Zum Inhalt der Seite

Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ross und Reiter

Magenta rannte durch die Dunkelheit. Zweige und Äste peitschten ihr entgegen und unter ihren Füßen spritzte der Schlamm hoch auf. Es hatte zu regnen begonnen und das herabrauschende Wasser klebte ihr die Kleidung auf die Haut. Ihr Haar hing in wirren Strähnen herab und auf ihren Lippen schmeckte sie Dreck und Salz. Irgendwo hinter sich konnte sie Pizkol rufen hören und sein vorwurfsvolles Gemecker vereinte sich mit den klagenden Schreien des Esels. Dicht an den Körper gepresst hielt Magenta den verhängnisvollen Folianten. Immer wieder sah sie die entgeisterten Mienen ihrer Freunde vor sich, die nicht hatten glauben können, dass Magenta das teuflische Buch tatsächlich an sich genommen hatte. Allen voran drängte sich jedoch das verzerrte Gesicht des Nachtelfen in ihre Erinnerung. Magentas Wangen brannten vor Wut und Scham, wenn sie daran dachte. Sie hatte sich so unmöglich benommen. Und warum hatte eigentlich ausgerechnet er die verlorenen Seiten finden müssen?
 

Die Hexenmeisterin stolpert und rutschte bis zu den Knien in ein Schlammloch. Ächzend zog sie das Bein aus dem zähflüssigen Untergrund und sank dann an seinem Rand zusammen. Es hatte ja alles keinen Sinn. Mutlos sah sie zu Boden, der unter den aufkommenden Tränenschleiern schon wieder zu verschwimmen begann. War es nur wirklich erst eine knappe Stunde her, dass sie noch mit sich und der Welt zufrieden gewesen war? Und dann hatte sich alles so plötzlich verändert. Es war so ungerecht.

Während Magenta im Schlamm hockte und sich selbst bemitleidete, keuchte der völlig außer Atem gekommene Wichtel mit letzter Kraft heran.

„Das…ist…nicht…witzig.“, schnaufte Pizkol und sah seine Meisterin höchst vorwurfsvoll an. „Vielleicht könnten wir mal etwas langsamer machen, bevor wir uns bei dieser wilden Jagd noch den Hals brechen?“

„Keiner hat dich gebeten mitzukommen.“, flüsterte Magenta mit tränenerstickter Stimme. Der Regen wusch langsam den Schlamm von ihrem Gesicht.

„Ach ja?“, keifte der Wichtel mit voller Lautstärke. Er hatte sich erstaunlich schnell erholt. „Zufälligerweise bin ich aber an dich gebunden. Wo du hingehst, da muss auch ich hingehen…oder so ähnlich.“

Magenta antwortete nicht. Irgendwo hinter den hohen Büschen regte sich ein großer, dunkler Schatten. Viele, sehr haarige Beine schoben sich langsam durch das Gebüsch, während ein fetter Leib die vielen, glänzend schwarzen Augen auf die lohnende Beute vor sich richtete. Nur noch ein paar Schritte und…

Ein Strahl dunkler Energie schlug aus den Seiten des Buches in Magentas Schoß und umgab die riesige Spinne mit einer Hülle aus Finsternis. Ein hohes Kreischen erfüllte die Luft, dann erstarb es abrupt. Mit einem dumpfen Laut schlug der massige Körper wieder auf dem Boden auf, die acht Gliedmaßen über sich zu einem haarigen Knäuel verknotet.

Pizkol schluckte trocken. „Äh…hat jemand knuspriges Spinnenfleisch bestellt?“
 

Magenta, die von dem ganzen Vorfall nichts bemerkt zu haben schien, starrte weiter auf dem matschigen Untergrund. Sie fühlte, wie die Kälte langsam an ihr empor kroch und die ohnehin völlig durchnässten Kleider schwerer und schwerer wurden. Wenn sie hier sitzen blieb, würde sie vermutlich früher oder später einfach vom Sumpf verschluckt werden. Sie schrak zusammen, als sie eine weiche Schnauze an ihre Wange presste.

„Ach du bist es.“, murmelte sie und schob den aufdringlichen Esel ein wenig zur Seite. Das Grautier beantwortete ihre Bemühungen mit einem heiseren Iah.

Magentas Blick fiel auf das Buch. Der lederne Einband schien fragend zurückzublicken. Was ist dein Begehr? , schien er zu flüstern. Sprich zu mir und ich erfülle dir deine Wünsche. Ich kann dir Reichtum bieten, Macht und Ansehen und einen Platz in der Welt, der deiner würdig bist. Gib dich in meine Obhut und du wirst es nicht bereuen. Du musst mir nur vertrauen. Lass dich auf mich ein und du wirst unbesiegbar sein.

Plötzlich lachte Magenta laut auf. Sie lachte sich selbst aus, wie dumm sie doch war. Da hatte sie endlich das, wonach sie so lange gestrebt hatte und wollte es eintauschen gegen…ja gegen was eigentlich? Die Sicherheit einer zerfallenden Holzhütte? Den Platz an der Seite eines drittklassigen Magiers? Den letzten Rang in einer Reihe von armseligen Helden? Die Gewissheit seine Träume verraten zu haben? Das würde nicht passieren.

Energisch erhob sich Magenta. Kälte, Regen und Schlamm machten jede Bewegung zu einer ungewohnten Anstrengung, doch ihr so eben gefasster Entschluss stand fest. Sie würdigte den Wichtel mit einem undefinierbaren Blick. Der Dämon stand mit den Händen über dem gehörnten Kopf da und versuchte so den Regen abzuhalten.

„Was denn?“, meckerte er. „Auch mein Feuer brennt nicht ewig.“

Mit einer beiläufigen Bewegung entließ Magenta den schwefelstinkenden Gesellen in die Zwischenwelt und unterdrückte jeden weiteren Kommentar mit einer mentalen Maulsperre. Dann beschwor sie Jhazdok zu sich. Der Leerwandler verneigte sich und erwartete ihre Befehle.

„Du folgst mir.“, sagte Magenta kapp. Sie schwang sich auf den Rücken des Esels und trieb das Tier mit einem Tritt in die Flanken an. Mit einem klagenden Laut setzte er sich in Bewegung und der Leerwandler glitt hinter ihnen wie ein Stück lebendig gewordener Dunkelheit durch die Nacht.
 

Hoffnungsvolle Augen glommen immer wieder entlang ihres Weges auf und folgten der verlockenden Beute für eine Weile, doch keiner der Sumpfbewohner wagte es ihren Pfad zu kreuzen. Das Schicksal der Riesentarantel hatte sich schnell herumgesprochen. Der Eindringling hatte sich von etwas, das man fressen konnte, urplötzlich in einen Gegner verwandelt, von dem die Gefahr ausging, selbst gefressen zu werden. Ein Risiko, das nur die wenigsten bereit waren einzugehen. So näherten sich Magenta langsam aber stetig dem Ausgang aus dem höllischen Morast, während vom Himmel unablässig der Regen herab rauschte.
 


 

Abbefaria lauschte dem Geräusch der fallenden Tropfen auf dem Dach von Tabethas Hütte. Das stetige Trommeln und Klopfen hatte eine beruhigende, beinahe hypnotisierende Wirkung, der sich der Nachtelf nur mit Mühe entziehen konnte. Er hätte jetzt gern eine Mütze voll Schlaf genommen, auch wenn er bezweifelte, dass seine Träume angenehmer Natur gewesen wären. Doch an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Die restlichen Gäste der Hütte wussten dies wirksam zu verhindern.

„Ich nicht kann warten bis morgen.“, sagte Abumoaham nun sicherlich schon zum hundertsten Mal. „Sie da draußen und mich brauchen.“

Tabetha musterte ihn eindringlich. „Und ich sagte bereits, dass ich Euch nicht gehen lasse. Und wenn Ihr nicht gleich aufhört, mir auf die Nerven zu fallen, werde ich Euch mit Haut und Haar in einen Frosch verwandeln und vor die Tür werfen. Da könnte Ihr dann darüber nachdenken, wie Ihr nach Ratchet kommt ohne in einem Suppentopf zu landen.“

Abumoaham wollte etwas erwidern, als Emanuelle ihn mit leuchtenden Augen unterbrach. „Ihr könnte Leute in Frösche verwandeln? Und wie steht es mit Hühnern? Könnt ihr auch Menschen in Hühner verwandeln?“

„Hühner?“ Selbst Tabetha schien von dieser Frage überrascht zu sein. “Wie kommt Ihr ausgerechnet auf Hühner?“

Schnell erzählte Emanuelle, was sie bei ihrer ersten Schilderung ausgelassen hatte: ihre Begegnung mit Magus Tirth und die verzweifelte Suche nach seinem Buch. Als sie geendet hatte, ruhte Tabethas Blick auf ihr wie ein mannshoher Gesteinsbrocken.

„Ähm…hab ich was Falsches gesagt.“, fragte Emanuelle und rutschte ein wenig unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

Die ältere Magierin schüttelte den Kopf. „Ich staune nur, dass Ihr so sorglos mit so einem ernstzunehmenden Problem umgeht. Hätte der Scharlachrote das Kloster in Tirisfal erreicht, hätte bald weit mehr Macht in den Händen des Kreuzzugs gelegen, als nur die, Menschen in Hühner zu verwandeln. Wisst Ihr denn nicht, wer Magus Tirth ist?“

Emanuelle verneinte mit einem Kopfschütteln.

„Das dachte ich mir.“, sagte Tabetha mit einem vorwurfsvollen Zungenschnalzen. „Die Welt neigt dazu, diejenigen zu ignorieren, die nicht in vorgefertigte Muster passen. Magus Tirth war ein Choleriker, er trank gerne und war hinter jedem Rock her, der durch Dalaran lief. Und doch waren seine Theorien brillant und seine Ausarbeitungen unerreicht. Was es ihm eingebracht hat, habt Ihr gesehen. Es wäre trotzdem unentschuldbar gewesen, ein solches Werk zu verlieren. Zu Eurem Glück führt der Weg von Tanaris nach Tirisfal in den meisten Fällen quer durch die Marschen und manchmal sogar ein wenig näher an meiner Hütte vorbei, als dem Geheimnisträger lieb ist.“

Tabetha trat an eines der überquellenden Regale, ließ den Zeigefinger über die Buchrücken gleiten und griff dann entschlossen nach einem Buch mit rotem Einband. Sie nahm es und warf es vor Emanuelle auf den Tisch. Im Feuerschein glänzten die goldenen Buchstaben, die den Titel Rituale der Macht bildeten.

„Sucht nach der Formel, wenn Ihr sie unbedingt wollt. Aber wenn Ihr fertig seid, sollten wir uns lieber über Kapitel fünf unterhalte. Der Zauberstab. Mir scheint, Ihr hättet Verwendung dafür.“

Für einen Moment lang fürchtete Abbefaria, dass der kleinen Gnomin buchstäblich die Augen aus dem Kopf fallen würden. Vorsichtig nahm sie das Buch vom Tisch und strahlte Tabetha von einem Ohr zum anderen an.

Die ältere Magierin hingegen gab sich unbeeindruckt und fragte mit leicht drohendem Unterton: „Gibt es noch irgendetwas, von dem ich wissen sollte?“

Emanuelle schüttelte daraufhin treuherzig den Kopf, doch Abbefaria sagte ernst: „Wir haben schwarze Drachen gesehen.“

Während Emanuelle gequält aufstöhnte, schien Tabetha wenngleich auch nicht überrascht, so doch zumindest gewillt ihm zuzuhören. Daher räusperte der Druide sich und fuhr fort: „Wir sahen sie, nachdem wir abstürzten. Sie haben den gesamten Süden des Sumpfes besetzt. Der Boden dort ist ausgetrocknet und die Erde verbrannt. Eine solche Vernichtung kann nicht das Werk von einigen wenigen Drachen sein. Zudem kam es mir so vor, als bewachten sie irgendetwas dort im Sumpf. Vielleicht ein Artefakt oder…“

„Ein Gelege.“, beendete Tabetha seinen Satz. „Ich habe ihre Anwesenheit schon eine ganze Weile wahrgenommen, doch andere Dinge erforderten meine Aufmerksamkeit. Vielleicht war das ein Fehler. Was Ihr berichtet ist auf jeden Fall einer genaueren Beobachtung wert. Ich werde jemanden damit beauftragen.“

„Warum…“, begann Abbefaria, doch wieder schnitt ihm die Magierin das Wort ab.

„Es ist zu früh und ihr noch nicht reif für diese Art von Aufgabe. Mit schwarzen Drachen ist nicht zu scherzen.“

Der Druide biss sich auf die Zunge um nicht zu erwidern, dass er das wusste. Etwas an dieser Frau war seltsam und auch wenn sie ein menschliches Erscheinungsbild zeigte, war er sich fast sicher, dass sie zumindest kein gewöhnlicher Mensch war. Eine kleine, gehässige Stimme in seinem Kopf flüsterte, dass seine Einschätzung von Menschenfrauen sich bis jetzt als nicht besonders zuverlässig erwiesen hatte, und wedelte dabei mit einem Bild der rothaarigen Dämonenbeschwörerin vor seinem inneren Auge herum. Wütend verbannte er Stimme und Bild irgendwo tief in sein Unterbewusstsein und versuchte das glucksende Lachen zu ignorieren, das von dort zu ihm aufstieg.
 

Tabetha war aufgestanden und begann die Holzscheite in der Feuerstelle zu verteilen, so dass ihr heller Schein zu einem flackernden Glimmen wurde. „Ich werde darüber nachdenken müssen, was zu tun ist. Vielleicht verlangen die Umstände eine Änderung meiner ursprünglichen Pläne mit Euch. Aber zunächst sollten wir alle ein wenig schlafen.“
 

Während Tabetha in einem Nebenraum verschwand, bleib den Gästen nicht viel anderes übrig, als ihr Lager auf dem Boden der Hütte auszubreiten. Abbefaria beobachtete Emanuelle und die Menschen dabei, wie sie Strohsäcke ausbreiteten, Decken verteilten und allerlei Vorbereitungen für die Nacht trafen. Als schließlich alle einen Platz gefunden hatten, blieb der Blick der Priesterin an ihm hängen.

„Habt Ihr auch eine Decke oder soll ich Euch eine von meinen leihen.“, fragte sie freundlich.

„Nicht notwendig.“, antwortete Abbefaria und verwandelte sich vor ihren Augen in eine riesige, schwarze Raubkatze. Das Erstaunen und die Neugier, die daraufhin in ihrem Blick erschien, streichelten seinen von der Magierin gestutzten Stolz ein wenig. Auch wenn seine druidischen Fähigkeiten nicht dazu gedacht waren, zu prahlen oder sich sonst wie hervorzutun, so tat es doch wohl, mit solchem Interesse betrachtet zu werden. Er streckte sich ausgiebig, zeigte sein kräftiges Gebiss und ließ sich dann mit einer wohl überlegten Geste neben der Tür zu Boden sinken. Neben ihm klopfte Emanuelle ihren Strohsack zurecht und grinste ihn unverhohlen an.

