Geflohener Werwolf trifft auf eigentlich kalten Vampir
Lost Angel
Kapitel 1 – Geflohener Werwolf trifft auf eigentlich kalten Vampir
Jesko’s PoV
Seit Jahrhunderten wurde meine Rasse von den Vampiren gequält und als Wachhunde
missbraucht. Mehr waren wir für sie nicht. Nur ein paar Straßenköter, die durch
die Nacht streunten. Ohne Ziel. Wohl einer der Gründe, wieso gerade wir für
diese Blutsauger benutzt worden waren um ihnen tagsüber Schutz zu bitten. Im
Gegensatz zu ihnen hatten die meisten von uns zu dieser Zeit auch nicht einmal
ihre Kraft. Genauso wie ich. Jeden Tag fühlte ich mich so schwach. So nutzlos.
Nur wenn endlich die Vollmondnächte kamen, wusste ich, dass ich etwas wert war.
Aber bis es wieder so weit war, musste ich eigentlich momentan noch mindestens
drei Tage warten. Doch ich wollte nicht mehr so lange warten. Endlich wollte ich
meine Freiheit. Ich wollte nicht mehr in Knechtschaft leben.
Ich hetzte seit Sonnenaufgang durch den Wald und das war mehr als 10 Stunden
her. Es wurde sogar schon wieder dunkel. Die Sonne war schon nur noch ein
kleiner Streifen am Horizont. Weit war ich trotzdem nicht gekommen. Sie würden
mich einholen. Schwer war das auch nicht. Vampire waren leider nicht die
langsamsten. Anders als ich. Mit meinen Kräften war ich eigentlich schon längst
am Ende. Kurz vor dem Zusammenbruch. Nicht mehr lange und ich würde einfach
zusammen sacken.
Ich lehnte mich an einen Baum. Rutschte daran auf den Boden. Mein Atem raste nur
noch. Brachte ihn nicht mehr unter Kontrolle. Ich brauchte eine Pause. Dabei
hatte ich dafür gar keine Zeit. Aber die Erschöpfung zwang mich dazu. Mein
Körper machte einfach nicht mehr mit. Sträubte sich gegen jeden weiteren
Schritt. Mir verschwamm für einen Moment die Sicht. Presste die Augen zusammen
und schüttelte leicht den Kopf. Es war doch eigentlich nur eine ganz dumme
Wette. Ich hätte die Schnauze halten sollen, als mich Laurin dazu angestachelt
hatte, dass ich doch nie weg kommen würde. Dann müsste ich zwar für immer diesen
Blutsaugern dienen, aber wäre wohl dem Tod nicht so nahe, wie jetzt. Sterben war
nicht das, was ich wollte. Ich wollte doch nur frei sein. Für immer.
Ich hob den Kopf. Da sah ich sie. Eine Gestalt. Nur ein paar Meter vor mir stand
sie mitten im Wald. Blickte sich um. Ich spürte, wie mein Herz für einen Moment
aussetzte. Wusste sofort, wer das war. Der Sohn meines Herrn. Sein blondes Haar
war einfach zu auffällig. Selbst in der Dunkelheit strahlten sie scheinbar. Und
das war wohl noch das gewöhnlichste daran. Eigentlich hatten sie alle dunkle
Haare. Nur seine hatten diese seltsame Farbe. Fast weiß.
Ein leicht aufkommender, kalter Wind zwangen ihn dazu die Hand vors Gesicht zu
heben. Seine langen Fingernägel ließen mich erschaudern. Damit konnte er wohl so
einiges aufschlitzen. Und wenn sie im Fleisch steckten, musste es wohl auch
höllisch wehtun. Und zu spüren wollte ich sie auch nicht bekommen.
Ich versuchte mich klein zu machen. Weglaufen konnte ich sowieso nicht mehr.
Vielleicht würde er mich so gar nicht sehen. Zwar ungewöhnlich, aber hoffen
konnte ich es zumindest einmal.
