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Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

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Recht und Ordnung

Bevor Seth am nächsten Morgen aufstehen konnte, um die ihm auferlegten Pflichten zu erledigen, kam erneut Shimon zu ihm, versorgte noch einmal den geschundenen Rücken des Jungen und brachte zugleich die gute Nachricht mit, dass der Tjt gnädig den Rat Shimons akzeptiert und Seth für drei Tage sowohl von seinen schulischen als auch sonstigen Pflichten befreit hatte.
 

Ein wenig verwundert nahm Seth diese Information zur Kenntnis nach dem gestrigen Tag hätte er eher erwartet mit keinerlei Nachsicht rechnen zu können, sondern im Gegenteil wie üblich seine Pflichten versehen zu müssen. Er hütete sich allerdings irgendeine Bemerkung in dieser Hinsicht zu machen, schließlich wollte er nicht riskieren doch noch arbeiten zu müssen.
 

Den ersten der drei freien Tage verbrachte Seth noch zum Großteil bäuchlings auf seinem Bett liegend und sich so wenig wie möglich bewegend, damit sein Rücken sich nicht allzu schmerzhaft bemerkbar machte.
 

Am Tag darauf war er trotz Schmerzen fest entschlossen endlich wieder einmal Flugwind um die Nase zu spüren und so schlich er sich nach dem morgendlichen Besuch von Schimon, der anerkennend feststellte, wie gut die Verletzungen auf dem Rücken bereits heilten, aus dem Palast und der Stadt hinaus, zu einer halbwegs vor Blicken geschützten Stelle, an der er bereits von Merenseth erwartet wurde.
 

Es war für Seth etwas mühsam auf den Rücken des Vogels zu klettern, aber schließlich saß er doch glücklich zwischen dessen Flügeln und ließ sich von den sanften Flügelschlägen Merenseths davontragen. Spürte endlich wieder dieses Gefühl von Freiheit, losgelöst sein und Unbeschwertheit, von dem er erst merkte wie sehr er es tatsächlich vermisst hatte, als er auf dem Rücken seines Vogels dahinflog unter sich die unglaublich winzig wirkende Landschaft Kemets.
 

Ob nun beabsichtigt oder zufällig gelangten sie schließlich an den Ort, wo bis vor kurzem noch das Dorf gestanden hatte, in dem Seth aufgewachsen war. Doch statt der verlassen daliegenden, verkohlten Ruinen und Trümmer, die sie zu sehen erwartet hatten, erblickten sie eine Schar emsig arbeitender Handwerker, die am einen Ende des ehemaligen Dorfes die letzten Reste desselben abrissen und am anderen bereits begonnen hatten die Grundsteine für ein neues Gebäude zu legen, dessen Größe dem Anschein nach zuurteilen jedes Haus des zerstörten Dorfes bei weitem überragen würde.
 

Neugierig geworden ließ Seth den Benu ein Stück entfernt landen, befahl dem Vogel an Ort und Stelle auf ihn zu warten und lief anschließend zu den Arbeitern hinüber, um sich zu erkundigen an was sie da bauten und für wen.
 

Wie sich herausstellte, war der Auftraggeber der Arbeiten niemand geringerer als der Gaufürst selbst, der an Stelle des alten Dorfes nun eine Art Zweitwohnsitz errichten ließ. Einige der Arbeiter grinsten anzüglich grinsten während sie erklärten, der Fürst brauche dieses Anwesen in erster Linie um entweder seine Geliebte vor seiner Frau zu verstecken oder die beiden Frauen von einander zu trennen, damit sie ihm nicht unnötig das Leben schwer machten.
 