„Angeber.“, flüsterte sie und zwinkerte ihm zu, bevor sie ihre Augen schloss und kurz darauf eingeschlafen war.

Auch die anderen um den Druiden herum begannen schon bald langsamer und tiefer zu atmen. Der Krieger lang mit halb geöffnetem Mund auf dem Rücken und schnarchte ein wenig. Abbefaria musste unwillkürlich an Easygoing denken. Wo seine Freunde jetzt wohl waren? Vermutlich bereits wieder zurück auf dem Weg nach Darnassus um dort die Rettung des Verbrannten Tals zu feiern. Für einen Moment zweifelte er daran, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Hätte er die Magierin nicht begleitet, wäre so Vieles nicht passiert, so Vieles nicht in Bewegung geraten. Er wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. So beschloss er, die Dinge kurzerhand auf sich zukommen zu lassen, legte den Kopf auf die Pfoten und war kurz darauf ebenfalls im Reiche Yseras versunken.
 


 


 

Ein durchdringendes Klopfen weckte den jungen Druiden am nächsten Morgen.

„Lady Tabetha?“, rief eine Stimme von draußen. Sie wurde begleitet von unverwechselbaren Schaben und Klirren gepanzerter Rüstungen. „Lady Tabetha, seid Ihr da? Wir sind im Auftrag von Lady Jaina Proudmoore hier.“

Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Nebenraum und die ältere Magierin schlurfte durch Tür. Für einen Augenblick sah Abbefaria weißes Haar unter ihrer Kapuze aufleuchten, dann schob die Frau die störrische Strähne wieder zurück unter den Stoff und warf einen bösen Blick zur Tür.

„Nur weil Ihr eine Uniform tragt und der Adjutant von Captain Wymor seid, gibt Euch das noch lange nicht das Recht, meine Tür einzuschlagen, junger Mann. Also wartet gefälligst dort draußen, bis ich bereit bin Euch zu empfangen. Und nehmt Euer Pferd aus meinem Gemüsegarten!“

Von draußen erklang Stimmengemurmel und Geräusche, die darauf schließen ließen, dass die Soldaten Tabethas Aufforderung nachkamen. Die Magierin seufzte und entfachte das Feuer im Herd mit einer Geste neu. Dann setzte sie einen Kessel aufs Feuer und kümmerte sich weder um ihre Gäste, die nun nacheinander mehr oder minder schlaftrunken ihrem Lager entstiegen oder das Scheppern, das vor der Tür davon kündete, wie ungeduldig die Soldaten auf der anderen Seite darauf warteten, endlich mit Tabetha sprechen zu können. Erst als der Geruch eines belebenden Kräutertees durch die Hütte zog und Tabetha eine Tasse des Gebräus zusammen mit einem Stück Röstbrot verzehrt hatte, ließ sich die Magierin dazu herab, die Tür zu öffnen und dunstigen Sonnenschein in die Hütte zu lassen. Abbefaria blinzelte angestrengt gegen die ungewohnte Helligkeit an und lugte dann neugierig nach draußen.

Vor der Tür standen drei Soldaten mit dem Wappen Theramores auf der Brust. Einer von ihnen hatte seinen Helm abgenommen und darunter kam ein gestandener Soldat von vielleicht vierzig Jahren zum Vorschein, der, als er Tabetha erblickte, die Hand grüßend an die Stirn legte.

„Lady Tabetha?“

„Wer sonst sollte ich wohl sein.“, knurrte die Magierin. „Was wollt Ihr zu so früher Stunde. Wie Euer Kommandant und Jaina Proudmoore wissen, ziehe ich die Abendstunden für Besuche vor.“

Der Soldat salutierte erneut. „Lady Proudmoore lässt dafür Ihre untertänigste Entschuldigung senden. Doch sie bat mich, Euch dies hier unverzüglich zuzustellen.“

Eine Pergamentrolle mit einem dunkelvioletten Siegel wechselte den Besitzer. Die Magierin zog eine Augenbraue nach oben, dann brach sie das Wachs und begann zu lesen. Während ihre Augen über die sorgfältig gemalten Buchstaben glitten, verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. Am Ende des Schreibens ließ sie ein bellendes Lachen hören.

„Defias?“, spuckte sie mehr aus, als dass sie es sagte. „Hier in den Düstermaschen? Das ist so lächerlich, dass es fast schon wieder stimmen könnte. Und jetzt schickt Jaina ausgerechnet nach meiner Hilfe?“

Der Soldat zuckte unter dem scharfen Klang ihrer Stimme zusammen. „Ich weiß es nicht, Lady Tabetha. Ich habe die Nachricht nur überbracht.“

Die Magierin murmelte etwas Unverständliches, dann winkte sie dem Soldaten. „Also schön. Geht! Reitet zurück nach Theramore und sagt Eurer Lady, dass sie Hilfe bekommen wird. Ich werde sie ihr schicken, sobald ich kann.“

Der Mann salutierte. „Sehr wohl, Lady Tabetha.“ Damit stiegen er und die anderen Männer wieder auf die Pferde und ritten von dannen, wobei Abbefaria das Gefühl nicht loswurde, dass sie froh waren das Anwesen wieder verlassen zu können.
 

Drinnen in der Hütte rumorte Tabetha in allen möglichen Kisten und Kästen herum und schimpfte dabei halblaut vor sich hin. „Dämonen. Drachen. Defias. Man sollte meinen, die Welt würde irgendwann lernen auf sich selbst aufzupassen. Und wo ist denn nur dieser vermaledeite…ah da.“

Mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck zog sie etwas aus einer der vielen Behältnisse, schnüffelte kurz daran, nickte, und wickelte es dann in ein Tuch. Danach drehte sie sich zu ihren Gästen um und fasste die Anwesenden scharf ins Auge.

„Ein ganz schön müder Haufen.“, stellte sie fest, schnalzte mit der Zunge und schüttelte ein paar Mal mit dem Kopf. „Wie man es dreht und wendet, es sind einfach nicht genügend. Dann wird Jaina mit ihren Defias wohl etwas warten müssen.“

„Defias?“ Bladewarrior, der sich eben noch den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, wirkte mit einem Malle hellwach. „Sagtet ihr Defias?“

„Du kennst dich wohl mit den Burschen aus?“, fragte Tabetha und es klang fast ein wenig lauernd.

Der Krieger nickte. „In Westfall, also da, wo ich geboren wurde, geht nur wenig vor, wo diese Diebesbande nicht ihre Finger im Spiel hat. Ehrliche Handwerker, so wie mein Vater einer war, wurden gezwungen für sie zu arbeiten.“

„So, so.“, grinste die Magierin. „Alles ehrliche Handwerker also. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Menge sich auch freiwillig auf ihre Seite stellten, nachdem was der König und die Noblen von Stormwind Edwin van Cleef und seinen Leuten antaten. Auch ehrliche Handwerker wollen bezahlt werden.“

„Aber sie erheben deswegen nicht die Hand gegen ihr Land und ihren König.“, schmetterte der junge Mann ihr entgegen und sprang auf. „Mein Vater wäre niemals freiwillig zu diesen Verrätern übergelaufen.“

Tabetha hob abwehrend die Hände. „Ich wollte weder Euch noch Euren Vater damit beleidigen, junger Mann. Ich wollte nur andeuten, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt. Und jetzt setzt Euch schnell wieder, bevor ich mir überlege, ob ich nicht beleidigt sein soll über Euer ungebührliches Verhalten.“

Murrend setzte sich Bladewarrior wieder, doch in den dunklen Augen, die unter den schwarzen Haarspitzen hervorsahen, blitzte immer noch der Widerstand auf.

Tabetha schien davon reichlich unbeeindruckt. „Einen Freiwilligen für die Mission gegen die Defias haben wir also schon. Hat noch jemand Erfahrung auf diesen Gebiet vorzuweisen?“

Abumoaham rutschte ein wenig auf seinem Stuhl hin und her. „Ich schon einmal gesammelt rote Halstücher, was sind Erkennungszeichen von Defiasbande.“

Tabetha zog eine Augenbraue nach oben. „Ich fürchte, das qualifiziert Euch nicht wirklich. Außerdem habe ich mit Euch andere Pläne. Ebenso wie mit Euch.“

Bei den letzten Worten richtete sich der Zeigefinger der Magierin auf Abbefaria. Der Druide, der inzwischen wieder seine Nachtelfengestalt angenommen hatte, zuckte unwillkürlich zusammen. Ein wenig verstört sah er rechts und links neben sich, doch es stand außer Zweifel, dass Lady Tabetha auf ihn zeigte.

„Ihr zwei werdet mich jetzt erstmal nach draußen begleiten.“, erklärte die Magierin. „Die anderen sehen zu, dass sie so etwas wie Frühstück zusammenkochen. Und lasst Euch ja nicht einfallen, in meinen Sachen herumzuwühlen.“

Damit drehte sich die Frau um und humpelte auf ihren Stock gestützt durch die Hintertür hinaus. Abbefaria und der Magier sahen sich gegenseitig an dann zuckte der graubärtige Mann mit den Schultern und folgte ihr. Mit einem unguten Gefühl erhob sich schließlich auch Abbefaria und trat durch die hölzerne Tür in den hinten Teil des Anwesens.
 

Tabetha stand mitten in etwas, das ein Beet hätte sein können, wenn nicht Unkraut und Gras alles überwuchert hätten. Sie bohrte mit der Spitze ihres Stabs in der Erde herum und pulte schließlich einen dicken Wurm aus der fetten Erde. Nach einem prüfenden Blick ließ sie in kurzerhand in ihre Robentasche gleiten und wies die beiden Männern mit erdverschmierten Fingern sich auf ein paar herumliegende Felsbrocken zu setzen.

„Also schön, wo fange ich an.“, überlegte sie und wischte sich die Hände gedankenverloren an ihrem Rock ab. „Ihr seid spät. Eigentlich viel zu spät, wenn man es recht betrachtet, aber sei´s drum. Die Geschichte richtet sich eben nicht nach Stundenplänen. Und selbst wenn sie es täte, hättet Ihr vermutlich einen großen Teil des Ganzen geschwänzt. Es wird an der Zeit, Euch für den Kampf zu rüsten.“

„Wovon sie reden?“, flüsterte Abumoaham Abbefaria halblaut zu, der es jedoch vorzog nur mit einem Schulterzucken zu antworten, da sich just in diesem Moment die Augen der Magierin in die seinen bohrten.

„Was ich damit sagen will, ist, dass ihr nach Desolace reisen werdet um eine Höllenkugel zu besorgen. Die Hexenmeister der Brennenden Klinge in der Gegend dort nennen sehr hübsche, hochwertige Kugeln ihr Eigen…zu dumm, dass sie Dämonen darin eingebunden haben. Aber das können wir ja ändern. Beschafft mir solch eine Kugel bei Zirkel des Mannoroc und kehrt dann auf dem schnellsten Wege wieder hierher zurück.“

„Desolace?“

„Höllenkugel?“

„Dämonen?“

„Hexenmeister?“

Der Mensch und der Nachtelf sahen die Magierin an, als wäre sie so eben höchst persönlich solch einer ominösen Höllenkugel entstiegen. Abumoaham fing sich als Erster wieder.

„Warum wir sollten besorgen so ein Hexenmeisterdings. Und wie wir sollen kommen nach Desolace. Ich nicht genau wissen, aber es sich anhören ziemlich weit weg.“

Tabetha sah Abbefaria auffordernd an. „Erklär ihm, wo Desolace lieg!“

„Desolace müsste von hier aus nordwestlich auf der anderen Seite des Kontinents liegen. Es grenzt im Norden an das Steinkrallengebirge, während sich im Süden die wilden Wälder von Feralas anschließen.“, betete Abbefaria herunter. „Und es ist, wenn ich das anfügen darf, der mit am wenigsten besiedelte Landstrich Kalimdors. Das einzig Lebendige, was es dort noch gibt, sind die wilden Zentaurenstämme.“

„Und die Dämonenbeschwörer.“, fügte Tabetha lächelnd hinzu und tätschelte Abbefaria die Wange. „Ich wusste schon, warum ich dich für diese Mission ausgewählt habe.“

Der Nachtelf wich vor ihrer Hand zurück.

„Aber wie wir dorthin kommen sollen.“, begehrte nun auch Abumoaham auf. „Es weite Reise bis dorthin und ich nicht habe Zeit für so etwas.“

„Oh, ihr werdet euch die Zeit nehmen.“, verkündete Tabetha fröhlich und ohne jeden Zweifel in der Stimme. „Außerdem werdet ihr lediglich bis nach Theramore reiten müssen, von dort aus besteigt ihr einfach zwei Greifen und seid in Nullkommanichts an der Nijelspitze.“

„Aber für Greifenflug…“, begann der Magier erneut, doch Tabetha unterbrach in mit einer Geste.

„Ich weiß.“, sagte sie lächelnd. „Vertraut mir, die Greife werden wissen, wohin sie euch zu bringen haben.“

Mit diesen Worten trat sie an den Magier heran und legte die Handfläche an seine Stirn. Ein violettes Leuchten pulsierte darunter und der Gesichtsausdruck des Menschen wurde leer. Kurz darauf nahm Tabetha ihre Hand wieder weg und schloss dem Magier die Augen.

„Schlaf.“, sagte sie und pustete ihm ins Gesicht. Der Mann sackte an Ort und Stelle in sich zusammen. Danach drehte sie sich lächelnd zu Abbefaria um. „Und nun zu dir. Du brauchst keine Angst haben, es tut nicht weh.“
 

Mit einer Behändigkeit, die Abbefaria ihr nicht zugetraut hatte, war die Frau mit einem Mal bei ihm und drückte auch ihm die leuchtende Handfläche gegen die Stirn. Es ging so schnell, dass er vergaß, sich zu wehren, als mit einem Mal Bilder gegen seinen Verstand brandeten. Eine riesige, graue Staubfläche. Knochen halb verdeckt im Sand. Windteufel, die über die leere Ebene jagten. Ein kranker, gelber Himmel gepeitscht von einem wütenden Sturm. Endlose Wolkenmassen drohend aufgerichtet wie lauernde Raubtiere. Totes, stinkendes Wasser, das selbst die Knochen zersetzt.

Stöhnend ging der Druide in die Knie. Die Gewalt, die diesem Landstrich angetan worden war, ließ ihn erzittern. Instinktiv wehrte er sich gegen das Wissen, dass in ihn einfloss, er griff hinauf und neue, noch viel schrecklichere Bilder überfluteten ihn. Sich windende Dämonenleiber, die im Feuer vergingen. Heißes Blut, das sich in weißen Schnee ergoss. Zerfetzte, zersplitternde, vergehende, in Todesangst schreiende Dämonen. Eine himmelhohe, brennende Gestalt mit bronzener Haut, die Hand mit dem brennenden Speer zum Wurf erhoben, den gehörnten Kopf im Triumpfschrei zurückgelegt. Dann ein Aufschrei, ein weißer Blitz und ein Schlag, der die Luft aus den Lungen des Druiden presste und ihn hintenüber warf.

