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Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

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Politik und Liebe

Akunemkanon hatte seinen Bruder zu sich befohlen. Dieser war Aufforderung umgehend gefolgt, betrat nun die privaten Gemächer des Herrn der zwei Länder und fand zu seinem Erstaunen nicht nur den Herrscher vor, sondern auch den Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte. Ohne sich etwas von seiner Verwunderung anmerken zu lassen, grüßte Akunadin ehrerbietig seinen Bruder und nickte Karim lediglich mit knapper Höflichkeit zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Akunemkanon zuwandte. Dieser erklärte daraufhin: „Mein Sohn hat mir berichtet, dass Banditen Dörfer brandschatzen und die Menschen ermorden. Warum habe ich bisher nichts davon erfahren?“ In der Frage schwang ungewohnte Verärgerung mit und war zugleich eine unmissverständliche Forderung an den Tjt seine bisherige Verschwiegenheit zu begründen.
 

„Ich wollte dich nicht unnötig beunruhigen. Und bisher ist es mir nicht gelungen genügend Informationen über diese Leute zusammen zu tragen, als dass ich dir hätte etwas Zufriedenstellendes berichten können.“ Diese Worte schienen Akunemkanon soweit zu beschwichtigen, dass er nun wieder ruhiger seinem Bruder erwidern konnte: „Ich weiß deine Fürsorge durchaus zu schätzen, aber ich bin der Herr dieses Landes, wenn ich nicht weiß, was in ihm vorgeht, wie soll ich es dann richtig regieren?! Du wirst mir in Zukunft stets über solche Vorfälle Bericht erstatten, egal ob du etwas Neues herausgefunden hast oder nicht.“

„Wie du befiehlst“, lautete die von einer angedeuteten Verbeugung begleitete Antwort des Tjt, worauf der Erbe des Horus befriedigt nickte und sich anschließend an Karim wandte: „Ich habe gehört, du würdest es für möglich halten, dass einige deiner ehemaligen Soldaten zu diesen Verbrechern gehören?“

„Das ist durchaus möglich, Majestät. Nicht jeder von ihnen würde gegenüber seinen Landsleuten Nachsicht wallten lassen, wenn er genügend Geld geboten bekäme.“

„Was ist mit dem Ausgleich, den jeder von ihnen erhalten hat, als er die Armee verließ?“

„Mit Verlaub, Majestät, Menschen die es als ihre Aufgabe betrachten ihr Land im Kampf zu verteidigen, sind mit einem Stück Land, dass sie beackern sollen, nicht zufrieden zu stellen.“

„Hm“, brummte Akunemkanon daraufhin nur und versank für einen Moment in nachdenklichem Schweigen, während seine beiden Berater geduldig vor ihm standen und darauf warteten, dass er zu einer Entscheidung kam. Schließlich war es soweit und Akunemkanon erklärte: „Gut, ihr werdet ab sofort zusammen herauszufinden versuchen, wer hinter diesen Anschlägen steckt und sie aufhalten. Die Reduzierung der Armee wird vorerst eingestellt und du wirst mir regelmäßig eine Liste der verdienstvollsten Offiziere anfertigen, die aus der Armee in den Beamtendienst wechseln wollen, - sie sollen entsprechend ausgezeichnet werden.“ Die letzte Anweisung hatte er direkt an Karim gewandt geäußert, sodass ihm der kurze Moment unverhohlener Verärgerung, in Akunadins Gesicht entging, während er die überraschte und zugleich dankbare Erwiderung Karims entgegen nahm. Anschließend schien der Herrscher der Ansicht zu sein, dass alles geklärt wäre und wollte seine beiden Berater bereits entlassen, als Akunadin den Einwand vorbrachte: „Majestät, wenn wir diesen Gesetzlosen entgegen kommen, noch bevor wir überhaupt wissen, was sie wollten, bestärken wir sie nur in ihrem Tun. Sie werden weiter Anschläge verüben, in der Überzeugung so stets ihre Forderungen durchsetzen zu können. Es wäre also äußerst unklug, die begonnen Veränderungen einfach auf halbem Weg abzubrechen, um einige rebellierende Söldner zu hofieren.“
 