Ich schluckte, als sein Blick auch in meine Richtung wanderte. Das könnte mein
Ende sein. Wenn er mich nur sehen würde. Ich würde einpacken können. Er würde
mich umbringen. Ohne zu zögern. Eiskalt war er. Schon einige Male hatte ich
gesehen, wie er ohne Grund einen von uns getötet hatte. Und jetzt hätte er sogar
einen Grund.
Er sah mich direkt an. Kam aber keinen Schritt näher. „Wölfchen!“, rief er.
Seine Augen zog er zu Schlitzen zusammen. „Komm her!“, fügte er noch hinzu. Doch
ich bewegte mich nicht. Konnte nicht. Der Schock saß noch zu tief. Und die Kraft
hatte ich zudem auch nicht. Jedoch spürte ich da schon eine Sekunde später seine
kalten Finger an meinem Hals – Vampire waren eben schnell. Er drückte zu. Vor
Schmerz ächzte ich. Bekam kaum Luft.
„Wolltest du etwa weglaufen?“, fragte er. War meinem Gesicht schrecklich nahe
gekommen. Unsere Nasenspitzen berührten sich schon fast. Krampfhaft versuchte
ich den Kopf zu schütteln. Flüsterte dann trotzdem mit zitternder Stimme:
„Nein.“ Mehr brachte ich nicht zu Stande. Ich war zu ausgepowert.
„Das hat aber nicht so ausgesehen, Wölfchen.“ Er zog mich hoch. Drückte mich
gegen den Baum. Ich versuchte mich nicht zu wehren. Auch wenn er den Druck auf
meine Kehle nur noch erhöhte. „Sterben willst du wohl nicht“, hauchte er mir ins
Ohr. Ich wimmerte. Etwas was ich nicht oft tat. Aber es war jetzt wohl
angebracht. Vielleicht würde er mich dann wieder los und sogar am Leben lassen.
„Hast du ihn, Jemil?“, hörte ich jemanden rufen. Oder bildete ich mir das nur
ein. Ich war schon kurz vor der Bewusstlosigkeit. Luftmangel und Erschöpfung
waren einfach zu viel für mich. Und vor allem für meinen Körper. „Ja“, erwiderte
der Blonde. Ließ meinen Hals endlich wieder los. Ich rutschte wieder auf die
Erde. Atmete zwei oder drei Mal tief durch. Luft brauchte ich jetzt.
Schon im nächsten Moment wurde ich wieder hochgezogen. „Komm, Missgeburt!“,
knurrte Jemil. Packte mich am Handgelenk und schlief mich hinter sich her.
Zerquetschte mir fast die Hand. Ich biss aber die Zähne zusammen. Winseln würde
ich nicht anfangen.
„Hey, Jemil, da hast du ihn doch schon!“ Ein dunkelhaariger Junge grinste meinen
Fänger an. „Ja, ja, Joe. War auch nicht schwer!“ Jemil gab mir einen Stoß durch
den ich auf den Knien vor ihm landete. „Halsband!“ Der Dunkelhaarige sprang wie
ein junges Reh um uns herum. Der Irre und der Eiskalte. Ein lustiges Pärchen.
Sterben wäre jetzt wohl recht schön gewesen. Am besten von Mr. Eisblick
umgebracht werden und von Scherzkeks dann auch noch ausgesaugt. Bis auf den
letzen Tropfen Blut. Das musste ein Tod sein.
Ich spürte etwas Ledernes an meinem Hals. Wurde auch gleich wieder hochgezogen.
Toll, auch noch an die Leine hatten sie mich gelegt. Wie eben ein Hund. „Bringen
wir das Hündchen wieder heim?“, fragte Joe. Blickte denn anderen mit große,
fragende Augen an. „Nicht so“, erwiderte der nur knapp. „Ausziehen, Köter!“,
fauchte er mich an. Das war doch nicht sein ernst. Es war Ende November -
gelegentlich schneite es sogar leicht - da würde ich es mir zwei Mal überlegen,
ob ich ohne Klamotten herum lief.
