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A new Story

Die Geschichte einer Tänzerin~
von

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~ Kleider machen Leute ~

Der frische Morgenwind und der rötlich, blaue Himmel kündigten den frühen Morgen an. Sinnend stand Sila auf ihrem Balkon und dachte über ihre Situation als Trainerin und über die vergangenen Tage nach. An diesem Morgen musste sie ausnahmsweise nicht so früh im Internat sein. Ein großer Teil ihrer Anfängergruppe war bereit an der ersten Prüfung für das sechste Level teilzunehmen. Ein Lächeln huschte über die Lippen, als Sila über ihre Schützlinge nachdachte. Für viele war der Anfang sehr schwer. Einige waren in den ersten Wochen so frustriert, dass sie ans Aufgeben dachten. Doch mit viel Geduld und Freundlichkeit gelang es Sila alle Schüler weiter zu motivieren, so dass nun die Ersten ihre Prüfung ablegen konnten. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass diese Schüler nun selbstständig weiterlernen konnten. Sie hatte gar keine Zweifel daran, dass auch nur einer die Prüfung nicht bestehen konnte. Selbst wenn ein paar Kandidaten fürchterliche Prüfungsangst hatten, würde sicherlich alles gut laufen. Nun hieß es für sie auf die Liste mit ihren neuen Schülern zu warten und ein Programm zu entwickeln, mit dem sie sowohl die Neulinge, als auch die „Fortgeschrittenen“ fördern konnte. Gerade auf diese Herausforderung freute sich Sila schon sehr, eben weil sie immer stärker fühlte, dass dieser Platz der Richtige für sie war.
 

Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte, dass es langsam Zeit war sich auf den Weg zum Internat zu machen. Die Trainigstasche hatte sie bereits vor der Eingangstür positioniert. So brauchte sie nur noch danach zu greifen und die Tür hinter sich ins Schloss fallen zu lassen.

In der Apartmentlobby angekommen, grüßte Sila freundlich das Personal. Auch der Wachposten am Eingang wurde mit einem fröhlichen Lächeln und einem klaren: „Guten Morgen!“, bedacht. Aber erst als sie ihren Blick auf den Weg, der in Richtung Park führte, richtete, erhellten sich ihre Gesichtszüge vollständig.
 

Es war nun schon der siebte Tag in Folge, an dem Skyre draußen an einer Laterne gelehnt auf sie wartete. Auch wenn Sila es sich selbst nicht eingestehen wollte, freute sie sich sehr von dem gutaussehenden und überaus begabten Tänzer abgeholt zu werden. Er hatte es zu seiner Gewohnheit gemacht Sila zum Internat zu begleiten. Während sie ihre Unterrichtsstunden hielt, wartete er solange im Zuschauerbereich. Auch zum Mittagessen in der Kantine begleitete er sie. Dort trafen die beiden auf die Tänzer des inneren Freundeskreises und nutzten gerne die gemeinsame Zeit. Hin und wieder erlaubte Sila Skyre sogar sie bei ihrer Pause im Park zu begleiten. In den warmen Sommermonaten genoss sie es im Freien einen Roman zu lesen oder eine neue Choreographie auszudenken. Ansonsten tanzte Skyre bis zum Vorabend, an dem Sila wieder zu ihren Freunden stieß. Nach einem anstrengenden Tag bestand er dann auch noch darauf sie zu ihrem Apartment zu begleiten.
 

An diesem Morgen erwartete sie ein bekanntes Lächeln und das Freundliche: „Guten Morgen, Sila. Hast du gut geschlafen?“

„Wie jede Nacht. Danke! Und du?“

„Wie ein Stein!“

Ein Lachen erhellte die lautlose Morgenluft. „Manchmal frage ich mich ob du Nachts überhaupt geweckt werden könntest.“

Freundlich sah Skyre Sila in die Augen. „Wenn du mich rufen würdest, wäre ich sofort wach.“

„Schmeichler!“

„Nein, das ist mein Ernst!“

Einen Augenblick lang hielt Sila seinem Blick stand. Er war aufrichtig. Viel zu aufrichtig, bemerkte sie verlegen. Es wurde immer auffälliger, dass Skyre ihre Gesellschaft suchte. Auch ihre Freunde bemerkten es, aber niemand sprach sie oder ihn darauf an. Sogar Kiso hörte mit seinen Verkuppelungsversuchen auf. Sicherer wäre es, sich von dem asiatischen Star fern zu halten. Doch aus unbekannten Gründen, genoss Sila seine Anwesenheit. Auch wenn sie sich ständig darüber den Kopf zerbrach wie lange es noch so weitergehen konnte.