Erstaunt hatte Seth sich die Aussagen der Männer angehört und schließlich irritiert gefragt: „Warum hat er eine Geliebte, wenn er doch verheiratet ist?“ Die Männer lachten, „weil er es kann, natürlich“, erwiderte einer der Handwerker gönnerhaft, worauf Seth die Stirn runzelnd sehr bestimmt äußerte: „Aber Vielweiberei ist verboten“, es sei denn man war als Landesherr aus politischen Gründen dazu verpflichtet mehrere Ehen einzugehen, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Das Lachen der Arbeiter wurde daraufhin nur noch lauter, während dieses Mal ein Anderer aus der langsam größer werdenen Menge antwortete: „Aber doch nicht, wenn man über dem Gesetz steht.“

„Der Fürst steht nicht über dem Gesetz“, widersprach Seth energisch und erhielt dieses Mal nur ein abfälliges Schnauben des Mannes der ihm als erstes geantwortet hatte, während der zweite erwiderte, „nach Ansicht des Fürsten, schon.“

„Da kann man nur hoffen, dass Maat sein Herz richtig wiegt und Ammit ihn frisst“, murrte ein weiterer Mann, während die Stimme abrupt umschlug und sich die Mienen der Arbeiter nach und nach in heimlichem Groll verfinsterten. Seth stimmte den Worten des letzten Mannes im Stillen zu, hielt sich jedoch nicht weiter mit dieser Diskussion auf, sondern erkundigte sich stattdessen das Thema wechselnd neugierig: „Wisst ihr, ob was aus den überlebenden Bewohnern des alten Dorfes geworden ist?“ Fragend sahen sich die Handwerker einander an und schüttelten schließlich beinahe entschuldigend die Köpfe, während der erste der drei Redner an Seth gerichtet erklärte: „Gehört haben wir nichts. Aber es haben wohl auch nicht viele überlebt, sodass der Fürst vermutlich glaubt, dass die paar Bauern schon in irgendeinem anderen Dorf unterkommen werden, ohne dass er sich großartig darum kümmern muss.“ Seine Zuhörer nickten zustimmend, während Seth noch eine weitere Frage beantwortet haben wollte: „Habt ihr etwas darüber gehört warum das Dorf in Brand gesteckt wurde?“ Dieses Mal schauten die Arbeiter den wissbegierigen Jungen vor sich eindeutig erstaunt an, während einer von ihnen feststellte: „Brandstiftung? Das höre ich zum ersten Mal. Ich dachte, jemand hätte nicht richtig auf seine Feuerstelle aufgepasst, sodass das Feuer ausgebrochen ist.“ Er war offenbar nicht der Einzige, der diese Version der Ereignisse gehört hatte, denn ringsum erklang Zustimmung zu den Worten des Mannes.
 

Seth hielt es nicht für sonderlich ergiebig, mit den Arbeitern eine Diskussion darüber anzufangen, ob es sich nun um Brandstiftung oder einen Unfall handelte, er hatte die Antwort auf seine Frage schließlich erhalten: Die Männer wussten nichts darüber, wer warum das Dorf angezündet hatte. Außerdem konnte er wohl davon ausgehen, dass irgendjemand offenbar versuchte die Wahrheit zu vertuschen und es deshalb auch keine Nachforschungen über den Brand im Dorf geben würde.
 

Da alle seine Fragen für den Moment beantwortet waren und er keinen weiteren Grund hatte noch in der Nähe des ehemaligen Dorfes zu bleiben, verabschiedete Seth sich von den Männern, die wieder an ihre Arbeit gingen und kehrte zu Merenseth zurück, die ihm neugierig entgegen sah, anscheinend ebenso gespannt auf die Neuigkeiten, wie zuvor Seth.
 

Nachdem der Junge seinem Benu alles berichtet hatte, was er gehört hatte, überlegte er laut, ob es eine Möglichkeit gäbe unbemerkt einen Blick in die Verwaltungsakten des Gaufürsten zu werfen, um herauszufinden, ob dieser tatsächlich versucht hatte den Brand zu vertuschen oder ob er einfach nur naiv und achtlos war, was die Belange derer anbetraf, für die er die Verantwortung trug. Entschlossen mehr über die ganze Angelegenheit in Erfahrung zu bringen, entschied Seth sich der Bezirksverwaltung einen Besuch abzustatten. In der Stadt angekommen, in der sie die Gauverwaltung befand, erkundigte er sich wo er das entsprechende Gebäude befand und erhielt Dank der Uniform, die ihn als in Diensten des Tjt Stehenden auswies, ohne Probleme Auskunft.
 