„Hörst du nicht?“ Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich torkelte
einen Schritt zurück. Sah langsam in seine braunen Augen, die mich nur böse
anfunkelten. Jemil trat einen Schritt auf mich zu. Legte selbst Hand an meinen
Sachen an. Oder zumindest fummelte er meinen Gürtel auf. Ich schluckte. „Ich
mach doch schon“, meinte ich knapp und setzte seine Arbeit selbst fort.
„Unterwäsche kannst du anlassen, uns soll nicht schlecht werden!“, zischte
Jemil, als ich mir auch noch meine Boxershorts ausziehen wollte. Obwohl ich
schon lange etwas zitterte. „Äh, Jemil, das ist schon etwas fies.“ Joe zog eine
Augenbraue hoch. Blickte mich prüfend an. „Ist es dein Problem, wenn er sich was
abfriert?“ Der Blonde schritt an seinem Kumpel vorbei. Zog mich an meiner Leine
hinter sich her. Blieb aber schon nach einigen Metern wieder stehen.
„Du gehst mit uns nicht auf einem Weg, Köter!“ Mit etwas Schwung zog er mich in
die Büsche. Die Äste kratzten an mir. Rieben mir Schrammen in die Haut. „Wenn er
uns abkratzt, killt dich dein Vater. Das ist dir schon bewusst?“, fragte Joe.
Sah etwas nervös zu mir, wie ich mich wieder versuchte hoch zu kämpfen. War
gestolpert. Jetzt tat mir erst recht alles weh. Blut lief mir etwas über den
Körper. Überall. Zwar nur etwas, aber in meiner Verfassung würde es wohl schon
reichen.
„Ist doch scheiß egal. Soll das Hündchen eben abkratzen.“ Ich wurde hinter ihnen
hergezogen. Lief kaum. Mehr kroch ich. Die ganze Strecke, die ich heute gelaufen
war, wieder zurück. Gefangen von diesen zwei Vampiren. Nur weil ich vor
Erschöpfung nicht mehr weiter gekommen war. Ich hatte doch im Moment ziemliches
Pech. Obwohl. Eigentlich war es Glück. Ich lebte noch. Zwar wieder nicht frei.
Aber am Leben. Etwas Gutes.
Es mussten Stunden vergangen sein, als ich dieses riesige Schloss wieder vor mir
sah. Das sich Vampire an Klischees hielten war doch irgendwie nett. Blutsauger
in Spuckschlössern. Zumindest vielen die gelegentlichen an der Decke hängenden
Fledermäuse so nicht auf. Auch wenn sie verdammt nervten, wenn sie einem um den
Kopf flogen.
„Wieder zu Hause“, meinte Joe, als ich wieder aus den Büschen gezogen wurde. Ich
sackte sofort zusammen. Blieb auf dem Rasen liegen. Wie mit der Nagelschere
geschnitten. Und das war er auch. Von einigen Werwölfinnen. Erst vor ein paar
Tagen wieder.
Mein Atem war nur noch ein Röcheln. Ich wollte schlafen. Mich nur nicht mehr
bewegen. Etwas ausruhen. Aber damit würde ich erst einmal Pech haben. Ich spürte
einen Tritt in die Seite. „Hoch mit dir!“, fauchte Jemil. Ich versuchte sogar
wirklich wieder aufzustehen, aber meine Glieder wollten nicht. Ich hatte keine
Kraft mehr. Blieb nur auf den Knien sitzen. Wurde aber auch gleich am Hals hoch
gerissen. Ich schrie auf. „Winsle nicht rum, sondern komm mit!“ Seine kalte
Stimme ließ mich erschaudern. Wie konnte man nur so unglaublich kalt sein.