„Habe ich etwas falsches gesagt?“, riss Skyre sie aus den Gedanken. Schnell schüttelte Sila den Kopf. „Ich habe nur nachgedacht.“

Eine kurze Pause entstand, bis Skyre frage: „Was denkst du wieviele neue Schüler du bekommen wirst?“

Sila zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Man war sich noch nicht sicher welche der Neulingen die Aufnahmeprüfung bestehen würden.“

„Ich hoffe du bekommst dieses Mal mehr Mädels!“, seufzte Skyre hörbar.

„Aha! Damit du beim Zuschauen mehr zu sehen hast?“

„Was denkst du von mir? Damit dich weniger des anderen Geschlechts lüstern anschauen können!“

Das Gespräch amüsierte Sila. Sie sah in großer Gebärde an sich herab. „Da hast du was falsch verstanden, Mr. Beschützer. Da gibt es nichts, was lüstern angeschaut werden kann!“

Skyre hielt im Gehen inne und nahm sich einen Moment die Zeit um Sila zu betrachten. Flüchtig warf er seinen Blick auf ihre flachen Sportschuhe, ihre kurze Lieblingshose beim Sport und das schwarze Oberteil mit dreiviertel Ärmeln. Ein silberner Reisverschluss gab einen starken Kontrast zum dunklen Outfit, aber es fiel um so mehr auf, weil Sila ihn ganz bis zu ihrem Halsausschnitt hochgezogen hatte. Es war ihm nicht neu, dass Frauen, die im Internat tanzten ihre Outfits sehr aufreizend auswählten. Miniröcke, gepaart mit tiefen Ausschnitten und hohen Absätzen waren fast schon Standard bei den Frauen. Sila war anders. Ihre Kleidung war entweder praktisch oder bequem. Seit es die klassischen Tänze im Internat gab, trug sie sogar Absätze. Auch wusste Skyre, dass sie einige Röcke verschiedener Länge besaß. Aber zu seiner Verwunderung wurden sie nur zu bestimmten Anlässen ausgewählt und nie konnte man Sila vorwerfen mit ihren Reizen zu spielen.

Doch diese Dinge hatten für ihn kaum einen Wert. Sein Blick blieb an ihrem Gesicht ruhen.

„Dann haben sie deinen wahren Wert noch nicht erkannt!“

So einen Satz konnte Sila nicht richtig einordnen, hatte aber auch nicht den Mut weiterzufragen. Vielleicht war es einfach die große Angst vor der Veränderung, über die sie mit Phie gesprochen hatte. In ihr tobte ohnehin schon ein Kampf, den sie unter keinen Umständen verlieren wollte. Tief im Herzen fühle sie sich immer mehr zu ihm hingezogen. Gleichzeitig wurde sie von der Angst gepackt was passieren würde, wenn sie ihm die Hand reichen würde. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gingen die beiden ihren Weg durch den Park. Es dauerte nicht lange, bis Sila es wagte ihm einen verstohlenen Seitenblick zuzuwerfen. Das Herz schlug auf einmal merklich schneller. Als es ihr bewusst wurde, senkte sie ihren Blick und bemühte sich wieder auf die Pflastersteine des Weges zu achten. Ihre Gesichtszüge nahmen plötzlich einen traurigen Ausdruck an.

'Es hat einfach keinen Sinn! Er und ich leben in zwei völlig verschiedenen Welten. Falls er überhaupt jemals auch nur an eine Beziehung denken könnte, würde es doch nur so enden wie bei Chuckie!'

Ein lautes Seufzen deutete die wirren Gefühle an, mit denen Sila nun immer mehr zu kämpfen hatte. Skyre hatte ihren Seitenblick bemerkt. Auch war ihm aufgefallen, dass sie sich hin und wieder bemühte von ihm Abstand zu halten. Es schien jedoch etwas zu geben, was sie nicht lange genug auf Distanz ihm gegenüber halten konnte. Diese Beobachtungen weckten in ihm den Wunsch die Gründe dafür herauszufinden. Aber er nahm sich Zeit dabei.

