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Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

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Ermittlungen

Zu seiner eigenen Überraschung war Mahaado ohne alle Schwierigkeiten in das Zimmer Karims gelangt. Keine Wache hatte ihn aufgehalten oder auch nur zu wissen verlangt, warum er zu seinem Schwager wollte. Dieser stand vollkommen ruhig mit dem Rücken gegen eine der Wände gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick vor sich auf den Boden gerichtet und schien in Gedanken sehr weit fort zu sein. Denn entgegen seiner sonstigen Aufmerksamkeit dauerte es dieses Mal einen Moment bevor überhaupt bemerkte, dass er nicht mehr allein war. Sobald er jedoch entdeckt hatte, dass Mahaado vor ihm stand, stieß er sich von der Wand ab, löste die verschränkten Arme und erkundigte sich ruhig, was Mahaado zu ihm führe, als hätte es die Anklage auf Hochverrat nie gegeben. Ohne Umschweife erklärte Mahaado, dass sie versuchen würden die Unschuld Karims zu beweisen und er deshalb genau wissen müssen, was Karim an den Tagen vor und nach dem Überfall getan hatte. Zweifelnd schüttelte Karim den Kopf, „was beweist das schon, wenn ich sage, dass wir am Tag vor dem Überfall im Tempel waren, anschließend bei meiner Tante und den Rest der Zeit in unserer Unterkunft, weil es Isis nicht gut ging.“

„Hat dich am Abend oder frühen Morgen vielleicht ein Diener gesehen, der bezeugen kann, dass du nicht fort gewesen bist?“

Wieder schüttelte Karim den Kopf, während Mahaado fieberhaft überlegte, wer Karim noch gesehen haben könnte, um zu bestätigen, dass dieser nicht bei dem Überfall dabei gewesen war.
 

Ernst und aufmerksam beobachtete Karim seinen Schwager eine Weile schweigend, bevor er mit ruhiger Entschiedenheit erklärte: „Es hat keinen Sinn nach einem Ausweg für mich zu suchen, Mahaado, die Falle ist zu gut gestellt. Deshalb bitte ich dich, versuche Isis und Mana in Sicherheit zu bringen. Ich will nicht, dass ihnen etwas passiert.“ Mit düsterem Gesichtsausdruck hatte Mahaado den Worten Karims gelauscht, verschränkte trotzig die Arme und erwiderte sehr bestimmt: „Mach dir keine Sorgen um deine Familie, ihr wird genauso wenig etwas geschehen wie dir. Und statt dich mit deinem Tod abzufinden, solltest du lieber versuchen uns zu helfen. Du bist Soldat, wie kannst du eine Schlacht schon verloren geben, noch bevor sie überhaupt geschlagen ist?!“ Ein wenig amüsiert erwiderte Karim den bohrenden Blick seines Schwagers, „du hast Recht, einfach aufzugeben liegt mir nicht sonderlich. Aber als Soldat muss man auch entscheiden können, wann es sich zu kämpfen lohnt und wann man seine Kräfte für etwas anderes aufspart. Im Moment ist es einfach wichtiger, dass Isis und Mana in Sicherheit sind.“

„Ich sagte doch, dass du dir keine Sorgen um sie machen musst und wenn du dir endlich die Mühe machst uns zu helfen, kannst du dich sehr bald selbst davon überzeugen“, beharrte Mahaado unwillig auf seiner Ansicht.
 

Das Lächeln in Karims Gesicht war zu einem breiten Grinsen geworden, während er den entschlossenen jungen Mann mit echter Dankbarkeit und Zuneigung ansah. „Einverstanden. - Was die Zeit vor und nach dem Überfall betrifft, kann ich nichts sagen, was irgendwie von Nutzen wäre. Aber ich denke, ihr solltet euch die Leute, die der König in das Dorf gesandt hat genauer ansehen. Es würde mich nicht überraschen, wenn einer von ihnen der Verräter ist.“ Mahaados Haltung und Gesichtszüge hatten sich merklich entspannt, als Karim endlich einlenkte, und bei dessen Worten über den Verräter zustimmend genickt. „Denkst du an Sechemib? Immerhin ist er die rechte Hand des Tjt und er war derjenige, der den Zeugen gefunden hat.“

„Möglich, aber es dürfte schwierig werden, ihm das nachzuweisen. Es sei denn es gelingt euch diesen Zeugen dazu zu bringen, zu gestehen von wem er angestiftet worden ist mich zu verleumden.“

Wieder nickte Mahaado zustimmend und erkundigte sich, ob Karim noch irgendetwas eingefallen sei, was ihnen helfen könnte die Sache aufzuklären. Da dieser jedoch nur bedauernd den Kopf schüttelte, seufzte Mahaado ein wenig resigniert, bat seinen Schwager ihn wissen zu lassen, falls ihm doch noch etwas einfiele und verabschiedete sich gleich darauf, um als nächstes seine Schwester aufzusuchen.
 