Ruhig hatte der König den Worten seines Bruders gelauscht, erklärte dann jedoch entschieden: „Die Reformen können fortgesetzt werden, sobald diese Meuchelmörder und Banditen gefasst sind. Je schneller euch das gelingt, umso eher brauchen wir uns keine Sorgen mehr um weitere Vernichtungen von Dörfern machen. Bis dahin soll es für die Soldaten jedoch keinen Grund für Unzufriedenheit geben. Auf diese Weise verhindern wir nicht nur, dass sich noch weitere Männer diesen Rebellen anschließen, sondern sorgen gleichzeitig dafür, dass sie dem Königshaus treu bleiben.“ Dass Akunemkanon nicht gewillt war weiteren Widerspruch zu dulden, bewies die angefügte Bemerkung, dass er sicher sei, Akunadin und Karim würden sich aufrichtig darum bemühen, gemeinsam zum Wohle Kemets beizutragen. Da diese Worte in einem entlassenden Tonfall geäußert worden waren, verbeugten sich die beiden Konkurrenten um die Gunst des Herrn der beiden Länder darauf lediglich tief und ehrerbietig, bevor sie die Gemächer des Königs schließlich verließen und in unangenehmem Schweigen nebeneinander die Gänge entlang schritten. Keiner von ihnen war sonderlich erpicht darauf mit seinem Rivalen zusammen zu arbeiten. Aber wollten sie den Erben des Horus nicht verärgern, blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als zu tun was ihnen befohlen worden war.
 

Sobald Akunadin sich mit Karim auf ein erstes Vorgehen geeinigt und den Oberbefehlshaber glücklich losgeworden worden war, ließ er Sechemib zu sich rufen und erklärte diesem knapp, was der Priester wissen musste, um anschließend befehlend hinzuzufügen: „Ich will, dass du dich mit Ninetjer triffst und ihm erklärst, dass er sich in nächster Zeit zurückhalten soll. Wenn seine Leute unruhig werden, soll er einige Karawanen oder eines der unbedeutenden Wüstendörfer angreifen, möglichst in Gegenden, die dem wachsenden Einfluss der Armee ablehnend gegenüberstehen. – Und er soll dafür sorgen, dass es Hinweise auf Karim gibt. Ich lasse nicht zu, dass dieser Emporkömmling meinen Plänen in den Weg kommt.“ Die letzten Worte hatte Akunadin ungewohnt heftig und mit grimmigem Gesicht geäußert, sodass Sechemib noch beflissener als sonst erklärte: „Ich werde mich sofort auf den Weg machen und Ninetjer entsprechend informieren.“

„Nein, jetzt noch nicht. Warte bis es Nacht wird und pass auf dass dir niemand folgt. Es kann gut sein, dass Karim etwas Derartiges vermutet und uns überwachen lässt.“

„Meinst du, er ist dazu tatsächlich in der Lage?“, Sechemib bemühte sich jegliche Skepsis, die Zweifel an der Urteilsfähigkeit seines Vorgesetzten andeuten konnte, bei dieser Frage aus seiner Stimme herauszuhalten.

„Er versteht mit Leuten umzugehen. Er braucht keine Soldaten die für ihn spionieren, dass übernehmen Andere freiwillig für ihn“, wischte der Tjt den Einwand mit kühler Herablassung zur Seite, bevor er für einen Moment schwieg und schließlich erklärte: „Lass den Jungen zu mir schicken“ , auf diese Weise seinem Untergebenen zu verstehen gebend, dass er sich zurückziehen solle. Mit einer Verbeugung und einer gemurmelten Zustimmung gehorchte Sechemib und war im nächsten Moment aus dem Zimmer des Tjt verschwunden. Dieser wandte sich mit auf dem Rücken verschränkten Händen einem der Fenster zu und blickte gedankenverloren nach draußen, während er auf Seth wartete, sich überlegend wie er nun am besten weiter vorgehen sollte, um doch noch an sein Ziel zu gelangen.
 