„Los geht’s! Ich wünsche dir eine gute Trainingseinheit!“

Skyres motivierender und unbekümmerter Tonfall brachte Sila endgültig in die Realität zurück. Überrascht bemerkte sie jetzt erst, dass sie schon in der Lobby angekommen waren.
 

*** ** * ** ***

Eigentlich hatte sich Skyre fest vorgenommen die Zeit von Silas Trainingseinheiten zu nutzen, um die vielen ausstehenden E-Mails zu beantworten. Aus diesem Grund nahm er dieses Mal seinen Laptop mit. Seinen Blick konnte er aber nicht einfach vom Geschehen, etwas weiter unter sich, losreißen. Von seinem Platz im Zuschauerbereich aus, bot Sila einen wunderschönen Anblick, während sie mit ihren kleinsten Schülern zusammenarbeitete. Besonders das jüngste Mädchen, welches am Anfang so große Probleme hatte die Schritte einzustudieren, blühte auf. Das Tanzen machte ihr anscheinend Freude und er mochte ihr voller Stolz strahlendes Gesicht, wenn sie von ihrer Lehrerin gelobt wurde. Sila hatte die versteckte Gabe, gut mit ihren Schützlingen umgehen zu können, stellte Skyre fest. Ihr Lachen und ihre Motivation steckte alle an.
 

Kaum hatte er endlich begonnen einige Mails zu beantworten, hörte er wie jemand seinen Namen rief. Als er den Kopf über seinem Laptop hob, bemerkte er zu seiner Überraschung, dass die Trainingszeit bereits geendet hatte. Im Übungsraum standen nur noch vier Frauen mit ihren Kindern um Sila herum versammelt.

„Kommen sie heute gar nicht mehr herunter?“, rief eine der Frauen zu ihm hinauf. Sila beobachtete wie Skyre sich beeilte den Laptop zu verstauen und in schnellem Schritt die Treppen vom Zuschauerbereich hinunter ging. Fröhlich sagte er zu den Frauen gewandt:

„Sie haben mich gerade beim Träumen erwischt, verehrte Damen...“.

Während die besagten Damen kicherten und von Skyre alles Mögliche wissen wollten, wanderte Silas Aufmerksamkeit auf die Kleidung der Mütter ihrer Schüler. Obwohl manche Frauen bereits mehrfache Mütter waren, hatte ihr Erscheinungsbild trotz allem eine gewisse Eleganz. Es war so gar nicht Silas Art sich über die Kleidung von anderen oder gar sich selbst große Gedanken zu machen. Doch sie musste sich gestehen, dass sie weniger weiblich aussah als die Gesprächspartnerinnen von Skyre. Ein Anflug von Neid drang in ihr Herz, während sie in Gedanken ihre Outfits mit denen vor ihren Augen verglich. Die Folge war, dass sie sich plötzlich für ihre sportlichen Sachen schämte. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum Sila von den Frauen oft nicht wirklich wahrgenommen wurde. Die knappen Gespräche gingen nie über das Benehmen ihrer Kinder in den Tanzstunden hinaus. Manch ein Mal fühlte sich Sila eher wie eine niedrige Angestellte als eine Lehrerin. Skyre ging so höflich mit den Frauen um, dass sie eher wie Damen aus vornehmen Kreisen wirken könnten. Sila fühlte sich ihm gegenüber mehr wie eine kleine Schwester, die beschützt werden musste. Sie versuchte sich zu erinnern wann Skyre das letzte Mal so höflich mit ihr gesprochen hatte. Eine ungewohnte Wut stieg in ihr auf. Um es zu verstecken, drehte sie sich um und schritt zu ihrer Trainingstasche. Sie hätte keine Skrupel gehabt sich diese Tasche um die Schulter zu werfen und wortlos den Saal zu verlassen. Immerhin war sie ja keine Lady, nur eine einfache Tanzlehrerin. Daher würde man ihr deswegen bestimmt keine Vorhaltungen machen können.

Doch soweit kam sie nicht. Gerade als sie dabei war den Reisverschluss ihrer Tasche zuzuziehen, hörte sie ihren Namen. Überrascht drehte sich Sila um und sah, dass alle Blicke auf sie gerichtet waren. Scheinbar hatte man sie etwas gefragt, als sie mit sich selbst beschäftigt war.