Angespannt lief Isis in ihrem Zimmer auf und ab, während sie händeringend nach einem Plan suchte, wie Karim gerettet werden könnte. Als Mahaado das Zimmer betrat, wandte sie ihm sofort ihre Aufmerksamkeit zu und verlangte besorgt zu wissen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gebe. Kaum hatte ihr Bruder bedauernd den Kopf geschüttelt, nahm die junge Frau ihre unruhige Wanderung wieder auf, während sie leise erklärte: „Aber wir müssen doch irgendetwas tun können.“

„Deshalb bin ich hier…“, begann Mahaado wurde aber im gleichen Moment von einem fröhlich hereinstürmenden, etwa zweijährigen Mädchen unterbrochen, das glücklich seinen Namen rief und sich ihm gleich darauf in die auffordernd ausgestreckte Arme warf, ihm die eigenen Arme um den Hals schlingend.
 

Beim Klang von Manas Stimme hatte sich Mahaado mit einem Lächeln herumgedreht, und war etwas in die Hocke gegangen, um die überschwängliche Begrüßung seiner Nichte entgegen zu nehmen. Das Mädchen liebte ihren Onkel abgöttisch, ebenso wie er sie liebte. Jeder, der die Beiden zusammen erlebte musste unwillkürlich bei dem Anblick schmunzeln. Dieses Mal gelang es ihnen jedoch nicht Isis ein Lächeln zu entlocken, stattdessen bat die Mutter ihre Tochter ernst: „Mana, lass uns bitte allein. Geh und spiel solang mit Kisara.“ Große, bettelnde Kinderaugen und eine schmollend vorgeschobene Unterlippe waren darauf die Antwort, während sich das kleine Mädchen noch fester an den Hals ihres Onkels klammerte und sehr bestimmt erklärte, dass sie bleiben wolle. „Mana!“, die mütterliche Ermahnung klang schon weit weniger ruhig, sondern gereizt und ungeduldig. Bevor es allerdings zu einem ernsthaften Streit zwischen Mutter und Tochter kommen konnte, flüsterte Mahaado seine Nichte etwas ins Ohr, worauf diese ihn durchdringend ansah und wissen wollte: „Versprochen?“ Als ihr Onkel darauf nickte und erwiderte: „Versprochen“, hatte sie schließlich nichts mehr dagegen abgesetzt zu werden und brav das Zimmer zu verlassen, während Mahaado seine Aufmerksamkeit wieder ganz seiner Schwester widmete.
 

„Hat der König schon entschieden, was mit Karim geschehen soll?“, erkundigte sich Isis hastig, bemüht die Angst in ihrer Stimme nicht zu deutlich werden zu lassen. Mahaado schüttelte den Kopf, während er erwiderte: „Nein und das wird er wohl auch nicht so schnell. Mach dir nicht zu viele Sorgen, das ist schlecht für das Baby.“

„Dem Baby geht es gut“, erwiderte die junge Frau ein wenig ungehalten mit gerunzelter Stirn, bevor sie sich innerlich selbst zur Ordnung rief, tief durchatmete, um sich zu beruhigen und anschließend in bemüht neutralem Tonfall wissen wollte: „Wenn nicht wegen Karim, weshalb bist du dann hier?“, während sie sich auf einer nahestehende Sitzbank niederließ.

„Du bist meine Schwester“, antwortete Mahaado leicht gekränkt, „was wäre ich für ein Bruder, wenn ich nicht wissen wollte wie es dir geht.“

Kurz rieb sich Isis mit den Fingern einer Hand über die Stirn, während sie ein leises Seufzen hören ließ und anschließend entschuldigend meinte: „Verzeih, ich wollte dich nicht beleidigen. Die ganze Sache ist nur so ungerecht, dass es mir schwer fällt noch klar zu denken.“

Mit wenigen Schritten war Mahaado bei Isis, setzt sich neben ihr auf die Bank, ergriff tröstend ihre Hand und erklärte beschwichtigend: „Schon gut, vergessen wir das einfach. Atemu und ich versuchen Beweise zu finden, dass es Karim nicht gewesen sein kann. - Kannst du mir sagen, was ihr am Tag nach dem Überfall getan habt?“