Mit dröhnendem Kopf blieb der Nachtelf liegen und begann erst langsam die Geräusche zu orten, die um ihn herum passierten. Zwei davon waren aufgeregte Frauenstimmen, die sich unglaublich hoch und schrill ankeiften.

„Schluss jetzt, Priesterin!“, donnerte Tabetha schließlich und zusammen mit der ihr gegenüberstehenden, fuchsteufelswütenden Demuny schloss - so schien es - auch noch der gesamte Sumpf den Mund. Fast eine volle Minute lang war nicht ein Ton zu hören, bis die ersten Zikaden, die zu dumm waren um das Phänomen zu verstehen, das ihnen so eben widerfahren war, wieder anfingen, ihr allgegenwärtiges Konzert zu geben.

Schwer atmend stützte Tabetha sich auf ihren Stock. „Es reicht wohl nicht, dass Ihr Eure vorlaute Nase überall hineinsteckt. Jetzt wagt Ihr es auch noch meinen Zauber zu stören.“

„Es sah mir nicht aus, als wüsstet Ihr, was Ihr tut.“, wagte die Priesterin zu erwidern. „Ihr habt ihm wehgetan.“ Anklagend zeigte sie auf Abbefaria.

„Nichts, was die Zeit nicht heilen wird.“, brummte die Magierin. „Aber sei´s drum. Was geschehen ist, ist geschehen. Und ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Das habt Ihr gut gemacht, Priesterin.“

Demuny sah aus, als würden ihr die Augen herausfallen. „Ich habe…was?

Ein kleines Lächeln umspielte Tabethas Mundwinkel. „Ihr habt richtig gehört. Ich habe meine Wahl getroffen. Ihr werdet die Dritte im Bunde sein, die nach Desolace reist. Einen Dickschädel wie Euch werden die beiden dort gut gebrauchen können.“

„Aber ich…“, stotterte Demuny und vergaß ganz vor der Magierin zurückzuweichen, die jetzt neben sie trat und ihr die Hand auf die Stirn legte.

„Nehmt diese Erinnerungen. Sie werden Euch nach Desolace führen und dann nach und nach verblassen. Es tut nicht weh und wird auch keinen bleibenden Schäden hinterlassen.“

Damit glühte die Handfläche der Magierin erneut auf und auch Demunys Gesicht wurde für einen Augenblick lang ausdruckslos. Als Tabetha ihre Hand zurückzog, lag ein träumerischer Ausdruck über den Zügen der jungen Frau, der noch einen Augenblick andauerte und dann ehrlichem Erstaunen wich.

„Ich…ich erinnere mich. An Desolace.“, murmelte Demuny. „Aber es ist merkwürdig. Als wäre es gar nicht wirklich passiert. Mehr wie ein Traum oder eine Vision.“

„Es wird reichen, um euch alle zu Eurem Ziel zu bringen. Und jetzt frühstückt und macht euch reisefertig. Ich werde derweil noch etwas erledigen.“

Die Magierin drehte sich um und stapfte unter Platschen und Humpeln in den Sumpf hinaus. Zurück blieben eine verwirrte Priesterin, ein Nachtelf mit Schädelbrummen und ein Magier, der langsam begann wieder zu sich zu kommen. Abbefaria hob den Kopf und sah die junge Frau fragend an.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, ja, alles bestens.“, wiegelte sie ab. „Ich hoffe, Euch geht es ebenfalls gut?“

Abbefaria überlegte einen Augenblick. Er fühlte sich nicht schlecht, auch wenn die Bilder, die er gesehen hatte, eine bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatten.

„Ich denke, ich werde mich damit abfinden müssen.“, sagte er schließlich. „Diese Frau ist sehr von sich eingenommen.“

„Sie vermutlich auch sein kann.“, meldete sich Abumoaham sich wieder zu Wort. Der Magier streckte sich und gähnte ausgiebig. „Soweit ich beurteilen kann, sie große Macht.“

„Aber das gibt ihr nicht das Recht uns herumzukommandieren.“, murrte der Nachtelf. „Sie hat uns nicht einmal erklärt, warum wir eine dieser Höllenkugeln besorgen sollen.“

Der Magier rieb sich den Bart und nickte gedankenverloren. „Das sein Wahrheit. Aber ich vermute, sie guten Grund dazu haben wird. Wenn Meister geben Befehl, Lehrling nicht lange fragen, sondern versuchen Aufgabe zu erfüllen so gut wie möglich. Lady Tabetha nicht mag haben beste Manieren, aber ich denke, wir ihr vertrauen können, wenn selbst Jaina Proudmoore fragen nach ihrem Rat. Außerdem ich neugierig, was sie wird anstellen mit Höllenkugel, wenn wir sie bringen.“

„Das ist wahr.“, stimmte nun auch Demuny zu. „Wir wissen zu wenig über Tabetha, um sie zu verurteilen. Vielleicht gibt es für das, was sie tut, einen guten Grund.“

Abbefaria, der nicht völlig überzeugt war, sah in den Sumpf hinaus. In der Richtung, in der die Magierin verschwunden war, breitete sich nichts als Schlamm, Wasser und welkende Pflanzen aus. Nebelschwaden krochen über das Wasser und ab und an hörte man das schnarrende Fauchen eines Krokilisken im Hintergrund. Vielleicht war es kein Wunder, dass eine Bewohnerin dieser kargen, lebensfeindlichen Landschaft ein wenig sonderbar war. Und in einem hatte der menschliche Magier Recht: Auch er wollte gerne erfahren, was die Magierin mit der Dämonenkugel anzustellen gedachte.
 


 


 

Snout und Nozzle waren auf der Jagd. Der Clan der Klingenhauer war es leid, auf Wurzeln und Gräsern herumzukauen und forderte Fleisch. So hatten die beiden Brüder und besten Jäger des südlichsten Stacheleberclans die Sicherheit des Stammes verlassen und streunten jetzt über die Ebene des Brachlandes. Ihr Ziel war eines der Wasserlöcher, das nicht von den Zentauren besetzt worden war. Im Morgengrauen hofften sie dort auf reiche Beute. Auf fleischreiche Beute. Mit ihr würden sie siegreich wieder in das Lager des mächtigsten aller Stacheleberclans zurückkehren: Dem Kral der Klingenhauer, gebildet von unzähligen, meterdicken Dornenranken, die dort hervor gewachsen waren, wo einst das Blut des Halbgottes Agamaggan, dem riesigen Eber und Urvater aller Stacheleber, vergossen worden war.
 

Snout schmatzte und steckte die Schnauze in den Wind. Er war der bessere Spurenleser und war ihm die Aufgabe zugefallen, die Führung zu übernehmen. „Ich rieche was.“

Nozzles kleine Augen fixierten ihn. „Und was bei Agamaggans heiligem Schädel ist es?“, grunzte er ungehalten.

„Weiß nicht. Riecht komisch.“

„Sind es Borstennacken?“ Der nördlich von ihnen lebende Clan wäre mit Sicherheit nicht erfreut gewesen, die zwei fremden Jäger in ihrem Revier zu entdecken.

„Nein. Kein Stacheleber riecht so.“

Snout schmatzte wieder und kostete die Luft. Sein keilförmiger Kopf ragte dabei kaum über die hohen Gräser hinweg. Aber das machte nichts. Er brauchte seine Beute nicht zu sehen. Er konnte sie hören und riechen. Und was immer er dort roch, bedeutete mit Sicherheit Fleisch. Voller Vorfreude stellten sich die Stacheln an seinem Rücken auf. Stumm gab er seinem Bruder einen Wink, ihm zu folgen, und drückte seine massige Gestalt durch die hohen Gräser auf die Straße zu.
 

Der Kopf der Reiterin ruckte herum, als Snout und Nozzle neben ihr aus einem Hinterhalt hervorpreschten. Mit wilden, quiekenden Schreien rannten sie auf sie zu und hielten ihre kurze Jagdspeere dicht am Körper. Snout bremste seinen Lauf in einer Staubwolke, holte mit dem Speer aus und schleuderte ihn in Richtung der Reiterin. Kurz bevor die Waffe sie erreichte, leuchtete eine Kuppel aus schwarzem Licht um die Fremde herum auf und die Waffe fiel klappernd zu Boden. In diesem Moment erreichte Nozzle die unsichtbare Grenze.

Sein Körper wurde in die Luft gehoben, schwarze Blitze zuckten über den kreischenden Körper, als er mehrere Meter nach oben geschleudert wurde und dann wie ein Stein zur Erde stürzte. Snout hörte das dumpfe Geräusch, mit dem der Schädel am Erdboden zerplatzte. Heißes Eberblut begann den Boden zu tränken.
 

„Nozzle! Nein!“ Snouts Schrei ging in ein Wutgeheul über, als er in blindem Kampfrausch auf diesen Menschen zu stürzte, der es gewagt hatte, ihr Land zu betreten und seinen Bruder zu töten. Im Laufen griff er nach seinem Speer und stürmte auf den Feind ein.

Er prallte gegen eine Wand aus schwarzem Schmerz, die ihn packte und festhielt. Er konnte sich nicht bewegen, hing gefangen in der Luft. Hilflos verhallte sein panisches Quieken, während ihm die Dunkelheit die Haut vom Leib brannte und sein Leben sich in einer Pfütze unter ihm sammelte. Das Letzte, was er sah, bevor seine Augen brachen, war ein violettes Licht und das Lächeln auf dem Gesicht der Menschenfrau.
 


 


 

Die Pferde waren gesattelt und die Helden bereit zur Abreise. Emanuelle war in Ermangelung ihres demontierten Roboschreiters zu Bladewarrior in den Sattel geklettert und eigentlich hätten sie abreisen können, wenn es nicht ein weiteres Mitglied der Gruppe gegeben hätte, das noch auf seinen eignen zwei Füßen stand. Tabetha, die im Eingang ihrer Hütte stand und auf ihrer kleinen Pfeife herumpaffte, musterte Abbefaria eingehend.

„Ihr werdet ein Reittier brauchen.“, stellte sie fest.

„Er kann gerne auf meinem Pferd mitreisen.“, bot Demuny an, doch die Magierin winkte ab.

„Das zusätzliche Gewicht würde euch nur aufhalten. Es wird wohl Zeit für meine kleine Überraschung.“

Mit diesen Worten nahm sie die Pfeife aus dem Mundwinkel, steckte stattdessen zwei Finger zwischen die Lippen und pfiff so laut und grell, dass Abbefaria unwillkürlich zusammenzuckte. Als Antwort auf das Pfeifen erklang ganz in der Nähe ein Brüllen, gefolgt vom Tappen großer Pfoten. Kurz darauf rieb sich ein pelziger Kopf an Abbefarias Hüfte. Überrascht drehte der Nachtelf sich um und stand vor der großen, weißen Raubkatze, die ihn vor nicht allzu langer Zeit durch das Steinkrallengebirge getragen hatte. Das Tier stieß ein Grollen aus und stupste ihn erneut spielerisch mit dem Kopf an.

„Aber was…wie.. wie ist das möglich?“, stammelte Abbefaria und sah völlig entgeistert zu der schmunzelnden Tabetha hinüber.

„Schon vergessen?“, grinste sie breit und selbstgefällig. „Ich bin eine Magierin. Ich kann zaubern.“

Abbefaria, der sein Glück kaum fassen konnte, langte nach dem Sattelgurt der weißen Katze und zog sich auf ihren Rücken. Es war ihm zuvor nicht aufgefallen, doch jetzt, wo auch er wieder ein Reittier besaß, fühlte er sich den anderen irgendwie gleichgestellter.

„Nun merkt auf.“, verlangte Tabetha und fasste jeden der Truppe noch einmal scharf ins Auge. „Die drei von mir Beauftragten werden nach Theramore zurückkehren, sich dort ohne Umschweife zum Greifenmeister und auf den Weg nach Desolace begeben. Eure Mission hat Vorrang vor allem, was man euch sonst vielleicht noch aufzubürden gedenkt. Die anderen beiden melden sich bei Captain Wymor. Ihr findet ihn entlang des Weges in der Späherwacht, dem größten und Theramore am nächsten gelegenen Wachturm der Truppen. Fragt ihn, was er will, und richtet ihm aus, dass er das nächste Mal gefälligst seine Männer für seine Aufträge ausschicken soll anstatt nach Hilfe suchend an meine Pforte zu pochen.“

„Wird gemacht.“, zwitscherte Emanuelle vom Rücken des Schecken hinunter und Bladewarrior legte hinter ihr die Hand zum Gruß an die Stirn. Alles schien gesagt, bis schließlich Demuny es wagte, noch einmal den Mund zu öffnen.

„Die Hyals.“, sagte sie und atmete tief durch, um sich selbst Mut zu machen. „Ihr habt gesagt, Ihr würdet uns etwas geben, das…“

Die Priesterin verstummte und sah die alte Magierin furchtsam und auch ein wenig trotzig an. Abbefaria fand diesen Ausdruck in ihrem Gesicht hinreißend. Tabetha hingegen schnaufte vernehmlich und schüttelte dann lachend den Kopf.

„Ihr habt wirklich Courage, junge Dame.“, sagte sie und griff in ihre Rocktasche. Ein zusammengeschnürtes Bündel flog durch die Luft und die verdutzte Demuny fing es im letzten Moment auf, bevor es in den Schlamm fiel.

„Nehmt das da und wenn Ihr in Theramore ankommt, berichtet Captain Vimes von dem, was vorgefallen ist. Er wird Euch sagen können, wo man die Überreste der Hyals beigesetzt hat. Findet die Grabstätte, nehmt eine Schüssel und mischt den Inhalt des Beutels mit etwas Milch. Dann wartet ab, was passiert. Vielleicht habt Ihr Glück und James Hyal wird dadurch seinen Frieden finden.“

Demuny Gesicht war ein einziges Leuchten. „Ich…ich danke Euch.“, stammelte sie. „Möge das Licht Euch segnen.“

„Ja, ja.“, wiegelte die Magierin ab. „Dankt mir lieber, indem Ihr Euch endlich auf den Weg macht. Je früher Ihr zurück seid, desto besser. Verliert also keine Zeit!“
 


 

Mit dieser Ermahnung machten die Helden sich auf den Weg zurück durch die Sümpfe. Keiner sprach viel und so war außer dem Platschen der Pferdehufe im seichten Wasser und einem gelegentlichen Grollen der großen, inzwischen reichlich mit Schlamm bespritzten, weißen Katze, wenn einer der Sumpfbewohner sich zu nahe heranwagte, nichts zu hören. Abbefaria, der ganz am Ende des Zuges ritt, hatte so viel Gelegenheit, seine Mitreisenden zu beobachten.