Seth hatte die Nachricht, dass der Tjt ihn sprechen wolle, mit einer gewissen Besorgnis entgegen genommen. Am Tag zuvor hatte ihn Kakau dabei ertappt, wie er ohne entsprechende Anweisung in den Besoldungs- und Einstellungslisten des Militärs stöberte, die als Abschriften im Archiv des Tjt vorhanden waren. Kakau war von der Eigenmächtigkeit und Unzuverlässigkeit seines Schülers alles andere als erfreut gewesen und hatte eine wütende Strafpredigt zum Besten gegeben, die unter anderem die Drohung enthielt den obersten Priester von der ungebührlichen Neugier und der Faulheit Seths, seine eigentlichen Aufgaben zu erledigen, zu unterrichten. Eine Drohung, auf die Seth nach der letzten Erfahrung mit den strengen Ansichten Akunadins, gern verzichtet hätte.
 

Doch trotz der wenig erfreulichen Aussicht innerhalb kürzester Zeit ein weiteres Mal den Zorn seines Vorgesetzten zu spüren zu bekommen, war Seth nicht völlig unzufrieden mit der Situation, hatte er bei seiner eigenmächtigen Durchsicht der militärischen Dokumente doch immerhin herausgefunden, dass die an den unbekannten Ninetjer gezahlte Summe ein Vielfaches über dem lag, was Soldaten sich in der Armee des Königs erhoffen konnten. Dazu kam die interessante Tatsache, dass in keiner der Listen, in denen die Namen der Soldaten aufgeführt waren, auch nur ein einziger Mann genannt wurde, der ausschließlich Ninetjer hieß. Es gab eine handvoll Männer die diesen Namen in Verbindung mit anderen trugen, zwei von ihnen mit dem Kürzel für ‚Tod’ versehen. Einer war als Invalide aus der Armee ausgeschieden und bekleidete nun einen Posten als Schreiber in einer der nördlichen Provinzen, während die restlichen vier als reguläre Soldaten geführt wurden. Seth ging davon aus, dass er die offiziell noch in der Armee Dienenden außen vor lassen konnte, da es auf Dauer zu sehr aufgefallen wäre, wenn einer von ihnen häufiger einfach aus der Armee verschwand, auch wenn er die Erlaubnis des Kommandanten hatte. Allerdings wäre es wohl besser, auch dieser Männer einer kurzen Überprüfung zu unterziehen, nur wusste Seth noch nicht, wie er dies anstellen sollte. Den Krüppel zu überprüfen dürfte nicht schwierig werden, wenn er tatsächlich einer war, das würde Merenseth für ihn an einem Tag herausfinden können. Blieben die beiden Toten, wenn sie auf dem Schlachtfeld gefallen waren, gab es keine Möglichkeit zu prüfen, ob sie tatsächlich tot waren oder ob ihr Tod nur vorgetäuscht worden war, um ihnen größere Bewegungsfreiheit zu verschaffen.
 

Andererseits konnte es auch sein, dass sie wirklich tot waren und keiner der aufgeführten Soldaten etwas mit dem Namen auf der Quittung zu tun hatte. Was wiederum bedeuten könnte, dass dieser Mann nichts mit der Armee und Karim zu tun hatte. Oder es sich um einen Söldner handelte, den Karim außerhalb des königlichen Heeres kennen gelernt hatte, die dritte Möglichkeit wäre, dass auf der Quittung einfach ein falscher Name angegeben worden war. Alles in allem viel Raum für Spekulation, aber wenig bewiesene Tatsachen. Vorerst gab es keinen Hinweis darauf, dass tatsächlich die Soldaten Kemets oder Karim selbst die Finger im Spiel hatten, aber noch blieb abzuwarten, was Merenseth herausfinden würde.
 

Als Seth schließlich das Zimmer Akunadins betrat, stand dieser mit dem Jungen zugewandtem Rücken am Fenster und sah nachdenklich auf die sich davor erstreckende Stadt hinab. Ohne sich zu Seth umzudrehen, forderte der Tjt den Jungen lediglich auf sich neben ihn zu stellen. Nachdem Seth der Aufforderung gefolgt war und eine Weile Schweigen geherrscht hatte, äußerte der oberste Priester mit nachdenklichem Ernst: „Wenn du aus dem Fenster siehst, was siehst du dann?“ Ein wenig erstaunt sah Seth zunächst zu dem Mann neben sich auf und dann wieder hinaus auf die belebten Straßen der Hauptstadt, in der die Luft vor Hitze leicht flimmerte und angefüllt war mit dem alltäglichen Lärm und den verschiedensten Gerüchen, sah hinaus auf die Häuser, deren sonnengebleichten Wände sich warm und lebendig anfühlten, wenn man sie berührte.
 