„Entschuldigung. Ich war in Gedanken.“

„Nicht schlimm. Mrs Braun hat uns gefragt ob wir ihr, den anderen Damen und den Kindern nicht ein paar Schritte vom Partnertanz zeigen könnten.“

Silas Augen weiteten sich vor Schrecken. Wie konnte Skyre auch nur auf die Idee kommen, dass sie in diesem Aufzug auch noch Lust hätte einen klassischen Tanz zu vollführen? Scheinbar bemerkte Skyre ihr Zögern nicht, weil der Gedanke ihm durchaus zu gefallen schien.

„Wir haben doch eh noch eine gute halbe Stunde bis wir die Anderen treffen. Was spricht denn dagegen, Sila?“

Ohne ein Wort zu sagen wollte sie ihre Tasche auf die Schulter werfen. Den Leuten im Übungsraum hatte sie den Rücken zugewandt um ihren Ärger über die Situation nicht zu zeigen.

„Was ist los?“, hörte sie plötzlich Skyres leise Stimme neben sich. Als Sila aufblickte stand Verwunderung in seinem Gesicht geschrieben.

„Ich hab einfach keine Lust denen was vorzutanzen!“

„Aber du magst doch sonst die klassischen Tänze. Ich tanze mit dir.“

„Du bist doch gar nicht zum tanzen angezogen!“ Sila wollte nicht nachgeben.

„Das ist egal. Ich kann auch mit den normalen Sachen tanzen. Gib dir nen Ruck! Es ist nur ein kurzer Tanz.“

Zu seinem Erstaunen funkelte sie ihn verärgert an. Ihre Laune hatte sie merklich geändert. Weil er sich keinen Grund dafür vorstellen konnte, redete er trotzdem unbeirrt weiter:

„Vielleicht finden sie ja Gefallen am Tanzen und werden auch zu deinen Schülern. Wäre das nicht ein großes Lob deiner Leistung?“

Bevor Sila Skyre etwas erwidern konnte, kam eines der Schüler auf sie zu und zupfte an ihrer Hose.

„Miss Diamon. Bitte tanzen sie einen schönen Tanz für uns. Sie tanzen sonst nur wenn sie uns etwas vorzeigen.“

„Ja bitte, Miss Diamon!“, klang es jetzt auch von den übrigen Kindern. Die Mütter nickten ihr freundlich zu. Sila versuchte noch einmal etwas dagegen zu sagen:

„Schau mich an! Tanzt man mit diesen Klamotten etwa einen klassischen Tanz? Willst du, dass ich mich lächerlich mache?“

„Das weiß doch jeder, dass man da anders angezogen ist. Das stört hier keinen!“, dabei ergriff er sie am Handgelenk. Seine linke Hand ruhte sanft auf ihrem Rücken, als er sie in die Mitte des Raumes führte. Auch wenn Skyre nicht so muskulös wie Dray oder Kiso war, so hatte er eine ausgebildete Haltung und konnte jede Frau dazu bringen einen Tanz mit ihm zu tanzen. Egal wie gut oder schlecht sie selbst war, durch Skyres Führung schien auch sie seinen Fähigkeiten ebenbürtig zu sein. Als Skyre sie in der Mitte des Raumes stehen ließ um ein Lied für den Tanz auszusuchen, sank Sila der Mut noch etwas dagegen zu erwidern. Sie sah, dass die Damen mit ihren Kindern auf den Zuschauerstühlen Platz genommen hatten und voller Spannung jeden von Skyres Bewegungen beobachteten.

Noch bevor Skyre seine Position eingenommen hatte, erkannte Sila eines ihrer Lieblingsstücke: „Get out“. Dieses Lied wurde von Sila sonst liebevoll „das Gutelaunelied“ genannt. Wären sie in einem der Ballsäle und hätte Sila ein schönes Sambakostüm an, würde Skyre ihr schönstes Lächeln zu Gesicht bekommen. Doch sie konnte den Gedanken an ihre Erscheinung einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Auch so ein Sambakostüm gehörte nicht zu ihrem Besitz.

Skyre führte Sila fast fehlerfrei. Wäre eine Jury dabei gewesen, so hätten die beiden mehrere Partnerpunkte absahnen können. Aber Sila tanzte den Tanz mechanisch. Weder genoss sie es mit Skyre zu tanzen, noch konnte sie sich über den Song freuen. Sie wollte einfach nur noch zurück zu den anderen. Ihr fehlte an diesem Vormittag eine Freundin. Eine Frau, die ihre Gefühle verstehen konnte.
 