Die Menschen benahmen sich so ganz anders, als es Nachtelfen in dieser Umgebung getan hätten. Sie suchten sich ihren Weg danach, wohin sie wollten, und nicht danach, wie ihn die Landschaft vorgab. So ritten sie oft mitten durch Gestrüpp, das jeder vernünftige Nachtelf gemieden hätte. Auch ritten sie sehr nah bei einander; teilweise so nah, dass die Leiber der Pferde sich beinahe berührten. Die Reittiere der Nachtelfen hätten so etwas nie zugelassen. Allerdings stellten die großen Katzen für ihre Reiter auch eine Unterstützung im Kampf dar, während die Pferde in Abbefarias Augen nicht mehr als pure Transportmittel zu sein schienen. Die Menschen saßen aufrecht auf ihrem Rücken und bildeten so keine kompakte Einheit, wie es ein Nachtelf mit seiner Katze tat. Allerdings musste Abbefaria zugeben, dass die treuen Pferde vielleicht etwas verlässlichere als die Raubkatzen waren, die oftmals ihren eigenen Kopf gegen ungeübte Reiter durchsetzten. Trotzdem war und blieb dieser Anblick ungewohnt und die Formation, in der sie sich bewegten, erschien dem Nachtelfen unbeweglich und schwerfällig.

Als sie schließlich die leidlich befestigte Straße erreichten, setzte sich Abumoaham an die Spitze. Zunächst war Abbefaria verwundert über diese Wendung, da bis zu diesem Zeitpunkt der Krieger die Führung übernommen hatte. Doch als Abbefaria sah, wie sich der Hinterkopf des Magiers hin und her bewegte, wusste er, was vor sich ging. Seinem Gefühl folgend, drückte er seinem Reittier die Schenkel in die Seite und schloss zu dem Rappen auf.

Eine Weile beobachtete er die Bemühungen des Mannes, mit dem er die nächsten Tage verbringen würde, noch, dann sagte er beiläufig: „Ihr werdet nichts finden. Der Regen in der Nacht hat bereits alle Spuren getilgt.“

Abumoaham schreckte hoch und sah den Nachtelfen aus wasserblauen Augen an. „Woher…“

„Woher ich weiß, dass ihr nach Hinweisen auf Eure Geliebte sucht?“, führte Abbefaria seinen Satz fort und verzog die Mundwinkel zu einem leichten Lächeln, wobei er sorgfältig darauf achtete, die Reißzähne bedeckt zu lassen. „Das war nicht besonders schwer zu erraten.“

„Ich mir mache Sorgen um sie.“, murmelte der Magier. „Sie Talent hat sich zu bringen in Schwierigkeiten. In große Schwierigkeiten.“

„Das hat man gemerkt.“, erwiderte Abbefaria und ließ dabei offen, was er meinte. Der Magier hingegen verstand sehr gut, worum es ihm ging.

„Ihr sie nicht verurteilen dürft.“, sagte er und klang dabei fast ein wenig flehend. „Sie gute Frau. Hübsch und klug. Sie nur haben zu wenig Selbstvertrauen, daher sie greifen zurück auf Dämonen für Magie. Aber ich zuversichtlich, wir bald werden haben gelöst dieses Problem. Ich mit ihr üben zu wirken normale Magie.“

„Ihr meint, ihr unterrichtet sie?“ Abbefaria wurde hellhörig.

„Nun ja, ich recht guter Lehrer.“, gab der Mann zu und strich sich über den Bart. „Aber sie auch gute Schülerin. Ihr solltet sehen ihre Augen. Leuchten wie Sterne, wenn sie freut sich.“

Abbefaria vermied zu erwidern, was er bis jetzt in den Augen der rothaarigen Hexe gesehen hatte. Das erinnerte ihn weniger an sanft leuchtende Himmelskörper denn an die tiefsten Abgründe der Hölle. Außerdem interessierte er sich nicht für die Geliebte des Magiers, sondern dafür, was er möglicherweise von dem Mann lernen konnte. Er schien klug, handelte wohlüberlegt und war sicherlich weniger experimentierfreudig als Emanuelle, die inzwischen ihre Sprache wieder gefunden hatte und munter auf die junge Priesterin einplapperte.

Abbefaria drehte sich kurz im Sattel herum und warf einen Blick auf die blonde Schönheit, die mit liebreizendem Lächeln den Redefluss ertrug, der auf sie einströmte. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie ihm kurz zu und wandte sich dann wieder ihrer Gesprächspartnerin zu. Abbefaria spürte, wie seine Wangen warm wurden, und wendete den Blick schnell wieder nach vorne.

„Erzählt mir von Eurer Art von Magie.“, bat er Abumoaham um sich abzulenken und schon bald schwirrte auch ihm der Kopf von den ganzen theoretischen Erläuterungen des Magiers, die ihm komplizierter erschienen als alles, was er jemals versucht hatte, inklusive dem Versuch Kochen zu lernen.

„Zaubert Ihr denn niemals intuitiv.“, ließ er sich schließlich hinreißen, den Magier zu fragen. Das Gesicht seines Gegenübers sprach Bände.

„Magie nichts zu tun hat mit Intuition. Es sein Beherrschen von Formeln um zu bringen magische Energie in gewünschte Form und Richtung.“ Abumoaham überlegte einen Augenblick. „Wobei ich schon haben gewisse Affinität zu kalter Magie, während Emanuelle lieber spielt mit Feuer. Das vielleicht sein Art von Intuition irgendwie.“
 

Ein spitzer Schrei unterbrach die Unterhaltung der beiden. Sofort zog Bladewarrior sein Schwert und auch Abumoaham wurde von einem eisigen Hauch umweht. Abbefaria bewunderte im Stillen, wie diszipliniert sie waren. Er selbst war durch das Gespräch mit dem Magier unerhört abwesend geworden. Doch auch er zügelte jetzt seine Raubkatze und sah sich nach dem Verursacher des Tumults um. Seine Augen dabei an Emanuelle hängen, die wie wild begonnen hatte, in ihrem Rucksack herum zu kramen. Als sie die Blicke der anderen bemerkte, hob sie den Kopf und lächelte entschuldigend.

„Oh, tut mir leid. Mir fiel nur gerade ein, dass Tabetha mir noch etwas mitgegeben hat, das ich verteilen sollte. Und wo dort vorne doch schon die Späherwacht zu sehen ist…“

Tatsächlich erhob sich aus dem Dunst, der in der nachmittäglichen Sonne orange und golden schimmerte, der Schatten eines hohen Wachturms. Abbefaria war erstaunt, wie schnell die Zeit doch vergangen war, zumal sie nur zwei kurze Rastpausen eingelegt hatten, um etwas zu essen und die Pferde zu tränken.

„Ah, hier sind sie ja.“, verkündete die Gnomin schließlich und zog ein längliches Paket aus der Tasche. Es war - wie so viele Pakete der seltsamen Magierin - in dunklen Stoff gewickelt. Als Emanuelle das Paket öffnete, kamen drei kurze Holzstäbe zum Vorschein, an deren Ende jeweils ein andersfarbiger Kristall angebracht war. Einer von ihnen war feuerrot, der zweite eisblau und der letzte leuchtete in einem klaren, reinen Weiß.

„Zauberstäbe.“, grinste Emanuelle und hielt die drei Stäbe in die Luft. „Sie hat gesagt, wir sollen uns den aussuchen, der am besten zu uns passt. Ich nehm’ den roten.“

Flugs hatte die kleine Magierin den roten Stab wieder herunter genommen und in ihren Gürtel gesteckt. Abbefaria hatte den Eindruck, dass ein feuriges Glühen von dem Stab ausging, als sie den Kristall an seinem Ende noch einmal behutsam streichelte.

„Ist immerhin der Zauberstab des Wutfeuers.“, erklärte sie. „Das passt am besten zu mir. Ich nehme mal an, du willst den blauen?“

Sie hielt den zweiten Stab in Abumoahams Richtung. Der Stab glühte in einem kalten, blauen Licht, als der Magier ihn entgegennahm.

„Der Zauberstab des Eisfurors.“, sagte Emanuelle. „Wie gemacht für dich. Ich weiß nur nicht, was wir mit dem dritten machen sollen. Der Zauberstab der Netherkraft.“

„Das sich anhören wie Zauberstab für…“, begann der Magier und wurde sofort von der kopfschüttelnden Emanuelle unterbrochen.

„So leid es mir tut, aber Magenta werden wir den Stab nicht geben können. Die Zauberstäbe sind ausschließlich für Magier bestimmt. Tabethas Anweisungen, was das angeht, waren sehr eindeutig.“

Abumoaham sah für einen Moment aus, als wolle er etwas Ruppiges erwidern, doch dann glätteten sich seine Züge wieder. „Dann ich werde aufbewahren Stab für Magenta. Ich sicher, sie bald wird so weit sein zu benutzen Stab für Magier.“

Mit diesen Worten nahm er Emanuelle auch noch den zweiten Stab ab, wickelte ihn wieder in das Tuch und verstaute ihn in seinem eigenen Rucksack. Danach steckte auch er den Zauberstab in den Gürtel und winkte dem Tross, sich wieder in Bewegung zu setzen.
 

Als sie den Wachturm erreichten, nahmen die Wachen davor Haltung an und einer von ihnen kam ihnen ein Stück weit entgegen. Als er seinen Helm zurück klappte, erkannte Abbefaria, dass es sich um den Mann handelte, der am Morgen vor Tabethas Hütte gestanden und um ihre Hilfe gebeten hatte.

„Grüße!“, rief er und ließ wohlweislich die Hand an seinem Schwertgriff. „Nennt mir Euer Ziel und Euer Begehr!“

Bladewarrior glitt von seinem Pferd und salutierte vor dem Adjutanten. „Wir sind die Verstärkung, die Ihr bei Lady Tabetha angefordert habt.“

„Und sie lässt ausrichten, dass Ihr nächstes Mal Eure Drecksarbeit alleine machen sollt.“, krähte Emanuelle von dem Pferderücken herunter und grinste den Soldaten an.

Der Mann musterte die Magierin ein wenig irritiert, doch dann stahl sich ein Lächeln auf das bärtige Gesicht. „Normalerweise hätte ich Euch jetzt fragen müssen, ob ihr Euch ausweisen könnt. Aber ich denke, niemand, den Lady Tabetha nicht wirklich geschickt hat, wäre so dreist gewesen, sich so etwas auszudenken. Und das lässt nur den Schluss zu, dass die Lady Euch tatsächlich geschickt hat. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht mit so schneller und vor allem so zahlreicher Hilfe gerechnet.“

„Oh, ich fürchten, wir Euch enttäuschen müssen da.“, mischte sich Abumoaham ein. „Nur Krieger und kleine Magierin geschickt zu Euch. Wir drei setzen fort unsere Reise nach Theramore.“

Der Soldat schien nicht recht zu wissen, wie er mit dieser Ankündigung umgehen sollte. Schließlich salutierte er vor Abumoaham und sagt förmlich: „Ich werde das Captain Wyrmor melden. Aber wenn ihr tatsächlich noch nach Theramore wollt, solltet Ihr Euch beeilen. Die Tore werden nach Anbruch der Dunkelheit geschlossen und dann wird es schwierig sein, die Festung noch zu betraten.“

„Er hat Recht.“, bestätigte Demuny. „Reiten wir also, bevor uns die Wachen noch die sprichwörtliche Tür vor der Nase zuschlagen.“

„Nun dann.“, sagte Abumoaham und neigte den grauhaarigen Kopf in Bladewarriors und Emanuelles Richtung. „Ihr auf Euch aufpassen und nicht machen Dummheiten. Defias gerissen und ihr besser sein vorsichtig.“

„Ich werd schon auf den Großen aufpassen.“, erwiderte Emanuelle gönnerhaft und zwinkerte Abbefaria zu. „Darin habe ich ja Übung.“

Der Nachtelf legte die Hände vor der Brust zusammen und verneigte sich. „Ande'thoras-ethil, kleine Freundin und auch Euch, tapferer Krieger.”

Bladewarrior überlegte einen Augenblick, trat dann auf Abbefaria zu und streckte ihm seine Hand entgegen, die der Nachtelf nach merklichem Zögern auch ergriff. „Ich weiß zwar nicht, was Ihr grad gesagt habt, Elf, aber es klang nicht wie eine Drohung. So wünsche ich Euch denn viel Glück auf Eurem Weg. Und gebt mir auf Demuny Acht. Holde Maiden müssen beschützt werden.“

„Ich werde daran denken.“, versprach Abbefaria immer noch überrascht von der direkten Art der Verabschiedung.

Demuny, die ein wenig steif auf ihrem Ross saß, schluchzte mit einem Mal auf, rutschte vom Rücken ihres Pferdes und lief zu Emanuelle hinüber. Unter Tränen verabschiedete sie die kleine Gnomin, die ihr noch hilfreich ein nicht mehr ganz sauberes Taschentuch anbot, und bedachte sogar den ein wenig peinlich berührten Bladewarrior mit einer Umarmung, bis sie wieder auf den Rücken ihres Reittieres stieg.

„Also dann, auf nach Theramore!“

Mit diesen Worten sprengte die Priesterin so abrupt los, dass Abumoaham und Abbefaria sich beeilen mussten, zu ihr aufzuschließen. Die drei Reiter hetzten über die schmale Landzunge, die die Halbinsel Theramore mit dem Festland verband, und kamen tatsächlich mit den letzten Sonnenstrahlen an den gewaltigen Toren an, die von den schwer gepanzerten Soldaten bewacht wurden. Als sie die Ankömmlinge sahen, zogen die Männer ihre Waffen und stellten sich ihnen entgegen.
 

„Halt, wer da?“, rief einer von ihnen und er und ein weiterer Soldat hoben drohend die Schwerter. Demuny, die immer noch an der Spitze des Zuges ritt, ließ ihr Pferd noch einen Schritt vortreten. Fragend blickte sie von einem zum anderen.