„Menschen, Tiere, Häuser, Verkaufsstände… Aber darum geht es wohl nicht“, erklärte er schließlich etwas zögernd, nicht wissend, was der Tjt von ihm hören wollte. Statt einer direkten Erwiderung, zitierte Akunadin, noch immer aus dem Fenster sehend, ruhig und ein wenig melancholisch: „’Man wird Waffen aus Metall herstellen und Brot mit Blut fordern. Über eine Krankheit lacht man und den Tod beweint man nicht. Jeder sitzt da und schaut weg, während einer den anderen umbringt. Ich zeige dir den Sohn als Gegner, den Bruder als Feind und einen Menschen der seinen Vater tötet.’ Das ist es, was ich sehe, wenn ich mir die Zeit nehme hinaus zu sehen. Die Menschen werden immer unzufriedener und missgünstiger. Es gefällt mir nicht zu sehen, wie Kemet langsam untergeht.“ Schweigend hatte Seth den Worten gelauscht. Er kannte die Erzählung, aus der der Tjt zitiert hatte, und überlegte einen Moment, wie er am besten auf dessen Worte antworten sollte. Schließlich entschied er sich einfach aus der gleichen Erzählung zu zitieren: „’Aber dem gequälten Land wird ein Retter erstehen. Die Gerechtigkeit wird an ihren Platz zurückkehren, das Unrecht ist hinausgeworfen. Freuen wird sich, wer es sieht, wer im Dienste des Königs sein wird!’“ Ein leichtes Lächeln war bei dieser Antwort im Gesicht des obersten Priesters erschienen, dass noch immer zu sehen war, als er sich seinem Untergebenen zuwandte und anerkennend feststellte: „Du hast die Weissagungen Nefertis gut gelernt.“

„Wir mussten sie häufiger als Übung abschreiben“, wehrte Seth ein wenig verlegen mit einem Schulterzucken ab. Worauf Akunadin nur verstehend nickte und sich wieder dem Fenster zuwandte, während er scheinbar beiläufig fragte: „Wärst du denn bereit im Dienst des Königs dabei zu helfen, dass Nefertis Worte Wirklichkeit werden? Dazu beizutragen, dass die Gerechtigkeit wieder an ihren Platz zurückkehrt und Kemet in neuem Glanz erstrahlt?“ Wieder sah Seth nachdenklich zu seinem Mentor auf. Er hatte ihn anfangs für einen Mann gehalten, der weder Erbarmen noch Gnade kannte. Aber das, was er in den Tagen seiner Genesung herausgefunden hatte, ebenso wie das Verhalten des Tjt in diesem Augenblick, ließen ihn mehr und mehr zu der Einsicht gelangen, dass er sich geirrt hatte. Der oberste Priester war ohne Zweifel ein strenger Mann von unnachgiebiger Natur. Aber er wollte nur das Beste für Kemet und seine Bewohner, auch wenn das bedeutete, dass er manchmal unangenehme Entscheidungen zu treffen und eine Verantwortung zu tragen hatte, die ihn anderen verhasst machen würde.
 

Seth hingegen war immer noch nicht davon überzeugt, dass Kemet überhaupt gerettet werden sollte. Wenn die Menschen nicht zu schätzen wussten, was sie besaßen, dann verdienten sie es vielleicht einfach nicht besser, als alles zu verlieren. Aber wenn ein Mann wie Akunadin, der ein angenehmes Leben im Palast hätte führen können, ohne sich mit Gedanken um die Bevölkerung Kemets zu belasten, bereit war, sich vollkommen in den Dienst für sein Land zu stellen, indem er unermüdlich arbeitete und Wohltaten erwies, ohne Dank dafür zu erwarten oder irgendein Aufhebens davon zu machen, war es vielleicht doch eine lohnenswerte Sache, sich für das Wohl und Bestehen Kemets einzusetzen.
 