Der Beifall war stürmisch, nachdem das Lied ausgeklungen war. Die kleinen Schüler sprangen vergnügt in die Luft und riefen: „Sowas wollen wir auch lernen, Mutti!“ Auch die Frauen überschütteten die Tanzlehrerin ihrer Kinder mit Lob. Sila dankte höflich, sprach aber nicht mehr als nötig. Kaum waren alle bis auf die beiden Tänzer aus dem Raum verschwunden, griff Sila nach ihrer Tasche und stürmte wortlos aus dem Übungsraum.
 


 

*** ** * ** ***
 

Beim Mittagessen war die Stimmung der Freunde ausgelassen wie immer. Nur Sila schien kaum Appetit zu haben. Jedem in der Runde fiel auf, dass sie ziemlich wortkarg war. Auch Skyre gegenüber nahm sie eine kühle Haltung an. Philphlader fragte Sila besorgt ob sie sich überanstrengt hätte oder ob es ihr nicht gut ginge.

„Nein. Bei den Tanzstunden verausgabe ich mich nicht, Imôto.“

Silas schlechte Laune brachte Skyre in eine missliche Lage. Kiso sagte zwar kein Wort, aber er ließ seinen Blick nicht von seinem Gegenüber. Sobald sich die Blicke der Männer trafen fühlte sich Skyre als hätte er irgendetwas schlimmes angestellt. Dabei wusste er selbst nicht aus welchem Grund sich Silas Stimmung so verändert hatte. Am Morgen war sie noch guter Dinge. Etwas nachdenklich aber gut gelaunt. Durch Schulternzucken versuchte Skyre klarzumachen, dass er nichts mit ihrer Laune zu tun hatte, doch so schnell ließ sich Kiso nicht abwimmeln.

Am äußeren Rand des Tisches saßen sich Sila und Sango gegenüber. Sogar Sango flüsterte: „Hast du dich mit Nii-chan gestritten?“

„Nein!“

„Warum ignorierst du ihn denn heute? Hat er dich geärgert?“

„Nein!“

„Ach O-nee! Du kannst mir ruhig sagen, wenn dich etwas beschäftigt...“. Sango machte sich Sorgen um Sila und wollte noch etwas sagen, als Phie, die daneben saß, ihr sanft die Hand auf den Arm legte. „Lass gut sein. Sie wird schon reden, wenn ihr danach ist“, flüsterte sie ihr zu.

Das Essen ging schweigsamer zu ende als es begann. Nachdem alle fertig waren und keiner mehr sitzen wollte, machten sich die Freunde in kleinen Gruppen an den Geschirrständern zu schaffen. Kiso nutzte die Gelegenheit um sich von Skyre bestätigen zu lassen, dass er wirklich im Dunkeln tappte. Sila hatte als erste das Geschirr weggelegt und beobachtete ihre Freundinnen wie sie den Müll in die Mülleimer warfen und das Geschirr an den richtigen Stellen platzierten. Als Phie lächelnd an ihr vorbei gehen wollte, fragte Sila leise: „Was machst du gleich?“

„Ich wollte tanzen gehen. Hast du etwas bestimmtes vor?“

„Nein.“, war die Antwort, „Darf ich mit dir zusammen tanzen?“

„Natürlich! Aber ich brauche ein paar Minuten. Gestern habe ich ein neues Outfit gekauft, das ich gerne anziehen wollte...“

„Das geht in Ordnung. Ich reserviere uns dann schon mal einen Raum.“
 

Am Nachmittag trennten sich die Wege der Freunde; Philphlader musste zur Universität zurück und Kiso wollte gerne mit Dray ein hartes Training durchlaufen. Sango und Shadow wollten an diesem Nachmittag in die Stadt gehen. Während Sila auf Phie wartete, verbrachte sie ihre Zeit mit dem Durchstöbern der Liederliste. Sie sah auf, als die Tür aufging, doch ihr Blick wurde kälter, als Skyre durch die Tür kam.

„Störe ich?“, fragte er vorsichtig.

Ein Schulternzucken war seine Antwort: „Du kennst ja das Passwort.“

„Ja, aber wenn ich im Weg bin, kann ich auch gehen.“

„Du bist nicht im Weg!“

Skyre stellte sich neben Sila. Er sah eine Zeit lang stumm zu, wie sie in der Liederliste blätterte. So hatte er sie schon lange nicht mehr erlebt. Er wusste nicht wieso, aber trotz allem fühlte er sich schuldig.