Einen Augenblick schwieg Isis nachdenklich, bevor sie erwiderte: „Das war der 7. Djehuti, richtig?“, Mahaado nickte nur zustimmend und Isis fuhr fort: „An dem Tag haben wir Gebtiu verlassen und uns auf die Rückreise gemacht. Wir sind früh aufgebrochen, um nicht in die Pilgermassen zu geraten, sodass wir von dem Überfall erst hörten, nachdem wir schon Rahenu durchquert hatten.“

Mit zunehmender Besorgnis hatte Mahaado den Worten seiner Schwester gelauscht, es gehörte nicht viel Fantasie dazu, zu sehen, dass die Abreise direkt nach dem Überfall ein gefundenes Fressen für jene wäre, die in Karim den Schuldigen sehen wollten. Dennoch fragte er in täuschend gelassenem Tonfall, um seine Isis nicht noch mehr zu beunruhigen: „Und am Tag vor dem Überfall, was habt ihr da getan?“ Wieder überlegte Isis einen Moment, bevor sie antwortete: „Früh waren wir ein letztes Mal im Tempel, dann sind wir über den Markt geschlendert und haben Karims Tante besucht. Aber wir sind nicht lang geblieben, mir ging es nicht so gut, deshalb haben wir den Rest Tages in unserer Unterkunft verbracht.“ Das war nicht viel mehr als ihm schon Karim erzählt hatte, aber zumindest widersprachen sich die Aussagen nicht, also stand nicht zu befürchten, dass von dieser Seite Angriffe erfolgen würden.
 

Isis runzelte dennoch besorgt die Stirn, während sie leise feststellte: „Nichts davon taugt als Beweis, dass Karim es nicht gewesen sein kann.“

„Wir werden schon noch etwas finden“, beruhigte Mahaado sie, ohne in diesem Moment selbst daran zu glauben. Allerdings hatte er nicht vor seiner Schwester diese Tatsache einzugestehen und so erhob er sich schnell, um zu verhindern, dass sie ihn fragte, wie er seine Behauptung Wirklichkeit werden lassen wolle und verließ nach ein paar letzten aufmunternden Worten die Frauengemächer wieder.
 

Er hatte beabsichtigt mit dem Wenigen, das er erfahren hatte, zurück zu den Gemächern des Kronprinzen zu gehen, damit sie gemeinsam überlegen konnten, was als nächstes zu tun war, doch zu seiner Überraschung kam ihm Atemu auf dem Weg bereits entgegen und erklärte, dass sein Vater ihm die Erlaubnis erteilt hatte mit dem Zeugen zu sprechen. „Ich nehme an, du wärst gern dabei“, kam der Kronprinz der Frage seines Freundes zuvor, während sie sich bereits auf dem Weg zu dem kleinen Raum machten, in dem der Mann untergebracht worden war. Mahaado nickte darauf nur zustimmend, bevor er sich erkundigte: „Hat der Möchtegernpriester seine voreilige Hilfe schon bereut, dass er dich nicht begleitet?“

„Nein, er hat für den Tjt zu arbeiten“ antwortete Atemu gelassen, während Mahaado kurz das Gesicht verzog und anschließend kategorisch erklärte: „Soll er. Wir schaffen es auch sehr gut ohne ihn.“

„Mahaado, er ist nicht hier. Es besteht keinerlei Veranlassung ihn anzugiften“, mahnte Atemu milde, seinem Begleiter lediglich einen Seitenblick gönnend. Mahaado wirkte bei diesen Worten ein wenig verlegen, versuchte das jedoch mit der Bemerkung „verzeih, die Macht der Gewohnheit“ zu kaschieren.

„Vielleicht solltest du dir allmählich eine neue Gewohnheit zu legen“, schlug Atemu mit einem Lächeln vor und bekam darauf die von einem bedauernden Seufzen begleitete Antwort: „Ich kann es ja versuchen.“

Das Lächeln Atemus wurde breiter, während sie in diesem Moment vor dem Zimmer ankamen, in dem der Mann untergebracht worden war, der behauptete Karim bei dem Überfall gesehen zu haben. Vor der Tür des Zimmers war vorsorglich eine Wache postiert worden, um zu verhindern, dass dem Mann möglicherweise ein tödlicher Unfall zustieß, während er sich im Palast aufhielt. Der Wachtposten verneigte sich höflich vor den beiden Prinzen und öffnete anschließend auf die Aufforderung Atemus hin die Tür, sodass die beiden jungen Männer eintreten konnten.
 

Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen und Atemu den Mann aufgefordert sich aus seiner unterwürfigen Haltung zu erheben, da sie beabsichtigten mit ihm zu reden, prallte Mahaado überrascht zurück, während er nur ungläubig äußerte: „Sened!“

„Du kennst ihn?“, erkundigte sich Atemu interessiert, während er aufmerksam zwischen seinem verblüfften Freund und dem für einen kurzen Moment verunsichert wirkenden Unbekannten hin und hersah.

„Ob ich ihn kenne?“, wiederholte Mahaado noch immer nach Fassung ringend die Frage, riss sich dann sichtlich zusammen und forderte, statt zu antworten, den Mann mit deutlichem Spott in der Stimme auf: „Sag, Sened, kenne ich dich?“

„Es ist lange her, Herr, ich bin jetzt ein freier Mann und stehe nicht mehr in den Diensten deines Vaters. Es wäre besser die Vergangenheit ruhen zu lassen.“
 

Bei diesen Worten verzogen sich Mahaados Lippen zu einem abfälligen Lächeln, er ging jedoch nicht weiter auf die Äußerung Seneds ein, sondern erwiderte stattdessen: „Du schwörst also, Karim in der Nacht des Überfalls im Dorf gesehen zu haben.“ Unsicher schwieg Sened einen Moment, während er zwischen den beiden Prinzen hin und her blickte und sich schließlich entschied Atemu anzusehen, während er die Frage Mahaados beantwortete: „Ich habe ihn in jener Nacht gesehen. Er saß auf einem weißen Pferd, mit gezogenem Schwert und dieser prächtigen Kette und hat zwischen den Dorfbewohnern gewütet, als wäre er ein böser Dämon im Auftrag des Herrn von Ombos.“

Mahaado verzog bei dieser phantasievollen Beschreibung angewidert das Gesicht, beherrschte sich jedoch immer noch und überließ es Atemu die weiteren Fragen zu stellen. Angesichts der unerwarteten Bekanntschaft zwischen Mahaado und Sened, verlangte der künftige Erbe des Horus zunächst einmal zu wissen, wie lang Sened bereits in dem Dorf gelebt hatte. Als dieser darauf erwiderte, dass er bereits seit mehr als fünf Jahren dort lebte, nickte Atemu lediglich kurz, während er einen verstohlenen Seitenblick zu Mahaado warf, der gegen diese Angabe anscheinend jedoch nichts einzuwenden hatte. Sollte Sened sie in diesem Punkt dennoch belogen haben, würden spätestens die Pachtverträge ihnen darüber Aufklärung verschaffen.
 

„Erzähl uns, was in jener Nacht vorgefallen ist“, forderte der Kronprinz den Dörfler als nächstes auf, der daraufhin für einen Moment schwieg, als bereite es ihm Probleme sich an die erlebten Schrecknisse zu erinnern. Dann jedoch begann er zu berichten: „Es war mitten in der Nacht, als plötzlich lautes Geschrei anfing, dass Feuer ausgebrochen sei. Als ich aus meinem Haus trat, war bereits alles in heller Aufregung, jeder versuchte irgendwie den Flammen zu entkommen und sich selbst zu retten. Mir ging es nicht anders, ich hab nur schnell einige Sachen zusammengepackt und bin geflüchtet. Aber als ich das Dorf verließ kam der oberste Befehlshaber mit einem irren Grinsen direkt auf mich zu geritten und wollte mich offensichtlich töten, ich konnte mich gerade noch so zwischen zwei brennende Häuser retten, vor denen sein Pferd gescheut hat, sonst wäre ich heute nicht hier. Ich bin dann durch das brennende Dorf gerannt und habe versucht mich auf der anderen Seite in Sicherheit zu bringen. – Die Schreie in jener Nacht waren fürchterlich.“ Bei den letzten, pathetisch klingenden Worten Seneds warfen sich die beiden Prinzen einen kurzen Blick zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann vor sich zuwandten und Atemu sich erkundigte: „Warst du die ganze Zeit allein oder sind noch Andere auf dem gleichen Weg mit dir geflüchtet?“

„Es haben noch Andere versucht auf diesem Weg zu flüchten, aber zu meinem Bedauern sind sie alle in den Flammen umgekommen.“

„Du musst unter dem besonderen Schutz der Götter stehen, dass dir dieses Schicksal als Einzigem erspart blieb“, erwiderte Atemu ruhig, ohne dem kurzen, skeptischen Blick Seneds preiszugeben, ob er diese Bemerkung tatsächlich ernst meinte oder ob sich in ihr ausschließlich Ironie verbarg.

