erinnert, dass er sie schon Mal gesehen hat. Und er weiß auch, wo. In der Achterbahn des Tropical Land, mit dir. Und er weiß, wo er sie noch gesehen hat…“

Conan hob den Kopf, wurde blass, seine Hände krampften sich in das Sofakissen.
 

„An Weihnachten, im Beika-Park- mit dir…“
 

Er blinzelte, Entsetzen lag auf seinem Gesicht. Von allen Menschen auf dieser Welt war ausgerechnet Gin derjenige gewesen, der sie beobachtet hatte…
 

Nein!
 

Ai japste nach Luft. Sie war verdammt bleich geworden, in den letzten Sekunden.
 

„Dann weiß er es…?“

Yusaku schaute sie abwartend an.

„Nein. Er ahnt noch nichts von eurer Schrumpfung. Und er kann sich Gesichter nicht besonders gut merken. Leider schoss er zufällig ein Handyphoto von euch beiden…“

Conan stöhnte auf.

„… und zeigte es mir. Er hat herausgefunden, dass Yukiko und ich uns kennen, und ich dich deshalb schon mal gesehen haben muss. Ich hab ihm gesagt, das Photo wäre zu schlecht, zu klein, um etwas drauf zu erkennen. Ich weiß nicht, inwieweit ihn das zufrieden stellt. Also bitte-“
 

Sie warf Yukiko, die gerade mit so zitternden Händen das Teetablett abstellte, dass die Tassen klirrten, einen mitfühlenden Blick zu.

„Halte dich ein wenig bedeckt, in nächster Zeit, wenn du nicht doch noch eines sehr schmerzvollen Todes sterben willst. Und du auch.“

Sie warf Ai einen warnenden Blick zu.

„Du weißt, welche Strafe auf Verrat steht, Sherry.“
 

Ai sah aus, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden.
 

„Und pass auf Angel auf. Sie sollte sich in nächster Zeit nicht blicken lassen. Informiere ihre Eltern.“

„Sie ist in Sicherheit. Du weißt, ich würde nicht zulassen, dass ihr was passiert…“

Mehr sagte er nicht. Sie nickte ihm zu.
 

Damit stand sie auf.

„Danke für den Tee, Yukiko, auch wenn ich leider nicht bleiben kann, um ihn zu genießen.“
 

Sie warf ihrer alten Freundin ein winziges, zaghaftes Lächeln zu.
 

Als sie gehen wollte, hielt er sie zurück.

„Sharon, was hast du vor? Was sollte die Einladung, was sollte der Film? Warum tust du das, warum bist du hier, warum warnst du uns?“
 

Sie drehte sich um.
 

Er zog die Augenbrauen zusammen.

„Ich verstehe dich nicht. Du warnst mich, aber du hilfst mir nicht. Jedes Mal, immer wieder. Damals im Auto- du hast mich nicht umgebracht, obwohl du weißt, dass es jeder andere aus deinem Verein sofort getan hätte - aber du hast die Aufnahme zerstört, womit du mir geschadet hast. Du lenkst den Verdacht von Môri ab, als Gin ihn erschießen wollte, weil ihr fälschlicherweise dachtet, er wäre derjenige, der euch auf der Spur ist, euch verwanzt hat. Du versuchst Gin weiß zu machen, das auf dem Photo wäre nicht ich, obwohl du weißt, dass ich es war- aber du gibst mir keinen Hinweis, wo sich Gin befindet, was ihr in Tokio vorhabt, was eure Ziele sind. Du baust diesen komischen Detektiven in deinen Film ein, erlaubst dir nette Wortwitze und schickst mir eine Einladung zu einer Premiere, bei der Gin anwesend war, warum? Warum das alles? Nur um mich zu warnen? Wovor? Dass ihr gefährlich seid, dass ihr mich umbringen wollt, das weiß ich, verdammt! Warum sprichst du nicht einfach mal Klartext, warum entscheidest du dich nicht endlich einfach mal für eine Seite? Was bezweckst du…?“
 

„Das erfährst du noch früh genug.“

Sie lächelte hintergründig.

„Du bist ein schlaues Kerlchen. Ich will dir die Freude nicht verderben, selbst auf die Lösung zu kommen. Und was meinen Besuch hier betrifft- wie du schon erkannt hast, ich will euch warnen. Und zwar, weil ich es gut mit euch meine…“
 

„Wieso sollte ich dir glauben…?“
 

„Weil du weißt, dass es stimmt.“
 

Sie ging zur Tür; dort drehte sie sich ein letztes Mal um.

„Pass auf dich auf. Pass auf sie auf. Und viel Glück, silver bullet.“
 

Damit verschwand sie aus dem Wohnzimmer. Kurze Zeit später fiel die Haustür ins Schloss. Er stöhnte frustriert auf.
 


 

Es war still im Wohnzimmer der Kudôs.
 

Totenstill.
 

„Ai…?“

Yukiko hatte das kleine Mädchen bemerkt, das leichenblass und steif auf dem Sofa saß, ihre kleinen Finger tief in die Kissen gebohrt, die Augen vor Angst geweitet.
 

Ihr Blick führte ins Nirgendwo. Sie sah nichts.

Und sie schien auch nichts zu hören.
 

Angst und Panik hatten sie völlig in ihrer Gewalt, doch sie war kein Mensch, der dann zu hysterischen Anfällen, zu Schreikrämpfen, neigte- nein. Sie zog sich in ihr Innerstes zurück.

Dahin, wohin keiner ihr folgen konnte.
 

Ihr schlimmster Alptraum war Realität geworden.
 

„Ai…?!“

Yukiko ging zu ihr hin, kniete sich nieder, berührte ihre Schulter. Fast traumwandlerisch schüttelte sie die Hand der Frau ab, schien es selber gar nicht zu merken, was sie tat.

Agasa war nun auch herangetreten, packte seine kleine Mitbewohnerin an den Schultern.
 

„Ai? Ai!“

Er schüttelte sie.

Sie reagierte auch weiterhin nicht.
 

Warum bin ich damals nicht an dem Gift gestorben… warum passiert mir das? Warum passiert ihm das… Warum hab ich an dem Gift weitergeforscht, das war ein Fehler, ein Fehler! Ein Fehler…
 

Ein einzelne Träne rollte ihr über die Wange.
 

Akemi… ich hab Fehler gemacht… so viele Fehler. Du hast nie solche Fehler gemacht, nicht wahr? Du warst fehlerlos…
 

Yusaku stand daneben, schaute die Kleine mitfühlend an. Dann wanderten seine Augen nach unten, zu seinem Sohn, der neben ihm stand und Ai mit einem sonderbaren Blick ansah.

„Shinichi… kannst du es ihr nicht verzeihen…?“
 

Conan drehte den Kopf hoch, schaute kurz ins Gesicht seines Vaters, schluckte schwer. Dann ging er los, kletterte auf die Couch und packte Ai mit beiden Händen, zog sie an sich und hielt sie fest. Kurz sträubte sie sich, dann gab sie nach.

Kehrte zurück, in diese Welt, die es so schlecht mit ihr meinte.

Zurück in die bittere Realität.

Zurück zu ihm.

Ihm, mit dem sie ihr Schicksal teilte, mit dem sie Freundschaft verband- aber nicht mehr.
 

Warum tust du das…?
 

Ihr Blick wurde wieder klar.

Er drückte ihren Kopf gegen seine Schulter, strich ihr übers Haar.

Sie ließ sich fallen, stumm rannen ihr die Tränen über ihre Wangen.

Genoss das Gefühl von Sicherheit, dass ihr nur einer geben konnte.

„Ich hab Angst.“

Ihre Stimme war nicht mehr als ein Wispern.

„Ai.“, murmelte er leise.

„Ich hab solche Angst. Solche — Angst. Und keiner ist da…“

Er schluckte betroffen, atmete tief durch.

„Ai, du weißt, ich liebe Ran. Aber ich hoffe auch, du erinnerst dich daran, was ich dir mal versprochen habe. Ich werde immer für dich da sein und dir helfen. Ich werde immer dein Freund sein, du kannst dich auf mich verlassen. Aber ich hoffe, dass ich mich im Gegenzug auch auf dich verlassen kann.“

Sie drehte den Kopf, schaute ihn aus tränennassen Augen an.

„Lüg mich nie wieder so an, Ai. Nie wieder. Du darfst mir das nicht antun, nicht, wenn es um Ran geht.“

Sie nickte nur, schniefte.

„Ich versprech’s.“

„Gut. Dann vergessen wir die Sache jetzt.“

Conan seufzte, zog ein sauberes Taschentuch aus einer Hose und wischte ihr damit die Tränen aus dem Gesicht.

„Es wird schon alles gut werden. Du brauchst dir keine Sorgen machen.“

Er drückte ihr das Papiertaschentuch in die Hand, rutschte vom Sofa.
 

„Kein Wort davon zu Ran. Vorerst.“
 

Alle nickten.
 

„Ich muss nachdenken…“

Damit ging er zur Tür, war schon halb draußen, als Ai ihn zurückhielt.

„Shinichi?“
 

Er drehte sich um, schaute sie nur abwartend an.

„Danke…“, flüsterte sie.

…dass du mein Freund bist.
 

Er lächelte scheu, dann ging er nach oben, in sein Zimmer.
 


 

Conan ließ sich auf sein Bett fallen.

Das war eine Katastrophe.

Eine Katastrophe. Ein Desaster.

Eine Katastrophe.
 

Der Super-GAU.
 

Schlimmer hätte es eigentlich nicht kommen können.

Gin, ausgerechnet Gin, hatte ihn gesehen.
 

Warum zur Hölle war er mit ihr nur in den Park gegangen…
 

Weil es romantisch war…? Nur deshalb?

Er stöhnte auf, massierte sich die Schläfen.
 

Das hält man ja im Kopf nicht aus…
 

Und was hatte Sharon vor? Was bezweckte sie? Was sollte das alles bedeuten, dieser Film, diese Einladung, diese Warnung heute Nachmittag… wollte sie ihn wirklich warnen?

Konnte er ihr vertrauen?
 

Was hast du vor? Wohin führt das alles?
 

Er musste etwas tun, das wusste er. Es musste etwas geschehen, es wurde Zeit, dass er den ersten Schritt machte, sonst tat ihn jemand anderes- und das könnte verheerende Folgen haben.
 


 


 

Ayumi schaute Genta und Mitsuhiko stumm an.

Es hatte gedauert. Sie war sich unsicher gewesen, hatte Gedanken gewälzt, nachts schlecht geschlafen.
 

Sie hatte lange mit sich gerungen, wann und wo und ob sie ihnen jetzt doch überhaupt erzählen sollte, was sie gehört hatte.

Sie hatte sich Conan und Ai gegenüber wie immer verhalten- und registriert, dass Conan ihr gegenüber ausgesucht freundlich war. Man merkte, er war gern mit Kohana zusammen- aber die beiden zeigten das nicht mehr so öffentlich.
 

Sie war schon fast soweit gewesen, die Sache zu vergessen.

Bis Genta und Mitsuhiko angefangen hatten, zu fragen.

Warum sie so blass war, in letzter Zeit. So müde.

Warum sie mit Conan, Ai und Hana nicht mehr einfach plauderte, oder spielte.

Warum sie nicht mehr so fröhlich war.

Nicht mit zum Professor kam.
 

Was mit ihr los war.
 

Und sie hatte nicht lügen können- und sich letztendlich zu diesem schwerwiegenden Schritt entschlossen.

Sie hatte sie beiseite genommen, nach der Schule- und es ihnen gesagt. Mit leisen Worten, flüsternd, zögernd und langsam hatte sie für die beiden jenen Abend rekapituliert.
 

„Und du bist dir absolut sicher?“

Mitsuhikos Stimme klang zweifelnd. Genta hielt kurz inne, sein Eis, dass er sich nach der Schule gekauft hatte, das erste, dieses Jahres, wie er sagte, zu schlecken, schaute sie ebenfalls fragend an.

„Ja. Ich habs genau gehört. Conan ist in Wirklichkeit Shinichi Kudô- und Ai… Ai heißt eigentlich Shiho Miyano. Die Rede war von einer gewissen Organisation…“
 

„Der Shinichi Kudô? Der Schülerdetektiv? Der, der verschwunden ist? Rans Freund? DER Shinichi Kudô?!“

Mitsuhiko war immer lauter geworden. Seine Stimme zitterte vor Erfurcht vor diesem Namen, seine Augen waren groß, blickten ungläubig auf seine Freundin.

Shinichi Kudô?!?

„Ja.“

Ayumi nickte schüchtern.

Genta verschluckte sich und begann zu husten. Mitsuhiko klopfte ihm gedankenversunken auf den Rücken, bis der Erstickungsanfall seines Freundes abebbte.
 

„Na, kein Wunder, dass Conan alle Fälle löst- Shinichi ist brillant. Der Sherlock Holmes des neuen Jahrtausends… Wahnsinn… Wahnsinn!“
 

Seine kleine Freundin schaute ihn ein wenig tadelnd an.

„Aber er hat uns angelogen. Und Ai auch.“

„Hmmmm… tja. Da hast du Recht…“

Dann wurde er durch ein lautes, schmatzendes Geräusch unterbrochen - Genta schleckte weiterhin geräuschvoll seine Eiskrem.

„Hmpf.“

Mitsuhiko warf ihm einen tadelnden Blick zu.

„Wie viel Eis willst du eigentlich noch essen, Genta?“

„Lass mich doch. Und außerdem isses das erste.“

Damit schleckte er weiter. Mitsuhiko warf ihm einen genervten Blick zu.
 

Ayumi schaute von einem zum anderen.

„Und, was sollen wir jetzt machen?“
 

„Ihn drauf ansprechen. So geht es nicht weiter.“

Mitsuhiko klang bestimmt. Genta schaute ihn skeptisch, Ayumi bewundernd an.

„Und wann?“

„Morgen Abend. Bis dahin können wir uns noch überlegen, was wir sagen.“

Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Augen.
 

Ayumi und Genta nickten zustimmend.

Frage und Antwort

Aloha!
 

*schwitz*

Sagt mal, ist es bei euch auch so warm…? Da muss man echt aufpassen, dass man nicht wegschmilzt *g*
 

Nun- ich muss mich an dieser Stelle wohl ganz besonders bedanken- im letzten Kapitel haben wir die 200-Kommentar-Marke überschritten- als ich letztes Jahr, am 19.07. 2007 angefangen habe, hier meine ‚literarischen Ergüsse’ zu publizieren, dachte ich nicht mal im Traum daran, dass es mal soweit kommt. Ich danke euch so sehr- ich danke für Lob und Kritik, denn beides ist unglaublich wertvoll für mich. Das eine spornt an- das andere macht mich besser :)

*verneig*
 

So- mal schauen, was ich nächsten Monat zum Jubiläum mach. Ich hab noch gar nicht dran gedacht *g*
 

Ansonsten- holt euch was zu trinken, lehnt euch zurück- viel Vergnügen beim Lesen wünsche ich, und verbleibe bis nächster Woche eure
 

Leira :D
 

PS: Es ist Halbzeit, Leute!
 

_______________________________________________________________________
 

Er stand da, betrachtete sein Bild im Spiegel.

Das Gesicht eines Grundschülers schaute zurück.
 

Conan Edogawa.
 

Keinen anderen Menschen auf dieser Welt hasste er so sehr wie diesen kleinen Jungen.
 

Er war die Nacht über bei seinen Eltern geblieben, hatte Ran angerufen, dass er nicht nach Hause kommen würde. Sie hatte ein wenig komisch reagiert, sie hatte wissen wollen, warum er nicht nach Hause kam- er hatte daraufhin aufgelegt. Er wollte nicht lügen, also legte er auf.

Und war geblieben.
 

Er konnte ihr nicht sagen, was passiert war, noch nicht. Zuerst musste er es für sich verdauen, selber verarbeiten, einen Weg zur Lösung diese Problems finden.
 

Fast die ganze Nacht über hatte er wach gelegen und nachgedacht- erst als der Morgen graute, erbarmte sich Hypnos seiner und senkte den Schleier des Schlafes für zwei, drei Stunden über ihn. Der Tag gestern hatte ihn sehr aufgewühlt, mehr, als er sich eingestehen wollte.

Mehr, als er irgendjemandem eingestehen wollte.
 

Der Besuch von Vermouth…
 

Als er sie gestern stehen sah, vor seiner Haustür, als er mit Agasa und Ai, von denen er sich die neuesten Schritte bei der Forschung nach einem Gegengift erklären hatte lassen, zu sich nach Hause gekommen war- hatte sein Herz einen Schlag ausgesetzt.

Es war ein Schock gewesen, ohne Frage. Er hatte sich zwar gleich wieder im Griff gehabt, aber nichtsdestotrotz…
 

Er seufzte, ließ sich mit dem Kopf gegen den Spiegel sinken, atmete aus- beobachtet, wie die Scheibe beschlug, um gleich wieder klar zu werden. Dann lehnte er sich wieder zurück, angelte nach der Zahnbürste und der Tube mit der Zahncreme, drückte einen Streifen der grünweißen Paste auf die Borsten und begann gedankenverloren, seine Zähne zu putzen.
 

Während all den Stunden, in denen er wach gelegen hatte, hatte er keine Lösung für sein Problem gefunden. Stattdessen… stattdessen war in ihm die Angst gewachsen.
 

Angst um Ran.

Er hielt inne, blinzelte sein Spiegelbild an. Langsam zog er die Bürste aus dem Mund.

Was hatte er ihr eingebrockt?
 

Okay- Gin suchte nach Ran und Shinichi, nicht nach Kohana und Conan- aber wie lange noch? Wie lange noch..?

Der Mann war gerissen, das wusste er. Er war intelligent, grausam und skrupellos.

Eine höchst gefährliche Mischung.
 

Er schob sich die Zahnbürste wieder zwischen die Zähne, schrubbte weiter.
 

Gin.

Der Mann war ihm nicht geheuer.

Früher oder später würde der große Blonde herausfinden, was mit Shinichi, Shiho und Ran passiert war, dessen war sich Conan sicher.

Früher oder später würde er ihr Geheimnis lüften, und dann würden sie sterben.

Er würde nicht eher ruhen, bis er sie zur Strecke gebracht hatte.
 

Er spuckte Zahnpastaschaum aus, spülte seinen Mund aus und rutschte vom Becken.
 

Das konnte doch nicht wahr sein. Zu jedem Problem musste es doch eine Lösung geben. Es musste einfach einen Ausweg geben…

Leider würde das Gegengift von Ai noch ein wenig dauern. Sie hatte zwar ein paar viel versprechende Ansätze gefunden, aber welcher der Richtige war… und selbst wenn sie wieder die Alten wären, was kam dann? Was kam dann…?
 

Sie wären in noch größerer Gefahr.

Also klein bleiben…
 

Und immer wieder hatten sich seine Gedanken um eine einzige Frage gedreht: sollte er Ran sagen, was Sache war, oder nicht?

Ja, oder nein?

Er wollte es nicht, weil er befürchtete, dass sie dann vor Sorge und Angst kein Auge mehr zu tun könnte…

Allerdings- sie im Unklaren zu lassen wäre gefährlich für sie. Wenn sie wusste, dass die Lage sich zuspitzte, sich bereits zugespitzt hatte- dann würde sie vorbereitet sein. Sie würde auf sich Acht geben, vorsichtiger sein.
 

Er wusste nicht, was er tun sollte.

Alles in ihm sträubte sich dagegen, aber war es nicht unverantwortlich, sie noch länger im Unklaren zu lassen?

Doch wenn er es ihr sagte- dann musste er es ihren Eltern auch sagen. Und unter Umständen sogar Sonoko.
 

Er hatte gewaltigen Mist gebaut- und wenn er nicht wollte, dass es unter Umständen noch schlimmer wurde, wurde es Zeit, Klartext zu reden.

Er konnte sie doch nicht ins offene Messer laufen lassen…

Aber war das die richtige Entscheidung? Wie würden sie sich verhalten? Würde Ran nicht außer sich sein vor Angst- würde man ihr das nicht ansehen, würde sie sich nicht dann durch ihre eventuelle Schreckhaftigkeit gewisse Leute auf sich aufmerksam machen?
 

Also nichts sagen?
 

Unwillig streifte er sich einen Pullover über und schlüpfte in seine Jeans.

Diese Ausgangssituation passte ihm gar nicht. Es sah fast so aus, als wäre er derjenige, der beim Poker mit dem FBI zuerst all in gehen würde.

Er setzte seine Brille auf und verließ das Badezimmer.
 

Er hasste das.
 

Am Küchentisch fand er seine Eltern beim Frühstücken. Sein Vater war in seine Zeitung vertieft, seine Mutter war gerade dabei, den Kaffee in eine Thermoskanne umzuschütten, als er den Raum betrat.

Es raschelte, als sein Vater die Zeitung ein wenig flacher hielt, um über den Rand hinweg einen Blick auf seinen Sohn zu werfen, der gerade einen Küchenstuhl erklomm.
 

„Du siehst furchtbar aus.“

Conan warf ihm über seine Brille hinweg einen schrägen Blick zu.

„Schlecht geschlafen.“
 

„Kann ich mir denken. Und was wirst du jetzt tun?“

„Es Ran sagen. Und ihren Eltern. Oder nicht? Ich weiß es nicht…“

Seine Stimme klang hilflos.
 

Yusaku legte seine Zeitung beiseite, schaute seinen Sohn nachdenklich an. Die Sorge stand ihm nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben.

Conan seufzte schwer, nahm seiner Mutter dankend eine Tasse Kaffee ab, aus der er erst einen großen Schluck nahm, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

„Wer weiß, wie lange die von der Organisation noch brauchen, herauszufinden, welche Wirkung APTX 4869 noch haben kann. Es kann noch Jahre dauern, oder sie könnten es morgen wissen. Aber sicher ist, wenn sie es dann festgestellt haben- dann wissen sie sofort, wer wir sind. Shiho ist wohl die erste, die ihnen auffallen würde- dann ich, nachdem Gin mich ja gesehen hat – und Conan Edogawa nun doch auch ein paar einschlägige Schlagzeilen gemacht hat. Und die nächste, die ihnen in den Sinn kommen wird, ist Ran, weil sie dabei war- im Vergnügungspark, und im Beika-Park. Und nicht zu vergessen, sie war diejenige, die Gin bei den Mänteln in der Umkleide gesehen hat. Er wird nicht lange brauchen, um herauszufinden, dass es sich bei dem kleinen Mädchen, dass bei Môri wohnt, um seine eigentlich schon achtzehnjährige Tochter Ran handelt. Es wäre verantwortungslos von mir, ihnen das nicht zu sagen. Ich kann sie nicht blind ins Messer laufen lassen. Erst Recht nicht, wo es doch meine Schuld ist, dass es soweit überhaupt gekommen ist.“
 

Er stöhnte auf, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und durch die Haare, was sie noch weiter zerzauste, als sie ohnehin schon waren.

„Aber wenn ich es ihr sage- was tu ich ihr an damit? Sie wird in Panik verfallen, nicht mehr schlafen können, sich nicht mehr auf die Straße trauen und keine ruhige Minute mehr haben. Sie wird sich nicht nur um ihr Leben fürchten, sondern auch um meins, um Ais, um Sonokos, um das ihrer Eltern und eures- kann ich ihr das zumuten? Wird sie sich durch ihre Angst nicht viel eher verraten als durch Unwissenheit?“
 

Yusaku lehnte sich zurück, legte seine Hände vor sich auf den Tisch.

„Du kennst sie besser als ich. Das musst du entscheiden. Aber so wie du die Sachlage schilderst, wäre es wohl das Beste, du lässt es, so wie es ist. Noch ist die Gefahr zwar drohend, aber nicht akut. Du kannst sie immer noch informieren, wenn sich etwas ändert. Bis dahin musst du sie im Auge behalten. Und ich werde auch meine Augen offen halten, du kennst mich. Deine Mutter und ich können auf uns aufpassen.“
 

Conan schaute ihn an.

Und zum ersten Mal seit gestern Abend wich die Angst, die ihn bis gerade in ihren kalten Fängen gefangen hatte, ein wenig.

Es tat gut, mit jemandem zu reden. Es tat gut zu wissen, dass er mit seinem Vater reden konnte.

„Gibt es noch etwas, was du tun könntest?“

Yusaku nahm seiner Frau dankend ein belegtes Brötchen ab und biss hinein, kaute bedächtig, als er auf die Antwort seines Sohnes wartete.

„Ich könnte das FBI in alles einweihen, was ich weiß. Ich wollte das zwar eigentlich nicht tun, weil sie mir ja auch nicht alles sagen, was sie wissen… aber momentan ist wohl nicht unbedingt die richtige Zeit für falschen Stolz.“
 

Yusaku leerte seine Kaffeetasse, schaute seinen Sohn nachdenklich an.

„Woher hast du Kontakte zum FBI?“, fragte er schließlich.

Conan hob den Kopf.

„Miss Jodie Saintemillion, Rans ehemalige Englischlehrerin, ist eine Agentin, Jodie Starling. Wir erfuhren das allerdings erst später. Und James Black, dem die Detective Boys und ich mal über den Weg gelaufen sind, und ihn aus einer Verwechslungsgeschichte mit Entführung gerettet haben, ist ihr Chef, wie sich herausgestellt hat. Zusammen mit Shuichi Akai, den Ran damals in NewYork getroffen haben muss, denn sie sagte mal, er kommt ihr von damals bekannt vor, sind sie derzeit in Tokio. Und sie haben ebenfalls herausgefunden, wer ich bin. Und wer Ai ist. Sie bearbeiten den Fall mit der schwarzen Organisation schon eine Weile… und wollten nun wissen, was ich weiß, deshalb haben sie mich gestern mal abgefangen. Ich hab ihnen noch nicht alles verraten, was ich weiß… aber ich sollte es wohl doch tun …“
 

„Du steckst in gewaltigen Schwierigkeiten.“, bemerkte Yusaku lakonisch.

„Ich weiß.“

Conan verzog verärgert das Gesicht. Als ob er das nicht selber wusste.

Dann trank er seinen Kaffee aus, wollte die Küche verlassen, als sein Vater ihn zurückhielt.

„Shinichi...?“

Der kleine Junge drehte sich um, zog eine Augenbraue fragend in die Höhe.

„Tu nichts Unüberlegtes.“

„Hm.“
 

Damit verließ er die Küche, zog sich an und ging außer Haus.

Er musste zu Ran.
 

Und er fragte sich, ob sein Vater seine Gedanken lesen konnte.
 

Genauer gesagt, einen Gedanken.
 

Nämlich den, Gin und den Rest der Truppe zu finden, bevor dieser ihn fand.
 


 


 

Ran schaute ihn in der Tat nicht nur etwas missmutig an, als er bei ihr aufkreuzte.
 

„Sag mal, geht’s dir noch gut?! Wie kannst du mir einfach auflegen…?“, setzte sie an, hielt dann aber inne, als sie sein ernstes Gesicht bemerkte.

„Shinichi?“

Er schüttelte den Kopf, dann drückte er sie sanft nach drinnen, zog hinter sich die Tür zu.

„Frag nicht.“

Er versuchte, zu lächeln.

Sie starrte ihn an.

Conan sah ihr an, wie sie mit sich kämpfte. Die eine Ran wollte in mit Fragen löchern- die andere akzeptierte seine Bitte.

Er seufzte, streckte fast zögernd die Hand aus, strich ihr sanft über die Wange. Sie schmiegte ihr Gesicht in seine Hand.
 

„Ran, erinnerst du dich an dein Versprechen? Dass du wegläufst, wenn du einen von ihnen siehst, dass du dich in Sicherheit bringst, wenn du dir eine Person auch nur verdächtig vorkommt?“

Ran schaute ihn perplex an. Ihre Wut war verflogen- stattdessen machte sich ein mulmiges Gefühl in ihr breit. Irgendetwas war passiert, und er wollte es schon wieder nicht sagen.
 

Warum vertraust du mir nicht? Oder besser- warum traust du mir nichts zu…?
 

Dann seufzte sie und nickte geschlagen.

„Ja. Ich erinnere mich daran.“

Wie könnte ich auch nicht, dachte sie.

„Gut. Vergiss es nicht.“

Damit stellte er sich auf die Zehenspitzen, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging in Kogorôs Zimmer, sperrte hinter sich zu.
 

Ran starrte ihm konsterniert hinterher. Einerseits rührte sie seine Fürsorge- andererseits spürte sie ganz deutlich, dass etwas im Argen lag. Dass etwas Schlimmes passiert war. Dass Gefahr drohte.
 

Und er wollte es ihr offensichtlich schon wieder nicht sagen.
 

Immer wollte er sie aus allem raushalten. Dass das langsam nicht mehr ging, und ihm nicht unbedingt gut tat, sah er nicht ein- oder wollte es einfach nicht einsehen.

Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und seufzte schwer.

Sie liebte diesen Kerl.

Also musste sie wohl warten, bis er von alleine rausrückte mit dem, was auch immer ihm auf dem Herzen lag.

Noch einmal hinter seinem Rücken ausspionieren, herausfinden, was er vor ihr verheimlichte, wollte sie nicht. Er hatte wohl seine Gründe dafür, dessen war sie sich sicher. Auch wenn sie sich nicht wohl fühlte, wenn sie nicht wusste, was mit ihm los war.
 


 

Conan zog ein kleines Kärtchen aus seiner Hosentasche.

Jodies Handynummer.

Er schaute sie skeptisch an, dann fischte er sein Handy aus seiner Westentasche und tippte die Nummer ein, wartete…

Das Freizeichen ertönte.
 

Er wartete…

Und wartete.

Gerade, als er wieder auflegen wollte, ihm das Tuuuut- tuuuut des Freizeichens zu dumm wurde, hob sie ab.
 

„Jodie Starling?“

Ihre Stimme klang freundlich.

Conan schluckte. Sein Hals war auf einmal seltsam trocken, sein Mund fast wie ausgedörrt.

„Hallo? Wer ist da?“

Sie hörte sich ein wenig ungeduldig an.
 

„Ich bin’s.“, sagte er dann in den Hörer.

„Conan Edogawa…“
 

Nun hörte er seinerseits nichts als Stille in der Leitung.
 

„Cool kid?!“

Das Erstaunen in ihren Worten war deutlich zu hören.

„Oder so.“, seufzte der kleine Junge.

„Hören Sie-,“ fuhr er dann fort, ließ ihr keine Zeit zum Reagieren.

„Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen. Ob nur mit Ihnen oder ob Ihre werten Herrn Kollegen auch mitkommen wollen, ist mir egal. Es… es gibt da noch ein paar Dinge, die ich Ihnen in Anbetracht der Situation erzählen will.“

Er schluckte.

„In Anbetracht welcher Situation?“, hakte Jodie nach.

„Das sage ich Ihnen, wenn wir uns sehen. Also, wann hätten Sie Zeit?“

„Sagen wir, in zweieinhalb Stunden im Café, wo wir uns das letzte Mal getroffen haben?“

„Schön. Ich werde da sein.“
 

Damit hängte er ein und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.

Zweieinhalb Stunden- damit hätte er noch Zeit, etwas anderes zu tun…

Er verließ das Schlafzimmer.

Der Gang war leer- Ran war in ihrem Zimmer, band sich ihre Haare zu einem Pferdeschwanz.

Er blinzelte, schaute sie überrascht an.
 

Sie drehte sich um.

„Oh. Sieht’s nicht gut aus? Soll ich sie offen lassen?“

„Musst du wissen. Es sieht nicht unbedingt schlecht aus- nur… ungewohnt. Aber wenn du mich fragst- offen stehen sie dir besser.“

Er lächelte.
 

Wie schön, dass es auch noch so banale Dinge im Leben gab.
 

Sie zog den Haargummi wieder aus ihrer braunen Mähne.

„Ich treff mich gleich mit Sonoko. Willst du mitkommen?“

Sie schaute ihm genau ins Gesicht, versuchte, irgendetwas zu lesen, was ihr Aufschluss über seinen Gemütszustand geben konnte. Erfolglos.

Sie stöhnte innerlich auf. Im Gegensatz zu vorhin hatte er jetzt ein wahres Pokerface aufgesetzt.

„Nimm’s mir bitte nicht übel, aber… nicht wirklich. Ich muss noch etwas recherchieren. Ich wünsch euch aber viel Spaß.“

Er grinste breit.
 

Dann wurde er schlagartig ernst. Und da war es, der Ausdruck von Sorge, der sich in seinen Augen spiegelte. Ran sah ihn sofort.

„Aber pass auf dich auf, ja?“

Er ging zu ihr, nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.

„Bleib bei Sonoko, geh nirgendwo alleine hin…“

Sie ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken.

„Willst du mir nicht sagen, was passiert ist…?“

Er schloss kurz die Augen, atmete tief durch. Roch den Duft ihrer Haare, spürte die Wärme ihres Körpers- dann ließ er sie los, schob sie auf Armeslänge von sich weg, lächelte sie an.

„Es ist nichts. Nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen müsstest. Ich will nur, dass du auf dich acht gibst, dass ist alles. Schließlich bist du jetzt ein kleines Kind… Kinder sind viel mehr Gefahren ausgesetzt als Erwachsene…“

Conan streichelte ihr eine Strähne aus dem Gesicht, dann ging er nach unten in die Detektei, setzte sich an den Computer- und begann mit seiner Suche. Und sie stand oben, und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie kurz er gerade davor gewesen war, es ihr doch zu sagen.
 

Er suchte das Telefonbuch- und dann die Gesellschaftsneuigkeiten. Klatsch, Tratsch und Gerüchte.
 

Als Ran kurz darauf ihren Kopf hereinstreckte und sich von ihm mit einem Winken verabschiedete, hob er den Kopf und winkte zurück. Dann widmete er sich ungestört seiner Recherche.

Er suchte Chris Vineyards Aufenthaltsort. Er ahnte, dass das kein leichtes Unterfangen werden würde- aber irgendwo musste man ja schließlich anfangen. Nach einer guten Stunde füllten sieben Namen von Tophotels samt Adresse und Telefonnummern einen kleinen Zettel. Zwei davon waren durchgestrichen. Er hatte sich erlaubt, einfach mal alle Adressen zu streichen, von denen er in den Klatschspalten gelesen hatte. Er schätzte, dass diese Adressen, diese Hotels, in die sie so offensichtlich eingecheckt hatte, nur zur Tarnung und zur Verwirrung der Presse dienen sollten. Dass sie da tatsächlich wohnte, war eher unwahrscheinlich. Zu groß war die Gefahr, dass sich ein übereifriger Reporter als Page oder eine Journalistin als Zimmermädchen ausgab und von ihrer Doppelidentität Wind bekam.
 

Nein.

Sie wohnte woanders.

Und wenn sie wirklich in einem Hotel wohnte, was er hoffte, dann blieben nur noch fünf der gehobenen Klasse übrig. Wenn sie da nirgendwo residierte, musste er halt wieder von vorne anfangen.
 

Er seufzte, faltete seinen Zettel zusammen, schaltete den PC aus und hüpfte vom Stuhl. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg zu seinem Date machte.
 

Eine halbe Stunde später saß er zusammen mit Jodie an einem am Fenster in der hintersten Ecke des Lokals.

Sie hatten die Bestellungen schon aufgegeben, und nun schwiegen sie sich erst einmal an.
 

Nachdem die Bedienung ihm mit einem fragenden Blick seinen Kaffee vor die Nase stellte, den er gekonnt ignorierte, und auch Jodie ihre Torte und ihren Cappuccino vor sich stehen hatte, brach er schließlich das Schweigen.

„Kommen Black und Akai auch, oder hatten die etwas Besseres zu tun?“

Jodie, die gerade ein Stück Torte auf die Gabel geschaufelt hatte, hielt inne.

„James lässt sich entschuldigen, er muss eine Videokonferenz mit der Zentrale noch zu Ende halten, er meinte aber, er kommt eine halbe Stunde später, wir sollen unbedingt warten, bis er auch da ist. Aber Shuichi dürfte eigentlich jeden Moment kommen.“
 

Conan nickte, nahm dann einen Schluck Kaffee.
 

„Dann warten wir eben noch ein wenig…“
 


 

Ran saß mit Sonoko in einem Eiscafé und aß ihren ersten Eisbecher dieses Jahres.

Und zwar einen Kinderbecher.

Gemäß seiner Vorschriften benahm sie sich wie ein kleines Kind.
 

Vorbildlich, Ran.
 

Sie grinste ironisch- dann schaute das kleine Mädchen missmutig auf Sonokos Traum aus Erdbeer- und Vanilleeiskugeln, die auf einem Bett aus vielen süßen, frischen Erdbeeren lagen, das Ganze gekrönt mit einer formvollendeten Sahnehaube, übergossen mit Erdbeersirup und locker bestreut mit Schokoladenraspeln.

Sie stöhnte auf.

Ihre Augen wanderten auf das Gebilde vor sich- missvergnügt stierte sie auf ihre einzige, große Schokoladeneiskugel, der man eine Eistüte als Hut aufgesetzt hatte, und die sie aus farbigen Schokolinsenaugen (ein rotes und ein grünes) fast schon spöttisch anschaute. Der Mund, den ihr ein verspielter Eisdielenmitarbeiter aus Schokoladensauce gemalt hatte, verzog sich langsam nach unten als sich der Sirup der Schwerkraft beugte- und verlieh der Eiskreation damit ein fast dämonisches Grinsen. Daneben hatte man ein kleines Sahnehäubchen gespritzt.
 

Langsam verstand sie, warum er das alles so sehr hasste.
 

Dann nahm sie ihren Eislöffel zur Hand und stach der Fratze ein Auge aus. Gedankenverloren schob sie es sich in den Mund, ließ das Eis auf der Zunge zergehen und genoss, trotz aller Unzufriedenheit, den schokoladigen Geschmack, der sich in ihrem Mund ausbreitete. Es knackte leise, als sie die Schokolinse zerbiss. Sie blickte wieder auf.

Und erst jetzt fiel ihr Sonokos starrer Blick, sowie die Tatsache, dass sie ihren Eisbecher noch gar nicht angerührt hatte, auf.

Sie blickte sie mit ihren großen Augen fragend an.
 

„Sonoko? Was ist?“

Das blonde Mädchen schüttelte den Kopf, um sich wieder auf ihre Freundin zu konzentrieren. Sie öffnete den Mund- dann schloss sie ihn wieder, schien nach Worten zu suchen.

„Wie hältst du das aus?“, fragte sie dann ernst.

Ran schob sich den nächsten Löffel Eis in den Mund.

„Was meinst du?“

Sie wusste, die Frage war eigentlich überflüssig. Sie konnte sich denken, was sie meinte.

„Na, dass du…“

Sonoko beugte sich vor.

„… dass du… na das halt… du weißt schon, was ich meine…“

Ran seufzte.

„Ja, ich fürchte, ich weiß, was du meinst.“

Sie löffelte das zweite Auge aus dem Schokoladengesicht. Dann steckte sie sich den Löffel in den Mund, und wartete, bis das Eis völlig geschmolzen war, bevor sie ihn wieder herauszog. Zurück blieb die Schokolinse auf ihrer Zunge.
 

Süß…
 

Sie lutschte ein wenig daran herum, dann schob sie sie mit ihrer Zunge zu ihren Backenzähnen und biss zu. Es krachte, als die Zuckerhülle um die durch die Wärme in ihrem Mund flüssig gewordene Schokolade zerbarst.

Ran schaute Sonoko gedankenverloren an, schmeckte, wie die flüssige Schokolade ihr Aroma entfaltete, dann schluckte sie runter.
 

„Ich weiß es nicht. Und bevor du fragst- ich weiß auch nicht, wie er es aushält.“
 

Sie seufzte.

„Manchmal denke ich, ist es gar nicht so schlimm. Das Leben als Kind hat viele Vorteile. Man muss sich um fast nichts kümmern, die Schule ist ein Witz, irgendwie macht das Kindsein auch Spaß… und nicht zu vergessen- dadurch, dass ich jetzt genauso alt bin wie er, sieht uns keiner mehr schief an, wenn wir Händchen halten.“

Sie lächelte verhalten.

„Okay, gut. Vorher hat uns auch keiner schief angesehen. Aber sobald ich wusste, wer er war, wer Conan wirklich war- konnte ich nicht einfach so seine Hand halten. Es ging nicht mehr. Ich wusste, wer er war, dass er der war, den ich liebte, dass er mich liebte- und ich wusste, wie er aussah. Sah den jungen Mann- und das Kind. Ich kam mir seltsam vor, ihn als Kind an der Hand zu halten. Es ging so vieles nicht. Irgendwie dachte ich, dass nun alle Welt glaubt, ich wär in ein Kind verknallt. Was ich ja irgendwie auch war.“

Sie stöhnte auf.

„Nun- wie dem auch sei. Jetzt sind wir gleich groß, ich kann ruhigen Gewissens nach seiner Hand greifen, mich festhalten- und keiner kann sich im Entferntesten dran stören. Die Leute finden uns niedlich.“

Sie lachte kurz leise, gekünstelt auf- dann verschwand das Lächeln wieder von ihren Lippen.

„Dabei ist es das nicht. Es ist nicht niedlich. Es ist soviel mehr…“

Bei dem Gedanken nun schlich sich ein echtes, warmes Lächeln auf ihr Gesicht.

Sie nahm die Eiswaffel in die Hand und zerbrach sie, stippte ein Bruchstück in die Sahne und biss ab, kaute knirschend.

„Iss dein Eis, Sonoko, sonst zerläuft es.“

Die Angesprochene begann zu löffeln.

Eine Weile war es still- bis Sonoko erneut ihren Eislöffel beiseite legte, mit zusammengezogenen Augenbrauen ihre kleine Freundin musterte.

„Also hat es sich gelohnt? Vermisst du dein…“

Sie senkte ihre Stimme erneut.

„Vermisst du dein altes Leben nicht manchmal?“
 

Ran schaufelte mit der Waffel ein wenig Schokoeis auf und steckte es sich in den Mund.
 

„Du ahnst nicht, wie sehr. Aber ich weiß auch, wie sehr ich ihn vermissen würde.“

Dann lächelte sie traurig.

„Natürlich wünsch ich mir mein altes Leben zurück…“
 

Sie griff mit ihrem Löffel über den Tisch, klaute eine Erdbeere aus Sonokos Eisbecher und schob sie sich in den Mund, verdrehte genießerisch die Augen.

„Aber auf Shinichi will ich nicht verzichten.“

Sie lächelte bei dem Gedanken an Shinichi… an Conan- der nun endlich und endgültig ein und dieselbe Person für sie war.

Sonoko erwiderte ihr Lächeln, dann schaufelte sie sich einen weiteren Löffel Vanilleeis in den Mund.

„Also ist er es wert…?“
 

Ran schaute sie an, ihre Augen strahlten plötzlich.

„Ja, das ist er. Definitiv.“

Sonoko legte den Kopf schief, schaute sie zufrieden an. Genau so hatte sie sie immer schon sehen wollen.

Glücklich verliebt.
 

Dann riss sie ein leises Seufzen aus ihren Gedanken.

Ran schaute ein wenig betrübt ihre kleinen Hände, die vor ihr auf dem Tisch langen, an.

„Aber ich mach mir Sorgen um ihn. Er ist so ein schrecklicher Geheimniskrämer, will mich immer um jeden Preis von jeder Situation, von jedem Menschen, von allem, was mir nur im Entferntesten gefährlich werden könnte, fernhalten. Er verheimlicht mir schon wieder etwas, dessen bin ich mir sicher. Ich hab Angst, dass ihm etwas passiert. Ich hab Angst um sein Leben…

Aber ich kann ihn nicht zwingen, mir alles zu sagen, und ein zweites Mal ein Versprechen brechen und hinter seinem Rücken herum schnüffeln will ich nicht. Ich will unsere Beziehung nicht belasten, das Vertrauen, das er zu mir hat, nicht enttäuschen.“
 

Ran seufzte, löffelte frustriert Eis in sich hinein.

„Manchmal kann er so kompliziert sein…“

„Das sind alle Männer…“, murmelte Sonoko und begann ebenfalls, ihr Eis zu verzehren, bevor die kunstvolle Süßspeise in sich zusammenfiel. Dann hielt sie inne.

„Aber weißt du was, Ran?“

Ran sah auf.

„Nein, was?“
 

„Ich denke, er weiß schon, was er tut… irgendwann wird alles wieder gut werden, und ihr werdet euer altes Leben wiederkriegen…“

Sie grinste.

„Und dann könnt ihr ja da weitermachen, wo ihr an Weihnachten aufgehört habt…“

Ihr Grinsen wurde noch breiter.

„Sonoko!!!“, zischte Ran, wurde so rot wie die Erdbeeren im Eisbecher ihrer Freundin.

„Woran denkst du bitteschön schon wieder?!“

Doch als sie sich dem kümmerlichen Rest ihres Kinderbechers zuwandte, lag auch auf ihren Lippen ein Lächeln.
 


 

Conan sah nicht auf, als Akai sich setzte.

Er und Jodie hatten sich die letzten zwanzig Minuten nett übers Wetter und über die Einrichtung unterhalten- ein Musterbeispiel abgegeben, wie man vorbildlich Smalltalk machte.

Lehrbuchreif.
 

Als er sich nun setzte, verstummten sie beide. Sie redeten immer noch nicht, als eine vollschlanke Kellnerin sich durch Stuhlreihen kämpfte und seine Bestellung aufnahm.

Als sie ihm seinen schwarzen Kaffee brachte, war immer noch nicht ein Wort gefallen.

Conan setzte seine Kaffeetasse an die Lippen und trank den mittlerweile fast kalten Kaffee auf Ex aus, bestellte sich einen neuen. Die Bedienung warf ihm einen verstörten Blick zu, dann wanderten ihre Augen zu Jodie, die ihrerseits nickte.

Es war offensichtlich, dass sie sie, wenn auch nicht gerade für seine Mutter, dafür sah er viel zu asiatisch und sie viel zu amerikanisch, beziehungsweise europäisch aus, doch für seine Aufsichtsperson hielt.

Als sie von ihr das bejahende Nicken erhalten hatte, nickte sie ihrerseits, warf dem kleinen Jungen ein Lächeln zu und suchte sich dann ihren Weg durch das Meer der Gäste zurück zur Theke.
 

„Sie wissen schon, dass Sie das jetzt auch bezahlen müssen? Sie hält Sie für meinen Vormund, und die lassen ihre Schützlinge eher selten selbst bezahlen…“

Seine kindliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Er klang genervt, es störte ihn offensichtlich, dass er für eine zweite Tasse Kaffee die Erlaubnis eines Erwachsenen brauchte.

Als ob ihn Koffein umbringen würde…

„Hm?“

Sie drehte ihren Kopf, schaute ihm ein sein junges Gesicht und- bemerkte, was sie eigentlich schon viel früher hätte bemerken sollen. Sie blinzelte, schalt sich eine schlechte Agentin, dafür, dass ihrem doch eigentlich geschulten Blick dieses Detail entgangen war.
 

Es waren seine Augen. Es waren nicht die Augen eines Kindes.
 

„Wie viel Leid hast du schon erblickt…?“, flüsterte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Er stutzte- dann wandte er den Kopf ab, begann, die Passanten vorm Fenster zu beobachten.

„Wie viel Leid hast du schon ertragen…?“, fragte sie weiter.

„Wie viele tote Menschen, wie viele sterbende Menschen musstest du schon ansehen?“
 

Conan seufzte.

„Warum wollen Sie das wissen?“

Akai betrachtete ihn von der Seite.
 

„Weil man den Schmerz in deinen Augen sehen kann, cool kid…

Selbst wenn man dein wahres Alter weiß, ist die Qual, die darin zu lesen ist, viel zu viel für jemand so Junges wie dich…“
 

Erst jetzt wandte er ihr sein Gesicht wieder zu.

„Sie sagen es. Zuviel.“

Er legte seine Finger flach auf die Tischplatte, presste seine Handflächen gegen den kühlen Kunststoff.

„Ich hab sie gesehen, die Leichen- die Selbstmörder, die Ermordeten, die Unfallopfer… viele. Ich hab sie nicht gezählt. Aber ich hab nie irgendwelche Probleme gehabt, weil ich- weil ich mich zwar für sie interessierte, ich ihren Tod erklären wollte- aber ich habe das nie persönlich genommen. Ich hab es nie mein Leben bestimmen lassen. Ran hielt mich für kalt, abgestumpft, das zumindest warf sie mir an den Kopf- Fakt ist, ich war es nicht. Das nicht- war es nie- aber ich konnte umgehen damit. Und hätten Sie mich als den kennen gelernt, der ich war, dann hätten Sie mir wohl auch nichts angesehen. Ich konnte mit dem Tod leben. Bis…“

Er hielt inne, als ihm die Kellnerin seinen Kaffee vor die Nase stellte und ihm auf den Kopf tätschelte, bevor sie ging.

Und er ignorierte es. Schaute ihr nicht genervt nach, verdrehte nicht frustriert die Augen.

Er überging es einfach. Jodie staunte.

„Bis?“, hakte Akai nach.

„Bis das hier passierte. Bis ein Fall kam, der mich aus der Bahn warf. Bis ich begriff, dass hinter jedem Toten ein ganzes Leben steckt, nicht nur die paar Stunden, die reichten, um über seinen Tod zu entscheiden… und ich begriff, dass das Leben manchmal recht kurz sein kann, dass man nicht vorhersehen kann, wie schnell alles vorbei sein könnte. Ich meine, ich wusste das vorher auch- aber erst jetzt ist es mir in seiner ganzen Tragweite bewusst. Das Schicksal kann es auch mal schlecht mit einem meinen, ohne dass man versteht, warum. Das hier hat mich verändert. Ich musste meine Lektion auf die harte Tour lernen- aber ich wusste nicht, dass man mir das ansieht.“
 

Er hob den Kopf, lächelte ironisch.

„Ich weiß nicht, wie viele Tote es waren. Ich weiß nicht, wie viele Tragödien ich schon gesehen habe. Aber ich weiß, dass ich will, dass dieser Fall ohne Tote zu Ende gehen muss, dass das hier nicht zu einer Tragödie ausarten darf. Zumindest nicht zu einer noch größeren, als sie schon ist, und deswegen bin ich hier. Es sind Dinge passiert, die zu verschweigen sehr dumm von mir wäre- ich brauche Ihre Hilfe, deswegen sage ich Ihnen nun alles, was ich weiß.“
 

„Dann sprich dich ruhig aus, mein Junge.“

Alle blickten auf- alle, bis auf den kleinen Grundschüler.

James Black ließ sich ihm gegenüber neben Jodie auf einen Stuhl sinken.

„Mr. Sherlock Holmes.“

Conan lächelte.

Black reichte ihm ein kleines Diktiergerät, welches Conan einschaltete und in seiner Hemdtasche verschwinden ließ.
 

Dann begann er, nach einem kritischen Blick in die Gesichter seiner Zuhörer, zu erzählen.
 


 

Als er endlich nach Hause kam, fühlte er sich erleichtert und besorgt zugleich. Er war erschöpft, ausgelaugt- wollte jetzt nur noch nach Hause, etwas essen, mit Ran einen Film ansehen und in sein Bett fallen.

Oder auf seinen Futon, wohl eher.
 

Stattdessen musste er noch zuerst zu Ai, sie über die neuesten Entwicklungen informieren. Als der Professor ihm die Haustür öffnete, hörte er Kinderstimmen.
 

Neeeiiiin. Nicht doch. Nicht heute, geht nach Hause…
 

Er seufzte, holte sich aus der Küche ein Glas Wasser, ging dann ins Wohnzimmer, wo er sie um den Tisch versammelt fand. Alle, außer Hana- Ran war ja mit Sonoko unterwegs.

Sie spielten mit Ai eine Partie ‚Mensch ärgere dich nicht’, als er kam, sahen sie zuerst alle auf- dann, wie auf ein geheimes Zeichen erhoben sich Genta, Ayumi und Mitsuhiko.

Conan nahm einen Schluck Wasser, runzelte fragend die Stirn.

„Was ist los?“

Sie schwiegen ihn an. Ayumi schaute zu Boden, wippte vom Fußballen auf die Ferse, immer auf und ab; Genta starrte ihn an, ohne zu blinzeln, und Mitsuhiko knetete nervös seine Hände.

Er überlegte, und er war nervös.

Irgendetwas war los mit den dreien.
 

Ai stand auf, stellte sich neben Conan, schaute ihn fragend an. Er zuckte mit den Schultern. Sie konnte sich also auch nicht erklären, was los war.
 

„Ai. Conan.“, begann Genta nach einer Weile dann wichtigtuerisch, „wir, die Detective Boys denken, dass ihr uns eine Kleinigkeit über euch erzählen solltet. Wir hätten da mal eine Frage..."

Conan und Ai wechselten erstaunte Blicke.
 

„Die da wäre?“, hakte Ai nach. Conan trank einen weiteren Schluck Wasser.

Mitsuhiko wandte sich Conan zu. Er schien seine Nervosität langsam in den Griff zu kriegen.
 

„Du bist nicht der, der du zu sein scheinst. Dein Name ist Shinichi Kudô.“
 

Es klirrte, als das Glas den Boden traf und zerbarst. Conan hatte sein Wasser quer über den Teppich gespuckt, hustete, rang nach Luft.

Ai wandte sich zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, während er versuchte, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Als er sich wieder soweit gefangen hatte, dass er wieder reden konnte, schaute er ihnen nacheinander ins Gesicht.

„Wie- wie zur Hölle kommt ihr darauf? Shinichi Kudô ist fast erwachsen… ist euch schon mal aufgefallen, wie alt ich bin…?!“

„Du und Ai wurdet geschrumpft. Durch ein Gift. Von einer gewissen Organisation. Ai heißt eigentlich Shiho, und du bist eigentlich Shinichi.“

„Wie kommt ihr…“

Er wollte es leugnen. Alles abstreiten. Und fragte sich, wie zur Hölle sie an diese Informationen gekommen waren.
 

Ayumi schaute ihn an. In ihren Augen sammelten sich Tränen.

„Ich hab’s gehört, vorgestern beim Professor, meine Mama war noch nicht da, um mich abzuholen und die Tür war noch offen, also ging ich wieder rein, um mit Ai zu warten, und dann hab ich euch gehört, dich und den Professor und diese anderen Leute…“

Mitsuhiko lächelte triumphierend.

„Da hörst du’s. Abstreiten bringt nicht das Geringste! Gestehe!“

Conan wurde bleich.
 

Was geht hier ab… hört das denn nie auf? Zuerst sieht Gin mich mit Ran, dann hört Ayumi mich und das FBI…
 

Ai trat vor ihn. Ihre Haltung sprach von großer Entschlossenheit, ihre Schultern waren gestrafft, ihr Rücken gerade, ihr Kopf hoch erhoben.

„Ihr seid doch wahnsinnig. Das wollt ihr gar nicht wissen.“

Er merkte, wie seine Knie weich wurden, ließ sich auf das Sofa sinken.

Von dort schaute er von einem zum anderen, merkte, wie Ai sich neben ihn setzte.

„Doch wir wollen es wissen. Definitiv. Alles. Jetzt gleich. Also…?“

Mitsuhiko baute sich vor ihm auf.

Conan zog die Augenbrauen hoch.

„Sag mal, wie redest du mit mir…?“

„Du hast uns angelogen! Die ganze Zeit hast du uns angelogen! Wahrscheinlich hast du dich die ganze Zeit über uns lustig gemacht…! Und du warst unser Freund…! Und für dich gilt das Gleiche!“
 

Conan schluckte, schaute sie an.

Das war ein Desaster.

Eine Katastrophe.
 

Du hast ja Recht… ihr habt allen Grund, wütend zu sein…
 

Ai neben ihm war erstaunlich ruhig.

„Ganz genau. Nur den mittleren Teil würde ich streichen, das stimmt so nicht.“
 

Er fuhr sich müde übers Gesicht.

„Ai hat Recht. Wir beide haben euch belogen. Aber wir haben uns zu keiner Zeit in irgendeiner Weise über euch lustig gemacht. Hört zu, es ist wichtig, dass ihr das für euch behaltet- und jetzt geht ihr am besten nach Hause und versucht, das zu vergessen.“

Conan starrte auf den Boden, als er das sagte. Seine Stimme klang ernst.
 

Die drei starrten ihn mit offenen Mündern an. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit.

Nur nicht damit.
 

Er saß vor ihnen- und sie erkannten ihn kaum wieder. Irgendwie hatte die Art, wie er saß, wie er sprach, wie er sich verhielt, so gar nichts Kindliches mehr. Conan existierte nicht.

Als er aufsah, sahen sie in seinem Gesicht nur Bitterkeit.

Und es dämmerte ihnen, dass hier sehr viel mehr vor sich ging, als sie ahnten. Dass es hier nicht um Spaß ging, oder um einen dummen Streich.

Das hier war… ja, was war es?
 

Ayumi war die erste, die sprach.

„Wie ist das passiert? Warum laufen du und Ai so rum?“

Er schüttelte stumm den Kopf.

„Aber…?“

„Kein aber. Bitte stellt keine Fragen. Nehmt einfach zur Kenntnis, dass weder Ai noch ich uns über euch lustig gemacht haben- und erzählt um Himmels Willen niemandem davon, was ihr wisst. Das ist wichtig.“
 

„Wie wichtig?“

Mitsuhiko bohrte weiter.

„Sehr, sehr wichtig.“

Seine Stimme klang kaum lauter als ein Flüstern.

„Warum willst du uns das nicht erzählen?! Du bist es uns schuldig! Ihr seid es uns schuldig!“

Ai schaute ihn an. Er war weiß im Gesicht, kalkweiß. Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Er stand unter Stress. Nach dem Desaster von Gestern schien der heutige Tag nicht unbedingt ruhiger gewesen zu sein. Sie wusste, er machte sich Sorgen- und offensichtlich wusste er momentan nicht, was er den Kindern noch entgegenzusetzen hatte. Er würde ihnen nichts sagen - aber zum Gehen bewegen konnte er sie auch nicht mehr. Dazu fehlten ihm nach allem was gestern passiert war, heute wohl die Nerven.
 

„Jetzt reicht's.“
 

Ai stand auf.

„Es sollte euch reichen, zu wissen, wer wir sind. Es sollte euch reichen, zu wissen, dass wir eure Freunde sind und sein wollen. Wenn ihr wirklich unsere Freunde seid, dann wartet ihr, bis wir mit diesen Informationen zu euch kommen, ihr erzwingt sie nicht von uns.“

Er warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. Es tat gut, dass ihm jemand beistand- ihm die Entscheidung abnahm. Zugeben würde er das nicht.
 

„Und hört auf, an unser Gewissen zu appellieren. Das funktioniert nur bei Shinichi, aber nicht bei mir- ich habe keins mehr. Und ihr solltet, wenn ihr wirklich jemals unsere Freunde wart, aufhören, uns Fragen zu stellen, die wir nicht beantworten können oder wollen- und hört auf, uns nachzuspionieren.“
 

„Aber-!“, begann Mitsuhiko, wurde allerdings von Ai sofort wieder unterbrochen.

„Kein aber!“

Ihr Ton klang harsch, duldete keinen Widerspruch. Die drei schauten sie einigermaßen verdrossen an.
 

„Offensichtlich stecken wir in Schwierigkeiten, soviel seht ihr doch. Wir müssen damit selber klarkommen, wir wollen euch nicht gefährden.“

„Aber…“, fing Genta an- brach allerdings unter dem Blick, mit dem sie ihn bedachte, sofort ab.

Sie seufzte.

„Gebt euch zufrieden mit dem, was ihr herausgefunden habt. Nun versprecht, dass ihr nichts sagen werdet und euch da raushaltet. Ihr mischt euch nicht weiter ein, hört ihr?“

Die drei nickten verblüfft.

„Schwört es.“

Sie hoben fast synchron die Hand, schauten Ai einigermaßen perplex an.

„Wir schwören es.“

„Und jetzt geht nach Hause.“

Sie schaute sie streng an, verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Sie nickten erneut. Die zwei Jungs waren schon zur Tür draußen, als sich Ayumi noch einmal umdrehte. Sie schaute ihn an.

„Es tut mir Leid.“, flüsterte Conan. Er wusste ihre unausgesprochene Frage zu deuten.

Sie schluckte.

„Kohana, sie ist… ist sie?“

„Ja.“

Mehr sagte er nicht. Und mehr wollte sie auch nicht wissen.
 

Sie blinzelte eine Träne weg.

„Dann hatte ich nie…“

Sie räusperte sich.

„Nein, hattest du nicht.“
 

Sie strich sich über die Augen.

Dann ging sie.
 

Conan schaute Ai von unten herauf an. Sie stand immer noch neben ihm, ihre Arme vor der Brust verschränkt, ihr Gesichtsausdruck unerbittlich.
 

„Du hast kein Gewissen…?“

Er hob matt eine Augenbraue.

„Doch. Aber es wirk beeindruckender, wenn ich sage, ich hätte keins.“

Sie grinste. Er schüttelte schläfrig den Kopf. Er war müde- war fix und fertig, mit den Kräften so gut wie am Ende- der Schlafmangel forderte seinen Tribut.

Letzten Endes war er körperlich ein Kind.

Und Kinderkörper waren für diese Art von Belastung nicht ausgelegt.
 

Der Professor ging hinein, als die Kinder herauskamen. Er hatte aus der Küche jedes Wort gehört. Nachdenklich sah er ihnen hinterher, dann wandte er sich zu Ai uns Conan.

„Du solltest Lehrerin werden, Ai. Du hättest deine Klasse gut im Griff.“

Der Professor schaute sie bewundernd an.

Sie lächelte geschmeichelt.

„Danke.“

„Glaubst du, sie geben Ruhe?“

„Mit Sicherheit nicht. Aber wir, beziehungsweise er, hat schon genug Stress, auch ohne dass ihn die drei Knirpse nerven. Heute sollten sie ihn in Ruhe lassen. Das mit Vermouth gestern, die Sache mit Gin- das alles ist im Moment wirklich genug.“

Sie seufzte.

„Ich fahr dich nach Hause, Shinichi.“, bestimmte Agasa, schaute aus dem Fenster, an dem gerade die drei Grundschüler vorbeizogen.

Conan reagierte nicht.

Ai wandte sich dem kleinen Jungen zu, der immer noch neben ihr saß, und keinen Laut von sich gab.
 

„Du musst zusehen, dass du etwas schläfst.“

Ais Stimme drang kaum zu ihm durch. Er war bereits auf dem Sofa eingenickt.

Wochenende

Bonjour mesdames, messieurs,
 

ça va? Wie geht's...? ;)
 

Nun- ein großes Dankeschön wie immer an dieser Stelle an alle, die einen Kommentar geschrieben haben! Ich danke euch wirklich sehr, ich kann es gar nicht oft genug sagen...!
 

Nun- zum letzten Kapitel... nun, es ist ja wohl irgendwo verständlich, dass ihn die Tatsache, dass Gin ihn und Ran gesehen hat, und nach Ran her ist, weil er im Prinzip weiß, dass sie es war, die ihn beklaut hat, etwas stresst... ;)
 

Sehen wir mal, wie's weitergeht... ich wünsch euch viel Vergnügen mit Kapitel 16!

*eineRundeKaffeespendiert*
 

Bis nächste Woche,
 

Liebe Grüße,

eure Leira :D
 

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Endlich Wochenende.
 

Conan lag auf dem Futon neben Kogorôs Bett und gähnte ausgiebig, streckte sich wohlig. In diesen kurzen Momenten zwischen Wachen und Schlafen war die Welt ein schöner Ort- ohne Probleme, ohne Sorgen… er befand sich irgendwo im Nirgendwo, dachte an nichts, war einfach nur ein Mensch, der sich in der Wärme seiner Decken sicher und zufrieden fühlte, sich von nichts stören ließ.

Noch nicht.

Der Moment, in dem er aufwachte, und alle seine Sorgen, Probleme und Ängste wie eine Flutwelle über ihn hereinbrachen und ihn wegzuschwemmen drohten, ihn unter Wasser zogen und ihn die Luft zum Atmen raubten… er nur noch hektisch zur Oberfläche strampeln wollte, nach einem Fels in der Brandung suchte, einen sicheren Ort, eine Zufluchtsstätte… war noch weit weg… aber er würde früh genug kommen.

Aber noch nicht jetzt.

Er wollte sich gerade umdrehen, um noch ein wenig weiter zu schlummern, als ihn ein leichter Windhauch an der Nase streifte.

„Shinichi…?“

Er drehte den Kopf, sah, dass die Zimmertür ein wenig offen war, und Rans kleines Gesicht im Spalt zwischen Türstock und Tür.

Aus zusammengekniffenen, schlafverklebten Augen blinzelte er sie träge an.

„Shinichi…?!

Sie wisperte seinen Namen, bedeutete ihm mit ihren kleinen Händen, aufzustehen. Er warf einen Blick auf Kogorôs Radiowecker.
 

6.00 am
 

Sechs Uhr. Himmel, es war Samstag. Warum warf sie ihn da um sechs aus dem Bett?

Warum?

Warum legte sie sich nicht einfach wieder hin und schlief weiter- und ließ ihn seinerseits weiterschlafen…
 

„Shinichi Kudô!!!“
 

Ihre Stimme klang nun schon ein wenig energischer. Kogorô zuckte, grummelte im Schlaf. Sie hielten die Luft an und warteten.

Nichts. Kogorô war anscheinend noch tief im Reich der Träume.
 

Er schenkte Hana einen missmutigen, leicht verärgerten Blick, dann schälte er sich aus der Decke, tapste völlig lautlos zur Tür und zog sie hinter sich zu.

Conan fröstelte, als er zu ihr auf den Gang trat - und er sah die Welle auf sich zukommen. Er wurde wach… und seine Probleme begannen, eins nach dem anderen, sich in seinem Kopf mit leisen, aber drängenden Stimmen zurückzumelden.

Eines davon war die Angst um die Person, die vor ihm stand - und dessen Stimme war die lauteste.

Dennoch versuchte er, sich noch nichts anmerken zu lassen. Stattdessen rieb er sich über die Augen.

„Warum weckst du mich um die Uhrzeit?“

Ran lächelte. Er sah immer noch sauer aus.

Wortlos nahm sie seine Hand, zog ihn mit in ihr Zimmer, scheuchte ihn in ihr Bett, dann kroch sie ebenfalls unter die Decke, kuschelte sich an ihn.

Er hielt den Atem an, schluckte. Mit allem hatte er gerechnet- Putzaktionen vor Morgengrauen, Einkaufen auf dem Fischmarkt, Lernen…- nur nicht damit.

Sie schlang einen Arm um seinen Oberkörper, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Er drehte den Kopf.

„R- Ran…?“

Sie kicherte leise, als sie sein verwirrtes Gesicht sah.
 

„Sieh dir den Sonnenaufgang an…“

Sie nickte in Richtung des Fensters, das am Fußende ihres Bettes war. Sie hatte das Fenster ganz aufgemacht, eine kühle Brise wehte herein, streichelte über ihre Gesichter.

Draußen lag die Welt, ein Meer aus Lichtern, die erwachende Stadt Tokio gebadet in rosafarbenes und goldenes Licht.

Ein atemberaubender Anblick.

Was ihm jedoch wirklich den Atem raubte, war etwas ganz anderes…

Er atmete langsam, sehr langsam aus, legte einen Arm um ihre Schultern, gab ihr seinerseits einen Kuss auf die Nasenspitze und schaute nach draußen, genoss die Wärme ihres Körpers, ihre Nähe... sah die Morgensonne in ihren Augen und lächelte.
 

Er hatte sie gefunden, seine Zufluchtsstätte- seinen sicheren Ort. Warum nur musste allerdings dieser Mensch, in dessen Nähe er sich so unglaublich wohl fühlte, der Mensch sein, der in seiner Nähe am meisten in Gefahr war?

Unruhe keimte in ihm wieder auf, Angst… und die Ungewissheit, ob er es ihr nun sagen sollte, oder nicht. Sagen sollte, was passiert war.
 

Ja- oder nein? Ja oder nein? Was denn? Was…?
 

Warum hast du dir mich ausgesucht, ich bin gefährlich für dich…
 

Er kämpfte mit sich. Horrorszenarien spielten sich vor seinem inneren Auge ab. Und egal, was er tat, wie er sich entschied, es änderte nichts an ihrem furchtbaren Ende…

Er wurde unruhig. Nervös. Sein Blick starr- er sah die schöne Welt vor dem Fenster nicht mehr.
 


 

Ran merkte es. Sie merkte es daran, dass sein Körper sich verspannte, seine Atmung schneller wurde… sie spürte es einfach, dass mit ihm etwas nicht stimmte, dass er schon wieder in seinen Gedanken zu versinken drohte.

Sie wusste, dass er unter Strom stand, schon seit Tagen.
 


 

Er bemerkte, wie Ran unter der Bettdecke nach seiner Hand griff, sah, dass sie ihren Kopf in seine Richtung wandte, ihm in die Augen schaute. Er fühlte sich ihr ausgeliefert, wenn sie ihn so ansah. Conan schluckte schwer. Sie las in seinen Augen wie in einem Buch, das wusste er. Sie kannte ihn zu gut, um nicht zu sehen, was mit ihm los war.

„Schhhh…“, murmelte sie leise, strich ihm eine Haarsträhne aus den Augen. Er blinzelte.

Unendlich zart küsste sie ihn auf die Nasenspitze.
 

„Beruhige dich… noch ist nichts passiert.“

Ihre sanfte Stimme war Balsam für seine Seele.
 

Er nickte nur, dann wandte seinen Kopf und betrachtete das Farbenspiel der aufgehenden Sonne.

Sie hatte ja Recht- noch war nichts passiert. Zumindest nicht das, was er fürchtete.
 

Er atmete tief ein, roch den Duft ihrer Haut, ihrer Haare- verfluchte ihr Grundschülerdasein und genoss doch ihre Nähe. Es war schön.
 

Und wie schön würde es erst sein, wenn all das hinter ihnen lag…

Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
 

Ran warf ihm musternden einen Blick zu. Sie merkte, wie er langsam wieder runterkam, sich wieder fallen ließ, er sich entspannte. Sie wusste, etwas beschäftigte ihn, wusste, etwas machte ihm schreckliche Angst- aber sie wusste auch, dass er es ihr nicht sagen würde, noch nicht. Sie hatte versucht, ihn auszufragen, aber er hatte sofort abgeblockt- sie wusste aus Erfahrung, da war nichts zu machen. Und da sie ihn nicht noch einmal hintergehen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm beizustehen, bei was auch immer, ihn aufzufangen, wenn er zu fallen drohte.

Und einmal mehr wünschte sie sich, sie wären wieder die alten. Denn über dieses zärtliche Kuscheln würden sie nicht hinauskommen- das war eine Grenze, die sie sich beide ohne Absprache gezogen hatten.
 

Aber nichtsdestotrotz war sie froh, sich überhaupt an ihn lehnen zu können.
 

Sie seufzte leise, dann kuschelte sie sich ein winziges Bisschen näher an ihn, genoss es, als er ihr über ihre Haare streichelte, und schaute sich mit ihm das Lichterspiel am frühmorgendlichen Himmel an.

Sah die Wolken, die wie mit Honig überzogen am Himmel schwebten, dick und flauschig wie Watte.

Hörte einen Vogel, der trillernd in einem der Bäume auf der Straße saß und den neuen Morgen begrüßte.
 

Es gab Momente, da war das Leben gar nicht so schlecht.
 


 

Nachdem die Sonne aufgegangen war, fing dann das Chaos an. Conan und Ran hatten sich angezogen und waren bereits dabei, den Tisch zu decken, als es an der Haustür klingelte.

Er fing sich einen fragenden Blick von Ran ein.

„Wer kann das sein? Um diese Uhrzeit?“, fragte sie, schaltete die Kaffeemaschine ein und griff nach den kleinen Löffeln.

„Werden wir gleich sehen.“, bemerkte er locker.

Er wusste, wer es war. Hattori; schließlich hatte er ihn gestern Abend noch angerufen und gebeten zu kommen. Aber Ran das zu sagen, würde heißen, ihr erklären zu müssen, warum er ihn gebeten hatte, herzukommen.

Und das wollte er eben vermeiden.

Er ging, öffnete die Tür.

Draußen stand Heiji und grinste breit.

Conan kniff die Augenbrauen zusammen. Ihm kam da eine Idee.
 

Dann durchbrach ein Heulen die Stille im Hause Môri.

„AUUUUUU! Shinichi, was-“
 

Ran trat aus der Küchentür.

„Was ist denn hier los?!“

Dann brach sie in schallendes Gelächter aus.

Auf dem Boden saß Heiji, hielt sich eine Kniekehle, und hatte diese Bommelmütze, die er so sehr hasste, auf dem Kopf. Conan selber stand vor ihm und schaute mit seligem Lächeln auf sein Handy. Offensichtlich hatte Conan ihn mit einem Tritt gegen das Bein von hinten umgelegt, ihm die Mütze aufgesetzt und- fotografiert.

„Danke für das Foto, Hattori. Das schick ich Kazuha, sie findet dich bestimmt auch wahnsinnig niedlich mit dem Ding. Putzig. Süß …“

Er grinste breit.
 

Heiji starrte ihn an.

„Das machst du nicht!“

Er zog sich die Mütze vom Kopf, warf sie wieder in das Regal.

Conan klappte sein Handy zu und steckte es ein.

„Worauf du wetten kannst, mein Freund. Du hast doch wohl nicht allen Ernstes erwartet, dass ich diese Demütigung auf mir sitzen lasse.“

Conan warf ihm aus zusammengekniffenen Augen einen leicht hochmütigen Blick zu, grinste süffisant.
 

„Aber…“

Heiji sah aus wie ein Fisch, der nach Luft schnappte.

„Aber…“

„Aber du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, du kommst mir ungeschoren davon? Du hattest letztes Mal nur Glück, dass ich gewissermaßen- anderweitig- beschäftigt war. Und jetzt steh schon auf…“
 

Heiji verdrehte die Augen. Er musste wohl warten, bis Kudô sein wohlbehütetes Handy mal aus der Hand legte, um das Foto löschen zu können. Es war nur gut, dass er Kazuhas Nummer nicht hatte. Allerdings - die hatte Ran. Und die stand im Türrahmen und lächelte ihn an.

„Du frühstückst doch mit uns, oder?“

Der Oberschüler nickte. Die Kleine verschwand in der Küche.

Conan war stehen geblieben.

Sein Gesicht war plötzlich ernst.
 

„Hey.“

Heiji stand auf uns schaute auf ihn herunter.

„Was ist denn los? Stimmt was nicht?“

Conan seufzte.

„Ist was mit Ran?“

Heiji bohrte weiter.

Der Junge schaute auf.

„Nein. Mit Ran ist alles bestens, außer dass sie immer noch mein Größenproblem teilt, wie du ja siehst. Sie - sie ist wohl das einzige, was das hier erträglich macht, das einzige, was tatsächlich funktioniert. Was mich beschäftigt, ist etwas anderes, aber das erzähle ich dir, wenn wir allein sind, Heiji. Ich will nicht, dass sie es mitkriegt, sie soll sich keine Sorgen machen.“
 

Heiji Hattori schaute ihn an.

Shinichi…
 

Der Junge merkte es nicht, war schon zur Tür gegangen, als er realisierte, dass ihn sein großer Freund nicht begleitete.

„Kommst du, Hattori? Oder willst du Wurzeln schlagen?“

Der Oberschülerdetektiv aus Osaka nickte hastig, dann folgte er ihm in die Küche. Nach ungefähr einer halben Stunde gesellte sich auch ein sehr verschlafen aussehender Kogorô Môri zu ihnen.
 

Kogorô war gerade gegangen, um sich mit einem alten Schulfreund zu treffen, nicht allerdings, ohne Conan und Heiji mit einem langen Blick auf Ran und einem ernsten „Wehe ihr passiert was!“ zu bedenken. Gerade hatte er die Wohnung verlassen, als es klingelte.
 

Conan seufzte.

„Was hat der Alte denn nun schon wieder vergessen…?“

„Ich seh mal nach.“

Ran ging los, um die Tür zu öffnen, drückte die Klinke herunter.

Conan und Heiji, die am Tisch saßen, konnten sie draußen reden hören.
 

„Paps, was hast du diesmal…“

Abrupt brach sie ab- und erstarrte.

Es war nicht Kogorô, der in der Tür stand.

„Ran? Was ist denn nun…?“

Heiji, neugierig durch die Unterbrechung im fröhlichen Geplauder des kleinen Mädchens, streckte den Kopf zur Tür raus- und erbleichte. Und dann vernahm Conan, erkannte den Besucher an der Stimme, den die anderen schon sahen.
 

Ran?!?
 

Conan hörte den Schrei, rannte an ihm vorbei raus in den Gang, blieb erschrocken stehen. Die Person, die geschrieen hatte, war eine junge Frau gewesen.
 

Die Szene schien wie eingefroren.

Heiji klammerte sich am Türrahmen fest, starrte ungläubig auf die Person in der Tür. Seine Fassungslosigkeit stand ihm quer übers Gesicht geschrieben. Ran stand da, ihr kleiner Körper angespannt, blickte mit aufgerissenem Mund nach oben.
 

Und Conan- er stand ein paar Meter hinter Ran auf dem Gang und konnte kaum glauben, was er sah.
 

Dann brach sie den Bann.
 

„Ran…?“

Ihre Stimme zitterte.
 

Kazuha stand in der Tür und sah aus, als ob sie gleich umfallen würde. Sie geriet ins Wanken, ihre Gesichtsfarbe verfärbte sich ins grünlich-weiße, ihre Augen drehten sich langsam nach oben… Heiji löste sich aus seiner Starre, rannte hin, bekam sie gerade noch zu fassen, bevor sie zusammensackte.
 

Conan stöhnte auf, fuhr sich frustriert mit den Händen über die Augen.

„Leg sie auf die Couch. Ich schau mal, ob wir Cola oder so was da haben. Ran, du holst ihr einen nassen Waschlappen.“

„Ich wusste nicht, dass sie auch kommt…“, murmelte Heiji völlig perplex.

„Es tut mir Leid… sie, sie muss mir nachgefahren sein… Sie war wohl misstrauisch, als ich ihr keine Antwort geben wollte, als sie mich fragte, wo ich hinwolle...“

Er blickte besorgt von Kazuha zu Conan und wieder zurück.

Der Grundschüler schaute ihn nur an.

„Bring sie ins Wohnzimmer, Heiji. Das wird schon… irgendwie.“
 

Heiji nickte, trug seine Freundin ins Wohnzimmer, Conan verschwand in der Küche und Ran eilte ins Bad.
 

Heiji schaute ihr besorgt ins Gesicht. Kazuha war immer noch kreidebleich.

„Und was sagen wir ihr jetzt?“

Er nahm den Waschlappen an, den Ran ihm reichte.

„Die Wahrheit…?“, murmelte Ran vorsichtig. In der Tür erschien Conan.

Er sah nicht eben glücklich aus. Hattori schaute ihn an.

„Hör mal, es tut mir wirklich Leid- wir können ihr sagen, dass das Rans kleine Cousine ist, oder so…“

Conan starrte auf das Gesicht des Mädchens, das auf der Couch lag.

„Nein, ich denke nicht, dass wir das können, Heiji. Nicht mehr, zumindest.“

Heijis Kopf ruckte herum. Kazuhas Augen waren weit aufgerissen, starrten das kleine Mädchen an. Dann schloss sie die Augen wieder, stöhnte leise auf. Erst jetzt bemerkte sie Heiji, der sich besorgt über sie gebeugt hatte.

„Heiji… was…?“

Ihre Stimme klang weinerlich.

Sie hielt inne, ließ sich von Heiji helfen, sich aufzurichten und nahm dankbar das Glas Cola, das er ihr reichte, nahm einen tiefen Zug des süßen, braunen Getränks.