„Bitte verzeih mir, Sila.“, sagte er nach langem Schweigen. Das Tippen auf dem Bedienerpult hörte auf, als Sila Skyre voll ins Gesicht blickte.

„Du hast nichts getan wofür du dich entschuldigen müsstest!“

„Warum bist du denn dann auf einmal so abweisend?“

Sila ließ ein Schnaufen hören und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht in dem Aufzug Samba vor Leuten tanzen wollte!“

„Das hast du.“, gab Skyre ihr Recht,“War es denn so schlimm in deinen Sportsachen mit mir zu tanzen?“

„Ach Mensch! Darum geht es doch gar nicht!“

„Worum denn dann?“

„Na weil … weil!“ Sila geriet ins Stocken. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie selbst nicht so genau wusste, warum sie so verärgert war. Weil Skyre seinen Blick nicht von ihr weichen ließ, gab sie schließlich verärgert nach: „Gut, wenn du darauf bestehst! Bestimmt kannst du das nicht nachvollziehen!“

„Das weiß ich erst, wenn du es mir sagst.“

„Mich hat es einfach genervt, dass die Frauen immer so schick angezogen sind, während ich mich kleide wie der letzte Straßentänzer!“

Sila bemerkte wie Skyres Unterkiefer mit einem Satz nach unten klappte. Ungläubig sah er sie an. Ärgerlich wirbelte sie herum und zeigte ihm die kalte Schulter.

„Ich hab doch gesagt, dass du das nicht verstehen wirst!“ Sie wollte gerade etwas ergänzen, da spürte sie, wie Skyre beide Hände auf ihre Arme legte und sie sanft wieder zu sich drehte. Sie wollte sich wehren, wollte sich losreißen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Mit großen Augen und roten Wangen sah sie ihm wie ein reumütiges Mädchen ins Gesicht. Skyre sagte eine Weile kein Wort. Er musterte sie nur. Nicht lüstern, wie er es am Morgen beschrieben hatte, sondern interessiert.

„Ich habe deine Gefühle verletzt. Das war nicht richtig!“

„Eh?“

„Als du mir das mit deinem Outfit gesagt hast, habe ich es einfach ignoriert. Verzeih mir bitte!“ Seine Entschuldigung entmachtete Sila.

„Schon okay.“

„Aber eines muss ich sagen; Du siehst auf keinen Fall aus wie ein Straßentänzer! Du hast deinen eigenen Stil und ...“, leicht verlegen strich er sich durch das schwarze Haar, „ich mag es sehr, dass du dich nicht so aufreizend kleidest.“

Seine ehrliche Art erstaunte Sila: „Wirklich?“

„Ja!“

Erneut zeigte sie an sich hinunter. „Aber schau dir doch an wie ich mich immer kleide. Damit bin ich weder weiblich noch anziehend! Es muss ja nicht übertrieben aufreizend sein, aber ich fühle mich manchmal ziemlich unweiblich wenn ich mit dir zusammen die klassischen Tänze tanze!“

Ein Lächeln erhellte sein Gesicht als er ihren Kopf am Kinn hochhob, damit sie ihm in die Augen sehen konnte. Sila ließ ihren schönsten Schmollmund herausstehen.

„Vielleicht solltest du dir dann einfach mal etwas anderes kaufen? Aber wegen mir brauchst du das nicht zu machen. Ich tanze gerne mit dir, selbst wenn du in Sportkleidung Samba tanzt!“ Er sah ihr voll ins Gesicht, als er hinzufügte: „Deiner wahren Schönheit kann es nichts anhaben!“

Silas Herz legte an Tempo zu während Skyre ihr dies Kompliment gab. Wäre in diesem Augenblick nicht die Tür zum Vorbereitungsraum aufgegangen, wüsste Sila nicht, was sie getan hätte. Als sie Phies verblüfften Gesichtsaudruck sah, lief ihr Gesicht rot an und Sila sprang fast einen Satz nach hinten um wieder einen gebührenden Abstand zwischen sich und Skyre herzustellen. Sie war nahezu in Versuchung sich rechtfertigen zu wollen. Aber als sie Phies neues Outfit sah, lief sie zu ihrer Freundin und bestaunte sie.