„Jarad? Kahil? Was ist hier los? Warum lasst ihr uns nicht vorbei? Erkennt ihr mich denn nicht? Ich bin es: Demuny.“

Die beiden Soldaten sahen sich an. Derjenige, den die Priesterin Jarad genannt hatte, scharrte ein wenig mit den Füßen. „Neue Befehle.“, erklärte er. „Wir dürfen niemanden mehr ohne Identifizierung nach Theramore durchlassen.“

„Identifizierung?“, schnaufte Demuny und musterte die beiden mit funkelnden Augen. „Also schön, ich gebe euch eine Identifizierung. Dir Jarad, habe ich letzte Woche denselben Arm dreimal von einem Bruch heilen müssen, weil du einfach zu langsam bist, um Edwards Angriffen auszuweichen. Und dir Kahil, musste ich einen Schnitt an deinem…ähm…Gesäß verarzten, weil du dich von Tark hast duch den halben Ring prügeln lassen. Ihr beiden seid häufiger meine Patienten als sonst irgendjemand auf der ganzen Halbinsel und jetzt kennt ihr mich auf einmal nicht mehr? Also das ist doch wirklich die Höhe.“

„Ich würde sagen, sie ist es.“, grinste Jarad und deutete eine Verbeugung an. „Willkommen zurück Demuny. Wen hast du da bei dir?“

„Einen Magier mit Namen Abumoaham und einen Nachtelfen. Sein Name ist Abbefaria.“

„Soso, ein Nachtelf…“

Die beiden Wachen legten wie zufällig die Hände an ihre Waffen und stolzierten ein wenig umständlich um Abbefaria und sein Reittier herum. Der Schwanz der großen, weißen Katze zuckte auffällig und aus ihrer Brust drang ein tiefes, warnendes Grollen.

„Könnt Ihr Euch ausweisen, Elf?“, fragte Kahil und trat ein Stück näher heran. Sofort ruckte der Kopf der Raubkatze herum und ein zahnreiches Fauchen verkündete dem Menschen, dass er kurz davor stand, ihre scharfen Klauen zu spüren zu bekommen.

„Holla!“, rief der Mann erschrocken, machte einen Schritt rückwärts und zog seine Waffe. „Ruft dieses Biest sofort zurück.“

Abbefaria zuckte bedauernd mit den Schultern. „Ich fürchte, das kann ich nicht. Das Tier ist nervös, hat lange nichts gefressen und außerdem mag es Euch nicht.“ Dass er den Mann auch nicht mochte, verschwieg er wohlweislich.

„Wir können ihn nicht passieren lassen.“, sagte Jarad in bestimmten Ton. „Jeder Fremde muss sich zunächst einer Überprüfung unterziehen, vorher werden wir ihn nicht einlassen.“

„Dann Ihr machen Überprüfung schnell.“, bat Abumoaham. „Wir unterwegs mit wichtigem Auftrag.“

„Das geht nicht.“, erklärte Jarad. „Die Magier, die die Überprüfung durchführen können, sind heute Abend zu einer wichtigen Versammlung nach Stormwind aufgebrochen. Ihr müsst bis morgen früh warten, bis wir Euch einlassen können.“

„Das ist absolut lächerlich.“, schimpfte Demuny und wollte noch weiter reden, als Abbefaria ihr bedeutete zu schweigen.

„Es ist gut.“, sagte er in möglichst ruhigem Ton. „Geht hinein und macht die Meldung bei diesem Captain Vimes. Ich werde hier draußen auf Euch warten.“

Demuny wollte noch etwas erwidern, doch sie sah wohl ein, dass es Abbefaria ernst war mit dem, was er gesagt hatte. Abrupt wendete sie ihr Pferd und trieb es mitten zwischen den zwei Soldaten hindurch auf das Tor zu. Abumoaham nickte Abbefaria noch einmal zu, dann folgte er der Priesterin.
 

Abbefaria presste seine Schenkel sanft gegen die Flanken der Katze und ließ sie langsam rückwärts laufen. Dabei ließ er die beiden Soldaten, die sein Tun misstrauisch beobachteten, nicht aus den Augen. Erst, als er ein wenig Abstand zwischen sich und die Männer gebracht hatte, ließ er die Katze umdrehen und schlug sich mit ihr gemeinsam ins Unterholz. Als die Pflanzen sich hinter ihm schlossen, atmete er hörbar auf.

„Es ist nicht leicht, unter Menschen zu leben.“, sagte er halb zu sich selbst und halb zu der weißen Katze, die einen Laut der Zustimmung von sich gab. Der Nachtelf glitt von ihrem Rücken und nahm ihr Satteldecke ab.

„Lauf.“, wisperte er der Raubkatze ins Ohr und wies auf das dichte Unterholz. „Ich wünsche dir eine gute Jagd, mein Freund.“

Die grünen Lichter in den Augen der Katze verschwanden kurz, als sie ihm dankbar zublinzelte, und einen Wimpernschlag später war das Tier ohne einen weiteren Laut verschwunden. Seufzend ließ sich der Nachtelf neben einem windschiefen Baum mit tiefhängenden Ästen zur Erde gleiten. Er sah durch den Dunst hinauf zu den Sternen, die nach und nach in dem schwarzen Blau erschienen.

„Kaldorei.“, sagte er leise. Kinder der Sterne. Der Name, den sein Volk sich selbst gegeben hatte. „Hoffen wir einmal, dass die Sterne in dieser Nacht wirklich über mich wachen.“

Damit lehnte er sich zurück, schloss die Augen und lauschte den Geräuschen des Sumpfes und seiner nächtlichen Bewohner, die anfingen sich für eine erneute Runde im ewigen Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden vorzubereiten. Und wieder begann der Regen zu fallen.
 


 

Demuny eilte die Stufen der Wehrzitadelle hinauf so schnell hinauf, dass ihre Füße kaum den Boden berührten. Die in dem Gemäuer beherbergten Soldaten sahen von ihr meist nicht mehr als einen vorbeihuschenden, weißen Schatten, und den Magier in der hellblauen Robe, der ein wenig außer Atem hinter ihr her schnaufte und ihr zurief, sie solle langsamer machen.

Als die Priesterin schließlich im größten Raum der Zitadelle angelangt war, witschte sie kurzerhand an den beiden Wachen an der Tür vorbei, bevor diese reagieren konnten, holte kurz Luft und stieß dann hervor: „Ich protestiere!“ Dann lehnte sie sich gegen die Wand und bekämpfte den Schwindel, der von den vielen Windungen der Treppen, die sie viel zu schnell gelaufen war, in ihr aufstieg.

Die fünf anwesenden Männer, die im Kreis um einen wuchtigen Holztisch mit verschiedenen Pergamenten und Karten herumstanden, drehten sich zu ihr herum und auf den meisten Gesichtern lag eine Mischung aus Verwunderung und Ärger. Es war unübersehbar, dass die Priesterin sie gestört hatte. Einer von ihnen, ein älterer Mann in einer prächtigen, silbernen Rüstung, auf deren Brust das Wappen Theramores in Gold auf weißem Grund prangte, trat aus dem Kreis und gab so den Blick auf eine junge, blonde Frau in einer weiß-violetten Robe frei, die hinter dem Tisch stand. Ihr Gesicht war ernst und sie musterte die Eindringlinge mit wachsamen Augen.

„Demuny?“, blaffte der Mann in der silbernen Rüstung und seinen Groll wurde nur mühsam von einer pflichtgewohnten Höflichkeit verdeckt. „Was soll das? Was tut Ihr hier?“

„Captain Vimes.“, stieß Demuny hervor. „Die Wachen am Tor. Sie ließen uns nicht durch. Und der Lächelnde Jim. Wir haben diejenigen gefunden, die das Gasthaus zur Süßen Ruh…“

Captain Vimes unterbrach die Priesterin mit einer entschiedenen Geste. „Es tut mir leid, aber wir erörtern hier gerade ein wichtiges Problem. Lasst uns morgen früh darüber sprechen.“

„Captain?“ Eine weibliche Stimme unterbrach den Mann. Die Robenträgerin am Kartentisch war vorgetreten. „Lasst die beiden sprechen!“

„Aber Lady Proudmoore…“

Die junge Frau zeigte ein entwaffnendes Lächeln und hob ein wenig scheltend den Zeigefinger. „Captain Vimes. Hat Euch die Vergangenheit nicht gelehrt, meinen Wünschen besser zu entsprechen? Je eher die beiden dort vorbringen können, weswegen sie hier sind, desto eher können wir unsere Besprechung fortsetzen. Ich denke, das ist im Interesse aller Beteiligten.“

„Mylady.“ Demuny, die erst jetzt zu bemerken schien, wem sie gegenüber stand, sank in einen tiefen Knicks. Abumoaham verbeugte sich ebenfalls und musterte sein Gegenüber dann mit unverhohlenem Interesse.

„Es mir groß Ehre kennen zu lernen so große und bezaubernde Magierin.“, sagte er. „Ich schon immer gewesen großer Bewunderer.“

Jaina Proudmoore stieß ein ernsthaft amüsiertes Lachen aus. „Das würde mich doch schwer wundern, mein Herr, da Ihr mich an Jahren in Einigem zu übertreffen scheint. Doch wie ich sehe, seid auch Ihr Magier?“

„Ich tun mein Bestes.“, gab sich Abumoaham bescheiden und beugte noch einmal den Kopf.

„Nun denn, Magier, berichtet Captain Vimes, was Ihr zu berichten habt, und schickt ihn uns dann wieder zurück, damit wir fortfahren können. Möge das Licht Euch schützen!“

Mit diesen Worten wendete sich die Gründerin und Herrscherin von Theramore wieder ihren restlichen Gesprächspartnern zu und die immer noch ein wenig perplexen Störenfriede wurden von Captain Vimes kurzerhand vor die Tür geschoben. Dort stemmte der Mann die Hände in die Hüften, musterte die Priesterin und dem Magier mit wenig Wohlwollen und brummte: „Also schön. Erzählt rasch, was geschehen ist! Ich will Lady Proudmoore nicht warten lassen.“
 

Abwechselnd berichteten Demuny und Abumoaham, was sich in den Sümpfen ereignet hatte. Als sie geendet hatten, hatte sich der anfängliche Unmut auf dem Gesicht des Captains in vorsichtige Sorge verwandelt.

„Es ist gut, dass Ihr gekommen seid.“, sagte er und strich sich nachdenklich über das glattrasierte Kinn. „Ich werde Lady Proudmoore von den Vorgängen um die Tauren berichten. Die Marschen von Duskwallow werden immer mehr zu einem Pulverfass und irgendjemand versucht nachdrücklich, die Lunte anzuzünden. Das alles ist Teil eines sehr viel größeren Puzzles. Wenn wir nur endlich wüssten, wer dahinter steckt….“

„Und was ist jetzt mit dem Grab der Hyals?“, wagte Demuny einzuwerfen.

„Oh ja richtig.“ Der Captain schreckte aus seinen Überlegungen hoch. „Ihr findet das Grab draußen auf dem Friedhof vor der Stadt. Es ist einer der größeren Steine. Wenn das Tor morgen früh wieder geöffnet wurde, könnt Ihr ihnen Eure Aufwartung machen.“

Demuny war unzufrieden. „Gibt es denn keinen Weg, wie wir heute Nacht noch dort hin gelangen können?“

„Ihr könntet über die Mauer klettern.“, lachte der Captain und fügte, als er Demunys entschlossenes Gesicht sah, eilig hinzu: „Aber davon würde ich Euch dringend abraten. Die Männer haben Schießbefehl. Ihr werdet bis morgen warten müssen.“

Demuny wollte noch etwas erwidern, doch Abumoaham legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Es gut. Wir warten werden bis morgen früh.“

„Und was ist mit Abbefaria?“ Die Priesterin war nicht gewillt klein beizugeben.

„Euer Freund wird morgen das Tor passieren können.“, versprach Captain Vimes. „Ich werde die Männer am Tor entsprechend instruieren lassen. Und bis dahin: Er ist ein Nachtelf, Kind. Es gibt Dinge dort draußen, die weitaus weniger gefährlich sind. Macht Euch also nicht allzu viele Sorgen um das Wohlergehen Eures Freundes.“

Als Demuny einsah, dass alles Knurren und Murren nichts half, dankte sie dem Captain noch einmal für seine Mühen und machte sich dann auf, um eine Schale und etwas Milch zu finden und dann ungeduldig auf den nächsten Morgen zu warten.
 


 


 

Eine leichte Berührung an seiner Schulter ließ Abbefaria aus dem Schlaf hochfahren. Er sah in ein Paar leuchtend grüne Augen und eine raue Zunge fuhr ihm über die Wange. Noch ein wenig schlaftrunken schob er die große, weiße Raubkatze von sich.

„Ich muss kurz eingenickt sein.“, murmelte er und gähnte ausgiebig. Dann fiel sein Blick auf den Himmel, an dem sich das nachtschwarze Sternenbanner inzwischen in ein Tuch in leuchtendem Orange verwandelt hatte. Der Sonnenaufgang stand bereits kurz bevor.

Der Nachtelf rieb sich die Augen. Früher wäre mir so etwas nie passiert, dachte er, doch er wusste, dass er log. Er hatte schon immer gern und viel geschlafen, auch wenn der Zeitpunkt manchmal denkbar ungünstig gewesen war. In seinen Unterrichtsstunden zum Beispiel.

Einen Augenblick lang hing der Druide seinen Gedanken noch nach, dann erhob er sich entschlossen und blickte in Richtung der Festung, die sich im heller werdenden Morgenlicht auf der Festung erhob. Es war ein beeindruckender Anblick. Nicht schön im ästhetischen Sinne, wie ihn ein Nachtelf verstand. Der graue Stein und die eckige, rein nach praktischen Maßstäben ausgelegte Bauweise wirkten auf Abbefaria klobig und unbeholfen. Doch es war unbestreitbar, dass die Menschen hier einen Sieg errungen hatten. Sie hatten eine Siedlung errichtet, wo es eigentlich keinen Platz für sie gab. Sie hatten den Sumpf zurückgedrängt, die Wildnis in die Flucht geschlagen und jetzt thronten sie auf einem kahlen Stück Felsen und wähnten sich als Herrscher. Abbefaria lachte leise und wollte so eben sein Reittier satteln als er Demunys Stimme seinen Namen rufen hörte. Unwillkürlich begann sein Herz ein wenig schneller zu schlagen, als er dem Klang durch das Pflanzengewirr bis zur Straße hin folgte.

Die Priesterin stand neben einem verschlafen wirkenden Abumoaham auf den Zehenspitzen und hatte die Hand über die Augen gelegt, als gelte es die nicht existente Sonne abzuschirmen. In ihrem anderen Arm hielt sie das Bündel der Magierin, eine Schale und einen Krug, von dem Abbefaria vermutete, dass er Milch enthielt. Sein knurrender Magen erinnerte ihn sofort daran, dass er noch nichts gegessen hatte.

„Ah, da ist er ja.“, rief Demuny und winkte Abbefaria heran. „Kommt schnell! Wir wissen jetzt, wo die Grabstätte der Hyals ist.“

Abumoaham nickte dem Nachtelfen zu und brummte eine Begrüßung. Wie es aussah, war auch der Magier nicht unbedingt ein Morgenmensch. Einträchtig folgten die beiden unterschiedlichen Gestalten der vorauseilenden Priesterin, die wie ein großer, weißer Vogel durch den morgendlichen Dunst flatterte und sie schließlich zu einem von einem eisernen Zaun umgebenen Areal brachte.