„Heiji…?“

Sie blickte ihn verstört an.

„Ran…?“

Sie klang verwirrt, verzweifelt - Heiji brach fast das Herz. Ihre sonst so freche Stimme so wimmern zu hören, sie so verwirrt, so ratlos und niedergeschlagen zu sehen, war fast unerträglich. Kazuha diese Sache zu erklären- und eine Erklärung ließ sich hier wohl nicht mehr vermeiden- würde nicht einfach werden.

Er nickte nur traurig mit dem Kopf.

„Ja. Das is' Ran.“

Er drehte den Kopf, winkte Hana zu sich. Conan blieb im Türrahmen stehen.

Ran kletterte auf die Couch, wagte nicht, ihre Freundin anzusehen.
 

Kazuha schwieg mehrere Minuten, trank ihre Cola in langsamen, kleinen Schlucken aus.

Dann beugte sie sich vor.

„Ran?“, fragte sie leise, erneut. Zögernd, fast als ob sie glaubte, zu träumen. Zu halluzinieren.

Das kleine Mädchen hob den Kopf.
 

Die Oberschülerin schluckte, dann ließ sie ihre Augen suchend durchs Zimmer schweifen, fand, wen sie suchte. Ihr Blick blieb auf dem kleinen Jungen haften, der immer noch in der Tür stand.

Und es fiel ihr wie Schuppen von den Augen.

„Shinichi?“

Sie sprach den Namen aus, ihre Stimme war kaum zu hören. Ungläubigkeit und Entsetzen stand in ihrem Gesicht.

„Wie… wie… aber wie… konnte das denn passieren?“
 

Der kleine Junge schüttelte den Kopf.

„Ich fürchte, diese Information können wir dir nicht geben, Kazuha. Und ich möchte dich bitten, niemandem etwas darüber zu sagen. Es ist wirklich, wirklich wichtig, dass du dein Wissen für dich behältst.“

Er starrte an die Decke.
 

Kazuha schaute ihn an- dann wanderte ihr Blick wieder zurück zu Ran. Conan seufzte, stieß sich vom Türrahmen ab und ging in die Küche. Heiji folgte ihm nach einem kurzen Blick auf die beiden Mädchen.
 

„Wobei es langsam ohnehin egal wird, bei der Menge an Leuten, die nun schon davon weiß. Eigentlich könnte ich gleich eine Anzeige in die Zeitung setzen.“

Er flüsterte die Worte nur, aber Heiji verstand jedes einzelne.

Und auch der Zynismus, mit dem sie ausgesprochen worden waren, entging ihm nicht.
 


 

„Ran…“, murmelte Kazuha leise. Das kleine Mädchen schaute sie aufmerksam an.

„In was hat er dich da reingezogen?“

Die Kleine schüttelte heftig den Kopf.

„Nein- nein, das siehst du falsch. Es… es ist nicht seine Schuld. Ich hab selber nachgeforscht, hinter seinem Rücken. Ich wusste vorher soviel, wie du jetzt weißt. Ich wusste nur, dass er Shinichi ist, seit kurzem - aber nicht, wieso. Und als ich herausgefunden habe, was ihm zugestoßen ist, da… da hab ich dafür gesorgt, dass mir das Gleiche zustößt.“

Die kleine Ran lächelte matt.

„Wir sind seit Weihnachten ein Paar, hab ich dir das schon erzählt? Da war er kurz er selber, hat mir gesagt, dass…“

Ein rosa Schimmer breitete sich über ihre Wangen aus.

„… hat mir gesagt, dass er mich liebt. Und da hab ich ihn gefragt, weil ich den Verdacht ja schon so lange immer wieder hatte, ob er Conan ist. Und er hat’s zugegeben. Nicht mehr und nicht weniger, er hat mir nie gesagt, wie’ s dazu kam.“

Sie seufzte.
 

Kazuha starrte sie an.

„Aber wie... Ran, warum denn... ich meine, war es denn nicht genug, einfach zu wissen, wo er ist? Ich meine, ich kann mir vorstellen, dass es wohl... komisch... war, zu wissen, dass ein kleiner Junge..."

Ran unterbrach sie unwirsch.

„Du stellst dir das etwas zu einfach vor, Kazuha. Du ahnst nicht, wie schwer das war. Ihn so klein zu sehen- ihm so nahe und gleichzeitig so unerreichbar fern zu sein. Wie sieht das denn aus… Und nicht nur das. Wir waren gehemmt, beide, denn es ist ja- ich meine, es lagen zehn Jahre zwischen uns. Er war ein Kind…“

Kazuha schaute ihre geschrumpfte Freundin betroffen an.

„Irgendwann hielt ich seine Geheimnistuerei nicht mehr aus, forschte nach, wie gesagt- und hab dieses Opfer für ihn gebracht. Um wieder mit ihm zusammen sein zu können. Er war anfangs gar nicht erfreut, das kann ich dir sagen.“

Sie grinste verlegen.

„Meine Güte, ein Theater hat er gemacht. Er hätte nie gewollt, dass ich das für ihn tue. Aber ich hab’s getan. Und willst du wissen, warum? Weil ich weiß, dass er das Gleiche auch für mich tun würde. Weil ich ihn liebe. Und weil ich weiß, dass er mich auch liebt. Ich kann nicht mehr ohne ihn, es ist so schön, ihn zu haben…“
 

Kazuha seufzte tief, schaute ihre Freundin fest an.

Lange, lange schwieg sie.

„Ich bewundere dich.“

Sie trank ihre Cola aus.

„Und ich wünsch euch beiden viel Glück... ich schätze, ihr könnt es gebrauchen…“
 

Ran schaute auf, nickte matt.

„Was werdet ihr jetzt machen?", murmelte Kazuha fragend.

„Frag mich was Leichteres, Kazuha... selbst wenn ich es wüsste, kann ich es dir nicht sagen."
 


 

Heiji und Conan hatten sich von Ran und Kazuha verabschiedet und waren in die Villa der Kudôs gegangen. Conan wollte sicher gehen, dass keiner, für dessen Ohren es nicht bestimmt war, ihnen zuhörte. Also waren Kazuha und Ran zum Kaffeetrinken in die Stadt gegangen, was Conan zwar beunruhigte- er aber nicht ändern konnte, es sei denn, er rückte mit der Sprache raus.

Genau das wollte er aber nicht. Zumindest nicht ihr gegenüber.
 

„Die Kids wissens jetzt also auch?“

Heiji verdrehte die Augen.

Conan seufzte.

„Ja, ein selten dämlicher Zufall war das…“

Die zwei Detektive saßen nun in Shinichis Zimmer. Heiji schaute sich interessiert um, bevor er das Wort wieder an seinen Freund wandte, schließlich war er noch nie in Shinichis Zimmer gewesen. Im Haus der Kudôs zwar schon, aber noch nicht in seinem Zimmer.
 

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“

Conan hob erstaunt den Kopf.

„In Übersee. Amerika. Ich hab sie gebeten, zu gehen…“

„Und nur weil du sie gebeten hast, sind se tatsächlich gegangen?“

Heiji starrte ihn ungläubig an.

Conan seufzte.

„Sie wollten hier bleiben. Vor allem mein Vater. Und ich finde das ja auch wirklich rührend und alles- aber ich hab mir das selber eingebrockt. Was könnten sie schon helfen? Sie können doch nichts tun, also warum sollen sie sich dann in Gefahr bringen…?“
 

Heiji starrte ihn besorgt an.

Wie heikel war diese Situation wirklich?

Er räusperte sich, beschloss, die Sache vorsichtig anzugehen.

„Und, was war es nun, was du mir sagen wolltest? Das, was Ran nicht hören darf?“, fragte er dann endlich, als ihm das tiefe Schweigen des Grundschülers zuviel wurde.

Conan warf ihm einen Blick zu, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Dann zog er sich aufs Fensterbrett, schaute nach draußen. Er konnte Agasa sehen, der in seinem Garten Löcher in die Erde grub, um wie jedes Jahr Blumensamen einzusetzen. Ai neben ihm hatte eine Schale voll damit in den Händen- anscheinend machte sie gerade eine konspirative Pause von ihren Forschungen.
 

Er massierte sich die Schläfen. Bei dem Gedanken, was er Heiji gleich erzählen würde, bekam er Kopfweh.
 

„Du weißt doch…“, begann er dann, wandte sich vom gartenbautechnischen Treiben seines Nachbarn ab, schaute auf seine Füße, baumelte gedankenverloren mit den Beinen.

„Was weiß ich…?“, hakte Heiji nach. Er klang nicht unfreundlich- eher besorgt. Das ernste Gesicht, das sein Freund machte, gefiel ihm nicht. Er ahnte Schlimmes.
 

„Du weißt doch, dass ich Ran, an Weihnachten, im Park… gesagt habe, dass ich sie liebe… und…“, seine Stimme war zum Ende des Satzes sehr leise geworden, er merkte, wie ihm etwas heiß wurde.

Er räusperte sich.

„…ihr noch etwas anderes gestanden habe. Ich hab ihr gesagt, wer ich bin. Sonst wär’s ja nie soweit gekommen, dass sie…“

Er seufzte schwer.

Der Oberschülerdetektiv nickte.

„Ja, das hast du mir doch erzählt, als ich da war, letztes Mal. Ich halte es immer noch für eine bodenlose Gedankenlosigkeit von dir, mit ihr dafür in den Park gegangen zu sein…“

„Ich bin nicht deswegen mit ihr in den Park gegangen. Ich bin mit ihr dahin gegangen, um ihr das mit- du weißt schon zu sagen. Doch bestimmt nicht, um ihr die Sache mit Conan zu beichten!“, unterbrach ihn Conan unwirsch.

„Und Danke für die Info, dass das bodenlos gedankenlos gewesen ist, weiß ich jetzt auch.“

Er sah auf. Heiji starrte ihn an. Der ältere Detektiv schluckte bei dem Blick ins Gesicht seines Gegenübers.
 

So gehetzt… er sieht gehetzt aus…
 

„Wer hat euch gesehen…?“, fragte er vorsichtig. Er ahnte, dass es darum ging. Es war die einzige Sache, weswegen Shinichi in Panik geraten konnte. Und das er gerade panisch war, auch wenn er äußerlich ruhig wirkte, lag auf der Hand.
 

„Gin.“

„WAS?!?“, schrie Heiji, fuhr hoch, so abrupt, dass der Schreibtischstuhl, auf dem er gesessen hatte, ein Stück nach hinten rollte. Er zog ihn heran, wandte sich dann seinem geschrumpften Freund zu. Sein Gesicht war bleich.

„Bitte, WER?! DAS IST NICHT DEIN ERNST! Himmel, Kudô, was hast du angestellt?! Du und Ran müsst…“

Conan hüpfte vom Fensterbrett.

„Lass mich ausreden.“

Heiji schwieg, blickte ihn mit einem betroffenen Ausdruck in den Augen an. Conan schluckte schwer, knetete seine Hände.

Der Detektiv aus Osaka war deutlich bleicher geworden.

Und ein weiteres Mal fragte er sich, ob es das Richtige war, was er gleich von ihm verlangen würde.
 

„Du hast richtig gehört. Gin. Und er hat sogar ein Foto von mir und Ran gemacht. Vermouth war hier, sie hat mich gewarnt. Und bevor du fragst- nein, ich weiß nicht, warum sie herkommt, um mich zu warnen. Ich weiß nicht, was sie damit bezweckt. Was ich weiß ist, dass sie und Gin in der Stadt sind, und dass sie laut eigener Aussage versucht hat, ihm auszureden, dass der Kerl auf seinem Handyphoto tatsächlich ich bin. Er weiß, das Ran sein Gift geklaut hat, und er vermutet, dass ich noch leben könnte. Ran weiß nichts davon, ich weiß nicht, ob ich ihr das zumuten kann…“

„Huh.“

Heiji ließ den Kopf in den Nacken sinken, starrte an die Decke, sank wieder auf den Stuhl.

„Du steckst bis zum Hals in der Scheiße, Kudô.“

„Da kannst du wohl Recht haben… Aber du weißt noch nicht alles. Und er gottseidank auch nicht. Selbst wenn er glaubt, dass ich noch lebe, so sucht er nun nach Shinichi Kudô und Ran Môri- aber nicht nach Conan Edogawa und Kohana Akechi. Und ganz davon abgesehen, weiß Sharon auch noch nichts von Rans Verjüngungskur, deswegen ist sie wohl fürs erste in Sicherheit. Nun- ich bin mir sicher, sie hält dicht, sonst hätte die Organisation mir und Ai schon vor Monaten unsere Lebenslichter ausgepustet.“

Conan versenkte seine kleinen Hände in seiner Jackentasche.

„Aber das ist noch nicht alles.“

Heiji schaute ihn an.

„Was denn noch?“
 

„Das FBI ist auch hier. Und sie wissen, wer ich bin. Und wer Ai ist, wissen sie auch.“

„Und Ran…?“
 

Er nickte geschlagen.

„Ich wollte es ihnen eigentlich nicht sagen. Aber nach dem letzten Ereignissen wäre es grob fahrlässig, es ihnen nicht zu sagen- so können sie auch auf sie ein Auge haben… ich bin schließlich… nur ein Kind.“
 

Conan seufzte matt.

„Weswegen ich dir das alles sage, hat eigentlich nur einen Grund- ich brauche deine Hilfe.“

„Meine- Hilfe?“, fragte Heiji langsam.

„Wieso-…“

Conan schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen ungeduldig an.

„Mach nicht so ein Theater, Heiji. Ich frag dich das nicht gerne, nicht weil ich dich für blöd, oder mich für unglaublich schlau halte- gut, okay, ich halte mich für schlau…“, gab er unwillig zu, kratzte sich am Hinterkopf, als ihn Heiji mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch anschaute.

„Aber der Punkt ist, dass ich dich eigentlich nicht in diese Sache mit hineinziehen wollte.“

Er seufzte.

„Das hier wird gefährlich…“

Der Jungdetektiv blickte ihn interessiert an.

„Na dann schieß mal los. Wie willst du sie finden?“

Conan warf ihm einen erstaunten Blick zu.

„Woher-?“

„Du vergisst, mein lieber Shinichi, das auch ich ein Detektiv bin.“

Heiji grinste über beide Ohren. Der Grundschüler stöhnte genervt- dann seufzte er.

„Es geht darum, das Hotel herauszufinden, in dem Sharon abgestiegen ist. Bevor ich mich gestern mit dem FBI unterhalten habe, habe ich mich mal in der Welt der Schönen und Reichen ein wenig umgesehen und umgehört. Wir haben hier in Tokio ungefähr sieben Hotels in denen sie abgestiegen sein könnten. Dass sie privat irgendwo wohnen, schließe ich fürs erste aus- schließlich muss man irgendwo anfangen, und ich glaube kaum, dass sie sich auf Dienstreise selber bekochen oder die Wohnung putzen wollen.“

Er schaute Heiji an. Der nickte zustimmend.

„Also weiter im Text. Es gibt zwei Hotels, in dem sie gerüchteweise abgestiegen sein soll. Das Intercontinental Tokyo und das Tokyo City Hotel. Ich denke, da ist sie nicht, weil die Gefahr, dass sich ein Reporter als Liftboy, Page oder Zimmermädchen einschleust und dadurch auf ihre Machenschaften aufmerksam wird, zu groß ist.“
 

Heiji wiegte den Kopf.

„Ja, da haste wohl Recht.“

„Tja. Sie ist gut in ihrem Job, sie kann bestimmt vortäuschen, tatsächlich in den Hotels zu wohnen. Da wir sie aber kennen, und wissen, wonach wir suchen müssen, könnte unsere Suche von mehr Erfolg gekrönt sein.“

Conan schaute auf.
 

Der junge Mann aus Osaka grinste breit.

„Und, was schwebt dir vor, Kudô? Soll ich mich als Roomservice einschleichen?“
 

„Genau daran hab ich gedacht.“

Mit Freuden beobachtete der Grundschüler, wie die Gesichtszüge seines Freundes entgleisten.

Dann winkte er ab.

„Nein, keine Bange. Ich will von dir was ganz anderes. Du sollst mir dabei helfen, die Eingänge zu beobachten. Wir wissen beide, wie gut Sharon sich verkleiden kann- aber Gin oder Vodka tun das nicht. Also wird zumindest sie in dem Hotel wohnen, das die beiden betreten oder verlassen. Da es aber immerhin fünf Hotels sind, wird es zu lange dauern, das alleine zu machen. Also habe ich mit Jodie, Black und Akai, den Leuten vom FBI ausgemacht, dass jeder jeweils ein Hotel im Auge behält. Somit bleiben noch zwei weitere übrig- eins für dich und eins für mich. Wir bleiben über diese Mircroemitter in Kontakt.“

Er reichte ihm den Emitter, der aussah wie ein Fanbutton von Big Osaka.

„Wie nett von dir, dass du mitdenkst.“, grinste Heiji.

„Für dich doch immer. Darauf darfst du dir was einbilden, ich hab extra so ein Teil gekauft, um den Emitter stilgerecht für dich zu tarnen- ich, als Tokio Spirits Fan.“

Conan grinste zurück.

„Wenn du sie siehst, funkst du es uns. Wir werden es alle hören. Und ich möchte, Heiji, dass du auf gar keinen Fall irgendetwas im Alleingang unternimmst, hörst du?!“

Heiji blickte ihn aus Halbmondaugen an.

„Kudô, ich bin kein kleines Kind mehr--“, begann er.

„Und wenn du willst, dass das so bleibt, dann hältst du dich besser an meine Anweisungen!“, fauchte der kleine Junge ungehalten.
 

Der Oberschülerdetektiv schluckte schwer, schaute seinem jugendlichen Gegenüber betroffen ins Gesicht.

„Schon gut, schon gut. Reg dich nich' auf…“
 

Conan nickte, wandte sich ab.
 

„Wann steigt der Coup?“

„Da das FBI noch gewisse ‚Vorkehrungen’ treffen muss, erst Dienstag früh. Ich weiß, das ist noch lange, und mir ist das auch nicht Recht- aber es besteht kein Grund zur Annahme, dass Sharon vorzeitig abreist und die Flughäfen werden bereits überwacht. Was weiß ich, was die noch vorbereiten müssen...“

Er grübelte.

Heiji nickte, ließ seinen Blick wieder durchs Zimmer wandern. An einem Foto blieb er hängen.

„Wann war das?“, fragte er interessiert.
 

Der kleine Junge drehte sich um, schaute auf das Foto, das Heiji mittlerweile in die Hand genommen hatte.

Das Foto von ihm und Ran im Tropical Land.
 

„An dem Tag, als mein Leben aus den Fugen geraten ist. Am 13. Januar 1994.“

Heiji fuhr herum, ließ das Foto fast fallen.

„Was?“
 

Conan antwortete nicht, nahm ihm das Foto aus den Händen und stellte es wieder auf den Schreibtisch. Heiji ließ sich wieder auf den Schreibtischstuhl sinken.
 

„Mach nicht denselben Fehler wie ich, Heiji.“

Conans Stimme klang leise- und bitterernst.

„Was meinst du?“, hakte der junge Mann aus Osaka verwirrt an.

„Wenn du meinst, dass ich nicht einfach kopflos irgendwelchen Verbrechern hinterher laufen soll, das weiß ich-“
 

Er brach ab, als er den genervten Gesichtsausdruck auf Conans jugendlichem Gesicht bemerkte.

Heiji stutzte.
 

„Was ist denn mit dir los?“

Conan knurrte unwillig.

„Weißt du, ich hab’s satt mit dir, Heiji…“

„Häh?“

Heiji sah ihn irritiert an.

„Tust du nur so, oder bist du wirklich so blöd…?“

„Na, jetzt aber!“

Heiji baute sich vor ihm auf.

Conan schaute gelassen hoch.

„Ich meine, willst du mich nicht verstehen, oder kannst du es nicht?“

„Du meinst nicht die Sache mit der Organisation?“

Heiji schaute ihn ratlos an.

„Nein, nicht in erster Linie, zumindest.“
 

Conan setzte sich wieder aufs Fensterbrett, schaute Heiji fest an.

„Warum sagst du Kazuha nicht, was du für sie fühlst?“

Heijis Augen wurden groß.

„Wie bitte?!“

Der kleine Junge seufzte resignierend.

„Ich hab ihr gesagt, dass ich sie liebe, Heiji. Ich hatte eine Heidenangst, ja, aber ich hab’s ihr gesagt. Ich hätte es schon viel früher tun sollen, mir - uns – ist soviel entgangen… weil wir uns beide nicht getraut hatten. Als ich es ihr dann gesagt habe, konnte ich es wohl nur, weil ich wusste, wenn ich wieder nichts auf die Reihe bringe, wenn ich es diesmal nicht schaffe, wird das die letzte Möglichkeit für eine sehr lange Zeit gewesen sein, um ihr zu sagen, was sie für mich ist. Dabei- dabei waren all meine Sorgen unbegründet. Es war wunderbar… du hättest ihr Gesicht sehen sollen… das war die wohl schönste halbe Stunde meines Lebens…“

Er seufzte, lächelte traurig, melancholisch, dann schaute er gedankenverloren aus dem Fenster. Im Garten des Professors streute Ai in die ersten Löcher Blumensamen- als ihr Blick zu ihm nach oben wanderte, drehte er sich um.
 

„Was ich dir damit sagen will, mein großer kindischer Freund, ist, dass du, verdammt noch mal, endlich auch den Mumm haben solltest, dir über deine Gefühle für Kazuha klar zu werden, und sie ihr dann auch in angemessener Form darzulegen! Stattdessen fragst du mich, warum du eifersüchtig wirst, wenn sich Kazu an jemand anders ranwirft… und erklärst es dann doch auch noch tatsächlich damit, dass du sie als Untergebene ansiehst.“

Er lachte hohl.

„Echt, Heiji, du bist doch sonst so schlau, aber auf die Idee, dass du Kazuha liebst, bist du noch nicht gekommen?!“
 

Heiji blinzelte ihn an.

„Jetzt halt aber mal die Luft an, Kudô…“
 

Conan schüttelte traurig den Kopf.

„Du willst es nicht verstehen, oder? Ich will dir mal einen Rat geben, als dein Freund - wenn du Kindskopf dich endlich mal entscheidest, dich deines Alters gemäß zu verhalten- dann sag es ihr. Sag es ihr, solange du noch kannst. Lass nicht zu, dass es mit euch unter Umständen mal so endet wie mit mir und Ran. Ich wünsche es dir nicht, wirklich nicht. Aber denkst du, ich hätte geglaubt, dass ich durch ein Gift, an dem ich eigentlich sterben sollte, schrumpfe, und all meine Träume, Ran zu sagen, was ich für sie empfinde, in so weite Ferne rücken? Dass es soweit kommt, dass sie sich das antut, um mit mir zusammen zu sein? Du darfst das nicht zulassen… hätte ich es Ran damals schon gesagt, damals im Vergnügungspark, als ich glaubte, der Zeitpunkt wäre gekommen, dann wäre ich diesen Männern nie hinterher gelaufen… weil sie mich davon abgehalten hätte. Weil das Gefühl, mit ihr nach Hause zu gehen, viel, viel schöner gewesen wäre, als der Kick, diesen Männern hinterher zu rennen…

Aber ich war zu feige. Damals. Zeig du doch etwas mehr Mut, oder bist du auch so ein elender Feigling wie ich?“
 

Heiji starrte ihn an.

„Ich weiß nicht…“

„Ob du sie liebst?“

Conan schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Heiji nickte langsam.

„Du hast dir von ihr den Sirenenpfeil in die Hand rammen lassen und sie trotzdem festgehalten. Du trägst die Talismane, die sie dir umhängt. Es ist dir zuwider, wenn sie jemand anderen besser, interessanter, intelligenter hält als dich und wenn sie nicht zu dir kommt, wenn sie Hilfe braucht. Du magst nicht, wenn sie von anderen angemacht wird. Und du hättest deinen Blick vorhin sehen sollen, als sie bewusstlos in deinen Armen lag. Du liebst sie, Hattori. Mach dir nichts vor.“
 

Lange schwiegen sie. Heiji dachte über die Worte seines Freundes nach.
 

„Wahrscheinlich hast du Recht.“

Conan seufzte, grinste leicht.

„Natürlich hab ich das.“
 


 

Es war schon dunkel, als sie wieder zurückkamen.

Doch statt eines geruhsamen Abends erwartete sie das Chaos in der Wohnung der Môris.

Sie hörten die Schluchzer schon im Gang. Conan blieb auf der Stelle stehen, wie zur Salzsäule erstarrt.

Er wusste, wer da weinte.

Es war Ran.
 

Ihm lief ein eisiger Schauer über den Rücken, dann lief er ins Wohnzimmer, Heiji dicht auf den Fersen.

Und dort fanden sie Kazuha, Kogorô und Ran- die auf der Couch zusammengekrümmt lag und weinte. Die anderen beiden versuchten vergebens, sie zu beruhigen.
 

Conan blinzelte, schaute zu Heiji auf, der genauso ratlos schien, wie er.

Und dann sah er sie.

Die Zeitung in Rans Fingern. Zusammengeknüllt, teilweise zerrissen, aber eine Überschrift konnte er immer noch lesen.
 

Mord im Stadttheater
 

„Nein!“, entfuhr es Conan. Kazuha und Kogorô schauten auf, bemerkten erst jetzt die Neuankömmlinge.
 

Wo hat sie die Zeitung gefunden? Seit Tagen kommt davon nichts mehr in den Nachrichten, was…
 

Er eilte zu ihr, sprang aufs Sofa, entriss ihr die Zeitung und nahm sie in die Arme. Sie wehrte sich zunächst, ließ es dann geschehen, sank kraftlos gegen ihn. Lange sagte sie nichts, weinte nur vor sich hin.

Dann…
 

„Meine Schuld…“

Er biss sich auf die Lippen. Genau das hatte er befürchtet.

„Ran.“

Er schluckte, streichelte ihr über den Kopf.

„Das ist meine Schuld… wegen mir…“

„Ran…“

Conan seufzte, drückte ihr einen sanften Kuss aufs Haar.

„Ran, hör mir zu. Es ist nicht deine Schuld.“

„Aber…“, versuchte sie zu widersprechen.

„Es ist nicht deine Schuld. Du hast… du warst… diese Frau war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.“

„Aber wenn ich nicht- wenn ich nicht unbedingt dieses Zeug…“

Sie hob den Kopf, schaute ihn aus tränennassen Augen an.

„Sie musste meinetwegen sterben. Die Frau in der Garderobe… Er hat sie umgebracht, nicht wahr? Eigentlich hätte ich sterben müssen, ich hab das Gift geklaut, stattdessen trifft es sie, sie hat doch gar nichts damit zu tun, ich bin Schuld, ich bin Schuld, ich bin Schuld, dass sie nicht mehr lebt… dass sie sterben musste… ich hätte sterben sollen. Ich hätte…!!!“
 

Er starrte sie entsetzt an.

Dieser Schmerz, diese Schuld in ihren Augen zu sehen, war fast mehr, als er ertragen konnte. Nie, niemals wollte er sie so sehen.

Niemals.
 

Er vergrub seine Hand in ihren Haaren, drückte ihren Kopf an seine Brust.

„Du bist nicht Schuld, hörst du? Du nicht.“

Conan schluckte.

„Wenn, dann müsste man wohl mir die Schuld geben, denn wenn ich von Anfang an alles erzählt hätte- oder einfach konsequent gar nichts gesagt hätte – dann wäre das hier nie passiert.“
 

Sie klammerte sich an ihn.

„Nein. Ich bin schuld…“

„Ran.“, murmelte er leise.

„Diese Leute sind böse. Sie sind… sie sind grausamer, skrupelloser, als du es dir vorstellen kannst. Du kannst nichts dafür, dass es so kam. Nicht mehr und nicht weniger als jeder andere auch. Bitte- bitte gib dir nicht die Schuld, hörst du…? Das darfst du nicht.“

„Aber…“

Sie hatte ihren Kopf wieder gehoben, schaute ihn traurig an.

Er hielt ihr den Mund zu.
 

„Wegen mir ist auch schon jemand gestorben.“
 

Er schluckte. Der Satz war schneller über seine Lippen gerutscht, als ihm lieb war. Eigentlich hatte er das vergessen wollen.

Sie starrte ihn verständnislos an.

Conan wandte den Kopf ab. Jetzt wo er angefangen hatte, musste er wohl auch durch.

„Erinnerst du dich nicht? Der Fall auf der Mondschatteninsel. Ich hab die Ärztin überführt, ich hab ihr gesagt, dass sie es war – dass sie eigentlich Seiji Aso, der Sohn von Keiji Aso war, sich als Frau ausgegeben hatte… und sie, oder er, hat Selbstmord begannen. Er sah keinen Ausweg mehr. Ich hab ihn in die Ecke gedrängt, und er sah keinen anderen Weg mehr, als das Gemeindehaus abzubrennen, und mit dem Gebäude selber zu Asche zu werden. Ich war bei ihr- bei ihm. Er saß am Flügel und spielte...

Ich wollte ihn dazu bringen, noch zu gehen, ihn davon zu überzeugen, dass es doch noch andere Lösungen gibt. Ich wollte nicht, dass er stirbt. Dass er sich umbringt. Ich hab ihm vom letzen Wunsch seines Vaters erzählt, aber er wollte nicht…!“

Er atmete heftig, starrte auf den Boden. Dann schluckte er, sammelte sich wieder.
 

„Er hat nicht auf mich gehört, er wollte nicht mehr leben… er sagte, er könne nicht zurück, schließlich klebe Blut an seinen Händen… den Rest kennst du. Er hat mich durchs Fenster nach draußen geworfen, mir dadurch das Leben gerettet- und sich auch noch bedankt, dass ich ihm die letzte Botschaft seines Vaters überbracht hatte. Arigatona, chiisana tantei-san. Danke, kleiner Detektiv. Das waren die Noten, die er spielte.

Ändern konnte es nichts… sein Tod ist meine Schuld.“

Er schluckte.

„Was hilft es mir, dass er mir dankbar ist, wenn er durch meine Hand gestorben ist…“

Sein Blick wanderte an die Decke.

Die Gedanken an jenen Fall nahmen ihn auch jetzt noch mit, als wäre es gestern gewesen. Dann riss er sich wieder zusammen, wandte sich wieder zu Ran, nahm ihr kleines Gesicht in seine Kinderhände.

„Ich kann- ich kann wirklich verstehen, wie du dich fühlst. Aber du hast nicht mit dem Finger auf sie gezeigt, und zu Gin gesagt: Sie hats genommen. Sie hat das Gift. Du hast sie nicht umgebracht. Es ist okay, dass du um sie trauerst- aber du hast sie nicht umgebracht.“

Sie schluckte, starrte ihn an.

„Aber…“

„Ran. Bitte…“

Dann nickte sie.
 

Heiji schaute Kogorô an. Und begriff, warum er damals so reagiert hatte. Das war es also gewesen- das Erlebnis, das ihn so verändert hatte.

Das ihn auf dieses Thema so sensibel reagieren ließ.

Bei diesem einen Fall- warum er so gereizt auf seinen Vorschlag reagiert hatte, die Frau sich doch einfach umbringen zu lassen, als sie das Benzin im Wasserkocher gefunden hatten- jetzt wurde ihm alles klar.

Es war nicht nur Kudôs hohe Moralvorstellung.

Es war auch sein Schuldgefühl.
 

Nun verstand er.
 

„Wussten Sie…?“, fragte er Kogorô, ohne ihn anzusehen.

Der Detektiv nickte nur stumm mit dem Kopf.

Gespräche

So...
 

Heute werde ich mein Vorgeplänkel kurz halten ;)

Ist doch auch mal was ^^

Zu sagen gibts hierzu eigentlich ohnehin nicht mehr viel...
 

Ich danke euch wie immer ganz außerordentlich für eure Kommentare und wünsche euch hier wie immer viel Vergnügen beim Lesen!
 

Liebe Grüße,

Eure Leira :D
 

________________________________________________________________________________
 

Er starrte aus dem Fenster, bekam nicht mit, was Frau Kobayashi erzählte. Ran saß neben ihm, beobachtete ihn – sie kannte diesen in die Ferne schweifenden Blick, diesen ernsten Zug in seinem Gesicht. Sie wusste, dass er wieder an einen einer vielen Dämonen dachte, die ihn verfolgten.

Wie der Gedanke an Seiji Aso.

Im Stillen wunderte sie sich, wie viel sie in letzter Zeit tatsächlich über Shinichi gelernt hatte- sie kannte ihn seit seiner Kindheit, aber erst jetzt… erst jetzt hatte sie das Gefühl, ihn verstanden zu haben.

Was sie in letzter Zeit alles erfahren hatte, überwältigte sie fast. Sie hatte Seiten an ihm kennen gelernt, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie existieren.

Also schwieg sie- und folgte seinem Blick.
 

Draußen regnete es.

Dicke Tropfen platschen gegen die Fensterscheiben, rannen an ihnen herab.
 

Eine einzige, schwarz gekleidete Gestalt ging ihres Weges, der jenseits des Zauns die Teitan-Grundschule umgab.

Ran zuckte zusammen.

Schwarz gekleidete Menschen?
 

Ihre Augen zuckten zurück, starrten ihn an. Er fuhr sich müde über das Gesicht - aber blieb ruhig.

Wenn er nicht panisch wurde, gab es keinen Grund für Panik.
 

Dann wanderte ihr Blick wieder auf die Person; und von ihr aus weiter nach hinten- und dann sah sie die anderen. Es kamen viele.

Viele schwarz gekleidete Gestalten.

Eine Trauergesellschaft.

Frauen in schwarzen Kostümen und Männer in schwarzen Anzügen- die meisten versteckt unter einem Schirm.

Die Person, die voranging, war eine junge Frau.
 

Und jetzt wusste sie, woran er dachte.

Conan dachte an Vermouth. An Sharon, an ihren Film, an ihre Motive.

Sie schluckte, musste zugestehen, dass diese Szene vor dem Fenster frappierende Ähnlichkeit mit der Beerdigung des Detektivs in ‚Denn am Ende steht der Tod’ hatte.
 

Conan lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er sie sah. Und ohne es zu wollen lief vor seinem inneren Auge die Szene wieder ab- immer und immer wieder.
 

Sie lief vor allen anderen her, ihre Augen vom Weinen gerötet, das schwarze Augen-Make-up verschwommen.

Jetzt, in diesem Moment, weinte sie nicht mehr- der Himmel übernahm es für sie. Große, schwere Tropfen fielen aus den Wolken - doch es scherte sie nicht, dass sie schnell bis auf die Haut durchnässt war.

Sie spannte keinen Schirm auf, wie viele andere der Trauergäste. Im Gegenteil- sie reckte ihr Gesicht nach oben, blinzelte, als ihr die Regentropfen in die Augen fielen.
 

War er jetzt dort? Sah er sie?
 

Ihre Tränen waren versiegt – unzählige hatte sie vergossen, bis zum heutigen Tag- und jetzt fühlte sie sich leer. Kein einziger Tropfen mehr wollte aus ihren Augenwinkeln perlen.
 

Sie hatte ihn verloren.

Auch alles Weinen, Klagen und Trauern brachte ihn nicht wieder.

Er war weg.

Sein kalter Körper lag jetzt auf dem Friedhof, unter einem Grabhügel, umkränzt und geschmückt mit vielen Blumen, die durch den heftigen Regen ihre Pracht schnell einbüßten.

Seine Seele, so hoffte sie, war an einem besseren Ort.

Ihr Blick wanderte wieder nach unten.
 

Sie war die erste gewesen, die an seinem Grab gestanden hatte - und die erste, die ging, weil sie es nicht länger ertrug.

Dieses Gefühl von Unvollkommenheit, das in ihr herrschte, seit er sie verlassen hatte, seit er gestorben war, trieb sie an den Rand des Wahnsinns, raubte ihr die Luft zum Atmen.

Und sie konnte die Beileidsbekundungen nicht mehr hören… diese geheuchelten Worte des Trostes.
 

Sie wollte sie nicht sehen.

Und die einzige Person, die sie sehen wollte, würde sie nie mehr zu Gesicht bekommen.
 

„Du wirst so nicht enden.“

Ran griff nach seiner Hand.

Er zuckte zusammen, drehte sich um, starrte sie nur ungläubig an.

„Du hast an den Film gedacht, nicht wahr?“

Er blinzelte. Dann nickte er langsam.

Conan schwieg, dachte nach, ehe er ihr antwortete.

„Sie hat ihm nicht helfen können.“, flüsterte er dann langsam.

„Sie hat alles gewusst, er hat ihr alles gesagt, ihr jedes Detail seines Falls erzählt, aber sie konnte ihm nicht helfen. Und dieses Wissen hat es ihr noch viel schwerer gemacht, seinen Verlust…“

„Ich werde dich nicht verlieren.“

Sie hatte ihn unterbrochen. Einfach so - aber mit fester Stimme. Sie würde ihn nicht verlieren - das war eine Feststellung, keine Vermutung und keine Hoffnung. Er fragte sich, woher sie diese Gewissheit nahm. Aber ihre Gewissheit verschaffte auch ihm wieder Vertrauen in sich selbst- und in sie.

Er betrachtete Ran eingehend; und stellte einmal mehr fest, wie sehr er dieses Mädchen liebte - egal ob als Kind oder junge Frau. Ran machte sein Leben erst lebenswert.

Sie gab ihm wieder Halt, wenn er ihn verlor. Wie gerade eben.

Das kleine Mädchen schaute ihn an, ohne zu blinzeln. Ihre Augen funkelten entschlossen, duldeten keinen Widerspruch. Er seufzte.

„Tatsache?“, murmelte er dann leise.

„Tatsache.“, bestätigte Ran nickend. „Das war ein Film, Shinichi. Die Realität sieht anders aus. Ich kann dich nicht dazu zwingen, mir zu sagen, was dich beschäftigt - aber ich verspreche dir eins… ich werde nicht zulassen, dass du…“
 

„Kohana! Conan! Wollt ihr vielleicht auch aufpassen?“
 

Die beiden drehten sich abrupt um, schauten schuldbewusst auf, in Fräulein Kobayashis strenges Gesicht. Conan merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg und ein Blick auf Ran zeigte ihm, dass es ihr nicht besser ging.

„Entschuldigen Sie, Fräulein Kobayashi…!“, intonierten sie synchron.
 

Wie in alten Zeiten…
 

Die junge Lehrerin nickte, und drehte sich um.

Als Ran Conan einen verstohlenen Blick zuwarf, sah sie ihn grinsen. Sie lächelte ebenfalls.
 

Dann kritzelte er auf ein kleines Papier eine Notiz, schob sie ihr zu.
 

Du hast Recht. Ich werde dich nicht verlassen. Ich bin nicht wie er.
 

Außerdem… hattest du auch gerade ein Déjà-vu? :p
 

Ran grinste amüsiert, nickte nur.

Den Rest des Schultages brachten sie ohne größere Zwischenfälle hinter sich. Das einzige, was Shinichi im Stillen ärgerte, war, das Heiji und Kazuha sich einen netten Tag in Tokio machten. Ihre Lehrer waren wegen einer Fortbildungstagung anderweitig beschäftigt; deswegen hatten die Schüler frei.
 

Gerade war der Gong zum Schulschluss verklungen und alle Schüler strömten schwatzend und lachend aus dem Schulgebäude.

Ayumi, Genta und Mitsuhiko starrten zu Ai, Conan und Hana, die gerade plaudernd durch das Schultor nach draußen schlenderten.
 

Seit jenem Gespräch bei Agasa zu Hause hatten sie die Klappe gehalten.

Niemandem etwas gesagt, niemanden etwas gefragt, nicht ermittelt- aber nun war Schluss.
 

Es ging nicht mehr.

Es ging einfach nicht mehr.
 

Sie fühlten sich ausgeschlossen, dabei hatten sie immer gedacht, sie wären ihre Freunde.

Okay, es war seltsam zu wissen, dass sie eigentlich erwachsen waren. Mehr als seltsam sogar.

Die erste Zeit hatten sie gar nicht so recht gewusst, wie oder ob überhaupt sie mit ihnen noch reden sollten…

Nach reiflicher Überlegung aber waren sie zu dem Schluss gekommen; die drei waren doch immer noch Conan, Ai und Kohana- die Kinder, mit denen sie sich angefreundet hatten.

Sie waren Freunde.

Warum dann also diese Geheimniskrämerei? Warum das alles?

Freunde hielten doch zusammen!

Sie wollten doch nur helfen- schließlich waren sie die Detective Boys!

Sie waren Detektive!
 

Und sie waren neugierig.
 

Die drei Kinder wechselten untereinander entschlossene Blicke, dann rannten sie ihnen hinterher.
 

Nach ein paar Metern hatten sie sie schließlich eingeholt, sich vor den dreien aufgebaut..
 

„Wir müssen mit euch reden.“

Mehr sagte Mitsuhiko nicht- und Conan wusste, diesmal kamen sie nicht aus.

Diesmal half auch Ais oberlehrerhafter Blick nichts.

„Aber nicht hier.“
 

Conan seufzte tief, warf der einigermaßen verwirrten Ran einen besänftigenden Blick zu.

„Sie wissen es. Ich hab- hab wohl vergessen, es dir zu sagen, entschuldige…“

Mehr sagte er nicht. Ran sagte nichts, fragte nicht- griff nur nach seiner Hand, schaute ihn nur besorgt an.

Ach, Shinichi…

Sie glaubte ihm, dass er es diesmal vergessen hatte. Was sie beunruhigte war, was ihn das hatte vergessen lassen.

Da war etwas viel Größeres passiert- etwas, dass die Entlarvung ihrer Identität durch die Detective Boys in den Schatten stellte. Sie drückte seine Finger- er erwiderte es, griff ihre Hand ein wenig fester.

Dann warf sie den Detektive Boys einen fragenden Blick zu.

Ai schaute eher griesgrämig drein, presste ihre Lippen so fest aufeinander, dass nur ein dünner Strich noch sichtbar war.

Ihr war das alles gar nicht Recht; nicht nur, weil sie nicht wollte, das die Kinder mehr wussten. Nein- sie wollte ihre Ruhe haben, um zu arbeiten. Sie hatte die ersten Laborversuche vorbereitet, mit Mäusen- und wollte nun endlich wissen, ob ihre Verjüngungstheorie sich bewahrheiten würde, und wenn ja, wie sie zu erklären war.

Sie seufzte. Ihre Versuche würde sie wohl noch ein wenig verschieben müssen.
 

Dann ging sie voran, gefolgt von Ran, Conan, Ayumi, Genta und Mitsuhiko und führte sie zum Haus des Professors.

Der blickte einigermaßen erstaunt von seinem Mittagessen auf, als der Trupp in die Küche kam, sich sechs Kinder um seinen Tisch quetschten.
 

Ayumi schaute zu Ran, konnte kaum die Augen von ihr abwenden. Sie war seine Freundin.
 

Sie war es immer schon gewesen.
 

Niemals hatte sie eine Chance gehabt, nicht einmal den Hauch einer Chance- und jetzt zu wissen, dass sie sich in einen Erwachsenen verliebt hatte, der sich vielleicht hinter ihrem Rücken über sie- über sie lustig gemacht hatte…?

Sie hatten zwar gesagt, sie hätten nie über sie gelacht- aber vielleicht, bei dieser speziellen Situation…?

Schließlich war sie diejenige gewesen, die sich Hals über Kopf in ihn verknallt hatte und das nicht unbedingt heimlich- nein… sie hatte recht offen für ihn geschwärmt.

Offen genug, dass er es mitbekommen hatte.
 

Vielleicht hatte Shinichi doch…?

Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. All die Zeit hatte sie vor lauter Verwirrung nicht daran gedacht, jetzt erdrückte sie dieser Gedanke beinahe.
 

Aber noch bemerkte keiner ihr Dilemma.
 

„Also. Wir wissen soviel: ihr drei seid eigentlich keine Kinder, sondern Shinichi Kudô, Shiho Miyano und…“, Mitsuhiko stockte.

„Ran Môri.“, vervollständigte Ran seinen Satz.

Der Junge nickte ernst.

„Ran.“

Er räusperte sich.

„Nun. Wir wissen auch, dass das alles mit einer gewissen Organisation zusammenhängt. Was wir nicht wissen, ist, warum diese Organisation euch geschrumpft hat? Ist das nicht hirnrissig? Was wollen die von euch…?“

Conan verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Von Ran gar nichts, Mitsuhiko.“

Seine Stimme klang fest.

„Ran ist da mehr oder weniger hineingestolpert…“

Er seufzte.

„Und was wollen sie dann von dir und Ai?“

Mitsuhiko klang ungeduldig.

„Unseren Tod.“

Ai schaute den Jungen berechnend an. Conan warf ihr einen ungehaltenen Blick zu. So direkt hatte sie auch wieder nicht sein müssen.

Er räusperte sich, befand, es wäre besser, wenn er das Reden übernahm.

„Deswegen ist es auch so wichtig, dass ihr die Klappe haltet. Ich und Shiho hängen an unseren Leben, und ich will nicht, dass Ran unnötig in ein Risiko gerät…“

„Und warum wollen sie euch umbringen?“

Genta beugte sich interessiert nach vorne, kaute bereits an einem von Agasas Sandwichs. Der warf ihm einen leicht genervten Blick zu, sagte allerdings nichts - er schob nur sein Essen aus der Reichweite des gut gebauten Jungen.

„Reicht es nicht für euch zu wissen, dass sie es tun wollen?“

Conan schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an.

„Um ehrlich zu sein ist es mir nämlich gar nicht Recht, dass ihr soviel wisst. Je mehr ihr wisst, desto gefährlicher wird es auch für euch. Also seid doch bitte so gut und fragt nicht weiter. Ich dachte eigentlich, wir hätten das Thema durch…“

„Ich auch.“

Nun endlich sprach auch Ai.

„Es geht euch nichts an.“

„Warum wollen die euch umbringen?!“

Mitsuhiko war nun wirklich verärgert. Das Verhalten der beiden ging ihm gewaltig auf die Nerven.

„Nun. Ai ist eine Ex-Mitarbeiterin dieser seltsamen Gesellschaft, soviel haben wir gehört, von Ayumi. Das scheint wie bei der Yakuza zu sein- auf Verrat steht der Tod. Aber warum du? Was wollen die von dir?“

„Ich weiß zuviel. Ich hab sie gesehen… ihnen nachspioniert. Darauf hättest du aber selber kommen können, Mitsuhiko, nachdem du ja nun weißt, wer ich bin…“

Er verzog das Gesicht.

„Mit dem Gift haben sie versucht, mich umzubringen, nur leider gings etwas in die Hose. Reicht das jetzt an Information?“

„Wollten sie Ai auch umbringen damit?“, fragte Genta, äugte gierig zu Agasas Essen.

„Nein."
 

Mehr sagte sie nicht. Das war auch nicht nötig. Mitsuhiko schluckte, schaute sie ernst an. Genta war eine Spur blasser geworden, und Ayumis Unterlippe bebte gefährlich.

Für eine Weile war alles still.
 

„War’s das dann?“, fragte Ai schließlich. Der Zynismus und die Ungeduld in ihrer Stimme war unüberhörbar. Sie wollte dieses Gespräch endlich beenden, zu ihren Mäusen gehen...und...

Außerdem wollte sie den Kindern nicht mehr zumuten... offensichtlich wussten die gerade selber nicht, wie viel Wahrheit gut für sie war.
 

„Warum ist Ran so klein?“

Ayumis Piepsstimmchen erfüllte den Raum. Erst jetzt wandten sie sich ihr zu- sahen sie ihre Tränen. Conan schluckte.

„Wenn die Organisation sie nicht kennt, an ihr nicht interessiert ist, warum ist sie dann so klein?“

„Ich sagte doch, sie ist hineingest-…“, begann Conan, kam aber nicht weit.

„Weil ich es wollte.“

Er presste die Lippen aufeinander. Ran lächelte sacht, bedachte Conan, der neben ihr saß, mit einem zärtlichen Blick.
 

Ayumi zitterte.

Es war offensichtlich.

Sie fühlte sich immer jämmerlicher, als sie daran dachte, dass sie auch noch versucht hatte, die beiden auseinander zu bringen, wo Ran doch offensichtlich ein so großes Opfer gebracht hatte, um bei ihm zu sein.

Es war nicht zu übersehen, dass sich hier zwei Seelen gefunden hatten.

Ihr wurde schlagartig schlecht.

Ai sah sie an- und deutete ihr Verhalten richtig. Für sie war klar, dass sie an ihr Gespräch dachte- und dass sie sich immer noch schämte wegen der Tatsache, sich in einen Erwachsenen verliebt zu haben.

Conan blieb Ayumis Zustand ebenfalls nicht verborgen. Er wusste zwar nicht, dass Ayumi auch noch ein schlechtes Gewissen plagte- aber mit seiner Vermutung, dass sie sich wegen ihrer Verliebtheit schämte, lag er auch richtig. Er musste mit ihr reden, am besten jetzt gleich- aber nicht vor allen anderen. Er rutschte vom Stuhl.

„Ich hol uns was zu trinken. Kommst du mit und hilfst mir?“

Er sah sie an. Sie wagte nicht zu widersprechen, glitt ebenfalls von ihrem Stuhl, folgte ihm schweigend in den Keller, wo die Getränkekisten standen.

Die anderen schauten ihnen hinterher.
 

Im Vorratskeller herrschte graues Dämmerlicht. Es roch leicht modrig, Staub wallte hoch, als er die Tür öffnete. Dann hörte er ein leises Geräusch, ein Wimmern- und drehte sich um.

„Ayumi?“

Sie schniefte.

„Ayumi, was ist los…?“

„Ich kann es dir nicht sagen.“

Ihre Stimme war sehr leise, ihr Kopf war hochrot.

„Du hast dich in mich verliebt, stimmt’s?“, fragte er behutsam. Ihm war klar, die Frage war eigentlich eine rhetorische. Sie wussten beide, was Sache war- aber er wusste auch, sie würde es wohl von selber nicht sagen- aber diese Sache musste nun einmal ausgesprochen werden.

Er trat näher.

Sie schaute betreten auf den Boden, kaute auf ihrer Unterlippe.

Irgendwann nickte sie.

Ganz leicht.

Eine Träne tropfte von ihrer Nasenspitze auf den Boden.
 


 

Genta und Mitsuhiko starrten Ai und Kohana an.

„Was machen die da so lange?“

Ai lächelte bitter.

„Reden. Und es wurde auch dringend mal Zeit.“

Sie warf einen Blick zu Ran, die mit im Schoß gefalteten Händen beklommen auf ihre Finger starrte.
 

Der Professor stand auf, ging zum Kühlschrank und begann, etwas zu essen für die Kinder zu machen.
 

„Und worüber reden die jetzt?“, hakte Genta skeptisch nach.

„Private Dinge.“

Ai klang gelassen.
 


 

Er suchte in seiner Westentasche nach einem sauberen Taschentuch, fand eins, reichte es ihr.

„Bist du traurig, Ayumi?“

Conan seufzte. Das hier war wirklich schwierig. Natürlich war sie traurig- das wusste er, schließlich stand sie vor ihm, weinend. Aber ihr gleich alles hinzuknallen, was er wusste, war keine gute Idee.

Ayumi nahm sein Taschentuch, wischte sich übers Gesicht, blies dann ihre Nase.

„Ja.“

„Weil ich mit… mit Ran?“

Und jetzt, jetzt, sah sie ihn an.

Conan sah ihr sehr ernst, sehr mitfühlend in die Augen.

„Ja, auch.“

Sie schniefte geräuschvoll.

„Auch?“

Sie nickte, erwiderte scheu seinen Blick.

„Ich… ich hab mich gefragt… jetzt, nachdem ich weiß, wer du bist, dass du… dass du schon erwachsen bist… ich…“

Er schaute sie verwirrt an.

„Hast du dich nicht lustig gemacht über mich?“

Er blinzelte. Wie bitte?

„Lustig gemacht?“

Seine Augen wurden groß.

„Nein, wie kommst du darauf? Du kannst ja nichts dafür, und ich… mir war es sehr unangenehm. Ich wollte nicht- ich hab versucht, dass du in mir nichts weiter siehst als einen guten Freund… ich… warum sollte ich mich über dich lustig gemacht haben?“
 

Sie schaute ihm in die Augen. Langsam fing sie sich wieder.

„Also nicht?“

„Nein.“

Sie atmete aus.

„Also nicht.“

„Genau.“
 

Sie schluckte.

„Shi- Shinichi?“

Er, der sich gerade eine Flache Limonade unter dem Arm klemmte, drehte sich verwundert um.

„Ich wollte, das Conan Kohana verlässt…“

Er blinzelte. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihm breit. Warum sagte sie ihm das…?

„Ich war egoistisch, das tut mir Leid…“

Sie wisperte es nur, aber er hörte ihre Worte deutlich.

Und er verstand.

„Das ist schon okay, Ayumi. Du konntest es nicht wissen. Ich bin dir nicht böse- und ich bin mir sicher, Ran auch nicht.“

Er lächelte sie aufmunternd an.

„Sonst noch was, was dir auf dem Herzen liegt?“

Sie schüttelte den Kopf. Eine warme Welle der Erleichterung durchflutete sie.

Sie zog eine Flasche Wasser aus dem Getränkekasten.

„Nein, außer…- dann bleiben wir Freunde?“

Sie lächelte hoffnungsvoll.

„Wir bleiben Freunde.“

Er nickte freundlich.
 

Jetzt, nachdem sie wusste, dass er nicht über sie gelacht hatte, dass er nicht böse auf sie war, fühlte sie sich besser. Deutlich besser.

Sie war zwar immer noch traurig, sehr traurig, dass er… dass er nicht Conan war, sie nie Freund und Freundin werden würden…
 

Aber er blieb wenigstens ein guter Freund. Wenn nicht der Freund, dann wenigstens ein guter.

Und außerdem hatte er schon eine Freundin- Ran-neechan, oder Hana-chan, wie sie ja jetzt hieß. Sie zog eine weitere Flasche Wasser aus dem Getränkekasten.
 

„Du hast Ran richtig gern, nicht war?“, fing sie nun an.

Conan, der gerade ebenfalls eine zweite Limonadeflasche holte, wurde rot.

„Du kannst aber schnell das Thema wechseln.“

Ayumi schoss nun ebenfalls wieder das Blut ins Gesicht.

„Entschuldige, ich…“

„Ja, ich mag sie sehr. Ich mag sie schon seit sehr, sehr langer Zeit, sehr, sehr gern.“

Er lächelte. Ayumi lächelte zurück.
 

„Also habt ihr ausgemacht, ihr werdet beide wieder klein?“

Ein romantischer Gedanke, der jedoch gleich von seiner scharfen Stimme zunichte gemacht wurde.

„Nein!“
 

Er atmete aus.

„Nein.“

Ayumi schaute ihn fragend an.

Er seufzte. Also musste er hier ein wenig weiter ausholen.

„Ran wusste bis letztes Weihnachten genauso wenig wer ich bin, wie du, Genta und Mitsuhiko. Und eigentlich hätte das auch so bleiben sollen. Nun, es kam anders. Ich- ich hab’s ihr gesagt.“

Er hielt inne.
 

„Eine Zeitlang ging’s gut. Aber irgendwie- ich meine, zehn Jahre sind ein gewaltiger Altersunterschied, nicht?“

Er lächelte hilflos. Ayumi schaute ihn aufmerksam an.

Conan fuhr fort.
 

„Nun. Es… es gibt noch kein Gegengift, dass uns, mich und Ai, und jetzt auch Ran, von dieser Gestalt erlösen könnte. Deshalb hat Ran sich in den Kopf gesetzt, mit dem Gift, dass uns… das uns eigentlich hätte töten sollen, auch zu schrumpfen. Ich wollte nicht, dass sie das macht. Niemals… “
 

Ayumi schaute ihn fassungslos an.

„Sie hat dich nicht gefragt? Aber woher wusste sie denn, dass es sie nicht umbringen würde?“

Conan schluckte, schaute dem kleinen Mädchen ins Gesicht.

„Sie wusste es nicht. Sie tat es trotzdem.“
 

Damit drehte er sich um, ging.

Ayumi stiefelte schweigsam hinter ihm die Treppe hoch- sie wusste, was sie wissen wollte. Wissen musste.

Und er tat ihr Leid.
 


 

Genta, Mitsuhiko, Ai und Ran sahen auf, als die beiden wieder in die Küche kamen. Conan stellte die Flaschen auf den Tisch, hüpfte wieder neben Ran auf die Bank. Ayumi tat es ihm gleich, nahm wieder auf ihrem Stuhl platz, griff sich eins der Sandwichs, die der Professor mittlerweile für die Kinder gemacht hatte.
 

Nun ergriff wieder Mitsuhiko das Wort.

„Ihr seid also hinter einer Verbrecherbande her, die euch töten wollten, und immer noch wollen, ja?“

Conan nickte. Ai hatte bei dem Wort ‚Verbrecherbande’ die Augenbrauen hochgehoben, sarkastisch geschnaubt.
 

„Und warum lasst ihr uns dann nicht bei der Suche helfen? Wir sind die Detektive Boys!“

Genta und Ayumi nickten zustimmend.
 

Conan seufzte resigniert.

„Weil ihr Kinder seid, verdammt. Wann versteht ihr das denn endlich?“

„Aber das seid ihr doch auch!“, erwiderte Genta und schob sich ein Sandwich zwischen die Kiemen.

Ai stöhnte frustriert auf.

„Danke, dass du mich dran erinnerst.“
 

Conan schüttelte den Kopf.

„Nein. Sind wir nicht. Wir sehen aus wie welche, aber wir sind keine. Wir sind momentan gar nichts- wir sind weder Kind noch Erwachsener. Aber Fakt ist, wir können und wollen euch da nicht hineinziehen. Es ist zu gefährlich. Haltet euch raus. Das ist mein letztes Wort zu der Sache.“
 

Alle am Tisch schauten ihn an.

Conan ließ sich zurück sinken, nahm das Sandwich, das ihm Ran reichte, biss hinein und kaute gedankenverloren.
 

Irgendwie waren sie ja schon süß, seine kleinen Detektivfreunde.

Aber sie noch weiter hineinzuziehen wäre unverantwortlich.

Das könnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren.
 

Eigentlich wussten sie ja jetzt schon viel zu viel.
 


 

Am anderen Ende der Welt stand Yukiko Kudô auf ihrem Balkon ihrer Villa in Los Angeles und betrachtete die in der Hitze flirrende Stadt zu ihren Füßen.
 

„Warum sind wir noch gleich wieder in die Staaten gefahren, während unser Sohn in Japan in sein Verderben rennt, Yusaku?!“, fauchte sie.
 

Sie drehte sich um, starrte ihrem Ehemann ins Gesicht, der im Balkonfenster erschienen war. Ihre Stimme klang aufgebracht, ihre ganze Haltung verriet Anspannung, ihre Wangen waren gerötet.
 

„Damit er eine Sorge weniger hat, Yukiko.“, antwortete er ruhig.

„Damit er sich nicht darum kümmern muss, ob uns diese Organisation auf die Pelle rückt, und er sich den wichtigen Dingen widmen kann.“

Eine Gelassenheit lag in seinen Worten, die seinen eigentlichen Gemütszustand Lügen strafte.
 

Er war sich ja selber nicht ganz sicher, wusste selber nicht, warum er eigentlich Shinichis Drängen, doch bitte Japan zu verlassen, nachgegeben hatte.

Er wusste es nicht.

Er hatte auch gar nicht gehen wollen.

Aber nichtsdestotrotz stand er jetzt hier.
 

Er erinnerte sich noch an das Gespräch, das sie geführt hatten.

In dem er ihn gebeten hatte, zusammen mit seiner Mutter zu verschwinden. Damit sie in Sicherheit waren.

Yusaku seufzte.

Er hatte damals am Ende einer langen Diskussion nur genickt, und als sein Sohn gegangen war, seiner fassungslosen Frau mitgeteilt, dass sie packen sollte.
 

Er hatte Shinichi zwar das Versprechen abgerungen, sich zu melden, täglich- aber das war eigentlich auch mehr ein Pseudoberuhigungsmittel für Yukiko gewesen.
 

Sollte der Ernstfall eintreten, würde er nicht da sein können, um ihm beizustehen.

Und dieses Wissen fühlte sich nicht gut an.
 

Yusaku trat neben seine Frau, starrte auf die Straßen unter ihm.
 

„Wir sind hier, weil ich ihm bedingungslos vertraue. Er hat mir versprochen, aus dieser Sache heil raus zu kommen, und ich glaube ihm.“
 

Er schwieg, hob seinen Blick, verlor sich in den unendlich blauen Weiten des wolkenlosen Himmels.

„Und es gnade ihm Gott, wenn er sein Versprechen bricht, denn von mir kann er es nicht erwarten, verdammt…“

Er biss die Zähne zusammen, krampfte seine Hände um das Balkongeländer.
 

Würde er tatsächlich in Schwierigkeiten geraten, dann wäre er viel zu weit weg, um ihm zu helfen… der Gedanke quälte ihn.
 

Yukiko starrte ihn an.

Dann löste sie sanft eine Hand mit ihren Fingern von der Brüstung, umschloss sie. Yusaku blickte in ihre azurblauen Augen.

„Ich habe Angst, Angst um unseren Sohn, Yukiko. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass das hier noch ein böses Ende nimmt…“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, darüber zu reden. Ihr seine Ängste und Befürchtungen mitzuteilen. Ihr Ärger verrauchte.
 

Lange schaute sie ihn an, dann streckte sie sich, gab ihm einen leichten Kuss auf die Lippen, ehe sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub, sich an ihn lehnte.

„Ich auch.“
 

„Er lässt sich nicht helfen. Er hätte Ran am liebsten auch noch mit uns in den Flieger gesetzt.“

Er schluckte. Sie hob den Kopf, schaute ihn wieder an.

„Warum hat er es nicht getan?“
 

„Weil es nicht geht.“

Yusaku strich sich über die Augen.

„Kohana Akechi hat keinen Pass, genauso wenig wie Conan Edogawa oder Ai Haibara. Diese Kinder existieren offiziell gar nicht. Deswegen muss sie bei ihm bleiben. Deswegen muss er auf sie aufpassen. Und damit er das besser tun kann, hab ich zugestimmt, ihn allein zu lassen, damit er sich wenigstens um uns keine Sorgen machen muss. Und mir geht’s mies dabei, ehrlich. Ich hab das Gefühl, ich bin hier völlig falsch. Völlig fehl am Platz. Ich mach mir wahnsinnige Sorgen um ihn…“

„Ich mir auch.“

Yukiko schlang ihre Arme um ihn, legte den Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel.
 

„Gibt es einen Gott?“
 

Er wandte ihr den Kopf zu- dann folgte er ihrem Blick.

„Wie kommst du darauf?“

Sie schloss die Augen. Er sah sie wieder an, sah, wie ihre Haare in der Sonne, die langsam immer kräftiger wurde, den nahenden Frühling ankündigte, glänzten, flimmerten, sich der Wind in ihnen fing.
 

„Ach, nur so…“

Er räusperte sich.

„Also, wenn du meine Meinung wissen willst…“

„Will ich das?“, neckte sie ihn leicht.

„Ja, willst du.“

Sie öffnete die Augen wieder, schaute ihn aufmerksam an.

„Dann?“, hakte sie nach.
 

„Es gibt ihn, wenn du daran glaubst. Du musst nur fest genug wollen, dass er existiert- dann wird er da sein. Und ein Auge haben auf dich, und auf die, die du liebst.“
 

Sie schaute ihn an, nahm seinen Kopf in beide Hände, berührte mit ihren Daumen seine Wangen. Sah in das Gesicht, in das sie sich verliebt hatte, damals- er war ihr Gefährte, ihr Partner, ihr Seelenverwandter, stand ihr bei, in guten und in schlechten Zeiten.

Er war der Mann, den sie entgegen dem Willen ihrer Familie geheiratet hatte. Er war der Mann, für den sie ihre Karriere geopfert hatte, um mit ihm eine Familie zu gründen, um mit ihm glücklich zu werden.

Er war der Vater ihres Sohnes. Eines Sohnes, der ihm so ähnlich war.
 

Und der gerade sein Leben mehr als einfach nur aufs Spiel setzte.
 

Eine Träne verließ ihren Augenwinkel. Ihre Unterlippe bebte, und er sah, wie sie zu zittern anfing. Sie musste nichts sagen- er wusste auch so, dass sie die Angst beinahe zu überwältigen drohte.

„Schhh…“

Er zog sie an sich, drückte ihren Kopf auf seine Schulter.
 

„Glaub mir, er schafft das. Er schafft das. Er muss einfach…“
 

„Ich liebe dich...“, wisperte sie. Er spürte ihren Atem an seinem Hals, merkte, wie ihm ein wohliger Schauer über den Rücken lief.

„Ich dich auch.“

Er schob sie sanft auf Armeslänge von sich weg.

„Und jetzt müssen wir stark sein, Yukiko.“

Sie strich sich die Tränen aus den Augen und nickte.

„Du hast Recht. Er wird es schaffen. Er ist unser Sohn, er wird es schaffen.“
 

Dann klingelte das Telefon.

Sie warfen sich einen erleichterten Blick zu, gingen zurück ins Haus.

Cocktailparty

Hi!
 

Dankeschön für eure Kommentare! Ehrlich, ich kanns gar nicht oft genug sagen- ich danke euch sehr!
 

Nun ja- Ayumi kann einem Leid tun. Ich gebs zu. Aber Ayumi kommt klar, denke ich. Sie versteht es ja schließlich- und ich denke, das Gespräch hat ihr eher geholfen, als sie noch mehr runtergezogen. Und sie wird ihre Stunde noch kriegen ^^
 

Gut... der Friedhof.

Nur mal für alle Skeptiker- ich saug mir das mit den Friedhöfen neben den Grndschulen nicht aus den Fingern- neben meiner Grundschule war ein Friedhof. Echt wahr ^^;
 

Sooo... und nun wirds wohl Zeit, dass ein ganz anderer mal wieder das Wort bekommt... sehen wir mal, was sich ein gewisser blonder Mann so gedacht hat in der Zwischenzeit...
 

Viel Vergnügen beim Lesen!
 

Bis nächste Woche,

Liebe Grüße, eure Leira :D
 

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Gin strich sich gedankenverloren übers Kinn. Er stand nun schon seit über einer viertel Stunde wartend an der Hotelbar. Langsam wurde er ungeduldig.
 

Nein, das stimmte so nicht ganz- er war schon ungeduldig gewesen, als er vor gut zwanzig Minuten hierher gekommen war, um sich mit ihr zu treffen. Nun war sie allerdings schon fünfzehn Minuten überfällig.

Jetzt war er wütend.

Er hasste es, warten zu müssen.

Vor allem jedoch im Moment.

Denn Gin - hatte ihr etwas zu sagen.
 

Ihm hatte die Möglichkeit, dass Shinichi Kudô seinen Mordversuch überlebt hatte, keine Ruhe mehr gelassen.

Genauso, wie ihn die Tatsache, dass Sherry noch auf freiem Fuß war, nicht in Ruhe ließ.
 

Diese beiden hatten kein Recht mehr, noch am Leben zu sein, und es war an ihm, dafür zu sorgen…

Er grinste böse, zückte eine Zigarettenschachtel aus einer Manteltasche, zusammen mit einem Feuerzeug.
 

Er hatte sich nie erklären können, wie Sherry damals entkommen war. Sie war angekettet gewesen, er hatte sich noch persönlich überzeugt, dass sie nicht aus den Handschellen rutschen konnte.
 

Ach Sherry… du warst ein böses Mädchen. Und du weißt, was bösen Mädchen passiert…
 

Er klopfte eine Zigarette aus der Packung, steckte sie sich zwischen die Lippen.

Gin wusste, er hätte sich auch überzeugen sollen, ob Kudô tatsächlich das Zeitliche gesegnet hatte. Er hatte es nicht. Ein Fehler?

Aber egal. Das war die Vergangenheit.
 

Fakt war, die Möglichkeit, das Kudô noch lebte, konnte eigentlich nur in Zusammenhang mit dem Gift stehen. Es hatte nicht vorschriftsmäßig gewirkt.

Und Fakt war, dass die liebe Sherry sie noch davor gewarnt hatte, es einzusetzen. Es zeigten sich noch Anomalien bei der Anwendung, so waren ihre Worte gewesen.
 

Sie hatte nie erwähnt, welche Anomalien das waren.
 

Er knipste das Feuerzeug an und hielt die kleine Flamme an die Zigarette zwischen seinen Lippen, zog an ihr, bis die Spitze zu Glimmen begann.
 

Also war er ins Hauptquartier gefahren, hatte die Protokolle der Experimente und Versuchsbeschreibungen eingesehen und- war fündig geworden.

Sie testete ihr Gift an weißen Labormäusen.

An vielen, vielen weißen Labormäusen- und viele, viele waren auch tatsächlich gestorben. Bei einigen wenigen allerdings…
 

Bei einer fast vernachlässigbar geringen Zahl…
 

… war besagte Anomalie aufgetreten. Hatte das Gift nicht so gewirkt, wie es sollte.

Nicht normal- sondern anormal.
 

Und diese Ausnahme, diese Anomalie… sie bestand darin, dass die Mäuse sich zurückentwickelten.

Sie schrumpften.

Wurden zu süßen, kleinen, hilflosen Babymäuschen.

Er grinste gehässig.
 

Er nahm einen tiefen Zug, blies einen Ring aus graublauem Rauch in die Luft.
 

Und wenn nun diese Anomalie, diese Rückentwicklung, bei Kudô, der als zweifelhafter Todesfall gegolten hatte, und den er im Park gesehen zu haben glaubte, und bei Sherry, von der er wusste, dass sie noch lebte, aber nicht erklären konnte, wie sie entkommen war, aufgetreten war…
 

Dann konnte er sich zumindest zwei Dinge erklären:

Sherry war als Kind klein genug gewesen, ihr dünnes Ärmchen aus der Handfessel zu ziehen und durch den Müllschacht zu entkommen.

Und Kudô- er war geschrumpft, nachdem er und Vodka gegangen waren. Sie hätten sich viel Ärger ersparen können, wenn sie gewartet hätten, bis er wirklich tot war. Das hieß, sie hätten dafür sorgen können, dass er wirklich tot war, wenn das Gift es nicht getan hätte.

Er runzelte die Stirn und nahm einen weiteren tiefen Zug aus seiner Zigarette, inhalierte tief, spürte, wie der Rauch in seiner Brust leicht brannte…
 

Es stellte sich nur noch die Frage, wie Sherry und Kudô ihrem Kinderdasein hatten entfliehen können. Denn es war ganz klar Shiho Miyano gewesen, die er auf dem Hoteldach fast gestellt hatte- und es war ganz klar kein kleiner Junge gewesen, der mit dem Mädchen im Park rumgemacht hatte.
 

Das wiederum ließ nur einen Schluss zu.

Er stieß den Rauch aus.
 

Die beiden kannten sich.

Und sie arbeiteten an einem Gegenmittel. Er allein hatte nicht die Mittel und das Know-how dazu.
 

Da er weder Shiho noch diesen dummdreisten Detektiven in den letzten Tagen hatte finden können, nahm er an, dass sie noch kein endgültiges Mittel gefunden hatten.
 

Und nachdem er dieses Mädchen - Kogorô Môris Tochter, wie sich herausgestellt hatte - nach ein paar Recherchen auch nicht gefunden hatte, sie wie vom Erdboden verschluckt schien, lag der Schluss nahe, dass auch sie von dem Gift genommen hatte. Einzig und allein die Frage, ob sie nun ein Kind war oder tot, war noch unbeantwortet.
 

Dann sah er sie endlich die Bar betreten. Er warf seine Zigarette auf den Boden, trat sie aus.

Wenn seine Theorie stimmte, dann würde das so einiges erklären…
 

I guess I’ve discovered one of your secrets, woman…
 


 

Ungefähr zur gleichen Zeit, um halb sieben Uhr Abends, saßen James Black und Jodie Starling in der Lobby des Ritz Carlton Tokio Grand Hotels und tranken - wie sollte es auch anders sein - Kaffee.

Beide waren sehr schweigsam.
 

Sie hatten eigentlich in ein Café gehen wollen, um ihr weiteres Vorgehen zu erörtern - stattdessen hatten sie sich dann doch dazu entschlossen, in eins der Hotels auf seiner Liste zu gehen. Sollte es der Zufall wollen, und ihm entweder Vermouth, Gin oder ein anderer aus ihrem Kreis über den Weg laufen- großartig.

Dann brauchten sie morgen nicht mehr hierher kommen.

Momentan sah es allerdings nicht danach aus.
 

James stellte seine Kaffeetasse geräuschvoll auf der steinernen Tischplatte ab.
 

„Kann man das fassen?“, murmelte er fragend, allerdings mehr zu sich selbst als zu Jodie. Die schaute ihn über den Rahmen ihrer Brille hinweg an, dann stellte sie ihre Tasse ebenfalls, aber um einiges behutsamer, auf dem Tisch ab.
 

„Eigentlich nicht. Aber wundern tut es mich auch nicht mehr.“

Er hatte ihnen wirklich alles erzählt. Von seiner Verbindung zu Vermouth, die in Wirklichkeit Sharon Vineyard war- von den Einladungen, die aufs Geisterschiff und die auf die Premierenfeier, die sie ihm geschickt hatte - von dem Film - von ihrer Warnung vor ein paar Tagen.

Und von Ran, die jetzt genauso gekürzt herumlief wie er selber. Wie sie Gin das Gift aus der Manteltasche gestohlen hatte.

Seine Stimme war leise geworden, an der Stelle, in seinem Gesicht war ein Ausdruck von Schmerz zu lesen gewesen, von Verzweiflung… aber auch von Entschlossenheit, von Mut und dem festen Willen, dem endgültig ein Ende bereiten zu wollen.
 

Er wollte es zu Ende bringen, koste es, was es wolle.

Koste es, was es wolle…
 

Jodie seufzte leise. Ihnen allen war der Mund offen stehen geblieben, sprichwörtlich. Selbst Akai, der eigentlich eher nie zeigte, was er dachte, war anzusehen gewesen, wie sehr ihn der kleine große Detektiv beeindruckte.

Er war einer von ihnen - er war wie sie.

Fast.

Er war noch besser.
 

James räusperte sich.

„Wo bleibt eigentlich Shuichi?“

Sie zuckte minimal zusammen- er schien ihre Gedanken lesen zu können.

Jodie trank ihren Kaffee aus.

„Weiß nicht. Ich glaube, er wollte etwas mit dem kleinen Mädchen besprechen. Mit Ai… Haibara. Sie war doch ihre Schwester. A… Akemis Schwester.“
 

Black nickte gedankenverloren.

„Und wann kommt er wieder?“

„Keine Ahnung. Aber er meinte, er meldet sich. Er schätzte, es würde nicht zu lange dauern. Und was morgen betrifft, weiß er ohnehin Bescheid…“

„Also ist das Vorgehen klar? Wir beschatten also morgen die Hotels, zusammen mit cool kid und seinem Freund, diesem…“

„Hattori Heiji.“, half ihm Jodie auf die Sprünge.

„Genau. Mit diesem Detektiven aus Osaka. Sag mal, du kennst ihn doch. Taugt der was?“

James trank ebenfalls seinen Kaffee aus, schaute sie prüfend an.

„Doch, doch. Heiji ist nicht übel- ich halte zwar cool kid für noch etwas schlauer, vor allem weil er für gewöhnlich sein Temperament im Griff hat, einen kühlen Kopf bewahrt- aber Hattori ist auch nicht schlecht. Ein fähiger Detektiv.“

James nickte.

„Schön. Wir treffen uns dann also morgen um halb sieben Uhr vorm Tokio Plaza Hotel und teilen uns dann auf… mal sehen, ob wir Erfolg haben. Ob wir sie in unsere Finger kriegen können“

Jodie winkte der Bedienung, um zu zahlen.
 

„Das zumindest ist der Plan.“

Sie bezahlten ihre Rechnung und standen auf, allerdings nicht ohne noch einen letzten, prüfenden Blick durch das Hotelcafé zu werfen – umsonst, denn die, die sie suchten, schien nicht hier zu sein. Der alte Mann vom FBI wandte sich mit fragendem Blick an seine junge Begleiterin.
 

„Sag mal, Jodie…“

Black schaute sie fragend an.

„Was hältst du von Kino?“
 

Sie schaute ihn mit großen Augen an.

„Sag bloß, du willst…?“

„Ganz genau.“
 

Er lächelte schalkhaft ob ihrer vor Überraschung großen Augen.

„Du magst doch Kino? Zumindest als kleines Mädchen gingst du gern einen Film ansehen, soweit ich mich richtig erinnere… Ich kauf dir auch eine Tüte Popcorn.“

James lachte.

Ein leichtes Grinsen schlich sich auf Jodies Lippen.
 


 

Keiner kam umhin zu bemerken, dass sie den Raum betrat.

Vermouth spazierte in ihrem hochhackigen, schwarzen Lackpumps zur Bar, immer drauf bedacht, die Schritte klein genug zu halten, damit sich ihr hochgeschlitztes, magmarotes Kleid gerade soweit öffnete, um die Fantasie der Männer anzuregen, ohne zuviel zu zeigen.

Ein gewinnendes Lächeln lag auf ihren blutrot geschminkten Lippen.

Sie hatte Erfahrung in diesen Dingen. Sie war eine Meisterin ihres Fachs.
 

Vermouth nahm, ohne zu grüßen, neben Gin auf einem Hocker an der Bar Platz. Dann wandte sie sich mit einem verführerischen Lächeln und kokettem Augenaufschlag an den jungen Barkeeper und bestellte für sich eine Bloody Mary.
 

Erst dann schien sie ihn zu bemerken.

Sie warf ihre schwarzen Haare zurück- für diesen Anlass hatte sie sich extra eine sündhaft teuere Echthaarperücke besorgt, schließlich sollte nicht zu schnell bekannt werden, dass sie hier residierte.

Aufreizend langsam schlug sie eins ihrer langen Beine über das andere, schenkte dem Barkeeper, der ihr in dem Moment ihren Cocktail servierte, ein charmantes Lächeln und kostete einen Schluck der roten Flüssigkeit, ehe sie sich ihrer Begleitung für diesen Abend zuwandte.
 

Der schaute sie mit unverhohlenem Ärger an.

„Musst du eigentlich immer diese Show abziehen?“

Er klang nicht genervt- nein. Er hörte sich wütend an. In seiner Stimme klang Eiseskälte.

Sie war das allerdings von ihm nicht anders gewohnt.

„Ach Darling, lass mir doch meinen Spaß. Eine Frau zeigt, was sie hat.“

Sie zog die Selleriestange, die als Dekoration diente, aus ihrem Getränk und biss ein Stückchen ab, kaute bedächtig.
 

„Also, Gin- was wolltest du mir denn Wichtiges erzählen?“
 


 


 

Sie wusste nicht, wie lange er schon in der Tür stand.

Sie tat einfach so, als ob sie ihn nicht bemerkt hätte. Mit etwas Glück würde es ihm irgendwann zu dumm werden und gehen.

Sich umdrehen und gehen.
 

Einfach verschwinden…
 

Sie wollte, dass er verschwand, damit sie weiterarbeiten konnte. Sie hatte in den letzten Tagen einen herben Rückschlag hinnehmen müssen.

Nach mehreren Untersuchungen hatte es sich ergeben, dass nicht das nicht stattgefundene Platzen aller Selbstmordzellen die Ursache für ihre Schrumpfung, die in Wirklichkeit ja eine Verjüngung war. Denn es waren Zellen gestorben. Ein paar Stunden später hatte sie einen weiteren Blick in ihre Petrischalen geworfen, und hatte eben diese Feststellung machen müssen. Aus irgendeinem Grund dauerte es diesmal nur länger, bis sie starben.