„Du meine Güte ist das hübsch! Wo hast du das her?“

„Gefällt es dir? Die Stiefel habe ich im Schuhladen gefunden, das Oberteil stammt vom kleinen Lädchen in der Marktpassage und der Rock ist aus dem großen Outfitladen.“ Phie war sichtlich zufrieden mit ihrem Kauf. Sila ging einen Schritt nach hinten und bestaunte Phies ausgezeichneten Geschmack. Sie trug ein kurzes Topp in knalligem Blau-Türkis. Darüber eine Art modernen Bolero mit dreiviertel Ärmeln in schwarz. Dazu hatte sie sich einen passenden kurzen, dunkelblauen Rock mit einer schmalen, unauffälligen Spitze am unteren Ende ausgesucht, der verziert wurde mit einem Gürtel in der Farbe des blau-türkisen Oberteils. Als Hingucker trug sie eine lange Kette mit einem großen, goldenen Ornamentschmetterling und eine kurze Kette, die mit einer türkisfarbigen Feder behängt war. Den Abschluss bildeten schwarze Stiefel mit Absätzen.

Auch wenn Phies Rock recht kurz war und sie Stiefel mit Absätzen trug, sah ihr Outfit dennoch sehr elegant aus. Während Sila die Feinheiten ihres Outfits bestaunte, beobachtete Phie ihre Reaktion genau. Sie hatte sich schon häufiger gefragt, aus welchem Grund Sila sich nicht so richtig traute Kleider oder Röcke beim Tanzen zu tragen. Selbst bei klassischen Tänzen schien sich Sila zu genieren, wobei Phie wusste wie gerne sie Röcke trug. Eine Vermutung war, dass Sila nicht in die Schublade mit anderen Tänzerinnen gesteckt werden wollte, die sich absichtlich aufreizend anzogen. Phie entschied, dass es Sila sicherlich gut tun würde, wenn sie sich etwas weiblicher anziehen würde. Daher bot sie ihr freundlich an:

„Sag mal Sila. Wenn dir das Outfit so gefällt, warum kaufst du es nicht auch?“ Schnell fügte sie noch hinzu: „Ich hätte kein Problem mit dir ein Partneroutfit zu haben!“

Als Sila immer noch nicht in der Lage war etwas zu entgegnen, legte Phie ihr den Arm um die Schulter. „Es wäre mir eine Ehre mit dir ein Partneroutfit zu haben. Es sei denn du magst es nicht anziehen...“

„Doch!“, rief Sila schnell, „Bist du dir ganz sicher? Ich möchte dich nicht nachäffen!“

„Natürlich bin ich sicher! Denkst du ich hätte es dir sonst angeboten?“
 

Erneut staunte Skyre über Phies Fähigkeiten anderen Menschen ins Herz zu sehen. Sie schien sofort erkannt zu haben was Silas Problem war. In solchen Dingen wurde ihm immer mehr bewusst wie wenig er von Frauen verstand. Nie zuvor hatte er sich mit solchen Dingen auseinander gesetzt. Er hörte wie Sila sich von Phie überreden ließ und diese ihr sogar anbot gemeinsam mit ihr die einzelnen Läden aufzusuchen. Er genoss Silas neugewonnene Fröhlichkeit.

„Anscheinend muss Sky heute ohne uns tanzen“, rief Phie in seine Richtung, „Entschuldige bitte, aber Sila und ich haben beschlossen einkaufen zu gehen.“

Ein Lachen war die Antwort. Skyre wünschte den beiden Frauen viel Glück beim Bummeln und ermutigte Phie gleichtzeitig Sila dazu zu überreden mehr als nur das eine Outfit zu kaufen.
 


 

*** ** * ** ***
 

Als Phie am Abend den privaten Tanzraum betrat, richteten sich sofort alle Augen auf sie. Philphlader und Sango waren zwar anwesend, während Phie sich ihr neues Outfit ausgesucht hatte, aber es war das erste Mal, dass sie es in voller Ausstattung trug. Kiso, Shadow und Skyre sahen aus sicherer Entfernung zu, wie die Frauen Phie mit Lobeshymnen überschütteten. Erst als Silas Name fiel, wurden plötzlich alle hellhörig. Phie erklärte feierlich, sie wäre nicht die Einzige, die ein neues Outfit tragen würde. Mit einem sanften Lächeln öffnete sie die Tür um Sila hereinzulassen.
 

Sila betrat schon fast schüchtern und mit gesenktem Blick den Raum. Ein Raunen ging durch den Raum. Sie sah erst auf, als Phie die Außentür wieder geschlossen hatte. Die Überraschung schien eindeutig geglückt worden zu sein, denn sie hatte die Aufmerksamkeit von allen.