„Ich werde helfen, so gut ich kann“, erklärte Seth also, nachdem er sich die ganze Sache hatte durch den Kopf gehen lassen und war wieder einmal vom Verhalten des Tjt überrascht, als statt einer wortreichen Antwort lediglich eine schwere Hand auf seine Schulter gelegt wurde: wortlose Anerkennung seiner Entscheidung und vielleicht so etwas wie ein Zeichen der Dankbarkeit. Kurz schielte der Junge aus dem Augenwinkel auf diese Hand auf seiner Schulter und im nächsten Moment möglichst unauffällig zum Gesicht Akunadins hinauf, mit einem Mal von einer merkwürdigen Scheu ergriffen, dass ihn dieser Mann so vertraulich behandelte, und zugleich stolz auf diese Form der Auszeichnung.
 

Es war Akunadin, der diesen kurzen Moment von Vertrautheit beendete, indem er seine Hand zurückzog, die Hände wieder auf dem Rücken verschränkte und einen Augenblick schweigend aus dem Fenster schaute. Dann wandte er sich entschlossen seinem Schreibpult zu, ließ sich an diesem nieder und äußerte zugleich sachlich: „Ich habe beschlossen, dass du ab sofort im Umgang mit Waffen unterrichtet wirst. Der oberste Befehlshaber, Karim, hat freundlicherweise eingewilligt, dir alles Notwendige beizubringen. Ich erwarte, dass du dich dieser Ehre würdig erweist.“ Seth runzelte bei diesen Worten verwundert die Stirn, während er erwiderte: „Ich verstehe nicht. Warum muss ich mit Waffen umgehen können, wenn ich Priester werde?“ Statt seinen Untergebenen dafür zu rügen, dass er ihn unterbrochen hatte und seine Entscheidungen infrage stellte, erklärte der Tjt noch immer mit ruhiger Sachlichkeit: „Es ist dir vielleicht bekannt, dass es in letzter Zeit immer wieder zu Übergriffen auf Dörfer gekommen ist. Ich kann nicht ausschließen, dass solche Situationen auch in der Hauptstadt vorkommen werden oder die Menschen, die für mich arbeiten, angegriffen werden, während sie in meinem Auftrag unterwegs sind. Deshalb ist es besser, wenn du lernst dich zu verteidigen.“
 

Seth hatte nachdenklich zugehört. Das, was Akunadin sagte, klang logisch, aber Seth konnte sich nicht helfen, irgendetwas störte ihn an diesen Worten, berührte ihn unangenehm und ließ ihn ein wenig erschauern. Dennoch war seine einzige Reaktion auf die Erklärung des Tjt ein zustimmendes Nicken und die kurze Bestätigung, dass er verstanden hätte. Worauf Akunadin seiner Bemerkung über den Waffenunterricht hinzufügte, als hätte die kurze Unterhaltung dazwischen nie stattgefunden: „Du erhältst des Weiteren eine gesonderte Unterweisung in Magie. In letzter Zeit wird die Zahl der in Menschen wohnenden Dämonen immer größer, sodass wir mehr Priester benötigen, die in der Lage sind diese Dämonen zu kontrollieren.“ So fasziniert Seth im Alter von Sieben Jahren von der Idee gewesen war einen Dämon beherrschen zu können, schoss ihm in diesem Moment doch ausschließlich der entgeisterte Gedanke durch den Kopf: ‚Nicht noch mehr Arbeit.’ Bevor er sich erkundigte, warum es notwendig sei, die in Menschen wohnenden Dämonen zu beherrschen.
 