Taktvoll blieb Abbefaria auf dem Weg stehen, während die beiden Menschen die Begräbnisstätte betraten. Als Demuny sah, dass er keine Anstalten machte ihnen zu folgen, kam sie zum Tor zurück.

„Was ist? Wollt Ihr uns nicht suchen helfen?“

„Ich…“ Abbefaria zögerte. „Ich war mir nicht sicher. Ist dies kein heiliger Ort für Euch?“

Die Priesterin überlegte. „Ja, ist es.“, antwortete sie schließlich. „Aber es steht jedem frei, ihn zu besuchen und um die Toten zu trauern. Ist das bei Euch nicht so?“

Abbefaria schüttelte den Kopf. „Die Grabhügel sind nur den Wächtern zugänglich. Anderen ist das Betreten untersagt und kann nur unter gewissen Vorrausetzungen und in Begleitung eines Grabwächters gestattet werden.“

„Wie ungewöhnlich.“, sagte die Priesterin mit großen Augen. „Aber ich glaube, Ihr könnt den Friedhof wirklich betreten. Je schneller wir das Grab finden, desto eher können wir nach Desolace aufbrechen.“

Abbefaria sah die Logik in dieser Aussage. Er atmete noch einmal tief durch und trat dann mit einem vorsichtigen Schritt durch die eiserne Umzäunung. Der Boden fühlte sich ebenso weich und schwammig an wie auf der anderen Seite. Es war somit kein Wunder, dass die Steine, die die Menschen genutzt hatten um die Grabstätten zu markieren, allesamt schief und krumm in den Boden gesunken waren. Dichte Flechten überzogen die grauen Platten und die Inschriften waren aufgrund der hohen Luchfeuchtigkeit teilweise schon völlig verwittert.

Ein wenig beklommen ging der Nachtelf zwischen den zahlreichen Reihen von Steinen hindurch. Er sah so unendlich viele Namen und hatte das Gefühl, als streife ihn ein kalter Windhauch, als sein Blick an einem großen, hellgrauen Stein hängen blieb. Die Inschriften darauf waren zum Teil nicht mehr lesbar, doch ganz unten waren zwei neue Namen eingemeißelt worden. Lynn und Jimmy Hyal. Daneben stand ein Datum, das noch nicht allzu lang zurücklag. Er hatte die Grabstätte gefunden.

„Tatsächlich, das ist sie.“, bestätigte Demuny seinen Fund. „Dann wollen wir einmal sehen, was es mit diesem Zauber auf sich hat.“

Die Priesterin stellte die mitgebrachte Schale auf den Boden vor den Stein, schüttete etwas Milch hinein und nahm dann das Päckchen, das sie von Tabetha erhalten hatte. Der Inhalt erwies sich als weißes Pulver, von dem ein leichter Geruch nach Calendula, Lebenswurz und Eisenkraut ausging. Der Geruch wurde intensiver, als das Pulver von Demuny mit der Milch vermischt wurde. Als es sich völlig aufgelöst hatte, kam die Priesterin wieder aus der Hocke hoch und stellte sich neben die beiden Männer. Gemeinsam warteten sie ab, was passierte.
 

Zunächst geschah gar nichts. Der weiße Dunst um sie herum schien sämtliche Laute der Umgebung auf ein Minimum zu dämpfen und so waren sie allein mit dem Geräuschen ihres Atems und dem einsamen Klopfen ihrer Herzen.

„Ich denke, wir gehen besser.“, sagte Demuny. In ihrer Stimme lag ein Hauch von Enttäuschung. „Ich denke, der Zauber hat nicht funktioniert.“

„Vielleicht Pulver nass geworden.“, überlegte Abumoaham. „Oder Tabetha sich geirrt. Sie vielleicht nicht gemacht richtige Mischung. Außerdem sie gesagt, es nicht geben Garantie, dass Zauber wirken.“

Demuny nickte stumm und drehte sich herum um zu gehen, als plötzlich eine Gestalt aus dem Nebel erschien. Er war ein kleiner, blonder Junge von vielleicht sechs oder sieben Jahren. Er trug eine kurze Hose und eine leuchtend blaue Weste und lief neugierig zu der Schüssel, die Demuny aufgestellt hatte.

Mutter! Mutter sieh doch nur!

Dem Jungen folgte eine zweite Gestalt. Eine junge Frau in einem einfachen Kleid und einem roten Hemd. Sie trat zu dem Jungen, beugte sich über die Schale und strich dem Jungen lächelnd über das Haar. Dann drehte sie sich zu den drei Anwesenden herum

James? , flüsterte eine geisterhafte Stimme an Abbefarias Ohr. Nein, Ihr seid nicht James, aber ich weiß, wer Ihr seid. Ihr seid diejenigen, die unseren Tod gerächt haben. Ich habe so lange versucht, es Jim zu sagen…es irgendjemandem zu sagen…wer hinter all dem steckt. Aber ich fand einfach keinen Weg.

Die Geisterfrau lächelte jetzt. Aber Ihr habt es herausgefunden. Ich danke Euch dafür. Und ich danke besonders Euch, Priesterin, für die Hilfe, die Ihr meinem geliebten Mann habt angedeihen lassen. Wenn Ihr zurückkehrt, sagt ihm, dass wir unseren Frieden gefunden haben und dass wir auf ihn warten werden.

Der kleine Junge zog seine Mutter am Rock. Mami, wann sehen wir Daddy wieder?

Sie lächelte und strich ihm noch einmal durch das Haar. Ich weiß es nicht, mein Schatz. Aber ich weiß, dass dein Daddy dich sehr lieb hat und dass er dich sehr vermisst

Mit den letzten Silben waren die Frau und der Junge immer durchsichtiger geworden, bis schließlich nicht mehr als der Grabstein und eine leere Schale zurückblieben. Neben Abbefaria schluchzte Demuny laut auf.

„Das ist so rühühührend.“, weinte sie in ihr Taschentuch. „Wir müssen sofort zurück. Ich muss Captain Vimes davon berichten. Und natürlich James. Er soll wissen, dass seine Familie

ins Licht gegangen ist.“ Als nächstes folgte ein unverständliches Gemisch aus Schluchzen und Jubel, das vermutlich auch keine Worte brauchte. Abumoaham legte Demuny hilfreich den Arm um die Schulter und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück zur Festung.

Abbefaria beobachtete auch diese Geste fasziniert. Es war ebenfalls etwas, dass es so in der Nachtelfenwelt nicht gegeben hätte. Schon ganz allein deswegen, weil keinen Nachtelfenfrau sich so verhalten hätte. Die tiefe Anteilnahme der jungen Frau am Tod dieser Fremden rührte Abbefaria und er wünschte einen heimlichen Augenblick lang, dass er an der Stelle des Magiers gewesen wäre.
 


 


 

Die Hufe des Esels schlurften nur wenige Zentimeter über dem staubigen Boden. Dem Tier war anzusehen, dass es vollkommen erschöpft war. An der Grenze der bunt zusammen gewürfelten Hafenstadt blieb es schließlich stehen und ließ den Kopf hängen. Die Gestalt auf seinem Rücken bemerkte zunächst nicht, dass die Reise nicht weiterging, so vertieft war sie in ihre Lektüre. Doch als das Grautier auch nach mehreren Minuten nicht weiterging, hob sie schließlich doch den Kopf und sah sich um. Ihr Blick fiel auf ein schlafendes Ratchet. Ein Ratchet, dessen Nachtleben sich gerade zur Ruhe begeben hatte und dessen wenige, halbwegs ehrliche Handwerker ihre Geschäfte noch nicht geöffnet hatten. Der Geruch von frisch gebackenem Brot zog durch die Luft und vermengte sich mit dem salzigen Aroma des Meeres und den Ausdünstungen der nächtlichen Stadt zu einer eigenartigen Mischung. Dämmriges Zwielicht unterstützte den Eindruck, in einer Halbwelt angelangt zu sein.

Die Gestalt auf dem Rücken des Esels presste ihrem Reittier entschlossen die Fersen in die Flanken. Sie wollte endlich an ihr Ziel gelangen. Mit einem klagenden Laut, der wie ein Weckruf über die Stadt schallte, setzte sich der Graue wieder in Bewegung und brachte das, was er den ganzen, langen Weg von den Marschen von Duskwallow hierher getragen hatte zum höchsten Punkt der Stadt: dem Turm von Strahad Farsan.
 


 


 

Die Sonne war noch nicht voll hinter dem Horizont aufgetaucht, als die drei Reisenden sich am, Greifenpunkt einfanden. Der Greifenmeister, ein knurriger Zwerg mit einem dichten, roten Haarwuchs, musterte Abbefaria voller Misstrauen.

„Aye! Und Euch soll ich nun einen meiner Greifen anvertrauen?“, polterte er los. „Einem langzähnigen Spitzohr, dass überhaupt keine Ahnung hat, was es heißt, auf einem Greifen zu reiten.“

„Wir haben ebenfalls fliegende Reittiere.“, antwortete Abbefaria höflich. Er verstand den Zwerg im Grunde genommen, doch er hatte erwartet, dass dieser ihm gegenüber ein gewisses Maß an Höflichkeit an den Tag legte. Aber der kurze Mann bestand darauf, ihn weiter zu beleidigen.

„Bei Falstads Hammer, diese wackligen Klappergestelle etwa? Ich hab hier welche von denen ohne ihre Passagiere ankommen sehen. Undiszipliniert und hinterhältig sind sie. Beißen einem die Hand oder gleich den Kopf ab, wenn man ihnen den Rücken zuwendet. Aber wie der Herr, so´s Gescherr, sag ich immer. Lange Ohren aber nichts dazwischen.“

„Und mich wundert es, dass jemand, der nur in Tunneln herumkriecht, überhaupt zum Fliegen taugt.“, grollte Abbefaria. Er hatte endgültig genug von der Unverfrorenheit des Zwergs.

„Hast du mich grad einen Hügelzwerg genannt, Langohr?“, polterte der Zwerg und griff nach dem Streitkolben, der an seinem Gürtel baumelte. „Dir werd ich zeigen, wo der Hammer hängt.“

„Bitte, wir nicht wollen Streit.“, versuchte Abumoaham zu vermitteln, doch der Zwerg war bereits in Rage geraten.

„Aus dem Weg, Magier.“, rief er. „Ich werden diesen verlausten Elfen in seine Schranken weisen.“

Damit zog er den Kriegshammer und wollte schon auf Abbefaria losgehen, als sie eine weiß gewandete Gestalt zwischen ihn und den Nachtelfen schob.

„Beeindruckend, Baldruc. Nein wirklich, ein schönes Stück. Habt Ihr das aus Aerie Peak hierher mitgebracht?“ Demunys Stimme war süß wie wilder Honig.

Der Zwerg, der immer noch seinen Hammer erhoben hatte, schielte unter dem Rand seiner Lederkappe nach oben. „Oh, Demuny, du bist es. Was verschafft mir die Ehre?“

„Nun ja, ich und meine Freunde hier müssen dringend nach Desolace reisen. Und wenn du und deine Greife uns nicht hinbringen, werden wir wohl den ganzen Weg zu Fuß laufen müssen. Durch Trollland…“

Der Zwerg stieß einen undefinierbaren Laut aus und spuckte voller Abscheu auf den Boden. „Trolle!“, stieß er aus. „Es gibt wenig, was schlimmer ist als ein Elf, aber wenn, dann ist es höchstwahrscheinlich ein Troll. Mich wundert, dass du dich mit so was wie Magiern und Elfen abgibst. Die taugen doch nichts. Haben ja nicht mal Waffen dabei.“

„Es kann eben nicht jeder einen so stattlichen Hammer haben wie du.“, säuselte die Priesterin und die Wangen des Zwergs röteten sich vor Stolz.

„Aye, ich hab´s ja immer gewusst.“, feixte er. „’S ist der Hammer, der die Ladies am meisten beeindruckt. Also gut, ihr bekommt Eure Greife. Haltet eure Finger bei euch, haltet euch gut fest und haltet den Mund geschlossen. Über´m Brachland hat´s viele Fliegen.“

Nach diesen einführenden Worten stieß er einen schrillen Pfiff aus und von einem nahe gelegenen Turm segelten drei majestätische Schatten zur Erde. Mit dem Körper einer goldbraunen Raubkatze und dem Kopf eines erhabenen Adlers wirkten die Tiere auf Abbefaria kräftig und intelligent, jedoch waren es trotz allem nur Tiere. Abbefaria wusste, dass Hippogreife weit mehr als das waren. Sie waren so intelligent, dass einige von ihnen sogar die Sprache der Nachtelfen erlernt hatten. Immer wieder kam es vor, dass Hippogreife Nachtelfenkinder erwählten, sie wie ihren eigenen Nachwuchs aufgezogen und zur Jagd ausgebildeten. Zwischen ihnen herrschte ein besonderes, magisches Band, das nur durch den Tod eines der beiden Bindungspartner wieder gelöst werden konnte. Im Gegensatz zu diesen mächtigen, magischen Kreaturen, waren die Greifen der Zwerge nur gut ausgebildete Haustiere. Trotzdem waren es Tiere mit einem scharfen Schnabel und so näherte Abbefaria sich seinem Reittier sehr vorsichtig.

„Wie der kleine Elf die Hosen voll hat.“, spottete der Greifenmeister, aber Abbefaria ließ sich nicht beirren. Er wob ein wenig Magie und ließ sie in den Geist des Tieres fließen. Ein Fehler, wie er schnell erkennen musste. Der Greifenschnabel schnappte nach ihm, so dass er beinahe einige Finger eingebüßt hätte. Offensichtlich teilten sie Greife die Abneigung ihres Herren, der sich im Hintergrund schier ausschütten wollte vor Lachen.

Na also schön, dann eben mit Gewalt, dachte Abbefaria, trat blitzschnell vor und schnellte auf den Rücken des Greifen, noch bevor dieser wusste, wie ihm geschah. Dass ihm tatsächlich der Nachtelf im Nacken saß, bemerkte er erst, als die straff gezogenen, ledernen Zügel ihn daran hinderten, nach dem ungeliebten Gast zu schnappen. Es folgte noch ein protestierendes Kreischen, dann beherrschte sie Ausbildung das Tier wieder und es suchte sich sein Ziel in den Gedanken seines Reiters. Als es fand, wonach es suchte, stieß es noch einmal einen schrillen, raubvogelartigen Schrei aus, katapultierte sich dann mit einem gewaltigen Sprung der kräftigen Hinterbeine in die Luft und hatte nur wenige Flügelschläge später die Reise nach Desolace angetreten. Kurz darauf folgten ihm die zwei anderen Greife und mit Anbruch des Tages bewegten sich drei geflügelte Schatten in Richtung Norden.
 


 

Der Turm von Strahad Farsan erzitterte.