Tatsache war- nicht alle waren gestorben.

Im Gegenteil- es hatten doch einigermaßen viele normalgroße Zellen überlebt. Genug, um als Mensch überleben zu können?

Diese Frage hatte sie allein durch Versuche in Vitro nicht beantworten können. Sie hatte zwar noch mehrere Versuchsreihen gemacht, alle mit dem gleichen Ergebnis.

Agasas Zellen starben sofort- Shinichis, Rans und ihre eigenen erst mit Verzögerung, allerdings mit einer relativ hohen Überlebensrate, wohingegen sie beim Professor nur noch ein Schlachtfeld aus klitzekleinen Zellenbläschen zu finden gewesen war.
 

Sie hatten mehr Zeit. Sie starben langsamer.
 

Und das war der Punkt, wo sie den Hebel erneut ansetzte.
 

Wie nutzte nun ein voll funktionstüchtiger Körper wertvolle Zeit im Angesicht des Todes?
 

Er schützte sich. Er verteidigte sich.

Er versuchte, zu überleben.
 

Aber wie… wie, wie, wie…
 

Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit. Die Zellen, die starben, mussten ersetzt werden.

Nur leider starben zwar nicht alle Zellen- aber doch viel zu viele, um sie alle in der kurzen Galgenfrist, die die Apoptose ihnen einräumte, zu ersetzen.
 

Es wurde also nur ein Teil reproduziert. Nicht alle Zellen gingen daran, sich durch Zellteilung zu reproduzieren.
 

Und was unterschied den Erwachsenen vom Kind?
 

Mehr Zellen.
 

Die Ursache für ihr Kinderdasein konnte demzufolge darin begründet liegen. Die Apoptose fand bei ihnen verzögert statt; der Körper nutzte die Zeit, um den Schaden zu kompensieren, aber schaffte es nicht ganz.
 

Er konnte die Zellen nur bis zu einem gewissen Grad vermehren.
 

Warum allerdings nur sie, Ran und Shinichi? Warum waren alle anderen gestorben?

Okay, sie waren in etwa gleich alt… aber was war mit Sharon?

Hatte sie etwa gar nicht einen Vorläufer des APTX genommen? Oder hatte der Prototyp gar nichts mit dem heutigen Gift gemein?
 

Und warum…

Warum erfand man ein Zellgift auf der Basis der Apoptose… gab es nicht einfachere, effizientere Methoden, um Menschen zu töten?
 

War der ursprüngliche Sinn des Gifts tatsächlich ein anderer gewesen… so wie sie schon lange zu wissen glaubte?
 

Nun- vorrangig musste sie jetzt zuerst einmal herausfinden, was es war, dass sie von anderen unterschied, und wie sie sich diese Erkenntnis nutzbar machen konnte im Zuge der Entwicklung eines Gegengifts. Denn eines war sicher- es war keineswegs Zufall gewesen, der Ran, Shinichi und sie selbst vor dem Tod gerettet hatte.

Sie drehte den Kopf, blickte hinein in den Käfig, wo zwanzig kleine weiße Mäuslein sie mit Knopfaugen anschauten. Sie reichte der am nächsten stehenden einen Kräcker durch die Gitter, fühlte seine Blicke im Rücken, versuchte, es zu ignorieren.
 

Zwanzig kleine Mäuschen… wie viele würden diese Testreihe überstehen?

Wie viele würden ihm Dienste der Wissenschaft ihr Leben lassen?
 

Und für jede einzelne von ihnen werde ich wohl ein Jahr länger in der Hölle schmoren als ohnehin schon… sofern der Himmel seine Pforten für mich überhaupt noch öffnen will, irgendwann…
 

Bin etwa… bin etwa ich der gefallene Engel der Familie, Mama?
 

Gerade war sie dabei, die verjüngende Komponente zu finden- beziehungsweise, herauszufinden, wodurch sich Apoptose beeinflussen ließ. Wenn sie das wusste- dann konnte sie im Umkehrschluss ein dauerhaftes Gegengift entwickeln. Und für ihre Test brauchte sie Versuchstierchen.

Sie wollte auf Nummer sicher gehen. Ihr taten die Tierchen zwar sehr Leid- aber sie konnte nicht riskieren, Ran oder Shinichi ein nicht ganz risikofreies Gegengift zu geben. Gerade bei Shinichi hatte sie sich schon hinreißen lassen- damals hatte ihm Fortuna gelächelt. Aber schon beim nächsten Mal konnte ihn sein Glück verlassen.

Sie verließ sich lieber auf die Wissenschaft. Also forschte sie.

Und sie würde für die Mäuse gut sorgen.

Nun hatte sie also genügend Arbeit zu tun, und sie war eigentlich bester Dinge. Der Forscherdrang in ihr war ausgeprägt wie lange nicht mehr, und sie brannte darauf, ihre Versuchsreihe zu starten.

Das hieß, wenn er sich endlich vom Acker machte.
 

Akai hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete das kleine Mädchen, das mit dem Rücken zu ihm auf seinem Bürostuhl saß und Zahlenkolonnen in den Computer eingab.

Anscheinend hoffte sie, dass er wieder ging.

Gerade eben war er sich selber nicht sicher, ob er ihr den Gefallen nicht einfach tun sollte.

Er kniff die Augen zusammen, betrachtete den rotblonden Haarschopf vor sich.
 

Ein Bild entstand in seinen Gedanken.

Ein Bild, das diesem hier erstaunlich glich- doch statt eines jungen Mädchen saß in dem Bild in seinem Kopf eine junge Frau auf einem Bürodrehstuhl und tippte emsig auf ihrer Tastatur herum, unterbrach diese Tätigkeit nur, um einen Schluck aus der Kaffeetasse zu trinken.

Shiho Miyano.
 

Und genau dieses Bild veranlasste ihn dazu, zu bleiben.

Nicht zu gehen.
 

Denn damals, als dieses Bild von seinem Gedächtnis gespeichert wurde, zu der Zeit, als er sie so gesehen hatte, vor ihrem Computer, in ihrem Labor mit ihren weißen Mäusen und Reagenzgläsern und Petrischalen- damals hatte er etwas gefunden, dass sie beide verband.

Ihren gemeinsamen Nenner.
 

Akemi.
 

„Du gibst dir die Schuld.“
 

Mehr sagte er nicht.

Das Tippen erstarb. Langsam nahm sie die Hände von der Tastatur, ließ sie in ihren Schoß sinken.

Langsam senkte sie den Kopf.

Und noch langsamer rutschte sie nach einer Ewigkeit, in der nicht das leiseste Geräusch zu hören gewesen war, außer dem feinen Summen des Rechners, vom Stuhl, drehte sich um.
 

Dann hob sie den Kopf.
 

Er sah in ihr Gesicht.

Sie sah aus wie sie- wie Shiho- und doch auch wieder nicht.

Sie hatte dieses junge, viel zu junge Gesicht- und dabei doch diese Leere in den Augen, die ihm damals schon bei Shiho aufgefallen war.
 

„Was weißt du schon. Lügner.“
 

Mehr sagte sie nicht. Sie ging an ihm vorbei, ließ ihn stehen.

An ruhiges Arbeiten war nicht mehr zu denken, aber sie wollte auch nicht mit Shuichi reden. Sie wusste, er hatte ihre Schwester geliebt, sie wusste, er hatte sie wohl glücklich gemacht. Aber was wusste er schon über sie? Was wusste er über ihre Beziehung zu ihrer geliebten Akemi, zu ihrer großen Schwester, die sich nach dem viel zu frühen Tod ihrer Eltern um sie gekümmert hatte?

Was wusste er schon darüber, wie sie dachte?

Was?
 

Nichts.

Nichts wusste er.

Rein gar nichts.
 

Er ging ihr hinterher, die Treppe nach oben, an Professor Agasa, der im Wohnzimmer seine neueste Erfindung testete, vorbei in die Küche.
 

Dort stand sie, und kochte Kaffee.
 

„Ich weiß, dass es nicht deine Schuld war, Shiho. Es war nicht deine Schuld.“
 

Damit drehte er sich um und verließ das Haus.

Er hatte eigentlich mit ihr reden wollen- ein richtiges Gespräch führen- aber dazu war sie offenbar nicht bereit. Er würde warten müssen, bis sie zu ihm kam.
 

Professor Agasa schreckte hoch, als er aus der Küche unterdrückte Schluchzer hörte.

Er stand auf, und fand sie- zusammengesunken wie ein Häufchen Elend an ein Küchenschränkchen gelehnt, die Knie angezogen, die Hände um ihre Beine geschlungen.
 

Er seufzte, dann ging er zu ihr, nahm sie, ganz entgegen seiner Angewohnheit, sie wie eine Erwachsene zu behandeln, hoch- nahm sie auf die Arme und ging mit ihr ins Wohnzimmer zur Couch, spürte, sie ihre Finger in seinen Kittel krallte und ließ sie weinen.
 

Und erst jetzt verstand er langsam, was Shinichi damit gemeint hatte, dass es unglaublich schwer wäre, dem Leiden anderer tatenlos zusehen zu müssen.
 


 

Gin grinste.

Vermouth nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas.

„Also, was jetzt? Ich kann meine Zeit auch wesentlich unterhaltsamer vergeuden.“

Sie klang ungeduldig- und das liebte er.

Nachdem sie ihn warten lassen hatte, sollte sie nun ruhig auch ein wenig warten. Er zündete sich eine neue Zigarette an, nahm einen tiefen Atemzug und blies den Rauch dann vor sich in die Luft.

„Gin.“

Jetzt klang sie deutlich verärgert.

Er nahm seelenruhig noch einen tiefen Zug, bevor er sich zu einer Antwort bequemte.
 

„Erinnerst du dich, dass Sherry uns warnte? Vor Anomalien, die bei der Verwendung des Giftes noch ab und an auftraten, und die sie nicht vorhersagen konnte, nicht wusste, warum sie passierten?“

Vermouth nahm einen weiteren Schluck von ihrer Bloody Mary, nickte schweigsam.

Sie wusste, worin diese Anomalie bestanden hatte.
 

Und er jetzt wohl auch.

Das versprach, heiter zu werden.

Innerlich wappnete sie sich auf das kommende Wortgefecht.
 

„Sherry hat ihre Versuche damals mit weißen Mäusen durchgeführt. Ein Gros dieser Laborratten ist auch brav verreckt. Eine kleine Anzahl jedoch hat überlebt- allerdings waren sie hinterher nicht mehr die, die sie vorher waren.“
 

Er warf seiner Gesprächspartnerin einen berechnenden Blick zu. Vermouth genehmigte sich einen großen Schluck ihres Cocktails.
 

„Sie wurden geschrumpft. Verjüngt. Kommt dir das bekannt vor, Sharon?“
 

Die schwarzhaarige Frau wandte sich ihrem blonden Gesprächspartner zu.

„Sollte es?“, fragte sie lässig, ließ sich ihre innere Aufruhr nicht anmerken.
 

„Nun-,“ er grinste, „ich dachte ja nur. Allerdings wird es dich interessieren, zu erfahren, welche Schlüsse ich daraus für unsere Situation gezogen habe.“

„Wenn du meinst.“

Sie aß die Selleriestange fertig auf.

„Ich denke, damals im Vergnügungspark ist Kudô nicht gestorben. Ich denke, er ist geschrumpft. Er wurde wieder zu einem kleinen Jungen. Und ich vermute auch, dass Sherry dadurch aus dem Keller entkommen ist. Sie hatte ein paar Kapseln ihres Giftes dabei, und hat sie genommen. Um sich umzubringen, wahrscheinlich, aber leider hat es nicht funktioniert. Mit ihren kleinen Händen wäre sie locker aus den Handschellen gekommen, hätte durch den Müllschacht fliehen können. Und ich schätze, sie hat sich aufgemacht, um Kudô zu suchen, unserem zweifelhaften Todesfall, dessen Leiche nie gefunden wurde. Und die Kleine, Môris Tochter- sie hat wohl auch das Gift genommen, aus welchen Gründen auch immer. Einzig und allein bei ihr weiß ich noch nicht, ob sie tot ist oder nicht.

Fakt ist allerdings, sie ist seit der Premierennacht wie vom Erdboden verschluckt.“

Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette.

„Wir suchen nach Kindern, Sharon, nicht nach Erwachsenen. Warum ich ihn und sie mal erwachsen gesehen habe, lag wahrscheinlich daran, dass sie ein temporäres Gegengift entwickelt hatten.“

Er grinste triumphierend.
 

„Wir suchen nach einem kleinen Jungen und einem oder zwei kleinen Mädchen. Und ich kann dir sagen, wer dafür in Frage kommt.“
 

Er zog eine Zeitungsseite heraus. Es war kein aktuelles Blatt, er hatte sie sich wohl aus einem Archiv gesucht und kopiert.

In der Mitte prangte ein Gruppenfoto der Detective Boys.
 

Sharon trank ihre Bloody Mary auf Ex aus. Dann wandte sie sich um und bestellte die nächste.

Ein kaltes Lächeln lag auf Gins Lippen.

Ihre Reaktion war eindeutig.
 

„Warum deckst du sie?“

„Wen soll ich bitteschön decken? Du tickst doch nicht ganz richtig…“

Sie nahm dem Kellner, der ihr das Glas mit einem galanten Lächeln reichte, ihren Cocktail unwirsch ab, nahm einen großen Schluck, leckte sich das Tomatensaftgemisch von den Lippen.
 

„Na, die zwei.“

Er schaute sie berechnend an, tippte mit dem Filter seiner Zigarette auf die Köpfe zweier Grundschüler.

„Conan Edogawa und Ai Haibara.“

„Du weißt, mir ist Sherry egal. Ich hasse sie nicht einmal, so uninteressant ist sie für mich. Warum sollte ich sie also decken? Und was Kudô betrifft-…“
 

Sie merkte, wie sie langsam wieder ihre Fassung gewann, ihr Selbstvertrauen zurückkehrte, sie den Schock überwand. Sie nippte ein wenig an ihrem Cocktail, lächelte Gin gewinnend an.

„Ich habe lediglich gesagt, ich kann dir nicht mit Sicherheit sagen, ob der Typ auf diesem völlig verpixelten Foto, dass du da geschossen hast, Kudô ist oder nicht. Wie du dich erinnern kannst, Spatzenhirn…“, sie drehte sich um und winkte dem Barkeeper, bezahlte ihre beiden Cocktails und bedachte ihn mit einem großzügigen Trinkgeld, „sagte ich, von der Größe und von der Haarfarbe her könnte es hinkommen. Wie kommst du darauf, dass ich einen von diesen Beiden decke? Es ist mir scheißegal, was du mit ihnen machst. Leg sie um, wenn du meinst. Aber lass mich in Frieden mit deinen Unterstellungen.“
 

Damit drückte sie ihm ihre Bloody Mary in die Hand und verließ die Bar - genauso Aufsehen erregend wie sie sie betreten hatte.
 

Gin starrte ihr nach, versenkte seine Zigarette in ihrem Cocktail.

Er wusste, er konnte ihr nichts nachweisen.

Aber er würde sie im Auge behalten.
 

Und er würde diese Kinder suchen.

Der Coup steigt

Hi!
 

Wie geht's euch? :D

An dieser Stelle erstmal: Vielen, vielen Dank für eure Kommentare! *freu*

Ehrlich, ich freu mich sehr! :)

Ich danke euch...!
 

Tja- zum Kap... als ich es schrieb, kam ich mir vor wie ein Weber, der seine Fäden sucht... das alles mit den Szenenwechseln und den ganzen Handlungssträngen hat mir fast den letzten Nerv geraubt- ich hab endlos nach losen Enden gesucht, und versucht, sie zusammenzunehmen, die Fäden zu verflechten, und ich hoffe, ich hab keinen vergessen...
 

Nun- ich verrate wohl nicht zuviel, wenn ich sage- jetzt wird's langsam heiß...
 

Viel Verngüngen beim Lesen!

Liebe Grüße,

Eure Leira :D
 

*sichausdemZimmerschleicht*
 

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Und dann war der Dienstag gekommen.
 

Am frühen Morgen trafen sich Jodie Starling, James Black, Shuichi Akai, Conan und Heiji vorm Tokio Plaza Hotel.

Ran und Kazuha waren in die Stadt zum Bummeln gegangen - und gingen davon aus, dass Heiji und Conan das Gleiche taten. Was nur bedingt stimmte - sie waren zwar in der Innenstadt - aber Bummeln würden sie nicht.
 

Da Heiji und Conan leider ihren beiden Mädels versprechen mussten, mit ihnen nachmittags ins Tropical Land zu gehen, würden sie um halb ein Uhr Mittags von Professor Agasa und Ai abgelöst werden, sollte bis dahin noch keiner der Männer in Schwarz oder Vermouth gesichtet worden sein. Schließlich wollten sie nicht, dass die beiden, denen die fixe Idee vom Tropical Land nicht auszureden war, Verdacht schöpften. Kazuha wollte unbedingt dahin, schon allein um Ran von ihren Schuldgefühlen wegen dem Mord an der Garderobenfrau abzulenken - und außerdem wollte sie endlich diesen Ausflug machen, den sie schon so lange geplant hatte... und Ran war auch mehr oder weniger schnell zu überzeugen gewesen.

Sie dachte zwar daran, was er damals dort erlebt hatte... aber als er, nachdem sie ihm einen prüfenden Blick zugeworfen hatte, keine Anzeichen zeigte, unbedingt nicht dahin gehen zu wollen, ließ sie sich endlich überreden.

Schließlich... schließlich waren sie seither ja schon mal wieder in diesem Vergnügungspark gewesen. Wenn er anscheinend kein Problem hatte... dann sollte sie auch keines haben.
 

Tatsächlich war es zwar so, dass er nicht unbedingt begeistert war von der Idee, an den Ort zu gehen, wo für ihn alles begonnen hatte... allerdings wollte er kein Spielverderber sein, dementsprechend sagte er nichts.. Der Vergnügungspark an sich konnte ja nichts für sein Dilemma... was ihn viel mehr beschäftigte, war die Tatsache, deswegen nicht bis zum Ende des Tages bei der Observation dabei sein zu können.
 

Man sah Conan an, dass ihm der Gedanke, hier wahrscheinlich nicht bis zum Schluss bleiben zu können, nicht schmeckte. Andererseits war er froh um jede Gelegenheit, um Ran aufheitern, auf andere Gedanken bringen zu können.

Shuichi bedachte den Kleinen neben sich mit einem langen Blick. Conan merkte es, blickte auf.
 

„Kriegen wir sie heute?“, fragte er leise.

Der Mann vom FBI seufzte.

„Ich würde es mir wünschen. Aber etwas sagt mir, dass die Sache heute noch nicht ihr Ende findet; wiewohl der heutige Tag aber der Anfang vom Ende sein wird…“

Der Grundschüler nickte zerstreut.

„Genau das befürchte ich…“

Black warf den beiden einen nachdenklichen Blick zu.
 

Jeder von ihnen bekam nun einen Emitter, es wurde geprüft, ob alle funktionierten- und dann folgte das obligatorische Uhrenabstimmen.

„Also-…“

James räusperte sich.

„Dann wollen wir mal.“

Er holte einen Stadtplan heraus, legte ihn auf die Parkbank vor sich und tippte während dem, was er nun sagte, immer wieder auf verschiedene Punkte.
 

„Shuichi, du beziehst vor dem Tokio Inn Stellung; Jodie, du übernimmst das Hilton Tokio. Ich selber übernehme das Tokio Resort Hotel, und ihr beide…“

Er wandte sich an Heiji und Conan.

„Du übernimmst das Ritz Carlton Tokyo Grand Hotel, Heiji, und du…“

Er schaute Conan an.

„Du bleibst hier. Und noch was.“

Seine Stimme wurde noch ernster, als sie ohnehin schon war.

„Ihr passt auf euch auf. Ihr sollt sehen, ohne gesehen zu werden. Wenn ihr einen von ihnen gesichtet habt, dann meldet ihr euch. Ihr nehmt keine Verfolgung auf, verstanden?! Um halb ein Uhr mittags wird Hiroshi Agasa dich ablösen, Heiji, und du wirst von…“

„Schon klar.“

Conan verdrehte genervt die Augen.

„Wir sind auch keine Anfänger mehr, James. Auf Wiedersehen.“

Damit drehte er sich um, ließ die anderen vier stehen, und setzte sich in ein Café, teilte der Bedienung seine Bestellung mit und holte sich eine Zeitschrift.
 

Er benahm sich zwar nicht eben unauffällig für ein kleines Kind, aber hier konnte er zumindest das tun, was James verlangt hatte - sehen, ohne gesehen zu werden.
 

Er hob seine Zeitung kurz an, als ihm eine etwas verwirrte Kellnerin seine heiße Schokolade – das einzige Zugeständnis, dass er seiner kindlichen Erscheinung zu machen bereit gewesen war – vor ihm abstellte.

Dann begann er mit seiner Observation des Haupteingangs, immer darauf bedacht, ab und zu die Zeitschrift, die er nicht las, umzublättern.
 


 

Heiji steckte gelangweilt die Hände in die Hosentaschen. Mittlerweile waren zweieinhalb Stunden vergangen.

Zweieinhalb Stunden, in denen sich seine Definition von Langeweile von Grund auf erneuert hatte.
 

Es war nichts passiert.

Gar nichts.
 

Gerade hatte er seinen fünften Becher Kaffee geleert und in den Mülleimer am Laternenmasten vor sich geworfen - mittlerweile sogar zielsicher, nachdem die ersten beiden Becher daneben gegangen waren und er sie unter den belustigten Blicken weiblicher Passanten aufheben und aus nächster Nähe im Eimer deponieren musste. Unter seinem Arm klemmte eine Zeitung, und ab und an wechselte er seine Position, jedoch ohne sein Beobachtungsobjekt aus dem Augen zu verlieren.
 

Er hob gerade seine freie Hand, drehte seine Kappe nach hinten, als er hörte wie jemand seinen Namen rief.
 

„Heiji? Heiji! Was machst du denn hier? Wo ist Conan?“

Er drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der er das Geschrei ortete und fluchte lautlos.

Er hatte auch ohne sie zu sehen, gewusst, dass sie es war, die auf ihn zu rannte.
 

Kazuha.

Und hinter ihr, mit ihren kurzen Beinen deutlich im Nachteil, trippelte Ran.
 

Verflucht. Genau diese beiden haben mir noch gefehlt…
 

Dann hatten beide ihn erreicht, schauten ihn an.

„Hallo Heiji! Was machst du denn hier? Wartest du auf bessere Zeiten, oder was, so dämlich wie du schaust… wo is eigentlich Conan?“

Kazuha schaute ihn durchdringend an.
 

Heiji seufzte, hielt ihrem Blick stand.
 

Und laut Kudô soll ich tatsächlich in dich verliebt sein?
 

Er runzelte die Stirn.

Ernsthaft?

Heiji kniff Lippen und Augen zusammen, musterte Kazuha von oben bis unten, versuchte in sich drin irgendetwas zu finden- horchte auf eine leise, innere Stimme…
 

Verliebt? Verliebt…?

In Kazuha Toyama? Der spinnt doch…
 

„Heiji, bist du krank?“
 

Es stimmte schon- es passte ihm nicht, wenn jemand Kazuha anmachte. Oder wenn sie sich an jemand anderen als ihn ranschmiss, wenn sie sich fürchtete…
 

Aber hieß das gleich, er war in sie verliebt…?
 

„Hey, Heiji, hörst du mich noch? Geht’s dir gut?“
 

Okay, er mochte ihre grünen Augen. Und wie sie lachte… Wie sie ihre Haare zusammenband, und sie nach hinten warf, wenn sie sie störten. Und er würde, was durch die Episode mit dem Sirenenpfeil bewiesen war, wohl eher mit ihr sterben, als zulassen, dass sie draufging- aber bedeutete das, dass er in sie verliebt war?
 

War er das?
 

„Biste taub, Heiji???“
 

Kazuha bedachte ihn mit einem Blick, der ganz klar erkennen ließ, dass sie an seinem geistigen Gesundheitszustand zweifelte.
 

Ran jedoch starrte ihn an, und ein sanftes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

Im Gegensatz zu Kazuha konnte sie sich denken, was in Heiji grad vorging, konnte die Symptome deuten. Genau so hatte Shinichi sie manchmal angesehen- und genauso wie Kazuha jetzt, hatte sie damals diesen Blick nicht erklären können. Erst als er ihr mit demselben Blick in den Augen erklärt hatte, was Sache war… damals, an Weihnachten im Park…
 

Sie ahnte, dass sich da etwas anbahnte. Allerdings nicht hier, nicht jetzt, nicht auf offener Straße. Heiji würde das hier bestimmt nicht machen. Er schien mit sich selber ja noch gar nicht ganz im Reinen zu sein.

Und jetzt, in diesem Moment, fragte sie sich zum ersten Mal, ob Kriminalfälle und Leichen wirklich das einzige waren, über das sich Shinichi und Heiji unterhielten, wenn sie allein waren.

Sie grinste leicht.

Da würde sie ihren Liebsten mal fragen müssen…
 

Aber jetzt musste sie erstmal Heiji retten. Ein Themawechsel musste her.
 

„Heiji?“

Sie zupfte ihn am Ärmel.

Er schaute zu ihr runter.

„Äh…?“

„Heiji, wo ist denn Shin-“

Sie biss sich auf die Lippen, räusperte sich.

„Wo ist Conan?“
 

Sie hatte ja keine Ahnung, dass das keinesfalls die Rettung für ihn war. Diese Frage brachte für ihn ein ganz anderes Problem mit sich.

Er konnte ihr ja schlecht erzählen, dass sie beide getrennt einkaufen gingen, und die Wahrheit konnte er ihr erst Recht nicht sagen. Wie sollte er ihr glaubhaft erklären, dass Conan nur kurz weg war, und sie dazu veranlassen, nicht auf ihn warten zu wollen? Die beiden waren ein Paar, sie freute sich über jede Möglichkeit, an seiner Seite zu sein. Wenn er aber sagte, er wäre woanders, dann würde Ran ihn suchen wollen.
 

Heiji glotzte sie an wie das sprichwörtliche Reh, das sich nachts auf einer Landstraße einem Auto gegenüber sah und im Begriff war, erfasst zu werden. Überfahren.

Genau so fühlte er sich auch- er sah in die leuchtenden Scheinwerfer, geblendet, gefangen, unfähig etwas zu sagen, sich zu bewegen- Rans Augen bohrten sich in seine, ließen ihn nicht los.

In seinem Kopf arbeitete es. Er überlegte fieberhaft.

Was sag ich ihr, was sag ich ihr...??
 

Es schluckte, dann riss das Reh sich los vom Anblick des herannahenden Autos...
 

Heiji schaute sich um - und da fiel es ihm erst auf.

Herzchen, überall… rosa Blümchen, weiße Täubchen, dekorative Schleifchen…
 

„Er sucht ein Valentinstagsgeschenk für dich.“

Heiji Hattori, du bist verdammt noch mal brillant. Viel brillanter als dieser wandelnde Meter Kudô.

Er grinste breit, beglückwünschte sich selber zu seinem Genie. Das war die Idee gewesen.

„Ich würd an deiner Stelle…“

Rans Gesichtsausdruck sagte ihm, dass er nicht weiter reden musste. Sie strahlte ihn förmlich an.
 

Fröhlich hüpfte das Reh ins Gebüsch.

Rettung für Bambi…
 

Ran wurde rot.

„Ohhh!“

Sie blinzelte.

„Dann gehen wir mal besser, Kazuha!“

Kazuha warf ihr einen freundlichen Blick zu, nickte, und drehte sich um. Kurz bevor sie ging, wandte sie sich noch einmal um, sah Heiji gedankenversunken auf die andere Straßenseite blicken.
 

„Hast du gesehen, wie komisch der gekuckt hat?“, fragte die Oberschülerin plötzlich.

Ran, die sich gerade fühlte, als tanzten in ihrem Bauch die Schmetterlinge Salsa, hob den Kopf.

„Aber sicher, Kazu-chan.“

Sie grinste.
 


 

Conan merkte, wie sein Emitter vibrierte.

Er zog ihn heraus, merkte, wie in ihm die Anspannung stieg…

„Ja?“

„Hast du schon ein Valentinstagsgeschenk?“

Kurzzeitig stand dem kleinen Jungen der Mund einfach nur sprachlos offen.

Dann-

„Und deswegen piepst du mich an, Hattori?!“
 

Die Gäste in seiner Nähe wandten ruckartig die Köpfe, begannen zu tuscheln. Er schenkte ihnen sein unschuldigstes Kinderlächeln und marschierte auf die Herrentoilette, stellte sich ans einzige Fenster, das sie hatte, um seine Observation fortzuführen und wisperte in den Emitter, was unnötig war, denn die Herrentoilette war leer.

„Warum zur Hölle…?“

„Na, der ist doch morgen…“

„Ja, und? Willst du Pralinen?!“

Er grinste ironisch.

„Idiot, ich meinte Ran.“

Heiji verzog das Gesicht. Er hörte Conan durch den Transmitter seufzen.

„Ach nee… wär ich jetzt nicht draufgekommen. Aber nein, ich hab noch nix. Ich hab’s total verpennt. Aber was willst du denn jetzt damit…?“

„Du solltest schleunigst was besorgen…“

„Heiji!!!“

„Jaja, schon gut. Reg dich ab. Kazuha und Ran haben mich gerade heimgesucht, ich hab dich damit entschuldigt, dass du grad ein Geschenk kaufen gegangen bist. Also wollte ich dich einerseits warnen, weil dein Hotel ja in der Nähe von meinem ist. Pass auf, dass sie dich nicht sehen.“

„Danke, mach ich. Und war das alles…?“

„Nein. Ich wollt' dich andererseits wirklich fragen, ob du schon ein Geschenk hast. Du musst dir einen Beweis für dein Alibi verschaffen, weißt du. Also, was schwebt dir vor, wo wir später noch hingehen? Zum Juwelier…?“

„Heiji- über mich lustig machen kann ich mich selber. Da ist doch noch was- also verschwende nicht meine Zeit, rück jetzt endlich raus mit der Sprache, wenn du nicht willst, dass ich dir deinen Hals umdrehe-…“

Heiji lachte amüsiert.

„Du kriegst deine kleinen Patschehändchen ja gar nicht mal um meinen Hals, wie willst du ihn mir da umdrehen, du halbe Portion. Aber ja… es gibt noch was, was ich dir sagen wollte…“

„Hm?“

„Weißt du…?“

„Nein, weiß ich nicht. Heiji, mach hin, wir sind hier nicht zum plaudern…“

„Ich denke, du hast Recht. Ich bin wohl in Kazuha verliebt.“

Conan grinste breit. Jetzt schien es allerdings doch spaßig zu werden.

„Brillant ermittelt, Hattori. Und hast du’s ihr gesagt?“

„Was? Auf offener Straße? Bin ich lebensmüde? Glaubst du, ich will mich vor Publikum blamieren? Wie soll ich ihr das überhaupt sagen… ich meine…“
 

Der Grundschüler grinste breit.

„Bis später, Hattori… wir kaufen dann wohl auch für dich ein Geschenk… was willst du ihr schenken? Blumen, ein Parfum…?“

„Aber…“

„In einer Stunde sehen wir uns ohnehin… bis dahin kannst du dir was überlegen…“

„Aber…“

„Bis dann! Halt die Augen offen…!“

„Kudô!“
 

Conan legte auf. Dann ging er leise lachend zurück ins Lokal, schaute aus dem Fenster und grinste breit. Der sollte jetzt ruhig ein wenig schmoren.

Die Kellnerin starrte ihn an wie einen Außerirdischen.

Dieser kleine Junge war bestimmt nicht normal.
 

„KUDÔ!“

Heiji fluchte ungehalten.

Eine junge Frau drehte sich verwundert um, warf ihm einen scheelen Blick zu und ging weiter. Irre gab es doch wirklich überall.

„Da braucht man mal seinen Rat, dann hängt er einfach ein. Was fällt ihm ein, dem geht’s wohl zu gut… na, der wird was erleben… dieser Zwerg…“

Gedankenverloren pinnte er seinen Emitter wieder an seiner Weste fest.
 


 

Shuichi Akai lehnte im Schatten an einer Wand, hing seinen Gedanken nach- und doch entging ihm nicht eine Kleinigkeit, was das Hotelgebäude auf der anderen Straßenseite betraf.

Er war mehr als nur geübt im Beschatten und Observieren - er sah alles, ohne von der Umgebung wirklich wahrgenommen zu werden.
 

Leute kamen und gingen - fuhren vor, ließen sich ihre teuren Autos von den Hotelpagen parken, oder stiegen umgekehrt, nach dem der Hotelpage für sie vorgefahren war, wieder ein.

Alles Leute mit viel Geld.
 

Sehr viel Geld.
 

So wie Chris Vineyard. Sharon Vineyard.

Sie würde wohl maskiert das Hotel betreten, unter Umständen sogar über den Dienstboteneingang- also war es nicht sie, auf die er wartete. Er wartete auf jemand anderen.

Jemanden, der es nicht für nötig befand, sich zu maskieren.

Gin.

Vodka.

Allerdings - bis jetzt war nicht einmal ein Zipfel eines schwarzen Mantels in Shuichis Blickfeld aufgetaucht.

Er verengte die Augen.

Ganz im Gegenteil.

Bis jetzt war nichts passiert, dass auf irgendeine Art und Weise verdächtig war.
 

Und so wanderten seine Gedanken zu einem gewissen kleinen Mädchen. Sie war ihrer Schwester wohl ähnlicher, als sie selbst es dachte, zumindest hatte er diesen Eindruck das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, bekommen.
 

Früher war sie nicht so gewesen. Kühl, berechnend, abgeklärt, so hatte er die junge, aber hochbegabte Wissenschaftlerin Shiho Miyano kennen gelernt.

Introvertiert, verschlossen.
 

Aber jetzt… okay, verschlossen war sie immer noch - allerdings schien das nur noch in gewisser Weise zuzutreffen.

Sie gab immer noch nicht viel von sich selbst preis- aber sie war empfindsam und empfänglich für die Probleme anderer. Allein die Tatsache, dass sie Ran eingeweiht hatte, um, wie sie wohl geglaubt hatte, ihm und seiner Freundin einen Gefallen damit zu tun, an einem Gegengift forschte…

Ihre Mitmenschen waren ihr nicht mehr länger egal.
 

War das alles sein Einfluss?

Gedankenverloren verlagerte er sein Gewicht, verschränkte die Arme vor der Brust.
 


 

Jodie seufzte.

An und für sich waren sie ihnen diesmal wirklich dicht auf den Fersen.

Wirklich dicht.
 

Und an und für sich schaffte sie es nicht, sich nicht ständig zu fragen, was diese Frau bezweckte. Sie und James waren gestern noch mit Shuichi in die Spätvorstellung gegangen und hatten sich diesen Film angesehen. Als sie die Vorstellung nach dem Ende des Films verlassen hatten, hatte keiner von ihnen ein Wort gesagt. Der Film hatte für sich gesprochen.

Zufall war das alles nicht gewesen. Die Morde, die Namen, die Schauspieler…
 

Die Ähnlichkeit war wirklich frappierend. Hätte sie nicht gewusst, dass cool kid momentan eben genau das war, was der Name schon sagte, ein kid nämlich - ein Kind - dann wäre sie fast felsenfest davon überzeugt gewesen, das Kudô in dem Film sein Leinwanddebüt gab.

Dann dazu noch der Spitzname der Mörderin - Vermouth. Die Art und Weise, wie sie ihn getötet hatte.

Mit Gift in einem Drink…
 

An einen Zufall glaubte wohl selbst er nicht, und er kannte sie, nach alldem was er ihnen erzählt hatte, nun wohl schon länger.

Also - was bezweckte sie damit?

Sie hatte ihn gewarnt - also sollte auch der Film als Warnung verstanden werden?
 

Warum waren sie noch in Japan, sie und Gin…?

Und war außer ihnen noch jemand hier?
 

Was führt ihr im Schilde…?
 

Nach außen wirkte sie ruhig, doch in ihrem Inneren herrschte Aufruhr. Endlich würde sie Rache für ihre Eltern üben, oder wenigstens eine Erklärung bekommen, für ihren Tod - der Augenblick war nahe, das spürte sie.
 


 


 

James saß in seinem Auto, in der Gesellschaft eines Bechers schwarzen Kaffees und rauchte eine Zigarette. Eigentlich rauchte er so gut wie nie- aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen. Das regelmäßige Ziehen am Glimmstängel beruhigte ihn, das Nikotin hielt die Anspannung seiner Nerven auf einem erträglichen Niveau.

Er war absolut der Meinung, dass der Knirps Recht hatte. Vermouth bewohnte eins dieser Hotels - und irgendeiner der schwarzen Teufel würde sie bestimmt besuchen. Und wenn es soweit war - dann waren sie vor Ort. Dann wären sie endlich in der Lage, eingreifen zu können, nachdem es ihnen bei der Premierenfeier nicht gelungen war, unbemerkt unter die Gäste zu kommen.

Das Sicherheitsaufgebot, das sie um sich geschart hatte, war einfach zu groß und zu dicht gestrickt gewesen, als das man durch die Maschen hätte schlüpfen können - und der Veranstalter hatte ihr bei allen Maßnahmen, aus dem Abend ein ‚sicheres’ Ereignis zu machen, wohlwollend unter die Arme gegriffen.
 

Er zog erneut an seiner Zigarette, blies einen kunstvollen Kringel in die Luft, ohne ihn zu beachten. Seine Augen hinter den getönten Scheiben waren stur auf das Gebäude vor ihm gerichtet.

Jodie und Akai hatten sich getarnt - er hielt von derartigem Firlefanz nichts, verschanzte sich lieber hinter den getönten Scheiben seiner BMW-Limousine als hinter Perücke und Brille.
 

Ein leises Lächeln ließ seine Bartspitzen nach oben wandern.
 

Wem wird der Fisch wohl ins Netz gehen? An wessen Angelrute wird es zupfen…?
 


 

Die Tür des Cafés, in dem er saß, ging auf.

Er wusste, wer gekommen war, schließlich hatte er sie kommen sehen - und dass es für ihn hiermit Zeit war, zu gehen.

Er hasste den Gedanken, sich nun nicht mehr weiter um die Beschattung kümmern zu können.
 

Ai ließ sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen. Sie sah ihm seine Begeisterung an, als er ihr wortlos seinen Transmitter und seine Uhr überreichte.
 

„Schick siehst du aus.“

Er versuchte ein schiefes Lächeln, was sein Missvergnügen allerdings nicht völlig überdeckte.

Ai ließ eine ihrer roten Locken durch die Finger gleiten.

„Tja - Hana-chan meinte, das könnte mir stehen.“

Tatsächlich hatte sich Ai gestern, zur Tarnung, die Haare rot gefärbt.

Kupferrot.

Eigentlich extra für heute - was sie Ran wohlweislich nicht erzählt hatte. Sie hatte hoch und heilig geschworen, Ran nicht ein Sterbenswörtchen über die Beschattung zu flüstern, und sie hatte sich daran gehalten- zu froh war sie darüber, dass er ihr verziehen hatte - zu glücklich, dass er immer noch ihr Freund war.

Ihr bester Freund, den sie keinesfalls verlieren wollte.
 

Sie schaute ihn über ihre Brille, die sie sich ebenfalls zur Tarnung besorgt hatte, hinweg an, zog ihre mit Kajalstiftsommersprossen verzierte Nase kraus.
 

Ai als Mädchen europäischer Touristen zu tarnen war wirklich ein Leichtes gewesen. Nur wer eingeweiht war, also der Beschattungstrupp, wusste Bescheid, erkannte sie auf den ersten Blick.
 

„So wie du aussiehst, habt ihr noch nichts?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein. Leider nicht.“

Er seufzte tief. Er tat ihr Leid - und doch war sie froh, dass er endlich von hier verschwand. In der Gruppe war er sicher.

Irgendwie spürte sie, dass sich ein Unwetter zusammenbraute - und hoffte inständig, sich zu irren.

Er hüpfte vom Stuhl, die Rechnung hatte er schon vor ein paar Minuten beglichen. Besorgt warf ihr noch einen Blick zu.

„Halt die Augen offen, Ai. Und… pass auf dich auf.“

Sie nickte nur, sagte nichts mehr.

Schaute ihm zu, als er das Etablissement verließ, draußen am Fenster vorbeiging.
 

Pass auch du auf dich auf, Shinichi…
 

In ihren Augen lag ein sorgenvoller Ausdruck.
 


 

Heiji wartete schon am vereinbarten Treffpunkt auf ihn.

Der Professor hatte wohl auch ihn pünktlich abgelöst.

Ein Blick in sein Gesicht sagte Conan, dass es seinem Freund aus Osaka ähnlich ging wie ihm - im behagte der Gedanke, das Feld nun anderen überlassen zu müssen, ebenfalls nicht.

Aber wenn sie Ran und Kazuha nicht unnötig beunruhigen wollten, oder ihr Misstrauen wecken wollten, dann mussten sie nun mal mit ins Tropical Land.

Schweigend schlenderten sie die Straße entlang.

Zum Glück war es ja nicht weit… man konnte das Riesenrad bereits sehen. Die Mädchen würden wahrscheinlich schon auf sie warten.
 


 


 

Gin war verärgert. Den ganzen Vormittag hatte er vor dem Haus der Kudôs verbracht - umsonst.

Das Haus war leer.

Er war eingebrochen, hatte sich umgesehen… nichts, gar nichts war zu finden gewesen. Dann hatte er mit Sharon telefoniert, hatte sich mit ihr zum Essen und zur Lagebesprechung getroffen, in der Stadt - und war nun zu Fuß auf dem Weg zurück in sein Mittelklassehotel, mitten durch das Vergnügungs- und Einkaufsviertel Tokios durch, um dem Boss über seine erfolglosen Nachforschungen zu unterrichten, als etwas seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Etwas, das seine Laune binnen Sekundenbruchteilen besserte.
 

Es waren zwei Jungs.

Zwei Jungs.
 

Einer war ein Oberschüler - braun gebrannt, mit einer Kappe auf dem Kopf.

Der andere Grundschüler.

Grundschüler…
 

Ein Grundschüler mit Brille, einem komischen Wirbel am Hinterkopf, schwarze Haare, blaue Augen - ohne Zweifel.

Er war es.
 

Und sie gingen auf den Rummelplatz zu.
 

Seine Augen funkelten, seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen.
 

Na, wen haben wir denn da…? Wenn das mal nicht ein sehr glücklicher Zufall ist…
 

Er zog sein Handy aus seiner Manteltasche, wählte Vodkas Nummer, folgte den beiden unauffällig.
 


 

In Shuichi kam ruckartig Bewegung.
 

Da war einer.

Da war einer-

Vodka.

Vodka?! Warum war er allein unterwegs…? Nun - egal. Wo einer war, würde der andere nicht weit sein.
 

Der Mann in Schwarz kam aus dem Hotel. Stieg in einen Wagen.

Shuichi fluchte lautlos. Warum war James der mit dem Wagen gewesen? Seiner stand eine Straße weiter…!

Er zog seinen Transmitter aus seiner Hosentasche, gab die Information an alle durch, las Vodkas Nummernschild vor- dann rannte er zu seinem Wagen, kramte noch im Laufen seine Autoschlüssel aus seiner Jackentasche.
 


 

Jodie rannte ebenfalls durch die Straßen - da sie und Shuichi nicht weit voneinander entfernt gewesen waren, hatte sie die Aufgabe erhalten, seinen Platz einzunehmen, darauf zu achten, ob Sharon oder einer ihrer Kollegen sich blicken ließ. Das Hotel, das Vodka verlassen hatte, musste ihrs gewesen sein.

Gerade, als sie den Vorplatz des Hotels erreichte, rannte sie ihr auch schon entgegen.
 

Sie trug ihre Haare hochgesteckt und unter einem Hut verborgen, ihre Augen verdeckte eine Sonnenbrille - aber nichtsdestotrotz war sie es. Ohne Zweifel.

Vermouth.

Und irgendwie sah sie gehetzt aus.
 

Die blonde Frau winkte ein Taxi heran. Sogleich fädelte eines aus dem Verkehr aus, ließ sie einsteigen.

Jodie tat es ihr gleich, ordnete dem Fahrer an, Sharons Taxi zu folgen. Der grinste breit - der Gedanke eine Verfolgung schien ihm zu gefallen.
 

James informierte Agasa über den Transmitter, sich mit Ai in Sicherheit zu begeben, ehe er seinen Wagen zum Leben erweckte. Er nickte zufrieden, als er den Wagen vor sich sah, den Shuichi beschrieben hatte. Heute schien ihnen Fortuna wahrlich gewogen zu sein. Die Jagd hatte begonnen.
 

Ihre Glückssträhne sollte allerdings nicht lange anhalten.
 


 

Gin folgte ihnen mit gebührendem Abstand. Er wollte ihn nicht scheu machen, wusste, das Kudô gerissen war - und nicht blöd. Das hatte er nun schon mehrmals zur Genüge bewiesen.

Aber heute würde Schluss mit lustig sein. In dem Moment, wo er kurz alleine war, wo niemand hinsah, würde er mit ihm abrechnen.

Es würde so einfach werden, wie einem Baby den Lolly zu klauen.

Er lächelte kühl und doch amüsiert, als erkannte, worauf die beiden zusteuerten.
 

Das Tropical Land.

Ideal, um jemanden verschwinden zu lassen, wie sich schon einmal herausgestellt hatte. Er stellte sich in den Schatten eines Baumes, beobachtete die beiden Jungen.

Sie betraten den Vergnügungspark. Perfekt.

Der Park hatte nur einen Ausgang - und Vodka würde auch bald hier sein. Ihn da drin zu finden würde nicht allzu schwer fallen. Der Park war um diese Uhrzeit noch nicht sehr voll.

Er saß in der Falle.

Der Boss würde zufrieden sein, wenn er ihm den brachte, der sich schon so lange so unverschämt ihrem Zugriff entzog.

Und hinterher dann… würde sich Kudô sehnlichst wünschen, damals schon verreckt zu sein.

Dafür würde er höchstpersönlich sorgen.

Mit Freuden.
 

Hinter ihm hörte er Reifenquietschen.

Gin drehte sich um und nickte zufrieden.

Vodka war soeben eingetroffen.
 


 

Shuichi fluchte laut, stieß zwischen den Rauchwolken und erneuten Zügen an seiner Zigarette Wörter aus, von denen er nicht geahnt hatte, dass er sie noch wusste. Selten hatte der stille Mann vom FBI derart seine Fassung verloren.

Er fand ihn nicht mehr.

Und James, der ihm vor ein paar Minuten noch mitgeteilt hatte, dass er das Auto von Vodka gesichtet hatte und verfolgte, hatte gemeldet, ihn an einer Ampel verloren zu haben, auf einer dieser mehrspurigen Highways Tokios.

Hätte er gewusst, was in diesen Momenten noch passierte, wären seine Flüche, wenn das noch möglich war, noch um einiges lauter und ausfallender geworden.
 


 


 

Vermouth saß in ihrem Taxi und schwitzte Blut und Wasser.

Sie wusste, wer Vodka angerufen hatte, der bis gerade eben noch bei ihr in ihrer Suite gewesen war.

Und sie wusste, warum.
 

Ihr Glück war, das dieser Trottel dumm genug war, jedes Mal seine Anweisungen laut zu wiederholen - als er gesagt hatte, dass Gin ihn zum Parkplatz des Tropical Land bestellt hatte, hatte sie sofort gewusst, woher der Hase lief. Gin hatte ihm gesagt, dass er den Jungen gesehen hatte, auf der Hauptstraße in Beika. Und dass er glaubte, zu wissen, wohin sie wollten, er und sein braungebrannter Freund.
 

Sie musste ihn warnen.

Sie warnen.

Sie erwischen, bevor andere es taten.
 

Unbedingt. Zu dumm, dass sie gestern nicht mehr weggekommen war.

Sie hatte sie gestern schon warnen wollen, aber Gin schien ihr nicht mehr zu trauen- ständig waren entweder er oder Vodka bei ihr gewesen, sie hatte keinen Schritt allein tun können, kein Telefonat in Ruhe führen können…
 

Und jetzt – jetzt brannte die Luft. Sie musste schneller sein als Gin und Vodka…
 


 

Jodie im Wagen hinter ihr zitterte vor Anspannung. Sie suchte hektisch nach ihrem Emitter- und stellte wütend und verzweifelt fest, dass sie die Anstecknadel verloren hatte.
 

Schöner Mist, Jodie.
 

Sie begann nach ihrem Handy zu kramen, als sie merkte, wie der Wagen anhielt.

Der Fahrer drehte sich um.
 

„Sie stehen da vorne, gnädige Frau.“

Er nannte ihr seinen Preis, sie bezahlte hastig, stieg aus, rannte dann in Deckung, damit Vermouth sie nicht sah. Sie stand bei ihrem Taxi, zahlte ebenfalls, wobei sie sich ständig umsah, ruckartig den Kopf drehte. An telefonieren war jetzt nicht mehr zu denken. Sie musste aufpassen, dass sie Sharon nicht verlor.
 

Dann erst wurde sie gewahr, wo sie eigentlich waren.
 

Sie waren auf dem Parkplatz eines Vergnügungspark.
 

Was ist hier los?

Versprochen ist versprochen...

Hello folks!
 

Dankeschön für eure Kommentare zum letzten Kapitel!
 

Nun… erinnert ihr euch noch an das Versprechen, das Shinichi Ran vor einigen Kapiteln abgerungen hat? Langsam ist die Zeit gekommen, um zu sehen, ob sie’s auch einhält… im Fall der Fälle.
 

Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen, bis nächste Woche!
 

Mit den allerfreundlichsten Grüßen, eure Leira :D
 

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Conan seufze, marschierte mit Ran gedankenverloren auf dem Hauptweg des Tropical Land und versuchte, vergnügt auszusehen.

Ein Vorhaben, an dem er kläglich zu scheitern drohte.

Nachdem er und Heiji sich mit ihr und Kazuha getroffen hatten, hatten sie sich auch sogleich wieder getrennt- Kazuha, weil sie für kleine Mädchen musste, und Heiji angeblich, weil er was zu trinken und Sandwichs kaufen wollte.

Sie beide sowie Kazuha und Ran wären schließlich schon den ganzen Vormittag auf Achse gewesen, hätten kaum etwas gegessen.
 

Er sollte mit Ran schon mal vorgehen.

Und sie hatten ihm den Gefallen getan.
 

Conan wusste ganz genau, woher der Hase lief - schließlich hatte Heiji seit dem Ende ihrer Beschattungsschicht auf dem Weg hierher kein anderes Thema gekannt.

Kazuha.

Kazuha hier, Kazuha da…

Schließlich war er zu dem Schluss gekommen, es ihr sagen zu wollen. Ihr seine Gefühle zu gestehen- und hatte Conan gefragt, ob er dafür kurz mit ihr verschwinden könnte.

Ein amüsiertes Grinsen huschte kurz, ganz kurz, über das besorgte Gesicht des Grundschülers.

Irgendwie war es ihm nicht Recht gewesen, dass sein Freund aus Osaka gerade jetzt seine amourösen Ambitionen gegenüber einer gewissen Oberschülerin nachverfolgen musste. Ausgerechnet jetzt, wo sie alle auf offenem Gelände waren, wussten, dass der Feind in nächster Nähe war - er hätte sie lieber alle auf einem Haufen gehabt, er hätte sich sicherer gefühlt, wären sie alle beieinander geblieben… denn mit Heiji und ihm selber waren es vier geübte Augen, die nach Gefahren Ausschau halten konnten. So waren es nur zwei, und dazu zwei, die aus einer ungewöhnlichen Perspektive versuchten, den Überblick zu bewahren.
 

Nun… als guter Freund hatte er ihm von seinen Sorgen natürlich nichts erzählt, sondern ihm gesagt, er solle sich vom Acker machen, ihm viel Glück gewünscht…

Conan seufzte resignierend, schüttelte den Kopf.

Hoffentlich vermasselte er es wenigstens nicht.
 

Heiji würde wohl gerade in diesen Minuten mit Kazuha Tacheles reden, wenn er nicht wieder die Hosen voll hatte, dieser elende Feigling…

Conan verzog seine Lippen zu einen leicht schadenfrohen Grinsen, das ihm jedoch sofort wieder vom Gesicht glitt.

Es fühlte sich ungut an, diese Situation hier. Er hoffte, Heiji beeilte sich.

Vielleicht hatte er es ja schon hinter sich und genoss gerade mit seiner Angebeteten ein paar schöne Minuten seliger Zweisamkeit -

und er wurde dafür von Minute zu Minute nervöser. Er hoffte, dass Ran, die seine Hand hielt, es nicht merkte. Wenn sie es tat - dann versteckte sie es gut. Momentan plapperte sie fröhlich vor sich hin. Was sie sagte ging ihm zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.
 

Er wusste nicht, warum er so unruhig war.

Unverhohlen blickte er um sich. Er fühlte sich beobachtet.
 

Ihm war nicht wohl bei der Sache. Ganz und gar nicht wohl.

Seit er den Vergnügungspark betreten hatte, glaubte er, mit Blindheit geschlagen in sein Verderben zu rennen.

Fröhlich pfeifend auf den Abgrund zuzumarschieren.
 

Er hatte Angst.
 

Conan atmete tief durch.

Ran hielt inne, schaute ihn beunruhigt an.

„Ist was? Geht’s dir nicht gut?“, fragte sie besorgt.

Er schaute sie an, versuchte ein Lächeln, schüttelte den Kopf.

„Nein. Nein, es ist nichts, mach dir keine Gedanken. Ich schätze, ich bin einfach nur überreizt, schließlich…“
 

Ran wurde bleich.

„Es macht dir doch was aus… du hättest etwas sagen müssen…! Wir hätten nicht…“

Sie starrte ihn an.

„Nur weil ich dich hierher gezogen habe, ist das eigentlich passiert, ich…“

Ihre Unterlippe bebte.

Er zog sie näher, legte einen Zeigefinger sanft auf ihren Mund, schüttelte den Kopf.

„Ich hätte ihnen nicht nachlaufen müssen, Ran. Gib dir nicht für meinen Fehler die Schuld, hörst du? Das lass ich nicht zu, das darfst du nicht…“

„Aber…“

„Kein aber.“

Er schüttelte bestimmt den Kopf. Sie nickte beklommen, schwieg eine Weile, bevor sie weiter sprach.

„Willst du lieber gehen, woanders hin…? Ich hab gerade gar nicht mehr daran gedacht, es tut mir Leid… ich war mit den Gedanken grad bei Kazuha, sie wollte ja unbedingt hierher… nachdem das letzte Mal ja nix draus geworden ist… warum hast du nicht gesagt, dass du nicht her willst? Ich hätte selber drauf kommen können, schließlich weiß ich doch, was dir hier passiert ist. Ich hätte nicht auf deine scheinbare Gleichgültigkeit reinfallen dürfen… Wollen wir wirklich nicht woanders hingehen…?“

Sie schaute in ernst an.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich sagte doch, es ist schon gut. Und eigentlich würdest du’s auch gar nicht wissen, hätte Ai ihre Klappe gehalten…“

Er seufzte.

„Nein, wir bleiben. Das ist doch kindisch- sie werden kaum hier sein. Sie wissen ja gar nicht, wer wir sind… und wir wollen Heiji doch seinen großen Auftritt nicht verderben…“
 

Er lächelte erneut, drückte ihre Hand. Sie erwiderte den Händedruck, gab ihm einen Kuss auf die Wange, schaute sich das Riesenrad an.

„Dann glaubst du auch, er sagt’s ihr endlich?“

„Na, das will ich doch schwer hoffen.“
 

Er schaute in den Himmel, ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
 

Vermassel es nicht, Hattori…
 

„Sag mal… über was redet ihr eigentlich immer, du und Heiji?“

Sie war stehen geblieben.

Er warf ihr einen scheuen Blick zu. Das war eine Fangfrage, ganz klar. Er hatte einen siebten Sinn für so was.

„Mord und Totschlag?“

Seine Antwort war eher eine Gegenfrage gewesen.

Ran schaute ihn mürrisch an.

„Aha. Da habt ihr ja ein weites Feld, über das ihr diskutieren könnt.“

„So ist es.“

Er seufzte.

Ran dachte nicht mal daran, es dabei bewenden zu lassen.

„Und wie kommt’s das ihr euch so gut vertragt? Solltet ihr nicht eigentlich einen ewigen Konkurrenzkampf ausfechten? Kazuha und ich fragen uns das oft, ihr benehmt euch fast wie Brüder, dabei seid ihr doch eigentlich Rivalen, solltet ihr euch nicht aufs Messer bekämpfen?“

Conan schaute sie verwirrt an.

„Nein, warum denn? Verbrechen gibt’s doch genug. Und seit dem Giftmord damals hat er eingesehen, dass…“

„Dass was…?“

„Dass er gegen mich ohnehin nicht anstinken kann…“

Er grinste breit. Ran gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, lachte ebenfalls.

„Du bist ein Idiot, weißt du das?“

„Ja, doch. Man hat es mir mittlerweile oft genug gesagt, ich kann’s mir inzwischen merken.“

„Und, krieg ich jetzt eine anständige Antwort…?“

Sie schaute ihn mit ihren klaren blauen Augen fragend an.

„Das beschäftigt dich ernsthaft?“, entgegnete er erstaunt.

Sie nickte.

„Nun…“, er seufzte.

„Als du damals raus gerannt bist, nach der Lösung von diesem Giftmordfall, um einen Arzt zu holen, da hat er sich entschuldigt, bei mir - für sein arrogantes Verhalten. Und ich hab ihm nicht verziehen…“

„Hä?“

Er lächelte.

„Ich hab ihm gesagt, dass es nichts zu verzeihen gäbe, weil es nicht wichtig ist, wer besser oder schlechter ist; es gibt kein besser oder schlechter. Einzig und allein eine Wahrheit gibt es, wer sie findet, ist doch egal. Wichtig ist nur, dass es einer tut. Und seitdem ist das Thema, bis auf gelegentliches Kräftemessen unter Freunden gegessen, Ran.“

Sie schaute ihn an.

Dann stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen.

„Und ab und zu, wenn ihr mit den Leichen fertig seid, dann redet ihr auch über mich und Kazuha…?“

Er lachte.

„Verrat ich nicht…“
 

Dann hielt er inne, drehte sich ruckartig um, ließ seinen Blick hektisch über den Platz schweifen.

Ihm war gewesen, als hätte sich ein Blick in seinen Rücken gebohrt, aber er sah nichts.

Eine Gruppe Grundschüler drängelte sich um das Parkmaskottchen um einen Luftballon zu ergattern, ihre Lehrer standen ein paar Schritte daneben… weiter entfernt stand ein verliebtes Pärchen.

Nichts Auffälliges.

Ran schaute ihn erschrocken an.

„Shinichi?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nichts. Es ist wahrscheinlich wie ich sage- ich bin hier drin einfach überreizt. Schließlich war ich bis jetzt zweimal hier und zweimal wollte mich jemand umbringen- beim zweiten Mal dich auch noch, du erinnerst dich doch?“

Sie nickte nur.

Ja, sie konnte sich daran erinnern.
 

Als sie ihr Gedächtnis verloren hatte, vergessen hatte, wer sie war- wer er war…

Sie seufzte, ließ ihre Stirn kurz gegen seine sinken.

„Ich hab dich nie gefragt, wie’ s damals für dich war…“

Er schaute sie überrascht an.

„Weil es nicht wichtig ist, Ran. Weil es keine Rolle mehr spielt, jetzt nicht, und damals nicht. Wichtig war und ist allein, dass du dich wieder erinnern kannst, nicht, dass du mal vergessen hast.“

Er bemerkte ihren bedrückten Gesichtsausdruck, warf einen Blick auf die Uhr, die neben dem Eingang an der Wand hing.

„Wollen wir kucken, ob die Fontänen immer noch um diese Uhrzeit angestellt werden?“

Damit hatte er es geschafft - der betrübte Ausdruck in ihren saphirblauen Augen war verschwunden. Sie sah ihn an, nickte begeistert. Hand in Hand rannten sie los.
 

Gin trat hinter der Losbude hervor.

Schaute ihnen hinterher, grinste zufrieden und warf seine Zigarette achtlos auf den Boden. Dann folgte er ihnen.
 

Ran starrte voller Faszination auf die glitzernden Wasserperlen, die von den Fontänen wegspritzten, funkelten wie Diamanten- jauchzte glücklich, als über ihren Köpfen ein Regenbogen erschien, zog ihn an der Hand, deutete nach oben.
 

Conan schaute hoch, freute sich milde verwundert, wie sehr sie sich immer wieder dafür begeistern konnte- doch als er den Kopf drehte, erstarrte er.

War da ein schwarzer Schatten gewesen? Schwer zu sagen hinter den Wasserwänden, die ihnen die Sicht nach Außen versperrten.

Das war bestimmt nichts weiter als eine optische Täuschung gewesen.

Eine Spiegelung, ein Wirbel, ein Schleier im Wasser.

Er wurde paranoid.

Das war es wohl.
 

Er warf einen Blick auf Ran, die von seinen Sorgen momentan nichts mitzubekommen schien. Sie schaute immer noch mit einem Ausdruck höchster Begeisterung auf dem Gesicht nach oben, wo sich der Regenbogen von einer Wasserwand zur nächsten spannte, hatte die Arme ausgestreckt und lachte.
 

Conan hingegen starrte ins Nichts, versuchte scheinbar, durch die Wassermassen durch zu blicken- und versuchte zu ergründen, warum sein Fluchtinstinkt in den letzten Minuten Ausmaße angenommen hatte, von denen er nie geahnt hatte, dass er sie hatte.
 

Er wollte weg hier.
 

Aber er würde bleiben. Bestimmt bildete er sich das alles nur ein- und indem er jetzt ging, würde er sie nur nervös machen. Verängstigen. Und das wollte er nicht.
 

Die Fontänen gingen langsam zurück.

Ran schaute ihn an.

„Es ist immer wieder wunderschön…“, hauchte sie. Kleine Wassertröpfchen flimmerten wie Tau im Sonnenlicht in ihren Haaren.

„Ja, das ist es.“, beeilte er sich zu sagen.

„Glaubst du, Heiji und Kazuha kommen bald?“

Sie seufzte, schaute sich suchend um.

„Sicher. Wenn sie sich nicht schon wieder streiten, sind sie bestimmt gleich da.“
 

„Dann geh ich noch schnell was zu trinken kaufen!“

Sie zeigte auf einen Imbissstand auf der anderen Seite des Platzes und lief los.

„Warte! Ich komme-…“
 

Weg war sie.
 

„…mit. Hm. Dann eben nicht.“

Er seufzte. Sie war ja nicht außer Sichtweite, also kein Grund, die Krise zu kriegen.

Conan drehte sich einmal um die eigene Achse. Das Gefühl der Unruhe wurde immer stärker.

Eigentlich wollte er wirklich weg hier.
 

Er suchte mit seinen Augen Ran, und fand sie, wie sie zwei Getränkedosen bezahlte. Alles bestens.

Kein Grund zur Aufregung.

Was war nur los mit ihm? Er hörte wohl schon die Flöhe husten.
 

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter, fuhr herum.

Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, als er erkannte, wer hinter ihm stand. Er hatte sich nicht getäuscht- er hätte seinen Fluchtinstinkt mal trauen sollen.

Vor ihm stand…
 

Gin.
 

Er drehte sich um, wollte wegrennen - und da sah er sie.
 

Ran.

Sie kam gerade mit zwei Dosen Cola zurück. Er erstarrte mitten in der Bewegung - und diesen Moment der Schwäche nutzte Gin aus. Er packte ihn am Kragen, hob ihn hoch. Ran schien er nicht bemerkt zu haben. Shinichi hoffte, dass er sie nicht erkannt hatte - denn dass er ihn erkannt hatte, war nun… augenscheinlich.
 

„Keinen Aufstand, oder jemand wird das bereuen.“

Conan merkte, wie ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich.
 

Und er verhielt sich still. Drehte nur den Kopf, fand ihr Gesicht, sah in ihre Augen- und formte mit seinen Lippen nur ein Wort.
 

Lauf.
 

Ran stand da, war kreidebleich. Ihre Knie drohten nachzugeben, ihre Hände krampften sich um die Getränkedosen.
 

Du hast es versprochen.
 

Sie las es von seinen Lippen. Hörte seine Stimme in seinem Kopf.
 

Du hast es versprochen.

Lauf weg.
 

Irgendeine Macht zwang sie, einen Schritt nach hinten zu machen.

Sie wollte nicht.

Sie wollte schreien, wollte zu ihm laufen, wollte ihm helfen… hier wurde ihr Freund entführt, Himmel, sah das denn keiner…?

Sah das denn keiner?!
 

Stattdessen blieb sie stumm. Ging noch ein Schritt nach hinten.
 

Und fühlte sich machtlos. Hilflos. Zum ersten Mal, seit sie in diesem kleinen Körper steckte, wurde ihr wirklich bewusst, was sie war- ein kleines Kind. Ein hilfloses kleines Kind.

Und zum ersten Mal wurde ihr gewahr, was es bedeutete, ein Kind zu sein.

Machtlos zu sein.
 

Nicht helfen zu können. Shinichi… Shinichi wurde vor ihren Augen entführt und sie konnte ihm nicht helfen. Und er konnte sich nicht wehren, denn auch er war nur ein Kind - und er hatte Angst um sie. Er wollte Gin wohl nicht auf sie aufmerksam machen, um keinen Preis, deshalb versuchte er nicht mal, sich zu wehren. Wäre sie jetzt groß, wäre sie Ran, nicht Kohana… dann hätte sie ein Chance ja… Aber so… Aber so!

Warum war sie… warum hatte sie… sie konnte ihm nicht helfen! Nicht helfen…!
 

Sie sah, wie Gin ihn zu Boden gleiten ließ, ihn auf die Füße stellte- sie sah seine Angst, spürte sie beinahe selbst. Er hatte den Kopf abgewandt, wollte wohl nicht zu auffällig in ihre Richtung schauen, damit er sie nicht bemerkte.

Damit sie in Sicherheit war.

Weil er sie immer noch beschützen wollte. Weil er wusste, wie viel Schutz ein Kind brauchte. Weil er wusste, wie machtlos sie waren, sie beide.
 

Ran brach fast zusammen. Die Erkenntnis schlug über ihr zusammen wie eine Welle. Bis jetzt war alles ein Spiel gewesen; ein seltsames Spiel, manchmal ein beängstigendes Spiel- aber nichtsdestotrotz ein Spiel.
 

Aber jetzt- jetzt…!

Jetzt war es die Wirklichkeit.
 

Zu Gin gesellte sich ein weiterer Mann- er war etwas untersetzt, trug ebenfalls Schwarz, von Kopf bis Fuß.

Vodka. Er musste es sein.

Ein dreckiges Grinsen war auf seinem Gesicht zu sehen. Der Blonde fuhr ihn an, dann schaute er sich um, überprüfte, ob jemand von ihrer Aktion etwas ahnte.
 

Warum half ihm denn niemand…? Wenn sie es schon nicht konnte…
 

Hektisch sah sie sich um.

„Hilfe…“, wimmerte sie. Keiner nahm von ihr Notiz.

Ihre Stimme war zu leise, die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Und sie war zu klein, um richtig auf sich aufmerksam machen zu können.

Und Kinder nahm man sowieso nicht so ernst.
 

Hilfe, Hilfe, Hilfe…!
 

Sie wandte sich ihm wieder zu, schaute ihn verzweifelt an, merkte fast, wie das Band zwischen ihnen immer straffer gezogen wurde. Es zog und zerrte an ihr, sie wollte diesem Drang nachgeben, zu ihm hinlaufen- aber etwas hielt sie ab.

Hielt sie auf.
 

Versprich mir, dass du verschwinden wirst… egal was mit mir passiert.
 

Sie trat einen weiteren Schritt von ihm weg. Warum gehorchten ihr ihre Beine nicht? Sie wollte zu ihm…! Näher ran, nicht weiter weg…!

Mittlerweile standen ein paar Menschen zwischen ihnen, verdeckten sie teilweise.
 

Sie konnte man kaum mehr sehen- aber sie sah ihn. Sie sah sein bleiches Gesicht.

Er stand wacklig auf den Beinen, hätte Gin ihn nicht immer noch an einem Arm festgehalten, wäre er wohl hingefallen.
 

Sie hatte ihn noch nie so verängstigt gesehen. Er wusste, was kommen würde, sie sah es ihm an. Und dieses Wissen machte ihm Angst.
 

Er drehte sich um, suchte ihr Gesicht in der Menge, fand es- warf ihr einen letzten Blick zu.
 

Ich liebe dich.
 

Dann drehte er den Kopf weg, ließ sich von Gin mitziehen.

Sie blinzelte, als ihr Tränen in die Augen stiegen.

Er war weg.
 

Zuerst stand sie nur da, zur Salzsäule erstarrt, merkte nichts- hörte nichts, fühlte nichts, sah nichts- nur die Angst, diese Angst in seinen Augen.
 

Zuerst fielen mit lautem Scheppern die Getränkedosen zu Boden, kullerten davon.
 

Hilfe, Hilfe, Hilfe… Hilfe…!
 

Und dann- dann holte die Realität sie ein.

Ran brach zusammen, heulte auf, schrie ihren Schmerz hinaus… krallte ihre Hände in den Boden, merkte nicht, wie ihre Fingerkuppen zu bluten begannen.
 

Sie bemerkte nur am Rande, wie jemand zu ihr hinging.
 

Sah blonde, wellige Haare im Sonnenlicht glänzen wie flüssiges Gold…
 

Sie bekam keine Luft mehr. Irgendetwas drückte auf ihre Brust, schnürte ihr die Kehle zu. Er war weg. Weg…

Shinichi…

Er würde ihn töten. Shinichi würde den heutigen Tag nicht überleben.

Shinichi…
 

Sie japste, rang nach Atem, verschluckte sich.

In ihr war alles taub.
 

Shinichi…
 

Ran hörte nicht die Stimmen, die auf sie einredeten. Sie hörte nur ihren eigenen Atem, ihren eigenen Herzschlag- und seine Stimme in ihrem Kopf.
 

Lauf.
 

„Sie haben ihn.“, flüsterte sie dann. Nur diese drei Worte- dann wurde es schwarz um sie.

Wie sie die blonde Frau auffing, bekam sie nicht mehr mit.
 

Sharon starrte ihnen hinterher, hielt die kleine Ran in ihren Armen. Sie hatte sofort gewusst, wer sie war.

Und jetzt hatten Gin und Vodka ihn - sie war zu langsam gewesen! Zu langsam, verdammt!

Sie wusste, was jetzt kam. Sie würden ihn ins Hauptquartier bringen, um herauszufinden, was er wusste- wer noch etwas wissen könnte- und ihn dann töten.

Sie schloss die Augen, atmete tief durch.

Aber-

Noch war nicht aller Tage Abend.
 


 

Jodie hätte sich ohrfeigen können.

Sie hatte sie verloren. Auf einmal war sie weg gewesen. Und nun stand orientierungslos zwischen der Achterbahn und der Geisterbahn, ging ein paar Schritte in eine dunkle Gasse, als sie zwei dunkle Schatten bemerkte -

- und erstarrte mitten in der Bewegung, als sie bemerkte, dass die zwei Gestalten ein eng umschlungenes Pärchen waren.
 

Als sie dann aber auch noch erkannte, um wen es sich handelte, wurde sie rot wie eine überreife Tomate.

Und als sie sich wieder umdrehen wollte, trat sie, um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, auf eine Glasscherbe, die knirschend unter ihren Pumps zerbarst.

Sie hielt in der Bewegung inne, drehte sich schuldbewusst um.
 

Heiji seufzte. Kazuha neben ihm war so rot geworden wie Jodie.

„Kann ich Ihnen helfen, Jodie?“, fragte der junge Mann aus Osaka höflich- und dennoch ließ sich ein gewisser genervter Unterton nicht leugnen.

Und erst jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Warst du nicht mit cool kid unterwegs?“
 

Der Detektiv aus Osaka nickte.

„Ja, er und Ran wuseln hier auch irgendwo herum…“

„Shit!“

Sie fuhr sich fahrig durchs blonde Haar.

„That’s not good… oh no, oh no, not good at all…“

Kazuha schaute die blonde Frau konsterniert an.

„Heiji, kennst du diese Frau…?“, fragte sie ungeduldig.

Er nickte.

„Ja, das ist Jodie Starling vom FBI. Aber sollten Sie nicht…?!“

Und plötzlich begriff auch er.

„Sollten Sie nicht das Hotel beschatten? Sagen Sie bloß, Sie haben sie gefunden?!“

Jodie schluckte.

„Ja. Und sie ist hier. Ich bin ihr vom Hotel hierher gefolgt, sie hatte es sehr eilig. Es schien fast, als ob sie jemanden jagte, oder vor jemandem hier sein wollte. Und Vodka wurde ebenfalls gesichtet, aber den hatten wir verloren, also…“

Heiji wurde bleich.

„Er sollte mit Ran am Fontänenplatz auf uns warten…“
 

Die blonde FBI-Agentin schluckte.

„Dann nichts wie hin. Und lasst uns hoffen, dass noch nichts passiert ist.“
 

Kazuha blickte von Heiji verständnislos zu Jodie- aber mehr als ein empörter Aufschrei kam ihr nicht mehr über die Lippen, als Heiji losrannte und sie am Arm einfach mit sich zog.
 


 

Sharon hatte die kleine Ran immer noch in ihren Armen, schaute sich um. Gin und Vodka waren längst weg, wo sie die finden würde, wusste sie. Aber wohin mit der Kleinen?
 

Dann hörte sie Schreie, drehte sich um und sah sie. Drei Personen, die auf sie zu rannten.
 

Na Klasse.
 

Sie seufzte auf, ging ihr entgegen.
 

„Hello, Miss Starling.“
 

Die FBI-Agentin blieb stehen, hinter ihr hielten Heiji und Kazuha ebenfalls inne. Sharon drückte der blonden Frau das Mädchen in die Arme.

„Was haben Sie mit ihr…?“, brauste Jodie auf.

„Ihr geht’s gut, sie ist nur ohnmächtig. Um den Jungen solltet ihr euch mehr Sorgen machen.“

Sharon schaute sie kalkulierend an.

Heiji wurde bleich.

„Shinichi…?“

Sie nickte nur, dann trat sie an ihm vorbei, wandte sich zum Gehen.
 

Jodie starrte ihr nach, als Sharon an ihr vorbeiging. Sie drückte Kazuha die kleine Ran in die Arme, zog ihren Revolver.

„Was meinen Sie damit?! Hey! Sie sind…“
 

„Verhaftet?“

Sharon drehte sich um, lächelte ihr traurig zu, ein Hauch von Zynismus schwang in ihrer Stimme mit, als sie sprach.

„Das würde ich an deiner Stelle lassen, Süße. Das heißt, wenn du willst, dass er auch nur den Hauch einer Chance hat, da lebend raus zu kommen. Du weißt doch ganz genau, wer ihn hat, Starling… und du weißt, was das heißt.“

Damit drehte sie sich um und verschwand in der Menge.

Keiner wagte es, sie aufzuhalten.
 

Ein kleines, leises Geräusch brauchte wieder Bewegung in die Gruppe.

Ran jammerte leise. Ein Ton, der ihnen fast das Herz brach.

Jodie scheuchte Heiji, der sich immer und immer wieder Vorwürfe machte, warum er ihn, seinen besten Freund, allein gelassen hatte, und Kazuha, die immer noch sehr verwirrt dreinschaute, vor sich her aus dem Park, wählte noch im rausgehen James Blacks Nummer.
 


 

Als sie wieder zu sich kam, lag sie zuhause in ihrem Bett. Sie stöhnte leise, öffnete die Augen- und sofort schoben sich zwei besorgt aussehende Gesichter in ihr Blickfeld.

Eins gehörte ihrem Vater.

Das andere war das von Jodie.
 

Blonde Haare…
 

Sharon- Sharon war da gewesen- sie hat mich aufgefangen, ich weiß es, ich hab ihre blonden Locken gesehen…
 

Warum hat sie ihm nicht geholfen, warum?

Warum?
 

Sie richtete sich abrupt auf, bemerkte, dass ihr ganzes Zimmer voller Menschen war- Die FBI-Agenten, der Professor und Ai, Heiji, Kazuha und ihre Mutter waren anwesend- und auf all ihren Gesichtern standen Angst und Sorge.
 

Sie merkte, wie sie sich aufzuregen begann, ihr Atem schneller und flacher wurde, ihre Pulsfrequenz stieg…

„Sie haben ihn!“

Sie schrie.

„Sie haben ihn! SIE HABEN IHN! Hört ihr, was steht ihr hier noch rum, sie haben Shinichi…!“

Ihr kleiner Brustkorb hob und senkte sich heftig, ruckartig.

„Shinichi…“

Tränen sammelten sich erneut in ihren Augen, begannen eine nach der anderen, über ihr kleines, junges Gesicht zu laufen.
 

Die kleine Ran saß aufrecht im Bett, ihre kleinen Hände in die Decke gekrallt, weinend… fühlte sich so hilflos, so ohnmächtig… und zum ersten mal so unwohl in diesem Körper. Er hatte ihr verwehrt, ihrem Freund beizustehen. Dieser Kinderkörper machte aus ihr ein wehrloses kleines Wesen, hilflos und unfähig zu helfen.

Immer mehr Tränen perlten ihr über die Wangen, ein endloser Strom kleiner salziger Tropfen. Der Heulkrampf wurde immer stärker, schüttelte sie.

Sie japste nach Luft, schniefte, hustete, und weinte - riss Heiji das Taschentuch, das er ihr reichte, aus den Fingern.
 

„Warum sind sie noch hier? Warum h-h- helfen sie ihm n-n-nicht?!“

Ihre Stimme wurde immer schriller.

„Ran, beruhig dich…“
 

Ran schüttelte den Kopf, heulte weiter.

„Und wo warst du, verdammt?! Hättet ihr euer Techtelmechtel nicht auf später verschieben können?!“

Sie schlug Heijis Hand, der sie beruhigend am Arm streicheln wollte, weg, schaute ihn voller Vorwurf an. Er erbleichte, zog die Hand zurück.

Sie ahnte wohl, das Kudô ihm sehr viel mehr erzählt hatte, als ihr.

Und sie hatte ja Recht, mit dem, was sie sagte - er hatte ihn allein gelassen. Er hatte gewusst, dass Gefahr im Verzug war, dass Shinichis Tarnung aufzufliegen gedroht hatte... und stattdessen hatte er sich mit Kazuha eine ruhiges Plätzchen gesucht, um... ihr seine Gefühle zu gestehen. Was er auch getan hatte, aber das tat nichts mehr zur Sache.

Ja, okay, er hatte ihm Bescheid gesagt, vorher, hatte ihn gefragt, ob er einverstanden wäre- und Kudô hatte genickt. Aber er hatte auch den Ausdruck in seinen Augen gesehen- dass er sich hier nicht sicher fühlte.

Dass er es lieber gehabt hätte, wenn alle beisammen geblieben wären.
 

Aber Heiji hatte Conans Worten geglaubt, nicht Shinichis Augen. Er hatte Worten, die schon so oft getäuscht hatten, Augen, die noch nie gelogen hatten, vorgezogen, weil es für ihn bequemer war.
 

Er schaute zu Kazuha, dann zu Ran, bekam kein Wort mehr über die Lippen.
 