„Es muss wohl so sein. Ich weiß nicht, womit ich Unwürdiger diese Gnade verdient habe, aber ich werde alles tun, um mich des Vertrauens der Götter würdig zu erweisen“, Sened klang zugleich unterwürfig und salbungsvoll, bemüht den einen Prinzen nicht gegen sich aufzubringen und den anderen davon zu überzeugen, dass er ausschließlich lautere Absichten mit seiner Beschuldigung Karims verfolgte. Keiner der Prinzen machte sich die Mühe auf seine Worte einzugehen, stattdessen tauschten sie erneut einen Blick, um sich darüber zu verständigen, ob sie alles erfahren hatten oder der jeweils andere noch eine Frage stellen wollte. Doch weder Mahaado noch Atemu schien es notwendig noch länger in der Gegenwart dieses Mannes zu verbringen und so neigte der künftige Erbe des Horus nur huldvoll das Haupt, als Zeichen, dass die Unterredung beendet war, und verließ gleich darauf ohne ein weiteres Wort, gefolgt von Mahaado das Zimmer Seneds.
 

Sobald sie außer Hörweite des Wachpostens waren, ließ Atemu jede hoheitlich Attitüde fahren und erkundigte sich mit sichtlicher Ungeduld: „Woher kanntest du ihn und warum die Feindseligkeit?“

„Er war früher der Haushofmeister meines Vaters. Als dieser mit dem obersten Amunpriester unserer Provinz in Streit geriet, war es Sened, der bei der Anhörung die Behauptung bestätigte, mein Vater würde eine Verschwörung gegen den König planen. Daraufhin wurde entschieden, dass Isis und ich fortan am königlichen Hof leben sollten, um sicher zu stellen, dass Vater keine Dummheiten begehen würde.“ Für einen Moment schwieg Atemu betroffen, bevor er wissen wollte: „Was hat dein Vater damals mit Sened gemacht?“

„Nichts, Sened hat sich nach der Untersuchung eine zeitlang in den Schutz den Amunpriester begeben und sich irgendwann davon gestohlen. Er muss wohl eine ganze Weile ständig durch das Land gezogen sein, aus Angst Vater könnte ihm Häscher hintersenden, um ihn zu bestrafen.“

„Und als er sicher war, dass ihn niemand verfolgte, hat er sich in dem Dorf bei Gebtiu niedergelassen.“

Mahaado nickte zustimmend.

„Glaubst du, er behauptet Karim gesehen zu haben, um deiner Familie zu schaden?“, erkundigte Atemu sich nachdenklich, während sie sich seinen Gemächern näherten.

„Ich weiß nicht. Das würde immerhin voraussetzen, dass er von Isis Ehe wusste. Aber ich würde ihm auch zutrauen zu lügen, wenn dabei für ihn nur genug Geld herausspringt.“

„Dann können wir wohl erst einmal nur abwarten, was der Mann herausfindet, den Seth beauftragt hat“, stellte Atemu fest und betrat gefolgt von Mahaado seine Räumlichkeiten.
 

Nachdem Merenseth den Auftrag erhalten hatte, Überlebende des jüngsten Überfalls ausfindig zu machen, war sie nach Gebtiu geflogen, in der Annahme, dass die überlebenden Dörfler dort wohl am ehesten Zuflucht gesucht hatten.
 

Gebtiu war nicht nur ein wichtiger Handelsort, in dem der Schutz- und Schöpfergott Min verehrt wurde, sondern auch Isis fand an diesem Ort als Mutter des Horus Verehrung. So wurde diese Stadt nicht nur von Karawanen und Händlern frequentiert, sondern auch von vielen Pilgern besucht, die um den Schutz und Beistand der beiden Gottheiten baten. So mischten sich Schwangere und solche, die es werden wollten, mit Kaufleute und Karawanenführer und Bauern die in der Zeit der Nilschwemme den Göttern für ihre reiche Gnade dankten und um eine gute Ernte baten.
 

Merenseth interessierte sich jedoch nicht weiter für diese Menschen, stattdessen saß sie am Rande des Marktes auf einer Palme und beobachtete aufmerksam die Passanten unter sich. Es dauerte einige Zeit bis der Benu schließlich einen hageren, leicht gebeugt gehenden Mann mit lederartiger Haut entdeckte, der sich im Gegensatz zu den anderen Marktbesuchern angespannt und hastig bewegte, sich immer wieder misstrauisch umsah und schreckhaft bei jedem unerwarteten Geräusch zusammenzuckte, während er sich bemühte in der Nähe von trügerischen Schutz versprechenden Häuserwänden zu laufen. In großer Eile erledigte der Mann seine wenigen Einkäufe, ohne den mindesten Versuch mit den Verkäufern um den Preis der Waren zu feilschen. Sobald er den Markt wieder verließ erhob sich Merenseth lautlos von ihrem Beobachtungsposten und folgte ihm fliegend bis zu einem unauffälligen Haus mittlerer Größe, an das sich eine Töpferwerkstatt anschloss.
 