Akunadin schien Seths Gedankengang an dessen Gesicht abgelesen zu haben, denn mit einem winzigen, amüsierten Lächeln erklärte er zunächst: „Die Arbeit in der Kanzlei wird dir bis auf Weiteres erlassen“, bevor auf die Frage des Jungen einging und erwiderte: „Dämonen sind Wesen, die in erster Linie auf die Gefühle derer reagieren, die sie als ihre Wohnstatt erwählt haben. Stell dir vor, was geschehen würde, wenn mehrere Menschen mit mächtigen Dämonen zugleich wütend werden oder den Wunsch verspüren Kemet zu vernichten. Wir hätten ihnen nichts entgegen zu setzen. Also ist es besser, wir sorgen dafür, dass es gar nicht erst soweit kommt. Für die Menschen macht es im alltäglichen Leben ohnehin keinen Unterschied, ob sie mit einem Dämon in der Seele leben oder nicht. Am ehesten dürften sie es noch als Erleichterung empfinden, diese Wesen los zu werden, da sie von Anderen nicht mehr gemieden würden.“
 

Seth kam wieder die Erinnerung an den Brand seines Dorfes und das echsenartige Wesen in den Sinn, das offenbar in Kisaras Seele wohnte. Das Wesen hatte ihm damals ohne Zweifel das Leben gerettet und ebenso war deutlich geworden, wie gefährlich es zugleich für Menschen sein konnten, die nicht das Wohlwollen des Mädchens besaßen. Und Kisara selbst schien immer wieder unter Feindseligkeiten aufgrund ihres anders Seins gelitten zu haben. Es würde als nur von Nutzen sein, wenn er lernte, wie man diese Wesen kontrollierte.
 

Bei der Erkenntnis, dass er, entgegen Kakaus Drohung, ohne Strafe für seine Schnüffelei davonkommen und stattdessen lernen würde, wie man Dämonen bändigte, hätte er am liebsten breit gegrinst. Stattdessen bedankte er sich lediglich höflich für die Freundlichkeit Akunadins, ohne sich etwas von seinen Gefühlen anmerken zu lassen und verließ gleich darauf das Zimmer des Tjt, mit dessen Befehl Kakau zum ihm zu schicken und sich anschließend bei Karim zu melden.
 

Erst als Seth bereits auf dem Weg zur Kanzlei war, wo er Kakau finden würde, ging ihm auf, dass er nun über eine hervorragende Möglichkeit verfügte, sich selbst in der Nähe Karims aufzuhalten und diesen zu beobachten, während Merenseth auf diese Weise problemlos in der Lage sein würde, für ihn die Ninetjers zu überprüfen.
 

Der zum Spion gewordene Benu verbrachte unterdessen so unauffällig wie es angesichts seines Gefieders möglich war, seit zweieinhalb Tagen den Großteil seiner Zeit in der Nähe Karims, ohne dass er bisher irgendetwas Auffälliges hätte herausfinden können.
 

Es war inzwischen Abend geworden und der Wind hatte aufgefrischt, wehte die Schwüle des Tages fort und führte das Versprechen von Regen mit sich. Merenseth saß auf einem leicht im Wind schwankenden Ast und beobachtete ein wenig argwöhnisch den Himmel, statt das Zimmer, das Karim zugewiesen war und dem er sich in diesem Moment zusammen mit seiner Verlobten befand. Merenseth hoffte inständig, dass der Herr der Stürme es ihr ersparen würde tatsächlich im Regen sitzen zu müssen, während sie diesen Menschen dabei zusah wie sie sich begatteten. In der Zeit, die sie nun schon lebte, hatte sie das seltsame Gebaren der Menschen in dieser Hinsicht anfangs noch recht unterhaltsam gefunden. Aber es verlor doch sehr schnell an Reiz, wenn man ungefragt in unendlicher Wiederholung über die Jahrhunderte hinweg immer wieder die gleichen verzerrten Gesichtszüge und in einander verschlungenen Leiber zu sehen bekam. Manchmal fragte sich Merenseth, was die Götter dazu getrieben haben mochte, Menschen gerade die Arterhaltung als erstrebenswerte Form des Zeitvertreibs mitzugeben.
 