Ran bekam kaum mehr Luft, sah nichts mehr, außer diese Angst in seinen Augen-

Shinichis Augen…

Hörte nichts mehr, außer seiner Stimme in seinem Kopf-
 

Du hast es versprochen…
 

Sie begann herzzerreißend zu jammern.

„Ich hätte das nie tun sollen…!“
 

Sie war kreidebleich im Gesicht, ihre Augen vom Weinen verquollen und gerötet.

„Was denn…?“, murmelte Kazuha behutsam.

„Nicht mit ihm wieder heimzugehen, als ich merkte, dass er sich nicht wohl fühlte im Park… ich hab mich von ihm überzeugen lassen, dass ihm das nichts ausmacht, dass er sich das einbildet… dabei hatte er Re- recht - und ich hätte nie- hä- hä… hhhätte nie versprechen-… ich hätte ihm nie, nieee versprechen sollen, dass ich… das… das ich weglaufe, wenn sie k-k-kkkommen…“

Sie starrte an die Decke, wimmerte leise, schnappte nach Luft, schluchzte…

Kogorô schaute sie betroffen an.

Sie hatte ihr Versprechen also tatsächlich halten müssen.
 

Rans Gesicht war bereits tränennass, sie war fertig, fertig mit ihren Nerven - und doch schlug sie den Arm ihres Vaters beiseite, der sie eigentlich nur trösten wollte; sie wollte nur einen sehen jetzt, nur einen…

Bevor sie diesen einen nicht gesehen hatte, sich überzeugen konnte, dass es ihm gut ging…

Das… dass er lebte…

Nicht tot war…
 

Tot-

Bestimmt würden sie ihn umbringen, ihn töten-

Vielleicht lebte er schon nicht mehr…
 

Der Gedanke raubte ihr das letzte Bisschen Verstand.

Sie schrie gequält auf, krümmte sich nach vorne, klammerte sich in die Decke - und spürte plötzlich sanfte Schwerelosigkeit.

Dann war alles schwarz.
 

Ai stand da, sein Narkosechronometer in der Hand.
 

Alle schauten sie an.
 

„Ich denke, wenn sie aufwacht, und es ihr immer noch nicht besser geht, sollte jemand mit ihr ins Krankenhaus fahren. Sie könnte einen Nervenzusammenbruch haben.“

Ais Stimme klang leise.

Kogorô schluckte, legte seine kleine Tochter wieder anständig ins Bett, deckte sie sorgsam zu und strich ihr mit einer Hand über die Haare.
 

„Was wird sie machen, wenn er tatsächlich nicht mehr… wiederkommt?“

Eris Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
 

Keiner im Raum sagte ein Wort.

Cognac und Champagner

Hiho!
 

Nun- zuerst mal vielen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! Wir sind jetzt bei über 300... *rotwerd*

Ehrlich... ich fühl mich extrem geehrt. Dankeschön! *verneig*

Und vielen Dank an die, die meine Jubiläumsfic kommentiert haben - da das ja ein Oneshot war, nutz ich dieses Kapitel zum Dankeschön sagen, schließlich kommt bei einem Shot kein weiteres Kap :D

Freut mich, wenn’s gefallen hat!
 

Soooo, ja; Conan ist in der Hand des feindlichen Lagers…

Hm... bitte fragt mich nicht, warum der Boss den gleichen Namen hat wie der in 'Der rote Faden'; ich find den toll ^^

Hab mir wohl daran nen Narren gefressen.

Aber ich hab mir einen anderen Charakter ausgedacht, keine Bange. Einen, der hoffentlich gut passt, auf wen auch immer Gosho uns da mal präsentiert…
 

Ach ja; eine Nachricht hätte ich noch; das Kapitel 22 kommt nächste Woche ausnahmsweise erst am Donnerstag; ich bin leider vorher nicht da…
 

Enjoy reading!
 

Liebe Grüße, eure Leira
 

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Als der Kofferraum wieder geöffnet wurde, man ihn unsanft heraushob und auf den Boden stellte, gaben seine Beine fast nach. Ihm war fast schwarz vor Augen, alles drehte sich… der Sauerstoff war wohl irgendwann ein wenig knapp geworden.

Wie lange sie gefahren waren, wusste er nicht. Sein Zeitgefühl war irgendwann einfach Flöten gegangen.

Man hatte seine Hände auf den Rücken gefesselt, ihn geknebelt- und während der Fahrt war die Luft immer heißer und stickiger geworden, ihm war schwindelig, wirr…

Doch ihm blieb keine Zeit, sein Gleichgewicht wieder zu finden. Gin packte ihn am Kragen und schleifte ihn mit sich, hinter ihm ging Vodka mit entsicherter Pistole.
 

Er gab gedämpfte Laute von sich, wollte eine Frage stellen; stattdessen versetzte ihm Vodka von hinten einen Tritt, der ihn stürzen ließ. Er schlug sich die Nase auf, da er sich nicht abfangen konnte, Blut rann ihm übers Gesicht, er versuchte automatisch, durch den Mund zu atmen, was ihm durch den Knebel nicht gelang - begann zu husten, nach Luft zu ringen. Gin stellte ihn verärgert wieder auf die Füße.

„Schwachkopf!“, fuhr er Vodka rüde an, bedachte Conan mit einem kalten Blick. Dann zog er ihm verärgert den Knebel aus dem Mund, um ihm das Atmen zu ermöglichen.

„Was sollte das denn?!“

Gins Stimme klang kalt wie Eis. Vodka sagte nichts, senkte seinen Kopf.

„Ich dachte…“

„Du sollst nicht denken!“

Der Blonde schrie nicht. Das war ein Befehl, klipp und klar, unmissverständlich angeordnet.
 

Conan schaute auf, sah dem untersetzten Mann ins Gesicht.
 

Du sollst nicht denken…
 

Die Rangordnung schien hier ziemlich klar strukturiert zu sein.
 

Ansonsten sagte Conan nichts mehr - er zog es vor, sich in der Hauptsache der banalen Tätigkeit des Luftholens zu widmen und ansonsten der Dinge zu harren, die da noch kommen würden. Oft reichte allein das Beobachten schon; die Dinge genau zu verfolgen offenbarte oft mehr als konkret danach zu fragen. Dennoch war ihm nicht wohl, als er zwischen Vodka und Gin ging, immer weiter durch das Halbdunkel, und er kam nicht umhin, sich selbst zu fragen, was ihr Ziel sein würde.

Was man mit ihm machen würde.
 

Bald hatten sie die Parkgarage verlassen, gingen hell erleuchtete, cremfarben getünchte und mit Linoleum ausgelegte Korridore entlang, alle von weißen Kunststofftüren gesäumt - ein Gang sah aus wie der andere.

Sie gingen Treppen hinauf, gingen andere Treppen wieder hinab, bogen rechts ab, dann links, wieder rechts - bald hatte er seinen Orientierungssinn völlig verloren.
 

Irgendwann erreichten sie dann über eine letzte Treppe eine Art Galerie - durch große Fenster konnte man nach draußen sehen, über die Dächer Tokios hinweg.
 

Also sind wir noch in der Stadt?
 

In einer Ecke, auf einem schwarzen Holztisch stand ein prachtvoller Bonsai, eine Sitzgruppe aus hellen Lederpolstermöbeln befand sich in der anderen.

Sie waren wohl hoch oben- Conan sah draußen Dächer von niedrigeren Wohnblöcken und Fabrikgebäuden.
 

Während Vodka sich in einen Sessel flegelte, dabei immer noch die Mündung seiner Pistole auf ihn gerichtet hatte, drückte Gin einen Klingelknopf.
 

Nach ein paar Sekunden öffnete eine sehr attraktive, rothaarige Frau.

Gin musterte sie kalt.

Sie erwiderte seinen Blick ebenso kühl, dann blickte sie an ihm vorbei, erspähte den kleinen Jungen.

„Ist er das?“

Gin nickte nur.

„Dann bring ich ihn rein. Du und dein tölpelhafter Freund, ihr könnt gehen.“

Ihre Stimme klang irgendwie unangenehm in Conans Ohren, zu tief für eine Frau, eigentlich. Der Blick aus ihren klaren, graugrünen Augen war durchdringend, und die kantige Brille, die sie trug, verlieh ihm noch zusätzlich Strenge und Unerbittlichkeit.

Sie trug ein schwarzes Kostüm, schwarze Lackpumps und keinerlei Schmuck.
 

„Aber…“, begann Gin drohend.

„Kein Aber. Du hast gehört, was der Boss will. Wenn das Verhör beendet ist, kriegst du ihn wieder. Solange gehst du. Und vergiss den da nicht.“

Sie nickte in Vodkas Richtung, der immer noch sehr nonchalant in seinem Sessel lümmelte.

„Hör mal zu, Champaign, du bist nichts weiter als…“

„Die Chefsekretärin. Und als solche gebe ich die Befehle meines Chefs weiter. Und der will ihn erst einmal in Ruhe kennen lernen, wie er sagt. Fürs Grobe ruft er euch dann.“

Ihre rot geschminkten Lippen verzogen sich zu einem hämischen Lächeln, offenbarten ihre makellos weißen Zähne.

Damit schritt sie aus dem Zimmer heraus, packte Conan am Kragen und zerrte ihn mit sich wieder hinein.

Dann hörte er hinter sich eilige Schritte.

„Warte.“

Conan drehte sich um, seine Augen weiteten sich erstaunt - und gleichzeitig fragte er sich wiederum, warum es ihn wunderte.

Sie war da.
 

Vermouth…
 

Champaign nickte.

„Du kommst reichlich spät.“
 

„Aber noch nicht zu spät, wie mir scheint.“

„Nein, noch nicht. Du weißt ja, wo du ihn findest. Und nimm die kleine Ratte hier mit.“

Sie starrte Conan angewidert an.

„Ich hasse Kinder.“

„Na, dann wird es dich ja freuen zu hören, dass er kein Kind ist, eigentlich. Wie sieht es eigentlich mit dem… du weißt schon was aus?“

„Das wird er dir erzählen. Und jetzt geh schon, du kennst ihn, er hasst es, wenn man ihn warten lässt.“
 

Vermouth nickte, nahm ihm den Knebel ganz ab, wischte ihm damit kurz übers Gesicht und warf ihn anschließend weg – dann packte sie Conan, wie es zuvor auch Champaign getan hatte, am Kragen und zog ihn mit sich.
 

Das Büro sah nicht aus, wie er sich sein Büro vorgestellt hätte.

Allerdings hatte er auch keine Ahnung, wie er sich sein Büro eigentlich vorgestellt hatte.
 

Dem Vorzimmer, in dem sich die Sekretärin mit dem schmeichelhaften und höchst originellen Namen Champaign wieder hinter ihren Schreibtisch setzte, folgte ein großes, elegantes, sehr modern eingerichtetes Zimmer.

Auf kleinen Tischen standen prächtige, gut gepflegte Bonsai - große, antik aussehende Vasen aus Porzellan, geschmückt mit aufwändigen Malereien standen in Gruppen in den Ecken, zwei schlanke Stehlampen mit Seidenschirmen befanden sich daneben, verbreiteten sanftes, gelbliches Licht.
 

Fast alle der alabasterweißen Wände des rechteckigen Raums waren fensterlos- einzig die Rückwand, die Wand, vor der er saß, bestand aus einem einzigen großen Fenster, drei riesigen, auf Hochglanz polierten, absolut sauberen, glasklaren Scheiben.

Gegenüber dem Fenster stand eine Sitzgruppe bestehend aus einem kleinen Sofa und drei Sesseln, über die dekorativ kunstvolle, cremfarbene Seidendecken drapiert waren.

Auf dem kleinen Tisch aus Mahagoni stand eine Karaffe mit einer golden schimmernden Flüssigkeit, daneben zwei bauchige Gläser.
 

Gegenüber, direkt vor der Scheibe, war der Schreibtisch.

Und dort…
 

Dort saß er.
 

Thronte in einem großen, ledernen Chefsessel, an seinem großen, ausladenden Mahagonischreibtisch, der voll beladen war mit einem Computer, Akten und Ordnern.
 

Da er im Gegenlicht saß, konnte Conan sein Gesicht nicht sehen.
 

Gerade, als er mit Vermouth das großzügig angelegte Zimmer betrat, sie sich vor ihn stellten, in gebührendem Abstand von fünf Metern hieß das, schallte ihm ein recht nerviger Klingelton entgegen.
 

Nanatsu no ko…!
 

Nicht nur seine Nummer schien der Melodie zu folgen- nein, auch den Klingelton hatte er darauf abgestimmt.

Conan schluckte, starrte den Mann an. Betrachtete den Umriss, den er sah.

Ließ seine Augen über seinen Kopf, den er im Profil sah, da sich der Boss in seinem Sessel leicht gedreht hatte, als er an sein Handy gegangen war, wandern.

Eine scharf geschnittene Nase, nicht zu lang, nicht zu kurz - eine ausdrucksstarke, hohe Stirn, aus der die glatten, vollen, dunklen Haare gekämmt waren, sowie für einen Mann fast verschwenderisch sinnliche Lippen und ein energisches Kinn rundeten das Gesicht ab.
 

Er trug einen maßgeschneiderten, perfekt sitzenden, schwarzen Anzug aus sichtlich teurem Zwirn- darunter ein geschmackvolles, cremfarbenes Hemd, eine graue Krawatte.
 

Seine Stimme klang nicht unangenehm, als er ruhig in sein Mobiltelefon sprach. Und doch… doch schwang in ihr ein entschlossener Tonfall mit, der deutlich aussagte, dass er keinen Widerstand duldete. Von niemandem.
 

Vor ihm saß ein Mann, der Macht hatte – und der mit Macht umzugehen gewohnt war.
 

Dann war das Telefonat beendet.

Als der Boss aufgelegt hatte, war es still im Raum. Er drehte sich ihnen zu, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, legte seine Fingerspitzen sachte aneinander, berührte mit seinen Zeigefingern seine Lippen, wartete.
 

Wie auf ein Stichwort verbeugte sich Vermouth unterwürfig. Eine Geste, die Conan von ihr nicht erwartet hätte - der Boss hingegen augenscheinlich schon. Sie ließ ihren Kopf gesenkt, bis er ihr gestattete, sich wieder aufzurichten.

„Vermouth.“

Er nickte ihr zu.

Dann stand er auf, ging um den Schreibtisch herum, zu ihnen - und zum ersten Mal konnte Conan sein Gesicht tatsächlich sehen, als er aus dem Gegenlicht heraustrat ins indirekte, sanfte Licht der Stehlampen.
 

Er sah überraschend jung aus. Vielleicht fünfzehn Jahre älter als er selber? Das hieß, als Shinichi… nicht als Conan.

Stahlgraue Augen unter gepflegten, sauber geschwungenen Augenbrauen blickten ihn musternd an.

Conan fühlte sich unbehaglich.
 

„Und du bist also Shinichi Kudô?“
 

Die Stimme klang deutlich kühler als vorhin am Telefon.

Conan legte den Kopf in den Nacken. Himmel, wie er das hasste. Wie sehr er das hasste.

Dieses Aufblicken.
 

„Soll ich mich auch verbeugen oder bin ich klein genug? Denn einen anderen Sinn hat dieses Buckeln doch ohnehin nicht, als sich klein zu machen...“

Seine Worte überraschten ihn in dem Moment, als er sie aussprach.
 

Heilige Scheiße… wo nehm ich den Mut für solche Kommentare her?
 

Der Boss grinste.

„Nein, du wurdest wohl schon genug gedemütigt- oder sollte ich sagen, diese Situation ist bestimmt demütigend genug für dich? Aber ich muss sagen, du enttäuscht mich. Du bist ausgesprochen unhöflich, mir meine Frage nicht zu beantworten…“

„Das Kompliment geb ich gerne zurück. Sie sind mindestens genauso unhöflich, sich nicht mal vorzustellen, wo sie es doch waren, der mich so nett eingeladen hat.“

Unbewusst zerrte er an seinen Handfesseln.
 

Das Lächeln des Bosses wurde noch breiter, aber um keine Spur humorvoller. Seine Augen starrten ihn immer noch durchdringend und frostig an.
 

„Wie ungeheuerlich Recht du doch hast, mein junger, oder sollte ich sagen, sehr junger Freund? Ich bin der Chef dieser Institution, wie du wohl mitbekommen haben wirst - nenn mich Cognac. Mehr musst du nicht wissen. Und hättest du nun wohl die außerordentliche Güte, mir deinen Namen zu nennen - beziehungsweise, mir zu bestätigen, was ich ohnehin schon weiß?“

Er schob sich lässig die Hände in die Hosentaschen, wandte nicht eine Sekunde den Blick ab. Conan hielt stand.
 

„Was glauben Sie denn?“, fragte er dann, Provokation lag in seiner Stimme.

„Bin ich es, oder bin ich es nicht?“
 

Solange sich diese Leute nicht sicher waren, war es das Beste, erst mal alles abzustreiten. Er schluckte. Um Ran und Ai zu schützen… auch wenn er hier drin vielleicht… wenn er…

Er dachte den Gedanken nicht zu Ende.
 

Das Lächeln seines Gegenübers schien zu gefrieren.

„Du bist ein entsetzlich unhöflicher Bengel. Eine Frage beantwortet man nicht mit einer Gegenfrage, haben dir das deine Eltern nicht beigebracht?“

Seine Stimme klang ruhig. Doch das täuschte…
 

Der Schlag ins Gesicht riss ihn von den Füßen.

Er hatte keine Chance, sich abzufangen, seine Hände waren gefesselt - und so gelang es ihm auch nicht, aufzustehen, bevor der Boss da war, über ihm stand- und ihm einen in einem italienischen Designerlederschuh steckenden Fuß auf die Brust stellte.
 

Conan schluckte. Er schmeckte Blut, merkte, wie ihm schon wieder etwas Warmes aus der Nase lief.

Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht.

„Shinichi Kudô… nun. Wir können das prüfen, weißt du?“
 

Er verlagerte sein Gewicht kurz auf den Fuß, der auf Conans Brustkorb stand, was den kleinen Jungen verzweifelt nach Luft schnappen ließ - dann ging er zur Tür, öffnete sie. Er konnte seine Stimme hören, als Cognac zu seiner Sekretärin sprach.

„Wir können das prüfen, in der Tat. Brandy soll kommen. Sie wird wissen, was zu tun ist.“
 

Brandy? Wer ist Brandy?
 

Er rappelte sich hoch, kämpfte sich auf die Füße, warf Vermouth, die mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben ihm stand, einen misstrauischen Blick zu.

Dazu, mit ihr zu reden, kam er allerdings nicht - der Boss kam wieder herein, warf ihm ein triumphales Lächeln zu.

Conan fühlte sich unwohl. Wenn der Mann wirklich vorhatte, was er vermutete…
 

Keine fünf Minuten später kam Brandy.

Und er wusste sofort, wer sie war.
 

Brandy war die neue Sherry.

Die Organisation schien für ihre Forscherinnen ein Beuteschema zu haben.
 

Brandy hätte Shihos Zwillingsschwester sein können - zumindest auf den ersten Blick. Sie trug, wie wohl auch Shiho seinerzeit, einen weißen Forscherkittel und weiße Pantoffeln.

Darunter ein schwarzes Etuikleid.

Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz.
 

Sie trug wie Shiho ihre hellen Haare auf Kinnlänge geschnitten- allerdings waren ihre im Gegensatz zu Ais nicht naturblond, sondern eindeutig gefärbt. Gut gefärbt zwar, auf Natürlichkeit getrimmt, aber doch eindeutig das Werk eines talentierten Coiffeurs.

Ihre Augen waren blau, ihre Haut hell, und von der Statur und Größe her, schätzte er, würde sie wohl ungefähr auf Shiho passen.
 

Da hörten die Ähnlichkeiten allerdings auf.

Wo in Ais Augen heutzutage ein Ausdruck von Schmerz, Bedauern und Reue lag, funkelte in den Augen von Brandy ein Hauch von Mordlust. Ihre schönen Lippen hatte sie zu einem zuckersüßen und gleichzeitig giftigen Lächeln verzogen, sah ihn mit einem gierigen Gesichtsausdruck an.
 

Sie zog ein Etui aus ihrer Kitteltasche, fixierte Conan mit kaum verborgender Vorfreude.

Die Frau war skrupellos.

Er fragte sich, ob Shiho je so gewesen war.

Ob sie je so erpicht darauf gewesen war, Menschen oder Mäusen etwas anzutun, wie diese Frau, wie Brandy?

Er konnte es nicht glauben - aber glauben hieß nicht wissen.
 

Die Stimme von Cognac riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ich kann dich also beim Wort nehmen, Brandy? Es wird wirken?“

Die junge Blondine wandte ihren Blick von Conan ab, schaute ihren Arbeitgeber an und nickte lächelnd, strahlte eine Selbstzufriedenheit und Arroganz aus, die ihn schaudern ließ.
 

„Na, dann bitteschön. Hier ist dein neues Versuchskaninchen. Und wir sind sein Publikum, nicht wahr, Vermouth?“

Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. Sharon war bleich geworden, stellte Conan fest, der ebenfalls seinen Kopf zu ihr gedreht hatte.

Aber sie nickte, formte ihre wohlgeschminkten roten Lippen zu einem perfekten Lächeln.
 

Dann merkte er, wie ihn jemand am Arm packte und schrak zurück.

Brandy hielt ihn fest, schob ihm den Ärmel hoch.
 

Er begann um sich zu treten, schrie und brüllte - er ahnte, was kam, und er wollte es nicht. Er wollte es verhindern, um jeden Preis.

Brandy lachte nur, legte ihr Etui beiseite, zwang ihn mit beiden Händen zu Boden, kniete sich auf seine Brust, nagelte ihn damit auf dem teuer aussehenden Parkett fest.

Conan bekam kaum Luft, konnte nichts weiter tun, als taten - und atemlos mit anzusehen, wie die Forscherin aus ihrem Etui eine Spritze holte. Er hörte auf zu schreien. Einerseits, weil er keine Luft mehr dazu hatte - und andererseits, weil er mit vor Angst geweiteten Augen die Spritze anstarrte wie das Kaninchen die Schlange.
 

Sie warf ihm ein sadistisches Lächeln zu.

„Heute geht wahrscheinlich ein lange gehegter Wunsch für dich in Erfüllung, mein süßer Spatz.“

„NEIN!“, brüllte er, versuchte mit den Beinen zu strampeln, sie abzuschütteln, was ihm nur einbrachte, nun den Brustkorb so gut wie gar nicht mehr heben zu können, weil sie ihr Gewicht darauf verlagerte.

„Dummer Junge, halt still. Es ist auch nur ein kleiner Pieks, ich versprechs…“

Ihre Stimme klang sanft, schmeichelnd - sie erinnerte ihn an das Zischen einer Giftschlange vor dem todbringenden Biss.

„Zumindest vorerst.“

Brandy lächelte erneut.

Sie fixierte zuerst seine blauen Augen mit ihren, dann wandte sie sich der Spritze zu, drückte mit entrücktem Lächeln den Kolben nach oben, bis die ersten Tropfen aus der Nadel traten.

„Brandy.“

Der Boss schien ungeduldig zu werden.

„Sofort, Boss.“

Ihre Stimme klang auf einmal unterwürfig.
 

Sie holte ein Fläschchen aus dem Etui und eine kleine Kompresse, träufelte etwas von der Flüssigkeit auf das Gewebe, dann schob sie erneut einen seiner Ärmel hoch, rieb eine kleine Fläche seiner Haut damit ab.
 

Alkohol.
 

Sie desinfiziert meinen Arm, wie nett...
 

Conan merkte, wie er ins Schwitzen geriet. Er fühlte seine Beine fast nicht mehr, merkte, wie kleine schwarze Kreise vor seinen Augen tanzten.

Er war wehrlos, hilflos, konnte nichts machen, weil sie auf ihm kniete, ihm die Luft abdrückte…

Er wurde panisch, schnappte nach Luft, bekam keine… beobachtete voller Entsetzten, wie sie die Spritze seinem Arm näherte, zufrieden lächelnd aufreizend langsam die Nadel in seine Haut stach.
 

Nein!
 

Er sog scharf die Luft ein. Beobachtete fassungslos, wie sie fast in Zeitlupe den Kolben runterdrückte, eine klare Flüssigkeit in seine Blutbahn pumpte.
 

Nein, nein, nein…!
 

Er fing an zu zittern.

Dann stand sie auf, drehte ihn, der unter Schock zu stehen schien, um, schnitt mit einem kleinen Skalpell aus ihrem Etui die Handfesseln durch. Er blieb liegen, keuchte, japste nach Luft, stemmte sich dann mühsam hoch. Er rieb sich seinen Arm, der zu schmerzen begann, schaute sie an.

Sie sah immer noch lächelnd auf ihn herab.
 

„Danke, Brandy, du kannst gehen.“

Seine Stimme schnitt kalt durch die Luft. Sie hob ruckartig den Kopf.

„Aber…!“

„Kein Aber. Geh jetzt.“

Cognac klang nicht, als würde er Widerrede dulden.
 

Brandy schnappte empört nach Luft. Conan klammerte sich an der Kante des Schreibtisches fest. Ihm war schlecht.
 

„Aber! Ich hab das Gegengift noch nie bei Menschen wirken sehen, ich will dabei sein, es ist mein Verdienst, dass wir es so schnell entwickeln konnten, nachdem Gin uns erzählt hat, das Sherrys berühmte Anomalie bei Menschen aufgetreten sein könnte…! Ich habe ein verdammtes Recht dazu!!!“

Sie flippte fast aus, war während der letzten Sätze sehr rot im Gesicht geworden, atmete heftig. Offensichtlich hatte sie ein sehr hitziges Gemüt.
 

„Er ist mein Versuchsobjekt!“
 

Conan keuchte, stöhnte leise, lenkte die Aufmerksamkeit aller damit ungewollt auf sich.
 

„Raus jetzt, Brandy. Mach mich nicht wütend.“

Seine Stimme klang eisig.

„Nein.“

Conan warf ihr einen verschleierten Blick zu. War die Frau denn wahnsinnig?
 

„RAUS! Oder du wirst selber dein nächstes Versuchskaninchen sein, Brandy, habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?!“
 

Die Forscherin wurde auf einen Schlag bleich, warf dem Objekt ihrer Begierde, Conan, einen letzten, missmutigen Blick zu, dann ging sie, schlug die Tür hinter sich zu.
 

Conan starrte auf den Boden.

Er wusste, was kam.
 

Nein…
 

Ihm wurde heiß.

Unerträglich heiß.

Kurz drehte sich alles, Schweiß brach ihm aus allen Poren.
 

Guter Gott, nein…
 

Das altbekannte Stechen in der Brust stellte sich ein. Er griff sich mit der Hand ans Herz, drehte sich um.

Vermouth starrte ihn nur an, mit einem sehr schwer zu deutenden Blick in den Augen.

Er schrie leise auf, als eine Welle von Schmerz ihn erfasste, von Kopf bis zu den Zehenspitzen über ihn schwappte. Er konnte nicht mehr stehen, ihm wurde schwindelig.

Er wankte, dann brach er zusammen, als seine Beine unter ihm nachgaben.
 

Nein… bitte nicht… Bitte nicht.
 

Der Boss lächelte, beugte sich interessiert vor.

„Was…“, keuchte Conan leise.

„Ein neues Gegengift. Das Risiko, dass du dabei drauf gehst, ist zwar hoch, aber akzeptabel…“

Seine Stimme war kalt.

„Tut’s etwa sehr weh…?“, fragte er gespielt liebenswürdig. Seine Augen funkelten grausam.

„Warum haben Sie’s mir gegeben?“, wisperte Conan, biss die Zähne zusammen.

„Weil es mich nervt, mich mit einem Kind zu unterhalten, mein junger Freund. Ich komme mir da irgendwie wie im Kindergarten vor... und weil ich ein Sadist bin.“

Er grinste.

Conan wollte etwas sagen, kam allerdings nicht mehr dazu. Er hielt sich die Hand an die Stirn, legte sich hin, fühlte die Kühle des Holzbodens an seiner Wange, seinen Handflächen. Ihm war schwindlig und heiß, sein Atem ging schwer.
 

Cognac grinste.

Vermouth stand auf. Sie warf ihrem Boss einen Blick zu. Der sah ihn nicht, sehr wohl fing ihn aber Conan auf.

Er war angewidert. Voller Ekel.

„Shinichi…“

Sie ließ sich neben ihm zu Boden sinken und zog ihm sein Hemd und seine Hose aus. Dann zog sie eine Decke vom Sofa, warf sie über ihn.

Er stöhnte auf. Seine Körperhaltung war verkrampft, sein Atem ging flach und stoßweise. Auf seinem Gesicht lag ein gequälter Ausdruck, die Augen zusammengepresst, die Lippen geschlossen.

Sie fasste ihn an der Stirn.

„Er glüht ja förmlich.“

Vermouth schaute Cognac an.

„Du bringst ihn um…“

„Und wenn schon. Steh auf jetzt.“

Sie schaute ihn an. Wollte etwas sagen.

„Steh AUF!“

Er herrschte sie an, und sie gehorchte. Wich zurück, ohne ihre Augen von dem Jugendlichen zu wenden, der zu ihren Füßen um sein Leben kämpfte.
 

Du musst durchhalten…
 

Er verkrampfte sich immer mehr, versuchte nicht zu schreien, stöhnte stattdessen leise auf.

Dann öffnete er die Augen, blickte geradewegs ihn ihre.

Sharon erschrak.

In ihnen waren seine Qualen nur allzu deutlich zu lesen.

Sie sah, wie er seine Finger in das Parkett zu bohren schien, seine Knöchel weiß hervorstachen. Er drehte den Kopf, starrte ins Leere.

Sie wünschte sich so sehr, dass sie es ihm ein wenig erleichtern könnte.
 

Dann schrie er auf. Schrie, wie noch nie in seinem Leben, der Laut drang ihr durch Mark und Bein.

Gellend, voller Schmerz.

Es tat so weh. So unglaublich weh.
 

Cognac beobachtete sie schweigend. Dass er sie nicht auch rausgeschickt hatte, wie Brandy, hatte seinen Grund - er wollte prüfen, ob er Recht hatte.

Ob Gin mit seinem Verdacht bezüglich Vermouths Loyalität Recht hatte.

Soviel war mittlerweile sicher - ganz haltlos waren die Argumente des Blonden nicht gewesen. Es würde sich im weiteren Verlauf zeigen, wie stichhaltig sie tatsächlich waren... noch hielt er zuviel von seiner Agentin, als dass er Gin einfach so vorbehaltslos Glauben schenken mochte.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seinem 'Gast' zu.
 

Conan merkte langsam, wie ihn die Kräfte verließen. Sein Körper konnte nicht mehr lange durchhalten, das ahnte er. Er spürte sein Herz schmerzhaft in seiner Brust schlagen, schnell, heftig - seine Lungen versuchten, Sauerstoff in seinen Körper zu pumpen, aber dieses Tempo hielt er nicht mehr lange aus.

Er schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, als die nächste Welle des Schmerzes über ihn hereinbrach.

Langsam war eine Veränderung an seinem Körper wahrzunehmen.

Seine Hände wurden größer, Arme und Beine länger…

Er keuchte.

Es brannte wie Feuer in ihm.
 

Wie viel Zeit vergangen war, konnte keiner sagen.

Irgendwann war der Moment gekommen an dem es vorbei war. Shinichi lag ausgestreckt auf dem Boden, die Augen geschlossen, die verkrampften Hände lösten sich langsam, sein Körper entspannte sich.

Er rührte sich nicht mehr.
 

Vermouth trat einen Schritt nach vorne.
 

„Shinichi?“
 

Der Name, die Frage, hing in der Luft.

Unbeantwortet.

Der Deal

So, meine lieben, verehrten, hochgeschätzten Leser-
 

Heute also erscheint das Kapitel mit einem Tag Verspätung (oder zwei...). Entschuldigt, aber anders gings leider nicht.

Ab nächster Woche wieder wie gewohnt mittwochs :D

Merci beaucoup für die vielen Kommentare :)
 

Liebe Grüße,

viel Vergnügen beim Lesen (okay so, Shi-Ran_chan? :D),
 

eure Leira :)
 

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Die Tür wurde aufgeschlossen und ein äußerst unsanfter Stoß in den Rücken ließ ihn in den Raum dahinter taumeln.

Shinichi verlor das Gleichgewicht, fiel nach vorne und landete auf dem Boden seiner Zelle. Er drehte sich um, sah Vodka gerade noch hämisch lachen und ein spöttisches Lächeln auf Gins Lippen - dann fiel die Tür zu.
 

Dunkelheit.
 

Shinichi blinzelte.

Es war stockfinster.
 

Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die Schwärze, begannen, aus den spärlichen Lichtstrahlen, die sich vom Gang draußen durch ein kleines, vergittertes Fenster ihren Weg nach drinnen kämpften, das Beste zu machen.
 

Shinichi rappelte sich ächzend auf, drehte sich einmal um die eigene Achse, zog und zerrte an den Klamotten, die man ihm netterweise überlassen hatte.

Schwarz.

Schwarz wie die Nacht, pechschwarz, rabenschwarz…
 

Fahrig wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn - ihm war immer noch heiß, seine Finger zitterten, weil sein Kreislauf immer noch im Keller war, seine Knie waren etwas wacklig - kurzum, er fühlte sich, als ob er gerade den Marathon gelaufen wäre.

Dann sah er sich um, nahm seine neue Behausung in genaueren Augenschein.

Seine Kinnlade klappte ihm unwillkürlich nach unten.

Das hier war so absurd, dass er sich ein hohles Lachen nicht verkneifen konnte.

Das hier war das krasse Gegenteil zu dem hellen Zimmer, das er vor einer Stunde kennen gelernt hatte - das hier war der dunkle Zwilling des Büros vom Boss.
 

Er befand sich in einem Kerker.

Einem waschechten Kerkerloch.

Einer Zelle, die wohl geradewegs aus einem mittelalterlichen Schloss in Europa ausgebaut und hier wieder eingesetzt worden war.

Anscheinend war das hier der Keller - und der war ziemlich weit unten, offensichtlich.

Shinichi hob seine Hände vor die Augen, rieb die Finger aneinander und schüttelte sich. Er war keinesfalls ein Weichei, oder etepetete, aber das hier war widerlich. Er streifte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und rümpfte die Nase.

Es roch modrig hier drin.
 

Es war wirklich sehr stilecht hier drinnen, stellte er fünf Minuten später fest.

Durch Abschreiten der Wände war er auf circa drei mal drei Meter gekommen - also neun Quadratmeter, in denen er sich ausbreiten konnte. Der Boden und die Wände waren aus grob behauenen Steinen gemauert, und an einer Seite hing sogar ein Brett an Ketten von der Wand, eine Sitzgelegenheit.
 

Shinichi seufzte, ließ sich auf das Brett sinken.
 

Das hier sieht aus wie aus einem schlechten Fantasyfilm entsprungen. Oder wie die Verließe in so einem mittelalterlichen, Low-buget Mantel- und Degenepos.

Wo sind verdammt noch mal diese weißen Räume, von denen man in den modernen Krimis immer liest? Diese steril anmutenden, großen, weiß gefliesten Räume, in denen sich der Gefangene so klein vorkommen soll, so ausgeliefert… wo bleiben diese Psychotricks? Diese mentale Folter?
 

Stattdessen sitz ich hier in diesem ungezieferverpesteten Loch… es fehlen nur noch die Ratten…
 

Wie um das klischeehafte Bild, das diese Räumlichkeit vermittelte, zu vervollständigen, drang ein hohes Quieken an seine Ohren, dann ein Rascheln. Das Geräusch von kleinen trippelnden Pfoten war zu hören, dann ein leises Fiepen.

Und dann sah er sie.

Zwei leuchtende Punkte in der Finsternis, ein Paar rötlich glühende Augen in einem spitzen Gesicht, aus dessen Mitte eine zitternde Nase hervorragte.

Die Ratte.
 

Wenn man vom Teufel spricht…
 

Shinichi stöhnte sarkastisch auf, zog die Beine auf die Holzplanke. Er hatte keine Angst vor Ratten - aber er konnte sie nicht ausstehen.

Bakterienverseuchte, verlauste Flohkutschen…
 

„Dann wären wir ja jetzt komplett, nicht wahr? Der Gefangene, das Kerkerloch und die Ratte…“

Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu.

„Was willst du? Willst du mir einen deiner Flöhe vermachen, der mir die Pest anhängt? Oder willst du mich fressen? Dafür musst du dich aber noch ein wenig gedulden, meine Liebe. Noch bin ich nicht tot. Und jetzt sie zu, dass du Land gewinnst!“

Er stampfte mit einem Fuß auf den Boden.

Die Ratte quietschte auf, machte einen Satz - dann hörte er sie davonhuschen, sah ihren nackten Schwanz in der Dunkelheit verschwinden, verzog angeekelt das Gesicht.
 

Er seufzte auf, zog sein Bein wieder an, schlang die Hände um seine Knie.

Langsam ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen.
 

Das konnte ja heiter werden.
 


 


 

Sie war gerade bei den Môris aufgekreuzt - und jetzt brach der ungehemmte Zorn einer besorgten, liebenden jungen Frau über sie herein. Eine besorgte, liebende junge Frau im Miniformat zwar, aber das tat dem Ganzen keinen Abbruch.

Sharon seufzte, beschloss, Ran zuerst einmal ihren Anfall ausleben zu lassen. Sie hatte ja schließlich jedes Recht dazu.
 

Ran war, nachdem sie aus ihrer zwanzigminütigen Zwangssendepause wieder erwacht war, beängstigend still gewesen.

Im Grunde genommen hatte sie gar nichts gemacht. Sie war nur dagesessen, hatte das Medaillon um ihren Hals mit beiden Händen umklammert und unablässig ein und denselben Punkt auf dem Teppich angestarrt.
 

Dieser Zustand allerdings war radikal umgeschlagen, als Sharon das Zimmer betreten hatte.
 

„WARUM HABEN SIE IHM NICHT GEHOLFEN?!“

Sie schrie, ihre Stimme überschlug sich.

Da war sie, Sharon, Vermouth - und hatte nichts getan. Nichts.

Dabei schien es doch, die Frau wäre auf ihrer Seite? Schließlich hatte sie ihr geholfen, warum also nicht auch ihm?

„Angel…“, begann die Schauspielerin sanft.

„Nennen Sie mich verdammt noch mal nicht so! Sie wissen doch, was sie mit ihm anstellen werden, sie werden… Sie hätten etwas tun müssen… mphf!“

Vermouth hielt dem aufgebrachten Mädchen den Mund zu.

„Ich konnte ihm nicht helfen. Gin und Vodka waren schon da - wäre ich hingegangen, und hätte ihn mit mir genommen, ihn hinterher laufen lassen - dann hätte mich das verdächtig gemacht. Ich hätte unter Umständen als Verräterin…“

Ran riss die Hand der Frau mit beiden Händen von ihrem Mund.

„NA UND?!?!“

Sharon starrte sie an - dann lachte sie belustigt auf.

„Ach Süße, muss Liebe schön sein. Der Kerl muss ja was ganz Besonderes sein, dass dir alles andere egal ist.“

Ran schnaubte, wandte ihren Kopf ab.
 

Dann atmete sie einmal tief durch, sammelte sich, und schaute der blonden Frau doch wieder ins Gesicht. Stellte die Frage, die ihr schon seit sie aufgewacht war, auf der Zunge brannte, aber deren Antwort sie gleichzeitig so fürchtete, dass sie es nicht gewagt hatte, auch nur darüber nachzudenken.
 

„Lebt - lebt er? Lebt Shinichi? Und ist er - haben sie… ist er wieder - er?“

Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber in ihr schwang eine Angst, die Sharon Schaudern machte.
 

„Ja. Und ja.“

Mehr sagte sie nicht, wartete auf Rans Reaktion.
 

Ran begann zu zittern, merkte, wie ihre Knie weich wurden, ihr Gewicht nicht mehr trugen. Sie sank zu Boden, eine einzelne Träne rollte ihr über die Wange.
 

„Danke…“, wisperte sie.

Sharon schaute sie fragend an.

„Wem dankst du? Gott? Also glaubst du an ihn?“
 

Ran hob den Kopf, strich sich die Träne von der Wange.

„Was geht Sie das an?“

Sharon schluckte.

Ran presste die Lippen aufeinander. In ihrem Kopf formte sich eine weitere Frage… deren Antwort sie eigentlich wusste. Eigentlich konnte sie es sich denken, aber sie wollte es dennoch aus dem Mund dieser Frau hören. Sie wollte es wissen und gleichzeitig nicht.
 

„Hat es ihm… war es… war es schlimm?“

Ihre Stimme bebte, hörte sich brüchig an.

„Ja.“

Sharon fuhr sich über die Augen.
 

„Ich dachte er stirbt. Er lag da, vor meinen Füßen - ich dachte wirklich… ich dachte wirklich, es wäre vorbei. Aber er hat durchgehalten, er hat gekämpft… aber nun…

Nun denke ich, es wäre vielleicht besser gewesen für ihn, hätte er aufgegeben.“
 

Rans Augen waren starr vor Entsetzen.

„A… aber… was… was könnte schlimmer…?“

Sharon schaute sie nachdenklich an, schüttelte den Kopf.

„Frag nicht. Du willst es nicht wissen, glaub mir.“
 

Du willst unsere Methoden nicht erfahren… dir geht es doch jetzt schon schlecht, weil du weißt, dass er leiden musste. Du hast ihn nicht gesehen, warst nicht dabei, aber du leidest mit ihm…
 

Ran wandte den Kopf ab.
 

„Was passiert jetzt? Wie geht es ihm? Wo ist er?“

Diesmal war es Heiji, der die Fragen stellte. Er war immer noch sehr blass um die Nase, sein schlechtes Gewissen, diese Schuldigkeit, die er verspürte, machten ihm zu schaffen.
 

Sharon verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

„Er befindet sich in einer Zelle. Als er wieder aufgewacht ist, was… lange genug gedauert hat, wurde er eingesperrt. Man will ihn zermürben. Ihn brechen. Sie werden diese Taktik verfolgen bis er um Gnade bettelt. Und wenn es soweit ist, wenn er sich den Tod wünscht - dann wird man ihm diesen Wunsch erfüllen. Vielleicht auch schon vorher, weil ich mir nicht denken kann, dass er sich je soweit herablässt. Er war schon immer sturer als ihm gut tat.“

Ein melancholisches Lächeln zierte ihre Lippen.
 

Heiji war bleich. Kazuha griff unwillkürlich nach seiner Hand.

Ran starrte die Frau voller Hass in ihren Augen an.

Kaum zu glauben, dass sie sie einmal so vergöttert hatte. Dass diese Frau einmal ihr Idol gewesen war.

„Warum nehmen Sie sie nicht fest?“, brauste sie nun auf, wandte sich mit zornigem Gesicht an die Leute vom FBI.

Jodie seufzte, warf ihrem Vorgesetztem einen bitteren Blick zu.

„Weil wir einen Deal haben. Er gilt, solange Kudô in Gefangenschaft ist.“

„Welcher Deal?!“

Ran glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können.

„Mrs. Vineyard hilft uns, ihn lebend wieder rauszukriegen, und wir lassen sie dafür einstweilen in Ruhe. Und sollten wir sie hinterher fassen, wird sie eine gnädigere Strafe zu erwarten haben, als die, die ihr momentan blüht. Sollte sie scheitern, sollte Kudô sterben, dann gilt der Deal als geplatzt. Solange kann sie schalten und walten wie sie will.“

James Black nickte der blonden Frau zu.
 

„Wie könnt ihr euch auf sie verlassen?“

Ran fragte das sehr, sehr leise. Ihr Misstrauen war deutlich zu spüren, und Jodie konnte es ihr nicht verübeln.

Auch sie war mit dem Deal alles andere als glücklich - aber um Shinichi zu retten, hatte sie ihre Rachegedanken fürs erste verdrängt. Allerdings - allein mit dieser Frau, mit der Mörderin ihres Vaters, in einem Raum zu stehen, die gleiche Luft zu atmen wie sie, brachte sie an den Rand dessen, was sie ertragen konnte. Es kostete sie ein gewaltiges Maß an Selbstbeherrschung, nicht einfach auf sie loszugehen.

„Wir vertrauen ihr. Weil wir ihr vertrauen müssen. Viele andere Möglichkeiten haben wir nicht, und ihr Plan ist die beste Option, die uns momentan zur Verfügung steht.“
 

Ran erbleichte. Dann warf sie Sharon einen wütenden Blick zu, biss sich auf die Lippen - und sagte nichts mehr.
 

„Hat eigentlich schon jemand Yukiko und Yusaku angerufen?“

Die Stimme des Professors durchbrach die Stille.
 

„Nein.“

Erst jetzt meldete sich Ai, die sich bislang hinter Agasa außer Sichtweite gehalten hatte, zu Wort.

„Nein. Keiner hat sie bis jetzt angerufen. Oder?“

Das kleine Mädchen warf einen fragenden Blick in die Runde.

Alle schüttelten den Kopf.
 

Ran stand auf.

„Dann mache ich das jetzt.“

Kogorô wollte etwas sagen, verstummte aber bei dem Blick auf seine Tochter, die ihn mit ihren großen, kindlichen Augen ausdruckslos anstarrte und sachte den Kopf schüttelte.
 

Ai sah ihr nach - dann ging sie, verließ das Haus der Môris. Sie musste in ihr Labor.

Jetzt.

Unbedingt.
 

Wie hinter ihrem Rücken drei kleine Kinder in genau das Gebäude gingen, aus dem sie gerade gekommen war, merkte sie nicht.
 


 

Yukiko eilte ins Wohnzimmer, als das Telefon klingelte. Sie war etwas nervös, schließlich war sein Anruf schon längst überfällig gewesen.

Aber jetzt rief er ja an. Bestimmt war er das.

Jetzt konnte sie endlich durchatmen.
 

„Kudô?“
 

Ran schwieg, biss sich die Lippen blutig.

Sie wusste nicht, wie sie seiner Mutter beibringen sollte, ihr sagen sollte, dass ihr Sohn in höchster Lebensgefahr schwebte.
 

Es klingelte an der Haustür, aber sie hörte es nicht.

Hörte auch nicht, wie ihr Vater öffnete, drei fröhlich plaudernde Kinder in den Flur der Wohnung strömten, plötzlich innehielten, als sie sie mit besorgtem, verzweifeltem Gesicht am Telefon hängen sahen.
 

„Hallo, wer ist dran? Shinichi, bist du es? Warum sagst du nichts?“

„Hallo, Frau Kudô…“

Ihre Stimme verlor sich.

„Ran?“

Die Frau klang erstaunt.

„Ja… ich bin’s.“
 

Yukiko blinzelte. Ran hörte sich nicht gut an. Unwillkürlich krallten sich ihre Hände fester um den Hörer. Irgendetwas in der Stimme des Mädchens ließ sie aufhorchen, ließ sie zittern…
 

„Ran, was ist denn los?“

Sie hörte sich beunruhigt an. Ran schluckte.
 

Und Yukiko Kudô hörte sich nicht nur beunruhigt an - sie war es auch.

Yusaku, der aus seinem Arbeitszimmer in den Wohnraum gekommen war, schaute sie fragend an. Sie warf ihm einen sorgenvollen Blick zu.
 

„Ran.“

Sie bemühte sich um eine ruhige Stimme.

„Ran, ist etwas mit Shinichi?“

Rans Lippen begannen zu zittern, Tränen sammelten sich von neuem in ihren Augen. Die Detective Boys schauten sie irritiert an.

„Ja…“

Ihre Stimme klang weinerlich.

Um Yukikos Fassung war es geschehen.

„Ran? Ran! Ran, was ist passiert, wo ist er, was ist los mit ihm?!“

Yusaku trat näher, legte seiner bebenden Frau einen Arm auf die Schulter.

Aus dem Hörer war nur leises Schluchzen zu hören.

Dann…
 

„Sie - sie hahahahaaben ihn. Sie haben ihn. Sie werden…“

Weiter kam sie nicht.

Und weiter hörte Yukiko auch nicht zu.

Sie ließ den Hörer fallen, hatte die Hände vor den Mund gepresst als wolle sie den Schrei, der auf ihren Lippen lag, zurückdrängen - als würde ihre verdrängte Reaktion das Gehörte zu einer Lüge werden lassen.

Das war nicht wahr, Shinichi ging es sicher gut…

Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet, starrten ins Leere.
 

Ihm geht es sicher gut.

Sicher.
 

Ran regte sich bestimmt völlig umsonst auf…
 

Ihm geht es gut…
 

Ein leises Wimmern entrang sich ihrer Kehle.
 

Und mit diesem leisen Laut wurde es wirklich. Wurde es wahr.

„Nein!“

Sie schrie, dann sackte sie zu Boden, fing an zu weinen.

Yusaku starrte sie mitgenommen an, griff nach dem Hörer.

„Ran?“

Doch es war nicht Ran, der antwortete.

„Hallo Yusaku.“

Kogorô. Er klang ernst.

Sehr ernst.

Im Hintergrund hörte er das kleine Mädchen schluchzen, hörte besorgte Kinderstimmen, die versuchten, es zu beruhigen.
 

„Was… was ist passiert?“

Er versuchte ruhig zu bleiben. Er musste ruhig bleiben. Unbedingt.

Yusaku Kudô umklammerte mit seiner Hand die Tischkante.

„Nun“, begann Kogorô mit leiser Stimme, „soweit ich das mitbekommen habe, passierte Folgendes…“
 

Langsam glitt Yusaku zu Boden, den Hörer fest an seine Ohrmuschel gepresst, als er hörte, was geschehen war.

Hörte, dass der Fall, das Ereignis, vor dem er sich am meisten gefürchtet hatte, real geworden war.

Wirklichkeit.

Sein Sohn war in den Händen dieser Verbrecher.

Er war so gut wie tot.
 

Yusaku wurde immer bleicher, hörte schweigend zu, als ihm Kogorô von den Plänen seines Sohnes und des FBIs erzählte, von Rans und Shinichis Ausflug in den Park, von seiner Entführung - und wurde bleich, als er aus Kogorôs Mund hörte, was Sharon erzählt hatte.

Als der Mann geendet hatte, legte er einfach auf.

Ohne ein weiteres Wort setzte er den Hörer auf die Gabel.

Dann zog er seine Frau in seine Arme, versuchte sie zu beruhigen.
 

Sie mussten nach Tokio.

Sofort.
 

Sie hätten nie - er hätte nie! – gehen dürfen. Niemals.
 


 

Ai stand in ihrem Labor, hinter ihr stand der Professor, vor ihr im Käfig saß eine kleine Babymaus und sah sie aus wachen Knopfäuglein aufmerksam an.

Sie war eine der Geschrumpften. Die letzte. Drei von Sieben waren draufgegangen, ihre drei Mitstreiter, die wieder gewachsen waren, saßen in einem anderen Käfig.

Sie war die letzte, die über Sieg oder Niederlage entschied. Nachdem sie das Gift nach den drei Toten jedes Mal modifiziert hatte, schien sie nun das Richtige gefunden zu haben. Die letzten beiden hatten überlebt.

Sie träufelte ein wenig von der Flüssigkeit mit Hilfe einer Pipette auf ein Zuckerstück und hielt es der Maus entgegen. Die knabberte neugierig an dem süßen Zeug - bevor sie sich Sekunden später fiepend auf dem Käfigboden wälzte.
 

Ai stand da, starrte sie an ohne sie zu sehen, versuchte krampfhaft das Bild von Shinichi vor ihrem inneren Auge zu verscheuchen.
 

Es gelang ihr nicht.
 

Sie stöhnte auf, wischte sich mit zittrigen Fingern fahrig über die Stirn.
 

Shinichi…
 

Minuten später stand eine sehr schwache, sehr erschöpfte aber erwachsene, Maus auf.

Ai griff in den Käfig holte sie heraus, streichelte ihr übers weiche Fell und drückte ihr einen Kuss auf den kleinen Kopf.

„Du warst sehr tapfer. Sehr, sehr tapfer. Vergib, was ich dir angetan habe - oder nein, vergib mir nicht; denn es ist unverzeihlich. Aber es war unvermeidbar. Ich möchte aber, dass du weißt, dass ich dir über alle Maßen danke. Ich danke dir…“
 

Sie setzte die Maus in ihren Käfig zurück, gab ihr frisches Wasser aus einer Flasche, die daneben stand, und legte ihr ein Stück Karotte hinein, auf das sich das Tierchen gierig stürzte.

Dann wandte sie sich zum Professor um, der mittlerweile nachgekommen und hinter sie getreten war.

Der nickte nur.

„Du hast es geschafft.“

Er lächelte sie stolz an.

Sie lächelte nicht.
 

Sie sah nach draußen, zu Shinichis Haus - sah die blonde Frau, die gerade vor das Gartentor trat.

Sharon.

Dann sah sie sie gehen - einsteigen in ein schwarzes Auto und davonfahren.

Ai lief es eiskalt den Rücken runter.
 


 

Sharon alias Vermouth saß am Steuer ihres nachtschwarzen BMW Z4 und dachte nach. Der Motor lief ruhig, fast lautlos - schnurrte wie ein Kätzchen, während unter ihr die Straße dahinfloss wie ein stiller, grauer Strom.
 

Es dämmerte bereits, also schaltete sie die Scheinwerfer an.
 

Sie dachte an Shinichi - und Yukiko.
 

Sie fragte sich, ob aus ihr jemals das hätte werden können, was sie geworden war, hätte sie einen Mann gehabt wie Yusaku – einen Mann, wegen dem Yukiko ihre Karriere, die doch noch so viel versprechend war, an den Nagel gehängt hatte; Yukiko Fujimine hatte das Zeug zum Weltstar gehabt, soviel war klar gewesen. Sie hatte ihn geheiratet - lebte mit ihm, hatte mit ihm eine eigene Familie gegründet und war glücklich mit ihm.

Yukiko war glücklich, weil sie einen Mann hatte, der sie liebte, den sie liebte - und weil sie einen Sohn hatte, in den sie abgöttisch vernarrt war.

Auf den sie stolz war.

Ihren Shinichi.
 

Sie erinnerte sich daran, als er noch ein Baby war. Wie Yukiko gestrahlt hatte, jedes Mal wenn sie ihn ihr zeigte, oder auch nur von ihm erzählte.

Shinichi.

Sie dachte daran, als er ihr einst, zusammen mit Ran, das Leben gerettet hatte - und das, obwohl sie kurz davor ohne mit der Wimper zu zucken seine Freundin erschossen hätte.

Ihm den Menschen geraubt hätte, der ihm am meisten auf dieser Welt bedeutete.
 

Die beiden waren ein Paar, sie gehörten zusammen.

Und nun stand das alles auf der Kippe, weil er zu gut war.

Er war zu gut, in dem was er tat - er war ein brillanter Detektiv, er würde es noch weit bringen, sehr weit. Sie hatte gewusst, wovon sie sprach, als sie ihn zum silver bullet erklärt hatte.

Kudô würde der Sargnagel der Organisation sein, sofern er nicht an sich selbst scheiterte.

Er war intelligent, schlau - und mutig. Unbestechlich, ehrgeizig, willensstark.
 

Und er war dem Tod geweiht, wenn sie nichts tat.
 

Sharon seufzte.
 

Sie beneidete Yukiko. Beneidete sie um ihre Familie.

Und sie litt mit ihr - litt mit ihr, die Angst hatte um ihren einzigen Sohn.
 

Und dann war da noch Ran… Angel.

Sie war sich sicher, würden sie eine Chance bekommen, dann würden auch sie glücklich werden. Selten hatte sie zwei Menschen gesehen, die so füreinander einstanden, sich so bedingungslos liebten, wie Ran und Shinichi.

Und sie schämte sich - ihr war der Ausdruck von Misstrauen und Enttäuschung, von kaum unterdrückter Wut in den Augen des kleinen Mädchens - der jungen Frau? – nicht entgangen.

Ran hatte sie verehrt, sie zu ihrem Idol, ihrem Vorbild erklärt, das wusste sie, Yukiko hatte es ihr mal erzählt - und sie hatte sie bitter, sehr bitter enttäuscht. Sie hatte ihr vertraut, und sie, Sharon, hatte dieses Vertrauen ohne Skrupel mit Füßen getreten, damals.

Erst jetzt sah sie ihre Fehler ein, erst jetzt tat es ihr Leid, erst jetzt verspürte sie Reue - erst jetzt… viel zu spät.
 

Sharon gab Gas, beschleunigte ihren Wagen auf 200 km/h, fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf der Tokioter Stadtautobahn zum Hauptquartier der Organisation.
 

Sie würde Wiedergutmachung leisten.

Sie würde nicht zulassen, dass man ihn umbrachte.
 

Sie würde ihm helfen, das zu tun, was er plante - die Organisation hochnehmen.

Diesen verfaulenden Apfel endlich zu entsorgen.

Der richtige Zeitpunkt

Seid gegrüßt, verehrte Leser, seid gegrüßt!

*ähem*

*breitgrins*
 

Nun… ich muss mich entschuldigen… falls jemand letzte Woche schon leicht beschwipst war, der hat zu früh gefeiert… es fehlten ein wenig über 100 Wörter zur Grenzüberschreitung.
 

Aber heute! Heute ist es soweit! *triumphierendlacht*
 

Die 100 000 sind gefallen! Yeah!

*Champagnerköpft*

*Gläserverteilt*

*anstoß*
 

Tapfer wart ihr ^^

Solange durchzuhalten… nun, nach diesem sinds noch sieben Kapitel plus Epilog, dann habt ihr diese Monumentalfic überstanden :D

Ich gratuliere hinterher jedem, der noch dabei ist *g*
 

Achja- er konnte den Rattenschwanz sehen, nachdem er sich an das Licht, das durch das kleine Fenster in der Tür fiel, gewöhnt hatte. Es ist erstaunlich, mit wie wenig Licht unser Auge auskommen kann. Wir sind zwar noch nicht annähernd so gut wie Katzen… aber probierts mal aus. Setzt euch mit offenen Augen in die Dunkelheit, ihr werdet überrascht sein.
 

Ansonsten: Viel Vergnügen beim Lesen,

bis nächste Woche, eure Leira :D

*hicks*
 

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Ai seufzte resigniert.

„Ran. Nimm es.“
 

Es war jetzt spätabends, kurz vor Mitternacht - die Kinder waren längst nach Hause gebracht worden, nachdem man ihnen widerwillig erklärt hatte, was passiert war. Sie hatten sich gesträubt zu gehen, Zeter und Mordio geschrien, aber letztendlich hatte es ihnen nichts genützt - Jodie hatte sie der Reihe nach zuhause abgeliefert.

Heiji und Kazuha waren zum Professor nach Hause gegangen und belegten dort die Couch. Es war klar, dass sie nicht nach Osaka zurückgehen würden, nicht, bevor feststand, was aus Shinichi geworden war.

Welches Schicksal ihn ereilt hatte.

Jodie, Shuichi und James waren, nachdem Jodie zurückgekehrt war, zur Polizei gefahren; der Fall war jetzt einfach zu groß geworden, um ihn noch FBI-intern bearbeiten zu können. Sie brauchten jeden Mann, um ihn zu suchen und um die Organisation zu zerschmettern, den sie kriegen konnten.

Und die Môris, sowie Agasa und Ai brauchten Personenschutz, ohne Zweifel.
 

Nun waren nur noch der Professor, der mit Ai, die Ran unbedingt noch das Gegenmittel bringen wollte, nochmals zu den Môris gekommen war, sowie Ran selbst und ihre Eltern in der Wohnung.
 

Die beiden Mädchen saßen immer noch unverrichteter Dinge auf Rans Bett in ihrem Zimmer. Seit gut einer Stunde redete Ai mit Engelszungen auf das Mädchen ein, damit es endlich, endlich dieses Gegengift schluckte.

Ran weigerte sich mit einer Standhaftigkeit, der Ai uneingeschränkt Respekt zollte.

Und uneingeschränkt für dumm erachtete.
 

Es machte einfach keinen Sinn.
 

Sie wussten beide, dass Shinichi nicht mehr Conan war. Warum also weigerte sich Ran so stur, endlich ihrem Freund, zumindest in dieser Beziehung, zu folgen?
 

Ai seufzte ein wenig genervt, hielt ihr das Glas erneut hin. Sie hatte die nötige Menge des Pulvers bereits darin gelöst.
 

„Nimm es bitte endlich.“
 

Ran schüttelte den Kopf, rückte bis an die Wand, presste ihre Lippen aufeinander.

Das rotblonde Mädchen stöhnte frustriert auf.

„Hast du Angst vor den Schmerzen? Da musst du durch. Es wird wehtun, aber es wird dich nicht töten. Ganz sicher nicht. Ich schwör’s, du kannst mir vertrauen, ich würde es dir nicht geben, wäre ich nicht sicher…“

Ran schüttelte erneut den Kopf, schwieg weiterhin.

„Was ist es dann?“

Der Mund des kleinen, braunhaarigen Mädchens blieb fest verschlossen - aber ihr Blick schweifte ab, blieb an seinem Foto hängen.
 

Ai folgte ihrem Blick. Sie schluckte schwer.
 

„Ran, glaub mir, Shinichi hätte gewollt, dass du es nimmst, wenn es fertig ist.“

„Aber-“

Endlich sprach sie.

„Was aber?!“

Ran schluckte.

„Was ist, wenn sie ihn wieder schrumpfen? Oder wenn sein Gegengift nur temporär war, zeitlich begrenzt? Vielleicht ist er ja jetzt schon wieder…?“
 

Und erst da begriff die verjüngte Forscherin.

Ran war genauso misstrauisch Sharon gegenüber wie sie - sie wollte warten, bis sie ihn sah. Bis sich mit ihren eigenen Augen überzeugen konnte, dass es ihm gut ging.

Dass er lebte, und er - er selbst war.
 

Aber Ai wollte nicht, dass Ran noch solange wartete. Sie wollte ihr ihren alten Körper zurückgeben, weil sie wusste, es würde Ran einfacher fallen, zu warten, wenn sie sie selbst war - wenn sie von anderen wie sie selbst behandelt wurde, und nicht wie ein kleines Kind, ein rohes Ei, ein zartes Persönchen, dem man nichts anvertrauen, nichts sagen konnte, aus Angst, dass sie unter der Belastung zusammenbrach. Die hatte man wohl auch bei Ran; aber Ran, die wahre Ran, würde zeigen, wie viel sie vertragen konnte. Sie würde sich besser durchsetzen können als die kleine Kohana.

Also holte sie tief Luft.
 

„Ran. Shinichi hätte gewollt, oder besser gesagt, ich bin mir sicher, Shinichi will, dass du das Gegengift nimmst, wenn es fertig ist. Es ist soweit, es ist fertig, und absolut sicher. Er will, dass du es nimmst, wieder die Alte wirst. Er hat es immer gesagt - er wollte deine zweite Kindheit so kurz wie möglich halten. Glaub mir. Sollte er wiederkommen und klein sein, bekommt er es eben auch noch mal. Es ist genügend da.“
 

Und sollte er nie wieder kommen… sollte er… tot sein… dann, Ran…

Dann wird es egal sein, als was du existierst… und ich denke, da stimmst du mir zu.
 

Diesen Gedanken sprach sie nicht aus.

Stattdessen holte sie noch mal tief Luft, hielt das Glas mit neuem Mut dem kleinen Mädchen entgegen.

„Du musst nicht auf ihn warten, bitte, nimm das Gegengift.“
 

Ran schaute sie immer noch zweifelnd an.

„Und warum nimmst du es nicht?“

Ai schaute sie zuerst erstaunt an - dann lächelte sie.

Bittersüß, melancholisch.
 

„Weil ich nie wieder Shiho Miyano sein will. Weil ich nicht mehr Shiho Miyano bin. Shiho war kein böser Mensch - aber sie war bereit, für ihren Ehrgeiz ein paar Grenzen zu überschreiten, die Ai, die ich - jetzt nicht mehr überschreiten würde. Shiho war Teil der Organisation - Ai ist das nicht. Ich will ein neues Leben beginnen, ich will Shiho Miyano, die Organisation, einfach alles, mein ganzes, verdammtes, altes Leben hinter mir lassen, von Neuem beginnen, bei Null anfangen…“
 

„Aber ist es dafür nicht schon zu spät?“
 

Ran schaute sie an, Mitgefühl war in ihren Augen zu lesen.

„Ihr kämpft doch gegen die Organisation - sie ist deine Vergangenheit, sie verfolgt dich bis ins Hier und Jetzt - und außerdem… willst du das wirklich? Alles vergessen, hinter dir lassen? Selbst wenn du es könntest - würdest du das wollen? Würdest du deine Schwester, deine Eltern vergessen wollen? Haben sie das verdient?“
 

Ai wurde bleich.

„Nein. Nein…“
 

Soweit hatte sie noch gar nicht gedacht.

Das alles - natürlich hatte sie an ihre Schwester gedacht, an ihre Mutter – aber nicht in diesem Zusammenhang. Natürlich wollte sie nicht vergessen, nie…

Aber Ran hatte Recht - wollte sie wirklich mit allen Konsequenzen ihr Ziel verfolgen, so hieß das, dass sie auch die angenehmen, schönen Dinge ihres alten Lebens vergessen musste.

Menschen, die sie liebte.

Aber…
 

Wollte sie das wirklich?

Wollte sie das wirklich?

Sie wusste es nicht.
 

Sie schluckte schwer, überlegte lange, bevor sie antwortete.

„Nein… Verdient haben sie es nicht. Natürlich… natürlich nicht. Aber manchmal- manchmal wünschte ich mir, ich könnte vergessen. Könnte vergessen, wie es sich angefühlt hat, als man mir sagte, dass Akemi - dass man Akemi ermordet hatte. Und meine Eltern - meine Eltern… das war doch auch kein Unfall… ich kann nicht glauben, dass es einer war, nicht mehr…“
 

Heiße Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen. Sie konnte es nicht verhindern, schämte sich dafür.

Sie schämte sich, vor ihr in Tränen auszubrechen. Vor ihr zu weinen, deren Leben selber schrecklich genug war. An deren Misère sie mit schuldig war.

Es war ihr peinlich, ihre Gefühle zu zeigen. Nur einmal hatte sie das bis jetzt getan - damals, als sie Shinichi zum ersten Mal in Aktion erlebt hatte.

Als sie ihn gefragt hatte, unter Tränen, warum er, der doch so brillant war… ihre Schwester nicht hatte retten können.

Und jetzt - jetzt weinte sie vor seiner Freundin.

Sie wollte nicht - aber sie konnte den Fluss der Tränen nicht stoppen, die unaufhaltsam ihre Wangen hinabrollen, ihren blauen Augen einen unglaublich traurigen Glanz verliehen.
 

Ran rutschte wieder ein wenig näher, umarmte sie, drückte sie an sich und merkte, wie Ai ihre Umarmung zögerlich erwiderte.

Nach einer Weile drückte Ran sie von sich weg, wischte ihr die Tränen mit einem sauberen Taschentuch, das sie aus ihrer Nachttischschublade zog, fürsorglich weg.
 

Dann schaute sie das Glas an, das Ai auf dem Tischchen abgestellt hatte. Sie rang mit sich.

„Nimm es.“

Ais Stimme klang kratzig.

Ran biss sich auf die Lippen. Eigentlich wollte sie ja. Sie wollte wieder Ran sein. Nie würde sie das Gefühl dieser Hilflosigkeit vergessen können, als sie ihm als Kohana nicht hatte helfen können.

Langsam streckte sie die Hand aus, und hielt dann doch wieder inne.

„Und du? Was ist mit dir?“

„Ich überlege es mir… noch. Es ist noch genügend da. Aber du solltest keinen Tag länger so bleiben. Du kannst ihm so viel besser helfen. Und stell dir mal sein Gesicht vor, wenn er zurückkommt und dich wieder sieht. Dich. Nicht Kohana. Glaub mir, das hier ist jetzt der richtige Zeitpunkt.“
 

Und dieser Satz gab den Ausschlag.

Ein leichtes Lächeln umspielte Rans Lippen, als sie an ihn dachte. Wie er sie ansehen würde.

Wie es sein würde, wenn sie beide wieder groß wären… wenn sie wieder Ran und Shinichi wären…

Vor ihrem inneren Auge sah sie sich und ihn an Weihnachten im Stadtpark. Wie herrlich waren diese Minuten gewesen…

Als sie das Glas ansetzte, zitterten ihre Finger.
 

„Bleibst du - bleibst du hier… bitte?“

Ai starrte sie erstaunt an - dann nickte sie fest.

„Wenn du das willst.“

Ran schaute sie noch einmal an - dann stürzte sie den Inhalt des Glases in einem Zug runter.
 

Shinichi…!
 


 

Shinichi fuhr hoch.

Er war auf diesem Brett, das ihm als Sitzgelegenheit diente, eingedöst - und er wusste, es war weder der Hunger, noch der Durst, die ihn hochgetrieben hatten.
 

Es war Ran.

Er seufzte, vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

Irgendetwas stimmte nicht - irgendetwas ging vor sich…

Was war mit ihr? Wo war sie? Wie ging es ihr?
 

Was war los mit ihr?

Er wollte schlucken, aber sein Hals war wie ausgedörrt. Wie viel Uhr war es? Bestimmt war es schon einige Stunden her, seit er in dem Café beim Beschatten das letzte Mal etwas getrunken hatte.

Er versuchte noch einmal zu schlucken, sammelte so lange Speichel im Mund, bis es ihm gelang.

Dann ließ er sich gegen die kalte Wand sinken… und dachte an Ran.

Spürte, wie sein Herz in seiner Brust raste… wie seine Atemfrequenz sich erhöhte.
 

Er wollte jetzt bei ihr sein.

Was immer auch los war, er wollte bei ihr sein…

Ihr beistehen.

Aber er konnte nicht… er konnte nicht…
 

Und diese Tatsache trieb ihn an den Rand des Wahnsinns…
 

Weil er sich auch in so eine verfahrene Situation manövriert hatte. Wäre er damals doch bloß nicht Vodka hinterher geschlichen-

Ihm wäre soviel erspart geblieben.

Ihm, seinen Eltern, dem Professor, Heiji und…
 

Ran…!
 

Dann ging die Tür auf.

Er stand auf, hob geblendet die Hand vor Augen.

Shinichi erkannte trotzdem, wer es war, der ihm einen Besuch abstattete…
 

Gin.
 

Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.
 

Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er auch schon mit dem Rücken an die kalte Steinwand gepresst, ihm die Luft abgedrückt wurde. Er umklammerte mit seinen Händen Gins Handgelenk, der mit einer Hand an seinen Kehlkopf, seine Luftröhre gegriffen hatte, langsam und unerbittlich zudrückte. Er wollte ihn wegdrücken, mit einem Fuß wegstemmen, versuchte, als das alles nichts brachte, mit seinen Fingern seinen Griff zu lockern.

Stumm fochten sie ihren Kampf aus, einzig ein leises Stöhnen kam von Shinichis Lippen, als Gin in weiter gegen die Wand presste.
 

Er bekam keine Luft mehr.
 

Er riss den Mund auf, schnappte nach Luft, japste.

Spürte, wie hinter seinen Augen der ein unangenehmes Pochen einsetzte, sah schwarze Kreise tanzen im fahlen Dämmerlicht, versuchte, nach ihm zu treten, bohrte seine Fingernägel in seine Haut, kratzte und zwickte und zog…
 

„Jetzt hör schon auf, du hast keine Chance, Kudô…“

Er spürte Gins heißen Atem im Gesicht, roch den Gestank seiner Zigarette.
 

Gin drückte seinen Kehlkopf noch ein wenig fester zu. Der Druck hinter seinen Augen schien unerträglich zu werden. Er schloss die Augen, als er glaubte, sein Kopf müsse zerspringen. Sein ganzer Schädel pochte, seine Lungen schrien nach Sauerstoff, sein Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig, seine Atmung wurde immer flacher…
 

Gleich ist es aus…
 

Shinichis Hände sanken an seine Seite, sein Körper erschlaffte langsam. Er brauchte Luft… Luft…
 

„Hallo Kudô.“

Gins Stimme klang leise, er zischte in sein Ohr.

„Hörst du mich noch?“

Shinichi stöhnte leise auf.

„Schön.“

Gin grinste breit. Shinichi sah die Glut seiner Zigarette in seinem Mundwinkel auf - und abwippen, als er weiter sprach.

„Weißt du, was ich von dem Befehl des Bosses halte, dich noch ein wenig leben zu lassen? Nein?“
 

Er drückte ihn ruckartig gegen die Wand. Shinichi keuchte, blinzelte heftig. Er war kurz vor einer Ohnmacht.

„Gar nichts.“

Die Stimme des blonden Mannes klang hasserfüllt.

„Du solltest schon längst tot sein. Du hast kein Recht mehr, noch zu leben. Und glaub mir, lange wird dieser Zustand auch nicht mehr andauern. Bei dir nicht… und auch nicht bei ihr.“
 

Shinichi starrte ihn an, war wie paralysiert.
 

Ran… er weiß, dass sie es war…
 

Er meinte sie, dessen war er sich sicher.

Und der Gedanke an sie… gab ihm noch einmal Kraft. Irgendetwas musste er tun. Er durfte nicht einfach aufgeben, wie aussichtslos die Situation auch schien. Er versuchte noch einmal, Gin mit dem Fuß in die Magengegend zu treten – und diesmal traf er.

Gin ächzte, ließ ihn los, stürzte nach hinten. Shinichi, frenetisch nach Sauerstoff ringend, ging ebenfalls zu Boden. Er landete hart auf dem kalten Stein, griff sich mit den Händen an den Hals, rang nach Atem, hustete und schluckte - merkte, wie sein Brustkorb sich hektisch hob und senkte bei dem Versuch, mehr Luft in seine Lungen zu pumpen.

Mehr Luft.

Viel mehr Luft.

Shinichi keuchte.
 

Er hatte sich überrumpeln lassen, als er geblendet die Hand vor Augen hielt… aber wollte sich nicht einschüchtern lassen.

Gin würde versuchen, Ran zu töten, dessen war er sich sicher… irgendwie musste er das verhindern.
 

Nun hatte er ihn zwar weggestoßen - aber würde er auch in der Lage sein, es mit ihm aufnehmen zu können?
 

Nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten, Kudô…
 

Und von Gins zwar vor Wut verzerrtem, aber dennoch triumphal lächelndem Gesicht konnte er ablesen, dass der Blonde genauso dachte. Er war nun längst nicht mehr in der Lage, sich groß zu wehren.

Er hatte vergessen, dass er kein kleiner Junge mehr war. Er war nicht mehr hilflos gewesen - doch jetzt war er es.

Jetzt war er es. Er lag nur am Boden, und das einzige was er sah, war die Decke, grau und schmutzig irgendwo zwei Meter über ihm - das einzige Geräusch, das er vernahm, war sein Blut, das überlaut in seinen Ohren rauschte - und das einzige was ihn beschäftigte, war, das zu tun, was für die meisten der Menschen dieser Welt so selbstverständlich war, dass sie nicht einmal merkten, dass sie es taten - atmen.
 

Und das beschämte ihn zutiefst - machte ihm Angst - und schürte ihn ihm einen Hass, einen unglaublichen, unbändigen Hass auf diesen Mann, der sein Leben zerstört hatte.

Der mit einer kleinen rotweißen Kapsel sein Leben so gründlich aus allen Fugen gerissen hatte, dass es ihm, sollte er das hier überhaupt überleben, schwer fallen würde, alles wieder einzurenken.

Und der nun auf der Jagd nach Ran war.
 

Gin hatte ihn gedemütigt, als er ihn zu Conan gemacht hatte, und er demütigte ihn jetzt, indem er ihm sein Leben nehmen wollte. Ihn immer noch wie einen kleinen Jungen behandelte.
 

Shinichi hob den Kopf wieder ein wenig, rappelte sich langsam hoch, starrte den Blonden hasserfüllt an.
 

„Du bist nichts weiter als ein kleiner, dummer Junge. Und du solltest längst, längst tot sein. Und wenn ich es mir überlege, hab ich eigentlich keine Lust, zu warten, bis ich den Befehl vom Boss kriege. Wir brauchen dich ohnehin nicht mehr.“

Er lachte leise.

„Alles was du uns noch sagen könntest, wissen wir. Wir wissen, wer und wo Sherry ist. Wir wissen von deiner Freundin, Ran Môri, die in diesen Tagen wohl auch ein paar Nummern kleiner rumläuft; sie hat Glück, dass wir sie noch nicht haben.

Wir wissen, dass das FBI mal wieder im Lande ist und vergeblich versucht, uns auf die Schliche zu kommen. Du bist wertlos. Dein Leben ist wertlos.“

Er zog seine Waffe, entsicherte sie.
 

Shinichi schluckte. Trotz machte sich in ihm breit.

„Worauf wartest du dann noch?“

Er griff sich an den Hals. Dann schob er sich an der Wand entlang nach oben, bis er wieder aufrecht stand.

„Worauf wartest du dann noch, Gin? Warum tust du’s dann nicht endlich? Hier und jetzt?“

Shinichi fixierte ihn, ließ ihn nicht einen Moment aus den Augen.

„Oder hast du Angst vor den Konsequenzen?“

Er grinste provozierend.

Gin starrte ihn zornig an.

„Pass auf was du sagst…“

„Und warum? Ich hab die Hoffnung, hier noch lebend heraus zukommen, ohnehin begraben. Also - wenn ich schon abtreten muss, dann mit Stil… oder dem, was Stil am nächsten kommt.“

Er sagte es leise und bestimmt.

„Nun. Worauf wartest du? Erschieß mich doch…“

Die letzten Worte zischte er. Gin kniff wütend die Augen zusammen, zielte.

Shinichi schluckte. Er pokerte darauf, dass Gins Respekt vor seinem Boss groß genug war, ihn nicht zu töten; aber er wollte irgendetwas tun, was den Boss wütend auf Gin machte; wütend genug, um ihn irgendwie zu bestrafen.

Möglicherweise aus dem Verkehr zu ziehen.

Er wusste, so wie’s aussah würde Gin die Ehre zuteil werden, sein Werk noch zu vollenden, wenn der Boss von ihm genug hatte; und genau das musste er verhindern. Denn wenn er die Möglichkeit noch mal bekam, ihn ins Jenseits zu befördern, würde er das diesmal gründlich machen.
 

Wollte er irgendeine Chance haben, musste er diesen Mann in den Griff kriegen; am besten aus dem Weg.

Also stichelte er weiter und hoffte, dass sein Plan aufging.

„Komm schon, schieß doch… oder hast du Angst vor deinem Chef? Was wird er tun, wenn er merkt, dass du ihn um seinen Spaß gebracht hast? Um sein Vergnügen, mir beim Sterben zuzusehen betrogen? Hackt er euch einen Daumen ab wie die Yakuza es mit ihren Versagern macht?“
 

„Halt’s Maul.“, sagte Gin leise.

„Ich denk nicht dran.“, erwiderte Shinichi gelassen.
 

Dann ging die Tür auf.
 

„Gin?!“

Vermouth peilte die Lage sofort.

„What the hell…?! Nimm die Waffe weg!“
 

Gin warf ihr einen finsteren Blick zu.

„Was tust du hier?“

„Geht das dich was an? Das sollte ich eher dich fragen…“

Sie trat langsam näher.
 

Der Blonde schaute von Shinichi zu Vermouth.

Sharons Augen blieben an seiner Waffe hängen. Häme flackerte über ihr Gesicht, stilles Vergnügen.

Sie hatte cool guy durchschaut.

„Oh oh oh… das wird den Boss nicht amüsieren… du wolltest seinem Gast wehtun.“

Sie grinste spöttisch.

„Ich geb dir ein paar Sekunden Zeit, dich ihm zu erklären, bevor ich petzen gehe, Gin.“
 

Wenn Blicke töten könnten, wäre sie auf der Stelle tot umgefallen.