Eine Weile wartete Merenseth wartete in der Nähe des Hauses, um zu sehen, ob der Mann noch einmal herauskommen würde oder ob er tatsächlich in diesem Haus wohnte. Als nichts geschah, was diesem letzten Anschein widersprach, flog der Vogel unbemerkt davon und kehrte nicht mehr wieder. Stattdessen näherte sich einige Zeit später eine junge Frau zielstrebig dem Haus mit der Töpferwerkstatt, klopfte und erkundigte sich höflich ob in diesem Haus jemand wohne, der in dem kürzlich überfallenen Dorf gewohnt habe.
 

Diese seltsame Frage einer vollkommen Fremden sorgte für einige Verwunderung und Skepsis, die Merenseth nur mit Mühe soweit beseitigen konnte, dass sie schließlich doch in das Haus gelassen wurde und wenig später nicht nur dem Mann gegenüber stand, den sie zuvor beobachtet hatte, sondern auch einem verhärmt aussehenden Jungen von acht Jahren, der neben dem Lager eines bewusstlosen Mädchens saß und dessen fiebrige Stirn kühlte.
 

Für einen Moment betrachtete die junge Frau schweigend und konzentriert das Kind, bevor sie sich leise an den ein wenig abseits hockenden Mann wandte und erklärte, sie sei geschickt worden, um herauszufinden, wer die Angreifer in der Nacht des Überfalles waren. Der Mann lachte bitter auf, bevor er mit Abscheu erklärte: „Wer die Dörfer überfällt, weiß jeder, nur der König scheint nicht in der Lage zu sein, es zu erkennen.“

Merenseth ging nicht auf diese Bemerkung ein, sondern bat nur ruhig: „Erzähl mir, was in jener Nacht passiert ist.“

„Wir sind überfallen worden und alles, was unser Leben bis dahin ausgemacht hat, ist zerstört worden. Das ist passiert“, erwiderte der Mann in abweisendem Missmut. Wiederum schwieg Merenseth auf den hilflosen Hohn, wartete geduldig darauf, dass er ihr eine richtige Antwort, auf ihre Bitte gab. Doch der Mann, der auf den Namen Hesira hörte, schien sich gerade erst warm zu reden, denn nun fuhr er mit hilflosem Zorn erst Recht auf die in reizendem Schweigen dasitzende Frau los: „Habt ihr euch noch nicht genug an unserem Elend ergötzt? Warum forscht ihr immer erst nach wenn es längst zu spät ist? Ist es nicht die Aufgabe des Königs uns zu beschützen? Wenn er so schwach ist, soll er diese Aufgabe an jemanden übertragen, der es besser versteht als er!“

Ohne eine erkennbare Reaktion hatte sich Merenseth die Anklage Hesiras angehört. Er schlug in blinder Verzweiflung mit Worten um sich, um seine Qual erträglicher zu machen, während er sich zugleich danach sehnte, dass ihm jemand versicherte, alles wäre nur ein böser Traum, ein Missverständnis, das schon bald wieder in Ordnung käme. Doch diese Versicherung konnte der Benu nicht geben und so fragte er stattdessen sanft: „Sind das deine Kinder?“

Hesira warf nur einen flüchtigen Blick auf das Geschwisterpaar, bevor er widerspenstig entgegnete: „Nein“, anschließend in sturem Schweigen versinkend.
 

„Das Mädchen wird sterben“, stellte Merenseth nach einer Weile leise fest, worauf sich das Gesicht Hesiras nur noch mehr verdüsterte und er grimmig die Lippen aufeinander presste, während der Junge erschrocken zu dem unwillkommenen Gast aufsah und sich in einer schützenden Geste zwischen Merenseth und seine Schwester schob, als wäre diese dafür verantwortlich, sollte Inenek tatsächlich sterben. Ohne von diesen Reaktionen Notiz zu nehmen, ergänzte Merenseth unterdessen ihre Worte um die Frage: „Liegt dir so wenig an ihr, dass es dir gleichgültig ist, ob wir ihren Mörder fassen oder nicht?“ Wütend fuhr Hesira auf: „Was weißt du schon?! Dem König ist es völlig egal, was mit uns geschieht! Wann hat er versucht uns zu helfen und uns zu beschützen? Weshalb sollte ich ihm jetzt dabei helfen sein schlechtes Gewissen zu beruhigen? Soll er doch versuchen Anderen etwas vorzumachen, mich kann er nicht täuschen!“