Als Seth jedoch voller Selbstvertrauen das Gebäude betrat, in dem die Verwaltung untergebracht war, musste er feststellen, dass seine Uniform nicht überall für Entgegenkommen sorgte. Der diensttuende Schreiber schien sich im Gegenteil von der Uniform eher persönlich beleidigt zu fühlen, als geehrt. Allerdings kaschierte der Mann seine Haltung zunächst mit den Worten: „Ich will erst einmal einen Beweis sehen, dass du tatsächlich vom Tjt geschickt wurdest, eine Uniform tragen kann schließlich jeder, aber das heißt noch lange nicht, dass derjenige auch ist, was er zu sein vorgibt.“ Widerwillig musste Seth dem Schreiber Recht geben und da er nun einmal nicht im Auftrag des obersten Priesters unterwegs war und auch nichts vorweisen konnte, was ihn als Boten identifizierte, musste er einen anderen Weg finden, sich Klarheit über den Gaufürsten und dessen Absichten zu verschaffen. Doch weder bitten, noch schmeicheln, noch der Versuch den Schreiber zu bestechen verhalfen Seth zum gewünschten Erfolg, sodass er schließlich enttäuscht den Rückzug antrat und das Gebäude wieder verließ, nicht recht wissend, was er nun tun sollte. Er war erst wenige Straßen weit gegangen, als es Merenseth langweilig zu werden schien, auf seiner Schulter durch die Gegend getragen zu werden, sich stattdessen in die Luft erhob und davonflog, ohne auf den Ruf Seths zurückzukommen zu achten.
 

Missmutig starrte Seth dem schnell kleiner werdenden orangefarbenen Punkt nach, wie sollte er jetzt bitte wieder zurück in die Pharaonenstadt gelangen, wenn ihn sein Freund einfach mitten in der Hauptstadt des südlichsten Gaus stehenließ? Warum tat Merenseth überhaupt plötzlich so etwas, bisher hatte sie sich doch stets treu an seiner Seite gehalten, wenn es irgendwie möglich war. Da bereits die ersten Leute begannen ihn neugierig anzusehen weil er mitten auf der Straße gedankenverloren in den Himmel starrte, wandte Seth sich mit einem Seufzen ab und lief weiter durch die Straßen der Stadt, ungeduldig die Rückkehr des Benu erwartend.
 

Entgegen seinen Befürchtungen kehrte Merenseth schon bald wieder zurück, ließ sich jedoch nicht auf Seths Schulter nieder, sondern forderte ihn durch voran fliegen und abwarten auf ihr zu folgen. Sobald der Junge begriffen hatte, was der Vogel von ihm wollte, lotste Merenseth ihn zurück zum Verwaltungsgebäude und erneut in den Raum, in dem Seth vor nicht einmal einer Stunde mit dem Schreiber diskutiert hatte. Der saß nun tief über sein Schreibpult gebeugt und schien tief und fest zu schlafen. Erstaunt sah Seth zunächst den Schreiber und dann seinen Benu an, „hast du etwa dafür gesorgt, dass er schläft?“ Die Antwort war ein selbstzufriedenes, zustimmendes Tschilpen. Anschließend postierte Merenseth sich einem Wachposten gleich so, dass sie frühzeitig Alarm schlagen konnte, sollten unerwünschte Gäste auftauchen.
 

Seth unterdessen machte sich daran nach Hinweisen für die Vorgänge in seinem Dorf zu suchen. Dank seiner Arbeit in der Kanzlei des Tjt und der penibel geführten Ordnung des hiesigen Schreibers, fand Seth schnell die ihn interessierenden Papyrirollen. Allerdings war deren Inhalt für ihn nicht sonderlich ergiebig, nichts als Listen über Abgaben und Zuwendungen, Geburten und Sterbefälle. Es schien während der gesamten Existenz des Dorfes nicht ein einziges bemerkenswertes Ereignis gegeben zu haben, den einzigen Hinweis auf eine Unregelmäßigkeit fand Seth in einer unscheinbaren Quittung, ausgestellt auf einen Mann namens Ninetjer über die zeitweilige Verpflichtung eines kleinen Trupps Leibwächter. Nun wären Leibwächter für einen Gaufürsten nicht unbedingt seltsam gewesen, dafür aber die Tatsache, dass die Rechnung bei den Unterlagen über Seths Dorf zu finden war und diese Quittung auf den Tag nach dem Brand datiert war. Ob die Summe für die kleine Zahl der Söldner angemessen war, konnte Seth erst sagen, wenn er sich ähnliche Dokumente im Palast angesehen hatte, sie er schien ihm allerdings unangemessen hoch.
 