Und Shinichi ebenfalls, dem Gin sich noch einmal zuwandte.
 

„Der richtige Zeitpunkt wird noch kommen.“
 

„Das wird er bestimmt…“, flüsterte Shinichi leise.

Gin warf seine Zigarette mit einem letzten, verächtlichen Blick auf ihn auf den Boden und ging.
 

Sharon schloss die Tür hinter Gin, zog den Schlüssel ab und steckte ihn ein. Dann ließ sie sich auf die Pritsche sinken, schaute ihn nur an, ihn, der vor ihr stand, und sie kalkulierend musterte.
 


 

Yukiko starrte blicklos auf den Sitz vor ihr, griff unwillkürlich nach der Hand ihres Mannes, der neben ihr im Flugzeug saß.

Yusaku drückte ihre Finger, schaute sie an, strich ihr vorsichtig eine Strähne ihres hellen Haars aus den Augen.

„Yukiko…“

„Sprich mich nicht an, jetzt, bitte…“, stieß sie gepresst hervor. Dann wandte sie ruckartig ihren Kopf ab. Ihre Augen schwammen schon wieder in Tränen.
 

„Sprich mich nicht an, Yusaku, denn wenn du leise sprichst, hört sich deine Stimme an wie seine. Schau mich nicht an, jetzt, bitte, denn er hat die gleichen Augen wie du, und diese Ponyfransen hier-,“ sie strich sich kurz über die Schläfe, „die hat er auch von dir. Er sieht dir zu ähnlich. Er ist dir zu ähnlich. Du erinnerst mich an ihn, und ich will, ich will jetzt nicht an Shinichi denken, weil ich sonst ausflippe, Yusaku…!“
 

Sie atmete heftig, holte tief Luft.

„Weil ich wahnsinnig werde, wenn ich daran denke, was… ob… weil ich die Beherrschung verliere, und ich will mich aber jetzt zusammenreißen, im Flugzeug.“

Ihre Stimme war brüchig, schwankte und bebte.

„Ich will nicht schon wieder zusammenbrechen und weinen, nicht hier, nicht jetzt… und es hilft ihm ja auch nichts, ich muss stark sein…“

Sie schloss die Augen, ließ ihren Kopf gegen das Kissen der Kopfstütze sinken.

„Also lass mich in Ruhe, bitte, bis wir gelandet sind. Verstehst du das? Bitte?“

Er nickte nur, drückte ihre Finger, um ihr zu zeigen, dass er sie verstanden hatte.
 


 

Ran lag auf dem Bett, atmete schwer.

Sie wusste nicht warum, aber ein seltsames Gefühl hatte sie beschlichen - langsam ebbte es wieder ab, aber ein kleiner Rest blieb.

Sie hatte Angst um ihn, das musste es sein.
 

Ai, die sie zugedeckt hatte, als es losgegangen war, sich ihr Körper wieder in seine alte Form zurückverwandelt hatte, saß auf der Bettkante und hielt ihre Hand.
 

„Glaubst du, er denkt an mich? Glaubst du, er merkt es? So wie ich mir einbilde zu merken, wenn mit ihm etwas nicht stimmt?“

Ihre Stimme war schwach, sie drehte ihren Kopf in ihre Richtung. Ai wischte ihr mit einem Lappen, den sie geholt hatte, als Ran wieder die Ran war, die sie sein sollte, sanft über die schweißnasse Stirn.

„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es.“

Sie lächelte sanft.

„Woher…?“

Ran schaute sie verwirrt an.

„Damals, als du diese unglaubliche Dummheit begangen hast, und die Kapsel geschluckt hast- in dem Moment, als du unter Qualen geschrumpft bist- hat er dir eine SMS geschickt. Ich hab sie gelöscht. Du hast sie nie gelesen, weil ich nicht wollte, dass du dich beunruhigst.“

„Er hat…?“

„Ja. Er ist wohl aufgewacht, und als er dich nicht finden konnte, hat er sich gesorgt.“
 

Ai seufzte.

„Jetzt ist er es wohl, um den man sich Sorgen machen muss.“

Sie wischte Ran noch mal mit dem Lappen vorsichtig das Gesicht trocken. Dann ging sie, kam wenige Minuten später mit einem Glas Wasser wieder, reichte es ihr.

„Da. Trink was. Und dann versuche, ein wenig zu schlafen. Du brauchst Ruhe.“

Ran nickte dankbar, setzte da Glas an ihre Lippen und trank es in kleinen Schlucken aus, ließ sich dann wieder in die Kissen zurücksinken.

Sie war in der Tat sehr müde…

Ai strich ihr eine Haarsträhne, die ihr in die Augen gefallen war, aus dem Gesicht - dann ging sie, zog die Tür hinter sich zu, was ihr ein paar schiefe Blicke von Eri und Kogorô einbrachte, die unruhig draußen auf dem Gang standen.
 

Sie waren sofort angelaufen gekommen, als sie unterdrückte Schreie aus Rans Zimmer gehört hatten, und waren fuchsteufelswild geworden, als sie die Tür verschlossen vorgefunden hatten.

Nun schaute Ai die beiden mit ihren großen, unschuldigen Kinderaugen an, und erklärte ihnen die Geschehnisse mit einer Sachlichkeit in der Stimme, die so gar nicht zu dem kleinen Mädchen passen wollte.

Als sie geendet hatte, herrschte Stille im Hause Môri. Eri und Kogorô warfen einen vorsichtigen Blick in das Zimmer ihrer Tochter.

Im Bett lag Ran - und schlief.

Selbst jetzt noch sah man die Sorge auf ihrem Gesicht.
 

„Sie sollten sie in Ruhe lassen. Sie braucht jetzt ihren Schlaf.“

Ais Kinderstimme drang zu ihnen hinauf. Kogorô schaute sie an, nickte.

Damit ging sie, gefolgt von Professor Agasa, der in der Küche gewartet hatte, nach Hause.
 

Was keiner wusste, war, dass Ai in das Glas Wasser ein Schlafmittel gemischt hatte.

Ran brauchte ihren Schlaf wirklich, das Mädchen war am Ende - und bis zum späten Nachmittag würde sie auch keiner mehr Morpheus’ Armen entreißen.
 


 

Langsam - sehr langsam - beruhigte er sich wieder.
 

Bedeutete ihr mit einer Handbewegung Platz zu machen auf der Pritsche, setzte sich neben sie.

Dort sackte er ein wenig in sich zusammen, den Kopf in beide Hände gestützt, sah sie nicht an.

Sie schon.

Sie schaute ihn an.
 

Und lange Zeit schwiegen sie beide.
 

„Du…“, begann sie.

„Hätte er’s getan?“

Er sprach leise, und sie hörte, dass seine Stimme krächzte. Er griff sich an den Hals, seufzte.
 

„Was?“

Sie wandte sich ihm zu.

„Mich umgebracht, wenn du nicht gekommen wärst. Hätte er? Hätte ich ihn dazu bringen können?“

Sharon schaute ihn an.

„Du hast ihn bewusst provoziert? Stimmt's?““

„Ja. Ich wollte, dass er eine Dummheit macht, für die man ihn zur Rechenschaft zieht.“

Er grinste schief.

„Ich wusste ja, dass er mich nicht mag, aber dass er mich derart hasst, dass er ich ihn soweit bringen konnte… verblüfft mich doch etwas. Hätte er die Beherrschung verloren?“

Sharon kniff die Augen zusammen.

„Du bist der Einzige, der ihn überlebt hat - mit dir hat er noch eine Rechnung offen, er fühlt sich in seinem Stolz gekränkt. Und nun sag mir nicht, dass du ihn nicht auch auf eine ganz besondere Art und Weise hasst.“

„Meine Frage, Sharon.“

„Nun… ja, ich denke, ein paar Minuten länger… und unter Umständen hättest du ihn soweit gehabt. Fragt sich nur, ob du diese Dummheit seinerseits überlebt hättest. Ganz davon abgesehen hast du wohl dein Ziel erreicht. Er wird’s dem Boss stecken müssen, weil er weiß, ich sags ihm bestimmt; und dafür wird sich unser aller Arbeitgeber etwas einfallen müssen. Solchen Ungehorsam kann er nicht dulden. Ich frage mich, was er überhaupt hier wollte.“

„Mich einschüchtern?“

Shinichi griff sich unwillkürlich an den Hals.

„Hm.“

„Und was willst du denn nun hier, wo wir grad beim Thema sind?“

„Ich besuche dich.“

Er verdrehte die Augen, seufzte.

„Aha.“

Seine Stimme triefte vor Zynismus. Vermouth grinste in die Dunkelheit.
 

„Wie geht’s Ran?“, fragte er dann; stellte die Frage, die ihn am meisten beschäftigte.
 

„Körperlich gut. Seelisch ist sie am Ende. Sie macht sich schreckliche Sorgen um dich. Sie ist zusammengebrochen, kaum dass du weg warst. Jodie und diese beiden Osaka-Teenies haben sie dann mit nach Hause genommen. Und als ich sie dann besucht hab, da hat sie mir die Hölle heiß gemacht, warum ich dich nicht gerettet hab.“

Sie lachte leise, offensichtlich amüsiert.

„Ein hitziges Temperament legt sie an den Tag. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Genauso wenig wie eine andere Tatsache. Sie - sie hat das Gift, das sie Gin geklaut hat, also selber geschluckt? Warum?“
 

„Was interessiert dich das, Sharon…?“

Er seufzte.

„So sehr liebt sie dich…?“, murmelte sie fragend.

„Hör auf.“

„Sie hat ihr Leben für dich riskiert…“

„Hör auf, Sharon…“
 

„Bist du das wert?“
 

„HÖR AUF!“

Er war aufgesprungen, funkelte sie wütend an. Sie konnte sein Gesicht kaum sehen, aber sein schneller Atem, seine gespannte Körperhaltung verrieten ihr, dass er es war.

Wütend.

Sie hatte wohl einen Nerv getroffen.
 

„Schon gut.“

Sie stand auf.

„Ich hör ja schon auf. Ich bin eigentlich gekommen, um dich zu warnen - beziehungsweise, dich auf etwas vorzubereiten. Morgen im Laufe des Tages wird wohl der Boss noch einmal mit dir reden wollen. Er wird wohl noch ein paar Einzelheiten wissen wollen, denn für die wesentlichen Fakten braucht er dich nicht mehr - er weiß ja dank Gin, wer und wo Sherry ist, und über Ran weiß er auch ziemlich alles… Also… mach dich auf etwas gefasst.“
 

Sie schaute ihn ernst an.

Shinichi starrte sie an.
 

„Hör zu.“

Sie sprach leise, flüsterte fast, trat ganz nah an ihn heran.

„Ich hab nicht vor, dich hier sterben zu lassen. Ich will das Ende dieser Organisation genauso wie du - und ich will nicht, dass deine Mutter ihren Sohn verliert, oder deine Ran ihren Freund. Ich will Wiedergutmachung leisten, ich will wenigstens die Chance haben, irgendwann, nach tausend Jahren Fegefeuer, vielleicht doch noch in den Himmel zu kommen… und ich will, dass Yukiko mich nicht mehr so ansieht…“

Sie lächelte bitter. Ihre weißen Zähne blitzten, als der Lichtstrahl aus dem Fenster in der Tür sie traf.
 

Er legte den Kopf schief, schaute sie mit zusammengekniffenen Augen skeptisch an.

„Warum zur Hölle sollte ich dir glauben, Sharon. Nenn mir bitte einen vernünftigen Grund - wenn ich dich daran erinnern darf, du hast in der letzten Zeit nicht unbedingt versucht, ein vertrauensvolles Verhältnis zu mir zu haben. Du wolltest Ran damals in New York auf dieser Treppe von diesem leer stehenden Fabrikgebäude erschießen, du brauchst nicht zu glauben, dass ich das je vergesse. Ganz davon zu schweigen, dass ich dir das jemals verzeihen könnte. Du hättest sie erschossen, und mich auch. Kaltblütig, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn du den Schalldämpfer deiner Waffe nicht verloren hättest. Wir hätten dich damals abstürzen lassen sollen, aber dazu sind weder Ran noch ich gemacht. Wir sind keine Mörder, wir sind nicht dazu fähig, einen Menschen seinem Schicksal zu überlassen…“
 

Sie schaute ihn nachdenklich an.

„Also hast du es herausgefunden?“

„Offensichtlich.“

Er klang mürrisch.

„Du hast ja Recht.“

Sie lehnte sich zurück, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.

„Nett von dir, dass du das einsiehst.“

„Und ich hoffe auch, dass du deine Drohung eines Tages noch wahr machen wirst.“
 

Er fuhr hoch.

„Du meinst…?
 

Sharon straffte die Schultern, lächelte hintergründig und fing an zu zitieren.

Sollten wir uns aber je wieder über den Weg laufen, werde ich keine Gnade walten lassen. Ich werde alle deine Taten aufdecken und sämtliche Beweise wie ein Puzzle zusammensetzen… um dich in die Hölle zu schicken, wo du hingehörst!“
 

Er blickte sie mit aufgerissenen Augen erstaunt an.

„Du hast dir das gemerkt?“

„Aber sicher, silver bullet.“

Sie grinste.

„Den genauen Wortlaut sogar, wenn dir das aufgefallen ist. Eine Kleinigkeit für mich als Schauspielerin, die darauf getrimmt ist, Texte in kürzester Zeit auswendig zu lernen…“
 

Sie blickte in durchdringend an.

„Du bist doch ein Mann der Tat, nicht wahr? Kein Verfechter der leeren Worte?“

Er nickte stumm.

„Dann wirst du doch sicher dein Versprechen einmal wahr machen wollen, nicht wahr, Shinichi?“

„Worauf du dich verlassen kannst, Sharon.“

Seine Stimme klang leise.

„Sehr schön.“

Sie klang zufrieden.
 

Er räusperte sich.

„Aber, Sharon - was hast du davon, wenn ich dich hinter Gitter bringe?“

Sie lächelte.

„A secret makes…“

„Lass es.“

Er verdrehte die Augen.

„Lass stecken. Ich wills gar nicht wissen.“
 

Dann seufzte Shinichi vernehmlich.

„Aber - wie gedenkst du nun, mich hier soweit rauszukriegen, dass ich den Laden hochnehmen kann? Oder dich in den Knast bringen?“
 

Sie lächelte.

„Also haben wir einen Deal…?“

„Der da wäre…?“

„Wir sind ein Team, bis wir hier raus sind und unser Ding durchgezogen haben.“
 

Er schaute sie prüfend an. Sie lächelte innerlich. Dieser analytische Blick in seinen Augen, dieser Ausdruck höchster Konzentration auf seinem Gesicht… er war es, ohne Zweifel.

Mit ihm, und nur mit ihm, würde ihr Vorhaben auch gelingen.

Nur er konnte den Teufel besiegen, er war die silberne Kugel, die den Werwolf, den Dämon vernichten würde.
 

Dann, schließlich, nickte er.

„Schön. Wir haben einen Deal.“

Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus.

„Bald wird er dich wieder kommen lassen…“
 

Weiter kam sie nicht.
 

Es klopfte.

„Vermouth!“

Seine Stimme klang harsch. Sie stand auf, sperrte die Zellentür auf.

Gin, immer noch kalkweiß vor Zorn im Gesicht, streckte seinen Kopf durch die Öffnung.

„Der Boss will dich sehen. Oder soll ich ihm ausrichten, dass du noch beschäftigt bist mit was auch immer…?“

Er sah nicht nur wütend aus, er war es auch.
 

„Lass die dummen Witze, mein Freund.“

Sie warf Shinichi einen letzten, melancholisch anmutenden Blick zu, dann ging sie.
 

Hinter ihr klickte der Schlüssel im Schloss.
 

Ihre Schritte waren kaum verklungen, da vernahm er ein leises Quieken.

„Du schon wieder.“, murmelte er leise.

Vor ihm auf dem Boden saß die Ratte, ihre Schnurrhaare vibrierten, als ihre Nase zitterte, sie die Luft nach eigenartigen Gerüchen durchsuchte.

Sie schaute ihn an und fiepte.

„Seh ich aus, als ob ich was zu essen hätte, du kleiner Schmarotzer?“

Er seufzte genervt.

„Mach, dass du in das Loch zurück kriechst, aus dem du hervorgekommen bist, du verlaustes Mistvieh…“

Die Ratte blinzelte ihn verständnislos an. Er seufzte.

Dann begann sie sich zu putzen, fuhr sich immer wieder mit den kleinen, handähnlichen Pfoten über den Kopf, schleckte sie ab, und wieder über den Kopf, zog ihre Schnurrhaare durch die Finger…
 

Unwillkürlich musste er lächeln.

„Ja, mach du nur. Lade nur alle deine Flöhe bei mir ab. Ich denke, so schlecht war die Pest als Todesart auch nicht.“
 

Dann zog er ein Bein hoch, schlang seine Arme um sein Knie, legte seinen Kopf darauf ab und beobachtete weiter die Ratte bei ihrer Putzaktion.

Lange schaffte sie es allerdings nicht, in in ihren Bann zu ziehen.

Seine Gedanken drifteten ab; wanderten zu der Person, um die er sich am meisten sorgte.
 

Ran…

Die heiße Phase beginnt

Guten Tag, guten Tag :D
 

Vielen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! Ich kann euch gar nicht genug danken, dass ihr euch die Zeit dafür nehmt- vielen Dank!
 

So; nun einmal ein paar kleine Dinge vorweg: Heijis Zeit wird noch kommen; und auch die Detective Boys werden noch ihren Auftritt haben...

Allerdings nicht alle auf einmal und nicht gleich ^^

Es sind mit diesem Kapitel noch sieben Kapitel, Leute... ich kann verstehen, wenn der eine oder andere ungeduldig wird, aber ich kann halt auch nicht alles in ein Kapitel packen ^^
 

Also gemach, Leute. :)

Ich hoffe doch, diese Fic zu einem für euch annehmbaren Abschluss gebracht zu haben... den ihr dann im Oktober lesen werdet... *smile*
 

Ach ja... ja, Yukiko mag hysterisch scheinen; das war gewollt. Sie sollte so richtig verzweifelt sein... aus ihr spricht die nackte Angst. Wir dürfen nicht vergessen, Shinichi ist ihr Sohn.

Sie ist seine Mutter.

Ich dachte einfach, da kann man mal die Nerven verlieren.
 

So; Ja, Shinichi hat sich verhalten wie der letzte Trottel im letzten Kapitel; wie ein lebensmüder Idiot, allerdings nicht komplett ohne Hirn und Verstand. Das hatte schon seinen Sinn... der sich euch allerdings erst im nächsten Kapitel (so hoffe ich) erschließen wird.
 

Ansonsten- viel Spaß beim Lesen dieses Kapitels!

Hiermit empfehle ich mich bis nächsten Mittwoch!
 

Mit den allerbesten Wünschen, eure Leira :D
 

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Es war am nächsten Morgen, anderthalb Tage, nachdem ihr Sohn entführt worden war, als Yukiko und Yusaku Kudô, beide ziemlich mit den Nerven am Ende, aus dem Taxi stiegen und den Weg zu ihrem Haus hinaufgingen.

Sie erwarteten es leer - umso überraschter waren sie demnach, als sie eine völlig verheulte Ran auf der Treppe sitzend fanden.

Ran. Nicht Kohana.

Sie kauerte auf der untersten Stufe wie ein Häuflein Elend und hielt eine Fotographie in ihren Händen.

Das Foto von ihr und Shinichi im Tropical Land.

Es war klar, dass sie in seinem Zimmer gewesen war.

Was keiner wusste, war, dass sie schon seit Stunden, seit dem Morgengrauen, hier war. Sie hatte es daheim nicht mehr ausgehalten, als sie aufgewacht war; und ging zu dem Ort, wo er ihr am nächsten war - in seinem Zuhause.
 

Yukiko eilte zu ihr hin, nahm sie wortlos in die Arme, drückte sie kurz an sich.

Dann klingelte es an der Haustür. Yusaku ging, um zu öffnen - herein kamen Heiji, Kazuha, Sonoko und Ai, sowie die drei Detective Boys.

„Hier bist du! Wir haben uns Sorgen gemacht, du warst nicht mehr im Bett…“

Sonoko atmete erleichtert auf.

„Ran…“

Sie lief zu ihrer Freundin, ließ sich neben ihr auf den Treppenabsatz sinken, griff nach ihrer Hand und drückte sie. Sie konnte es sich nur ansatzweise vorstellen, wie schwer es für sie war. Sie hatte erst vor ein paar Minuten von Kazuha die ganze Geschichte über Shinichis Entführung im Tropical Land gehört; Heiji war ihnen schweigsam und vor sich hinbrütend hinterher gelaufen.
 

Sonoko machte sich Sorgen. Sie wusste, Ran liebte ihn über alles; und sie hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn ihm etwas Schlimmes geschah.

Was genau etwas ‚Schlimmes’ war, wollte sie gar nicht näher definieren.

Sie schluckte.

Die Folgen würden verheerend sein, soviel war jetzt schon klar.
 

Ran schaute auf, sah seiner Mutter ins Gesicht.

„Tut mir Leid, dass ich… dass ich hier bin… ich… ich hatte noch den Schlüssel vom Professor, weil ich mal das Haus geputzt hab, als ich ihn zurückbringen wollte war er gerade nicht daheim, und da hab ich ihn behalten, und vergessen ihn zurückzugeben, und…, und…“

„Schon gut, Ran. Schon gut.“

Yukikos Stimme war heiser; sie streichelte Ran kurz übers Haar.

„Schon gut...“

Sie schaute kurz zu Yusaku auf, der hinter sie getreten war. Er nickte.

„Du darfst den Schlüssel behalten. Er… er hätte dir bestimmt ohnehin bald einen eigenen gegeben. Behalte den Schlüssel. Du kannst kommen, wann immer du magst, unsere Tür wird stets offen sein für dich.“

Damit stand sie auf, überließ das Feld den Kindern und Heiji, Kazuha und Sonoko, wankte ins Wohnzimmer. Yusaku folgte seiner Frau - und Heiji blieb zurück, stand ein paar Sekunden unschlüssig herum - dann drehte er sich um und ging, scheinbar einer plötzlichen Eingebung folgend.

Kazuha warf ihm einen Blick hinterher, aber ging ihm nicht nach. Stattdessen zog sie mit Sonokos Hilfe Ran von der Treppe hoch und ging mit ihr in die Küche, um Tee zu kochen.

Tee würde ihr bestimmt gut tun.

Die Kinder und Ai folgten ihr.
 


 

Heiji war auf dem Weg zur Polizeizentrale.

Ihm fiel die Decke auf den Kopf, er hatte es nicht mehr ausgehalten… dieses Rumsitzen und Warten ging wider seine Natur, er… er musste etwas tun. Noch dazu, wo er sich doch so verdammt schuldig fühlte. Sein Gesicht ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Diese Augen, dieses Lächeln, als er ihm zugenickt hatte…

Immer wieder dieses Gesicht… dieses viel zu junge Gesicht… und diese Augen.

Augen… Augen die eine andere Sprache gesprochen hatten, als seine Zunge.

Er hatte es gesehen, aber ignoriert.

Was war er für ein Freund.

Heiji fühlte Bitterkeit in sich hochsteigen.

Hoffentlich nahm das kein böses Ende… wenn ihm was passierte, das würde er sich niemals verzeihen können…
 

Er fühlte sich nutzlos hier - er war nicht der, der Ran trösten sollte… oder konnte.

Die Mädels konnten ihr ohnehin viel besser Mut zusprechen als er… er war da einfach fehl am Platz.

Er war nicht der Typ für so was.

Er wollte ins Kampfgetümmel, in die Schlacht.
 

Deshalb war er gegangen. Er musste etwas tun, um ihm zu helfen.

Entschlossen betrat er die Zentrale, fragte er sich nun zu Megurés Büro durch - die Nennung von Shinichis Namen leistete ihm hierbei gute Dienste.
 

Er wollte sich endlich nützlich machen - wollte fragen, ob er sich an den Ermittlungen beteiligen durfte.

Als er schließlich das Büro des Kommissars gefunden hatte, und die Tür, nachdem sein Klopfen von einem lauten „Herein!“ beantwortet worden war, öffnete, staunte er nicht schlecht.

Sie waren alle da.

Takagi, Sato, Meguré - und die drei Agenten vom FBI.
 

„Hallo Heiji. Setz dich doch.“

Meguré wies ihm einen Platz zu.
 

Heiji setzte sich, sah sich etwas unsicher um, blickte von einem Gesicht ins andere.

„Sie haben nichts dagegen, wenn ich…?“

„Wenn du bei den Ermittlungen mitmachst? Nein. Nein, eher im Gegenteil. Du kennst - du kennst wahrscheinlich Shinichi und seine Involvierung in diesen Fall besser als jeder andere. Ich denke, es ist von großem Nutzen und unbedingter Wichtigkeit, dass du hier bist. Ich wollte gerade einen Polizisten zu den Môris schicken, um dich zu suchen.“

Meguré schaute Heiji ernst an, räusperte sich. Er sah sichtlich mitgenommen aus.
 

„Also - wie viel weißt du? Wie viel hat Shinichi dir erzählt, wie kam er genau mit diesen Leuten in Kontakt, welche Schritte hat er unternommen?“
 

Heiji schluckte, holte tief Luft; und dann erzählte er, leise, aber mit fester Stimme, seine Version der Geschichte.
 


 

Seit Stunden hatte Ran kein Wort gesagt. Nicht eins.

Mittag war gekommen und gegangen - man hatte Pizza bestellt, aber Ran hatte nicht einen Bissen gegessen.

Sie hatte in der Küche auf der Bank gekauert, die Beine an den Körper gezogen und unentwegt sein Gesicht auf dem Photo angestarrt.

Starrte es immer noch an.

Ab und an rollte ihr eine Träne über die Wange, aber nicht ein Laut verließ ihre Lippen.
 

Sie hatte nur Augen für sein Gesicht.

Denn er lachte.

Sie dachte an Weihnachten - der letzte Tag, an dem sie Shinichi lachen hatte sehen.

Es war so schön gewesen, sein Lachen. Es machte sie fröhlich, wenn er lachte.

Sie griff sich an den Hals, umschloss das Medaillon mit ihrer Rechten.

Es war so wundervoll gewesen, bei ihm zu sein, ihn glücklich zu wissen.

Auch wenn ihr Glück nur von kurzer Dauer gewesen war.
 

Damals im Park -

Es war so schön gewesen.

So schön.

Schön…
 

Und dann war die Welt aus dem Ruder gelaufen.

Nun war er vielleicht tot.

Sie würde nie wieder sein Lachen sehen oder hören können.

Nie wieder sein Gesicht sehen, sich in seinen klaren, blauen Augen verlieren, einfach vergessen, wo sie war… die Welt war unwichtig gewesen, solange er nur bei ihr war.

Bei ihr war.
 

Jetzt war er weg.
 

Dieses Gefühl, als er ihr sagte, dass er sie liebte - dieses Gefühl, als er sie an sich zog, als er sie küsste - dieses Gefühl von seinen Lippen auf ihren – sich an ihn zu schmiegen, seine Arme um ihren Körper zu spüren…
 

Nie würde sie es vergessen können.

Nie.
 

Bei ihm hatte sie sich sicher gefühlt. Sich wohl gefühlt.

Sie hatte ihn geliebt. Sie liebte ihn immer noch.

Mehr denn je.

Seine Nähe… sie sehnte sich danach. Egal ob als Conan oder als Shinichi, es war ihr egal, es war ihr egal, ob sie Hana oder Ran war, sie wollte ihn nur wieder, endlich wieder…

Wieder…
 

Sie wollte ihn bei sich haben, am Leben, gesund…

Damit sie sich wieder wohl fühlen konnte. Damit er wieder lachen konnte.

Glücklich sein.

Er hatte es verdient…
 

Ein leiser Schluchzer entrang sich ihrer Kehle.

Shinichi fehlte ihr sosehr.

Nicht zu wissen, wo er war, wie es ihm ging, ob er überhaupt noch lebte, war eigentlich mehr, als sie ertragen konnte.

Aber immer wieder rief sie sich zur Raison, sie musste jetzt stark sein; musste stark sein für sie beide, sie durfte sich nicht gehen lassen.

Auch wenn sie glaubte, nicht mehr atmen zu können.
 

Sie hatte Angst, so schreckliche Angst um ihn.
 


 

„Ran-neechan?“

Ayumi stützte ihre kleinen Hände auf Rans Knie.

„Ran-neechan?“

Die Angesprochene schaute auf.

Was Kazuha und Sonoko in den letzten Stunden nicht geschafft hatten, schaffte dieses kleine Mädchen, nun, da es sich sprechen traute, in wenigen Minuten.

Ai stellte sich neben Ayumi, beobachtete die Szene aufmerksam.
 

Sie wusste, warum Ayumi Zugang zu Ran gefunden hatte. Weil sie den gleichen Menschen liebten - und zwar auf die gleiche Weise.

Ehrlich, aufrichtig, um seiner Selbst Willen.

Sie hingegen… liebte ihn auch - aber anders. Sie liebte seine Brillanz - liebte, was er tat, wie er dachte, handelte - nicht so sehr wer er war. Sie liebte nicht sein Lachen; sie liebte, was er sagte, was er tat, was er dachte.

Da bestand ein Unterschied.

Ein großer, ein entscheidender Unterschied.
 

Ran und Ayumi waren sich ähnlich.

Sie selber und Ran nicht.

Sie waren wie Tag und Nacht - wie Engel und Dämon, wie Licht und Schatten.

Ran war rein, sie war unschuldig - ein liebender und liebenswerter Mensch.

Und er hatte sich für die Richtige entschieden, schon lange bevor er erfassen konnte, was Liebe bedeutete. Schon lange davor hatte er ihr sein Leben gegeben, seine Seele anvertraut. Weil er geahnt hatte, dass er bei ihr in guten Händen war.
 

„Er wird wiederkommen, Ran-neechan. Dein Freund wird wiederkommen. Shinichi wird es schaffen. Conan-…“

Sie schluckte, schaute Ran mit großen, wahrlich kindlichen, unschuldigen Augen an.

„Wenn Shinichi so ist wie Conan, dann wird er nicht aufgeben. Er wird kämpfen. Er wird zurückkommen.“

Ran griff nach Ayumis Hand. Eine Träne rollte ihr über die Wange.

„Danke… Ayumi.“

Ayumi nickte tapfer. Ran wischte sich mit ihrem Handrücken die Träne aus dem Augenwinkel.

„Er wird zurückkommen. Er wird zurückkommen zu dir.“

Das kleine Mädchen schaute betreten auf die Seite.

Ran biss sich auf die Lippen. Die Kleine hatte Recht. Solange sie nicht das Gegenteil bewiesen bekam, glaubte sie daran, dass Shinichi lebte. Dass es ihm gut ging.

Dass er zu ihr zurückkam.
 

„Ayumi…“

Sie streichelte dem Mädchen zärtlich über den Kopf.

„Ayumi… Ayumi, du darfst nicht traurig sein, hörst du? Du wirst jemanden finden, der zu dir gehört, so wie… wie…“
 

„Shinichi zu dir gehört.“

Ais Stimme war klar und deutlich zu hören.

Ayumi schaute auf.

Das rotblonde Mädchen lächelte.

„Ayumi, Ran hat Recht. Du darfst nicht traurig sein. Du hast doch noch Genta und Mitsuhiko. Und nur weil Shinichi - oder Conan - nicht mehr einer von euch sein wird, sollte er… sollte er…“

Nun wandte sie doch den Kopf ab, schluckte hart.

„Nun, wenn er zurückkommt - warum sollte er nicht mehr euer Freund sein wollen, nur weil er dann zehn Jahre älter ist? Ihr seid doch auch mit Professor Agasa befreundet, und der ist mal locker vierzig Jahre älter als ihr.“
 

Ran staunte ob der Wirkung, die Ais einfache Worte auf die Kinder gehabt hatten.

Sie alle strafften die Schultern, schauten einander an, mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf ihren Gesichtern.

„Du hast Recht, Ai!“

Ai lächelte zufrieden.

„Natürlich hab ich das. Ich hab immer Recht. Nun, fast immer…“

„Und damit er auch sicher zurückkommt, müssen wir ihn suchen!“

Gentas Stimme schallte durch die Küche.

Ran ließ ihre Teetasse fast fallen.

„Genau!“, riefen Ayumi und Mitsuhiko im Chor.

„Damit er auch unser Freund bleibt! Denn wenn er stirbt, hat er nichts mehr davon, unser Freund zu sein! Wir müssen ihn retten!“
 

„Nein!“, schrie Ai entsetzt. Ihr Blick huschte nervös von einem zum anderen.

„So war das nicht gemeint!!“
 


 

„Wie?“

Jodie, James und Shuichi, sowie Sato, Takagi und Meguré starrten ihn entsetzt an.

„Er hat was gewusst?“

„Die Handynummer vom Boss. Er hat es mir erst - erst vorgestern erzählt, nach der Beschattung. Kurz bevor… ich weiß nicht, warum er mir das gesagt hat. Aber die Handynummer lässt sich aus den Tönen von Nanatsu no ko zusammensetzen.“
 

Sato schnappte sich einen Zettel und begann zu schreiben.

„Also die hier? Stimmt das so?“

Sie hielt ihm das Papier hin. Heiji las die Nummer.

„Ja. Das ist sie.“

Heiji nickte.
 

„Aber was wollen Sie damit? Mehr als da anrufen können sie nicht - und wenn wir anrufen, gefährden wir dann nicht Sharons Plan? Gefährden wir dann nicht Shinichis Leben? Ich dachte, sie hätten einen Deal?“
 

James Black nickte nachdenklich.

Von der Nummer hatte er ihnen wohl bewusst nichts erzählt. Warum? Weil er Angst hatte, dass sie mit der Information fahrlässig umgehen würden?

Anrufen würden?

Nun, der Reiz war schon groß.
 

Aber der Kerl aus Osaka hatte Recht. Sie mussten zuerst einmal abwarten, wie es sich entwickelte.
 

Allerdings - Handynummern waren nicht nur dazu da, um angerufen zu werden - sie waren auch noch zu allerlei anderen Dingen nütze…
 


 

Die Detective Boys unterdessen waren Feuer und Flamme für ihren Plan zur Rettung von Shinichi Kudô, der nunmehr zum ‚Ehrenmitglied’ ernannt wurde, da für ihn die Bezeichnung ‚boy’ ja nicht mehr unbedingt zutraf; sie redeten wild durcheinander, entwarfen einen wahnwitzigen Plan nach dem anderen.

Ran, Kazuha und Sonoko betrachteten die Szene, die sich vor ihnen abspielte, sprachlos.
 

Ai wurde immer weißer im Gesicht, schrie sich langsam aber sicher heiser.

Bis-

Ja, bis Yusaku Kudô die Szene betrat.
 

„Was zur Hölle ist hier los?!“
 

Sofort trat absolute Stille ein – man hätte eine Stecknadel fallen gehört. Alle Köpfe drehten sich zu Shinichis Vater, schauten ihn erschrocken an.

„Nichts.“, murmelte Mitsuhiko kleinlaut.
 

„Ach ja?“

Yusaku schaute von einem schuldbewussten, kindlichen Antlitz ins nächste, verschränkte langsam die Arme vor der Brust.

„Wirklich nicht?“

„Wirklich nicht.“, bestätigte Genta.

Der Schriftsteller zog die Augenbrauen zusammen.

„Ihr habt also nicht gerade einen Plan nach dem anderen zur Rettung meines Sohnes aufgestellt?“
 

Die drei schauten zu Boden.
 

Yusaku trat näher.

„Mein Sohn…“

Er sprach ernst, sehr ernst, und mit leiser Stimme.

„Mein Sohn… Shinichi… hat sich große Sorgen gemacht, hat um alles in der Welt versucht, euch raus zuhalten. Ihr werdet ihm sein Engagement nicht mit hanebüchenen Ideen und zwecklosen, aber umso riskanteren Aktionen danken. Ihr werdet euch da raushalten. Ihr seid Kinder. Shinichi war siebzehn, als er sich in die Sch…“, er räusperte sich, „als er Mist gebaut hat. Siebzehn. Er lebte allein, man hätte meinen können, er wäre vernünftig und erwachsen. Und doch ist ihm das passiert.“
 

Er machte noch einen Schritt auf sie zu. Sie starrten ehrfurchtsvoll zu ihm auf.

„Ihr werdet euch nicht in Gefahr begeben. Es ehrt euch und ihn, dass ihr ihm helfen wollt, aber ihr werdet eure Finger da raus halten. Glaubt mir, er hätte das nicht gewollt.“

Die drei Kleinen starrten ihn eingeschüchtert an; doch Ai, die sie nicht aus den Augen ließ, kam nicht umhin, einen Anflug von Trotz in ihren Augen zu bemerken.
 

„Ihr seid noch Kinder.“
 

Damit drehte er sich um, ging zurück ins Wohnzimmer. Wollte es zumindest - wenn es nicht an der Haustür geklingelt hätte.

Er seufzte leise - dann ging er aus Küche. Man hörte seine Schritte im Gang, in der Eingangshalle - und dann seine Stimme an der Tür.
 

„Jûzô?“
 

„Können wir reinkommen?“

Er nickte langsam.
 

Sekunden später ging die Küchentür wieder auf. Herein kamen der Kommissar, die Inspektoren Sato und Takagi, Heiji, die Leute vom FBI und – Chris, beziehungsweise Sharon Vineyard.

Als sie Ran sah, blieb sie ruckartig stehen. Ihr Blick wanderte zu Ai.

„Gut gemacht.“

Ai starrte sie an, sagte nichts. Man sah ihr an, wie sehr sie diese Frau hasste und gleichzeitig fürchtete.

Und wie wenig ihr ein Lob aus ihrem Munde bedeutete.
 

„Wie geht es Shinichi?“

Rans Stimme klang bestimmter, als sie sich fühlte. Sie hatte Angst vor der Antwort, und doch musste sie diese Frage stellen.

„Den Umständen entsprechend gut.“

Sharon sprach leise, aber ebenso bestimmt wie Ran. Die beiden ungleichen Frauen starrten sich ohne zu blinzeln in die Augen.

„Und was heißt das im Klartext?“

„Dass er noch am Leben ist.“

Ran schluckte. Dann ging die Tür auf, und alle drehten den Kopf. In der Tür stand Yukiko Kudô, bleich wie der Tod selbst, ihre Augen rotgeweint, ihre Haare wirr - keiner hatte die bildhübsche Gattin von Yusaku Kudô jemals derart aufgelöst gesehen.
 

„Er - er lebt?“

Ihre Stimme zitterte.

„Warum holst du ihn nicht raus? Warum ist er noch da drin? Ich dachte, du willst ihm helfen?“
 

Sharon zuckte bei der hörbaren Anklage in den Worten ihrer ehemals guten Freundin zusammen.

„Yukiko, so einfach ist das nicht…“

„Ha!“

Yukiko lachte bitter.

„Ich will ihn wiederhaben! Was hast du noch vor mit ihm?!“

Sharon trat auf sie zu, wollte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legen, aber Shinichis Mutter trat zurück, schlug ihre Hand unwillig beiseite.

„Fass mich nicht an, du Mörderin!“
 

Vermouth wurde blass.

„Du hast ja Recht.“

Sie war kaum zu hören, flüsterte leise.

„Aber ich verspreche dir, ich lasse nicht zu, dass man ihn umbringt. Hörst du? Ich verspreche es dir…“

„Was gelten denn deine Versprechen denn noch…?“

Yukiko schluchzte.

„Weißt du, wie sehr ich um dich getrauert habe, nach deinem Tod? Deinem - deinem fingierten Tod? Warum hast du das getan? Warum bist du so geworden…?“

Sharon schluckte, wich ihrem bohrenden Blick aus. Überging ihre Frage nach dem Warum.

Ihre Gründe…
 

Sie schluckte, fasste sich.

„Ich bring ihn dir wieder. Aber zuerst muss er mir noch bei etwas helfen.“

„Er ist keine Sache, die man sich ausleiht, Sharon! Du redest von meinem SOHN! Einem Menschen!“

Sie starrte sie wutentbrannt an, ihre Augen voller Zorn und Unverständnis.

Die blonde Profikillerin schüttelte langsam, fast traurig, ihr Haupt.

„Das ist mir bewusst, Yukiko, entschuldige, wenn es falsch rüberkam. Er ist einverstanden. Wir haben noch etwas zu tun, vorher können wir nicht gehen. Du musst das verstehen, es geht nicht…“

Sie warf ihr einen bittenden Blick zu.

„Ich muss gar nichts… verstehen.“

Yukiko Kudôs Stimme klang gefährlich leise.
 

„Und was ist das, was ihr noch zu tun habt?“

Sharon drehte sich zu der blonden FBI-Agentin um, die sich nun ebenfalls ins Gespräch eingemischt hatte.

Jodies Stimme war voller Zweifel, voller Misstrauen, voller Skepsis.

Und sie machte keinen Hehl daraus.

„Was für einen Plan hast du?“
 

Sharon hob den Kopf, wandte sich um.

„Ich kann verstehen, dass du mich hasst.“

„Ach, was! Dir war das doch egal-…“

Jodie starrte sie voller Wut an.

„Was für ein Plan ist das…?! Wo ist das Hauptquartier? Wie-“
 

„Das kann, werde und will ich euch nicht sagen. Wenn ich es euch sage, riskiere ich, dass ihr euch einmischt.“

Jetzt klang Sharon wieder harsch, bestimmend, unbeugsam - ohne eine Spur von Zweifel, Mitgefühl oder Reue in ihrer Stimme.
 

Jetzt war Sharon wieder Vermouth.
 

„Ich bin nur gekommen, um euch zu sagen, dass er noch lebt. Nicht mehr, und nicht weniger. See you later.“

Damit drehte sie sich auf dem Absatz um, ging stolz erhobenen Hauptes und festen Schrittes nach draußen, sank in die schwarzen Polster ihres Wagens, drehte den Zündschlüssel um.
 

Sie trauten ihr nicht. Das überraschte sie nicht.

Ihnen von ihrem Plan zu erzählen wäre sein Untergang gewesen. Sie hätten alles zunichte gemacht.

Alles.
 

Hätte der Boss das FBI anrücken gesehen, hätte er cool guy vor deren Augen erschossen.

Ihn vor das Gebäude gestellt und vor aller Augen abgedrückt.
 

Einfach so.
 

Denn wenn er, der Boss der schwarzen Organisation, untergehen musste - dann würde er mit sich reißen, wen er zu fassen kriegte.
 


 


 

Als sie gegangen war, herrschte erst einmal Stille in der Küche des Hauses Kudô.
 

Schließlich war es Yusaku Kudô, der die Ruhe störte, das Schweigen brach.

Er räusperte sich.

„Jûzô - war das alles, weswegen ihr hergekommen seid? Oder kann ich dir noch irgendwie behilflich sein?“
 

Kommissar Meguré blinzelte.
 

„Nein, Yusaku. In der Tat war es das nicht. Auf Miss - Mrs. Vineyard sind wir eher zufällig gestoßen. Weswegen wir hier sind, ist, dass wir herausgefunden haben, wer der Boss ist.“

Yusakus Kinnlade klappte nach unten.

Alle anderen sogen hörbar scharf Luft ein.

„Bitte - WAS BITTE?“
 

Meguré nickte sichtlich stolz.

„Doch, wirklich. Das heißt, nicht ganz - wir wissen, wie wir an ihn rankommen können. Über sein Handy. Shinichi hatte seine Handynummer herausgefunden, hat das Heiji erzählt - und damit konnten wir, über viele, viele Umwege den Netzbetreiber finden, und sind dabei, das Mobiltelefon zu orten. Sie waren schlau, aber nicht schlau genug. Nicht war Takagi?“

Takagi nickte heftig um seine Zustimmung zu bezeugen. Er, Sato, die Leute vom FBI, das halbe Morddezernat und Heiji hatten die letzten Stunden damit zugebracht, herauszufinden, über welchen Anbieter das Handy lief und wer es besaß. Dabei hatten ihnen die Tatsache, dass das FBI an dem Fall war, nicht unerheblich geholfen - die Nennung ein paar Namen und ein paar Telefonate, die James Black getätigt hatte, hatte erstaunlich schnell Türen und Tore geöffnet.
 

„Wir sind gerade dabei, zu versuchen, es zu orten. Das kann leider noch ein paar Stunden dauern, aber wir sind dran. Wir melden uns, wenn wir es haben. Denn dann…“
 

Er brauchte nicht weiterzureden.

Alle Anwesenden wussten, was dann möglich sein würde.

Déjà vu

Hi!
 

Ich grüße euch :D
 

Zuerst einmal meinen verbindlichsten Dank an alle, die immer noch fleißig Kommentare schreiben - im Olympischen Sinne würdet ihr eine Goldmedaille verdienen :)

Ich danke euch, dass ihr nach 25 Kapiteln immer noch so viel Durchhaltevermögen besitzt :D
 

Nun... nachdem er letztes Mal ja so gar keinen Auftritt hatte... darf er diesmal wieder die allererste Geige spielen - die Rede ist natürlich von Shinichi.
 

Was genau ihm widerfährt, das zu lesen ist jetzt an euch; ich für meinen Teil ziehe mich hiermit zurück, wünsche viel Vergnügen,
 

bis nächste Woche,

Eure Leira :D
 

_______________________________________________________________________
 

Die Tür knarrte laut, als sie geöffnet wurde.

Er fuhr hoch, als das unangenehme Geräusch ihn aus seinen nicht minder unangenehmen Träumen riss.
 

Zuerst war er etwas desorientiert - sein Mund war trocken, sein Kopf schwirrte ein wenig…

Wo war er? Wie lange war er eigentlich schon hier?
 

Dann kehrte seine Erinnerung zurück.

Er war immer noch im Hauptquartier, immer noch in diesem Drecksloch gefangen und wusste immer noch nicht, ob er das alles überleben würde und ob seine lebensmüde Aktion mit Gin das letzte Mal irgendetwas genützt hatte.

Und er wusste nicht, ob auf Sharon Verlass war, geschweige denn, was sie plante.
 

Er blinzelte, sah, wer ihm da in seinen bescheidenen Räumlichkeiten seine Aufwartung machte – es waren Gin und Vodka.

Draußen auf dem Gang standen Korn und Chianti, soweit er das erkennen konnte.
 

„Aufstehen.“

Gins Stimme klang harsch. Vielleicht sogar verärgert?

Shinichi versuchte, als er dem Befehl Folge leistete, irgendetwas in der Mimik seines Gegners zu erkennen, leider erfolglos. Erstens war das Licht hier drin nicht ausreichend, zweitens hatte der große Blonde seinen Hut wie gewohnt mehr als einfach nur weit ins Gesicht gezogen.
 

Dann ertönte ein Schuss, ein lautes, schrilles Quietschen zerriss die Stille, schnitt wie ein Messer durch die Luft. Shinichi drehte den Kopf, so gut es ging, und sah sie daliegen - seine Zellengenossin, die Ratte.
 

Niedergestreckt.
 

Ein Omen?
 

Chianti schob ihre Waffe wieder ins Halfter an ihrer Hüfte, lächelte bösartig.
 

Draußen auf dem Gang war es im Vergleich zur Zelle gleißend hell. Er blinzelte geblendet, stolperte ein paar Schritte, ehe er einigermaßen würdevoll den Gang entlang schreiten konnte, vor ihm Gin und Vodka, hinter ihm Korn und Chianti.
 

In seinem Kopf herrschte Chaos - immer und immer wieder drehten sich seine Gedanken um zwei Fragen.
 

Kann ich Sharon vertrauen?

Oder werde ich jetzt sterben…?
 

Er hatte Angst. Es fiel ihm schwer, es zuzugeben – aber er konnte es nicht leugnen.

Es war eine Tatsache.

Nach ein paar Minuten, in denen er sie wieder durch Gänge und Korridore, über Treppen und Stiegen durch den Gebäudekomplex gewandert waren, wusste er zwar nicht mehr, wo er war - oder ob er zurückfinden würde – aber er ahnte wohl, wohin es jetzt ging.
 

Die Tendenz zeigte nach oben.

Zum Boss.
 

Anscheinend hielt er ihn jetzt für zermürbt genug. Seines Erachtens war das verfrüht… zwar tippte er mal grob darauf, so circa anderthalb Tage hier zu sein, bedachte er dieses nie gekannte Durstgefühl - ein Gefühl, dass seine Gedanken beherrschte, seinen Augen Streiche spielte... aber zermürbt fühlte er sich nicht. Warum also ging’s jetzt zum Boss? Hatte sich Vermouth geirrt?
 

Dann waren sie im Penthouse angekommen - Champaign, die rothaarige, attraktive Sekretärin stand bereits wartend in der Tür. Hinter ihr, an den Schreibtisch gelehnt, stand Vermouth.
 

Sie zerrten ihn wortlos weiter. Er wagte es nicht, sie anzusehen, aus Angst, man könne dadurch erkennen, dass er sich Hilfe von ihr erhoffte.

Es beschämte ihn, aber er wusste, sie hatte Recht...

Alleine würde er es diesmal nicht schaffen.
 

Als sie das Büro des Bosses betraten, saß eben jener, wie auch schon beim ersten Mal, hinter seinem Mahagonischreibtisch und telefonierte.
 

Neben ihm versanken alle in einer tiefen Verbeugung, verharrten in dieser Stellung. Einzig und allein er blieb stehen.
 

Der Boss legte auf, schaute ihn irgendwie amüsiert an.
 

„Weißt du, Kudô - jetzt wäre es eigentlich schon an der Zeit, mir ein wenig Respekt zu zeigen. Schließlich bist du jetzt nicht mehr klein…“

Shinichi sagte nichts, schaute ihn nur voller Verachtung an.

Das Lächeln auf Cognacs Lippen gefror.
 

„Du sollst dich vor mir verbeugen, hab ich gesagt. Hörst du schlecht, Kudô?“
 

Er stand auf, ging um den Tisch herum.
 

„Nein, ich hör ganz gut. Sie können sich diese Machtspielchen und rhetorischen Fragen eigentlich sparen.“

Shinichi schluckte. Wenn schon abtreten, dann mit einem großen Paukenschlag am Ende.
 

Cognac starrte dem jungen Detektiven mit zusammengekniffenen Augen eisig ins Gesicht.
 

„Das ist deine letzte Chance.“

Nicht einmal ein unterkühltes Lächeln war jetzt noch auf seinen Lippen.

„Und wenn ich die nicht nutze…?“
 

Die nächsten Dinge passierten sehr schnell.

Er fühlte gerade noch, wie jemand seine Hand in seinen Nacken legte, dann seine Haare packte, ihn nach vorn zog - und ihm dann sein Knie in die Magengegend rammte.

Shinichi schrie auf, krümmte sich vor Schmerzen, blieb aber stehen, wenn auch nun in gebeugter Haltung.
 

Der Boss tätschelte ihm den Hinterkopf.

„Braver Junge. Es geht doch.“
 

Er verschränkte die Arme galant hinter dem Rücken, beugte sich ebenfalls nach vorne, schaute ihm ins Gesicht und lächelte ihn hämisch an.

„An und für sich mache ich mir die Hände an meinen aufmüpfigen Gefangenen nicht mehr schmutzig, musst du wissen, also darfst du dich jetzt sehr geehrt fühlen. Ich hab das eigentlich nicht mehr nötig - ich habe genügend andere Menschen, die mir diese Arbeit mit Freuden abnehmen…“

In seinen Augen glitzerte es böse.

„Aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen, so ist es doch, nicht wahr?“
 

Shinichi starrte ihn wuterfüllt an, allerdings sparte er sich einen Kommentar.
 

Er richtete sich wieder auf.

„Meine Damen, meine Herren - du auch, mein lieber, hoch geschätzter Gast - ihr dürft euch nun wieder bequem hinstellen.“

Er lächelte gönnerhaft.

Shinichi drückte leise stöhnend die Wirbelsäule durch, bemühte sich, nicht zu sehr gequält auszusehen, als er sich wieder aufrichtete.
 

„So.“

Der Mann mit den dunklen Haaren und dem aristokratisch anmutenden Gesicht ließ sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Schreibtischkante sinken, musterte seinen Gefangenen gründlich - dann seufzte er zufrieden.

„Die gute Brandy hat saubere Arbeit geleistet, wie mir scheint.“

Er fuhr sich mit einer Hand übers Kinn, ließ sie dort liegen.
 

Shinichi schaute ihn aufmerksam an.

In den Augen des Bosses funkelte eine Intelligenz, die seiner wohl in nichts nachzustehen schien.

Ein wacher, reger Geist.

Allein die Tatsache, dass er dieses Unternehmen, wollte man es so nennen, leitete, bewies, dass dieser Kopf nicht nur gut aussah - sondern auch schlau war, und aufgeweckt - und skrupellos.
 

Er war wie Moriarty. Intelligent, skrupellos, machthungrig. Die Art, sich zu bewegen, wie er die Finger beim Nachdenken aneinander legte, sein Aussehen - die grauen Augen…
 

Er saß hier in seinem Büro wie die Spinne in ihrem Netz und spann die Fäden, mit denen sie ihre Fliegen tanzen ließ…

Und war die Zeit reif, wurde eine Fliege gefressen.

Ein Charakter, der einen das Fürchten lehren konnte.
 

Allein wie er da stand, strömte er eine Aura von Macht aus.

Shinichi hatte sich während der einsamen Stunden in seiner Zelle gewundert, wie ein doch recht junger Mann, er schätzte ihn auf etwa siebenunddreißig Jahre, dieses Verbrechersyndikat so ohne wenn und aber leiten konnte.

Nun, ein wenn gab es ja.

Seine Augen flackerten kurz zu Vermouth, die neben ihm stand.
 

Eine seiner Fliegen hatte sich fast freigekämpft.
 

Aber nichtsdestotrotz… er schien wahrlich ein Machtmensch, eine Führungspersönlichkeit zu sein.

Er wusste wo es langging und was er wollte - und wie er dorthin gelang und es auch kriegte. Seine Vorgänger hatten in ihm einen für ihre Zwecke mehr als geeigneten Nachfolger gewählt.
 

„Shinichi Kudô.“

Seine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Ihre Blicke trafen sich, ließen einander nicht mehr los. Er fixierte die blauen Augen des Oberschülers, suchten in ihnen die Antwort zu finden, auf die eine Frage, die ihn schon so lange beschäftigte…
 

Wie schaffte es dieser Bastard nur immer, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen? Mit scheinbar schlafwandlerischer Sicherheit ihre Pläne aufzudecken und zu durchkreuzen, mit einem gewinnenden Lächeln auf dem Gesicht…
 

Wie schaffte er das?
 

Nun, er hatte ja nun die Gelegenheit, ihn dazu mal genauer zu befragen.
 

„Mich würden da ein paar Dinge brennend interessieren, mein junger Freund…“

„Und wie kommen Sie darauf, dass ich Ihnen diese Dinge erzählen werde?“

Shinichi wandte den Blick nicht ab.

Cognac auch nicht.

„Eigentlich ist es mir egal, ob du sie mir erzählst oder nicht. Ich denke du weißt, dass es unwahrscheinlich ist, dass du diesen Raum lebend verlassen wirst. Es wäre nur meinen Zwecken dienlich, wenn ich alles von dir erfahre, als selber Energie und Ressourcen an die Suche zu verschwenden.“

Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, lächelte triumphierend.
 

„Also, fangen wir an… je länger du redest, desto länger wirst du noch leben. Frage Nummer eins; Wer außer dir weiß noch von uns? Wer außer dir weiß von dem Gift? Gibt es außer dir und Sherry noch andere Personen, die von der speziellen Wirkung von APTX 4869 betroffen sind? Wie viel weiß das FBI? Wie viel die Tokioter Polizei? Und…“

Er lächelte humorlos.

„…wie schaffst du es immer wieder, mir dazwischen zu funken? Ich muss gestehen, es nervt mich ein wenig, meine Pläne ständig umdisponieren zu müssen…“
 

Er ließ die Hände sinken, die er gerade benutzt hatte, um seine Fragen anschaulich aufzulisten.
 

„Sind das nicht ein wenig viele Fragen auf einmal?“, murmelte Shinichi sarkastisch.

„Könnten Sie mir das schriftlich geben, ich fürchte, soviel kann sich mein malträtiertes Hirn auf die Schnelle nicht merken.“

Cognac wurde fast unmerklich weißer - aber seine Gesichtszüge verhärteten sich sichtlich.

„Du hältst dich wohl für witzig? Oder für besonders schlau?“

Seine Stimme klang wie das Zischen einer wütenden Schlange, bereit zum todbringenden, giftigen Biss.

„Wieso oder? Kann ich denn nicht beides sein?“

Er bemühte sich, besonders gelangweilt, besonders provokant zu klingen. Innerlich lachte er - und fragte sich, woher er diesen Mut nahm.

War das der Galgenhumor? Verlor er gerade die Nerven komplett? Oder war er einfach nur dumm?

Warum reizte er den Mann, der ihm mit einem Fingerschnippen sein Ende bereiten konnte, bis aufs Blut?
 

Weil du stolz bist.
 

Shinichi schluckte.
 

Weil du endlich wieder bist, wer du wirklich bist.

Wer du wirklich sein willst.
 

Deswegen.
 

Cognac trat näher, vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen, schaute ihn prüfend an.

Shinichi seufzte leise.

„Wissen Sie… auf eine Frage kann ich Ihnen vielleicht sogar eine Antwort geben. Und zwar auf die Letzte. Wieso habe ich es geschafft, ihnen immer wieder dazwischen zu funken? Nun, ganz einfach.“

Er legte den Kopf schief, lächelte leicht.

„Sie sind zu auffällig. Sie und ihre ganzen Untergebenen. Und Sie hinterlassen zu viele Spuren.“

Der Boss zog interessiert die Augenbrauen hoch.

„Ich bin ganz Ohr…?“

Shinichi überlegte kurz.

„Nun, zuerst mal… ehrlich… dieser Schwarztick hat vielleicht Stil in ihren Augen, aber diese Art von Uniformierung fällt auf. Dann seid ihr zu unvorsichtig… es ist zu leicht, euch eine Wanze unterzujubeln, einen Transmitter… und ihr handelt zu offensichtlich. Der Fall mit Pisco, zum Beispiel. Es war ein Leichtes, Gins Wagen aufzubrechen, um dort einen Transmitter zu deponieren… diese alten Porsches sind einfach zu leicht zu knacken… es reicht ein Drahtkleiderbügel und schon ist das Auto offen. Ich brauche wohl nicht sagen, wie einfach es wahr, nachdem ich euch eine Wanze untergejubelt habe, euch zuzuhören… und die richtigen Schlüsse zu ziehen.“

Shinichi verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und so wars bei einigen Aktionen. Immer wurde durch zwei Zeichen meine Aufmerksamkeit auf euch gelenkt: die schwarzen Mäntel und die Codenamen… man braucht nur zufällig einem von euch beim Telefonieren zu zuhören…“
 

Er seufzte.

„Also, wenn ihr wollt, dass eure verdeckten Operationen auch verdeckt bleiben, dann haltet euch doch einfach an diese alte Weisheit: nirgendwo ist ein Blatt besser versteckt als im Wald. Anpassung und Tarnung ist das A und O.“
 

Der Boss sah ihn an.

„So einfach war das also?“

„Die meiste Zeit, ja. Das heißt, bei Tequila, bei Pisco, bei Kir… manchmal half auch der Zufall nach, aber wenn man nur ein wenig mit eurer Vorgehensweise vertraut ist, hab ihr es einem nicht schwer gemacht, die Zeichen richtig zu deuten.“
 

Shinichi schluckte. Der Boss sah ihn prüfend an.
 

„Weißt du, mein lieber Herr Meisterdetektiv, es ist wirklich schade.“
 

Er fischte eine Zigarre aus seiner Sakkotasche, zündete sie in aller Ruhe an, zog daran und blies Shinichi die erste Rauchwolke ins Gesicht.

„Wirklich, wirklich sehr schade.“
 

Shinichi sagte nichts, zog einzig und allein eine Augenbraue hoch.
 

„Du willst wissen, was ich meine? Warum fragst du nicht?"

Er nahm erneut einen tiefen Zug von seiner Zigarre, inhalierte tief, ließ dann den Rauch, ohne ihn richtig auszublasen, aus seinem Mund entweichen.
 

Es sah aus, als würde er innerlich verbrennen.
 

„Was ich so ungemein bedauernswert finde, mein Freund, ist die Tatsache, dass ein so schlauer, gewitzter Kopf wie du, sich schon so festgefahren hat… sich dem ‚Guten’“, er verzog das Gesicht vor Ekel, spie nun den Rauch förmlich aus, „verschrieben hat, mit Haut und Haar, mit Herz und Seele - unwiederbringlich verloren für unsere Zwecke. Jemanden wie dich suche ich schon lange - junge Leute mit deinen Fähigkeiten sind rar gestreut. Aber dein Umfeld hat dich für unsere Sache verdorben, darum ist es wohl unnütz, dich zu fragen, ob du dich uns anschließt.“
 

„Das sehen sie richtig.“, murmelte Shinichi.

„Dachte ich mir.“

Cognac zog an seiner Zigarre, wandte sich ab, blies im Gehen den Rauch in kleinen Kringeln aus, schaute gedankenverloren aus dem Fenster, nicht ohne jedoch im selbigen Shinichis Reaktionen zu beobachten.
 

„Hast du nun vor, mir eine meiner anderen Fragen freiwillig zu beantworten?“
 

Shinichi schüttelte den Kopf.

„Nein.“

„Hm.“
 

Der Boss er Organisation paffte vor sich hin, drehte sich um, ging zu Shinichi hin, schaute ihm lange ins Gesicht.
 

„Auch das ist sehr schade. Ich hätte mich gerne noch länger mit dir unterhalten. Du bist ein geistreicher, amüsanter Gesprächspartner, dass muss man dir lassen.“

Damit drückte er seine Zigarre in einem Kristallaschenbecher aus.

„Hm.“

Der Boss blickte ihn an.
 

„Dann ist es wohl jetzt Zeit für dich, zu sterben. Oder willst du vielleicht nicht doch noch etwas loswerden? Deine Seele - etwas erleichtern?“

Shinichi presste die Lippen zusammen, schüttelte stur den Kopf.
 

„Dann hast du jetzt genau drei Minuten Zeit, um dein letztes Gebet zu sprechen. Um um Gnade zu bitten oder dich bei deinem Gott zu beschweren…“

Er lächelte Vermouth zu.

„Du weißt, was du zu tun hast?“

Sie nickte nur. Dann ging sie, hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
 

Shinichi wandte seinen Kopf, wollte Gins Gesicht sehen. Der Blonde hatte wie immer seinen Hut bis weit über die Augen ins Gesicht gezogen, aber an seinen zusammengekniffenen Lippen konnte er erkennen, dass ihm diese Wendung der Geschichte nicht gefiel.

Dass er wütend war.

Und daraus schloss er, dass seine Aktion bei ihrem letzten Treffen nicht umsonst gewesen war.
 

Cognac schien das ebenfalls zu bemerken.

„Du bist selber Schuld, das weißt du doch, Gin?“

Der Blonde nickte unmerklich.

„Ich dulde es einfach nicht, wenn man meine Befehle missachtet. Das geht einfach nicht… wo kämen wir denn hin?“

Seine Stimme klang beherrscht- aber eiskalt, grausam.

„Ich hätte dir gern die Chance gegeben, deinen Fehler von damals zu korrigieren, das weißt du. Aber das geht jetzt nicht mehr. Du musst lernen, dich nicht so provozieren zu lassen.“
 

Shinichi warf ihm einen weiteren Blick zu - und sah geradewegs in Gins Augen.
 

Hass.
 

Unglaublicher, abgrundtiefer Hass war in seinen Augen zu sehen. Hass auf ihn.

Und eine unbeschreibliche Mordlust funkelte in ihnen. Er konnte nur mit Mühe seine Schadenfreude verbergen, schließlich war sein Plan aufgegangen - Gin zu einer Tat zu reizen, die dem Boss missfallen würde, und ihm damit bestrafen würde, indem er ihm das Privileg nahm, ihm sein Ende zu bereiten.

Nichtsdestotrotz wurde Shinichi nervös.

Wo war Sharon? Auf was warteten sie hier noch? Wieder kamen ihm diese Bedenken - ob er Sharon vertrauen durfte. Ob er sich nicht lieber auf seine Intuition verlassen sollte… dafür müsste er aber zuerst einmal wissen, was ihm seine innere Stimme anriet.

Er schluckte, horchte in sich hinein.

Sie schwieg.

Seine innere Stimme war in den Wortstreik getreten, wie es schien.
 

Also…

Was sollte er machen, wo ihn alles und jeder hier auf Erden verlassen zu haben schien…?
 

Ran…
 

Wie ging es ihr wohl? Würde er sie jemals, jemals wieder sehen?

Wie weit war Ai wohl schon mit dem Gegengift?
 

Weiter kam er in seinen Gedankengängen allerdings nicht mehr. In diesem Moment betrat Vermouth die Szene wieder, mit einem Tablett balancierte sie sieben unterschiedliche Gläser.
 

Allesamt Spirituosen.
 

„Lass uns mal Russisch Roulette auf eine andere Art spielen, mein junger Detektiv…“

Der Boss, der die letzten Minuten aus dem Fenster gesehen hatte, wandte sich wieder um, schaute ihn kalkulierend an.

Die rothaarige Frau lachte schallend, zeigte ihre makellosen weißen Zähne. Chianti und Korn hatten ein beinahe identisches, hämisches Grinsen auf ihren Zügen, selbst Vodka verzog seine Lippen amüsiert - nur Gin nicht.

Er schaute sehr, sehr angespannt auf die Gläser.

Er war misstrauisch, Shinichi konnte es förmlich riechen.
 

Cognac beobachtete Vermouth genau. Dies hier war ihre Prüfung; er misstraute ihr, bedingt durch die Sensibilisierung durch Gin und seine Beobachtungen. Deshalb hatte er ihren Vorschlag angenommen; ihn mittels der Alkoholika zu töten, in einem Spiel – er sah diese Sache hier als weiteren Test. Sie würden es merken, wenn sie die Gläser nicht vergiftet hatte.

Aber wenn sie ihn, den sie doch angeblich schützte, hier und heute umbrachte… dann war sie wieder absolut vertrauenswürdig, und alles, was auf einen Verrat gedeutet hatte, nichts weiter als ein Hirngespinst.

Und so lächelte er sanft.
 

„Vermouth hatte die Idee, und sie war auch gleich so gütig, diese Gläser zu präparieren - sechs der Getränke hier sind vergiftet - eins ist es nicht.“

Die Vorfreude in seiner Stimme war Ekel erregend.

„Um zu testen, ob sie auch wirklich meinen Befehl ausgeführt hat, denke ich, wir sollten es testen.“

Er machte die Tür auf - und herbei eilte Brandy, mit einem kleinen Käfig. In ihm saß eine weiße Maus.

Die junge Frau sah ihn neugierig an, konnte kaum ihre Augen von ihm, ihrem ersten echten Erfolg, abwenden. Erst die Stimme ihres Chefs lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das, wozu sie gerufen worden war.

„Such dir was aus. Und du drehst dich um. Gin, sorg dafür, dass er nichts sieht.“

Die Forscherin nickte, dann zog sie eine Pipette hervor.

Gin packte Shinichi am Arm und drehte ihn herum, starrte ihn an. Shinichi starrte zurück, wohl wissend, er tat besser daran, nichts zu versuchen.

Ein ersticktes Quietschen hinter seinem Rücken sagte ihm, dass der Test wohl positiv ausgefallen war.

Gin ließ ihn wieder los, Shinichi drehte sich um, sah gerade noch Brandy mit der toten Maus verschwinden. Dann erregte ein Räuspern seine Aufmerksamkeit.

Cognac lächelte ihn an.
 

„Such dir eins aus.“
 

Vor ihm standen jetzt die sieben Gläser.
 

Wermut, Cognac, Vodka, Gin, Champagner, Chianti und Korn.

Champaign lächelte süß.
 

Shinichi schluckte, starrte sie an.

Er hatte gerade ein Déjà- vu, soviel war sicher.
 

Diese Getränkeauswahlszene war ganz ähnlich wie im Film… wie in Sharons Film.

Denn am Ende steht der Tod...

Dort hatte auch, nach einer gesellschaftlichen Feier, ein Tablett mit unterschiedlichen Drinks auf dem Tisch gestanden. Es war die Szene, kurz vor der Entlarvung der Mörderin.

Die Szene, in der er starb.

Was hatte der Detektiv damals getrunken? Er war dran gestorben…
 

Die Stimme des Bosses riss ihn wieder aus seinen Gedanken.

„Wenn du wider Erwarten das nicht vergiftete Glas erwischt - dann wirst du noch einen Tag länger mein Gast sein.“

Er trat an in heran, packte mit einer Hand sein Kinn, zwang den jungen Detektiven, ihn anzusehen.

„Fragt sich nur, ob das wünschenswert ist.“

Er ließ ihn los - dann verpasste er ihm einen Schlag ins Gesicht. Shinichi schrie nicht, biss sich nur auf die Lippen, atmete schwer.

„Nun wähle!“

Cognac starrte ihn lauernd an.

Shinichi ließ seinen Blick über die Gläser gleiten.
 

Sie hieß Vermouth - und mit Wermut hatte sie getötet… zumindest hatte das ihr Film-Ich getan.

Aber jetzt?

Er warf den sieben Personen, die vor ihm standen, einen musternden Blick zu.
 

Würde sie ihn töten? Hatte sie das gestern wirklich ernst gemeint?

Er schaute die blonde Frau an, versuchte, in ihren Augen zu lesen.
 

Würde Wermut ihn töten…? Die Wermutmörderin…?
 

Woran starb der Detektiv im Film gleich noch mal?

Er kratzte sich unsicher am Hinterkopf.

Shinichi hatte Angst. Große Angst.
 

Wo hast du das Gift reingeschüttet? Sollte der Film eine Warnung sein? Warst du deswegen so erpicht darauf gewesen, einen Schauspieler zu nehmen, der mir ähnlich sah?
 

Shinichi stöhnte auf, fuhr sich über die Augen, rief sich die Filmszene ins Gedächtnis.
 

„Woher weißt du, wer der Wermutmörder ist, Daniel?“

Sie schaute ihn bewundernd an.

Er lächelte überlegen-

„Das ist ganz einfach, Isabelle.


 

Das war im Salon gewesen. Dieser Detektiv hatte seine Schlussfolgerungen vor seiner Freundin dargelegt. Sie waren allein gewesen, alle anderen waren im Speisezimmer, beim Verhör. Dann…
 

„Komm, lass uns anstoßen. Der Champagner hier blieb wohl vom Empfang vorhin übrig…“

„Aber denkst du nicht…?“

„Nein, das ist bestimmt nicht vergiftet. Die gute Vermouth tötete mit vergiftetem Wermut, nicht mit Champagner, hab ich dir doch gerade erst gesagt…“

Gläser klirrten, er setzte das Glas an die Lippen…

… und keuchte, schrie auf, griff sich verzweifelt an den Hals, rang nach Atem, Atem…
 

„Nein!!!“

Ihr Glas fiel zu Boden und zerbarst klirrend.
 

Shinichi blinzelte. Es war der Champagner gewesen.

Nicht der Wermut.

Im Film hatte sie den Detektiv umgebracht, indem sie ihn getäuscht hatte. Ihn, der sich sicher glaubte, ins Messer laufen lassen.
 

Er ging hin zum Tisch, schaute ihr ein letztes Mal ins Gesicht, versuchte etwas in ihren Augen zu lesen…

Dann griff er nach einem Glas.

„Und nun trink.“

Cognac schaute ihn mit vor Neugierde funkelnden Augen an.

Shinichi setzte das Glas mit zitternden Fingern an die Lippen - dann trank er es mit einem Zug aus, verzog das Gesicht, als der Alkohol in Mundhöhle und Hals brannte. Er keuchte, verzog das Gesicht, sah in sechs gespannte Gesichter.
 

Dann brach er zusammen.

Das Glas rollte aus seiner Hand, die restliche Flüssigkeit rann heraus, verteilte sich über das Parkett.

Shinichi lag auf dem Boden, atmete schwer.
 

Der Boss trat nach vorne, beobachtete ihn genau.
 

Er schien um Atem zu ringen, verzweifelt nach Luft zu schnappen - er hatte offensichtlich Schwierigkeiten.

Dann, langsam...

Wurde er immer stiller, immer ruhiger…
 

Atmete aus - und nicht mehr ein. Seine Hände entspannten sich, sein Körper erschlaffte.
 

Stille trat ein. Man hätte eine Stecknadel fallen gehört.
 

Der Boss lächelte scheinbar entschuldigend.

„Tja. Pech gehabt.“

Er beugte sich neugierig über den leblosen Körper des Oberschülers.

„Gin.“

Der Blonde trat hervor.

„Du darfst überprüfen, bitte, ob er diesmal auch wirklich das Zeitliche gesegnet hat.“

Gin nickte, dann stieß er den jungen Mann mit dem Fuß in den Bauch, so heftig, dass er auf den Rücken rollte. Er ging neben ihm in die Knie, drückte ihm Zeige - und Mittelfinger seiner rechten Hand gegen den Hals.

Nach einer Weile nickte er zufrieden.
 

„Shinichi Kudô ist hiermit Geschichte. Der Vorhang ist gefallen.“

Der Boss lächelte kühl, deutete eine Verbeugung an.

Er wandte sich zum Gehen, als er sich noch mal umdrehte, ihr ins Gesicht sah. Ihre Miene schaute abgeklärt aus. Ernüchtert.

Nach ihrem Verhalten von vor ein paar Tagen wunderte ihn das ein wenig.

Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, beugte sich dann selber runter, tastete nach dem Puls seines Kontrahenten, kam zu demselben Ergebnis wie Gin.

Langsam stand er wieder auf, schaute sie durchdringend an.
 

„Vermouth, ich gratuliere. Aber da es deine Idee war, wirst du ihn auch wegschaffen, sei so gut. Fürs erste runter in den Keller, nur um sicher zu gehen. Nicht dass...", er warf Gin einen spottenden Blick zu, "Shinichi Kudô uns nochmal überrascht. Ich erwarte dich dann bei unserer kleinen Aftershowparty.“

Er hakte sich mit einem hochzufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht bei Champaign unter, die, Vermouth aus spöttisch funkelnden Augen einen siegessicheren Blick schenkte. Dann drehte sie sich um, ihre roten Locken funkelten im Abendlicht, und verließ mit dem Boss das Büro. Gin und Vodka, Korn und Chianti folgten ihnen auf dem Fuße.

Tot geglaubte...

Guten Tag, allerseits :D
 

Ich seh schon, ihr seid zu schlau für mich ^^;

Allerdings war es auch nicht wirklich mein Anliegen, euch von Shinichis Tod zu überzeugen; ich wollte lediglich den Boss übers Ohr hauen.
 

Nun… ich danke an dieser Stelle sehr, sehr herzlich für eure Kommentare!
 

In diesem Sinne, viel Vergnügen mit Kapitel 26,
 

Liebe Grüße,

Leira :D
 

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Die Tür fiel ins Schloss.

Sharon zog eilig eine kleine Spritze aus der Innentasche ihres Mantels, zog die Kappe ab, presste ein paar Tropfen der Flüssigkeit heraus, um sicherzustellen, dass keine Luft in seinen Blutkreislauf gelangte, kniete sich neben ihn und injizierte ihm das Mittel.
 

Sanft schlug sie ihm an die Wange, beugte sich über ihm, um zu fühlen, ob er von allein atmete, das Medikament reichen würde; gleichzeitig drückte sie zwei Finger ihrer Hand an seinen Hals.

Gerade begann sie panisch zu werden, als sie es hörte.
 

Leises Seufzen.

Dann holte er Luft, schwach zuerst; allerdings wurden seine Atemzüge von Mal zu Mal regelmäßiger und tiefer.

Erleichtert atmete sie aus, strich sich ein paar Haare aus der Stirn. Das war knapp gewesen.

Langsam begann sein Puls wieder fühlbar zu werden.

Dann öffnete er matt die Augen, blinzelte, kam nach und nach immer mehr zu sich. Über ihm schwebte ihr Gesicht.
 

Sharon lächelte zufrieden.
 

„Was zur Hölle…?“, wisperte er.

„Bleib liegen, Shinichi.“

Mehr sagte sie nicht.
 

Er schluckte, starrte an die Decke. Er fühlte sich schrecklich, so matt, so kraftlos.

„Was… was hast du getan, Sharon…?“, wiederholte er seine Frage in etwas abgewandelter Form. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, was gerade eben passiert sein könnte.
 

Die blonde Frau, die gerade dabei war, die Unterlagen auf dem Tisch ihres Bosses umzuschichten, schaute ihn ernst an.

„Das willst du nicht wissen.“

Stöhnend richtete er sich auf.

„Was hast du mit mir gemacht? Ich hab ein Recht…“

Er brach ab, als ihm kurz schwindlig wurde. Er schloss die Augen, fuhr sich übers Gesicht, spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn.

Sie hörte auf die Unterlagen zu durchsuchen, als sie sah, wie schlecht er aussah. Sie ging zu einem Schrank, holte ein Glas und eine Flasche Wasser heraus und schenkte ein.

„Ich hab dich fast umgebracht. Fast, wohlgemerkt. Du warst nun… in einem Scheintod-ähnlichen Zustand. Atemstillstand und extrem schwacher Puls. Den kann man nicht mehr fühlen.“

Sie wandte sich ihm zu, hielt ihm ein Glas hin.
 

„Nur Wasser. Du kannst es trinken.“

„Ich nehm von dir kein Getränk mehr an.“
 

Er schaute sie finster an, merkte, wie seine Zunge am Gaumen klebte, griff doch nach dem Glas. Gemächlich trank er aus, merkte, wie es ihm langsam wieder besser ging. Sie sah ihm zu dabei.
 

„Du verstehst das doch. Ich musste es tun. Ich musste deinen Tod vorzutäuschen, wir wären sonst hier nicht raus gekommen.“
 

Er seufzte, zog die Augenbrauen zusammen.

„Wir sind auch noch nicht draußen.“, bemerkte er trocken.

„In der Tat.“, murmelte sie geistesabwesend, schaute sich suchend um.
 

Shinichi warf ihr einen bösen Blick zu, rappelte sich hoch. Wut kochte in ihm hoch.

„Wie konntest du? Verdammt noch mal, wie konntest du nur?!“

Er atmete heftig. Sie griff ihn an der Schulter, zog ich mit sich, drückte ihn in den Stuhl des Bosses.

„Du solltest dich nicht aufregen. Noch nicht, heißt das.“

Er ächzte, schaute sie fassungslos an.

„Du hättest mich fast umgebracht! Sharon, du gibst es auch noch zu! Wie konntest du…?!“

„Um dich zu retten, du dummer Junge…!“

Sie drehte sich ruckartig um, funkelte ihn ärgerlich an.

„Ich muss dir doch wohl nicht erklären, dass die dich wirklich umbringen wollen! Also konntest du nur wählen zwischen sicherem Tod und… einem mit potentiell gültiger Rückfahrkarte. Es ging nicht anders, glaub mir…“
 

Sie schaute ihn an, ihre Gesichtszüge milderten sich ein wenig, als sie sah, wie blass er war.

„Tut mir Leid, ich musste dich ausknocken. Sonst hätte uns das nie jemand geglaubt…“
 

Er starrte auf die Tischplatte, strich sich durch die Haare.

„Das hält man ja im Kopf nicht aus…“

„Welcome to my world, darling.“

Sie schob den Sicherheitsverschluss wieder auf die Spritze, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte.
 

„Sag mal… Wie konntest du das alles… planen?“

Er schaute sie skeptisch an.