„Nein!“, kreischte eine weibliche Stimme in seinem Inneren nahe der Hysterie. „Gebt ihn mir wieder. Er gehört mir! Mir allein! Ich werde Euch alle vernichten!“

Strahad Farsan schüttelte den Kopf. „Beeindruckend, findest du nicht?“

„Was daran findest du beeindruckend?“ Menara Voidrender blickte auf die junge, rothaarige Hexenmeisterin, die sich wie toll gebärdete und deren Blick starr auf das Buch in Strahads Händen gerichtet war. „Die Tatsache, dass sie so schreit oder die, dass sie das Buch tatsächlich gefunden hat?“

„Ich meinte eigentlich, dass sie überhaupt noch artikuliert spricht.“, erklärte der Hexenmeister und strich sich über den grauen Schnurrart. „Ich kenne Akolyten, die über weniger starken Artefakten ihren Verstand verloren haben. Aber du hast Recht, das Geschrei ist wirklich lästig.“

Der Mann, dessen Gesicht im Schatten seines gewaltigen, roten Spitzhutes lag, trat zu einem Tisch. Er nahm ein goldenes Gefäß, schwenkte den Inhalt dreimal im Uhrzeigersinn und seufzte. Dann trat er vor die tobende Magenta, hielt das Gefäß auf Brusthöhe und zwinkerte der gefesselten Hexenmeisterin zu.

„À votre Santé!“, wünschte er und die blutrote Flüssigkeit aus dem Gefäßinneren ergoss sich in einem Schwall in das Gesicht seines Gegenübers. Das Gebrüll verstummte schlagartig.

„Wirklich schade.“, sagte Strahad Farsan nachdenklich, als er den Kelch wieder abstellte. „Das war der letzte Rest dieses vorzüglichen Dalaran Rotweins. Aber immerhin hat er seinen Zweck erfüllt.“
 

Prustend, schnaufend und tropfend kam Magenta endlich wieder zur Besinnung. Sie hatten den Geschmack von Wein auf der Zunge und ihr Haar klebte in ihrem Gesicht. Sie war mit Händen und Füßen zwischen zwei Pfeilern angebunden worden und die schmerzhaften Striemen an ihren Handgelenken sagten ihr, dass sie offensichtlich dagegen angekämpft hatte. Nur, dass sie sich daran überhaupt nicht erinnern konnte.

„Was? Woher? Wo?“, murmelte sie unzusammenhängend, als sie sich plötzlich der zwei Personen bewusste wurde, die sie mit unverhohlener Neugier musterten. „Meister Strahad. Und Menara Voidrender.“

Magenta dämmerte, dass sie in Ratchet sein musste. Dorthin hatte sie auch gewollt, als sie in den Sümpfen bei Tabetha aufgebrochen war. An das, was dann passiert war, konnte sie sich nur schemenhaft erinnern. Es hatte alles mit diesem…

„Der Foliant.“, keuchte sie auf und ihre Augenlider flogen nach oben. Dort, in den Händen des älteren Hexenmeisters befand sich das Buch. Der Foliant der Kabale. Sie war aufgebrochen, um ihn nach Ratchet zu bringen.

„Ganz richtig, der Foliant der Kabale.“, nickte Strahad Farsan. „Ich bin höchst erfreut, dass du ihn hergebracht hast. Auch wenn ich speziell dieses Exemplar eigentlich für verloren hielt.“

„Tabetha.“, krächzte Magenta. Ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie seit Tagen nichts getrunken. Jeder Knochen im Leib tat ihr weh und sie hätte alles dafür getan, in einem weichen Bett zu liegen und Buch und Meister einfach vergessen zu können.

„Tabetha“, fragte Strahad Farsan nach und in seiner Stimme lag mit einem Mal angespanntes Interesse. „Du hast sie gesehen? Sie getroffen? Mit ihr gesprochen? Hat sie dir das Buch gegeben?“

Magenta schüttelte den Kopf. „Der Nachtelf. Er hatte den zweiten Teil. Ich den von den Murlocs. Wir haben das Buch…es hat sich vereinigt. Danach hat Tabetha mich davongejagt.“

Strahad Farsan schürzte die Lippen. „Das sieht ihr nicht ähnlich. Ist es wirklich so gewesen?“

Magenta nickte schwach. „Geht, hat sie gesagt. Geht nach Ratchet und bringt Strahad Farsan das Buch.“

„Ich wusste es.“, rief der Hexenmeister und sah Menara Voidrender triumphierend an. „Ich wusste, dass sie sich an mich erinnern würde.“

„Ihr seid schwerlich zu vergessen.“, erwiderte Menara Voidrender höflich.

„Du musst mir alles erzählen.“, plapperte der Mann auf Magenta ein. „Wie sie aussieht, was sie gesagt hat. Wohnt sie immer noch in dieser fürchterlichen Hütte mitten im Sumpf? Ja? Nun, sie hatte schon immer einen ganz eigenen Geschmack.“

„Vor allem, was Männer angeht.“, murmelte Menara Voidrender leise und setzte dann lauter hinzu: „Sollten wir die Arme nicht erst einmal von ihren Fesseln befreien und sie ein wenig ausruhen lassen?“

„Entfesseln ja, Schlafen nein.“, entschied Strahad Farsan. „Schlafen kann sie auch noch, wenn sie tot ist, was bei diesem Lebenswandel nicht allzu lange dauern dürfte. Also wirklich. Mit dem echten Folianten der Kabale ohne irgendwelche Schutzzauber durch die Gegend zu marschieren. Was bringt man den jungen Hexenmeistern heutzutage eigentlich noch bei? Also schön. Schneidet sie los und dann will ich hören, wie sie zu dem Buch kam. Und zwar in allen Einzelheiten.“
 

Einige Stunden später ruhte Magenta auf einer Decke im Schatten eines Baumes. Sie fühlte sich gut und erfrischt, was vor allem einem Trank zuzusprechen war, den Menara Voidrender ihr verabreicht hatte. Allerdings hätte Magenta gut und gerne darauf verzichten können zu erfahren, dass es sich dabei um Trollblutelixier handelte. Geschmeckt hatte es jedoch nach nichts.

Strahad Farsan, dessen Lippen am Mundstück einer Wasserpfeife nuckelten, paffte nachdenklich einige Rauchwolken in die Luft. „Ungewöhnlich.“, murmelte er. „Wirklich sehr ungewöhnlich. Wie es aussieht, haben wir es hier mit einem Fall von spontaner Beschwörung zu tun. Ich kann mir nur nicht erklären, warum Ihr ausgerechnet einen Teufelsjäger beschwören konntet. Normalerweise erfordert die Anlockung eines solchen die Anwesenheit von mehr als einem Beschwörer.“

Magenta konnte darauf nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß es nicht. Eigentlich wollte ich ja auch etwas ganz anderes beschwören.“

„Ja ja, ich hab´s gehört. Irgendeine merkwürdige Prinzessin.“, wiegelte Strahad die junge Hexenmeisterin ab. Magenta bekam allmählich das Gefühl, dass Strahad Farsan sich vor allem gerne selbst reden hörte.

„Die Frage ist nun: könnt Ihr ihn noch einmal rufen?“

„Ich wüsste nicht wie.“, antwortete Magenta, nachdem der Mann dieses Mal anscheinend tatsächlich eine Antwort erwartete. „Als ich ihn das letzte Mal sah, versuchte er gerade mich zu fressen und dann war er auf einmal verschwunden.“

„Habt Ihr vielleicht irgendeinen Spruch benutzt? Eine Formel, die ihn verbannte? Oder gar einen magischen Gegenstand?“

„Naja, ich hatte das hier.“, sagte Magenta und zog die lädierte Rute der Ordnung hervor. Der gravierte Holzgriff mit dem gesplitterten Ende wirkte wenig beeindruckend.

„Lasst mich sehen.“ Strahad Farsan nahm Magenta die Rute ab und untersuchte die Zeichen im Holz. „Nicht unbedingt unmöglich. Wie es scheint, diente auch diese Rute der Kanalisierung von Magien, die zu einer Beschwörung verwendet wurden. Allerdings ist sie ohne den Edelstein an ihrem Ende nur noch die Hälfte wert. Ihr müsstet ihn ersetzen, um einen wirklich viel versprechenden Beschwörungsversuch zu starten.“

„Ersetzen?“, fragte Magenta neugierig. „Aber wie Und womit?“

„Ein Seelensplitter wäre gut.“, erklärte der Meister und paffte an seiner Pfeife. „Ihr tragt nicht zufällig einen bei Euch?“

Magenta schüttelte den Kopf. Sie hatte von der Technik gelesen, die Seelenenergie, die beim Tod eines Wesens frei wurde, einzufangen und in Kristalle zu bannen. Die gespeicherte Energie konnte man nutzen, um mächtigere Zauber zu bewirken. Die Kristalle verbrauchten sich jedoch bei der Benutzung, und so war man gezwungen, für ihre Erschaffung wieder und wieder zu töten. Eine Vorstellung, die Magenta abgeschreckt hatte, auch wenn die Vorstellung, sich so mächtiger Artefakte zu bedienen, verlockend gewesen war.

„Merkwürdig.“, brummte Strahad Farsan. „Ich hatte irgendwie das Gefühl, ich hätte welche gespürt. Seht noch einmal genau in Euren Taschen nach.“

Magenta tat, wie ihr befohlen wurde. Sie leerte ihren Rucksack aus und durchforstete ihre Besitztümer. Vieles davon war dreckig, einiges zerbrochen und von einigen Dingen konnte Magenta sich nicht einmal erinnern, sie jemals besessen zu haben. Ganz unten fand sie jedoch ein sorgfältig verschnürtes Paket und als sie es öffnete…

„Die Roben von Arkana.“, sagte sie überrascht. Sie hatte ganz vergessen, dass sie das gute Stück in den Marschen fertig gestellt hatte.

„Bringt sie nachher zu Menara.“, erklärte Strahad Farsan ungeduldig. „Sie ist diejenige, die sich für Kleidung interessiert. Habt Ihr denn sonst nichts mehr bei Euch?“

„Magenta wollte schon verneinen, als sie zwischen den Falten des braun und blau gemusterten Robenstoffs etwas glitzern sah. Sie griff danach und hielt einen violetten Kristall in die Höhe. Er hatte eine gleichmäßig, sechseckige Struktur und in seinem Inneren schien sich mehr als nur das Licht zu brechen. Magentas Finger kribbelten, als sie über die glatten Kristallflächen glitten. Fast schien es ihr, als würde der Kristall von innen heraus pulsieren wie ein lebendiges, warmes Herz.

„Perfekt!“ Strahad Farsans Stimme riss Magenta aus ihren Gedanken. „Ihr habt also doch einen Seelensplitter. Wir werden ihn mit der zerstörten Rute verbinden und dann sehen wir einmal, ob wir nicht doch noch einen Teufelsjäger beschworen bekommen.“

Magenta nickte stumm. Bei ihm klang es irgendwie, als wolle er einen Geburtstagskuchen backen und hätte so eben beschlossen, die Butter durch Margarine zu ersetzen. Dass für diesen Splitter irgendjemand sein leben gelassen hatte, schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Plötzlich hatte Magenta das Gefühl, Blut an ihren Händen kleben zu haben.

„Grämt Euch nicht.“, sagte da eine Stimme direkt an ihrem Ohr. Die junge Hexenmeisterin sah auf und blickte direkt in die intensiven Augen ihres Meisters. „Ihr wart nicht für Eure Handlungen verantwortlich. Es war der Foliant, der den armen Burschen getötet hat. Und jetzt können wir nicht viel mehr tun, als dafür zu sorgen, dass sein Opfer nicht umsonst war.“

Magenta nickte erneut, auch wenn sie den Worten keinen Glauben schenkte. Denn in einem hatte er recht: Sie konnte es ohnehin nicht ungeschehen machen.
 

„Wir werden in einer Stunde mit der Zeremonie beginnen.“, verkündete Strahad Farsan und erhob sich. „Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass wir noch ein paar weitere Kanalisierungsruten vorrätig haben. Sie wurden bei der letzten Beschwörung nicht verbraucht.“

Damit drehte er sich um und wollte Magenta schon allein lassen, als er noch einmal über die Schulter zurückblickte. „Übrigens. Wenn ihr die Beschwörung überleben solltet, habe ich noch eine kleine Überraschung für Euch.“
 

Magenta sah dem Mann nach und fragte sich, was wohl noch überraschender sein könnte, als die Aussicht auf einen Teufelsjäger, an den sie schon nicht mehr geglaubt hatte. Um sich abzulenken und die Wartezeit zu überbrücken, suchte Magenta Menara Voidrender auf und überreichte der anderen Hexenmeisterin die Robe. Diese prüfte die Arbeit sorgfältig und nickte dann zufrieden.

„Ihr habt gute Arbeit geleistet.“, sagte sie. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr es wirklich fertig bringt. Als nächstes werdet Ihr Hilfe brauchen.“

„Was?“ Magenta traute ihren Ohren nicht. „Was kommt denn jetzt noch?“

„Ich brauch einen Goldfaden für die Stickarbeiten. Er ist nicht einfach herzustellen und noch schwieriger zu bekommen. Doch ich weiß jemanden, der unseren Krisen treu ergeben ist. Sein Name ist Xizk Goodstitch. Ein Goblin, der in Booty Bay lebt.“

„Booty Bay?“, echote Magenta „Aber das ist auf den anderen Seite des Ozeans!“

„Ich weiß.“ Menara Voidrender schien nicht besonders beunruhigt. „Aber es verkehrt ein Schiff zwischen Ratchet und Booty Bay. In ein paar Tagen sollte es Euch möglich sein, einen Goldbarren aufzutreiben, ihn nach Booty Bay zu Xizk zu bringen und mir den fertigen Faden herzuschaffen.“

„Ja aber gibt es denn keinen einfacheren Weg?“, stöhnte Magenta.

„Ihr könntet den Faden natürlich auch hier im Ort beim Handwerkswarenverkäufer kaufen, aber das wäre dann nur halb so spaßig für mich.“

Magenta musste ein paar Mal blinzeln, bis sie begriff, dass sie der anderen Frau auf den Leim gegangen war. Das Grinsen ihres Gegenübers sprach Bände.

„Keine Sorge, ich werden den Faden für Euch besorgen.“, versprach Menara Voidrender. „Aber Ihr werdet ihn bezahlen müssen. Was ich jedoch nicht für Euch besorgen kann, ist das Blut eines Sartyrs und den Höllenstein einer Höllenbestie. Diese beiden Zutaten werdet Ihr selbst finden müssen.“

„Und wo suche ich danach?“

„Das werdet Ihr früh genug erfahren.“, antwortete Menara Voidrender. „Geht jetzt und bereitet Euch auf das Ritual vor. Ich werde mich derweil um den Faden kümmern.“
 

Gehorsam machte sich Magenta auf den Weg und merkte erst beim Weggehen, dass sie vergessen hatte, sich zu bedanken und sie beschloss das später nachzuholen, wenn sie nur erst ihren Teufelsjäger hatte.
 