„Wenn du ihm hilfst, verhinderst du, dass anderen Kindern Gleiches geschieht“, gab Merenseth zu bedenken, „Akunemkanon ist der Erbe des Horus. Aber solang er in dieser Welt weilt, ist er ein Mensch, mit den Fehlern und Schwächen eines Menschen. Ohne die Hilfe derer, für die er die Verantwortung übernommen hat, wird es ihm nicht gelingen seine Aufgabe zu erfüllen.“ Hesira gab darauf nur ein abfälliges Geräusch von sich und wandte den Kopf ab.
 

Wieder herrschte drückendes Schweigen, bis Atoti, der noch immer wachsam zwischen seiner Schwester und Merenseth saß, schließlich leise und entschlossen erklärte: „Ich werde dir helfen.“ Neugierig betrachtete die junge Frau den Jungen einen Moment, als versuche sie herauszufinden, wie ehrlich dessen Angebot gemeint war, dann verneigte sie sich leicht, während sie erwiderte: „Ich danke dir.“
 

Misstrauisch hatte Hesira das Ganze aus den Augenwinkeln verfolgt, konnte jedoch nichts entdecken, was darauf hinwies, dass die Frau aus der Pharaonenstadt sich über Atoti lustig machte oder in irgendeiner anderen Weise versuchte sie hinters Licht zu führen. Verunsichert rutschte Hesira ein wenig in und her, bemüht eine bequemere Sitzposition zu finden, dabei aufmerksam zuhörend, was Atoti über die Nacht des Überfalls berichtete.
 

Inenek und Atoti waren gerade ins Bett geschickt worden, als plötzlich der Ruf „Feuer“ durch das Dorf geklungen war und dessen Einwohner aus der nächtlichen Ruhe aufschreckte. Atotis Vater war hinausgelaufen, um bei den Löscharbeiten zu helfen, seitdem hatten die Kinder ihn nicht wiedergesehen. Atotis Mutter hatte unterdessen hastig das Notwendigste in einem Tuch zusammengepackt und war anschließend mit einem Kind an jeder Hand aus dem Dorf geflüchtet, damit sie nicht Opfer der Flammen würden, sollte es den Männern nicht gelingen es unter Kontrolle zu bekommen.
 

Doch die Hoffnung auf Sicherheit wurde sehr schnell zerstört, als sie sahen wie außerhalb des Dorfes ein kleiner Trupp Reiter wahllos auf alles einhieb, was versuchte aus dem Ort zu fliehen. Gleichgültig ob es sich dabei um Männer, Frauen, Kinder oder Alte handelte, sie wurden ohne Gnade hingemetzelt oder niedergeritten. Nicht einmal vor dem Vieh der Bauern machen die Reiter halt, während sie dabei johlten und grölten als wären sie auf einer besonders erfolgreichen Jagdgesellschaft.
 

Den Kindern blieb keine Zeit zu begreifen, was gerade geschah, als ihre Mutter plötzlich Ineneks kleine Hand in die Atotis legte und ihm befahl: „Lass die Hand deiner Schwester nicht los und lauf mit ihr so weit du kannst.“ So dringlich hatte die Stimme der Mutter geklungen, dass Atoti nicht gewagt hatte zu widersprechen, sondern nur die Hand seiner Schwester fester packte und nach einem letzten, Bestätigung erheischenden Blick zu seiner Mutter, dass sie blad nachkommen würde, losgelaufen war. Aber Inenek war zu klein und zu müde, als dass sie schnelles Laufen lange durchgehalten hätte und so nahm Atoti sie schließlich auf den Rücken, um schneller vorwärts zu kommen. Suchend hatte er bei dieser Gelegenheit einen Blick zurückgeworfen, in der Hoffnung seine Eltern zu entdecken. Statt seiner Eltern sah er jedoch einen der Reiter viel zu schnell auf sich zu kommen, ohne dass es weit und breit eine Möglichkeit gegeben hätte sich zu verstecken. Starr vor Angst hatte Atoti nur zusehen können, wie der Reiter näher kam.
 