„Nun…“, begann sie genussvoll - man sah ihr an, wie begeistert sie eigentlich doch trotz des kurzen Schockmoments über ihrem neuesten Coup war.

„Planen wollte ich schon lange, dich irgendwie hier rauszuschmuggeln. Als du aber geschafft hast, den guten Gin so gegen dich aufzuhetzen, dass er dir buchstäblich an die Kehle sprang… und der Boss ihn dadurch bestrafte, in dem er ihm das Privileg nahm, dich umzulegen… und stattdessen mir diese Aufgabe stellte, um mich zu testen, wahrscheinlich – mein Verhalten als man dir das Gegengift gab war wohl etwas seltsam, und ich bin mir sicher, Gin hat ihm da auch einen Floh ins Ohr gesetzt… Na, auf alle Fälle, als er aus dem Weg war, kam mir diese brillante Idee, my dear.“

„Brillant ist was anderes, Sharon.“

Er zog missbilligend die Augenbrauen in die Höhe.
 

Sie ließ die Injektionsnadel wieder in ihrer Mantelinnentasche verschwinden.

„Weißt du, cool guy, der Film an sich war eigentlich als Warnung gedacht - dass aber diese Szene hier noch so gut passen würde, hätte ich mir selbst nie erträumt. Ich kann dir sagen, wir tragen hier nicht alle umsonst diese alkoholischen Decknamen - der Boss hat dafür ein Faible. Darum war er für diese Idee auch so leicht zu begeistern.“

„Aber musstest du mich deswegen gleich… gleich…fast…“, er senkte seine Stimme, „… um… umbringen, Sharon? Ich meine, gesund kann das ja nicht gewesen sein…“, maulte er sie an. Sie zog eine Augenbraue hoch.

„Gesund ist nahezu nichts, was du in letzter zeit so veranstaltest, Shinichi, darling.“, bemerkte sie schnippisch. Er warf ihr einen genervten Blick zu, atmete tief ein und wieder aus. Das war wirklich eine wahnwitzige Idee gewesen von ihr - diese Szene aus dem Film als Ansatz für seinen vorgetäuschten Tod zu nehmen… wahnwitzig. Und dann auch noch die Art und Weise, wie sie…

Er warf ihr einen kalkulierenden Blick zu.
 

Sharon sah mehr als nur zufrieden mit sich aus. Momentan lief augenscheinlich alles nach ihrem Plan. Sie stand da, das Abendlicht glänzte kupferrot in ihren Haaren, brachte sie zum Leuchten; die Arme hatte sie lässig vor der Brust verschränkt.

Shinichi setzte sich auf, warf einen angeekelten Blick auf die Gläser, die noch auf dem Tablett standen.
 

„Ist es denn wirklich keinem aufgefallen? Dass ich… nicht ganz tot war?“, fragte er nachdenklich.

„Und warum tut mir eigentlich meine Seite so weh?“

Er rieb sich seine schmerzenden Rippen.

„Nun, Gin und der Boss haben nach deinem Puls gefühlt, Atmung hattest du ja keine. Und da dein Herz so langsam und schwach schlug, hattest du keinen Herzschlag, den man fühlen konnte. Da unser Chef kein Mediziner ist, genauso wenig wie Gin, hat es funktioniert, wie du siehst. Und dein Todeskampf war auch spektakulär genug.“
 

Sharon grinste noch breiter, füllte das Glas noch mal mit Wasser und reichte es ihm.

„Es musste sein. Schließlich war es unsere einzige Chance. Aber ich gebe zu, ich war ein wenig nervös… das Zeitfenster ist doch recht klein.“

Er zog genervt die Augenbrauen in die Höhe, schaute sie skeptisch an.

Sharon verdrehte die Augen.

„Du siehst das ein wenig sehr locker, meine Teure…“

Sie schien seine Bemerkung zu ignorieren. Ungerührt fuhr sie fort.

„Außerdem war ausgemacht, dass der Gin nicht vergiftet ist. Alle waren sich sicher, dass du bestimmt nicht den Gin trinken würdest, so wie du und er euch hasst. Deswegen nahm einfach jeder an, dass du Geschichte bist, als du den Wermut getrunken hast. Nebenbei - Gin ist es auch gar nicht gewöhnt, irgendwelchen Leuten den Puls zu fühlen. Sein Test bestand darin, ob du schreist, wenn er dich in den Bauch tritt. Jetzt weißt du, warum dir deine Rippen wehtun, ich kann dir sagen, das sah schmerzhaft aus-…“

War es wohl auch…“, stöhnte Shinichi leise, hielt sich kurz den Bauch. „Ist es noch…!“

„Nun, was ich sagen will, war eigentlich Folgendes.“

Sie seufzte, zog eine Schublade des Schreibtisches auf.

„Ich war mir fast sicher, dass sie alle sofort gehen würden, als sie merkten, dass du nicht mehr atmest und keinen Puls mehr hast. Darauf hab ich gesetzt. Nur weil sie sehr bald gegangen sind, hat das geklappt. Aber du solltest dich nicht beschweren, wirklich nicht. Andernfalls wärst du nämlich, wie gesagt, richtig tot, jetzt. Hättest du den Gin genommen und überlebt, hätte man dich wahrscheinlich heute noch erschossen, auch wenn er was anderes gesagt hat. Du bist zu gefährlich und eine Belastung.“
 

„Aber wie konntest du ahnen, dass sie so schnell verschwinden? Ich meine, der Boss…“

„Tja, gerade der. Er konnte es gar nicht abwarten, deinen Tod zu feiern... du siehst ja, er ist noch nicht jenseits von Gut und Böse, er hat für Triumphparties noch was übrig. Und er wird wohl darüber nachsinnen, wie er deinen Tod am Schönsten publik machen kann.“

Sie lächelte süffisant.

„Um ehrlich zu sein, ich hab ja mit dem Gedanken gespielt, dich wirklich ganz…“

Shinichi starrte sie fassungslos an, ächzte.

„Tja, aber da wäre das Risiko eines Hirnschadens zu groß gewesen, und das kann ich nicht verantworten, erst Recht nicht bei dir, nicht wahr, cool guy? Also hab ich dich scheintot gemacht. Hat auch gereicht, wie man sieht.“

Sie hob mit zwei Fingern sein Kinn an, lachte, als er ihre Hand weg schlug.
 

Er stand aus dem Stuhl auf, wankte kurz, dann ging er zu dem Tablett mit den Gläsern, beugte sich über sie.
 

„War eigentlich auch eins vergiftet?“

Sie wandte sich kurz um.
 

„Ja, alle anderen, außer eben dem Gin. Soviel von dem Zeug konnte ich nicht aus dem Labor klauen, ich musste drauf spekulieren, dass du den Wermut nimmst. Wir hatten ohnehin Glück, dass das mit dem Alkohol keine Wechselwirkungen gab. Ich frag mich, für was Brandy solche Mittelchen erfindet. Die Maus hat auch den Wermut gekriegt, übrigens. Sie wird wohl nie wieder aufwachen…“

Sharons Stimme klang gelassen. Über ihre Lippen huschte ein amüsiertes Lächeln, als sie seinen fassungslosen und gleichermaßen wütenden Gesichtsausdruck bemerkte.

„Aber… wenn du also meinen Plan als aberwitzig und gefährlich empfindest, dann… solltest du zuerst mal dich an der eigenen Nase fassen. Mein Plan war nichts im Gegensatz zu deinem, denn Gin hätte dich fast erschossen, da unten. Viel fehlte nicht mehr, das weißt du. Trotzdem wäre es ohne nicht gegangen… hättest du nicht so gute Vorarbeit geleistet, wäre es um einiges schwieriger geworden, dich hier raus zu kriegen. Das eine bedingte das andere… wir können uns gratulieren. Wir haben hoch gepokert, mit Risiko gespielt und gewonnen. Wir hatten das bessere Blatt.“
 

Ihm wurde irgendwie anders.
 

„Das Spiel ist aber noch nicht aus.“, bemerkte er dann leise, ließ seine Augen durchs Zimmer schweifen; verharrte dann bei ihrem Anblick. Sie hatte sich wieder abgewandt und durchwühlte den Schreibtisch.
 

„Da hast du allerdings Recht.“, bemerkte sie und warf den Inhalt einer Schublade auf den Boden.

„Und was suchst du da drin?“

„Den Safeschlüssel.“
 

Sie kramte noch ein wenig drin herum, zog alle anderen Schubladen aus dem Tisch- dann fluchte sie leise.

„Er hat ihn mitgenommen.“
 

Shinichi schaute sie an.

„Lass mich raten - in dem Safe liegen die Beweise für all die Taten der Schwarzen Organisation – genug Material, um sie für immer und alle Zeit hochgehen zu lassen?“

Seine Stimme klang leicht genervt. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, ehe er seinen Satz vollendete.

„Was für uns heißt, wenn wir diesen Laden hochnehmen wollen, brauchen wir die Beweise, die in irgendeinem Safe gebunkert sind. Und die Schlüssel dazu hat er?!“

„That’s life, cool guy.“
 

Er stöhnte leise auf.

„Was liegt denn genau in diesem Safe?“

Sharon wandte ihm ihren Kopf zu, schaute in musternd an.

„Nun. Wie du sagst, es liegt zumindest allerlei belastendes Material da drin. Der Boss speichert alle Aktionen der Organisation, alle Formeln, alle Transaktionen, einfach alles, was hier passiert, auf Speicherkarten und externen Festplatten, um auf seinem Laptop und allen anderen Rechnern hier kein belastendes Material zu haben, falls doch einmal was passiert - falls das Quartier gestürmt wird, würde die Polizei nichts finden. Jeder trägt seine Karte immer bei sich – wenn sie voll ist, wird sie in den Safe gelegt. Niemals gelöscht, und niemals wird belastendes Material auf irgendeiner Festplatte eines Rechners gespeichert; Informationen, die noch gebraucht werden, werden auf die nächste Speicherkarte oder externe Festplatte übertragen. Zu dem Safe, in dem die Speicherkarten liegen, gibt es nur einen Schlüssel, und den hat der Boss. Jeder, dessen Karte oder Festplatte voll ist, schreibt dem Boss eine Mail und gibt das Speichermedium bei Champaign ab - Cognac höchstpersönlich schließt sie dann ein.“

Shinichi seufzte nachdenklich.

„Schlau. Aber was ist mit den Speichern, die die Leute bei sich haben, wenn der Laden hier gestürmt wird?“

„Jeder hat die Anordnung, seine Karte sofort zu zerstören, wenn der Alarm ausgelöst wird. Gerät er in Feindeshand, zerstört er sie ebenfalls. Was den Safe betrifft - der steht nicht hier. Der ist woanders, und nur wenige wissen, wo er ist. Genauer genommen zwei - er, und…“
 

„Du?“

„Tja.“

Sharon lächelte kokett.

„Wie du vielleicht weißt, bin ich der Liebling vom Boss, verbringe also viel Zeit mit ihm… und in einer, nun sagen wir, schwachen Stunde, hat er sein Geheimnis mit mir geteilt, mir von dem Safe erzählt und mir die Kombination verraten. Nur ist das ohne den Schlüssel nutzlos.“

Sie drehte sich verspielt eine ihrer blonden Locken um den Finger.

Er schaute sie an, verständnislos. Ihr Verhalten erschloss sich ihm einfach nicht. Er verstand nicht, warum sie so ein Leben führen wollte.

Ein Leben als Mörderin, als Handlangerin eines Psychopathen.

Shinichi schluckte, als er ihr die Frage stellte, die ihn so lange schon beschäftigte.

„Sharon, wann bist du so geworden? Warum bist du hier eigentlich…“

Ihr Lächeln gefror. Er wich unwillkürlich zurück.
 

„Das geht dich nichts an.“, antwortete sie steif, wollte sich abwenden.

„Aber…“, fing er erneut an.

Ihr Kopf flog herum, Zorn funkelte in ihren Augen.

„Das geht dich nichts an, habe ich gesagt! Hörst du schlecht? Du musst nicht alles wissen, Detektiv!

Das letzte Wort spukte sie nahezu heraus. Er schaute sie fast mitleidig an.

„Wenn du meinst, Sharon…“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Sich jetzt mit ihr zu streiten war dumm; anderes war weitaus wichtiger, in diesem Moment.

Ihre Flucht, zum Beispiel.
 

Er warf ihr einen letzten, forschenden Blick zu.
 

Ich werde es auch so noch raus finden…
 

Dann räusperte er sich.

„Und wie kriegen wir nun den Schlüssel?“

Sie schaute ihn durchdringend an, als er das Thema wechselte.

Irgendwie ahnte sie, dass in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen war.

Doch auch sie beschloss, ihre Konzentration auf einen anderen Fokus zu legen.
 

„Wir müssen ihn von Champaign und den anderen trennen. Du hast sie gehört, sie wollen den Sieg des Tages feiern - auf dein Ableben einen gepflegtes Tröpfchen trinken. Dazu sind sie bestimmt in den großen Salon gegangen. Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver für sie und die anderen - und ich seh zu, dass ich ihn irgendwo allein erwische. Ich nehme ihm den Schlüssel ab - und dann gehen wir.“

„Hört sich ja bestechend einfach an. Nur warum beschleicht mich das Gefühl, dass es das nicht ist?“

Er seufzte.

„Nun…“

Sharon legte sich einen Finger nachdenklich ans Kinn.

„Zuerst holen wir mal deine Sachen. Vielleicht fällt uns ja bis dahin was ein.“
 

Sie öffnete die Tür, prüfte sorgfältig, ob die Luft rein war - dann winkte sie ihm, ihr nachzukommen, und ging los.
 

Sie bewegten sich zügig durch die Gänge. Jedes Mal, wenn sie um die Ecke bogen, ging sie vor, um zu sehen, ob die Luft rein war. Zwei oder drei Mal war sie es nicht - dann mussten sie umkehren, eine Alternativroute einen Stock über oder unter ihrem aktuellen Standort nehmen.
 

Schließlich waren sie angekommen - sie hatten vor einer schmalen, unscheinbaren weißen Kunststofftür angehalten. Sharon drückte die Klinke runter, steckte ihren Kopf hinein - dann verschwand sie in dem Raum, packte ihn am Ärmel und zerrte ihn hinterher, sperrte ab.
 

Sie standen in einer kleinen Kammer - an den Wänden reihten sich Spinde und Schränke. Die blonde Frau schloss die Tür hinter ihm ab, zog ihren Mantel aus und legte ihn auf den Tisch in der Mitte ab, strich sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn - dann fing sie an, die Schränke zu durchwühlen, bedeutete Shinichi mit einer ungeduldigen Handbewegung, es ihr gleichzutun.

Er nickte stumm, begann konzentriert, einen Spind nach dem anderen systematisch zu durchsuchen.
 

Und erschrak fast zu Tode, als ihm jemand von hinten eine schwarze Baseballmütze auf den Kopf drückte.
 

Sharon drehte ihn um, zog sie ihm weiter ins Gesicht, dann setzte sie ihm eine schwarze Sonnenbrille auf die Nase, hielt im einen schwarzen Kurzmantel entgegen.

„Probier ihn an, sieh zu, ob er passt.“

Shinichi zog sie die Brille von der Nase, verzog voller Ekel das Gesicht.

„Was soll die Kostümierung?“

„Das ist bei uns das so genannte Novizenoutfit. Neueinsteiger kriegen nicht gleich diese Hüte und die langen Mäntel, so wie Gin und Vodka sie tragen. Und weil wir uns nicht ewig im Schneckentempo durch die Gänge schleichen können, wirst du etwas anziehen, was dich auf den ersten Blick als einen von uns erscheinen lässt.“

Damit drehte sie sich wieder um.

Er seufzte, verdrehte die Augen - dann setzte er die Sonnenbrille wieder auf und schlüpfte in die Jacke. Irgendwo hatte sie ja Recht, auch wenn er ungern das Schaf war, das sich im Wolfspelz versteckte. Vom Wolf im Schafspelz konnte hier ja kaum die Rede sein - irgendwie wollte ihm die Vorstellung vom braven Wolf unter den mordlüsternen Schafen nicht gefallen.
 

Dann öffnete er den nächsten Spind, zog die Tasche, die sich darin befand, hervor und lächelte erfreut. Volltreffer. Seine Sachen.

Gerade wollte er es Sharon sagen, als er sich umblickte und sie nachdenklich ansah.

Wie viel wusste er denn eigentlich von ihr?

Wer sagte, dass sie ihn nicht doch noch hinhängte, wenn’s eng wurde?

Wer sagte, dass sie sich nicht sofort aus dem Staub machen würde, sobald sie das Gebäude verließen…?

Konnte er ihr wirklich glauben- ihr uneingeschränkt vertrauen?
 

Er schluckte. Irgendwie kam er sich falsch vor, als er einen Mikroemitter aus den Tiefen der Tasche fischte, den Klebestreifen aktivierte und ihn am unteren inneren Saum von Sharons Mantel befestigte.
 

Aber… Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
 

Sie war nichtsdestotrotz eine Mörderin. Eine reuige vielleicht - eine mit Skrupel - aber nichtsdestotrotz eine Mörderin. Und für Mord musste man bestraft werden.

Er konnte sie nicht aus lauter Dankbarkeit davonkommen lassen - das wäre unfair gegenüber den Opfern, die durch ihre Hand ihr Leben hatten lassen müssen - ungerecht den Angehörigen gegenüber.

Und nicht zu vergessen - sie hätte ihn und Ran erschossen, damals, wäre sie nicht selber fast abgestürzt.
 

Und hatte sie nicht gesagt, sie hoffe, er würde sie noch zur Rechenschaft ziehen-? Sie ginge davon aus, dass er seine Versprechen auch hielt, seine Prophezeiung auch wahr machte…?
 

Schön. Das kann sie haben.
 

Er ging ein paar Schritte zurück, dann kippte er mit Schwung den Inhalt der Tasche auf den Tisch.

Sharon drehte sich durch das Geräusch angezogen um, trat näher.

„Hast du alles gefunden?“

Er nickte, schob sich wahllos die Sachen in seine Hosentaschen. Den Stimmenimitator, die Radarbrille, die Mikroemitter… das Detektivabzeichen.

Die Schuhe warf er zurück in den Schrank - auf die konnte er nun gut und gerne verzichten.

Dann stutzte er. Vor ihnen auf den Tisch lag die letzte Erfindung des Professors.
 

Und dann wusste er, wie sie sie ablenken konnten.

Wie sie den Boss, den Leitwolf, vom Rest des Rudels trennen konnten.

Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Sharon sah es mit Wohlwollen.
 

Sie hatte Recht gehabt - wenn mit einem Menschen auf der Welt ihr Vorhaben gelang, dann mit ihm.

Er hob den Kopf.

„Hör mal zu, Sharon - ich hätte da eine Idee. Aber du musst mir sagen, ob das auch so klappen kann…“
 

Sie beugte sich interessiert nach vorn.
 


 

Drei Kinder saßen auf der Wohnzimmercouch der Kudôs und nippten lustlos an ihrer heißen Schokolade.

Das vierte Kind trank keine heiße Schokolade - Ai saß im Sofa wie ein Häuflein Elend und schwieg vor sich hin.
 

Sie hatten von ihr schon lange nichts mehr gehört.
 

Hieß das, er war bereits tot? Hieß das, der Deal war geplatzt, und Sharon sah zu, dass sie ungeschoren aus der Sache raus kam?
 

Shinichi…
 

Ai seufzte. Schaute ihre kleinen Finger, ihre kleinen Füße an.

Dann stand sie auf und ging. Ohne ein Wort.
 

Ran hatte Recht - sie konnte die Vergangenheit nicht zurückdrehen. Dafür war die Vergangenheit schon viel zu sehr ihre Gegenwart geworden, bestimmte bereits unvermeidbar ihre Zukunft.

Und die konnte sie besser bestreiten, wenn sie wieder… wenn Shiho Miyano wieder auf den Plan trat.

Sie war es ihnen schuldig. Ihrer Schwester. Ihren Eltern.
 

Und Shiho… Shiho war nicht Sherry.

Sherry war tot.

Shiho war Akemis Schwester gewesen.

Shiho Miyano… war an sich kein schlechter Mensch.
 

Am Gang traf sie auf Ran, die einigermaßen verheult die Treppe herunterkam. Ai wusste, wo sie gewesen war - in seinem Zimmer. Schon wieder.

Mit großen Augen schaute sie die junge Frau an. Und Ran verstand sofort, wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Also tust du’s doch?“

Ai nickte.

„Ja. Du hattest Recht. Du hattest von Anfang an Recht… genauso wie er… man kann nicht vor seiner Vergangenheit weglaufen. Sie bestimmt unser Leben, sie macht uns zu denen, die wir sind. Ich kann mich verkleiden, maskieren, mir hundert andere Namen geben- aber ich werde immer Shiho Miyano sein. Ich kann es nicht ändern - aber ich kann Shiho ändern. Menschen ändern sich, das ist ganz natürlich.“

Ran nickte.

Dann schluckte sie, schaute dem kleinen Mädchen fest in die Augen.

„Möchtest du, dass ich mitkomme?“

Ai starrte sie an.

Mit allem hätte sie gerechnet - nur damit nicht.

„Willst du dir das antun? Wirklich?“

Ran lächelte sanft.

„Du bist unsere Freundin, Shiho. Er hätte das sicher auch für dich getan.“
 


 

Shinichi setzte sich auf den Stuhl in der Schaltzentrale, warf einen amüsierten Blick auf das friedlich schlummernde Organisationsmitglied, das jetzt gefesselt und geknebelt in der Ecke lag.

Diese Narkosepfeilchen waren wirklich eine feine Sache. Er hatte sich an den Mann, der gänzlich in seine Arbeit vertieft war, von hinten angeschlichen und ihm eins aus der Reserveschachtel, die er bei seinen Sachen gefunden hatte, in den Hals gedrückt.
 

Dann begann er zu tippen - er musste es schaffen, die Alarmanlage und die Schließautomatik zu ändern. Ziel des Plans war, dass Sharon, wenn sie den Schlüssel hatte, ihm über das Detektivabzeichen Bescheid gab - er würde es über die Radarbrille hören. Dann musste er es nur noch schaffen, den Alarm zeitverzögert auszulösen - sie brauchten cirka zehn Minuten, um nach draußen zu kommen. Der Alarm machte den ganzen Laden dicht - nur wer das Passwort kannte, konnte den Alarmzustand aufheben. Und bis das der Fall war, würde die Polizei hier sein.

Die Mitglieder, die gerade im Außendienst waren, würde man dann auch innerhalb weniger Zeit gefasst haben - soweit er es von Sharon erfahren hatte, waren alle Mitglieder auf den Karten gespeichert - ihre richtigen Namen, Photos von ihren Gesichtern, die Nummern ihrer Handys…

Es würde nur eine Frage der Zeit sein, sie alle zu kriegen.
 

Er seufzte. Eine kleine Vorrichtung zu bauen, die den Alarm nach zehn Minuten auslösen würde, war machbar - er brauchte dafür nur ein paar kleine Dinge, die alle vorhanden waren. Eine Zeitschaltuhr, die einen elektrischen Impuls aussandte, hatten sie aus dem Vorratsraum mit den Spinden mitgehen lassen, genau so wie eine kleine Menge C4- schließlich war die Organisation kein unbeschriebenes Blatt in Punkto Bombenbauen, zu welchen Zwecken auch immer.

Er würde die Uhr auf fünfzehn Minuten stellen, und die Bombe neben dem klassisch roten Alarmknopf legen - der Druck würde locker reichen, um den Knopf einzudrücken. Er würde wohl ein Loch in die Konsole sprengen, was den gleichen Effekt hatte.

Shinichi grinste.

Der Alarm würde ausgelöst werden.

Er musste jetzt allerdings etwas anderes machen - das alte Passwort knacken.

Gedankenverloren kratzte er sich an der Stirn.
 

Was könnte es sein…?
 


 

Shiho lag auf dem Sofa in Professor Agasas Wohnzimmer und schlief.

Ran saß neben ihr, wischte ihr mit einem feuchten Tuch über das Gesicht.

Ihre Hand zitterte. Sie hatte ja am eigenen Leib erfahren, wie es war - aber dann tatsächlich jemanden so leiden zu sehen, das durchmachen zu sehen…

Sie schluckte.
 

Shinichi…
 

Shiho hatte ihr erzählt, dass die Reaktion wohl umso schlimmer ausfiel, je länger der Betreffende dem Gift ausgesetzt gewesen war. Shinichi war demnach eindeutig der, der am längsten unfreiwillig verjüngt gewesen war - es musste die Hölle auf Erden gewesen sein für ihn.
 

Ein leises Stöhnen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Shiho. Sie öffnete die Augen, versuchte, sich aufzurichten. Ran half ihr hoch.

Ein paar Minuten herrschte absolute Stille.

Shiho schaute nachdenklich an sich herab. Rans Kleider passten ihr ziemlich gut.

Dann sah sie dem Mädchen, das gerade so tapfer bei ihr gewartet hatte, mit ihr gelitten hatte, ins Gesicht. Eine Träne rollte ihr über die Wange.

Nie hatte sie geglaubt, solche Freunde zu finden.

Freunde wie Shinichi und Ran.
 

Und zum ersten, allerersten Mal in ihrem Leben, wünschte sie sich ganz uneigennützig, dass er heil wiederkam. Für Ran.

Denn er war ihr Freund… und sie hatten ihr Glück verdient.

„Shiho…“

Ran schluckte, wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte sie trösten, aber traute sich nicht, sie in den Arm zu nehmen.

„Danke…“, murmelte die junge rotblonde Frau.

„Danke, Ran…“

Dann kam sie auf sie zu, umarmte sie. Ran schluckte, dann lächelte sie - und drückte ihrerseits die junge Forscherin an sich.

„Nichts zu danken, Shiho. Dafür sind Freunde doch da…“
 

Shiho rückte wieder ein wenig ab.

„Ich hab solche Menschen wie dich, Shinichi oder den Professor gar nicht verdient.“

Sie seufzte leise.

„Und ich danke Gott, so es denn einen gibt, dass er mich doch anscheinend noch nicht aufgegeben hat, wenn er mir euch schickt. Ich hoffe wirklich, Ran…“

Eine weitere Träne rollte ihr über die Wange. Sie wischte sie unwillig weg, schämte sich fast.

„Ich hoffe wirklich Ran, er kommt zurück zu dir. Ich hoffe wirklich, sie tun ihm nichts an… ich hoffe, ihr könnt noch glücklich werden, ihr hättet es so sehr verdient…“

Ran blinzelte, und nun war sie es, der eine kleine Träne aus dem Augenwinkel über die Wange rollte. Dann nickte sie.

„Danke.“, flüsterte sie leise.

Dann drehte sie beide gleichzeitig den Kopf - der Professor kam gerade mit einem Teetablett ins Wohnzimmer.
 


 

„HA!“

Shinichi grinste über beide Ohren.

Eigentlich war es gar nicht so schwer gewesen, nachdem er erst einmal das Programm gefunden hatte, das die Schließautomatik der Alarmanlage steuerte.

Nach reiflicher Überlegung und einem Fehlversuch (‚Alkohol’), hatte er es gefunden.

Das Passwort… es hieß Cocktail.
 

Leute, ich sag’s euch ja, ihr seid so durchschaubar…
 

Innerlich gratulierte er sich zu seiner Brillanz. Er war halt doch nicht umsonst der Retter der Japanischen Polizei - der Sherlock Holmes der Heisei-Ära.
 

Nun musste er es nur noch umprogrammieren - was sollte er denn nehmen? Nun plagte ihn die Qual der Wahl. Er musste etwas nehmen, dass keinen gleich mit ihm verband- sie durften das Passwort ja nicht knacken.

Also nichts, was typisch für ihn war.
 

Rans Name, sein Name, seine Eltern, ihre Eltern, Ai, die Detective Boys, der Professor - das alles viel schon mal weg.

Heijis und Kazuhas Namen auch.

Die Bezeichnung des Gifts, Shihos Eltern und ihre Schwester Akemi, ebenfalls.
 

Sherlock Holmes auch - man wusste, wer das große Vorbild von Shinichi Kudô war. Es war allgemein bekannt.
 

Leider konnte er nichts mit Zahlen machen - dieses Passwort wollte rein alphabetisch, nicht in Schriftzeichen oder Numerisch eingegeben werden.
 

Er warf einen Blick über die Schulter. Noch rührte sich der Mann nicht, aber lange würde das nicht mehr so bleiben.

Er seufzte, warf einen Blick auf die Uhr des Computers.

Vor gut zehn Minuten hatten er und Sharon sich getrennt. Er hoffte, sein Plan ging auf.
 

Und dann fiel es ihm ein - das ideale Passwort.
 


 

Vermouth indessen summte vor sich hin, dann sammelte sie sich, schlüpfte in ihre neue Rolle, als sie vor dem Salon angekommen war. Sie öffnete die Tür zum Salon schwungvoll, scheinbar außer Atem, damit auch ja alle ihre Ankunft bemerkten. Dann wandelte sich ihre Miene in ein schuldbewusstes Gesicht, sie schaute erschrocken drein, ihre Augen weiteten sich.

„Boss!“
 

Der Angesprochene wandte sich ihr gutgelaunt zu.

„Was ist, Vermouth?“

Sharon streckte ihre Hand aus, in die Richtung, in die sie blickte.

„Er… er…“

„Wer?“

„Kudô!“

Sie stürzte ein paar Schritte nach vorn.

„Er lebt noch…!“

Cognac erhob sich mit einem solchen Ruck, dass sein Stuhl umgekippte. Er warf ihr einen wütenden Blick zu.

„Er ist doch tot! Ich hab seinen Puls gefühlt, er war tot.“

Er klang abgeklärt, warf ihr einen durchdringenden Blick zu.

„Aber ich hab ihn gehört…“
 

Er ging zu ihr, winkte die anderen zu, ihm zu folgen.

„Wo?“, presste er hervor.

„Ich… ich hab ihn… eingesperrt. Im Keller... bis wir ihn uns endgültig vom Hals schaffen können. Ich hab gerade die Tür zu gemacht, da hat er gerufen und gegen die Tür geschlagen. Ich konnte gerade noch absperren. Er muss es wohl doch… irgendwie überlebt haben.“

Langsam stieg in ihm der Ärger hoch. Man sah, wie er vor Zorn erbleichte, in seine Augen ein harter Glanz trat.

Er nickte den anderen Anwesenden zu.

„Schön, ihr seht nach. Wenn er wirklich noch lebt, erschießt ihn. Ich bin mit meiner Geduld am Ende.“
 

Gin, Chianti, Wodka und Korn rannten los.

„Und wir unterhalten uns. Du solltest ihn umbringen, und hast es anscheinend nicht getan. Mich würde interessieren, was nun schon wieder schief gelaufen ist.“, knurrte er finster.

Er beherrschte sich nur mit Mühe, das merkte man ihm an. Sein Gesicht war weiß vor Zorn.
 

„No, I don’t think so…“, wisperte sie leise, hob ihren Revolver mit einer Hand in die Luft.

Trau nie deinem Feind

Hallo!
 

So... mit dem letzten Kapitel ist etwas passiert, von dem ich niemals je zu träumen gewagt hätte; die 400 ist gefallen. Ich danke, danke, danke euch für euer Feedback! Es ist wirklich unschätzbar hilfreich für mich, und ich danke euch, dass ihr immer noch den Nerv habt, mir Kommentare zu hinterlassen :D

*Sektkorkenknallenlässt*
 

Merci beaucoup!!

Thankyou very much!
 

So... und nun halt ich euch gar nicht länger auf; sondern überlasse euch hiermit Kapitel 27...
 

Ich wünsche angenehmes Lesen *g*

Bis nächsten Dienstag/Mittwoch!
 

Ich empfehle mich bis dahin und verbleibe-
 

eure Leira :D
 

PS: Entschuldigt den Titel. Mir wollte partout nichts einfallen... wenn jemand einen besseren Vorschlag hat?

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Heiji, Shuichi Akai, Jodie Starling und James Blacks sowie Sato und Takagi schauten sich höchst zufrieden an.

Vor ihnen blinkte es auf dem Bildschirm.
 

Endlich hatten sie das Signal - lange genug hatte es gedauert. Länger als sie alle gedacht hatten; das Handy zu orten war schwerer gewesen, als sie vermutet hatten.
 

„Zeigen wir’s Meguré!“

Wataru Takagi schaute in die Gesichter seiner Mitstreiter.

Alle nickten eifrig.

„Sollen wir ihn anrufen, oder…“
 

„Wir fahren sofort hin, würde ich sagen. Seine Eltern werden es auch wissen wollen… und bevor wir lange und breit am Telefon erklären…“

Sato blickte in die Runde.

„Ja, das hört sich vernünftig an. Dennoch bin ich dafür, dass wir uns aufteilen - ich werde mich mit meinen Leuten schon mal auf den Weg machen - Sie kommen dann sofort nach, wenn Sie den Kommissar unterrichtet haben.“

James Blacks Stimme war klar und fest. Hätte es eine Widerrede gegeben, wäre sie ohnehin zwecklos gewesen. Es war klar, dass er keine dulden würde.

Also stimmten alle Anwesenden zu.
 

„Ja. So sollten wir es machen.“

Wataru Takagi nickte.

„Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg… bis gleich.“

Damit teilte sich die Gruppe auf - Sato und Takagi alarmierten die Kollegen, packten den Laptop zusammen, liefen dann zu Satos Auto, während das FBI schon in James Blacks Wagen saß und zu der Adresse fuhr, an der das Telefon des Bosses geortet worden war.
 


 

Es war nun schon etwa eine Stunde her, dass Kommissar Meguré bei den Kudôs aufgetaucht war, um ihnen über den neuesten Stand der Dinge zu berichten - was in diesem Fall noch hieß, dass es keinen neuen Stand gab.

Die Lage war unverändert - man wusste weder, wie es Shinichi ging, ob er überhaupt noch lebte, noch was Sharon vorhatte. Sie hatte sich nicht mehr gemeldet.
 

Langsam beschlich ihn der Gedanke, dass sie nur hatte Zeit schinden wollen, als Spionin für die Gegenseite fungierte.
 

Yukiko saß, an Yusaku gelehnt, auf der kleinen Couch im Wohnzimmer. Das große Sofa besetzten die vier jungen Damen - Sonoko, Kazuha, Ran und Shiho, die ebenfalls vor Kurzem wieder zu ihnen gestoßen waren. Alle hatten nicht schlecht gestaunt, als sie die junge blonde Frau gesehen hatten. Kogorô hatte auf einem Stuhl Platz genommen, den man noch herbei geholt hatte - Eri war in der Küche verschwunden, kochte Kaffee für alle.
 

Auf dem Boden saßen die Detective Boys und unterhielten sich flüsternd - sie hatten es sich nicht nehmen lassen, mit allen anderen ebenfalls weiter zu warten. Auch wenn Shinichi nicht mehr Conan war und Shiho nicht mehr Ai - so verband sie doch eine Freundschaft, die nicht einfach vergessen werden konnte.

Shinichi war immer noch ihr Freund. Und irgendetwas mussten sie doch tun. Immer wieder warfen sie seinem Vater vorsichtige Blicke zu.
 

In den beiden Sesseln, die noch um den Wohnzimmertisch gruppiert waren, saßen nun also der Professor und der Kommissar - und alles schwieg. Bis auf das leise, unverständliche Getuschel der Kinder auf dem Teppich war nichts zu hören. Selbst Yukiko schien keine Tränen mehr zu haben, die sie noch vergießen konnte; sie schmiegte sich an ihren Mann, der mindestens so erschöpft aussah wie sie, kreidebleich im Gesicht, und gab nicht einen noch so kleinen Laut von sich.
 

Dann klingelte es an der Haustür.
 

Es war Ran, die aufstand und öffnete.

Sie hörten ihre überraschte Stimme in der Eingangshalle, dann Schritte, die sich näherten.
 

Schritte, die von mehreren Personen stammten.
 

Als sie schließlich das Wohnzimmer betraten, schauten alle die zwei Inspektoren und Heiji einigermaßen erstaunt an. Die drei machten einen recht aufgeregten Eindruck.

Etwas musste passiert sein.

Und so schlussfolgerte auch der Kommissar.
 

„Takagi! Sato! Was gibt es?“

Meguré war aufgestanden.
 

Takagi glühte förmlich vor Stolz, als er nach einem Blick nach links, zu Heiji, und rechts, zu Sato, die Frage seines Vorgesetzten beantwortete.
 

„Wir haben das Handy geortet.“
 

Er legte einen Aluminiumkoffer auf den Tisch, ließ die Schlösser aufschnappen und machte ihn auf, holte ein Laptop heraus, klappte es auf und fuhr den Computer hoch.

Dann startete er ein Programm - alle beugten sich gespannt vor.
 

Zuerst sah man nur eine Karte - dann sah man es blinken.
 

„Da ist es.“

Sato tippte auf den Punkt, der immer wieder aufleuchtete und erlosch.
 


 

„Da drin muss es sein.“

Gin, Vodka, Korn und Chianti blieben vor einer Tür stehen. Es waren wirklich Geräusche zu hören.

„Vodka - du bleibst hier. Ihr zwei geht zurück und holt den Boss.“
 

Vodka nickte, positionierte sich neben der Tür - er sollte keine Chance haben, zu entkommen. Chianti und ihr Partner waren bereits wieder die Treppen hinaufgelaufen.

Die beiden Männer zogen ihre Waffen. Gin nickte, und Vodka drückte die Klinke der Tür nach unten, öffnete die Tür mit einem Ruck.
 

Und da sah er ihn.

Kudô.

Er stand da, mit dem Rücken an die Wand gedrückt, starrte ihn an - und rannte los, um die nächst Ecke. Gin schoss, ohne ein Wort zu sagen, rannte ihm hinterher. Er wollte, dass Kudô endlich starb. Vodka folgte ihm dicht auf den Fersen.

Und deswegen – wegen diesem blinden Hass erkannte Gin, der ansonsten so gut wie niemand hinters Licht führen konnte, erst viel zu spät, nämlich, als Putz aus der Wand bröckelte an der Stelle, wo sein Herz sein sollte, dass das, was er sah, gar nicht real existierte.
 

Es war eine Projektion, von Kudô, der an der Wand stand und dann lief. Die Szene war ein Film, auf Dauerschleife gestellt. Egal wann man reinkam… er würde einen immer dazu veranlassen, ihm folgen zu wollen.
 

Gin brüllte wütend auf, wollte an Vodka vorbei zurück laufen – aber die Tür war zu gefallen. Und sie war von innen nicht zu öffnen.
 

Vermouth!
 

Wütend schoss er auf das Schloss der Tür.
 


 


 

Cognac erkannte den Sinn ihrer Worte erst viel zu spät - im nächsten Moment lag er nämlich bewusstlos auf dem Boden. Vermouth hatte ihm mit ihrer Waffe eins über den Schädel gezogen.

Bei dem Gedanken, was ihre Ex-Kollegen im Keller finden würden, lächelte sie.
 

„Fools.“
 

Bestimmt saßen sie jetzt alle im Keller in der Falle.
 

Sie sank neben ihm in die Knie um den Schlüssel des Safes zu suchen. Sie drehte ihn auf den Rücken, steckte ihre Pistole weg, durchsuchte seine Hosentaschen, seine Sakkotaschen - und fand den Schlüssel schließlich in der Hemdtasche seines anthrazitfarbenen Designerhemds.
 

Sie legte den Kopf schief, lächelte den Schlüssel an. Dann beugte sie sich vor, tätschelte ihm mit ihrer perfekt manikürten Hand die Wange.

„Thankyou so much. Nun schlaf schön, Darling.“
 

Sie stand auf, zog ihre Waffe, richtete sie auf ihn - und hielt inne.
 

Wollte sie nicht ein besserer Mensch werden? Was war aus all ihren Vorsätzen geworden, neu anzufangen?

Mit diesem Leben abzuschließen?
 

Nur einmal noch-
 

Sie zog die Augenbrauen zusammen.

Einen bewusstlosen, wehrlosen Menschen zu erschießen war nicht eben die feine englische Art.
 

Sowas hatte sie noch nie getan. Noch nie.
 

Aber er hat es verdient! Nach allem was er getan hat, hat er es verdient. Er hätte Shinichi fast umgebracht - mehr als einmal, mittlerweile.

Und denk dran, was er mit dir getan hat…
 

Ihr Finger krümmte sich um den Abzug.
 

Tu es. Tu es. Tu es - es ist das Richtige.
 

Er würde das nie tun…

Sie seufzte.
 

Shinichi würde so etwas nie tun. Ganz davon abgesehen, dass er nie jemanden ermorden würde - einen unterlegenen, bewusstlosen Mann erschießen, würde er erst Recht nicht.

Niemals.

Denn das war feige - er hätte sie ja damals einfach fallen lassen können - und auch das hatte er nicht getan.
 

Sie seufzte, verdrehte die Augen.
 

Yukiko, was hat dein Sohn aus mir gemacht? Ich werde weich…
 

Mit großer Mühe schob sie die Waffe wieder ein – nahm ihm seine Krawatte ab, fesselte ihm die Hände, löste am Vorhang die Schnüre, die den schweren anthrazitfarbenen Stoff zurück hielten, fesselte ihm mit einem Band die Beine und verband schließlich mit der anderen Hand- und Fußfesseln. Dann ging sie, zog die Tür hinter sich zu.

Sollte die Polizei mit ihm glücklich werden.
 

Sie war keine Mörderin mehr.
 

Draußen vor der Tür zog sie das Abzeichen aus ihrer Tasche, gab ihm das Signal.
 


 

Er schreckte hoch.

„Okay. Dann bis in fünfzehn Minuten.“
 

Er schluckte - warf auf den immer noch schlafenden Mann in der Ecke einen prüfenden Blick - und drückte den Timer auf seiner Bombe.
 

Es würde ihm nichts passieren - der Sprengsatz würde lediglich die Schalteinheit zerstören. Er wollte ja schließlich keinen umbringen - nur festsetzen. Einsperren…
 

Mit einem letzten Blick durch den Raum verließ Shinichi die Schaltzentrale - und fing an zu rennen. Die Zeit war nicht unbedingt großzügig bemessen...
 

Nachdem er sich dann doch einmal fast verlaufen hätte in den weiten Fluren des Hauptquartiers, hatte er es geschafft. Die letzte Treppe fiel er mehr herunter, als dass er lief - bog um die Ecke und fand sich in der Eingangshalle, traf dort auf Sharon. Sie schaute ihn an - er nickte nur. Doch gerade, als sie das Gebäude verlassen wollten, hörten sie Schreie hinter sich.
 


 


 

Die Stimmung im Hause Kudô war schlagartig besser - man wusste jetzt, wo man ansetzen konnte. Endlich war die Zeit des tatenlosen Herumsitzens vorbei.

„Also - wissen wir, wo er ist… wir können nun Shinichi…?“

Yukikos Stimme bebte. Eri trat neben sie, stellte das Kaffeetablett ab, schluckte.

Sie legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter, wollte sie durch diese Geste etwas beruhigen, ihr Mut zusprechen. Yukiko griff nach ihren Fingern.

„Nun, wir wissen, wo sich der Boss höchstwahrscheinlich aufhält, Yukiko.“, sagte Meguré, versuchte sachlich und nüchtern zu bleiben.

„Aber glaub mir, sobald wir ihn haben, werden wir nicht eher ruhen, bis er uns sagt, wo euer Sohn ist.“

Er nickte grimmig.

„Ich nehme an, die Agenten vom FBI sind schon unterwegs?“

Er wandte sich an Takagi und Sato.

„So ist es, Herr Kommissar.“

„Und die Einsatztruppe?“

„Bereit zum Abmarsch, Herr Kommissar.“

Sato nickte steif.
 

Kogorô stand auf, schaute sich um.

„Ist das nicht toll, Mausebein? Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren…“

Er drehte suchend den Kopf, als er sie nicht auf Anhieb erblickte.

„Mausebein?“
 

Nun wandten alle sich alle im Wohnzimmer Anwesenden um, schauten sich fragend an, fahndeten nach Rans Gesicht.

Es war nirgends zu sehen.
 

„Ran?“

Eri ließ Yukikos Schulter los, drehte sich um die eigene Achse.

Aber ihre Tochter war nicht zu sehen.

„Ran?!“

Langsam kroch Furcht in ihre Stimme. Ihre Fingerspitzen wurden taub.

Sie ahnte, was passiert war.
 

Und langsam dämmerte es auch allen anderen.

Ran hatte das Signal auf dem Laptop gesehen. Sie wusste den Ort.

Und sie stand nicht mehr an der Tür.
 

Sie war losgelaufen, um ihn zu suchen.
 

„NEIN!“

Kogorô wurde bleich.

„RAN!“
 


 


 


 

„Was soll das werden, du Schlampe? Wo ist der Boss?“
 

Chianti rannte ihnen entgegen. Sie waren auf dem Weg nach oben, um die Schlüssel für den Keller zu holen, nachdem sie Gin noch gehört hatten, als er lautstark fluchte, als sie ihre Stimme vernommen hatten.

Korn hatte sie weitergeschickt; Gin musste umgehend befreit werden.

Aber jemand musste diese Verräterin aufhalten. Und das sie eine war, war offensichtlich.
 

Neben ihr stand Kudô.
 

Noch im Laufen zog sie ihre Waffe - Sharon stieß Shinichi gegen die Tür nach draußen. Er stand da, blinzelte sie an.

„Sharon! Du hast nur noch drei Minuten!“
 

Sie lächelte bitter.

„Die reichen mir, cool guy. Geh in Deckung.“

„Aber-…“

Neben ihm pfiff die erste Kugel vorbei. Er duckte sich, bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen.

„Kein ABER! DU GEHST JETZT IN DECKUNG! If anything happens to you, your angel might send me to hell!“
 

Sie drehte sich um, zielte kurz.
 

Shinichi starrte sie an. Sprach sie von Ran?

Was-

Was hatte sie denn damit gemeint?
 

Er schluckte - dann lief er widerwillig hinter das am nächsten parkende Auto, ging in Deckung, zählte leise die Sekunden von 180 abwärts…

179…

Fühlte sich mies, weil er hier in Deckung ging, während sie ihr Leben riskierte.

Aber sie hatte Recht - er wäre nur ein Hindernis. Helfen konnte er ihr nicht, er hatte keine Waffe.

Und er konnte nicht auf Menschen schießen, mit der Absicht, sie zu töten.

Ran unabsichtlich wehgetan zu haben, damals, war schlimm genug für ihn gewesen.
 

Sharon wusste, dass er nicht zum Morden oder Verletzen gemacht war.

Natürlich würde er sein Leben verteidigen, oder Rans - wenn es drauf ankam.

Wenn er musste.

Aber umbringen? Umbringen? Man konnte sein Leben auch retten, ohne ein anderes zu nehmen...

Doch er wusste, Chianti würde nicht ruhen, bevor sie nicht jemand zur ewigen Ruhe bettete.
 

Ein weiterer Schuss zerriss die Stille der Nacht.

170. 169. 168.
 

Leichter Regen setzte ein. Nicht stark, aber stark genug, um die Kälte und Feuchtigkeit unter seine Kleidung kriechen zu lassen…

142. 141. 140. 139. 138.…
 

Er lehnte sich mit dem Rücken gegen das Auto, wandte den Blick nach oben.

123. 122. 121.…
 

Schüsse. Immer und immer wieder.

116. 115. 114.…
 

Über eine Minute war schon vergangen. Wenn sie sich nicht beeilte, dann kam sie nicht mehr raus, bevor der Alarm alles abriegelte.
 

88. 87.…
 

Dann säße sie in der Falle, man würde sie töten. Ihr Verrat war offensichtlich. Und mit ihr wäre der Schlüssel auf ewig verloren.
 

64. 63. 62. 61.
 

Eine Minute noch.
 

Sie musste es schaffen. Sonst wäre alles umsonst gewesen…
 

Die Nacht war pechschwarz, der Himmel wolkenverhangen. Nur selten war eine Lücke in der Wolkendecke, die es dem Mond gestattete, ein paar fahle Lichtstrahlen zur Erde zu schicken.
 

40. 39. 38. 37.…
 

Immer wieder hörte er Schüsse, hörte die beiden Frauen schreien. Schrille Stimmen, die sich überschlugen.

„Bitch!

Gedämpft durch den strömenden Regen trug sich das Wort zu ihm hinüber.

Es war offensichtlich, dass sie sich nie gemocht hatten.
 

16. 15. 14.…

Shinichi biss sich auf die Lippen. Plötzlich war alles so still… das monotone Geräusch der Wassertropfen, die um ihn herum auf die Erde prallten... platschend zerbarsten... wurde plötzlich so laut, angesichts der völligen Abwesenheit irgendeines anderen Geräusches.
 

3. 2. 1-

Er hörte es neben sich keuchen - drehte den Kopf, sah ihn ihre blauen Augen.

Dann krachte es, irgendwo in der Ferne.
 

„Huh.“
 

Sharon ließ sich neben ihm zu Boden sinken. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, strich sich eine nasse Haarsträhne hinters Ohr.

Er fragte sie nicht, ob sie tot war. Er wusste, dass Chianti diese Auseinandersetzung nicht überlebt hatte.
 

Shinichi schluckte.

„Und jetzt?“

„Jetzt machen wir uns aus dem Staub. Den Rest darf die Polizei erledigen; und unsere Freunde vom FBI.“
 

Sie lächelte breit - ihre Zähne blitzten in der im Mondlicht.

Dann stand sie auf, zog ihn hoch.
 


 

Meguré schluckte. Sie saßen im Auto, waren gerade losgefahren - insgesamt waren außer ihm selber und seiner Truppe noch Yusaku, Kogorô und Heiji mitgefahren.

Die anderen hatte man mehr oder weniger überredet, zu Hause zu warten.

Er wollte so wenig Zivilisten dabei haben, wie möglich; die, die er ohnehin schon dabei hatte, waren ihm eigentlich schon zuviel. Aber er hatte sie nicht abhalten können.

Die beiden Väter und den besten Freund.
 

„Das ist lange her, Yusaku, nicht wahr?“, durchbrach er schließlich das langsam immer ungemütlicher werdende Schweigen.

Er warf einen kurzen Blick auf den Mann neben ihm. Er wollte ein Gespräch beginnen, die Anspannung im Wagen ein wenig lösen. Yusaku Kudô offensichtlich aber nicht - der Schriftsteller gab keine Antwort.

Meguré seufzte. Er hatte keine Kinder - aber er glaubte zu wissen, was in Yusaku gerade vorging - und in Môri, der leichenblass neben Heiji auf dem Rücksitz saß.
 

„Ich meine, unser letzter, gemeinsamer Fall ist doch bestimmt schon…“

„Jûzô.“

Mehr sagte er nicht.

Aber Meguré verstand in trotzdem. Und er konnte es ihm nicht verdenken.

Yusaku wandte den Kopf ab und starrte nach draußen, in die Dunkelheit.
 


 


 

Mittlerweile regnete es in Strömen.

„Sharon - willst du nicht endlich anrufen?“

Er seufzte genervt. Mittlerweile war er bis auf die Knochen nass. Seine Kiefer schlugen aufeinander.
 

„Hm?“

„Ich meine, ich hab mir ja wirklich ein gutes Passwort einfallen lassen - aber du solltest trotzdem langsam die Polizei anrufen, findest du nicht?“

„Sofort. Ich will nur noch ein wenig Abstand zum Hauptquartier kriegen.“
 

Mit dem, was dann passierte, hatte er einfach nicht gerechnet - auch wenn er es kommen hätte sehen müssen.

Sie gingen gerade durch eine dunkle Gasse, als sie plötzlich stehen geblieben war.

Er drehte sich um.
 

„Was ist? Rufen wir jetzt an?“

Gedankenverloren lehnte er sich an einen Gartenzaun.

Sie trat näher.
 

„Weißt du…?“

Sie trat noch näher.

Er schaute sie fragend an, wollte gerade nachhaken, was er denn nun wissen sollte, und erstarrte.

Sie drückte ihn mit ihrem Körper gegen den Zaun - ein kaltes Stahlband schloss sich um seine Handgelenke- und ein metallisches Klirren verriet ihm, dass die Kette, die die beiden Ringe der Handschellen zusammenhielt, hinter einer der eisernen Streben des Zauns durchführte.

Er wollte den Mund aufmachen, sie fragen, was das sollte, sie anschreien - als sie ihm auch schon ein Stück Stoff in die Mundhöhle stopfte, ein anderes um seinen Kopf wickelte und zuband, um zu verhindern, dass er es ausspucken konnte.
 

„Tut mir Leid, Shinichi. Aber das musste leider sein… ich werde bei der Polizei anrufen, damit sie dich abholen. Ich kann dich leider nicht persönlich abliefern, denn sowohl dein Deal mit mir als auch der Deal, den ich mit Polizei und FBI geschlossen habe, platzt hiermit. Ich werde ihnen am Telefon sagen, was ich weiß, und wo du bist - und ab jetzt beginnt das Spiel von vorne, silver bullet.“
 

Er funkelte sie zornig an.

„Ach ja. Hätte ich fast vergessen. Die Safekombination ist 451891.“

Als sie seine hochgezogenen Augenbrauen bemerkte, lächelte sie.

„Ja, ich weiß was du denkst. Darauf hättest du auch selber kommen können. Nun, das habt ihr gemeinsam; ihr beide verehrt Conan Doyle. Du den Helden, er den Bösewicht. Moriarty.“

Sie zog den Safeschlüssel aus ihrer Tasche, stopfte ihn ihm in die Jackentasche.

Sie küsste ihn auf die Stirn.

Er starrte sie voll Verachtung an.

„Oh, ich kann mir denken, dass dir das nicht gefällt. Es gefällt mir auch nicht. Aber ich will gegen dich eine faire Chance haben - was beinhaltet, dass du mir etwas Vorsprung geben musst.“

Sie lächelte bitter.

„Bis demnächst, cool guy. Ich werde gleich die Polizei anrufen, damit sie dich finden - sonst erkältest du dich noch, bis dich jemand durch Zufall entdeckt. Ansonsten - auf bald. Catch me, if you can.“

Sie trat einen Schritt zurück, drehte sich um; dann hielt sie inne.
 

„Ach ja… du wolltest wissen, warum ich so geworden bin… nicht wahr?“

Sie schaute ihn nicht an, blieb stehen, wie sie war.
 

Er schaute sie erstaunt an.
 

„Ich wollte Rache. Rache… allerdings erkannte ich erst viel zu spät, dass die, mit deren Hilfe ich mich rächen wollte, die waren, an denen ich mich rächen sollte… deshalb… danke ich dir. Nun werde ich wohl endlich… nach so vielen Jahren… Genugtuung bekommen.“
 

Sie atmete tief ein, wandte ihren Kopf gen Himmel.

„Was die Ursache für meinen Vergeltungswunsch betrifft… so wirst du sie selbst herausfinden müssen. Aber wie ich dich kenne, wirst du die Teile bald beisammen haben, um das Rätsel zu lösen.“
 

Damit verschwand sie in der Dunkelheit der Nacht.
 

Zuerst schaute Shinichi ihr einfach nur nachdenklich hinterher.

Dann wurde ihm seine etwas prekäre Situation wieder bewusst.

Er zog an seinen Fesseln, verdrehte die Augen.
 

Das kann doch nicht wahr sein!
 

Und jetzt - jetzt, in diesem Augenblick gestand er sich die Erkenntnis ein, dass manche Menschen sich wirklich nie änderten.
 

Und er gratulierte sich zu der Entscheidung, ihr trotz ethischer und moralischer Bedenken einen Emitter an den Mantel geklebt zu haben.
 

Allerdings… ihre letzten Worte hatten ihn nachdenklich gestimmt.
 


 


 

„Professor.“

Shiho erhob sich.

„Wir fahren jetzt auch. Ich kann hier nicht sitzen bleiben.“

Die Kinder sprangen auf die Füße.

„Wir kommen mit!“

Shiho verzog das Gesicht.

„Ich glaube, ihr spinnt. Nein, ihr bleibt hier.“

Ihre Stimme klang harsch - nun wurden ihre Züge allerdings wieder etwas sanfter.

„Ich melde mich bei euch, sobald ich etwas weiß, okay?“

„Aber! Aber wir sind die Detective Boys...“

Sie zog die Augenbrauen zusammen, legte ihre Stirn in Falten.

„Ganz Recht. Boys. Kinder. Und Kinder haben bei solchen Dingen einfach nichts zu suchen. Ihr wisst, dass ich Recht habe - und wäre Shinichi hier, dann würde er euch das auch sagen. Es handelt sich hier nicht einfach um die Suche nach einer kleinen Katze oder dem Mörder einer verschwundenen Leiche - das hier ist ein echter Polizeigroßeinsatz. Es wird geschossen werden. Vielleicht sterben Menschen. Das ist nichts für euch - damit würdet ihr nicht klarkommen. Zu sehen, wie jemand erschossen wird…“

Die drei Kinder starrten sie mit ernsten Gesichtern an.

„Ihr wisst, mit mir braucht man nicht anfangen, zu diskutieren. Ich gewinne immer. Ihr bleibt hier.“
 

Kazuha stand auf.

„Aber ich fahre mit. Schließlich ist mein Freund auch da draußen unterwegs.“

Sie klang wild entschlossen.

Shiho seufzte.

„Wenn du meinst.“
 

Dann zog sie den Professor am Ärmel mit sich, gefolgt von Kazuha, und ließ Yukiko und Eri mit Sonoko und den Kindern zurück. Eri seufzte, legte den Kopf in den Nacken. Sie trank die Kanne Kaffee so gut wie im Alleingang aus, denn Sonoko hatte Kaffee abgelehnt und Yukikos Tasse stand immer noch vor ihr auf dem Tisch, wurde langsam aber sicher kalt.
 

„Warum bringt dein Sohn meine Tochter immer in Schwierigkeiten?“
 

Und erst jetzt kam Bewegung in Yukiko.

„Wenn ich dich daran erinnern darf, Eri, war es nicht Shinichi, der sie da hineingezogen hat. Er hat versucht, sie vor allem zu schützen. Es war Ran, die sich Informationen beschafft hat, die er ihr nie gegeben hat, es war Ran, die das Gift besorgt hat, und es war auch Rans alleinige Entscheidung, es zu schlucken. Shinichi hätte ihr das ausgeredet, und das wusste sie auch, denn sonst hätte sie ihn gefragt. Wäre vor der Einnahme zu ihm gekommen. Er liebt sie, Eri. Er hätte nie gewollt, dass sie das Risiko eingeht, sich das antut. Und er hätte ihr das auch verklickert, das darfst du mir glauben. Das wusste sie, und deswegen hat sie es ihm bewusst verschwiegen, ihn extra für den Tag der Filmpremiere anderweitig beschäftigt.

Er hat ihr nichts von der Beschattung der Organisation erzählt. Nichts von seinen Plänen. Ganz am Anfang hatte er ihr nicht mal erzählt, wodurch er geschrumpft wurde, und jahrelang vorher hat er ihr sogar verschwiegen, wer Conan wirklich war. Hör endlich, verdammt noch mal auf, immer ihm die Schuld zu geben. Deine Ran ist eine erwachsene Frau, die für sich selber Entscheidungen trifft. Um waghalsige Dinge anzustellen, braucht sie meinen Sohn schon lange nicht mehr.“
 

Yukiko war weiß vor Wut geworden, wischte sich eine Zornesträne aus den Augen.

„Aber sie liebt ihn, Eri. Sie liebt ihn. Deswegen ist sie gegangen.“

Eri schluckte.

„Entschuldige, Yukiko. Es - es tut mir Leid. Es ist nur… ich…“

„Du hast Angst.“

Die Rechtsanwältin nickte.

„Schreckliche Angst.“

„Die haben wir alle.“

Damit griff die blonde Frau mit zitternden Händen nach ihrer Kaffeetasse und trank sie auf Ex aus. Eri tat es ihr gleich.
 

Sonoko schaute nur von einer zur anderen.
 

In diesem Moment stand Ayumi auf.
 

„Ich will nach Hause. Wir gehen.“

Genta und Mitsuhiko starrten sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte.

„Aber…“

Ayumi drehte sich um.

„Ich geh meine Mama anrufen. Sie soll mich holen.“

Sonoko starrte ihr perplex hinterher; Yukiko und Eri bekamen es gar nicht so wirklich mit.
 

Mitsuhiko und Genta folgten ihrer kleinen Freundin bis vor die Tür.
 

„Sag mal, Ayumi…!“
 

Sie schaute vom einen zum anderen.
 

„Ihr wisst noch, wo der Punkt geblinkt hat, oder?“

„Ja, aber…“

„Dann gehen wir da jetzt hin. Wenn wir hier geblieben wären, hätten wir nie… die hätten uns doch nie suchen lassen…“

Und erst jetzt fiel es den anderen wie Schuppen von den Augen.

„Leute, ihr habt doch nicht geglaubt, ich ruf jetzt meine Mama an?“

Ihr kleines Stimmchen piepste vorwurfsvoll.

Genta und Mitsuhiko zogen es vor, hierzu zu schweigen; sie bedachten sie lediglich mit bewundernden Blicken. Dann räusperte sich der dünne Junge.

„Dann nichts wie los! Klasse Idee, Ayumi!“, rief Mitsuhiko voller Elan.
 

„Dankeschön…!“

Das kleine Mädchen errötete zart. Dann liefen sie los.
 


 


 

„Sie wird zu Fuß schneller sein als wir…“

Takagi seufzte bedrückt. Sato, die am Steuer saß, schaute ihn an.

„Wahrscheinlich hast du Recht…“
 

Sie biss sich auf die Lippen, reichte dann ihr Blaulicht Takagi, der es ohne Umschweife aufs Dach stellte.

Dann drückte sie das Gaspedal voll durch, rauschte mit quietschenden Reifen durch die Nacht.
 


 


 

Im Hauptquartier läutete das Telefon.

Und läutete.

Läutete…
 

Sharon starrte genervt auf ihr Handy.

Doch, die Nummer stimmte. Wo waren die alle?
 

Dann hörte sie Sirenen, verschwand schnell im Schatten hinter einen Baum, als ein Streifenwagen nach dem anderen an ihr vorbeirauschte.
 

Aha…
 

Verwundert sah sie ihnen nach.
 


 


 

Langsam kam er wieder zu sich.

Sein Schädel dröhnte.
 

Er setzte sich auf, sah sich um - und sein erster Gedanke galt Vermouth. Er rappelte sich langsam hoch, bemerkte die Fesseln.

Sie hatte ihn verraten. Diese dreckige Schlampe hatte ihn verraten.

Verraten!
 

Ungeduldig zog und zerrte er daran. Sie hatte es wohl etwas zu eilig gehabt, lieber etwas mehr Zeit auf die Suche nach etwas geeignetem zum Fesseln suchen sollen; der Stoff der Krawatte lies sich etwas dehnen, und so schaffte er es, seine Hände frei zu bekommen. Der Rest war dann ein Kinderspiel.
 

Er fluchte leise, rieb sich die Handgelenke.
 

Ein eiskalter Engel war sie ja schon immer gewesen - aber er hatte gedacht, dass sie eigentlich auf seiner Seite stünde, eben gerade deswegen.

Weil sie so kalt, so abgebrüht war.

Und nun hatte ausgerechnet sie ihn verraten.

Er kniff die Augen zusammen, hob dann die Hand, betastete vorsichtig seinen Kopf, schaute seine dann Finger an. Eingetrocknetes Blut klebte an ihnen.

Sie hatte ganz schön zugeschlagen, diese dreckige Verräterin.
 

Er grinste böse.
 

Aber wenn sie glaubte, dass er das auf sich sitzen ließ, dann hatte sie sich getäuscht. Dafür würde sie noch bezahlen. Bitter bezahlen.
 

Und er auch. Kudô.

Er zweifelte nicht im Mindesten daran, dass er noch lebte. Und nicht im Keller war. Nie gewesen war.

Nein, er lebte noch, lief hier irgendwo noch putzmunter rum.

Aber nicht mehr allzu lange.
 

Dann wankte Cognac zur Tür und fand sie verschlossen.

Gerade fing er an zu fluchen, als ihm etwas kleines, silbrig Glänzendes auf dem Boden auffiel.

Ein Schlüssel.
 

Plötzlich wurde ihm heiß.

Der Schlüssel!
 

Er klopfte gegen seine Brusttasche - sie war leer.

Danach war sie also her gewesen… was hatte sie vor?

Was zur Hölle hatte sie vor?!
 

Dann hob er den Schlüssel auf, ging wieder wankenden Schrittes zurück zur Tür, sperrte auf - und dachte, egal was Vermouth auch immer vorhatte - die Gute wurde alt. Darüber konnte auch ihr junges Aussehen nicht hinwegtäuschen.

Ihm den Schlüssel zu seinem Gefängnis hier zu lassen… wo war sie nur mit ihren Gedanken gewesen. Dann stürmte ihm Korn entgegen.
 

Cognac verdrehte die Augen.

„Lass mich raten. Kudô war nicht im Keller.“

Korn nickte, berichtete mit knappen Worten, was vorgefallen war.
 

Der Boss hörte zu, seine Augen verengten sich.
 

„So habe ich dich doch unterschätzt. Shinichi Kudô…“

Er presste die Kiefer zusammen.
 

„Und worauf wartest du noch? Du weißt, wo die Schlüssel sind, lass sie raus!“
 

Korn nickte, machte sich eilends auf den Weg.

Cognac seinerseits kochte vor Zorn. Dann zog er seine Waffe, machte sich auf den Weg nach unten.

Rote Lichter an allen Ecken zeigten, dass der rote Alarm ausgelöst worden war - die Sirene war wohl schon wieder abgeklungen.
 

Deswegen auch die verschlossene Tür, obwohl der Schlüssel im Raum gewesen war.

Der rote Alarm verriegelte automatisch alle Türen und Fenster - roter Alarm hieß, ein Eindringling war im Haus. Jemand der nicht entkommen durfte. Und da normalerweise immer Leute auf den Gängen waren, konnten diese Mitglieder dann erstens, den ungebetenen Gast, so er sich außerhalb eines Raumes befand, dingfest machen - und den Alarm wieder abstellen.
 

Das würde er jetzt als Erstes tun.

Er brauchte seine Leute - sie mussten ausschwärmen, um Vermouth zu töten. Und ihren Komplizen ebenfalls.
 

In der Schaltzentrale fand er wirklich jemanden - Bacardi. Er lag immer noch am Boden, starrte fassungslos auf die blinkenden Lämpchen.

Cognac starrte ihn an. Dann bückte er sich unwillig, um seinen Untergebenen zu befreien. Der erzählte in knappen Worten, wie er in diese Lage gekommen war und machte sich währenddessen sogleich an den Armaturen zu schaffen.

Cognac lief ungeduldig auf und ab.
 

„Wie sieht es aus?“, knurrte er ungehalten.
 

Hinter ihm betraten Gin und Cognac den Raum. Bacardi wandte sich um, stellte sich gerade hin, deutete eine kurze Verbeugung an.

„Schlecht, Boss. Die halbe Konsole wurde weggesprengt. Ich kann keine der Türen öffnen- nur das Haupttor ist offen, der Alarm scheint nicht gegriffen zu haben, da es beschädigt ist.“

Bacardi tippte auf einen Punkt an einem rußgeschwärzten Bildschirm.

„Und warum könnt ihr nicht über den allgemeinen Regler den Alarm abstellen?“
 

„Jemand hat das Passwort geändert.“

Gins Stimme klang eisig.

„Wir hätten ihn erschießen sollen, als wir die Gelegenheit dazu hatten.“

„Woher weißt du, dass er es war?“
 

Gin nickte in Richtung Bacardi, der immer noch etwas müde über der Tastatur seines Laptops hing, den er an den Zentralrechner angeschlossen hatte.
 

„Das hier…“

Er tippte auf eine Stelle an der Schaltkonsole.

„… ist eindeutig.“

Eingeritzt in das Metall stand da zu lesen:
 

Es gibt nur eine Wahrheit. S. K.
 

Der Boss wurde weiß vor Zorn. Sein bleiches Gesicht spiegelte sich in einem der vielen Monitore, seine Gesichtszüge waren zu einer hässlichen, hasserfüllten Maske erstarrt.

„Dafür wird er bezahlen. So leicht kommt der mir nicht davon.“

Er wandte sich zur Tür.

„Gin, du kommst mit. Bacardi, Korn, ihr macht den Rechner wieder flott, befreit die anderen. Zügig, wenn ich bitten darf!“
 

Damit rauschte er ab, hinter ihm Gin, der mit eiserner Miene seine Waffe aus seinem Umhang zog.
 

Jemand würde heute Nacht sein Leben lassen.
 


 

Jodie schrie auf.

„Hey! Ist das nicht Ran?“

Akai drehte ebenfalls den Kopf.
 

„Ja, ich denke schon. Aber was will sie da? Sie läuft…“

„Direkt zum Hauptquartier. Sie wird mitbekommen haben, wo es ist, und nun will sie ihren Freund retten.“
 

James’ Stimme klang sachlich.

Jodie wurde bleich.

„Wir müssen sie aufhalten!“

„Und wie willst du das anstellen?“

Akai klang gereizt. Seine Partnerin starrte ihn an. Shuichi wurde nur gereizt, wenn er… wenn er Angst vor etwas hatte. Und leider hatte er diesmal Recht damit - sie befanden sich auf einer Straße, einer Schnellstraße, um genau zu sein. Sie fuhren also schnell. Und in der mittleren Fahrspur.
 

Und Ran lief gerade über die Überführung eben dieser Schnellstraße.
 

„Shit!“
 


 


 

Shinichi glaubte, ihm müsse das Herz stehen bleiben, als er sie sah.

Vorne, in der Querstraße, auf direktem Wege zum Hauptquartier der Schwarzen Organisation, lief Ran. Er sah sie nur kurz, aber er war sich sicher.
 

Ihm drehte sich fast der Magen um. Was tat sie hier?
 

Ran!
 

Er zog erneut, panisch an seinen Handfesseln, wollte schreien - doch mehr als erstickte Laute kamen nicht von seinen Lippen.

Er musste sie aufhalten! Sie lief geradewegs in ihr Verderben…

Angst erfasste ihn, durchdrang jede Faser seines Körpers.
 

Würde sie ihnen in die Hände fallen… dann… dann…
 

Er wollte gar nicht daran denken, was dann der Fall sein würde. Er wollte sie nicht verlieren. Er musste sie aufhalten. Unbedingt. Jetzt.
 

Ran! Verdammt noch mal!
 

Er kniff die Augen zusammen, zog und zerrte, stöhnte schmerzerfüllt auf - aber dann war es passiert. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, doch irgendwann hatte er es geschafft.
 

Er hatte eine Hand durch einen Ring gezogen.

Noch im Laufen rieb er sich sein schmerzendes Handgelenk, zerrte sich den Knebel aus dem Mund.
 

„Ran!“
 

Sie war bereits außer Sicht- und Hörweite. Der Verkehr und die Dunkelheit über Tokio taten ihr Übriges.
 

„Du Dummkopf…“

Er keuchte, stolperte, fiel fast hin.

„Bleib doch stehen, verdammt!“
 

Was tu ich nur? Dir darf nichts passieren…
 

Shinichi rannte weiter, so schnell er konnte, lief wie noch nie in seinem Leben.
 

Er musste sie aufhalten.

Sie lief in ihren Tod.

Und das wäre das Schlimmste… das Schlimmste, was passieren könnte.

Wenn sie starb… wegen ihm…
 

Nicht doch… nicht doch, nicht doch, nicht doch… nicht jetzt!

Nicht, wo wir so kurz vorm Ziel sind…

Bitte, ihr darf nichts passieren…
 


 


 

Ran keuchte, als sie angekommen war. Sie stand vor etwas, das aussah wie ein großes Firmengebäude. Es regnete, sie war klatschnass - aber es war nicht die Kälte, die sie zittern ließ. Sie hatte schreckliche Angst.

Entsetzliche Angst.
 

Angst um ihn, Angst vor dem, was in diesem Gebäude war.

Was sollte sie jetzt tun? Sich mal umsehen?
 

Sie nickte vor sich hin, setzte ein entschlossenes Gesicht auf.

Ja, erstmal umsehen. Das war eine gute Idee.
 

Vor dem Eingang schien es zu glitzern. Dann erkannte sie, dass die Scheiben der Autos vor dem Eingang Sprünge hatten, teilweise kaputt, zerbrochen waren. Überall zerstörte Scheiben, Scherben, Splitter. Die ganze Glasfront war zerschossen.
 

Sie blieb stehen.

Was war hier passiert-?
 

Und dann ging drinnen Licht an, zwei Männer wurden sichtbar, eilten nach draußen. Eilten auf sie zu.
 

Hinter ihr quietschten Reifen.
 

„Ran! Komm sofort hierher, Ran!“

Jodies Stimme. Sie klang panisch.

Ran drehte sich um, sah sie aus einem Wagen springen- dahinter erblickte sie Akai, und hinter der aufgeklappten Fahrertür erschien James Black.
 

„Ran, mein hübsches Kind… wenn du weißt, was gut für deine Gesundheit ist, dann bleibst du genau da, wo du bist.“
 

Langsam, ganz langsam drehte sie sich um. Und sah einen schwarzhaarigen Mann, der mit lässig hinter dem Rücken verschränkten Armen auf sie zukam, dann, etwa sechs Meter von ihr entfernt stehen blieb.

Neben ihm stand Gin, der mit seiner Pistole auf sie zielte.
 

Ihr wurde kalt. Sie würde jetzt sterben. Egal ob Shinichi noch lebte oder nicht - sie würde jetzt sterben.

Im Regen

Hmm…

Hallo!
 

Also… nun. Eins hätte ich diesmal wohl vorab zu bemerken...

Obwohl ich hier ein wenig über Sharon fantasiere, möchte ich bitten, diese Stellen als reine Erfindung und Vermutung meinerseits zu betrachten. Ich hab mir, wie wohl viele hier, mal Gedanken über Sharons Motive gemacht… und das kam dabei raus.

Bitte nehmt es nicht allzu ernst, ich liege wahrscheinlich furchtbar daneben- und Gosho wird wohl noch was ganz anderes in petto haben.

Aber ich dachte einfach mal… man kann solche Geschichten nicht immer schreiben, ohne nicht auch mal ein wenig auf ihre möglichen Gründe einzugehen.
 

In diesem Sinne- viel Vergnügen beim Lesen des vor-vor-letzten Kapitels. Und danach kommt der Epilog ^^
 

Und vielen, vielen, viiiiielen Dank für eure Kommentare! Ich kann leider oft nur diese Stelle zum Danke sagen nutzen- aber seid euch versichert, ich freue mich sehr, und jedesmal wieder aufs Neue über eure Meinungen!
 

Liebe Grüße,

eure Leira :)
 

PS: Danke an Vertschl für den Kapiteltitelvorschlag ;)

_________________________________________________________________
 

Shiho und der Professor saßen mit Kazuha im gelben Käfer des Professors und fuhren durch die Nacht. Während Kazuha voller Bangen in den Himmel schaute, den bleigrauen Wolkenbergen zusah, wie sie sich immer weiter auftürmten, die Sterne und den Mond verdeckten und dabei ihre nasse Fracht abluden, kramte die junge Forscherin entnervt im Handschuhfach, warf dessen gesamten Inhalt auf die Rückbank zu Kazuha. Die schenkte, als sie an der Schläfe von einer CD-Hülle getroffen wurde, ihre Aufmerksamkeit der jungen Frau vor ihr.

Ratlos hob sie die Augenbrauen.

„Sag mal, was wird'n das?“
 

Ihre Stimme klang leicht angesäuert; und sie schien nicht die einzige Person im Wagen zu sein, die Shihos Suchaktion vor Fragen stellte.

Auch Agasa schien verwirrt.

„Tja… Ai… äh… Shiho, was suchst du eigentlich?“
 

Die rotblonde, junge Frau antwortete, ohne damit aufzuhören, das Fach zu durchwühlen.

„Die Reserveradarbrille.“

Der Professor zog die Augenbrauen hoch.

„Und warum sollte die hier drin sein? Und wofür brauchst du sie ausgerechnet jetzt?“
 

Shiho hielt kurz inne, warf dem Professor einen langen Blick aus halbmondförmigen Augen an. Agasa rückte unbehaglich ein Stück ab.

„Hör auf mich so anzusehen. Da komm ich mir irgendwie dumm vor…“

Sie verzog ihre Lippen zu einem schmalen Lächeln, suchte weiter.

„Sie sollte hier sein, Professor,“ bequemte sie sich dann doch zu einer Antwort, „weil Shinichi doch mal gemeint hat, es wäre schlauer, sie im Wagen zu haben, als im Haus. So könne man, wo immer man gerade ist, zu zweit das verfolgen, was er durch einen Emitter markiert hat. Und hier ist sie ja…“
 

Sie zog eine Brille hervor, die, wie Kazuha erkannte, der von Conan aufs Haar glich.

„Und ich brauche sie,“ fuhr Shiho fort, „weil ich nicht glaube, dass die kleinen Rotznasen Wort halten. Dafür sind die nicht gemacht.“

Sie schaltete die Brille ein, wartete.

„Sie gehen eigentlich nie ohne ihre Abzeichen außer Haus, also sollten wir gleich wissen, ob sie noch bei den Kudôs sind- nein, sind sie nicht! Ich hab’s doch gewusst!“

Sie verengte ihre Augen verärgert.

„Kinder…!“

Sie beobachtete die drei blinkenden Punkte.

„Professor, ich fürchte…“

„Wir müssen sie aufgabeln.“, vollendete Agasa den Satz.

„Wo sind sie?“, seufzte er, schaute sie an, als er keine Antwort bekam.
 

Shihos Aufmerksamkeit war durch etwas anderes auf sich gezogen worden.
 

Auf dem Radar blinkte ein vierter Punkt.
 


 


 

Sharon Vineyard schaute auf ihr Handy. Jetzt hatte sie es bereits zum fünften Mal versucht, telefonisch die Kriminalpolizei zu erreichen; umsonst.

Es hob immer noch keiner ab. Beunruhigt zog sie die Augenbrauen zusammen.

Waren sie alle unterwegs? Wussten Sie etwa… wo das Hauptquartier lag?

Wenn ja, woher?

Die Richtung, in der der Streifenwagen vorhin gefahren war, hatte gestimmt.
 

Nun… ihr konnte es im Prinzip egal sein. Ärgerlich wurde es für Shinichi, der noch ein wenig länger bei dem Mistwetter ausharren musste.
 

Sie seufzte, strich sich eine nasse Haarsträhne aus den Augen.
 

Shinichi Kudô.

Cool guy.
 

Unbedingt nett war sie ja nicht zu ihm gewesen… zuerst brachte sie ihn fast um, damit er ihr helfen konnte, die Organisation hochgehen zu lassen, und zum Dank… hinterging sie ihn.

Ließ ihn buchstäblich im Regen stehen.
 

Aber sie konnte nicht anders. Sie war so gemacht; schon seit Jahrzehnten hinterging sie… und wurde hintergangen.

Gedankenverloren betrachtete sie den Verkehr.

Ja... heute war der Tag der Abrechnung; und er war erfolgreich gewesen.
 

„Wir können beides sein… Gott und Teufel…“, wisperte sie leise.

Ja, sie wollte Rache.

Rache für dieses Leben, das sie nun führte.
 

Warum bist du so geworden, Sharon?

Sie schluckte, als sie an seine Frage dachte.
 

Warum bist du so geworden?

Ihre Gedanken schweiften ab.

Der Grund, warum sie die Schwarze Organisation so unbedingt zerstören wollte… warum sie so unbedingt Rache wollte…

War… weil sie ihr Leben ruiniert hatte.