 

Es war dunkel in dem Gebäude. An den Wänden erhellten die Feuerschalen den Raum nur schwach und Magenta fühlte sie daran erinnert, wie sie ihn das erste Mal betreten hatte. Dieses Mal war sie jedoch kein Störenfried bei dem Ritual, das hier vorbereitet wurde; sie war ein essentieller Bestandteil.

Die drei Akolythen, die neben Magenta an der Bschwörung teilnehmen sollten, hatten ihre Körper mit Runen beschrieben, die denen glichen, die auf dem Boden matt vor sich hin glühten. Vor jedem von ihnen steckte eine Beschwörungsrute im Sand, an deren Ende ein farbloser Kristall das Licht der Feuerstellen einfing und brach. In der Mitte des Ritualkreises jedoch steckte die Rute der Ordnung und an ihrer Spitze funkelte der Seelensplitter in einem rötlichen Violett.

„Ich denke, wir können beginnen.“, verkündete Strahad Farsan. Der große Meister selbst stand außerhalb des Kreises in einem von eigenen, mächtigen Runen geschützten Bereich. Sollte bei dem Ritual etwas schief gehen, wäre er geschützt, was man von den restlichen, im Raum befindlichen Personen jedoch nicht sagen konnte.

Die Akolythen begannen für Magenta nur in Brocken verständliche Beschwörungsformeln zu rezitieren. Gleichzeitig glühten die Kristalle an den Spitzen der Beschwörungsruten hell auf. Zwischen ihnen entspann sich ein Dreieck aus Lichtstrahlen, in deren Zentrum sich die Seelensplitterrute befand.

Immer schneller und schneller wurden die Silben, die auf das Gefüge der Realität einprasselten. Sie zupften und zerrten, stießen und drückten, bis die zarte Trennlinie zwischen Ordnung und Chaos schließlich riss und den Blick in den wirbelnden Nether freigab.

Wieder spürte Magenta die unheimliche Macht, die auf der anderen Seite lag. Das Verlangen, sich hineinzustürzen wurde mit jeder Sekunde größer. Doch sie musste stark bleiben und ausharren. Entschlossen griff sie nach der Rute mit dem Seelensplitter und richtete sie auf den Riss.

„Komm!“, rief sie und das Wort peitschte durch den leeren Raum wie ein Sturm durch eine enge Schlucht. Dinge auf der anderen Seite hoben neugierig die Köpfe um zu sehen, ob sie mit dem Ruf gemeint waren.

„Komm!“, rief Magenta noch einmal und die Dinge auf der anderen Seite schoben ihre Gliedmaßen zurecht. Sie entwanden und schlängelten sich. Sie hüpften und krochen, taumelten und torkelten zu dem Tor, dass sie in eine Welt entlassen konnte, in dem sie ihren unendlichen Hunger stillen konnte. Doch plötzlich schob sich ein agiler, vierfüßiger Schatten zwischen den schwerfälligen Gestalten hindurch. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, in dem unzählige Zähne zu sehen waren. Die Rückenstacheln rasselten und die magiesaugenden Tentakel klatschten mit jedem Hüpfer gegen die von rotbrauner, lederner Haut bedeckten Seiten. Ein beherzter Sprung und etwas Schweres landete auf Magentas Brust.

„Schließt das Tor!“, rief Strahad Farsan und die Akolythen brachen die Beschwörung sofort ab. Vielfaches Wutgeheul schwebte noch einen Moment lang wie eins schlechter Traum in der Luft, dann schloss sich der Riss wieder und die Realität kehrte an seinen Platz zurück.

„Vorsichtig. Er könnte jeden von Euch in Stücke reißen.“ Strahad Farsans Warnung ließ die Akolythen einen Schritt zurück machen. Gespannt blickten sie in den Kreis, wo sie die junge Hexenmeisterin unter der Bestie zu regen begann.

„Geh runter von mir.“, keuchte die Hexenmeisterin und versuchte den schweren Dämon von sich weg zu schieben. Doch der saß fest wie ein Stein, wedelte mit dem Schwanz und rührte sich keinen Zentimeter.

„Runter sagte ich!“ Magenta knuffte den Teufelsjäger in die Seite und erntete ein drohendes Grollen.

„Ihr müsst ihm zeigen, wer der Herr ist.“, rief Strahad Farsan vom Inneren seines Bannkreises. „Nennt ihn bei seinem richtigen Namen.“

„Namen?“ Magenta überlegte ernsthaft. Dämonensabber lief ihr über das Kinn und tropfte an ihrem Hals herunter.

„Igitt, Sloojhom, hör auf damit.“ Angewidert wischte Magenta an sich herum, als das Gewicht von ihrer Brust plötzlich verschwand und sie wieder frei atmen konnte. Ein wenig verwirrt richtete sie sich auf und blickte in ein paar pupillenlose, weiße Augen und ein vorwitziges Tentakel nuckelte an ihrer Hand herum.

„Aus! Sitz!“, bellte Magenta und sofort ließ sich der Teufeljägers auf die zwei Hinterpfoten sinken. Dann fiepte er, so als erwarte er eine Belohnung. Einen Gefühl folgend beschwor Magenta eine Schattenkugel und warf sie dem Dämon zu. Blitzschnell sausten die Tentakel hervor, fingen den Zauber und hatten ihn in Windeseile aufgesaugt. Bettelnd wedelte der Teufelsjäger mit dem Schwanz.

„Nein, es gibt nichts mehr.“, schalt Magenta und rappelte sich umständlich hoch. „Darf ich vorstellen, Sloojhom, mein Teufelsjäger.“

Einer der Akolythen, Magenta vermutete dem Geruch nach, dass es sich um einen Untoten handeln musste, tat einen Schritt vor und beugte sich zu dem Dämon hinab.

„Ganz schön mickrig.“, meckerte er. „Ich dachte immer, die wären größer.“

Sloojhoms Rückenstacheln richteten sich drohend auf und aus seiner Kehle drang ein drohendes Knurren. Beruhigend streichelte Magenta über die schwarzweißen Borsten.

„Also ich finde ihn genau richtig.“, behauptete sie, obwohl sie zugeben musste, dass dieser Teufelsjäger irgendwie wenig mit dem gefährlichen Magierjäger gemein hatte, von dem sie immer geträumt hatte. Aber vielleicht war das auch nur eine Frage der Ausbildung.
 

„Bravo!“, Strahad Farsan klatschte in beide Hände und verließ nun endlich seinen Bannkreis. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde. Vermutlich liegt es daran, dass Ihr ihn schon einmal besiegt habt. Wenn ich da an meine erste Begegnung mit meinen Teufelsjäger denke…ich hätte damals beinahe einen Arm verloren. Aber was nicht ist, kann ja noch kommen. Nehmt also die Rute mit - sie wird dazu dienen, Euren Teufelsjäger zu beschwören, wenn Ihr ihn benötigt - und folgt mir zu meiner anderen Überraschung.“
 

Strahad Farsan führte Magenta hinaus und um den Turm herum. Der Teufelsjäger watschelte dabei hinter ihnen her und schnüffelte an jedem Stock oder Stein, an dem er vorbeikam. Einen Gutteil davon verschlang er probeweise, nur um ihn wenige Meter wieder auszuspucken. So pflasterte eine Spur aus Dämonensabber den Weg, den Magenta mit ihrem Meister beschritten hatte.

Als sie zu einem etwas abseits stehenden Steingebäude kamen, hob Strahad Farsan die Hand und deutete auf die windschiefe Tür der kleinen Kate. „Dort drinnen ist meine Überraschung.“

„Und was genau ist diese Überraschung?“, wollte Magenta gerade fragen, als ein markerschütternder Laut erklang und etwas mit voller Wucht die Tür aus den Angeln schmetterte. Magenta konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken, bevor das schwere Holstück an ihr vorbei segelte, gegen einen kleinen Baum prallte und polternd zu Boden fiel. Aus dem Inneren der Kate erklang ein wütendes Schnauben und eine Staubwolke wehte aus der Tür.

Das ist doch wohl hoffentlich nicht die Überraschung?“ fragte Magenta mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Doch.“, antwortete Strahad Farsan gedehnt und grinste. Irgendetwas schien ihn ganz fürchterlich zu amüsieren. „Wir haben gesehen, wie Ihr angekommen seid. Auf einem Esel. Ein außerordentlich unstandesgemäßes Reittier für jemanden von unserer Zunft. Ihr solltet wie jeder anständige Hexenmeisterlehrling ein Teufelsross beherrschen. Na los, Zeig dich mal, meine Schöne.“

Neugierig starrte Magenta in das dunkle Rechteck, das einen harten Kontrast zu dem von der Mittagssonne hell erleuchteten Platz darstellte. Im Inneren sah Magenta zwei Augen aufglühen. Funken sprühten auf, als der Dämon im Inneren zunächst den einen und dann den nächsten Huf nach vorne setzte. Dunkelbraunes, von unzähligen Narben übersätes Fell wurde sichtbar. Brennende Nüstern wurden gefolgt von einem Pferdekopf, dessen Augen Feuer zu sprühen schienen. Hass und Schmerz loderten darin umfangen von ewiger Dunkelheit.

„Ich…ich kenne dieses Pferd.“ Magenta war sich ihrer Sache völlig sicher. Diese Augen würde sie ihr Lebtag nicht vergessen. Dies war die Stute aus ihrem Traum. Neugierig ging sie näher an das nervöse Tier heran.

„Vorsicht!“, warnte Strahad Farsan sie gerade noch rechtzeitig, als die tänzelnde Stute sich umdrehte und versuchte nach Magenta auszukeilen. „Sie hat so schon mehr als einen meiner Akolythen verletzt.“

Plötzlich erklang neben dem wütenden Schnauben der Stute ein tiefes Grollen. Lauernd hockte der Teufelsjäger an Magentas Seite. Sein Schwanz peitschte den Sand auf und die weißen Augen glommen vor Gier.

„Sloojhom nein.“, befahl Magenta. „Du wirst ihr nichts tun.“

Der Teufelsjäger knurrte und wechselte seine Position. Die Stute, die in ihm offensichtlich die größere Gefahr erkannt hatte, folgte ihm nervös mit den Augen. Schließlich war er so weit um sie herumgeschlichen, dass die Stute sich mitdrehen musste. Die brennenden Hufe hinterließen verkohlte Abdrücke auf dem sandigen Boden und die Luft war erfüllt von Brandgeruch. Schließlich blieb der Teufelsjäger sitzen und stellte die Rückenstacheln auf. Die Stute beantwortete das mit einem Schnauben und einem Scharren der Hinterhand. Nur noch wenige Sekunden trennten die beiden Dämonen von einem Kampf, als Magenta plötzlich verstand, was vor sich ging.

Schlauer Hund, dachte sie, holte noch einmal tief Luft und sprintete dann so schnell sie konnte auf die abgelenkte Stute los. Sie überlegte nicht lange, griff nach der Brennenden Mähne und zog sich auf ihren Rücken.

Ein Schrei, der Magentas Ohren zum Klingen brachte, erschütterte Strahad Farsans Turm bis in die Grundfesten. Die Stute bäumte sich auf, schüttelte wild den Kopf und keilte nach hinten aus, doch Magenta saß auf ihr wie festgewachsen. Der Bindungszauber war in dem Moment besiegelt worden, da sie auf den Rücken des Dämons gesprungen war.

Die Stute tobte und schrie, wieherte und stand dann mit einem Male still da und ließ den Kopf hängen. Die Flanken des Dämons bebten und das Feuer aus ihren Nüstern wurde im Takt der Atemzüge größer und kleiner. Aber es war eindeutig. Magenta hatte die Stute gezähmt.
 

Strahad Farsan, der mit untergeschlagenen Armen im schmalen Schatten des Turmes stand, lächelte selbstgefällig in sich hinein. Er hatte gewusst, dass dies die richtige Entscheidung war.

„Ich gratuliere ein zweites Mal.“, sagte er gönnerhaft und nickte Magenta zu. „Jetzt, da Ihr mit Hund und Pferd ausgerüstete seid, wie ein richtiger Jäger, sollten wir Euch auch auf die Jagd schicken, meint Ihr nicht auch? Was haltet ihr von Desolace. Ich habe mir sagen lassen, Menara benötigt einige Reagenzien von dort für Eure Robe.“

„Desolace?“ Magenta, die ihr Glück immer noch nicht fassen konnte, sah ihre Meister ungläubig an. „Aber ist das nicht sehr weit von hier?“

„Wenn man mit gewöhnlichen Mitteln reist sind es mehrere Tagesreisen.“, stimmte Strahad Farsan ihr zu. „Aber sagen wir mal, wir haben da eine kleine Abkürzung für Euch. Wenn die Sonne untergegangen ist, werden wir euch ein Dämonentor aufbauen. Mit dem seid Ihr in wenigen Sekunden dort, wo ihr hinwollt.“

Doch Magenta hörte dem Hexenmeister kaum noch zu. Im Moment gab es eigentlich keinen Ort, an dem sie lieber gewesen wäre, als auf dem Rücken ihres Teufelsrosses. Es war ein erhebendes und zugleich befriedigendes Gefühl, endlich auf einem richtigen, würdigen Pferd zu sitzen. Den treuen Esel, der ihr so lange gut gedient hatte, hatte sie schon völlig vergessen.

„Na los.“, spornte sie die Stute an. „Dann wollen wir doch einmal sehen, was in dir steckt.“

Mit diesen Worten bohrte sie dem Teufelsross die Hacken in die Flanken. Das Dämomenpferd wieherte schrill auf, stieg ein Stück auf die Hinterhand und preschte mit einem gewaltigen Satz nach vorne los. Schon bald hatte Magenta die Stadt weit hinter sich gelassen. Sie jagte auf dem Rücken des Dämons durch die Graslandschaft des Brachlandes und hinterließ dabei eine Spur aus schwelenden, verbrannten Hufabdrücken. Doch wer aus dieser Gegend sollte schon noch so verrückt sein, der Hexenmeisterin zu folgen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-06-13T22:54:50+00:00 14.06.2010 00:54
Suuper Kapitel, bis jz so gut wie das Beste (:

Danke dir!
Von: abgemeldet
2009-12-30T13:05:16+00:00 30.12.2009 14:05
Geiles Kapi ;) Aber irgendwie viel zu kurz (naja, vielleicht hätte ich es nicht wie besessen lesen sollen :P) Also ich war begeistert ;)
Von:  darkfiredragon
2009-12-26T16:32:17+00:00 26.12.2009 17:32
Juhu, endlich geht es weiter!^^
Du hast mal wieder ein super Kapi geschaffen, Hut ab dafür ;) (auch wenn es diesmal ein wenig länger gedauert hat als sonst^^) So, mal sehen wie sich Magenta und Co in Desolace schlagen werden, ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt und freue mich auf die Fortsetzung!

glg, darkfiredragon


Zurück