Es hatte nicht sonderlich viel Zeit in Anspruch genommen, die wenigen Dokumente durchzusehen und Merenseth hatte nicht ein einziges Mal einen warnenden Laut ausgestoßen, so räumte Seth gelassen alle Papyri wieder ebenso ordentlich weg, wie er sie vorgefunden hatte, abgesehen von der Quittung die er in dem kleinen Beutel an seinem Gürtel verschwinden ließ. Anschließend zu Merenseth zurückkehrend und sie auffordernd: „Lass uns gehen“, gleich darauf bemüht das Gebäude so gleichmütig wirkend zu verlassen, als wäre er die Unschuld in Person und hätte nicht gerade Unterlagen der Gauverwaltung gestohlen.
 

Kurze Zeit später flog Seth erneut auf dem Rücken seines Benu über das Land, genoss die Sonne auf der Haut und den Wind in den Haaren, blinzelte gelegentlich, wenn sich ein winziges Insekt in seine Augen verirrte und vergaß für kurze Zeit seinen schmerzenden Rücken und das alltägliche Einerlei des Palastlebens.
 

Gerade als der Junge und sein Vogel Djerti, die Stadt der Falken, hinter sich gelassen hatten, erklang hinter ihnen plötzlich ein mächtiges Brüllen. Hastig hatte Seth den Kopf gewandt, um zu sehen, wer für diesen durchdringenden Lärm verantwortlich war, und entdeckte zu seiner Überraschung das durchscheinende, echsenartige Wesen aus der Nacht des Brandes. Ohne groß zu überlegen, ließ Seth seinen Vogel wenden, kehrte in die Nähe der Stadt zurück und lief schließlich hastig durch die Straßen von Djerti auf der Suche nach dem weißhaarigen Mädchen, sich an dem noch immer drohend über der Stadt schwebenden Wesen orientierend.
 

Als er das Mädchen schließlich fand, lag es bewusstlos im Staub, während sich um es eine Traube von Menschen gebildet hatte, die entweder mit fassungslosem, entsetztem oder neugierigem Blick auf das echsenartige Wesen in der Luft oder das Mädchen am Boden starrten und sich unter einander flüsternd unterhielten, was geschehen war, was man von der ganzen Sache zu halten hatte und wie es weitergehen solle.
 

Mit Hilfe seiner Ellebogen arbeitete sich Seth durch die Menschenmenge zu dem Mädchen vor, und kniete schließlich neben ihr nieder, um sie an der Schulter zu rütteln und so aus ihrer Bewusstlosigkeit zu holen. Seltsamerweise fühlte er sich für sie verantwortlich, obwohl er sie doch eigentlich gar nicht kannte.
 

Es dauerte einen Moment, bis die Bewusstlose wieder zu sich kam und verwundert zu dem Jungen aufsah, der sie noch immer an der Schulter berührte, „was ist denn passiert?“, erkundigte sie sich mühsam, als müsste sie sich erst wieder in der Gegenwart zurechtfinden.

„Ich weiß es nicht. Aber wir sollten besser gehen, bevor du noch anfängst hier alles zu zerstören“, erklärte Seth ruhig, erhob sich und hielt dem Mädchen die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Während das Mädchen die Hilfe annahm, hakte es irritiert nach: „Ich soll die Stadt zerstören? Aber warum denn und wie?“

„Schon gut, darüber können wir später reden, jetzt komm erst mal weg von hier.“ Es war nie gut zuviel Aufmerksamkeit zu erregen, schon gar nicht, wenn Menschen dabei in Panik geraten konnten, denn dann wurden sie unberechenbar und so zog Seth das weißhaarige Mädchen eilig hinter sich her, vorbei an den noch immer gaffenden Menschen und hinein in eine schmale Seitengasse. Von dort aus liefen sie eine Weile ziellos durch die Stadt, bis Seth schließlich in der Nähe eines kleinen Tempels, der den falkengestaltigen Göttern Kemets geweiht war, Halt machte. Nachdem er sich in einer entlegenen, schattigen Ecke auf einer niedrigen Mauer niedergelassen hatte, wollte er als erstes von dem Mädchen wissen, was es in dieser Stadt tat und warum es nicht in seinem Heimatdorf war.
 