Sie war jung gewesen, als sie ihn getroffen hatte… er war gut aussehend, witzig, charmant, einfach unwiderstehlich. Sie hatte… sich in ihn verliebt.
 

Cool guy…
 

Sie war glücklich gewesen mit ihm, ihrem Mann, auch wenn sie stets das Gefühl gehabt hatte, er würde ihr etwas verheimlichen. Damals hatte sie nie aus ihm herausgebracht, was es gewesen war, aber es hatte… mit seinem Beruf zu tun gehabt.
 

Bei dem Gedanken lächelte sie bitter.
 

Sein Beruf, ja…

Beruf. Berufung…
 

Aber sie war glücklich gewesen. Ihre Karriere lief glänzend und sie hatte einen Mann, den sie liebte, und der sie… abgöttisch verehrte. Seinen Engel.

Er nannte sie seinen Engel.
 

Und dann hatte man ihn umgebracht.
 

Etwas, das sie am Boden zerschmettert hatte, ihre Welt ins Wanken gebracht hatte.

Sie war nie… niemals darüber hinweggekommen.
 

Und sie wollte sich rächen. Rächen, an denen, die ihm, die ihr, das angetan hatten. Also begann sie zu suchen… nicht nach den Mördern, denn die hatten keinerlei Spuren hinterlassen. Nein. Nicht eine einzige, und deshalb wusste sie, es hatte keinen Zweck, wenn sie allein suchte…

Also hatte sie etwas anderes finden wollen.

Sie hatte nach Leuten gesucht, mit deren Hilfe sie seine Mörder finden könnte. Leute… die ihr die Mittel und Wege ermöglichten.
 

Und so… so hatte sie die Organisation gefunden. War Mitglied geworden, und damit eine Mörderin.

Und sie war immer noch so jung gewesen; aber ihr Herz war schwarz und verbittert. Ihr Leben scherte sie nichts mehr, die Fassade als Schauspielerin hatte sie nur aufrecht erhalten, weil man es verlangt hatte. Sie war eine gute, nahezu perfekte Tarnung.
 

Und so hatte sie gemordet… unter anderem Jodies Eltern…

Ihr Vater war ihr einfach viel zu nah auf die Spur gekommen.

Und Sherry… hätte aus den gleichen Gründen sterben sollen. Sie kannte ihr Geheimnis, wusste, weshalb sie so jung geblieben war… schließlich hatte sie die Arbeit ihrer Eltern fortgeführt… wenn zunächst wohl auch unwissentlich.

Sherry… ja, sie hatte es schon lange gewusst.

Und sie war nicht die einzige geblieben, die ihren Jungbrunnen entdeckt hatte.

Shinichi wusste es natürlich auch, mittlerweile, er hatte es selbst erfahren müssen, am eigenen Leib. Bei ihm hatte man nicht lange warten zu brauchen, bis er eins und eins zusammengezählt hatte.

Er war hinter alle ihre Geheimnisse gekommen, und sie zweifelte nicht daran, dass er diese letzten dunklen Schatten auch bald noch erhellt haben würde.
 

Sie seufzte leise, zog eine Zigarette aus der Innentasche ihres Mantels, zündete sie an, nahm nervös ein paar Züge.
 

Fakt war… nach Jahren… Jahren, in denen sie ein treues und ergebenes Mitglied geworden war, beliebt, begehrt und geachtet… hatte sie herausgefunden, dass er… ihr cool guy, ihr geliebter Ehemann... auch einer dieser Leute gewesen war. Sie war zufällig über die Akte gestolpert, und es war ein Schlag ins Gesicht gewesen für sie… zu sehen, dass ihr Geliebter ein Mörder gewesen war.

Und dass sie es gewesen waren, die Menschen, für die er gearbeitet hatte, für die sie arbeitete, die ihn getötet hatten.

Da war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen.

Sie hatte… keinesfalls… zufällig diese Leute kennengelernt. Das alles war ein von vorneherein abgekartetes Spiel gewesen.
 

Sie hatte ihre Seele an den Teufel verkauft.

Und unterschrieben hatte sie wohl endgültig, als sie sich zur ewigen Jugend entschloss, Sharon Vineyard ein für alle Mal begraben hatte.
 

Aber in diesem Augenblick hatte sie den Plan gefasst… sie alle ins Verderben zu stürzen, um ihre Rache zu kriegen. Für ihn; und für sich selbst. Was hatte man aus ihr gemacht? Jemanden, der sie nie gewesen war, der sie nie hatte sein wollen…
 

Umso deutlicher hatte er ihr das dann vor Augen geführt; er und seine Freundin, Ran.

Und somit hatte sie ihn zum Silver bullet erklärt, zum neuen cool guy, und er verdiente beide Namen wohl besser als irgendjemand sonst. Und sie…

Angel…

Ja, sie war in der Tat ein Engel.

Eine Unschuldige.
 

Und heute Nacht… hatten sie der schwarzen Bestie die silberne Kugel ins dunkle Herz geschossen.

Sie zog an ihrer Zigarette, ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen, als neben ihr der Tokioter Verkehr vorbeirauschte; diese Stadt schlief nie.
 

Dann stutzte sie, als sie sah, wer da in vollem Galopp auf sie zu rannte.
 


 

Mitsuhiko traute seinen Augen kaum.
 

Die Frau, die da vor ihnen ging, ihnen entgegen kam - das war doch…

Das war doch diese Sharon Vineyard!
 

„Hey!“

Er rief ihr zu, winkte.

„Hey, Sie!“

Genta und Ayumi erkannten sie nun ebenfalls, rannten ihr entgegen. Sie blieb perplex stehen.
 

„Solltet ihr Kinder nicht schon längst im Bett sein? Was zur Hölle macht ihr hier?“
 

„Wir sagen ihnen das bestimmt n…“, setzte Mitsuhiko an.

„Wir suchen Co… äh, Shinichi und Ran. Wir haben gesehen, wo das Hauptquartier ist, und Ran ist einfach losgelaufen und…“, unterbrach ihn Ayumi.

Sharon wurde bleich. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
 

„Woher…?“

„Die Polizei konnte mit der Handynummer das Telefon vom Boss orten. Da haben wir alle gesehen, wo es liegt.“, berichtete Ayumi bereitwillig.

Mitsuhiko strich sich frustriert übers Gesicht.

„Ayumi, warum erzählst du ihr das. Sie ist eine Mörderin.“

„Sie sieht nicht wie eine aus.“

„Aber sie ist eine…!“
 

„Ruhe!“

Die blonde Frau atmete heftig.
 

Das war eine Katastrophe.
 

Traf der Boss auf Ran, war sie tot.

Gut, dass er eingesperrt war. Schließlich hatte sie ihn eingeschlossen, und den Schlüssel…

Sie griff in ihre Manteltasche und erstarrte.

Sie war leer.

Und dann durchfuhr es sie siedendheiß.
 

Natürlich war sie leer. Sie hatte den Schlüssel zur Salontür nie eingesteckt. Das hieß… wenn Cognac es geschafft hatte, sich der Fesseln zu entledigen… und der Schlüssel noch im Raum war…
 

No, no, no…
 

Und selbst wenn der Schlüssel nicht da drin lag… wenn Chianti noch durch die Gegend laufen gekonnt hatte, dann… dann war sie wohl nicht die einzige gewesen… und wer immer noch frei war, würde wohl als erstes den Boss befreien.
 

Sie wurde blass.
 

Und war der Boss frei, würde er in die Schaltzentrale gehen und dort zusehen, dass er den Alarm aufhob, damit die Türen wieder aufgingen. Die Eingangstür war zwar auch verschlossen; allerdings hatte sie durch die Schießerei ziemlich was abgekriegt... unter Umständen hatte man sie auch ohne Alarmaufhebung öffnen können.
 

Sie warf ihre Zigarette heftig auf den Boden, zermalmte sie unter ihren Sohlen.

Das durfte doch einfach nicht wahr sein!
 

Dann durchdrang eine Kinderstimme ihre Gedanken.

„Kommen Sie mit? Helfen Sie uns?“

Genta schaute sie skeptisch an.
 

„Was ist bis jetzt passiert? Was macht die Polizei?“

„Die sind alle losgefahren, um das Hauptquartier zu stürmen. Nur Frau Mori, Frau Kudô und Sonoko sind noch im Haus von Shinichi… wir wollten gerade Ran nachlaufen. Und Shinichi retten.“

Ayumi trat ungeduldig von einem Bein aufs andere.

„Kommen Sie jetzt mit oder nicht?“

Mitsuhikos Stimme verriet sein Misstrauen.
 

Sharon nickte nur, wollte gerade kehrtmachen um zurückzulaufen, als neben ihr ein Auto scharf bremste.

Sie blieb stehen. Die Kinder ebenfalls; ein kollektives Stöhnen drang von ihren Lippen.
 

Aus dem Auto stieg Shiho.

Langsam. Zögernd.

Aber ihre Augen blitzten vor Entschlossenheit.
 

„Du also.“

Shiho trat um den Wagen herum, die Brille immer noch in ihrer Hand.

„Ich, ja. Und so wie’s aussieht, hat er dir genauso wenig getraut wie ich.“

Sie hob die Brille hoch.

„Drei dieser Punkte zeigen die Abzeichen der Kinder hier. Der vierte musst du sein. Und du stimmst mir wohl zu, wenn ich sage, dass wohl nur einer dir den angehängt hat… den Transmitter; du wirst dich kaum selbst markiert haben…“

Shiho lächelte kühl. Ihre Augen starrten die Frau vor ihr an, ohne zu blinzeln.
 

Sharon schaute an sich herab, überlegte.

Wann… wann hätte er ihr einen Transmitter unterjubeln können? Und wo?
 

Dann fiel es ihr ein.

Ruckartig griff sie an den Saum ihres Mantels, tastete ihn ab- und fand, was sie suchte. Den kleinen Knopf. Sie zupfte ihn ab.

Er hatte ihr wohl wirklich nicht geglaubt. Ihr keinen Millimeter weit getraut.
 

„Du… hast Recht…“
 

Sie lächelte bitter.

„Er hat mir wohl nicht vertraut. Nun… Er hatte auch keinen Grund dazu.“

„Nein, den hat wohl keiner.“

Shiho funkelte sie an, verschränkte ihre Arme vor der Brust. Vermouth schaute sie abschätzend an.
 

Kazuha saß im Wagen, schaute die beiden Frauen mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Die mögen sich nich'.“

Der Professor nickte mit den Kopf.

„Nein, die mögen sich in der Tat nicht.“

Kazuha seufzte.

„Aber wir haben jetzt keine Zeit… dass sie sich streiten. Das solln sie ein andres Mal unter sich ausmachen…!“

Damit öffnete sie die Tür.
 

„Wir müssen weiter! Rans Vorsprung wird sonst echt zu groß!“
 

Shiho und Sharon schauten sie an.

„Du hast Recht. Fahr du mit dem Professor und den Kindern. Ich geh mit ihr. Los, einsteigen.“

Sie fixierte die Kinder mit ihren Augen, winkte unwirsch.

„Na los! Wird’s bald! Und glaubt mir, wenn das hier vorbei ist, dann könnt ihr euch warm anziehen.“

Ihre Stimme sank zu einem bedrohlichen Flüstern.

Verärgert beobachtete sie die Kinder, die mit hängenden Köpfen einstiegen. Sie wagten nicht, zu widersprechen.

Sie wussten, es war zwecklos. Sie waren mit ihren eigenen Waffen geschlagen worden.
 

Die rotblonde Forscherin schlug Kazuhas Tür wieder zu und bedeutete Agasa, loszufahren.

Der warf ihr einen letzten, besorgten Blick zu, dann gab er Gas.
 

Shiho und Sharon schauten sich noch einmal kurz an; dann begannen sie zu laufen.

Die junge Frau hatte zwar Angst, mit ihrer größten Feindin durch die Nacht zu rennen; aber sie wusste, dass Sharon nicht wollte, dass Shinichi oder Ran ein Leid zustieß; und solange sie dieser Wunsch verband, würde sie von ihr wohl nichts zu befürchten haben.
 


 

Hinter dem Auto des FBI kam der Wagen von Meguré als erster zum stehen - dann der der Inspektoren Takagi und Sato, es folgten weitere Streifenwagen.
 

Polizisten stürmten heraus, griffen zu ihren Waffen und erstarrten mitten in der Bewegung, als sie das Mädchen auf dem Parkplatz stehen sahen, zitternd vor Angst, weinend - und die zwei Männer, von denen einer kaltblütig seinen Revolver auf sie richtete.
 

„RAN!“

Kogorô fiel fast aus dem Wagen, rannte nach vorne, wurde gerade noch von James und Shuichi zurückgehalten.
 

„Dann sind sie also der Vater dieses hübschen Kindchens hier?“

Cognacs Stimme hallte kalt über den Platz. Kogorô sagte nichts - er merkte nur, wie Yusaku neben ihn trat.

„Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht…?“

Seine Stimme klang leise. Und doch schwang in ihr eine Drohung mit, die keiner der Anwesenden überhören konnte.
 

Der Boss lächelte - dann wurde er ernst, griff unter sein Sakko, zog ebenfalls seine Waffe.

„Yusaku Kudô, ja? Dann stimmt es wirklich? Sie, der berühmte Schriftsteller, sind der Vater dieses missratenen Bastards?“

Yusaku verengte seine Augen zu Schlitzen.

„Was haben Sie mit Shinichi gemacht?“, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen. Nur mühsam konnte er sich beherrschen, sich davor zurückhalten, sich einfach auf diesen Mann zu stürzen. Allein die Tatsache, dass er Rans Leben aufs Spiel setzte damit, ließ ihn bleiben, wo er war.

„Er ist so gut wie tot, das können Sie mir glauben. Aber ich muss sagen, ich hatte meinen Spaß mit ihm; er ist wirklich, wirklich clever, das muss man ihm lassen. Er hätte großes Potential.“
 

Cognacs Stimme klang kalt; Zorn schwang in ihr mit, als er fortfuhr.

„Aber mit mir legt man sich nicht an. Das wird er noch merken, früher oder später.“

„Also lebt er noch?“

„Was bedeutet schon das Leben, im Angesicht des Todes?“

Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Yusakus Atem ging schwer, er merkte, wie in ihm eine Wut hoch kochte, von der er nie geglaubt hatte, dass sie in ihm schlummerte.

Er hasste ihn. Er hasste diesen Menschen wie keinen zweiten auf der Welt.

Abgrundtief.
 

„Aber zuerst schicken wir mal diesen kleinen Engel ins Jenseits.“

Cognac hatte sein süffisantes Grinsen wieder gefunden.

„NEIN!“
 

Kogorô brüllte, machte einen Schritt nach vorn, gestikulierte verzweifelt mit den Händen.

„Lassen Sie sie doch! Sie kann nichts dafür! Sie-…“

„Sie ist diejenige, die er liebt, und deswegen steht sie hier, und deswegen werden wir sie nicht gehen lassen. Ich will ihn leiden sehen, verdammt. Ich will sein Gesicht sehen, wenn er sieht, was wir ihr antun, was sie durchmacht, wegen ihm. Ich will ihn sehen, wenn er begreift, dass seine Welt in Trümmern liegt - und dass er uns den Vorschlaghammer dazu in die Hand gedrückt hat, indem er es wagte, sich mit uns anzulegen. Er hat mich vorgeführt, er, und diese Verräterin. Er lacht über mich. Aber wir werden sehen… wer zuletzt lacht."

Seine Stimme klang kalt wie Eiszapfen, die klirrend zerbrachen, und zeugte davon, dass er sich nur mühsam zurückhielt.

Er straffte die Schultern, löste provozierend langsam die Sicherung seiner Waffe.

"In wenigen Minuten werden meine Mitarbeiter sein neues Passwort geknackt haben, und wissen Sie, was dann passiert? Dann gehen in dem Gebäude hinter mir, wo sich zurzeit noch viele meiner treuen Gefolgsmänner eingesperrt befinden, die Türen auf... und sie werden mir in Scharen zu Hilfe eilen. Wir müssen nur solange noch warten, und wir alle wissen, dass wir das tun werden, nicht wahr?"

Er warf Kogorô einen triumphierenden Blick zu.
 

"Schließlich wird wohl keiner sehen wollen, wie wir dieses hübsche Mädchen hier erschießen. Dann werden wir gehen; mit ihr. Und sollte er bei Ihnen auftauchen, sagen Sie ihm, er soll sich melden… wir warten auf ihn. Solange wird sie leben; und es liegt in seiner Hand, zu verhindern dass sie stirbt. Sollten Sie doch so dumm sein, uns anzugreifen, stirbt sie auf der Stelle; ihn kriegen wir dadurch genauso. Er wird ihr folgen… auf irgendeine Weise in naher Zukunft, ich denke, da stimmen sie mir zu.“
 

Yusaku wurde bleich. Er wusste, dass zutraf, was Cognac sagte. Er müsste sich um Shinichi gar nicht mehr kümmern, wenn er Ran erschoss. Mit derselben Kugel, die Ran tötete, würde er auch seinen Sohn umbringen.
 

Akai richtete seine Waffe auf Cognac.
 

Der dunkelhaarige Mann, der gerade einen Schritt auf Ran zugemacht hatte, hielt inne, lächelte hämisch.

„Ach du… jetzt sehe ich dich erst. Du hast ja auch noch deine Rechnung offen, nicht wahr, Shuichi?... oder sollte ich sagen, Rye, wie in guten, alten Zeiten?“

Seine Stimme klang süß.

"Aber glaub mir, du willst mich nicht erschießen. Denn wenn du mich erschießt, dann erschießt Gin diese Kleine hier jetzt gleich. Waffen fallen lassen, alle - oder sie ist tot.“

Er stand da, die Ruhe selbst.

Er wusste, er hatte sie in der Hand, sie alle.
 

Black und Meguré gaben das Zeichen. Lautes Klappern zeugte davon, dass alle Polizisten und die FBI-Agenten der Aufforderung des Bosses der Schwarzen Organisation Folge leisteten.
 

Der Kommissar war ratlos. Er warf einen Blick zu Black, der ebenso fieberhaft nach einer Lösung zu suchen schien wie er selbst. Alles stand und fiel mit dem Passwort…

Allerdings… stand immer noch eine Frage im Raum, davon abgesehen…
 

Wo ist Shinichi? Er ist nicht hier, offensichtlich, und auch nicht tot… wo ist er dann?
 


 


 

Er war außer Atem, als er ankam. Und doch sah er sie sofort - das Blaulicht der Streifenwagen tauchte den ganzen Gebäudekomplex samt Parkplatz in gespenstisches Licht.

Sie waren die einzigen, die auf weiter Flur standen. Ausgerechnet diese Beiden waren ihnen also entkommen.
 

Cognac. Und Gin.
 

Er sah sie, lange bevor er all die anderen sah - Meguré, Sato, Takagi, den Rest der Polizei, das FBI. Rans Vater und - seinen eigenen. Sie alle waren bereits da. Er schluckte.
 

Aber zwischen Gut und Böse, zwischen Schwarz und Weiß, stand sie.

Stand Ran.

Stand die Unschuld in Personalunion, stand der Mensch, der mit diesem Fall eigentlich gar nichts zu tun hatte.
 

Und er zielte auf sie. Gin zielte auf Ran, zielte auf ihre Brust. Ein dämonisches Grinsen lag auf seinen Zügen, sein ganzes Gesicht war zu einer teuflisch anmutenden Maske erstarrt.

Er wusste, was er tat, wenn er sie erschoss.

Er wusste, dass er ihn zugrunde richten würde damit.

Shinichi zitterte, Panik, schreckliche Angst, machten sich in ihm breit.

Ran so zu sehen, so verängstigt, so ausgeliefert - es ging fast über seinen Verstand. Er merkte, wie sich sein ganzer Körper verkrampfte.

Furcht beherrschte jeden seiner Gedanken, jede Faser seines Körpers - Angst um ihr Leben.

Fieberhaft dachte er nach, bemerkte, wie Wodka und Korn den Parkplatz betraten.
 

Dann schallte Cognacs Stimme über den Platz zu ihm hinüber. Er hatte gerade mit Korn ein paar Worte gewechselt.
 

Was passiert da?
 

„Aber wo ich es mir Recht überlege, denke ich, es wird auch ohnehin schon schlimm genug sein für ihn zu wissen, dass sie seinetwegen sterben musste. Dass sie starb, ohne dass er sich von ihr verabschieden konnte, ohne dass er sich dafür entschuldigen konnte, dass sie so früh schon ihr Leben lassen musste… dass das einzige, das er noch von ihr noch sehen wird, ihr wortwörtlich leichenblasses Gesicht ist.“
 

Er hörte Cognac lachen, hörte Kogorôs verzweifelte Versuche, seine Tochter mit Worten noch frei zu bekommen.

„Lass sie doch! Erschieß mich!“
 

Ran drehte sich kurz um, starrte ihren Vater etwas erschrocken an, dann schluckte sie; drehte sich um und schaute Gin und Cognac abwechselnd ins Gesicht.

Sie hatte Angst. Schreckliche Angst.

So hatte sie sich das hier eigentlich nicht vorgestellt; sie hatte ihn retten wollen, hatte sich... sie wusste auch nicht... sich ins Hauptquartier schleichen wollen und ihn suchen, oder sich dem FBI anschließen, nachdem die Polizei sie bestimmt nie mitgenommen hätte... aber nun stand sie da, als Spielball zwischen zwei Fronten.
 

Sie fürchtete Gin. Sie hatte ihn damals schon gefürchtet, als sie ihm in der Garderobe begegnet war, und da hatte er noch keine Waffe auf sie gerichtet.
 

Jetzt tat er es, und sie war sich sicher, er würde abdrücken.
 

Langsam ging sie einen Schritt auf ihn zu. Sie wusste nicht, warum.

„Was habt ihr mit ihm gemacht?“

Heiji starrte sie erschrocken an.
 

Ran, was tust du?!
 


 

Shinichi dachte fieberhaft nach.

Der Mann war wahnsinnig. Wahnsinnig! Er hatte nur Ran, warum wollte er seine einzige Fluchtmöglichkeit zerstören?
 

Weil es ihm egal ist? Glaubt er, der Rest seiner Truppe kann schnell genug kommen, um ihn zu retten?

Haben sie etwa mein Passwort doch geknackt?
 

Oder… weiß er… dass ich hier bin?
 

Er drehte sich um, schaute den nächsten Laternenpfahl hoch, fand, was er suchte.

Eine Überwachungskamera. Ihre Linse funkelte auf ihn herab.
 

Ich hab aber auch gar kein Glück…
 

Cognac nickte Gin langsam zu. Der Blonde erwiderte das Nicken, setzte erneut an, zielte.

Er würde schießen.

Er würde Ran erschießen, um ihn zu zerstören.
 

Shinichis Herz setzte einen Schlag aus.
 

Nein!
 

Er fing an zu laufen.

Das durfte er nicht zulassen. Das nicht.

Cognac... erpresste ihn. Er musste ihn gar nicht bitten, herauszukommen, er wusste genau, er würde auch so gehen.
 

Und so trat er ins Licht, über seine Lippen kam nur ein Wort.
 

„Nein!“
 


 

Heijis Kopf fuhr herum, als er seine Stimme hörte.

Er sah ihn aus dem Schatten treten, seit langer Zeit ihn selbst... nicht den Grundschüler; nein. Shinichi Kudô, der Oberschüler, der Detektiv... er war zurück; und nun musste er sehen, wie man seine Freundin mit einer Waffe bedrohte. Wie man drohte, sie umzubringen... ihm zu nehmen, wofür er so bitter gekämpft hatte.

Ihm zu nehmen, was... wen... er liebte.

Sie hatten ihn in ihrer Hand.
 

Er würde ohne Zweifel tun, was sie verlangten, um Ran zu retten.

Alles.
 

Das Spiel war hiermit wohl vorbei.

Sie hatten verloren.
 

Heiji schluckte, Schweiß brach ihm aus allen Poren.
 

Das darf nicht wahr sein...
 


 

Sharon und Shiho waren beim Parkplatz angekommen. Außer Atem standen sie da, sahen, dass der schlimmstmögliche Fall eingetreten war.

Gin zielte auf Ran.
 

Das Mädchen stand da, schwach beleuchtet durch die Streifenwagen. Sie hatte die Augen zusammengepresst, man sah die Angst in ihren Zügen.

Sie stand da, steif und bleich wie eine Marmorstatue, ihre Hände zu Fäusten geballt.
 

Sie hörten Cognac lachen, den Befehl zum Abschuss geben.

Sharon und Shiho sahen sich an - dann wandten sie den Kopf.
 

Und sahen ihn rennen.
 

Sharons Gesichtszüge entgleisten.

Gütiger Himmel! Was tust du hier?!
 

Shiho ging in die Knie, unfähig zu irgendeiner Regung, ihre Lippen zu einem lautlosen Schrei geöffnet.
 


 

Cognac wandte den Kopf in die Richtung, aus der er ihn schreien gehört hatte, hob die Hand, um Gin Einhalt zu gebieten.
 

„Schön, schön, schön. So sehen wir uns wieder.“
 

Shinichi warf einen raschen Blick zu Ran, wandte sich dann wieder Cognac zu.

„Lass sie doch gehen… sie hat dir nichts getan.“

Er wollte näher kommen, aber Cognac hob die Hand.

„Bleib wo du bist. Keinen Schritt näher, wenn dir ihr Leben lieb ist.“

Der junge Detektiv schluckte, aber tat, wie ihm geheißen.
 

Die Lippen des Bosses verzogen sich zu einem Lächeln.

„Ich muss sagen, du hältst mich alten Mann ganz schön auf Trab. Allerdings ist nun Schluss damit. Wenn du nicht willst, dass sie vor deinen Augen stirbt, sagst du mir das Passwort. Jetzt gleich.“

Shinichi starrte ihn an. Sah aus dem Augenwinkel, wie Akai seine Waffe langsam wieder aufhob, als er merkte, dass sowohl Gin, als auch Korn, Wodka und der Boss sich auf ihn konzentrierten. Einige der anderen Polizisten taten es ihm gleich.
 

„Das… das Passwort?“

Er versuchte, Zeit zu schinden. Er war sich der Blicke aller Anwesenden nur zu bewusst.

Cognac seufzte theatralisch, lächelte süffisant. Er wusste, er hatte ihn da, wo er ihn haben wollte.

„Ja, jetzt gleich. Außer du willst mit ansehen…“

Er winkte mit seiner mittlerweile entsicherten Waffe Richtung Ran. Sie starrte ihn an, schüttelte den Kopf.

„Sags ihm nicht…“

Shinichi schaute sie an, schüttelte den Kopf.

„Du weißt doch… dass ich das nicht… ich kann doch nicht zusehen...“
 

Er schluckte, hoffte, dass was immer Akai vorhatte, aufging. Er hatte bemerkt, dass der Mann vom FBI ihm immer wieder einen Blick zu warf.
 

Cognac schien allerdings nun langsam die Geduld zu verlieren.

„Sofort! Ich will es jetzt wissen, treib es nicht zu weit, ich warne dich…“
 

Shinichi schluckte, blickte zu Ran.

Er wusste, länger durfte er ihn nicht hinhalten.
 

"Schön."

Cognac nickte ungeduldig.

"Ich warte..."

Shinichi holte Luft.

"Das neue Paswort lautet..."
 

Und dann pfiff ein Schuss durch die Nacht.
 

Shuichi Akai hatte blitzschnell reagiert, als er sah, dass die meisten anderen Polizisten ebenfalls wieder bewaffnet waren - hatte sein Gewehr wieder aufgegriffen, auf Gin gelenkt, und abgedrückt. Seine Kugel hatte getroffen.

Buchstäblich ins Schwarze.

Gin hatte ihn nur angesehen - dann war er umgefallen wie ein gefällter Baum.
 

Cognac fuhr herum, sah seinen treuesten Gefolgsmann tot auf dem Asphalt liegen - hob seine Waffe und lächelte kalt. Sein Finger krümmte sich um den Abzug.

Shinichi erstarrte; dann fing er an zu rennen, ohne nachzudenken.

Er rannte nur.
 

Der Boss zielte nicht auf ihn. Er zielte auf Ran.
 

Sie starrte auf die Waffe, ihre Augen vor Entsetzen geweitet, wusste, dass es jetzt vorbei war… alles aus…
 

Ran wartete vor Angst bebend auf ihr Ende, hörte den Schuss…

Dann wurde sie umgerissen, hörte nur ein leises, ersticktes Keuchen.

Der Schmerz blieb aus.
 

Sie prallte am Boden auf, blieb liegen, die Augen vor Schreck geschlossen.

Der Schock griff mit kalten Fingern nach ihr, sie begann zu zittern.
 

Über ihr schnitten weitere Kugeln durch die Luft, aber Ran hörte sie gar nicht. Schreie hallten durch die Nacht, zerrissen die Stille, so laut, als wollten sie den Krach der Schüsse übertönen…

Jodie und James neben ihm hatten das Feuer auf Cognac, Korn und Wodka eröffnet - allerdings waren sie, im Gegensatz zu ihrem Partner, nicht darauf aus, ihre Beute zu erlegen. Sie wollten sie nur kampfunfähig machen.
 

Und dann -
 

- war plötzlich alles wieder still.
 

Totenstill.
 

Ran keuchte pfeifend, ihr Atem stand in weißen Dampfwolken vor ihrem Gesicht, der Regen prasselte auf sie herab.

Sie drehte sich auf den Bauch, schaute um sich - und sah jemanden auf dem regennassen Asphalt liegen.
 

Jemand, der schwarz angezogen war. Und sie sah, dass sich unter ihm, auf der regennassen Straße, ein dunkler See bildete.
 

Der Kugelhagel hatte aufgehört, also wagte sie es, sich hoch zu rappeln.
 

„Mausebein!“

Kogorôs Stimme war erfreut, voller Erleichterung.
 

Aber Ran hörte es nicht.

Sie wankte zu der Gestalt, die am Boden lag.

Sie wusste, dass es nur einer sein konnte... Aber sie wollte es nicht glauben. Sie wollte nicht dran denken.

Schritt für Schritt kam sie ihm näher.

Eine eiserne, kalte Hand legte sich um ihr Herz, drückte zu, als sie sah, erkannte, wer es war, sich der Wahrheit nicht mehr verschließen konnte.
 

Die Welt brach über ihr zusammen.
 

„NEEEIIIN!!!!“
 

Der Schrei, den sie ausstieß, ließ alle Anwesenden schaudern. Er klang fast nicht mehr menschlich - der Schmerz, der in ihm lag, der sich durch die Luft trug, schien sie alle zu treffen, in ihr Innerstes zu dringen und zu erschüttern. Sie zuckten zusammen, wandten auch jetzt endlich ihre Blicke auf die am Boden liegende Gestalt - in der Dunkelheit hatten die meisten den schwarzen Schatten, der Ran umgerissen hatte, kaum bemerkt, geschweige denn, erkannt. Alle Augen waren auf den Schützen, auf Cognac, gerichtet gewesen.
 

Sie hastete zu ihm, ließ sich auf die regennasse Straße fallen, krabbelte weiter, schürfte sich die Haut dabei auf und ignorierte den Schmerz - griff mit ihren Händen in seine Kleidung, zog sich näher an ihn heran, ihn näher zu sich heran.
 

„Shinichi! Nein! NEIN!“

Sie beugte sich über ihn, nahm sein Gesicht in beide Hände, rief immer wieder seinen Namen.
 

„Shinichi! Shinichi, sag doch was! Bitte! Shinichi…!

Seine Augen waren und blieben geschlossen. Sie zog ihm die Mütze vom Kopf, strich ihm die Haare aus der Stirn.

Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen, vermischten sich mit dem wieder stärker einsetzenden Regen.

Er rührte sich nicht, reagierte nicht auf ihre Stimme, auf ihre Berührung…Er lag nur da, sein Gesicht im Licht der Streifenwagen gespenstisch bläulich.
 

Kogorô rannte näher, schaute dem jungen Mann, der regungslos vor seinen Füßen auf dem Boden lag, bleich vor Entsetzen ins Gesicht.

„Ruf einer einen Krankenwagen! Sofort! SCHNELL!“
 

Jodie Starling zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche, während James Black und Shuichi Akai zu den beiden Männern ins Schwarz rannten. Gin war tot - das war auf den ersten Blick zu erkennen.

James warf Akai einen ernsten Blick zu.

„Gute Reaktion…

Aber… Musstest du…?“

Akai schwieg, starrte kalt auf den toten Mann vor seinen Füßen.

Black seufzte leise - dann nickte er stumm.
 

Daraufhin wurde ihre Aufmerksamkeit auf die anderen niedergeschossenen, aber keinesfalls toten Männer gelenkt. Cognac, Korn, Wodka.
 

Sie zogen sie hoch, legten ihnen Handschellen an, schleiften sie, ohne Rücksicht zu nehmen, zum Wagen. Cognac rappelte sich hoch, um selber zu laufen, versuchte tatsächlich noch, sich zu wehren - ein aussichtsloses Unterfangen, angesichts der zwei FBI-Agenten, die ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkten.
 

Die Polizisten waren mittlerweile herangekommen, hatten mit der Erstürmung des Gebäudes begonnen, um zu verhindern, dass die anderen Mitglieder sich formieren oder flüchten konnten.

Ein paar eskortierten Akai und Black dabei, als sie den Boss der Organisation in einen Streifenwagen zu verfrachten. Als sie an Yusaku vorbeikamen, blieb Cognac stehen. Trotz seiner Situation fing er an zu lächeln.
 

„Na, Kudô… wie fühlt es sich an…?“
 

Cognacs Stimme klang ekelhaft zufrieden.

"Sagte ich nicht, es ist nur eine Frage der Zeit...?"

Akai holte aus, doch er kam nicht dazu, ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Yusaku war ihm entgegengetreten, hatte ihn am Handgelenk fest gehalten - holte nun seinerseits aus, und verpasste Cognac einen Schlag ins Gesicht. Blut rann dem Boss der schwarzen Organisation aus der Nase, sein Gesicht war wutverzerrt.

Yusaku sagte nichts, presste seine Lippen aufeinander, sein Gesicht war weiß vor Zorn.

Akai nickte ihm in stummem Verständnis zu.

Dann stieß er den Mann weiter, drückte ihn runter, in ein Auto, schlug die Tür zu.
 

Heiji war mittlerweile auch herangeeilt, ging in die Knie, als seine Beine unter ihm nachgaben, er kraftlos neben Shinichi zu Boden sackte.

Er starrte ihn an, unter seinem braunen Teint wich im alle Farbe aus dem Gesicht.
 

Nein!
 

Shinichi war bleich wie der Tod, seine leicht geöffneten Lippen schimmerten weiß, blutleer.

Der purpurne See, der in der Dunkelheit der Nacht fast schwarz schien, wurde immer größer.
 

„Du musst durchhalten. Du musst durchhalten. Du darfst nicht… du darfst einfach nicht… du kannst das doch nicht machen…“

Er versuchte seinen Puls zu fühlen, aber fand ihn nicht. Überall war Blut, er konnte auch die Quelle, die Schusswunde, in der Dunkelheit nicht genau ausmachen.

Heiji fing an zu zittern.
 

„Shinichi? Hey, Shinichi… sag doch was - tu doch was… irgendwas… du bist doch nich tot, oder? Du kannst doch nich - das geht doch nich… das ist nich richtig, so…“

Er murmelte sinnloses Zeug vor sich hin, die Hände vor sich in den Asphalt gekrallt, starrte seinem Freund ohne zu blinzeln ins Gesicht. Wasser tropfte ihm aus den Haaren, lief ihm in den Kragen, aber der Regen interessierte ihn nicht.
 

Viele Leichen hatte er schon gesehen - Zeuge vieler grausamer Dinge war er geworden.
 

Aber das überstieg das, was er ertragen konnte, bei weitem.

Er saß da, zu keiner Regung mehr fähig, stand unter Schock.
 

Kudô…
 

Keiner hörte den Wagen, der ankam - wohl aber den entsetzten Schrei einer jungen Frau.

Der Professor und Kazuha waren nun auch am Ort des Geschehens angekommen.
 

Kommissar Meguré sowie die Inspektoren Sato und Takagi waren näher getreten, schauten auf den jungen Mann, der immer noch regungslos auf dem Boden lag, sein Gesicht weiß wie Schnee, seine Kleider schwarz wie die Nacht.

Kazuha sank zu Boden.

„Wie konnte das passieren?“, flüsterte sie leise, schaute hilflos zu den Polizeibeamten auf. Meguré schaute zu ihr hinab, wollte es ihr erklären, aber kein Laut kam über seine Lippen. Seine Augen waren voller Gram. Der Professor war neben ihr stehen geblieben, kniff die Lippen zusammen.

Er hatte vergebens versucht, die Kinder im Wagen zu halten. Sie waren ausgestiegen, standen neben, ihm, Ayumi hatte sich an seine Hand geklammert, vergrub ihr Gesicht in seiner Jacke, zitterte wie Espenlaub.
 

Und sie alle sahen das Mädchen an, das neben Shinichi auf dem Boden kauerte, und sich die Seele aus dem Leib schrie.

Ran sah aus, als ob sie gleich ihren Verstand verlieren würde, weinte, fühlte, wie unter ihr der Boden immer mehr wegzubrechen schien, mit jeder Sekunde, die ohne ein Lebenszeichen von ihm verging, ein Stückchen mehr.

Kogorô wollte ihr eine Hand auf die Schulter legen, sie ein wenig wegziehen von ihm, um ihm vielleicht zu helfen - doch sie schlug sie weg, krallte die andere Hand noch fester in seine Kleidung, schaute ihren Vater nur an - und der Blick in ihren Augen ließ ihn schaudern.
 

Schmerz. Verzweiflung. In einer Intensität, die ihm entsetzliche Angst einjagte.

"Ran..."

Sie hörte auf zu schreien, merkte, wie der Schmerz sie mehr und mehr betäubte, sie handlungsunfähig machte, sie nicht einmal mehr denken ließ. Kogorô schaute sie nur an, presste die Lippen aufeinander.

Diesen Schmerz hatte er in ihren Augen nie sehen wollen.
 

Ihre Lippen bebten. Dann drehte sie sich wieder um, wandte sich wieder ihrem Freund zu.

„Shinichi…“
 

Ihr Freund, der ihr das Leben gerettet hatte.

„Shinichi, wach auf…“
 

Und sein Leben dabei…

„Wach auf…!“
 

Ran vergrub ihre Hände in seinen Haaren, weinte, schluchzte, wie noch nie in ihrem Leben.

„Shinichi, bitte… bbbitte… bitte…!“

Sie beugte sich zu ihm runter, gab ihm einen zarten Kuss auf seine regennassen Lippen.

„Shinichi…! Das ist meine Schuld… alles, alles meine Schuld… wäre ich nicht losgelaufen… hätte ich dich nicht überredet, mit mir ins Tropical Land zu gehen… Shinichi… meine Schuld, meine Schuld…“

Sie schluchzte erneut los.

„Du kannst… ddu k-kk-kannst doch nicht tot sein…“
 

Heiji ließ den Kopf in den Nacken sinken, kippte nach hinten, kam auf dem regennassen Asphalt zu sitzen. Seine Augen brannten.

Himmel…

Das war nicht fair. Das konnte nicht wahr sein.
 


 

Im Schatten eines Autos kauerte sie.

Sharon war ebenfalls am Auto entlang zu Boden gerutscht, starrte zu den anderen rüber.
 

Shiho presste die Faust gegen ihre Lippen - dann stand sie auf, rannte taumelnd näher. Hinter dem Auto hielt sie nichts mehr.
 

Shinichi!
 

Ein paar Schritte entfernt blieb sie stehen.

Sie geriet ins Wanken. Ohnmacht drohte sie zu überwältigen, als sie sein leichenblasses Gesicht sah, das so sehr zu seinen Haaren, seiner Kleidung, der Straße kontrastierte.

Geisterhaftes Weiß neben rabenschwarzer Dunkelheit.
 

Verzweiflung machte sich in ihr breit.

Nicht doch. Nicht er auch noch.

Nach ihren Eltern, nach Akemi… starb nun auch er?

Warum verließen sie alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten?
 

Shinichi…
 

Sharon drückte sich an den Wagen, keuchte, war aschfahl im Gesicht, starrte in den Himmel. Ihr Maskara rann in schwarzen Spuren über ihre Wangen.

Sie hätte ihn nicht allein lassen dürfen.

Sie hatte nicht verdient, noch am Leben zu sein.

Langsam wandte Sharon wieder den Kopf, schaute zu der reglosen Gestalt, dem gefallenen Ritter am Boden... und zu dem Engel daneben, der so unendlich traurig war.
 


 

„Shinichi…“

Rans Stimme klang so zärtlich, so sanft… sie nannte ihn mit soviel Gefühl beim Namen, dass es allen Anwesenden fast den Magen umdrehte.

Das hier war eine Tragödie.

Sie rang nach Luft, ihre Angst, ihre Verzweiflung schnürte ihr die Kehle fast zu.
 

„Ich liebe dich... Du darfst nicht tot sein, hörst du, du darfst mich einfach nicht verlassen… Gib nicht auf... Nicht jetzt… nicht, wo wir so nah dran sind… hörst du? So nah…!“
 

Tränen tropften ihr von der Nase, sie berührte mit ihrer Stirn seine, hielt ihn fast nicht aus - diesen Schmerz.

„Bitte… bitte, wach auf…“

Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, wurde erstickt von ihren Tränen, sie bekam kaum Luft, irgendetwas schnürte sie ihr ab, schien sich wie ein eisernes Band um ihren Brustkorb gelegt zu haben.

„Shinichi... Wach auf! Bitte…!“

Diese Qualen, dieser Schmerz…

„Wach auf, wach auf, wach auf…“
 

Dieser unbeschreibliche Schmerz über seinen Verlust.
 


 

Wach auf, wach auf, wach auf…

Warten

Leute- wir nähern uns dem Ende.
 

Dies ist der vorletzte Streich, doch der letzte folgt- nein, nicht sogleich, sondern nächste Woche. Und dann kommt der Epilog, aber mal unter uns, Leute, der wird wohl seinem Namen kaum gerecht. -.-

Er ist… nun, kurz… und… hätte eigentlich noch ins letzte Kapitel integriert werden können, aber irgendwie hats mir da nicht so gepasst… deswegen hab ich beschlossen, mal für das Textchen diesen Epilog-Button zu verwenden, für irgendwas muss der wohl auch da sein.
 

Aber bis dahin haben wir ja noch zwei Kapitel. Eins, wenn ihr fertig seid.
 

Und nun sehen wir mal, ob Shinichi jetzt die ‚Englein nervt’…
 

Mit freundlichen Grüßen, eure Leira
 

PS: Vielleicht nervt euch dieser Satz mittlerweile, aber… Ich danke, danke, daaaanke euch unendlich für eure Kommentare. Ehrlich, ich freu mich über jeden einzelnen, und ich versuche, anhand eurer Meinung, die Fehler, die ich noch mache, auszumerzen. Ihr helft mir sehr, ich danke euch! Viel Spaß mit der Geschichte wünsche ich!
 

_________________________________________________________________
 

Yusaku stand immer noch da - hielt sich die Hand vor den Mund, wandte sich mit entsetztem Gesichtsausdruck ab. Langsam schwand der Schock. Langsam realisierte er es erst wirklich, was er gerade gesehen hatte und, so gestand er sich ein, Cognacs Bemerkung und seine unbeherrschte Reaktion darauf hatten einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet.

Er war eigentlich nicht der Typ für so was… aber das… hatte ihn kurzzeitig vergessen lassen, wer er eigentlich war.

Er schwankte, war bleich wie der Tod geworden, so bleich wie sein Sohn, der wenige Meter vor ihm auf dem Asphalt lag.

Er merkte, wie seine Knie nachgaben. Meguré hielt ihn fest.

„Yusaku?“
 

Der Schriftsteller reagierte nicht.

Gedanken schossen durch seinen Kopf, Angst und Sorge umnebelten sein Denken.
 

Sollte dieser Film am Ende doch die Zukunft vorhergesagt haben?
 

Er schluckte hart, sah ihn vor seinem inneren Auge ihn immer wieder fallen.
 

Yusaku hatte sein Gesicht nicht gesehen - aber allein dieses plötzliche Zusammensacken eines menschlichen Körpers… der Anblick eines lebenden Menschen, plötzlich aller Kraft beraubt-

Sein Sohn-

Es war so schnell gegangen, alles, so schnell… gerade noch hatten sie verhandelt, als Akai geschossen hatte.

Was dann geschah, hatte sich in Sekundenbruchteilen abgespielt, aber in seinem Kopf lief die Szene immer und immer wieder in Zeitlupe ab, wie ein Film in Endlosschleife.
 

Sein Sohn. Vor seinen Augen niedergeschossen, als er losgelaufen war. Als er einfach… gerannt war, binnen Augenblicken reagiert hatte, als er sah, dass nicht mehr er Cognacs Ziel gewesen war…

Hatte so bereitwillig sein eigenes Leben auf die Waagschale geworfen, um sie zu Rans Gunsten zu beeinflussen, um ihr Leben zu retten.
 

Er drehte seinen Kopf wieder hin, zu der dunklen Gestalt, die reglos – leblos? - auf dem nassen Boden lang.

Sah Ran, die schier verrückt zu werden schien vor Schmerz, sich immer noch über ihn kauerte, schluchzte.
 

Dann riss er sich zusammen. Er kämpfte sich frei aus Megurés Griff, der ihn gehalten hatte, rannte hin, spürte sein Herz schmerzhaft in der Brust schlagen. Er musste zu ihm.

Auch wenn ihm schlecht war. Wenn er entsetzliche Angst hatte.

Er war es ihm schuldig.
 

Der Anblick seines Sohns aus der Nähe brachte ihn fast um den Verstand. Seine Haut war geisterhaft weiß, und der metallische Geruch des Bluts stieg ihm in die Nase.

Und es war so viel... Blut... das er mittlerweile verloren hatte.
 

„Shinichi...“

Seine Stimme versagte fast.

Langsam ließ er sich neben ihn auf den Boden sinken, strich ihm die nassen Haare aus dem Gesicht. Das durfte nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht wahr sein.

Sein Sohn durfte nicht tot sein.
 

„Shinichi…“

Yusaku versuchte, seinen Puls zu finden, doch blieb, wie Heiji erfolglos. Seine Hände zitterten zu sehr… und das kannte er von sich gar nicht.

„Shinichi…! Du hast es mir versprochen, dass du heil aus der Sache rauskommst… erinnerst du dich…?“

Diese Worte kamen zögernd über seine Lippen. Sacht rüttelte er an seiner Schulter.

„Shinichi, hörst du?! Versprochen!
 

Du wirst dein Versprechen doch nicht brechen wollen…
 


 

Ran hatte die Augen geschlossen, versuchte ruhig zu atmen.

Mittlerweile war sie bis auf die Haut durchnässt, aber das merkte sie gar nicht. Der Regen fiel immer noch - Wasser troff aus ihren Haaren, vermischte sich auf ihren Wangen mit ihren Tränen - tropfte ihr von der Nasenspitze, perlte von ihren Lippen.

Sie zitterte, vor Kälte, vor Angst und - vor Schmerz.
 

Das kann nicht sein…
 

Jeder Schluchzer hatte ihren zierlicher Körper erbeben lassen - und doch hatte keiner ihrer Seele Erleichterung oder gar Erlösung gebracht.

Der, den sie liebte, lag vor ihr, reglos.
 

Ran wimmerte leise, schloss die Augen. Sie ertrug seinen Anblick nicht - ertrug nicht den Anblick dieses bleichen Gesichts, diese Stille, die ihn umgab, diese Ruhe... und ertrug auch nicht den metallischen Geruch seines Blutes, der langsam in ihre Nase drang.

Das durfte nicht sein.
 

Er durfte nicht tot sein, das war nicht richtig - das war falsch, ganz und gar falsch…
 

Langsam öffnete sie wieder ihre Augen.

Berührte mit ihren Fingern immer noch seine Haut, unendlich zärtlich, strich ihm immer wieder über die Wange, die Schläfe.

Dachte daran, als sie damals im Park, an Weihnachten… sein Gesicht zum ersten Mal ähnlich berührt hatte…

Der Gedanke macht sie fast wahnsinnig.
 

Sie beugte sich über ihn, lehnte ihre Stirn sacht gegen seine, sackte noch mehr zusammen, lag halb auf ihm.
 

Das darf nicht wahr sein…
 

Leise rannen ihr die Tränen übers Gesicht, lautlos.
 

Es war gespenstisch still. Alle schienen den Atem angehalten zu haben - allein das prasselnde Geräusch, das die niederfallenden Regentropfen beim Aufprall auf dem Parkplatz verursachten, durchdrang die Ruhe-

Es war, als würde die Zeit stillstehen.

Ein Moment wie eingefroren.
 

Tief holte sie Luft, atmete langsam wieder aus.
 

Und dann spürte sie ihn.
 

Einen leisen, kaum wahrnehmbaren Lufthauch. Sie schluckte, hielt die Luft an, wagte nicht, daran zu glauben.

Dann fühlte sie ihn erneut, einen sachten Hauch warmer Luft auf ihrem Gesicht - und er kam nicht von ihr.
 

Sie hob den Kopf.

„Shinichi…?“

Sie flüsterte seinen Namen nur - mehr eine Bewegung ihrer Lippen, als dass tatsächlich ein Laut ihre Kehle verlassen hätte.

Yusaku starrte sie an. Dann wandte er sich seinem Sohn zu, schaute sein Gesicht an, hoffte, hoffte…
 

„Er… er atmet…?“

Sie wagte es kaum auszusprechen.

Yusaku schluckte, dann legte er seinen Kopf schief, hielt sein Ohr über Shinichis Nase.

Es dauerte, und er musste sich konzentrieren, um es zu fühlen, aber - auch er spürte es.
 

„Du… du hast Recht…“
 

Und dann hörten sie es.

Ein kaum hörbares Stöhnen kam über seine Lippen – seine Lider flatterten; dann öffnete er die Augen, kaum mehr als einen schmalen Spalt; gerade soweit, dass von Öffnen überhaupt die Rede sein konnte. Sie beide wandten den Kopf, starrten ihn an. Er blinzelte. Heiji beugte sich nach vorne, schluckte hart.

Ran brach zusammen, ließ ihren Kopf auf seine Brust sinken, krallte ihre Finger in seine Jacke. Kniff die Augen zusammen, als ein lauter Schluchzer sich ihrer Kehle entrang.

Sie konnte es kaum glauben.

Erleichterung durchströmte sie wie eine warme Welle, aber richtig fassen konnte sie es nicht; zu tief saß die Angst noch in ihren Knochen.
 

Langsam, ganz, ganz langsam, hob er seine Hand und nahm ihre Finger in seine. Sie drückte ihre Hand zu, klammerte sich fest.
 

Yusaku schluckte. Dann drückte er Ran langsam, sanft zur Seite, suchte nach der Schusswunde, fand sie, presste seine Hand darauf.

Kurz trafen sich ihre Blicke.

„Du musst durchhalten. Ich warne dich, wenn du mir das antust…“

„Schon gut.“

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, war kaum lauter als das Prasseln der Regentropfen auf dem Asphalt. Yusaku nickte, schluckte hart, strich ihm über die Stirn, damit ihm das Wasser nicht in die Augen lief.

Nie hatte er darüber nachgedacht. Nie hatte es ihm in den Sinn kommen wollen, dass das hier… dass dieser Fall unter Umständen für Shinichi tödlich enden könnte.
 

Und nie hatte er gedacht, dass es ihn so treffen würde.

Er hatte gewusst, es würde schwer zu ertragen sein. Natürlich. Schließlich war er sein Vater, und er liebte seinen Sohn.

Shinichi.

Aber…

Dieser kurze Moment, in dem er geglaubt hatte, dass Shinichi nicht mehr am Leben war, dass sein Sohn tot war, dieser kurze Augenblick, hatte ihn gelehrt, was Schmerz, was seelische Qual, wirklich bedeutete.
 

Heiji seufzte erleichtert auf, ließ sich nach hinten sinken, auf den nassen Asphalt, warf Kazuha, die ein wenig abseits stand und nun langsam näher kam, einen kurzen Blick zu.
 


 

Shinichi starrte nach oben, blinzelte, als ihm ein Regentropfen ins Auge fiel.

Über ihnen riss die Wolkendecke auf, kurz schickte der silberne Mond seine sanften Strahlen zur Erde.
 

Dann verdunkelte sich sein Gesichtsfeld, und ein sehr ernster dreinblickender Kommissar Meguré schaute auf ihn herab.

„Also…“, begann er heiser, räusperte sich dann, um wieder Herr über seine Stimme zu werden, „ich weiß, das klingt jetzt… komisch, und ich will dich auch nicht belästigen, aber…“

„Reichenbachfall. Er, der Moriarty so ähnlich ist... und ihn auch noch verehrt, wie Vermouth sagte… hätte… hätte drauf kommen können, hätte er ein wenig nachgedacht. Aber ich konnt’s mir nicht verkneifen…“

Er lächelte schwach.

„Das ist es doch, das Passwort, das sie haben wollten?“

Meguré nickte schwach.

Er warf ihm noch einen langen Blick zu, drückte Yusakus Schulter, dann ging er.
 

Und erst jetzt realisierten die anderen es auch vollständig, trauten endlich ihren Augen.

Der Professor strich sich die Tränen aus dem Gesicht, zog sich ein völlig durchnässtes Taschentuch aus der Jackentasche, blies sich lautstark die Nase. Dann ging er zu Shiho, half ihr, die immer noch auf dem Boden kauerte, auf.
 

„Kommt der Krankenwagen?“

Meguré versuchte abgeklärt zu klingen, aber seine brüchige Stimme verriet seine Erleichterung.

Jodie nickte nur. Sato griff nach Takagis Hand, drückte sie fest.
 

Ran erhob sich langsam.

„Du bist ein Idiot.“, flüsterte sie.

Dann küsste sie ihn sanft auf die Lippen. Setzte sich hinter ihn, bettete seinen Kopf in ihren Schoß, strich ihm über die Haare.
 

Heiji seufzte unwillkürlich; neben ihm ging Kazuha in die Knie, griff nach seiner Hand.

Shinichi schluckte, wandte seinen Kopf zu Heiji, schaute ihn nur an.

Aber Heiji verstand.

Er nickte, dann hob er seine Hand, mit der er Kazuhas festhielt.

„Na, dann hat es sich wenigstens gelohnt.“
 

Er warf ihm einen bezeichnenden Blick zu, lächelte müde - dann stöhnte er leise auf.
 

Yusaku kniff die Lippen zusammen.

„Hör auf zu reden, Shinichi. Es strengt dich zu sehr an.“

Er zog seine Jacke aus, legte sie vorsichtig über seinen Sohn.
 

Heijis Lächeln fiel ihm von den Lippen. Das schlechte Gewissen überfiel ihn, überwältigte ihn.

Er schluckte schwer. Da lag er, sein bester Freund, verletzt, und der Grund, warum er erst überhaupt in diese lebensgefährliche Situation geraten war, war er. Weil er unbedingt gleich bei Kazuha klar Schiff hatte machen wollen, im Tropical Land.

Als ob das nicht noch bis Abends Zeit gehabt hätte.
 

Wenn er geblieben wäre… dann wäre es vielleicht nie soweit gekommen…
 

Was stattdessen passieren hätte können, interessierte ihn in dem Moment nicht. Dass er es nicht hatte wissen können, was während seiner Abwesenheit passieren würde, interessierte ihn nicht, genauso wenig wie die Frage, ob er es überhaupt hätte verhindern können, wäre er mit ihm und Ran am Fontänenplatz gewesen und nicht mit Kazuha in einer versteckten Gasse zwischen zwei Fahrgeschäften.
 

„Hör zu, Shinichi, ich… es…“

Er verstummte, als er hörte, wie Shinichi tief Luft holte - sah ihm wieder ins Gesicht, merkte, dass Shinichi die Augen geschlossen hatte.
 

… tut mir Leid…
 


 

Als der Krankenwagen abgefahren war, stand sie auf.

Sie hatte ihren Beschluss gefällt.

Die Tatsache, dass er - dass er so bedingungslos bereit war, sein Leben für jemand anderen zu geben… sein Leben, dass er sich so mühsam erkämpft hatte, einfach opfern würde…

Diese Tatsache brachte sie dazu, umzudenken. Zum zweiten Mal in ihrem Leben war er es, der ihr Leben auf den Kopf stellte, ihre Pläne änderte.

Als sie sagte, sie wolle sich ändern, hatte sie zwar nicht gelogen; aber auch nicht ganz die Wahrheit gesagt. Sie wollte eine andere sein, ja; aber sie hatte sich nicht der Polizei stellen wollen. Sie hatte zwar den Deal; aber eine Strafe würde sie nichtsdestotrotz erwarten… und Sharon hing an ihrer Freiheit. Und sie wusste, dass er das geahnt hatte. Nicht umsonst hatte er den Peilsender angebracht.

Und das erschütterte sie.

Niemand vertraute ihr. Keiner glaubte ihren Worten, wenn sie etwas sagte - und das auch noch zu Recht.

Aber diesmal sollte er sich getäuscht haben. Sie hatte vor, aus ihrer Lüge die Wahrheit zu machen.
 

Langsam schritt sie durch den strömenden Regen wie ein Schatten in der Nacht auf sie zu.
 


 

Neben ihr blieb sie stehen, neben ihr, die mit angewidertem Gesicht zu dem Gebäude blickte, das die Brutstätte für so viele Gräueltaten gewesen war. Mittlerweile war es hell erleuchtet - die Tokioter Polizei nahm den Laden gründlichst auseinander.
 

Dann hörte sie jemanden neben sich ruhig atmen - und drehte den Kopf. Starrte sie erstaunt an, als sie erkannte, wer neben ihr stand.
 

„Vermouth?!“

Die blonde Frau rührte sich zuerst nicht. Regen tropfte ihr von der Nasenspitze, über ihr Gesicht liefen schwarze Tränen, als sich die Wimperntusche löste.

Ihre goldenen Haare glänzten fahl im blassen Mondlicht, klebten in ihrem Gesicht.

Dann schob sie ihre Hand unter ihre Jacke, griff nach ihrem Revolver, und hielt in Jodie Starling entgegen.
 

„It is over. You’ve won.“
 

Jodie starrte sie an. Und jetzt, endlich, wandte auch Sharon ihren Blick.

„But…“

Die blonde Frau schüttelte langsam den Kopf.

„Nein. Du brauchst nicht fragen… Ich hab ihn fallen sehen, Jodie. Er wusste, er würde sterben, das wusste er, als er ins Licht trat, aber es hat ihn nicht im Geringsten geschert.”

Sie schluckte.

„Ran ist auch einfach losgelaufen, als sie wusste, wo er war, hat sich auf den Weg gemacht, um ihn zu retten. Dass es für sie ein wenig… unglücklich gelaufen ist, als sie ausgerechnet den beiden gefährlichsten Männern der Organisation vor die Flinten lief, tut nichts zur Sache; denn es war meine Schuld. Es war meine Schuld, dass er und Ran überhaupt erst in diese Situation gekommen sind. Ich hab ihn reingelegt, an einen Zaun gefesselt und geknebelt. Ich wollte eine Chance haben, eine reelle Chance, ihm zu entkommen. Du musst doch auch festgestellt haben, dass er wirklich außerordentlich intelligent ist, er steckt euch, mit Verlaub, alle in die Tasche, und zwar spielend. Ich hab ihm den Schlüssel zum Safe, zum Archiv der Taten der Schwarzen Organisation gegeben, ich wollte ihm all die Beweise überlassen, die er brauchte, um der Organisation endgültig den Garaus zu machen - und wollte davon kommen, ungeschoren und frei. Dann sah ich die Polizeiautos, und als keiner im Hauptquartier meinen Anrufen antwortete, dachte ich mir, dass irgendetwas passiert sein musste. Dann traf ich auf die Kids, auf Sher… Shiho und den alten Professor. Ich kehrte um, kam hier an… als er sich stellte, als Cognac geschossen hat - ich hab ihn fallen sehen. Sah, wie sein Körper den Boden berührte, reglos.“
 

Sie starrte auf das Gebäude, in dem nach und nach alle Lichter angingen. Jodie folgte ihrem Blick.

Vermouths Stimme war leise, als sie weiter sprach.
 

„Er… er muss sie gesehen haben, als sie in ihr Verderben rannte, sie muss an ihm vorbeigekommen sein, aber er konnte aber nicht mir Rufen auf sich aufmerksam machen. Also wird er ihr nachgelaufen sein, als er es geschafft hatte, sich zu befreien. Wenn er gestorben wäre, oder, wenn er noch stirbt - dann ist das meine Schuld. Dass es soweit kam, ist meine Schuld. Ich hab ihm versprochen, mich zu ändern, ein besserer Mensch zu werden, aber ich wollte nicht gleich damit beginnen. Wollte es auf später verschieben. Nun. Ich habe meine Meinung geändert. Ich will doch jetzt sofort damit beginnen. Ich ergebe mich.”
 

Sie hielt ihr ihre Waffe noch entschlossener hin.

„I surrender.“
 

Jodie nickte, nahm ihr die Waffe ab. Dann zog sie ein Paar Handschellen aus ihrer Jackentasche, fesselte Sharon Vineyard die Hände auf den Rücken und ging mit ihr zum Wagen.
 

Ran sah sie im Auto verschwinden, als sie zu ihrem Vater, der mit Megurès Wagen ins Krankenhaus fuhr, ins Auto stieg, biss sich auf die Lippen. Das war sie also… die Frau, einst so strahlend… ihr Idol. Nun war sie eine reuige Mörderin.
 

Immerhin… hatte sie ihre Verfehlungen eingesehen… und dennoch fragte sie sich, was diese Frau, die sie so bewundert hatte… zu so einem Menschen hatte werden lassen.
 

Sharon…
 

Dann zog sie die Tür, zu und der Wagen setzte sich in Bewegung, brauste dem Krankenwagen hinterher.
 


 

Shiho sah hinunter auf die drei Kinder.
 

„Was zur Hölle macht ihr hier?!“

Die drei schauten schuldbewusst auf den Boden. Die anfängliche Erleichterung, als sie gesehen hatten, dass ihr erstes Ehrenmitglied noch am Leben war, verflog Angesichts des ungezügelten Zorns ihres zweiten Ehrenmitglieds.

„Ihr hättet nie aussteigen dürfen!“

Sie war völlig außer sich.

„Wie viel habt ihr gesehen…?“

Hauchte sie dann leise. Ein schneller Blick in die Richtung, in die der Krankenwagen verschwunden war, ließ keinen Zweifel, auf was sich ihre Frage bezog.

„Nichts.“

Shiho schaute sie an.

„Und dass soll ich…?“

„Sie haben nichts gesehen.“

Agasa warf ihr einen beruhigenden Blick zu.

„Ich und Kazuha haben… ihnen die Sicht versperrt. Und sie wollten auch gar nicht sehen, glaub mir.“

Shiho schaute von einem zum anderen. Ayumis Augen schwammen immer noch in Tränen. Sie beugte sich zu ihr runter, umarmte sie sanft.

„Mach dir keine Sorgen.“

Die Kleine schniefte, ließ sich von ihr hochheben und in den Wagen setzen.

„Einsteigen.“, forderte sie dann, von den beiden anderen, kniff die Lippen zusammen.
 

Das ist… das ist einfach nichts für Kinder.
 


 

Yukiko schreckte auf, als ihr Gatte das Wohnzimmer betrat. Sie war, genau wie Sonoko, die allein auf der großen Couch lag, vor Erschöpfung eingenickt. Eri erschien in der Tür zur Küche - sie hatte mit dem Abwasch begonnen, hatte sich beschäftigen müssen. Von ihren Händen tropfte Spülschaum.
 

Als sie ihn sah, fuhr Yukiko hoch, stieß einen entsetzten Schrei aus - Yusaku bot auch in der Tat einen wahrlich entsetzlichen Anblick.

Er war tropfnass, seine Kleidung klebte an seinem Körper, seine Haare hingen ihm wirr ins kalkweiße Gesicht. Aber das war es noch nicht, was sie so erschreckte.
 

An seinen Händen klebte Blut.
 

„Yusaku?“

Ihre Lippen bebten.

„Yusaku?!“

Sie packte ihn am Kragen, merkte, wie es in ihren Augen zu brennen begann.

„Yusaku, bist du verletzt? Ist das dein Blut?“

Er schaute sie nur an. Sie blickte in seinen Augen, und sah die nackte Angst. Pures Entsetzen. Ganz gewichen war der Schock immer noch nicht, hatte sich zurückgemeldet, als man seinen bewusstlosen Sohn in den OP gerollt hatte.
 

„Yusaku? Wo - was… Habt ihr ihn gefunden, was ist… Was ist mit Shinichi? Und Ran?“

Sein Kopf sank auf ihre Schulter.

Sie vergrub ihre Hand in seinem Hinterkopf, legte ihren anderen Arm um ihn.

Sie fürchtete sich. Sie hatte ihren Mann in all den Jahren, in denen sie nun schon verheiratet waren, noch nie so fertig gesehen. Noch nie so am Ende. So bestürzt.
 

Minuten vergingen, in denen sie ihn festhielt - versuchte, nachzuvollziehen, was ihn so derart aus der Fassung gebracht haben konnte.

Sie kam zu einem Schluss.
 

Irgendetwas… irgendetwas war mir ihrem Sohn. Irgendetwas war mit Shinichi.

Langsam beugte sie sich nach hinten, lehnte ihre Stirn an seine, stützte seinen Kopf mit ihrem, schaute ihn nur an.
 

Und endlich sprach er.

„Er ist im Krankenhaus. Mir fehlt nichts.“

Sie hielt den Atem an. Sonoko, die durch ihren Schrei wach geworden waren, schaute das Ehepaar Kudô mit bangem Gesicht an.

Eri umklammerte mit beiden Händen einen Teller, so dass ihre Handknöchel weiß unter ihrer Haut hervorstachen.
 

„Das ist sein Blut, Yukiko. Ich hab gesehen, wie man auf ihn geschossen hat…“

Sie krallte ihre Hand unwillkürlich in seine Haare, packte mit der anderen sein Hemd. Sie wollte fragen, wie es dazu hatte kommen können - aber er fuhr fort, ehe sie den Mund aufmachen konnte.
 

„Er hat sich vor Ran geworfen, als er sie erschießen wollte. Der Boss der Organisation wollte sie erschießen, er hat - hat abgedrückt – Yukiko - und er hat… er hat…“
 

Es klirrte, als der Teller am Boden zerbarst, nachdem Eri ihn hatte fallen lassen. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen aufgerissen, ihr Blick starr. Sonoko fuhr hoch.
 

„Und wie geht es ihm jetzt? Und Ran?“

Eris Stimme lenkte die Aufmerksamkeit aller auf sich.

Yusaku löste sich von Yukiko.

„Er wird gerade operiert. Er war vorhin kurz wach… Ran - Ran ist unverletzt, aber ihr könnt euch wohl vorstellen, wie sie sich fühlt…“

Er lächelte hilflos. Yukiko drückte seine Hand.

Er schluckte, als er nun sprach, klang seine Stimme leise.

„Ich wollte mich nur schnell umziehen, dich holen, zurückfahren…“

Seine Frau nickte.
 

„Dann mach das. Und wenn du fertig bist, fahren wir alle.“
 


 


 

Als sie ankamen, war der Status Quo immer noch derselbe wie zu dem Zeitpunkt, als er das Krankenhaus verlassen hatte.
 

Ran saß mit Kogorô auf einer Bank, ihre Hände in ihrem Schoß gefaltet, starr.

Auf der anderen Seite saß Kazuha - Heiji tigerte unablässig den Gang auf und ab.
 

Shiho und der Professor standen auf, als die Kudôs, Sonoko sowie Jodie und die Kinder kamen. Shiho war immer noch wütend, beherrschte sich nur mit Mühe.

Sie machte sich Sorgen um die Kinder, nie hatte sie gewollt, dass sie das sahen… so etwas erleben mussten.

„Wir gehen jetzt.“

Sie zischte die Worte fast.

„Aber…“

„Wie konntet ihr nur! Wisst ihr, was da hätte passieren können? Einfach loszlaufen, mit Sharon zu reden, und dann auch noch aus dem Auto zu steigen, am Ort einer Schießerei, seid ihr denn wahnsinnig...!“

„Aber…“

„Wegen uns hat Sharon sich gestellt!“, meinte Mitsuhiko.

„Wegen uns ist sie noch mal zurückgegangen!“

„Nein. Sharon hat sich bestimmt nicht wegen euch gestellt. Wenn, dann wegen Shinichi, Ran oder Jodie. Aber nicht wegen euch. Und jetzt fahren wir nach Hause. Oder...? Professor?!“

Der nickte nur, wagte es nicht, der aufgebrachten jungen Frau zu widersprechen.

Sie redete immer noch leise mehr zu sich selbst als zu den Kindern. Er sah ihr an, wie groß ihre Angst tatsächlich war. Auf eine besondere Art und Weise waren die Kinder ihre Freunde, und sie fühlte sich für sie verantwortlich; in jeglicher Hinsicht. Und sie hatte ihnen diese Erlebnisse um jeden Preis ersparen wollen. Sie war auf sich genauso wütend, wenn nicht noch viel wütender, als auf die Detective Boys.

Und sie wollte sie wenigstens jetzt beschützen… mit ihnen nach Hause fahren… wo sie nicht mitbekommen würden, nicht direkt hören würden… wenn der Arzt mit einer schlechten Nachricht aus dem OP kam.

Sollte das der Fall sein, wollte sie sicher gehen, dass sie diese Nachricht so schonend wie nur irgend möglich erfahren sollten.
 

„Wie konntet ihr nur, ich bin enttäuscht von euch… ihr hättet bei den Kudôs bleiben sollen! Und dann steigt ihr auch noch aus dem Auto aus! Ihr könntet tot sein!“

Shiho zitterte vor Wut. Dann sah sie Ayumis bleiches Gesicht, deren Augen starr auf die Tür zum Operationssaal gerichtet waren. Langsam wanderte der Blick des kleinen Mädchens zu Ran.... dan ging sie los. Shiho, der Professor und die anderen zwei schauten ihr perplex hinterher.
 

Ayumi hatte Ran erreicht, schaute auf, nahm eine ihrer Hände in ihre Finger.

Sie schniefte.

Ran schaute auf; sah in das junge, kleine Gesicht des Mädchens.

Dann streichelte sie ihr über den Kopf.
 

„Mach dir keine Sorgen, Ayumi. Er schafft das schon. Geh nach Hause, ich melde mich, wenn ich etwas weiß.“, flüsterte sie sanft.

Sie lächelte, und fragte sich, woher sie die Überzeugung in ihrer Stimme nahm.

Ayumi nickte, sichtlich beruhigt, ließ ihre Finger wieder los, ging zurück zu Shiho, griff nach deren Hand.

Die blonde junge Frau warf ihrer neuen Freundin einen kurzen Blick zu.
 

Du bist wie er.
 

Ran lehnte sich zurück, starrte in die Deckenlampe, bis sich das Nachbild zeigte, blinzelte heftig, und dachte doch nur an ihn.
 

Halt durch...
 

Ich bin bei dir…
 


 


 

Shuichi Akai und James Black traten leise neben Jodie, die am Brückengeländer lehnte, sich den Sonnenaufgang anschaute.

Hinter ihnen lag das Krankenhaus.

Sie waren, nachdem sie Sharon, Cognac und den Rest der Truppe ins Gefängnis begleitet hatten, ins Krankenhaus gefahren. Die Polizei machte immer noch Festnahmen, wartete auf den Schlüssel, der noch in der Tasche seiner Jacke befand. Die Adresse des Gebäudes, in dem der Safe untergebracht war sowie die Kombination hatte ihnen Sharon noch im Auto verraten.
 

Ein paar Meter weg von ihr stand Satos roter Wagen. Sie wartete auf Takagi, der mit Black und Akai ins Krankenhaus gegangen war, um den Schlüssel zu holen.

Er machte die Tür auf, ließ sich laut seufzend auf den Beifahrersitz fallen, und knallte die Tür hinter sich zu.

Er sah unzufrieden aus.

Sie schaute ihn an.

„Was hast du? Wie geht es ihm?“

Er zog den Schlüssel aus seiner Jacke, legte in sichtbar in die Mittelkonsole des Autos.
 

„Weiß man noch nicht genau. Kritisch, auf alle Fälle… er hat recht viel Blut verloren in der kurzen Zeit. Die Kugel ging durch. Wurde von einer Rippe abgelenkt, muss wohl in den Boden geprallt sein.“
 

Er schluckte. Dann sah er sie an.
 

„Miwa… er war Conan. Er war es die ganze Zeit. Die ganze Zeit. Wir nennen uns Polizisten, doch glauben wir nur was wir sehen. Wie konnten wir…“

„Wataru. Genau das ist es. Wie konnten wir es wissen? Wie konnten wir ahnen, dass so etwas existiert - ich meine… wir fühlten wohl beide, dass er nicht das ist, was er vorzugeben schien. Aber wer denkt schon daran, dass er ein geschrumpfter Oberschüler war? Dass es Substanzen gibt, die einen Menschen ins Kindesalter zurückwerfen können…?“
 

„Ich.“

Er sah erschüttert aus.

„Ha?“

Ihre Augen waren aufgerissen.

„Wie bitte?“
 

„Ich hab ihn mal gefragt, wer er wirklich ist. Damals im Tokiotower. Ich hab irgendwie geahnt, dass er kein kleiner Junge sein kann - er war zu erwachsen dafür. Nicht frühreif - nein, erwachsen. Er hat da oben gelegen, diese Bombe entschärft, während ich unten in der Kabine die Hosen voll hatte, ganz ehrlich. Das war kein kindlicher Leichtsinn, nicht der naive Glaube eines Grundschülers, dass alles noch gut wird. Shinichi wusste, was er tat. Er war voll konzentriert. Er hatte sich im Griff. Das hatte er immer. Ich weiß, du kanntest ihn nicht wirklich - aber ich hatte doch das eine oder andere Mal mit ihm zu tun. Und ich sage dir - genauso war er. Und genau der Gedanke kam mir auch im Fahrstuhl.“
 

Er biss sich auf die Lippen.

„Ich war schon soweit, zu glauben, dass es seltsame Dinge gibt auf der Welt. Aber ich hab mich wieder von ihm täuschen lassen. Er hat mir gezeigt, was ich gesehen habe - einen kleinen Jungen. Warum sollte er etwas anderes sein, als das, wonach er aussah? Ich hab mich reinlegen lassen…“
 

Wataru schaute aus dem Fenster, hinauf zum Klinikum.

„Ich hab mich täuschen lassen. Nur meinen Augen geglaubt, nicht dem, was mein Gefühl mir sagte. Und ich hab nicht gewagt, ihn noch mal zu fragen…“
 

Miwako Sato schaute ihn fragend an.

„Ihn was noch mal zu fragen?“
 

„Damals im Tokiotower, als wir beschlossen hatten, zu warten, bis die Nachricht kommt- da hab ich ihn gefragt. Wer er wirklich ist. Er meinte, er würde es mir sagen. Im Jenseits. Der Haken an der Sache war…“

„… da kamt ihr nie an.“

Sato seufzte. Zum Glück.
 

„Ja. Und ich hab ihn danach nie mehr gefragt. Warum nicht?“

Sie griff nach seiner Hand, drückte sie kurz, dann ließ sie den Wagen an.

„Das spielt jetzt auch keine Rolle mehr, Wataru. Mach dir nicht zu viele Gedanken.“

Sie sah ihn an, lächelte.

Dann beugte sie sich nach vorn, streifte sacht mit ihren Lippen die seinen - wandte sich mit hochrotem Kopf dann der Straße zu und gab aus dem Stand Vollgas, dass die Reifen quietschten und qualmten, dafür sorgten, dass eine ansehnliche Gummispur auf dem Asphalt zurückblieb.
 


 

Jodie drehte sich um, genauso wie Shuichi und James.

„Tja.“

Der Rauch wallte noch vom nassen Asphalt, wo der rote Sportwagen gerade abgerauscht war wie ein gut geölter Blitz.

Mehr sagte James nicht, dann lehnte er sich neben Jodie ans Geländer.

„Kommt er durch?“, wisperte sie leise.

„Wird er es schaffen?“

„Natürlich.“
 

James lächelte- seine Bartspitzen hoben sich nach oben, als er fasziniert auf die funkelnden Sterne auf der Wasseroberfläche blickte, die die aufgehende Sonne auf den Fluss Teimuzu streute.
 

„Woher willst du das wissen? Wie kannst du dir so sicher sein? Du hast den Arzt gehört, er wird noch operiert-…“, fing nun Akai an. Seine Stimme war leise und klang bitterernst.
 

„Weil Mr. Sherlock Holmes nicht durch die Hand seines Erzfeinds starb.“

James Black nickte bestimmt.

„Er starb nicht durch seinen Erzfeind. Und genauso wird auch er nicht sterben.“

Akai schüttelte den Kopf; allerdings hatte sich auf seine Lippen ein leises Lächeln geschlichen.

Dann drehte er sich um, ging wieder zurück ins Krankenhaus.
 


 

Yukiko saß still auf einem Stuhl, ihre Hände in ihrem Schoß klammerten sich an eine mittlerweile kalt gewordene Tasse Kaffee aus der Kantine, die ihr Yusaku gebracht hatte.

Er selber stand vor der Tür des OP-Saals.

Seit drei Stunden.
 

Er stand da, rührte sich nicht, bewegte sich nicht, drehte sich nicht einmal um.
 

Dann erlosch die rote Anzeige über der Tür - Heiji, der seine Wanderschaft den Gang rauf und runter während all der Zeit nicht einmal unterbrochen hatte, blieb stehen.
 

Als die Tür aufging, standen alle auf - Ran mit sehr wackeligen Beinen, musste von ihrem Vater am Arm festgehalten werden.

Dann trat der Arzt heraus, zog sich den Mundschutz vom Gesicht.
 

„Sind Sie der Vater?“

Der Mann im grünen OP-Kittel wandte sich an Yusaku.

Der Schriftsteller nickte starr, merkte, dass seine Frau neben ihn trat, ihre Hand in seine schob.

Spürte, dass sie eiskalt und schweißnass war - genauso wie seine.

„Ich bin seine Mutter. Wie… wie…?“
 

Mehr brachte sie nicht heraus.
 

„Es sah schlimm aus - er hatte viel Blut verloren. Aber er kam zum Glück noch rechtzeitig her - er wird es wohl schaffen.“
 

Ran brach in Tränen aus, schloss die Augen kurz, atmete tief durch.
 


 

Wir haben es geschafft...

Der Beweis zur Theorie

Seid gegrüßt, seid gegrüßt!
 

Nun… das hier ist also das letzte Kapitel dieser Fic; nächste Woche folgt, wie versprochen, der Epilog.

Also erwartet noch nicht zuviel hiervon, besonders spannend ist es nicht (aber das soll ein Ende auch nicht sein, oder?); die Beantwortung der einen oder anderen Frage, kommt, wie ich hoffe, im Epi; dafür isser ja da :D
 

Also wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen des sanften Ausplätscherns dieser Fic…
 

Liebe Grüße, eure Leira :D
 

PS: Danke für die Kommentare zum letzten Kapitel!!! *verneig*

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Er wachte auf, weil ihn etwas blendete.

Es schimmerte rot durch seine geschlossenen Augenlieder- also musste da draußen eine sehr helle Lichtquelle sein.
 

Genauer gesagt eine Lichtquelle, die mit 3,846 × 10 hoch 26 Watt die Erde erhellte - die Sonne schien durchs Fenster.

Keine einzige Regenwolke war mehr am Himmel.
 