Ich torkelte hinter ihm her. War immer wieder der Gefahr ausgesetzt, wieder
zusammen zu brechen. „Warte doch“, flehte ich, als ich hinter Jemil durch die
Gänge lief. Abrupt blieb er stehen. „Halt die Fresse“, fauchte er. Warf mir nur
einen knappen, kalten Blick zu. Zerrte mich wieder hinter sich her. Bog direkt
in die Gänge seiner Zimmer. Er hatte mehrere. Je nachdem wie er sich fühlte,
benutzte er eins. Vor der ersten Tür hockte ein Junge. Sah langsam zu mir
auf. „Darf ich diese Idioten etwas sagen?“, fragte er. Wirkte eingeschüchtert.
„Wenn es sein muss.“ Genervt sah Jemil zu mir.
„Du bist so etwas von einem verfluchten Vollidioten! Das du nicht weit kommst,
war wohl klar!“, knurrte der am Boden sitzende mich an. Ich kannte ihn
natürlich. Eigentlich war er einer meiner besten Freunde. Marek. Ich antwortete
nicht. Es war mir ohnehin nicht erlaubt. „War es das?“, maulte Jemil. Der andere
Werwolf nickte. Warf mir noch einen durchdringenden Blick zu.
Nur eine Minute später hockte ich auf dem Boden in einem der Zimmer. Hatte immer
noch nicht mehr als meine Boxershorts an. Mir wurde schwindelig. Schwankte
leicht hin und her. „Ein Bad wäre wohl gut für dich.“ Ich sah auf. Jemil stand
direkt vor mir. Beugte sich zu mir herunter. Von seinem Vater aus, durfte er das
gar nicht. Er durfte nicht mit uns Werwölfen auf Augenhöhe sein oder sich auch
nur vor uns bücken. Und wieso war er eigentlich plötzlich so nett? Nicht gerade
normal für einen solchen Blutsauger.
Ich kam langsam wieder hoch. Schwankte. „Bis ins Badezimmer wirst du wohl noch
kommen.“ Er wies mit dem Kopf zu einer schneeweißen Tür. Ich nickte schließlich
langsam. Torkelte auf die Tür zu und drückte die goldene Klinke hinunter.
Dahinter war wirklich eine Badewanne. Sogar Wasser war schon eingelassen. Ich
ging darauf zu. Hielt einen Finger in das Nass. Es war angenehm warm. Kurz sah
ich mich noch mal um. Zog mir nach kurzem Zögern die Shorts aus.
Kurz darauf lag ich in dem warmen Wasser. Eigentlich durften wir Werwölfe uns
nur im kalten Putzwasser waschen. Wenn überhaupt. So war ich es gar nicht
gewohnt. So schön gemütlich. Ich wäre sogar beinahe eingeschlafen. Die
Nasenspitze hatte ich schon unter Wasser.
Den Kopf schüttelnd spuckte ich das Wasser aus, das ich in den Mund bekommen
hatte. Es war zwar nicht kalt, schmeckte aber scheußlich.
Nach diesem entspannenden Bad hatte ich sogar wieder etwas Kraft sammeln können.
Zumindest ein bisschen. Ganz so fertig war ich zumindest nicht mehr. Doch eine
Mütze Schlaf wäre mir doch ganz lieb.
Trocken und meine Shorts und frischen Sachen, die auf einem kleinen Hocker
gelegen hatten, am Körper kam ich wieder zu Jemil oder zumindest in das Zimmer
in dem er zuvor noch war. Ich schluckte. Er war nicht mehr da. Und ich sollte
wohl nicht weggehen. Aber hier alleine bleiben wollte ich auch nicht. Wenn mich
ein anderer Vampir erwischte, war ich tot. Obwohl ich dem Väterchen Tod heute
schon viel zu nahe gekommen war, hatte ich davor Angst.
Trotzdem sank ich aufs Bett. Rollte mich auf die Seite. Bin in Sekunden war ich
auch schon eingeschlafen und ihn leicht unruhige Träume versunken.