Ein wenig missmutig kauerte sich der Benu enger zusammen und plusterte sein Gefieder auf, um dem nun schon fast stürmischen Wind weniger Angriffsfläche zu bieten und sich gleichzeitig zu wärmen. Im Moment wäre sie wirklich lieber im Zimmer Seths gewesen und hätte dem Jungen dabei zugesehen, wie er über irgendwelchen Pergamentrollen brütete, Texte auswendig lernte oder ihm beim lauten Nachdenken zu gehört. Statt jedoch in den Genuss solcher Annehmlichkeiten zu kommen, bemerkte Merenseth unter sich plötzlich eine Bewegung. Mit einem kurzen Blick versicherte sie sich, dass Karim noch immer in seinem Bett in den Armen von Isis lag und irgendetwas ziemlich Menschliches tat, dass bei nicht allzu genauer Betrachtung an die Fütterung von Vogeljungen durch deren Eltern erinnerte.
 

Beruhigt wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen unter sich zu und beobachtete mit gerecktem Hals neugierig, wie sich eine Gestalt in einfacher, unauffälliger Kleidung gegen den heftiger werdenden Wind stemmte. Es war der vergebliche Versuch dieser Person gewesen, die Enden ihres Umhangs den Fängen der wütenden Böen zu entreißen, der Merenseth erst hatte aufmerksam werden lassen. Die Gestalt gab ihre erfolglosen Bemühungen schließlich auf, lediglich so gut es ging mit einer Hand den Umhang vor der Brust zusammenhaltend, während sie sich im Schutz der Hausmauern vom Palast entfernte, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Es war nicht nur die Merkwürdigkeit, dass es bei diesem unwirtlichen Wetter tatsächlich ein Palastbewohner für nötig befand die schützenden Mauern zu verlassen, die Merenseth veranlasste dem Mann zu folgen, sondern die Tatsache, dass es sich bei dem Mann um Sechemib handelte.
 

Dank des Sturms war es nicht gerade einfach, dem durch die Gassen hastenden Priester zu folgen. Auch wenn der Sturm den Vorteil hatte, dass Merenseth sich keine Sorgen darüber machen musste, bemerkt zu werden. So war der Vogel nur zu froh, als Sechemib schließlich am Ende der Stadt ein kleines, unscheinbares Haus betrat, das von außen unbewohnt erschien. Lautlos und nicht darauf achtend, dass sie vom Sturm zerzaust wurde, während nun auch die ersten schweren Tropfen fielen, ließ sich Merenseth auf dem Dach des Hauses an der Stelle nieder, wo sich der Abzug für die Feuerstelle befand. Vorsichtig lugte der Benu über den Rand, bemüht nicht entdeckt zu werden und zugleich doch selbst so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Als sie sah, mit wem Sechemib sich in diesem Raum befand, trippelte sie nervös ein wenig auf dem Dach hin und her, mit sich ringend ob sie bleiben und abwarten oder sofort zu Seth fliegen sollte. Es würde ihn sicher interessieren, dass sich Sechemib mit dem Mann traf, der in der Nacht des Brandes Merenseth erfolgreich mit Pfeil und Speer attackiert hatte. Es war erstaunlich, dass es ihm gelungen war, dem Zorn des weißen Dämons zu entkommen und umso wichtiger, dass Seth davon erfuhr. Der Vogel entschied sich, vorerst abzuwarten und weiter zu beobachten, was geschah, bevor er in den Palast zurückkehren und Bericht erstatten würde.
 

Was gesprochen wurde, konnte Merenseth nicht verstehen, da die beiden Männer in dem Haus nur leise murmelten, während der Sturm sich offenbar entschlossen hatte genau in diesem Moment so laut wie nur möglich zu heulen und zu toben, sodass Merenseth Mühe hatte sich auf dem Dach zu halten, wenn sie von einer besonders heftigen Böe getroffen wurde. Der Herr der Stürme hatte schon immer einen etwas seltsamen Sinn für Humor besessen.
 

Die Unterredung der beiden Männer dauerte nicht lang und war augenscheinlich auch nicht sonderlich herzlich, wenn man die kühle Miene Sechemibs einerseits und die missmutige seines Gesprächspartners andererseits betrachtete. Schließlich schien alles Notwendige gesagt worden zu sein und Sechemib verließ das kleine Hause, sich wieder gegen den Sturm stemmend und in kürzester Zeit vom Regen durchnässt, während er in den Palast zurückkehrte. Merenseth folgte ihm zunächst ein kleines Stück, um zu sehen, wohin er ging. Dann kehrte sie jedoch zu der Hütte zurück, um die Verfolgung des anderen Mannes aufzunehmen. Aber obwohl sie nur für kurze Zeit fort gewesen war und sie das Gelände um die Hütte weitläufig absuchte, konnte sie weder in noch außerhalb des kleinen Hauses irgendeine Spur des Mannes entdecken, sodass sie die Suche schließlich ergebnislos abbrach und in den Palast zurückkehrte.
 