„Ein Partneroutfit? Neechan! Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass ihr ein Partneroutfit haben wolltet.“

Verlegen zupfte Sila an ihrem Rock herum. Ihre Wangen gewannen Farbe, als sie sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit fand. „Es war auch gar nicht geplant.“ Dabei sah sie freundlich zu Phie. „Mir hat Phies Outfit so gut gefallen, dass sie mir vorgeschlagen hat ein Partneroutfit zu kaufen.“

„Ihr seht aus wie Schwestern“, rief Sango fröhlich. „Bei dem Outfit wird man fast neidisch.“

Philphlader zwinkerte Sango zu: „Jetzt braucht Neechan nur noch ein Partneroutfit mit dir und sie hat eins mit jeder von uns dreien.“

Das Lachen lockerte auf. Sila fürchtete schon fast, dass Philphlader ihr das Partneroutfit mit ihrer leiblichen großen Schwester übel nehmen könnte. Doch Philphlader freute sich nur und lobte den guten Geschmack. Erst jetzt merkte Sila, dass auch die Männer sich zu ihnen gesellten. Skyre ergriff das Wort:

„Es steht dir sehr gut. Du siehst wunderschön aus.“

Verlegen strich sich Sila eine Strähne hinter das Ohr.

„Yeah! Sky hat Recht. Bist du überhaupt meine Sis?“, warf Kiso grinsend ein.

„Eh? Was soll das denn heißen? Natürlich bin ich deine Schwester. Wer sollte ich sonst sein?“

„Anata zieht dich doch nur auf, Neechan. Hör nicht auf ihn!“
 

An diesem Abend hörte man viel Lachen und Musik bis spät in die Nacht aus dem Raum, den sich der „innere Freundeskreis“ reserviert hatte. Kiso und Philphlader waren die ersten, die sich verabschieden mussten. Philphlader musste am nächsten Tag zwar nicht so früh zur Universität, wollte vorher aber noch einige Vokabeln durchgehen. Sango, Shadow und auch Phie schlossen sich dem Ehepaar an. Zum Abschluss umarmte Sila Phie herzlich. „Ich danke dir“, flüsterte sie ihr ins Ohr. Phie lächelte ihr fröhlich zu und verließ ebenfalls den Saal. Skyre mochte es nicht Sila alleine im Dunkeln durch den Park gehen zu lassen. So half er ihr den Führerpult herunterzufahren. Als die beiden mitten in der Nacht durch den stillen Park gingen, fühlte Sila zum ersten mal nach langer Zeit eine gewisse Zufriedenheit in sich. Sie hatte endlich ein Outfit in dem sie sich wohlfühlte, wenn sie mit Skyre zusammen war. Ihr Herz füllte sich mit Wärme, als sie zu Skyre hinaufsah. Sie spürte wie ihre Mauer von Tag zu Tag zu bröckeln begann. Egal wie oft sie sich bemühte die anbahnenden Gefühle im Keim zu ersticken, es schien, als würden sie nur mit stärkerer Macht herausbrechen wollen.

Vor dem Frauenapartment angekommen verbeugte sich Skyre höflich, nahm Silas Hand und gab ihr einen unerwarteten Handkuss.

„Ich wünsche dir angenehme Träume.“ Als er sich wieder in voller Größe aufrichtete, bemerkte er ein funkeln in ihren Augen.

„Du hast mir noch nie einen Handkuss gegeben!“, stellte sie nüchtern fest.

„Soll ich es öfter tun?“

Sie ahnte nicht welch einen Anblick ihre Verlegenheit Skyre bot. Er widerstand aber dem Drang sie an sich zu ziehen, aus Angst wieder auf ihren Wiederstand zu stoßen. Doch hob er seine Hand und strich Sila durch das offene Haar.

„Du siehst heute wirklich bezaubernd aus. Aber es liegt nicht nur an deinem neuen Outfit. Es ist die Zufriedenheit, die du ausstrahlst. Erhalte es dir, Sila.“

Dieses Lob nahm Sila gerne an. Sie lächelte, winkte und begab sich zum Eingang. Sie wusste, dass Skyre ihr nachsah. Dennoch ging sie hinein, ohne noch einmal zurückzusehen.
 

Ende Kapitel 25:

~ Kleider machen Leute ~



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