Shinichi schluckte, blinzelte müde, rieb sich dann mit einer Hand den Schlaf aus den Augen und stellte erst jetzt fest, wo er eigentlich war - in einem Krankenhaus.

Genauer gesagt, in einem Bett in einem Zimmer in einem Krankenhaus.
 

Nicht mehr auf regennassem, kaltem Asphalt.

Man hatte ihn also ins Krankenhaus gebracht, nachdem er erneut das Bewusstsein verloren hatte.
 

Und auf dem Bett lag Ran, ihren Kopf in auf ihre Arme gebettet, das Gesicht ihm abgewandt.
 

Ich glaube, ich hab ein Déjà-vu…
 

Er schluckte, dann stemmte er sich langsam an den Ellenbogen hoch, ignorierte den Schmerz, der in seiner Seite zu pochen begann.
 

Damals… nachdem er in dieser Höhle angeschossen worden war und Ran ihm Blut gespendet hatte… als er glaubte, seine Tarnung wäre endgültig aufgeflogen… damals war sie genauso wie heute auf seinem Bett gelegen. War, während sie über seinen Schlaf gewacht hatte, genauso eingeschlafen wie dieses Mal.
 

Dann ging die Tür auf und hier endete sein Déjà-vu; denn anstelle von Kogorô betrat sein eigener Vater das Zimmer.
 

„Mein Gott, du bist wach.“

Yusakus Gesichtszüge entgleisten, anstelle von angespannter Aufmerksamkeit machte sich ein Ausdruck großer Erleichterung auf seinem Antlitz breit.
 

„Sohnemann tut’s auch.“, murmelte Shinichi leise, lächelte müde.

Yusaku stutzte - dann grinste er.

Langsam trat er näher, richtete die Decke, die man über Ran gelegt hatte, zurecht, zog sich einen Stuhl heran und schaute ihn an, seinen Sohn.

Er war immer noch ziemlich blass um die Nase. Er sah müde aus, auch wenn er versuchte, nicht allzu erschöpft zu wirken, versuchte, sich zu konzentrieren. Es war einfach eine Tatsache, dass er beinahe gestorben wäre...
 

Lange Zeit schwiegen beide.

Schließlich war es der Yusaku, der die Stille zerstörte, das Schweigen durchbrach.
 

„Ich hab dich fallen sehen.“

Er schluckte, wandte den Kopf ab.

Shinichi wollte etwas sagen, öffnete den Mund – und schloss ihn wieder, ohne dass auch nur ein Wort über seine Lippen gekommen wäre. Er fühlte, dass er jetzt nicht mit Reden an der Reihe war. Es wäre igendwie falsch gewesen, jetzt etwas zu sagen.

Yusaku griff nach dem Bettlacken, begann es gedankenverloren zu zerknüllen, als er weitersprach.
 

„Nie... niemals in meinem ganzen, bisherigen Leben hab ich etwas erblickt, das mich mehr mitgenommen hat - es fühlte sich schlimmer an, als hätte er auf mich geschossen, der Schmerz hätte kaum größer sein können.“

Shinichi schaute seinen Vater bestürzt an.
 

„Diese Machtlosigkeit, diese Hilflosigkeit - es ging so schnell. Gerade noch bemitleidete ich Kogorô, der zusehen musste, wie man seine Tochter erschießen wollte, dann - dann traf es dich. Als du gefallen bist… hast du nicht mal geschrieen…“
 

Shinichi schluckte. Es wunderte ihn, dass ein Vater ihm gegenüber nun so offen sprach... aber es tat gut. Auch wenn das Thema... heikel war.
 

Yusaku blickte kurz auf.

„Nicht mal geschrieen...", wiederholte er.

„Du bist einfach nur gefallen. Dein Körper schien plötzlich all seine Kraft zu verlieren, die Spannung, die Lebendigkeit - waren auf einmal fort. Es war dunkel, manche haben gar nicht umrissen, was passiert war…“
 

Er hielt inne, seufzte, wischte sich mit den Handrücken über die Stirn, stützte seinen Kopf schwer in beide Hände.

„Ich bin nur froh, dass Yukiko das nicht gesehen hat. Und dass sie nicht dabei war, in den bangen Minuten, als wir nicht - als nicht klar war, ob… als du da im Regen lagst…“

Yusaku brach ab, schaffte es nicht, den Satz zu beenden.

„Ich weiß schon, was du meinst...", murmelte Shinichi.

Ihre Blicke trafen sich.
 

Shinichi richtete sich weiter auf, biss sich kurz auf die Lippen.

„Es - es tut mir Leid, dir so was angetan zu haben, wirklich. Wirklich! Aber… Ich konnte nicht… du musst verstehen, ich konnte doch nicht zulassen…“

Er warf einen besorgten Blick auf Ran.
 

„Ich weiß.“
 

Yusaku nickte.

„Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich will nur, dass du begreifst, dass du mir wirklich viel bedeutest. Wir waren... in letzter Zeit etwas rar, aber... du bist mein Sohn. Zu sehen, wie dich jemand umbringt…“

„…ich bin ja nicht…“

Der Schriftsteller ob die Hand, Shinichi verstummte.
 

„Allein der Anblick, allein das Bangen, die Unwissenheit genügten, Shinichi. Allein die Hilflosigkeit, als wir tatenlos zusehen mussten, wie dieser Mann den Befehl gab…“

Er seufzte, stand auf, wandte seinen Kopf zum Fenster.

„Ich hab ihm die Nase gebrochen. Ich hätte ihm dafür noch ganz andere Sachen brechen sollen…“

Langsam sank sein Blick zu Boden.

„Auch wenn das etwas ist, auf was man nicht stolz sein darf. Eigentlich sollte man sich nicht so gehen lassen, aber... ich hab die Beherrschung verloren."
 

Dann drehte er sich wieder um, schaute Shinichi fest in die Augen.

„Aber was ich sagen will - ich war bis jetzt immer der Ansicht das dir schon nichts passiert. Du gingst spielen, gerietst in Schwierigkeiten oder auch nicht - du kamst immer heil nach Hause. Du warst ein Kind, um das man sich keine Sorgen machen brauchte. Du warst ein Jugendlicher, der außerordentlich selbstständig war. Du konntest auf dich aufpassen, für dich selber sorgen. Dann kam diese Sache mit Conan, und eigentlich hätte mir das eine Lehre sein sollen. Aber das war es anscheinend nicht. Ich ließ dir auch weiterhin freie Hand - schließlich wusstest du, was du tatest. Ich vertraute darauf. Und ich ging immer noch davon aus, dass du heil wieder aus der Sache raus kommst. Der Gedanke, dass es anders sein könnte, kam mir gar nicht in den Sinn.

Dann warst du auf einmal weg. Ran hat uns angerufen - und erst da habe ich mir mal so langsam meine Gedanken gemacht.

Und dann gestern, beziehungsweise heute Nacht, die Schießerei… es war entsetzlich. Und ich spreche nicht nur für mich. Ich spreche auch für deine Mutter. Für Ran. Für alle, die dich kennen, wahrscheinlich. Du musst besser auf dich aufpassen… so was will und kann ich nicht noch mal mitmachen, und deine Mutter auch nicht. Ich kann dich nicht dazu zwingen, aufzuhören - dazu habe ich kein Recht. Aber ich bitte dich… ich bitte dich, pass besser auf dich auf.“

Yusaku stand auf.

„Versprich mir das. Versprich mir, dass ich so etwas nie wieder mitmachen muss, Shinichi.“
 

Shinichi starrte ihn fassungslos an. Er hatte seinen Vater Zeit seines Lebens noch nie so erlebt.

So erschüttert.
 

„Ich verspreche es.“

Yusaku griff nach seinem Arm und drückte ihn.
 

„Dann geh ich jetzt mal deine Mutter holen. Und den Rest der Truppe…“
 

Ein müdes Lächeln glitt über sein Gesicht. Er ging zur Tür, drückte die Klinke hinunter.
 

„Du hast ihm die Nase gebrochen?!“
 

Yusaku drehte sich um, schaute Shinichi an, der ihn gleichermaßen erstaunt und belustigt anblickte.

„Du hast dem Boss die Nase…?“

„Traust du mir das nicht zu, Sohnemann?“

Er grinste amüsiert ob des verdutzten Gesichtsausdrucks seines Sohnes, dann ging er.
 


 

Gerade als die Tür ins Schloss fiel, seufzte Ran leise auf, hob den Kopf. Anscheinend hatte das Knallen der zufallenden Tür sie geweckt.

Genau wie bei ihm, fiel auch ihr erster Blick aus dem Fenster.

Das Sonnenlicht schien, wie zuvor schon ihn, auch sie zu blenden, denn sie blinzelte ein paar Mal, ehe sie sich schlaftrunken über die Augen wischte.
 

Dann erst drehte sie ihren Kopf - und sah ihn.

Sie schluckte nur, sagte nichts. Dann stand sie auf, stieg aus ihren Schuhen, krabbelte neben ihn ins Bett, schmiegte sich an ihn und lauschte seinem Atem.
 

Er legte wortlos einen Arm um sie, drückte sie an sich, berührte mit seinen Lippen sanft ihr Haar.
 

Lange, lange sprach keiner ein Wort.

Allein die Anwesenheit des jeweils anderen genügte ihnen.

Kurz ging die Tür auf, Yukikos Kopf erschien - ihre Blicke trafen sich mit denen ihres Sohnes und sie schloss die Türe wieder leise.
 


 

„Warum hast du das getan?“

Ran sah ihn nicht an, als sie die Frage leise flüsternd äußerte.

Er antwortete nicht.

„Warum hast du das getan, Shinichi, verdammt - du hättest sterben können, du bist fast - gestorben, warum…“

Sie wischte sich unwirsch eine Träne, die ihr aus dem Augenwinkel quoll, weg, starrte ihn nun doch an, ihre Lippen bebten.

„Warum hast du das getan?“

Ihre Stimme wurde lauter.
 

Er drehte den Kopf. Sie hatte ihren erhoben, sich auf einem Ellenbogen hochgestemmt, schaute ihn fragend an. In ihren Augen lag neben ihrer Erleichterung auch ein Hauch von Kummer und Anklage.

Sie würde die Minuten im Regen ihr Leben lang nie vergessen. Nie wieder würde das Bild aus ihrem Kopf verschwinden, sich ewig daran erinnern, wie bleich er gewesen war... wie leblos.

Als er nicht antwortete, wiederholte sie ihre Frage erneut. Ihre Stimme klang rau.

„Warum- warum hast du das getan…?“

Er biss sich auf die Lippen, kämpfte sich ebenfalls wieder ein wenig in seinen Kissen hoch.

„Weil ich nicht ohne dich leben will. Und weil ich dich nicht sterben sehen will.“, wisperte er dann, gab ihr einen zarten Kuss auf die Nase.

„Aber… Du bist so ein Idiot, Shinichi…!“
 

„Ach ja?“, murmelte er.

„Schön. Aber dann bist du das auch, Ran.“

In seiner Stimme schwang leiser Vorwurf.

„Ha?“

„Was sollte denn das, was du angestellt hast, bitte? Was hattest du denn mit deiner Aktion…“, er räusperte sich, „bezwecken wollen? Ich dachte mich trifft der Schlag, als ich dich da stehen sah...“

„Ich wollte dich retten.“

„Hat ja prima funktioniert.“

Leiser Sarkasmus schwang in seinem Tonfall mit.

„Was machst du immer für Sachen? Schmuggelst dich in anderer Leute Kofferraum durch die Gegend, stielst Gifte aus Jacken in Theatergarderoben, riskierst dein Leben, weil du unbedingt schrumpfen willst und dann läufst du mehr oder weniger planlos in die Hände des Feindes… warum das alles…?“

„Ich liebe dich.“

„Das freut mich.“ Seine Stimme klang für Ran ein Spur zu zynisch. Ran knuffte ihn in den Arm.

Er seufzte.

„Nein ernsthaft. Ich... bin glücklich darüber, wirklich."

Er lächelte sie warm an, streichelte ihr über die Wange.

„Aber ich finde, du... tust zuviel, ich weiß nicht, ob das so gut ist... Ich will nicht, dass du dich wegen mir in Gefahr…“

Sie starrte ihn an, als ob der Verstand verloren hätte.

„Das sagt der Richtige.“, krächzte sie schließlich heiser.

„Wer wäre denn bitte fast draufgegangen, weil er sich in die Schussbahn werfen musste?“

Er atmete langsam aus.

„Okay, das ist ein Argument..."
 

Ihre Unterlippe zitterte bei der Erinnerung daran.

„Du hättest das nicht tun sollen…“

Er schaute sie an, strich ihr sanft über die Wange.

„Ran.“

Sie schluckte.

Shinichi seufzte, dann blickte er sie ernst an.

„Warst du es nicht einmal, die wissen wollte, ob ich für sie sterben würde? Nun, ich sagte Ja. Und wie du jetzt weißt, hab ich nicht gelogen. Ich würde es. Ich würde sterben für dich. Dein Leben ist mir wichtiger als meins. Damit wäre die Theorie jetzt durch die Praxis bewiesen, nicht wahr? Und außerdem, wie wir ja gerade festgestellt haben, bist du nicht besser.“

Er lächelte sanft.

„Aber da ich trotz allen guten Willens nicht… gestorben… bin, und du dich auch bester Gesundheit erfreust, lassen wir dieses Thema jetzt vielleicht ruhen und freuen uns, dass wir beide mehr oder weniger heil aus dieser Sache rausgekommen sind.“
 

Ran seufzte.

„Du hast auf alles eine Antwort, oder?“

„Ja.“

Dann beugte er sich vor, berührte ihre Lippen mit seinen - und sie ließ sich nur allzu gerne von ihm mitreißen, vergrub ihre Finger in seinen Haaren, spürte seinen Arm um ihre Taille, genoss seine Nähe.

Endlich war es wieder da, dieses Gefühl vollständiger Geborgenheit.

Endlich fühlte sie sich wieder rundum wohl.

Endlich.
 

Dann ging die Tür auf.
 

„Na, so schlecht kann’s dir ja gar nicht gehen.“
 

Sonokos Stimme triefte vor Zynismus - ihr Gesichtsausdruck hingegen war nicht anders zu bezeichnen als sensationslüstern.

Shinichi drehte den Kopf zu ihr, Ran tat es ihm gleich.
 

Und bei der Gelegenheit sahen sie, dass nicht nur Sonoko in der Tür stand. Die Detective Boys standen mit aufgerissenen Mündern im Zimmer, hinter ihnen standen Shiho, die mit beinahe unverschämten Grinsen mit lässig vor der Brust verschränkten Armen am Türrahmen lehnte und neben ihr der Professor, der mindestens so rot war wie Ran - dahinter Yukiko, auf deren Lippen ein verzücktes Lächeln lag, neben ihr Yusaku, der zusammen mit Eri als einziger den Anstand gehabt hatte, sich taktvoll abzuwenden - Kogorô neben ihm schaute glatt wie ein Bus.
 

„Mausebein…?“

Ran verdrehte die Augen.

„Du hast doch gewusst, dass wir zusammen sind, Paps. Warum überrascht dich das jetzt?“

„Huh?“

Er kratzte sich am Hinterkopf.

„Nunja. Da wart ihr Kinder…“

Shinichi ließ sich ins Kissen zurücksinken.

„Erinnere mich nicht dran. Ich will das vergessen…“

Kogorô warf ihm einen langen Blick zu.

„Du scheinst ja eifrig damit beschäftigt zu sein…“

Shinichi drehte im den den Kopf zu, schaute ihm etwas perplex und gleichzeitig abwartend in die Augen.

War das jetzt Kogorôs Art von Humor…? Oder war er doch nicht so verständnisvoll, jetzt, wo er tatsächlich mit Ran zusammen war…?

Mit seiner Tochter…?

Das war doch etwas anderes, als wenn zwei Kinder miteinander rumhingen.
 

Ran schaute von einem zum anderen.

Sie hegte ähnlich Gedanken wie ihr Freund.

Dann durchbrach Kogorô die Stille.

„Als Kind warst du mir irgendwie lieber-…“

„Als Kind hätte ich mich aber schlecht vor deine Tochter werfen können, Onkelchen.“, bemerkte Shinichi trocken.
 

Shinichi starrte ihn an- Kogorô starrte zurück.

„Auch wieder wahr.“

Rans Vater seufzte.

„Das war im Übrigen, äh- sehr nett von dir. Danke.“

Ran atmete unhörbar auf.

„Keine... Ursache... Nichts zu danken...“

Shinichi zog die Augenbrauen hoch.

„Wirklich nicht.“

Kogorô nickte langsam.

„Gute... Besserung.“

„Danke.“
 

Dann wurde ihr ohnehin nur sehr schleppendes Gespräch unterbrochen, als es ein paar der Anwesenden zu langweilig wurde; denn in diesem Moment hüpften drei Grundschüler auf sein Bett, schaute ihn mit großen Augen an…
 

„Erzähl! Wie war’s!? Gefangen in den Fängen des Feindes - das muss aufregend gewesen sein…!“

Gentas Stimme kippte fast.

Ihre Neugierde schien offensichtlich keine Grenzen zu kennen.

Shinichi verengte die Augen, zog die Augenbrauen hoch. Sein Mitteilungsbedürfnis hatte klare Grenzen.

„Im Gegenteil. Es war sehr langweilig…“

Den Satz schienen sie alle geflissentlich zu überhören.

„Und außerdem ist es deine heilige Pflicht als Ehrenmitglied der Detective Boys-…“

Ehrenmitglied?!? Ich war der Gründer-“
 

Mitsuhiko schaute ihn verständnislos an.

„Na, was dachtest du, Co- äh, Shinichi - ein ‚boy’ bist du ja nicht mehr unbedingt… Du musst verstehen, dass…“

Shinichi starrte sie erstaunt an - dann winkte er ab.

„Ja, schon klar.“

Nun setzte sich auch Shiho auf die Bettkante, schaute ihn durchdringend an. Sie wusste, die drei würden aus ihm nichts herauskriegen, was er ihnen nicht freiwillig sagen würde. Er war wieder der, der er sein sollte; es gab keinen Grund mehr, warum sie ihm noch helfen musste. Diesmal würde er es auch ohne ihre Intervention schaffen, die Kinder in die Schranken zu weisen.
 

„Ich sagte doch, es war langweilig. Ein dunkles Loch voller Ratten. Wahrscheinlich hab ich jetzt die Pest…“

Die drei schauten ihn ungläubig an.

„Dann war da aufregendste echt, als sie dich angeschossen haben?“
 

Seine Kinnlade klappte nach unten, ihm wurde schlagartig kalt.

„Sagt bitte nicht, dass ihr das gesehen habt.“

Ayumi schüttelte den Kopf.

„Haben wir nicht. Wir haben nur den mit den blonden Haaren gesehen, der auf Ran gezielt hat, dann hat uns der Professor verboten, weiter hinzusehen. Wir mussten die Augen schließen und uns die Ohren zu halten und...“

Sie schluckte, ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern.

„Ich wollt auch gar nicht… sehen…“

Shinichi schaute sie an, blinzelte.

Dann streckte er die Hand aus, hob ihr Kinn an, stupste sie mit einem Finger an die Nase und lächelte.

„Du brauchst darüber nicht mehr nachzudenken, Ayumi…“

Ayumi lächelte leicht, als Mitsuhiko fort fuhr.

„Als wir hinschauen durften, lagst du am Boden, wurdest gerade auf eine Trage gelegt… und dann hat uns Ai… äh… Shiho… mit dem Professor zum Professor gefahren. Wir durften nicht im Krankenhaus warten…“

Ein verärgerter Unterton schwang in seiner Stimme mit.

Shinichi fuhr sich durch die Haare. Nicht so schlimm wie er befürchtet hatte, aber immer noch schlimm genug. Er warf Shiho einen dankbaren Blick zu. Er konnte sich denken, warum sie darauf bestanden hatte, sie heimzubringen.
 

„Das war schon gut so. Leute, wann kapiert ihr es, das ist nichts für Kinder…“

Er seufzte leise.
 

“Aber war da gar nichts Aufregendes???“, hakte Mitsuhiko noch einmal nach.

“Wie biste denn da rausgekommen?“

Shinichi verdrehte die Augen.

“Na schön... also hört zu...“

Und dann begann er von seiner Flucht mit Sharon zu erzählen, während die Kinder ihm gebannt an den Lippen hingen.
 


 

„Heiji, du benimmst dich irrational.“

Kazuha starrte ihn an.

„Was bitte?!“
 

Er stand am Bahnhof, betrachtete scheinbar gedankenversunken die Anzeigentafel. Die Wahrheit war - er hatte keinen blassen Schimmer, was da zu lesen war. Seit geschlagenen fünf Minuten schaute er glatt durch sie hindurch.
 

„Dein bester Freund liegt im Krankenhaus und du gehst ihn nicht besuchen? Er könnte dich jetzt brauchen, stattdessen haust du ab!“

Kazuha baute sich vor ihm auf, stemmte ihre Hände in ihre Hüften, funkelte ihn böse an.

„Du bist mir ein schöner Freund!“
 

Heiji wandte sich ab.
 

„Kazuha, lass mich in Frieden.“

„Nein.“

„Kazuha…!“

„NEIN!“

Sie packte ihn am Kragen.

„Was haste nur? Ich dachte, Kudô wär dein Freund?!“
 

„Isser auch.“

Heijis Stimme war leise, sein Blick auf den Boden gesenkt.

„Isser ja auch. Fragt sich nur, ob ich…“

„…sein Freund bin?“

Kazuha starrte ihn mit offenem Mund an.

„Was zur Hölle meinstn damit?“
 

„Weißte, an dem Tag, als es passiert is - da haben wir über euch geredet. Über dich und Ran. Shinichi - er hat schon länger behauptet, dass ich, -äh- dass ich dich liebe… nunja. An jenem Tag, da hab ich’s auch gecheckt. Und ich hab ihn gefragt, ob er etwas dagegen hätte, wenn er mit Ran schon mal vorgeht, damit ich in Ruhe mit dir ein paar Takte reden kann…“
 

Und da verstand sie.

„Aber Heiji… das konnteste doch nicht wissen…“
 

Heiji biss die Zähne zusammen.

„Ich nicht, da haste Recht. Aber er - er hat’s gespürt. Ich hab’s in seinen Augen gesehen, Kazuha. Er hat es nicht gesagt, aber es wär’ ihm lieber gewesen, wenn wir nich’ gegangen wärn. Wenn wir alle auf einem Haufn geblieben wärn, und er hatte Recht, verdammt - wärn wir nich’ woanders gewesen, hätt’ ich’s nich’ auf einmal so eilig gehabt… dann…“
 

Kazuha starrte ihn an.

„Hat er das gesagt?“

„Nein. Natürlich nich’.“

Sie streichelte ihm mit ihren Fingern über die Wange.

„Geh ihn besuchen, Heiji. Er wundert sich sonst, was er angestellt hat…“

Sie packte ihn am Arm und zog ihn mit sich.

„Red’ mit ihm darüber. Glaub mir, anders wirst du’s nich kapiern…“
 

Er starrte sie nur wortlos an, ließ sich aber von ihr mitschleifen.
 


 


 

Kurze Zeit später stand er vor der Tür. Ran war gerade nach Hause gegangen, um sich zu waschen und sich umzuziehen, hatte ihnen gesagt, er wäre jetzt allein. Alle anderen wären von der Schwester schon rausgeschmissen worden, seine Eltern wollten am Abend wieder kommen.
 

Ein idealer Zeitpunkt also, um reinzugehen, ihn zu besuchen, und mit ihm zu reden.

Und stattdessen stand er neben Kazuha vor dieser Tür und wäre am liebsten wieder gegangen.

Er sah ihn immer wieder vor sich, blass wie der Tod - der Sensenmann hatte seine Hand bereits nach ihm ausgestreckt.

Und das alles hätte verhindert werden können, wenn er…

Er war gerade soweit, wieder kehrtzumachen, als Kazuha die Tür aufmachte.
 

Heiji starrte sie an. Was hatte er sich mit ihr nur angetan?

„Hey, Shinichi, biste wach?“
 

Er hörte nicht, was die Person im Zimmer sagte - Kazuhas Stimme klang umso lauter wieder an sein Ohr.
 

„Fein. Heiji will dir nämlich doch noch die Ehre seiner Anwesenheit gewähren. Glaub mir, er braucht nicht lang.“

Damit zerrte sie ihn in die Türöffnung, stieß ihn unsanft ins Zimmer und knallte die Tür zu, ließ sich dagegen sinken.
 

Und grinste.
 


 

Heiji stand total perplex in dem kleinen Raum, wandte sofort den Blick nach unten.

Er konnte ihn nicht ansehen.

Er schaffte es nicht.

Es ging nicht.
 

Er hörte Kissenrascheln - dann traf ihn was Hartes am Kopf.

„Idiot!“
 

“Au!“

Heiji hob die Hand um sich den Kopf zu massieren, schaute auf das Buch, das auf dem Boden lag.
 

Das Zeichen der Vier
 

Dann hob sich sein Blick, wanderte zum Gesicht des Werfers, der ihn mit genervtem Gesichtsausdruck anstarrte.

„Häh?!“
 

Heiji hob das Buch auf, ging näher.
 

„Du machst dir doch nicht noch immer Vorwürfe, Heiji?“

Irgendwie haftete seiner Stimme etwas Drohendes an.

„Na, weißte, Shinichi, irgendwie…“
 

„Dich plagt wirklich immer noch dein Gewissen?“

Er schaute ihn ernst an - dann schüttelte er verständnislos den Kopf.

„Warum?“

Heiji legte das Buch auf den Nachttisch.

„Für was war das gut?“, fragte er, ohne auf die Frage seines Freundes einzugehen.

Leichte Verärgerung schwang in seiner Stimme mit.

„Leichte Schläge auf den Kopf erhöhen bekanntlich das Denkvermögen, Hattori. Ich wollte dir lediglich ein wenig helfen.“

Er seufzte.

„Also Heiji. Was macht dir so zu schaffen, dass dich Kazuha zum Krankenbesuch zwingen muss? Ist es wirklich wegen…?“

„Das weißte doch.“ Heijis Stimme klang leise, besorgt. Keine Spur mehr verärgert.
 

„Und wenn ich mich mal blöd stelle, und sage, ich wüsste es nicht?“

„Würd’ ich dir nich glauben.“

Shinichi seufzte matt. Dann lächelte er ihn bitter an.
 

„Heiji, du weißt es, und ich weiß es auch, dass sich das hier eigentlich nicht vermeiden ließ. Man kann es in hundert Variationen aufblättern, begonnen damit, was passiert wäre, wenn Ran damals nicht das Stadtturnier gewonnen hätte - deswegen hab ich nämlich überhaupt erst einen Fuß in diesen Vergnügungspark gesetzt. Und wäre ich da nicht rein gegangen, dann hätte ich die Männer in Schwarz nie getroffen, und dann wäre auch das hier…“, er machte eine bezeichnende Geste mit seinem Arm, „nicht passiert. Ich mach keinem einen Vorwurf. Also sei so gut - hör auf, den Helden zu spielen, alle Schuld auf dich nehmen zu wollen. Zuallererst bin ich selber dran Schuld. Dann die Männer in Schwarz. Oder andersrum? Wie auch immer, du stehst ganz unten auf der Schuldigkeitsliste. Und nun halt die Klappe, hör auf dir 'nen Kopf zu machen und lass mich schlafen.“
 

Er gähnte, vergrub sich in seinen Kissen.

Heiji seufzte - dann lächelte er. Was Kudô sagte, machte Sinn. Wie das Meiste, was der Schülerdetektiv des Ostens so von sich gab. Kazuha hatte Recht gehabt - es war gut gewesen, mit ihm zu reden.

Gerade wollte er gehen, den Wunsch seines Freundes erfüllen, als er ein leise in Kissen genuscheltes Wort vernahm - und innehielt.
 

„Frauenheld.“
 

Heiji fuhr herum. Dann grinste er breit, ging wieder ein paar Schritte näher.
 

„Was bitte? Das sagt genau der Richtige. Du bist doch nicht besser…“

„Verzieh dich…“

„Kein Stück besser…“

„Hau ab…“

„Nicht ein klitzekleines Stückchen…“

„Heiji, wenn du an deinem Leben hängst-…“
 

„Und wir müssen den Valentinstag nachfeiern.“

Shinichi schlug die Augen auf, drehte sich schneller um, als gut für ihn war, hielt sich stöhnend die Seite.

„Bitte, WAS?“
 

„Tja.“

Heiji grinste breit, zuckte scheinbar hilflos mit den Schultern.

„Da musste durch. Ich denk mir, wir können Kazuha und Ran nicht ohne dastehen lassen. Sie haben einen verdient, nachdem du ihnen ihren ersten verdorben hast. Aber so was von verdorben haste den...“
 

„Du…!“

„Schlaf gut!“

„Heiji!“

„Bis morgen!“
 

„HEIJI!!!“
 

Heiji rannte aus dem Zimmer, als er sah, das Shinichi wieder nach dem Buch gegriffen hatte, schlug die Tür hinter sich zu - hörte den dumpfen Schlag, als das Buch gegen die Tür krachte, lachte befreit auf.

Dann hielt er Kazuha seine Hand entgegen, die ihn einigermaßen verwirrt anschaute - sie aber dann ergriff, und in zufrieden anlächelte.
 

„Sag es, Heiji.“

„Ich liebe dich.“

„Das meinte ich nicht.“

Sie grinste in breit an, kniff die Augen leicht zusammen, hob ihr Näschen in die Höhe.

„Sag. Es!“
 

„Ahhh… Du hattest Recht, Kazuha…“

Er stupste ihr mit dem Finger gegen die Nase.
 

„Genau das wollt ich hören.“

Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Denn am Ende steht...

Mesdames, Messieurs.
 

*verneig*

Ich darf euch gratulieren, ihr habt es geschafft!

Dies ist der Epilog…!

Dies ist das Ende!

Um hier aber nicht zu weit abzuschweifen, sage ich dazu jetzt erst einmal nichts mehr; ich werde wie üblich beim Ende meiner Fics, mich am Ende des Kapitels noch einmal zu Wort melden.
 

Ich wünsche euch ein letztes Mal für dieses Mal viel Vergnügen beim Lesen!
 

A bientôt!
 

Eure Leira *sichsetzt*

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Ihr Blick war schwermütig, als sie ihre Augen über das Gesicht ihrer ehemaligen Freundin wandern ließ. Shinichi stand im Türrahmen gelehnt, beobachtete sie stumm.

Er konnte nur ahnen, was in seiner Mutter vorging; was sie über die Frau, die jahrelang eine ihrer besten Freundinnen gewesen war, dachte.
 

Yukiko seufzte.

Shinichi trat näher, ließ sich neben ihr auf einem Stuhl nieder, fischte das Foto von der Tischplatte, schaute es nachdenklich an; dann warf ihr einen tadelnden Blick zu.

„Wenn du ihr was zu sagen hast, dann geh und sprich mit ihr, Mama. Aber das hier bringt dich auch nicht weiter.“

Er hob das Foto in die Höhe.

„Was glaubst du, wird passieren, wenn du sie lange genug anschaust?“

Sie schaute ihn bekümmert an.

„Ich kann nicht…“

Shinichi schüttelte den Kopf, legte das Foto mit dem Gesicht nach unten zurück auf den Tisch.
 

Dann hob er seinen Kopf, sah seiner Mutter fest in die Augen.
 

„Mama… sie war… eine Mörderin, ja. Und Mörder… sind zu verurteilen, für das, was sie getan haben. Ich sage nicht, dass an ihren Händen kein Blut klebt, denn das tut es… das tut es…“

Seine Augen wanderten kurz über die Tischplatte, als er sich sammelte.

„Aber sie… ist nicht nur… ein schlechter Mensch. Die Sharon, die sie einst war, ist noch in ihr. Tief vergraben, in der hintersten Ecke ihrer Seele schlummert sie, aber sie ist noch nicht gegangen. Ich hab sie gesehen…“

Seine Stimme verlor sich. Er schluckte, dann griff er ihre Hand, drückte sie kurz.

„Sie wird bezahlen müssen, für das was sie getan hat. All die Morde wird man nicht ungeschehen machen können. Aber wenn du wirklich wissen willst, wie diese Wandlung von der Sharon, die du kanntest, zu Vermouth sich vollziehen konnte… dann musst du sie fragen. Du musst mit ihr reden, denn vorher… vorher, fürchte ich, wird dir das keine Ruhe mehr lassen.“
 

Sie schaute ihn an. Erstaunen, aber auch ein Hauch von Stolz spiegelten sich auf ihrem Gesicht.

„Du bist erwachsen geworden.“

Er lächelte.

„Mach keine Witze.“
 

Dann klingelte es an der Tür, und unterbrach ihr Gespräch.

„Überleg dir das mal. Ich mach auf.“
 

Er stand auf, ging aus der Küche. Yukiko starrte ihm hinterher.
 

Ich mach keine Witze…
 

Langsam wanderte er zur Haustür.

Langsam, weil es seine Seite immer noch nicht zuließ, dass er rannte. Er schätzte sich glücklich, dass er überhaupt schon aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Sein blasses Gesicht schaute ihn aus den blank gewienerten Bodenfliesen der Eingangshalle an, als er zur Haustür schlurfte.

Davor angekommen, holte er Luft, straffte die Schultern, bevor er sich daran machte, ihrem Besuch zu öffnen.

Er drückte die Klinke hinunter, zog die Tür auf, und sah die Person, die auf der Matte stand, ein wenig überrascht an.

„Frau Kisaki, guten Tag…“

Er wich ein wenig zur Seite, winkte sie herein, schloss die Tür hinter sich.
 

„Ich nehme an… Sie wollen zu meiner Mutter?“

Sie starrte ihn immer noch an, blinzelte.
 

Es war nicht das erste Mal, seit sie ihn nach diesem Abend, an dem er sich vor ihre Tochter geworfen hatte um ihr Leben zu retten, gesehen hatte; aber es war das erste Mal, seit seiner Entlassung.

Im Krankenhaus rechnete man damit, dass die Leute, die in den Klinikbetten lagen, krank waren. Krank aussahen.

Nicht, wenn sie entlassen worden waren. Sie waren doch gesund, wenn man sie wieder gehen ließ… also rechnete man damit, dass sie auch gesund aussahen.

Sie schalt sich selber in Gedanken eine Närrin, dass sie offensichtlich diesbezüglich noch so infantile Ansichten hatte.

Aber aus dem Krankenhaus entlassene Menschen sollten nicht mehr krank aussehen.

Und erst Recht nicht, wenn sie noch so jung waren wie er.
 

Er sah immer noch erschöpft aus.

Shinichi war zwar zu Hause, er war auf den Beinen und es schien ihm gut zu gehen, aber richtig gut sah er noch lange nicht wieder aus.
 

Und das, weil er ihre Tochter gerettet hatte. Er wäre fast für Ran gestorben.

„Hallo Shinichi.“, brachte sie schließlich heraus.

Er schaute sie mit musternden Augen an.

„Frau Kisaki, geht es Ihnen gut?“
 

Sie nickte geistesabwesend.

Er seufzte leise. Er wusste, aus ihr würde er nicht mehr herauskriegen. Und eigentlich brauchte er auch gar nicht fragen; er ahnte, worüber sie nachdachte.
 

„Wollen Sie… nun…“, begann er erneut.

„Zu Yukiko, ja, danke.“

Er nickte, dann ging er ihr voraus.
 

Eri blickte ihn an, als sie ihm folgte.

Sie waren ein Paar. Der Sohn ihrer Freundin und ihre Tochter. Und zwar richtig, jetzt. Ganz offiziell und endlich auch im... nun ja... richtigen Alter.

Und sie wusste, wie glücklich Ran mit ihm war. Sie liebte ihn. Sie merkte es ihr an, sie strahlte, wenn sie an ihn dachte, freute sich auf jede Minute, in der sie ihn sah.

Und Shinichi… nun… er liebte sie wohl auch, sonst hätte er nicht all das auf sich genommen, um ihr nahe zu sein, um sie zu beschützen.
 

Eri schüttelte den Kopf, langsam.

Ihr kleines Mädchen war erwachsen geworden. Und der kleine Junge, der immer so viel Mist gebaut hatte, anscheinend auch. Auch wenn ihn das offensichtlich nicht davon abhielt, immer noch gelegentlich Mist zu bauen.
 

Aber warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen…? Sie hatte zwar gemerkt, dass Ran viel von ihm hielt, vielleicht auch für ihn schwärmte. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr so viel an ihm lag, dass sie ihr Leben für ihn geben würde.

Als sie das Gift nahm…
 

Und Shinichi… den hatte sie schon länger nicht mehr gesehen… erst als er als Conan durch die Welt gestapft war, hatte sie ihn wieder zu Gesicht bekommen.

Wie hätte sie da wissen können…?
 

Hinter Shinichi betrat sie die Küche, wurde aus ihren Gedanken gerissen.

Ihr Blick fiel auf Yukiko, die am Tisch saß und ein Foto studierte.

Er schaute seine Mutter ein wenig vorwurfsvoll an, dann zog er ihr das Bild unter den Fingern hervor.

„Ich sag doch, besuch sie. Ruf sie an. Aber hör damit jetzt auf.“

Shinichi stopfte das Bild zwischen zwei Kochbücher im Regal, dann drehte er sich um.

„Du hast Besuch, im Übrigen. Und ich geh dann jetzt. Beziehungsweise, ich lasse mich fahren, weil mich ja keiner gehen lässt.“
 

Er schenkte ihr ein leicht zynisches Lächeln.

Yukiko schaute ihren Sohn an, hob fragend eine Augenbraue.
 

„Du fährst aufs Revier…?“

Shinichi nickte.

„Ja. Es war ohnehin schon sehr freundlich von Meguré, dass er noch gewartet hat, bis ich entlassen werde, aber ich sollte meine Aussage wohl doch endlich machen. Und dann hat Ran noch was vor. Mit Heiji und Kazuha. Aber frag nicht was, ich weiß es nicht.“

„Pass auf dich auf. Und ruf den Professor oder uns an…“

„Wenn ihr mich holen sollt. Ja, schon klar. Und ich kann auf mich aufpassen.“

„Hast du in letzter Zeit ja eindrucksvoll bewiesen.“

Yukiko verzog ihr Gesicht zu einem sarkastischen Grinsen.

„Ja, nicht wahr? Was wäre wohl passiert, wenn ich nicht so gut auf mich aufgepasst hätte angesichts einer Verbrecherorganisation wie dieser?“, schoss er zurück, grinste kurz, dann hob er die Hand zum Gruß für Eri und verließ die Küche.

Zwischen Tür und Angel drehte er sich noch mal um.

„Ruf sie an… wenigstens das. Wenn du ihr nicht in die Augen sehen kannst, dann ruf sie wenigstens an, und stell ihr die Frage, die dich so beschäftigt. Bis später.“

Damit verschwand er.
 

„Hallo Yukiko.“, begrüßte Eri nun endlich ihre Freundin, als Shinichi gegangen war.

Die blonde Ex-Schauspielerin lächelte, stand auf, umarmte ihre Freundin kurz.

„Eri, schön dich zu sehen! Setz dich doch. Wie geht es dir?“

Sie bot ihr einen Stuhl an.

Die Staatsanwältin sank auf einen Stuhl, während Yukiko sich ebenfalls wieder setzte.

„Sehr gut, danke. Und wie geht’s dir? Und Yusaku? Wie’s Shinichi geht, brauch ich ja nicht zu fragen…?“

Yukiko grinste.

„Yusaku geht’s gut, danke. Wie geht’s Kogorô?“

„Gut…“

Yukiko stutzte. Derart kurz angebunden kannte sie ihre Freundin gar nicht.

„Und Ran…?“, startete sie einen neuen Versuch.

„Bestens… seit sie ihn wieder hat.“

Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Kaum zu fassen, nicht? Sie werden erwachsen.“

Yukiko erwiderte ihr Lächeln.

„Ja, in der Tat. Aber sag mal… seit wann sitzen wir denn so steif rum und tauschen vorbildlich höfliche Nettigkeiten aus?“, fragte sie nun doch direkt, hob eine Augenbraue hoch.

Eri seufzte vernehmlich, dann ließ sie sich in ihrem Stuhl etwas bequemer zurücksinken.

„Du hast Recht. Es ist wohl… ich weiß nicht… die letzten Ereignisse haben mich wohl doch ein wenig nachdenklich gestimmt… und das was ich an jenem Abend zu dir gesagt hab… das tut mir Leid…“

Yukiko schüttelte den Kopf.

„Nicht doch, Eri. Du hast ja Recht, er kann sich gut in Schwierigkeiten bringen, mein Sohn. Ich bin nur der Meinung, Ran…“

„… kann das auch, stimmt schon.“

Sie runzelte die Stirn. Yukiko schaute sie mit schief gelegtem Kopf an.

„Außerdem hatten wir darüber doch schon geredet. Also mach dir keine Gedanken mehr, Eri…“

Die Angesprochne seufzte kurz.

„Nun, das ist auch nicht der einzige Grund, warum ich hier bin. Ich hab hier was für dich. Ich schulde dir einen.“

Yukiko stutzte ob des schnellen Themenwechsels, während die Anwältin das flache Paket auf den Tisch legte, das sie schon die ganze Zeit über in den Händen gehalten hätte.
 

Yukikos Augen wurden groß.

„Eri… das ist doch kein Teller, oder..?“

„Doch.“

Die Mundwinkel der Anwältin verzogen sich zu einem leichten Grinsen.
 

„Ich schulde dir einen Teller, Ran schuldet Shinichi ihr Leben. Ran kann ihm ihre Schuldigkeit wohl nie zurückzahlen, ganz davon abgesehen, dass er das wohl auch nie annehmen würde, aber dir gegenüber kann ich meine Schuld einlösen. Bitteschön, es ist ein Teller aus dem Service, aus dem ich einen zerbrochen habe.“
 

Yukiko schaute Eri ein wenig bedrückt an.

„Eri, das wäre nicht nötig gewesen.“

Rans Mutter schüttelte langsam den Kopf.

„Es tut mir Leid, dass ich letztens die Nerven verloren habe, Yukiko… ich kann froh sein, dass Ran sich deinen Sohn ausgesucht hat. Ich hab ihn wohl sehr falsch eingeschätzt… Verzeih mir, was ich gesagt habe. Du kannst stolz auf ihn sein.“
 

Ihr Blick hob sich, traf den ihrer Freundin. Yukiko lächelte sie an, dann griff sie nach dem Paket, öffnete es, betrachtete den Teller gedankenversunken, ehe sie ihn auf den Tisch stellte.

„Dankeschön. Das... bedeutet mir viel, dass du das sagst, Eri."

Sie schluckte.

"Und danke für den Teller. Muss schwer gewesen sein, ihn aufzutreiben, das Service wird nicht mehr produziert…“

Eri nickte.

„Ja, aber man erreicht so einiges übers Internet. Ich fand jemanden, der seines verkauft hat…“
 

Yukikos Augenbrauen wanderten nach oben.

„Die Umstände hättest du dir wirklich nicht machen brauchen…“

Sie unterdrückte nur mit Mühe ein Kichern.

„Denn wenn ich ehrlich bin, mag ich das Service nicht. War ein Geschenk von Yusakus Mutter. Ich hatte eigentlich gehofft, du könntest mir noch ein paar kaputt…“

Eri fing an zu lachen.

„… schlagen, damit ich guten Gewissens ein Neues…“, sie lächelte vergnügt, „…kaufen kann…“
 

Yukiko fing sich als erste, räusperte sich.

„Und mach dir mal um Shinichi keine Gedanken, Eri. Du hast ja gesehen, er hat’s überlebt. Zwar knapp, aber er hat… und nur das zählt. Nicht, wer in wessen Schuld steht, und das sehen er wie ich genauso. Es ist irrelevant, nur das Resultat zählt. Er ist wieder bei Ran, was anderes juckt ihn gerade nicht, glaub mir.“

Sie grinste.

Eri lächelte ebenfalls. Dann stand sie auf.

„Yukiko, ich muss dich jetzt leider wieder verlassen, die Arbeit ruft…“

„Lass sie doch rufen, Eri. Bleib doch noch ein wenig, lass uns Kaffee trinken…“

Die blonde Frau schaute die Anwältin bittend an.

„Morgen, wenn du Zeit hast, gerne. Aber heute geht es wirklich nicht.“

Yukiko seufzte leise, dann nickte sie verständnisvoll.
 

„Gut… dann bis morgen?“

„Bis morgen.“

Eri nickte, ließ sich von ihrer Freundin noch bis zur Tür bringen und verabschiedete sich.
 


 

Yukiko stand in der Eingangshalle, nach dem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, schaute auf das Telefon. Lange zögerte sie.
 

Dann nahm sie es, griff nach dem Telefonbuch, ging ins Wohnzimmer, wo sie ihren Mann lesend auf dem Sofa vorfand, setzte sich neben ihn, lehnte sich mit dem Rücken an seine Schulter, dann suchte sie die Nummer, die sie brauchte, holte tief Luft und wählte.
 

Er schaute auf, sah ihr über die Schulter, gab ihr einen Kuss auf den Hals.

Sie schluckte, horchte auf das Freizeichen.
 

Eine Frauenstimme meldete sich.

„Staatsgefängnis Tokio?“

Yukiko biss sich auf die Lippen.

„Mein… Name ist Yukiko Kudô. Könnte ich… wäre es möglich, mit Mrs… Vineyard zu sprechen?“

„Warten Sie kurz, bitte.“
 

Yukiko hing in der Leitung, seufzte leise.

Dann meldete sich die Stimme wieder.

„Ja, Sie dürfen sie sprechen. Aber nur kurz; sie werden nach fünfzehn Minuten wieder aus der Leitung geworfen, Frau Kudô. Ich stelle durch.“
 

Ein paar Pieptöne kündigten ihr an, dass sie umgeleitet wurde; dann meldete sich eine ihr bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Vineyard?“

„Warum bist du so geworden?!“, brach es aus ihr hervor.

„Yukiko?“

Sharons Herz machte einen Sprung.

„Yukiko?“

„Warum? Du musst es mir sagen, bitte, damit ich es verstehe… er sagt, es wäre noch etwas übrig von dir, und ich bitte… bitte die alten Sharon… sag mir, warum… ich verstehs nicht… du hattest doch alles, warum musstest du eine Mörderin werden…?“
 


 

Sie sah ihn an.

Es war jetzt einen Tag her, seit man ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatte, eine knappe Woche, seit jenem fatalen Abend - und nun war er hier, um seine Aussage zu machen. Gerade hatte ihn der Professor hier abgesetzt, und war nach draußen gegangen, um dort zu warten.
 

Jodie seufzte laut.

Shinichi wandte sich um.
 

„Na, Sie scheinen es aber schwer zu haben…“

Sie lächelte ihn an.

„Nun... Der Fall meines Lebens ist hiermit zu Ende - und doch komme ich mir vor, als wäre ich nur eine Puppe gewesen. Eine Marionette in einem Spiel, das meisterhaft von einem Puppenspieler aufgeführt wurde…“

Er legte den Kopf schief. Sie lächelte.

Dies war einer der seltenen Momente, in denen er nicht sofort verstand, was sie meinte.

Wohl auch, weil sie, was dieses Thema betraf, geteilter Meinung waren.
 

Sie hielt ihn für den Puppenspieler.

Er würde sich wohl für eine weitere Marionette halten, wenn man ihn nach seiner Meinung fragte.
 

Sie hatten beide Recht.
 

„Hat sie Ihnen dann Ihre Fragen beantwortet?“

Er nippte an seinem Kaffee, schaute sie über den Rand seiner Tasse hinweg an.

„Ja.“

Sie seufzte, nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee.

„Ja, das hat sie. Aber ich darf nicht darüber reden.“

Shinichi nickte. Dann grinste er breit.

„Aber Sie werden doch sicher nichts dagegen haben, wenn ich ein wenig darüber rede?“

Sie lachte auf. Sie mochte ihn in seiner großen Version mindestens genauso gern wie als Conan. Eigentlich war er ihr so noch lieber; er schien mit sich im Reinen, diese Bitterkeit war von ihm abgefallen, dieser Schatten in seinen Augen fast nicht mehr vorhanden.
 

„Do what you must, Sherlock.“
 

Er räusperte sich.

„Meine Theorie ist, dass Sharon sich rächen wollte. An der Organisation, für die Ermordung eines Menschen, der ihr sehr wichtig war. Und für ihr verpfuschtes Leben.“

Shinichi schaute in seine Kaffeetasse, zog die Augenbrauen zusammen; dann begann er zu zählen.

„Wie Sie vielleicht wissen, oder nicht wissen… war Sharon Vineyard verheiratet…“
 

Jodie beugte sich nach vorn, lauschte interessiert.
 


 

Yukiko lehnte sich zurück, umklammerte den Hörer mit ihrer rechten Hand, presste ihn an ihr Ohr.

„Sehr glücklich, wie du weißt, Yukiko. Ich hab ihn so sehr geliebt... Vor einigen Jahren starb er dann. Du weißt, wie sehr mich das getroffen hat.“

Yukiko hörte Sharon am anderen Ende der Leitung schlucken.

„Was ich dir nie gesagt habe, ist… dass er nicht eines natürlichen Todes starb. Ich habe ihn eines schönen Tages ermordet aufgefunden.“

Sie blinzelte.

„Ich kam nach Hause und er… er… lag da. Tot. Man hatte ihn mir entrissen, Yukiko! Mir mein Glück genommen… zuerst war ich einfach nur traurig… am Boden zerstört. Aber schon bald keimte in mir ein anderes Gefühl auf… Hass. Und Rache. Ich wollte mich an den Menschen rächen, die mir mein Glück gestohlen hatten. Es zerstört hatten. Da allerdings keine Spuren zu finden waren, die auf den Mörder hinwiesen, suchte ich nach Hilfe… Hilfe, die mir die Polizei nicht geben konnte; ich brauchte Leute, die mir die Mittel und Wege zur Verfügung stellen konnten, um mein Ziel zu erreichen. Ich fand sie… ich fand sie, wie du ja jetzt weißt, mit der Organisation...

Leider… bekam ich diese Hilfe allerdings nicht umsonst; sie wollten Gegenleistungen. Und so stellte ich mich in ihren Dienst… wurde zu einer Mörderin.“
 

Yukiko lief es eiskalt den Rücken hinunter.
 


 

Shinichi schaute Jodie an, ohne zu blinzeln, dann senkte er den Blick wieder.

„Sie wurde zu einer Mörderin, einem Todesengel. Sie verleugnete ihr altes Ich… sie tötete, und ich wage zu behaupten, nicht immer hat sie es bereut. Ich denke… ihr Vater… ihre Eltern…“, er schaute zögernd auf, fuhr erst fort, als sie nickte, „musste sterben, weil er hinter ihre Identität gekommen war… herausgefunden hatte, dass Sharon Vineyard eine Mörderin war. Er war eine Gefahr für sie.

Und eines Tages… so denke ich, war es wohl… fand sie heraus, dass ihr geliebter Ehemann selbst einer der schwarzen Teufel war, für die sie jetzt arbeitete. Für die sie mordete. Er wurde umgebracht… wie ich denke, aus zwei Gründen. Einerseits, weil er wohl wie Akemi Miyano aussteigen wollte; und das geht nicht, bei der Organisation... wer ihr einmal seine Seele verkauft hat, kriegt sie nicht wieder. Und zweitens, so vermute ich, um an Sharon, deren Talent und Intelligenz sie wohl für sich nutzen wollten, heranzukommen. Als sie dann in ihrer Wut und ihrer Verzweiflung Hilfe suchte, kam die Organisation, und bot ihr ihre Dienste an, im Austausch für ihre Mitgliedschaft. Und dort hat sie erfahren, eines schönen Tages, dass die Leute, von denen sie sich Unterstützung in ihrem Rachefeldzug erhoffte, eigentlich die Menschen sind, an denen sie sich rächen will… und so kam es, dass sie sich gegen sie wandte.“
 

Er nahm einen Schluck Kaffee.
 


 

Sharon atmete aus.

„Sie hatten das getan, verstehst du das, Yukiko? Sie hatten ihn ermordet. Er wollte aufhören, er wollte mit mir zusammen sein, aber sie ließen ihn nicht gehen. Nein, im Gegenteil; sie wollten an mich rankommen, über ihn… über seine Leiche, wie du ja weißt, jetzt.“

Sie lachte bitter auf.

„Was für eine Ironie! Gerade die Menschen, die ich als mein Mittel zum Zweck sah, hatten mich als ihr Mittel zum Zweck benutzt. Das war der Tag, an dem ich sah, was aus mir geworden war. Der einst so herrlich glänzende goldene Apfel war schwarz und verdorben…“

Sie starrte auf die weiße Plastiktischfläche vor sich, klammerte ihre Hand um die Kante des Tisches.
 


 

Shinichi steckte eine Hand gedankenverloren in seine Hosentasche.

„Sie verabscheute wohl das, was man aus ihr gemacht hatte, sie wollte Rache… für sich und für ihren Mann. Und so kam es, dass sie nun wieder jemanden suchte, der ihr half.“

Shinichi lächelte hilflos.

„Ich denke, der Wendepunkt für sie kam aber noch ein wenig später. Als sie die Wahrheit über den Tod ihres Mannes herausgefunden hatte, hatte sie vielleicht… mit dem Umdenken angefangen, aber ich glaube, was ihr den Rest gegeben hat, war, als sie auf Ran traf. Und mich. Als wir ihr Leben retteten, obwohl sie uns umbringen wollte.“

Jodie nickte.

„Der Serienmörder. Shuichi hat mir davon erzählt, ja…“

Shinichi schaute auf.

„Dann war er es tatsächlich, den Ran da gesehen hat? Sie hat gemeint, der Mann hätte lange Haare gehabt. Ich kann mir Akai mit langen Haaren fast nicht vorstellen.“

Er grübelte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

„Aber ich schweife ab. Ich denke, an dem Abend hatte sie dann für sich beschlossen, den gefunden zu haben, der ihr helfen sollte…“
 

„Und du hast es geschafft.“

Jodie lächelte ihn an.

„Ihr beide habt es geschafft. Du kannst stolz auf dich sein…“
 


 

Sharon räusperte sich.

„Yukiko, verstehst du? Ich hab ihn so sehr geliebt… ich… wusste mir nicht anders zu helfen.

Als ich gesehen habe, wie clever und wie mutig Shinichi ist… da wusste ich, mit ihm könnte ich es schaffen. Dass er der Organisation dann selber über den Weg gelaufen ist, war nicht meine Absicht, aber kam mir nicht ungelegen… auch wenn es sich grausam anhört.“
 

Yukiko saß auf der Couch, drückte sich, ohne dass sie es richtig wahrnahm, enger an Yusaku. Der schaute auf von seinem Buch, blickte sie ein wenig erstaunt, aber auch besorgt an.
 

„Ich bin nicht stolz, auf das, was aus mir geworden ist. Ich hab auch erst zu spät gemerkt, wohin mein Hass und mein Verlangen nach Rache mich geführt haben… sag deinem Sohn noch einmal Danke von mir, ohne ihn und Ran hätte ich es nicht geschafft. Sie haben mir die Augen geöffnet, in New York… er wird wissen, was ich meine, wenn du ihm das sagst.“

Sie schluckte schwer. Yukiko schwieg, seufzte leise.

„Warum sagst du ihm das nicht selber…“

„Weil ich ihm nicht mehr in die Augen sehen kann.“

Sharon seufzte.

„Wenn ich ihn nicht seinem Schicksal überlassen hätte, wäre es nie soweit gekommen. Deshalb. Also… machst das… für mich?“

„Na schön. Ich werde es ihm ausrichten.“

„Thankyou.“

Sharon schluckte schwer.

„So, this is the end. Unsere fünzehn Minuten dürften gleich vorbei sein.“

Yukiko sagte nichts.

Ein Warnton erklang in der Leitung. Sharon hatte Recht mit ihrer Vermutung gehabt. Die Verbindung würde bald unterbrochen werden.
 

„Yukiko, mach es gut, verzeih mir all das Übel, dass ich über dich und die deinen gebracht habe… Farewell.“

Damit legte sie auf.
 

„Sharon…?“
 

Yukiko hielt den Hörer noch lange an ihr Ohr. Solange, bis Yusaku ihn ihr aus der Hand nahm und das Telefon auf den Tisch stellte.

„Fühlst du dich nun besser, nun, da du es weißt…?“
 

Yukiko nickte nur.

Er schluckte, strich ihr über den Arm.

„Gut.“
 


 

Jodie schaute ihn an.

„Du weißt, ich darf dir nicht sagen, ob du richtig oder falsch liegst…“

Er nickte gedankenverloren, schien ihren Einwand allerdings zu ignorieren, zog grübelnd die Augenbrauen zusammen.

„Aber warum sie das Gift genommen hat… ich frag mich, ob alle in der Organisation wussten, wer Chris Vineyard eigentlich war…“
 

Jodie lächelte breit.

„Es gibt Dinge, die wusste nicht mal Sherlock Holmes, dear…“

Er warf ihr einen unwirschen Blick zu.

„Das krieg ich auch noch raus. `Cause I’m not Holmes, Miss. He was fiction, I am real.”

Dann seufzte er, lehnte sich etwas zurück.

„Und das ist dann das Ende… jetzt muss ich zusehen, mit was ich in Zukunft meine Zeit totschlagen kann. Ja, es wird wohl um einiges langweiliger werden, mein Leben…“

Jodie grinste.
 

Schweigen breitete sich wieder aus - allerdings nicht diese unangenehme, kaum zu ertragende Stille - nein. Es war eine im beiderseitigen Einvernehmen eintretendes Schweigen.
 

Sie schraken beide erst dann hoch, als mit Schwung die Tür aufging und James Black, gefolgt von Shuichi Akai und Shiho Miyano, eintrat.
 

„Mr. Sherlock Holmes!“, rief James Black amüsiert aus, als er Shinichi erblickte - der stieß sich vom Tisch ab, trat dem FBI-Agenten entgegen, reichte ihm die Hand.

„Mr. Black, nice to meet you again.“

James lächelte ihn an, wobei sich um seine Augen Lachfältchen bildeten. Er mochte ihn, diesen jungen Japaner.
 

“The pleasure is mine. Well - so we have closed our case?”

“Indeed, we have.”
 

Shinichi nippte erneut an seinem Kaffee.

„Und, was werden Sie jetzt tun?“

„Wir vier reisen bald zurück in die Staaten.“

Es war Akai, der sprach.

„Wir vier?“

Shinichi zog interessiert die Augenbrauen hoch, wandte sich zu Shiho.

„Du auch?“

Ein scheues Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.

„Ja, ich auch. Du weißt ja, ich war lange in den USA… es reizt mich einfach, wieder rüber zu gehen. Noch mehr, weil ich da einen Job kriege…“
 

Seine Augen weiteten sich erstaunt.

„Du gehst zum FBI? Hat dir eine Organisation nicht gereicht?“
 

Drei verärgerte Augenpaare wandten sich ihm zu.

„Wir sind nicht vergleichbar mit…“

„Nein, natürlich nicht.“, stimmte Shinichi zu, lächelte beschwichtigend.

„Aber sie können nicht leugnen, dass Sie ähnlich strukturiert sind. Auch wenn Sie auf der anderen Seite stehen.“

Er grinste breit.

„Ich wünsch dir auf alle Fälle viel Glück, Shiho. Wann fliegst du?“

Sie zögerte kurz, bevor sie antwortete.
 

„Morgen.“
 

Die rotblonde Forscherin schaute ihn abwartend an, biss sich auf die Lippe.

„Das ist allerdings bald…“, murmelte er.

„Shiho, bist du sicher, dass du das willst…?“

Sie schaute ihn an. Sein Blick traf den ihren, und sie wandte ihren Kopf ab.

Manchmal kam es ihr vor, als könne er in ihr wie in einem Buch lesen… so auch jetzt.
 

Als sie nicht antwortete, hakte er nicht weiter nach, ahnte, dass der Job nicht der einzige Grund gewesen war, warum sie ging.

Dann ging er um den Tisch herum, umarmte sie kurz. Nur ganz kurz; dann wollte er wieder auf Abstand gehen, aber sie hielt ihn noch fest.

„Danke für alles. Danke, Danke, Danke…“

Ihre Stimme war nicht lauter als ein Flüstern, ihr Atem streifte sacht sein Ohr. Dann ließ sie ihn los.

Shinichi schaute sie etwas erstaunt an, dann schluckte er, räusperte sich.

„Nichts zu danken…“

Dann schaute er dezent weg, als sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel strich.

Er holte Luft, seufzte leise; als er aufsah, lag ein Lächeln auf seinen Lippen.

„Du kommst uns doch aber mal wieder besuchen? Und du musst… musst dich noch von Ran verabschieden, sie nähme es dir übel, wenn du ihr nicht Auf Wiedersehen sagst.“

Sie schaute ihn perplex an.

„Ist gut. Und ja… natürlich komm ich euch besuchen… es ist ja… kein Abschied auf immer. Aber ich dachte, eine Luftveränderung…“

„Tut dir sicher mal gut, ja…“

Er nickte, dann schaute er sie ernst an.

„Pass auf dich auf, Shiho.“

Sie blinzelte.

„Na, das sagt der Richtige.“
 

Shinichi grinste gequält.

„Das werdet ihr mir mein Leben lang vorwerfen, oder?“

Sie lächelte, sagte nichts mehr.
 

Werde glücklich, du hast es dir verdient.
 


 

Black räusperte sich.

„Nun, eigentlich hatten wir ja gehofft, wir könnten dich von der Schule aus weglocken… da deine Eltern ja ohnehin die meiste Zeit in den Staaten sind, ist dir Amerika ja nicht unbekannt...“

Shinichi lehnte sich gegen den Tisch, schüttelte milde lächelnd den Kopf.

„Ja, mit der Reaktion hatten wir gerechnet. Einen Versuch war’s wert.“

Black nickte.

„Aber wenn du mal arbeitslos werden solltest…“
 

„Komm ich bestimmt nicht zum FBI.“

Shinichi grinste herausfordernd.

„Wie du meinst.“

Blacks Bartspitzen wanderten nach oben, an seinen Augenwinkeln bildeten sich erneut kleine Lachfältchen, als er leise lachte.
 


 

Anderthalb Stunden später stand Shinichi zusammen mit Heiji, Ran und Kazuha vor den Eingangstoren des Tropical Land.
 

„Das - ist nicht euer Ernst.“, ächzte er.

Seine Kinnlade schien beinahe den Boden zu streifen.

„Ihr wollt den Valentinstag hier nachfeiern? Was Romantischeres ist euch nicht eingefallen oder wie...?“

Er legte den Kopf schief, schaute von einem zum anderen.
 

Ran lachte, drückte im einen Kuss auf die Wange.

Er drehte seinen Kopf zu ihr.

„Ran! Echt mal-…“

Weiter kam er nicht. Sie drückte sich an ihn, schlang ihre Finger in seine dunklen Haare und berührte mit ihren Lippen die seinen, schloss die Augen, verführte ihn zu einem Kuss.

Als sie sich wieder voneinander lösten, seufzte er leise.

Sie schaute ihm in die Augen - und sah, dass er glücklich war. Seit langer Zeit einfach nur glücklich.

Sie lehnte ihre Stirn gegen seine, genoss die Nähe, die sie teilten.

„Ich denke, wir müssen unsere Rummelplatzphobie mit einer Radikalkur heilen.“

Sie grinste breit.

„Aber du brauchst nicht glauben, dass ich dich diesmal irgendwohin rennen oder dich von irgendwelchen zwielichtigen Typen verschleppen lasse…“

Er lachte leise.
 

„Du brauchst nicht glauben, dass ich diesmal irgendwohin rennen will.“
 

Er streichelte ihr mit den Fingerkuppen über ihren Rücken.

Sie lächelte, dann nahm sie seine Hand in ihre, winkte Heiji und Kazuha, ihnen zu folgen.
 

Sie drückte seine Hand, lächelte ihn an, als er den Kopf drehte und sie angrinste, dachte daran, wie all das begonnen hatte… mit einer Stunde an Weihnachten und dem Besuch einer Filmpremiere.
 

„Denn am Ende steht der Tod“ war der Titel des Films gewesen.

Ran schüttelte sanft den Kopf.
 

Nein, am Ende steht nicht immer der Tod.
 

Sie lehnte sich enger an Shinichi, spürte, wie seine Lippen kurz ihre Haare berührten.
 

Manchmal steht am Ende… ein neuer Anfang.
 

Er war wieder da, er war bei ihr, er liebte sie.

Was brauchte sie mehr.
 

Sie lächelte sanft, berührte mit ihrer freien Hand das Medaillon an ihrem Hals.
 

________________________________________________________________________
 


 


 

So, meine sehr verehrten und hoch geschätzten Leserinnen und Leser,
 

Ihr habt es geschafft.

Ich gratuliere euch!
 

*verneig*

Ich senke mein Haupt vor eurem Durchhaltevermögen! Ich danke dafür, dass ihr euch durch die ca. 140 000 Wörter gelesen habt und ich danke euch für bis jetzt 478 Kommentare… Leute, ihr macht mich fertig, ehrlich!

*rotwerd*

Vielen Dank für jeden einzelnen eurer Kommentare, für die Zeit, die ihr euch genommen habt, um mir eure Meinung über meine Arbeit mitzuteilen, und es erfüllt mich mit Freude, wenn ich sehe, wie viele ‚Denn am Ende steht…’ gelesen haben.

Ich hoffe, ihr habt es nicht bereut und diese Fic genossen.
 

So… nun noch ein paar spezifischere Danksagungen:
 

Danke an alle, die meine Fic favorisiert haben! Das ehrt mich sehr, ich freu mich darüber unglaublich.
 

Dann ein großes Dankeschön an alle, die sich dazu aufgerafft haben, mir einen oder mehrere Kommentare zu schreiben, die da wären (in alphabetical order):
 

-Lesca-

Allunga

Apollon-Klio

ArabicLyra

Arisa-Uotani

Black_Taipan

BlackGaara

Conan-kun

Diracdet

Haineko

Itako_no_Anna

jwolff

KilmaMora

Kyou-Chan

Leylis

Licana

LittleTui

lorelai-rory

meer

Midnightshine

namiko_chan

Nightstalcer

Nocturn

nymacchiato

Ran_Angel

Ran_Kudo

Seiji_Takashi

shadsy

Shelling__Ford

Shi_Ran-chan

shinco

ShinichiKudo_017

Shini-Girl_17

sonoko

sunshine84

Terumi

uhp

Vertschl

Yuiji_Sarutobi
 

Ihr habt mir mit eurer Meinung, eurem Lob und eurer Kritik, eine andere Perspektive für meine Geschichte verschafft, ihr habt mir geholfen, den einen oder anderen Fehler zu erkennen und zu vermeiden… Thanks!

*verneig*
 

Und last but not least… für alle, die’s interessiert.
 

Die Abstimmung über die nächste Fic ergab folgendes Ergebnis:
 

(Unter Ausschluss der klar deutbaren Enthaltungen und Meinungen wie: „Möchte lieber das, würde aber das andere auch gern haben; das war mir zu wenig eindeutig)
 

Also: Nur Ja/Nein-Stimmen: HE: 4; Drama: 5

Somit hat das Drama den Vorzug. Alle, die sich damit gar nicht abfinden wollen kann ich nur auf danach vertrösten; die Happy End-Fic wird nach dem Drama ebenfalls geladen.
 

Der ENS-Benachrichtungsdienst ist hiermit wieder gelöscht; wer eine ENS haben will, wenn die neue Fic online geht, bzw. wenn die Happy-End-Fic online geht, möge mir Bescheid geben, und ich fang eine neue Liste an. Ich will euch ja nicht unnötig auf den Keks gehen :D
 

Also. Ihr dürft euch auf sechs bis acht Wochen Pause einstellen… vorher kann ich nicht anfangen.
 

In diesem Sinne,

Arigatou, Mata ne, eure Leira :D



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Kommentare zu dieser Fanfic (511)
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Von:  Nuadize
2017-01-16T00:41:34+00:00 16.01.2017 01:41
Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie oft ich diese Fanfiction, oder zumindest Teile davon, schon gelesen habe ;)
Ich finde sie immernoch klasse und wollte dich das einfach nochmal wissen lassen. Eine meiner absoluten Lieblingsstories
Von:  youjissi
2016-07-28T19:34:25+00:00 28.07.2016 21:34
Liebe Leira, ich muss sagen, dass ich sehr beeindruckt von deinem Talent bin. Wie du schreibst ist nahezu unbeschreiblich. Ich schreibe mein Kommentar gerade in diese Fanfiction, weil mir diese von deinen weiteren faszinierenden Werken am meisten gefällt. Du bist sehr begabt. Du lässt deine Leser mitfühlen, man stellt sich quasi die Situation in der Fantasie vor. Ich muss sagen, ich habe sehr viel geweint. Hier, bei deinen anderen Werken und am meisten bei "Dunkler als Schwarz". Weißt du das Meiste was ich in Mexx als Detektiv Conan Fanfictions gelesen habe war hauptsächlich, dass Shinichi zurück kommt, Ran alles erzählt und sie glücklich werden. Bei diesen FF's ist bedacht, dass es immer Ran ist die qualen erleiden muss. Aber Shinichi? Das wird sehr selten geschrieben. Bei dir ist es das komplette Gegenteil. Bestens beschrieben in "Dunkler als schwarz". Ein Meisterwerk. Zugegeben, nochnie habe ich eine so gute Fanfiction gelesen. Du lässt uns nicht nur Ran's Leid spüren, sondern auch Shinichi's. Du hast es geschafft, dass ich mich fühle wie Ran und dann aber fühle wie Shinichi. In jeden deiner Werke. So kunstvoll. Eines Abends lag ich in meinem Bett, las das Kapitel von Dunkler als schwarz, wo Ran Shinichi eine Ansage machte und du wirst niemals glauben wie sehr ich geweint habe. Ich habe bei einer Fnfiction noch nie so sehr geweint. Das ist nichts schlechtes, nein. Das zeigt, dass du eine große Begabung hast. Ich bin froh, deine Fanfiction's gelesen zuhaben. Ich habe noch nicht alle durch, nein. "Der rote Faden" und "Amnesia" fehlen noch. Und die werden auch noch gelesen. Danke für deine wundervolle FF's, liebe Leira. Ich hoffe, dass du viel mehr schreibst. Ich wäre sicher eine von vielen, die mit Begeisterung deine Werke lesen würde.
Entschuldige, dass es so lang ist. Aber ich finde, dass wenn jemand so gut ist, er es aufjedenfall von jeden erfahren muss.

Ok, genug. ^-^

Liebe Grüße von mir, Kazuha-chan
Von:  Leah_Ranpha
2014-06-12T23:17:24+00:00 13.06.2014 01:17
Wow, wieder mal ein richtig tolles Kapitel, aber eigentlich (wie ich immer so schön sage;-) sind alle Kapitel von dir gut. Aber das hier ist auch gut. xD

Das einzige was mir da noch aufgefallen ist ...*such such*
Ah habs!
Hier:

'Jodie seufzte leise. Ihnen allen war der Mund offen stehen geblieben, sprichwörtlich. Selbst Akai, der eigentlich eher nie zeigte, was er dachte, war anzusehen gewesen, wie sehr ihn der kleine große Detektiv beeindruckte.
Er war einer von ihnen - er war wie sie.
Fast.
Er war noch besser.

James räusperte sich.
„Wo bleibt eigentlich Shuichi?“ '

Ich fands nur etwas seltsam, dass oben steht 'Selbst Akai, der ...' und später fragt Black, wo Shuichi denn bleibt.
Außer, dass du gegen Ende hin noch ein 'wie' vergessen hast, ist mir nichts aufgefallen! Deine Fanfictions sind sowieso so überaus perfekt!
Ich bin nur so jemand, der bei den allerbesten der allerallerbesten der allerallerallerbesten immer nach dem Haar im Süppchen sucht.
*seufz* Das ist Angewohnheit, kann ich leider nicht ausblenden! *Gomenasai*

Ich lieeeeeebe deinen Schreibstil, ich könnte dir das tausendmal schreiben!
Es ist so der Wahnsinn, wie gut du schreibst! Wenn du mal ein Buch veröffentlichst, dann sag es mir ja? Ich möchte 100 Exemplare haben!

Ansonsten möchte ich die Kommentarliste nicht so vollstopfen mit dem, was schon gesagt wurde.
Bis bald dann (ich muss ja auch noch Kommis für Amnesia, Junischnee, Der Rote Faden, Weihnachtswünsche und .... deinen ganzen anderen One-Shots schreiben - nicht das du denkst, ich hätte das vergessen oder so, ich bin ja keine Schwarzleserin, ich brauche nur ein wenig Zeit für meine Kommentarchen!),

Deine Lena;-)

Von:  shinran
2014-06-03T07:52:48+00:00 03.06.2014 09:52
Ich fand die geschichte so toll das ich sie mir 2 mal durchgelesen habe.
Wie du die gefühle der personen rübergebracht hast war perfekt wie auch die Charakterzüge z.b. shinichi will ran immer schützen und Ran gibt sich immer die schuld am allen
Ich fand die geschichte einer die besten dich ich bis jetzt gelesen hab und das soll schon was bedeuten

Voralledem ich bin ja ein fan von happy ends und die parings von Ran und shinichi und auch kazuha und heji sogar takagi und sato mag ich.
Mach so weiter
Lg
Von:  Ten-nii-san
2013-10-25T00:25:48+00:00 25.10.2013 02:25
Hey also ... ich hab die Geschichte jetzt gelesen und ich muss sagen, dass ich sie LIEBE!!!
Dein Schreibstiel ist der Hammer und super zu lesen. Es war spannend, gefühlvoll und einfach nur zum mitfiebern ... ich kann es gar nicht beschreiben. Ich hatte Tränen in den Augen und ich muss sagen, so würde ich mir das Ende von Detektiv Conan auch wünschen. Er soll verdammt noch mal in Gefahr geraten und verdammt, klar sollen die Leute, die ihm nahe stehen in Gefahr geraten, sonst wäre es nicht schlüssig ... wäre alles umsonst.
Deswegen ... respekt. Besser gehts nicht.
I <3 it!!
Und ich würde mal sagen, wenn dir das Schreiben wirklich Spaß macht - und es liegt dir toootal - dann solltest du das auch weiter machen. Ich weiß ja jetzt nicht, was du in deiner Freizeit machst, aber da solltest du echt mal drüber nachdenken. Du hast Fantasie und du kannst einen mit deiner Schreibfähigkeit mitreißen.
Rundum ... klasse!!
Von: abgemeldet
2012-08-15T23:20:13+00:00 16.08.2012 01:20
O-M-G
Ich hab die FF innerhalb eines Tages (einer Nacht? ^^) gelesen.
...
WUNDERTOLL! Wie er nach und nach von allen entlarvt wird, diese Anknuepfung an den OS, dieses Gefuehlsdrama... Wie kann man nur so toll schreiben
Und Shinichis Nahtod: O.O
Boah ey, ich war mir net sicher, was du mit ihm anstellen wuerdest.
Und die Idee mit Vermouth Mann ist auch net schlecht *nachdenk*
Wieder mal eine tolle FF. Ich kann gar nicht warten, noch die zu lesen, die ich noch net gelesen hab.
Viieeeeeeeele Liebe Gruesse
Reika

Von:  LlunaKudo
2012-06-18T18:34:42+00:00 18.06.2012 20:34
Hammer FF!!! Ich konnte letzte Woche einfach nicht aufhören zu lesen *.*
Super spannend geschrieben, man konnte richtig mitfiebern!
Ai tat mir zeitweise wirklich richtig leid.
Ran hat es etwas übertrieben, wie kann man nur das Gift freiwillig schlucken? >.< Aber Conan und Hana waren schon süß zusammen :D Konnte ich mir richtig gut vorstellen x3
Fand schade, dass Heiji eine etwas kleinere Rolle hatte... wirklich viel konnte er ja eigentlich nicht beitragen >.<
Vermouth ist mir in deiner FF irgendwie richtig sympathisch geworden! *o* Es nervt schon, dass Aoyama immer nur so wenig Infos rausrückt >.< Aber deine Ideen waren sehr plausibel und wie gesagt, ich mag Vermouth jetzt noch mehr als vorher x3 Nach deiner FF hab ich Lust gekriegt, sie zu cosplayen XD
Und Shinichi musste wieder am meisten leiden >.< Aber irgendwie mag ich das *.* Zum Glück hat er es am Schluss überlebt ;^; Und ist endlich mit seiner Ran zusammen :D Ich mag Happy Ends x3

So... da mir grad 1 Kapi Amnesie pro Woche zu wenig ist, werd ich noch etwas bei dir stöbern ^^ Ein paar FFs hab ich von dir glaub ich wirklich noch nicht gelesen ^^

LG,
Lluna
Von:  Rave_ShadowHeart
2011-05-23T07:18:02+00:00 23.05.2011 09:18
Also...
Mir hats gefallen! ^-^
Gute Ideen, spannend und kurzweilig und sehr dramatisch. Wie von dir eben zu erwarten war. ^-^
Allerdings hat mir nicht so gefallen das Ran soooo Hilflos und verheult war. Aber das machen einige andere Punkte locker wieder Wett. Das "Wiedersehen" von Ran und Shinichi im Krankenhaus hätte ich mir auch etwas Herzzerreißender vorstellen können aber so hat es ganz gut zu allem drumherum gepasst.
Ich bin schon auf die nächste FF gespannt die ich mir von dir krallen und lesen werde.
LG, Rave

Von:  Punika
2010-08-24T16:07:24+00:00 24.08.2010 18:07
Liebe Leira,
wie angekündigt nutze ich meine Semesterferien eifrig um all deine FFs zu lesen. Und was soll ich sagen, fast bin ich fertig. Nur noch eine fehlt. Und zwar die an der du aktuell noch schreibst. Wieso ich noch kein Kommentar zu den anderen FFs geschrieben habe? Nun, ich war einfach zu müde *grins* Du raubst mir nämlich den Schlaf, da ich, wenn ich einmal angefangen habe, nicht wieder aufhören kann mit dem Lesen. Meist, bis ich vor meinem Laptop einschlafe *nochbreitergrins* Aber zu dieser humanen Zeit bin ich in der Lage dir mein Lob auszusprechen. Wirklich eine sehr gelungene FF. Welche Details du dir immer einfallen lässt ist der Wahnsinn, ganz ehrlich! Auch dein Stil ist immer noch brillant. Kritisieren kann ich also nicht. Auch nicht konstruktiv :-P Nur meine aufrichtige Anerkennung aussprechen.
Dennoch will ich anmerken, jetzt, da ich den Großteil deiner FFs gelesen habe, dass keines deiner Werke auch nur im Entferntesten an "Tagebücher" heranreicht. Damit hast du für mich wirklich den Vogel abgeschossen. Was Besseres habe ich bisher noch nicht gelesen. Ein wahres Meisterstück! Wie gesagt, keine Kritik an den anderen Werken, alle durch die Bank sehr gelungen, aber "Tagebücher" hat mich echt mehr als gefesselt!
Umso gespannter bin ich auf dein aktuelles Werk.
Du wirst also wieder von mir hören!
Hochachtungsvoll
Punika

P.S.: Kommentare zu den anderen FFs folgen ebenfalls ;-)
Von:  Misses_SI
2010-03-06T20:33:50+00:00 06.03.2010 21:33
So, fertig...hab drei Tage gebraucht, hat sich aber echt gelohnt muss ich sagen. Dein Schreibstil ist wirklich sehr sehr gut. Spannung und Romantik bis zum Ende. Du hast wirklich tolle Ideen. Mach weiter so...und ich werde mir jetzt mal deine anderen FFs vornehmen. :)

LG


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