Müde, nass und durchgefroren schlüpfte der Benu durch das Fenster in Seths Zimmer, eine dunkle Spur von Tropfen auf dem Boden hinterlassend, als er zu seiner Stange flog und sich darauf niederließ. Seth hatte bei der Ankunft des Vogels von seiner Schreibarbeit aufgesehen und sich in vorwurfsvollem Tonfall erkundigt: „Wo warst du so lange?“ Merenseth hob, so gut das bei ihrem völlig durchnässten Gefieder eben ging, konsterniert die Schopffedern. Was war das denn für eine Frage, er hatte sie doch losgeschickt zum Spionieren.

„Du bist ja völlig durchnässt“, stellte der Junge unterdessen besorgt fest und erhob sich um ein Trockentuch zu holen. Natürlich war sie durchnässt, dachte Merenseth brummig und sich selbst bemitleidend. Hatte er vielleicht erwartet, dass sie bei dieser vom Himmel fallenden Sintflut trockenen Gefieders nach Hause kam?! Sie war ein Benu, kein überarbeiteter Gott, der seine angestauten Aggressionen in einem gewaltigen Unwetter entlud, um sich besser zu fühlen und der davon noch nicht mal nass wurde. Missmutig schmollend hatte sich der Vogel noch immer leise vor sich hin tropfend auf der Stange herumgedreht, Seth nun den Rücken zukehrend, um diesem so zu verstehen zu geben, dass sie im Moment keine Lust hatte ihm zu zuhören.
 

Allerdings verflog die schlechte Laune Merenseths schlagartig, als sie zunächst fürsorglich mit einem Tuch abgetrocknet wurde und anschließend, in eines der Oberteile Seths gewickelt, in dessen Schoss saß und aus seiner Hand Körner zu fressen bekam. Zufrieden dachte Merenseth, dass der Aufenthalt in dem Unwetter doch nicht ganz umsonst gewesen war. Satt und mit einem behaglichen Gurren schmiegte sie sich schließlich näher an den angenehme Wärme ausstrahlenden Körper des Jungen und genoss das Gefühl von Geborgenheit. Während sie allmählich eindämmerte, beschloss sie, dass sie Seth erst am nächsten Tag von ihren Entdeckungen berichten würde. In dieser Nacht würde ohnehin nichts mehr geschehen und sie fühlte sich gerade viel zu wohl, als dass sie dieses Behagen durch eine Menschwerdung hätte schmälern wollen.
 

Noch immer ein wenig besorgt über das mitgenommene Aussehen des Benus, hatte Seth den Vogel aufmerksam beobachtet und war schließlich erleichtert zu der Erkenntnis gelangt, dass Merenseth zwar von der Auseinandersetzung mit dem Sturm etwas erledigt war, sonst aber kein Grund zur Besorgnis bestand. So entspannte sich Seth wieder, während er begann gleichmäßig und beruhigend über das noch immer feuchte Halsgefieder des Benu zu streichen, in Gedanken der Frage nachhängend, was Merenseth herausgefunden haben mochte, dass sie sich derart lang in einem so heftigen Sturm herumgetrieben hatte.
 


 

Klugscheißerei zum guten Schluß

Neferti war einer von mehreren bedeutenden Dichtern am Hof Sesostris I. (Reg.-zeit: 1956 - 1911/10 v. Chr.) und soll Dank seiner "Prophezeiung" als bedeutender Weiser verehrt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hotepneith
2009-07-07T22:05:43+00:00 08.07.2009 00:05
Es sieht so harmlos aus...
aber d gibt es sicher mehr als nur einen Punkt, wo man sich entscheiden muss, sei es als Benu oder auch als Mensch.

Ich kannn Seth so gut nachvollziehen,---seufz.



Einfach super geschrieben


bye

hotep


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