„Unser Dorf ist auch angegriffen worden…“, erklärte das Mädchen leise und immer wieder stockend, während es mit gesenktem Kopf neben Seth saß und auf den Boden starrte. „Meine Mutter und ihr Bruder sind tot. Einige Bekannte haben mich mit hierher genommen, als sie fortgegangen sind, sie haben hier Verwandte“, für einen Moment schwieg das Mädchen, bevor er es sich in einer Mischung aus Unsicherheit und Neugier erkundigte: Und du, lebst du hier, seit… Du weißt schon?“

„Nein, ich bin nur zufällig hier“, erwiderte Seth knapp, bevor er wissen wollte: „Weißt du wer die Männer waren, die euer Dorf angegriffen haben?“, und sich im Stillen fragte, ob er bei den Unterlagen zu diesem Dorf ebenfalls eine Quittung wie bei seinem finden würde. Das Mädchen schüttelte unterdessen zunächst verneinend den Kopf als Antwort auf die laut gestellte Frage Seths. Gleichzeitig angestrengt überlegend, ob ihr nicht doch noch etwas einfallen mochte, das Seth vielleicht weiterhalf; hätte sie ihm doch gern bewiesen, dass sie mehr konnte, als sich retten zu lassen.
 

Tatsächlich kam ihr nach einem Moment eine Erinnerung in den Sinn, der sie selbst nicht viel Bedeutung bei gemessen hatte, aber vielleicht konnte ihr Begleiter ja mehr damit anfangen. „Als wir angegriffen wurden“, erklärte das Mädchen zögernd und beim Sprechen immer wieder Pausen einlegend, als fiele es ihr schwer über diese Ereignisse zu sprechen oder als wolle sie sich so genau wie möglich erinnern, um sie wahrheitsgemäß wieder zu geben, „hat mich meine Mutter in einem kleinen Verschlag versteckt, damit mich die Männer nicht finden. Ich hab mich nicht getraut herauszukommen, aber ein Dörfler ist direkt vor dem Verschlag getötet worden und bevor er erschlagen wurde, hat er den Mann gefragt, warum sie das tun. Der Mann hat gesagt: ‚Bedank dich bei unserem König, er hat uns die Lebensgrundlage genommen, jetzt nehmen wir ihm die Grundlage seiner Macht.’

„Du kannst mir also nicht, sagen wie die Männer ausgesehen haben“, stellte Seth ruhig fest und erhielt als Erwiderung die kleinlaute Antwort: „Nein, tut mir leid.“

„Hm“, brummte der Junge darauf lediglich, bevor er einen Moment schwieg und anschließend ruhig fragte: „Haben sie euer Dorf auch abgebrannt?“ Das Mädchen schüttelte erneut den Kopf und erklärte anschließend, dass dennoch viele der Überlebenden in größere Städte gezogen waren, weil sie glaubten, auf diese Weise sicherer zu sein. Wieder brummte Seth nur zur Kenntnis nehmend, bevor er sich das Thema wechselnd erkundigte: „Warum warst du eigentlich ohnmächtig?“ Das Mädchen errötete verlegen, während sie den Kopf abwandte und leise gestand: „Ich hab seit einer Weile nichts mehr gegessen… Und dann war da der Stand mit Gerstenbrot. Es hat so gut gerochen. Aber ich hatte kein Geld und da dachte ich, wenn ich eines nehme, wird das sicher nicht auffallen. Ist es aber doch… Sie haben geschrien, dass sie mich bestrafen lassen würden, damit ich so was nicht noch einmal mache. Ich hab mich losgerissen und bin weggelaufen. Dann hat mich plötzlich etwas Hartes am Hinterkopf getroffen und als ich wieder aufgewacht bin, warst du da.“ Für einen Moment hatte Seth das Mädchen neben sich schweigend angesehen, bevor er sich lediglich erkundigte: „Hast du hier Menschen, bei denen du lebst oder bist du allein?“ Der Gesichtsausdruck des Mädchens wurde noch unglücklicher als er ohnehin schon war, während es erklärte, dass es niemanden hätte. Seth runzelte bei dieser Antwort nachdenklich und ein wenig missmutig die Stirn, erklärte jedoch schließlich: „Also schön, du kannst mit mir kommen. Aber erwarte nicht, dass ich mich ständig um dich kümmern werde.“ Verblüfft starrte das weißhaarige Mädchen den Jungen neben sich an, bevor es sich versichernd erkundigte: „Du willst wirklich, dass ich mit dir komme?“, und als Seth auf diese Frage bestätigend nickte, verlangte es noch immer verwundert und nun auch neugierig zu wissen: „Wohin?“

„In die Hauptstadt, ich denke im Palast wird sich schon ein Platz finden lassen, an dem du nicht weiter auffällst und trotzdem leben kannst“, erwiderte Seth überzeugt, während er sich erhob, um endlich die Stadt zu verlassen und in den Palast zurückzukehren. Als das Mädchen ihn noch immer verwundert anstarrte, ohne darauf zu reagieren, dass er beabsichtigte zu gehen, forderte er es etwas ungeduldig auf, ihm zu folgen und erkundigte sich beiläufig, während das Mädchen dieser Aufforderung eilig Folge leistete: „Wie heißt du eigentlich?“

„Kisara. Ich heiße Kisara“, erwiderte das Mädchen hastig, während es mit wachsender Freude und einem allmählich breiter werdenden Lächeln auf den Lippen neben Seth herlief, nach und nach begreifend, dass sie tatsächlich den Jungen neben sich in die Pharaonenstadt begleiten würde und nun nicht mehr allein sein würde. Seth hatte wieder einmal seine schützende Hand über sie gehalten.
 

Glücklich zurück im Palast angekommen, liefen die beiden Jugendlichen überraschend Sechemib in die Arme, der sich verwundert erkundigte, wo Seth gewesen sei und warum er nicht in seinem Zimmer wäre, um sich von seiner Verletzung zu erholen, die der Heiler doch als recht ernst beschrieben hatte.
 

Kisara sah bei diesen Worten besorgt zu ihrem Begleiter, der sie jedoch nicht weiter beachtete, sondern stattdessen seinem Lehrer erklärte, dass er sich etwas hatte bewegen wollen, um zu sehen, wie weit ihn sein wunder Rücken noch beeinträchtigte. Sechemib nickte darauf nur bedächtig, als würde er Seths Bemühen so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen, anerkennen und für gut befinden. Bevor er allerdings dazu kam noch irgendetwas zu sagen, erklärte Seth auch schon auf das Mädchen neben sich weisend: „Gibt es eine Möglichkeit, dass Kisara hier im Palast bleiben kann? Sie hat sonst Niemanden zu dem sie gehen könnte.“ Der Priester brummte ein wenig nachdenklich, während er prüfend das weißhaarige, dünne Mädchen vor sich betrachtete und schließlich erklärte, dass sie möglicherweise als Dienerin im Harem Arbeit finden könnte. Allerdings müsste er dafür zunächst mit der Nebet per sprechen, ob diese ein weiteres Dienstmädchen überhaupt brauchen könne.
 

Wie sich zeigte war die Nebet per - eine resolute Frau in etwa dem gleichen Alter wie Akunemkanon, die auf den Namen Hapi hörte - keineswegs abgeneigt das Mädchen mit der ungewöhnlichen Haar- und Augenfarbe in ihre Dienste zu nehmen, solang es sich als anstellig und freundlich erwies. Da nicht nur Kisara versicherte, sie würde tun was immer man ihr auftrug, sondern sich auch Sechemib und Seth für sie einsetzten, war Hapi schnell einverstanden es mit ihr zu versuchen und forderte Kisara auf, ihr zu folgen.
 

Mit freudigem Eifer gehorchte ihr das Mädchen, sobald es sich bei seinen Begleitern bedankt und Seth versichert hatte, dass er nicht bereuen würde, sie mitgenommen zu haben. Kaum waren die beiden Frauen in den Räumlichkeiten des Harems verschwunden, wandte sich Seth ab, um in sein Zimmer zurückzukehren, während sich Sechemib unauffällig zu seinem Vorgesetzten begab, um ihm zu berichten, dass ein Mädchen mit ungewöhnlichem Aussehen in den Palast gebracht worden war.
 

„Gibt es noch weitere Hinweise?“, verlangte der Tjt ruhig zu wissen, nachdem er dem Bericht gelauscht hatte und erhielt von Sechemib die Antwort: „Bis jetzt hat noch keiner von beiden etwas entsprechendes erwähnt oder ist irgend etwas auffälliges gesehen worden, aber wenn sie tatsächlich zu jenen gehört, die einen Dämon in ihrem Inneren beherbergen, wird sie das nicht allzu lang vor uns verbergen können, wenn sie hier lebt.“ Akunadin nickte zustimmend und entließ anschließend Sechemib mit dem Befehl weiterhin ein Auge auf das Mädchen zu haben, vielleicht ließ es sich noch zu ihren Gunsten einsetzen.
 

Unterdessen hatte Seth, in seinem Zimmer angekommen, die mitgebrachte Quittung gut zwischen zwei Holzleisten am Boden seines Schrankes verborgen, bevor er sich schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung wieder bäuchlings auf sein Bett sinken ließ, um ein wenig auszuruhen und über das nachzudenken, was er an diesem Tag erlebt hatte. Der für sein Dorf verantwortliche Fürst fand es anscheinend wichtiger sich eine neue Residenz zu errichten, als denen zu helfen, die zu Schaden gekommen waren. War doch nirgends in den Verwaltungsakten etwas darüber zu finden gewesen, dass den Überlebenden seines Dorfes Hilfe zuteil geworden war, stattdessen beabsichtigte der Fürst sich mit seiner Geliebten zu verlustieren. Es war das Recht der Reichen, mehr als eine Frau zu haben, während es allgemein im Reich als verwerflich galt das Ideal einer vollkommenen Familie auf diese Art zu unterwandern.
 

Menschen brachten einander um, weil sie glaubten, auf diese Weise den König schwächen zu können. Der König galt als Garant für den Bestand des Reiches und die Sicherheit der Menschen, war er nicht mehr in der Lage diese zu gewährleisten, würde es im schlimmsten Fall zu Unruhen, Aufständen und Streitigkeiten um den Thron kommen, in denen die Bewohner Kemets die eigentlichen Leidtragenden sein würden.
 

Eine Zahl von toten Söldnern, die vermutlich mehr als nur ein Dorf niedergebrannt und anscheinend immer wieder ungestraft davon gekommen waren, hatten einem Mann namens Ninetjer anscheinend viel Geld eingebracht, während Kisara bei dem Versuch nur einen einzigen Fladen Brot zu stehlen, um etwas zu essen zu haben, bereits mit Steinen beworfen worden war und vor Gericht gezerrt werden sollte.
 

Irgendwie ergab sich bei diesen Überlegungen ein seltsames Ungleichgewicht, als würde Maat, die das Reich aufrecht erhielt, nach und nach außer Kraft gesetzt und durcheinander gebracht werden. Was wiederum bedeutete, dass Isfet an Macht gewann und irgendwann so stark wäre, dass Kemet untergehen würde. Seth war sich nicht sicher, ob er versuchen sollte, dagegen etwas zu unternehmen oder ob er den Dingen einfach ihren Lauf lassen sollte. Denn hatte der Gott Seth nicht gesagt, dass nur im Chaos neue Möglichkeiten verborgen lagen? Vielleicht war es notwendig, dass Kemet unterging, bevor es in neuem Glanz auferstehen konnte, so wie ein Benu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Judari
2009-05-13T15:29:54+00:00 13.05.2009 17:29
Sehr schön^^!!
Von:  Hotepneith
2009-05-12T21:21:44+00:00 12.05.2009 23:21
Das klingt so, als ob der gute Seth da gleich in mehr als ein Hornissennest stupste...
Das kann noch sehr viel Ärger bedeuten, wenn er weiter recherchiert. Und ich bin sicher er wird früher oder später Ninetjer danach fragen^^. Zu allem Überfluss hat er sich mit Kisara den Ärger höchstpersönlich aufgehalst. Und das bewusst, weiss er doch..oder sollte wissen, wer da in ihr schlummert.

Ich mag deine Namensauswahl udn die anderen Recherchenkleinigkeiten:)


bye

hotep


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