Erst das leise Wimmern Ineneks löste die Erstarrung, Atoti warf sich herum und begann zu rennen, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Aber so sehr er sich auch beeilte, wie sehr er sich auch anstrengte den sich nähernden Hufen und dem Schnauben des Pferdes zu entkommen, es genügte nicht. Er war einfach nicht schnell genug, In einem letzten, verzweifelten Versuch sprang er schließlich hastig zur Seite, um nicht von den Hufen des Tieres zertrampelt zu werden. Aber das genügte nicht dem Schwert des Reiters zu entkommen. Das wurde ihm klar, als er plötzlich seine Schwester aufschreien hörte und gleich darauf eine warme, klebrige Flüssigkeit langsam begann über seine Arme zu rinnen und zu Boden zu tropfen.
 

Atoti war überzeugt gewesen, dass es kein Entkommen mehr gab, der Mann würde ihn und seine Schwester töten und es gab niemanden, der das verhindern würde. Doch das Wunder geschah: Bewaffnet mit einem Dreschflegel preschte Hesira auf einem Pferd heran, dass er einem der Angreifer abspenstig gemacht hatte. Ohne zu zögern stürzte er den fremden Reiter mit Hilfe seiner Waffe vom Pferd, sodass dieser ohnmächtig liegen blieb. Dann befahl Hesira Atoti hastig ihm Inenek zu überlassen und auf das nun herrenlose Pferd zu steigen. Gleich darauf ritten sie in wildem Galopp, ohne noch einmal zurückzusehen auf und davon. Erst als sie weit genug vom Dorf und dessen Schrecken entfernt waren, legten sie eine kurze Rast ein, um notdürftig Ineneks Wunde zu versorgen, bevor sie ohne weitere Unterbrechung ihre Reise nach Gebtiu fortsetzen.
 

Wieder herrschte Schweigen, nachdem Atoti seinen Bericht beendet hatte. Nachdenklich betrachtete Merenseth das bewusstlose, kleine Mädchen. Es machte seinem Namen alle Ehre. Dass es trotz seiner Verletzung noch immer lebte, zeugte von einem zähen Überlebenswillen. Dennoch, ihre Lebenskraft schwand mehr und mehr, es würde nicht mehr lange dauern und es gäbe ein weiters Opfer des Überfalls zu beklagen. Es gab keine Worte die den Verlust für Atoti erträglicher machen würden und so zog es die Vogelfrau vor, sich weiter auf ihren Auftrag zu konzentrieren, indem sie sich erkundigte, ob Atoti oder Hesira ein Mann aufgefallen war, auf den die Beschreibung Karims passte.
 

Doch sowohl der Mann als auch der Junge schüttelten verneinend die Köpfe. Allerdings erklärte Hesira nach einem Moment zögernd, als würde er seiner plötzlich Hilfsbereitschaft selbst nicht trauen: „Da war ein weißhaariger Mann. Er saß etwas Abseits auf einem Stein, hatte die Arme verschränkt und völlig gelassen zugesehen…“, noch immer war Hesira die Fassungslosigkeit über das Verhalten des Fremden anzuhören. Für einen Moment verstummte er darauf, als müsse er sich erst wieder sammeln, und fuhr dann fort: „Aber nicht nur das war seltsam. Er hat ziemlich dicht am Feuer gesessen, ohne es überhaupt zu bemerken oder zu fürchten, dass man ihn erkennen oder töten könnte.“

„Wie alt war der Mann? Konntest du sehen, ob er ein Amulett oder etwas Ähnliches trug?“, fragte Merenseth leise und sachlich, während sie sich bemühte ihre plötzliche innere Anspannung und Unruhe nicht offenkundig werden zu lassen. „Älter als du, jünger als ich“, erwiderte Hesira auf die erste Frage seines Gastes und fügte hinzu: „Mehr kann ich nicht sagen, sein Alter war schwer zu schätzen.“ Wieder schwieg er einen Augenblick, rang mit sich oder versuchte seine eigenen Erinnerungen zu verstehen, dann begann er wieder zu berichten: „Als ich aus dem Dorf geflüchtet bin, musste ich direkt an ihm vorbei. Ich hatte Angst, dass er mich umbringen würde und so dachte ich, wenn ich ihn zuerst angreife, dann habe ich zumindest eine kleine Chance zu überleben… Er hat mich zur Seite gestoßen, als wäre ich ein kleiner Junge, mich nicht einmal angesehen. Aber gesprochen hat er, langsam und träge, als würde er halb schlafen. ‚Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege und dich doch noch töte’, hat er gesagt, ‚und vergiss nicht, dass der König schuld an euerm Leid trägt. Würde er seine Aufgabe besser erfüllen, wären wir nicht gezwungen das zu tun.’ – Er hat gelächelt. Während er in die Flammen gestarrt hat und den Schreien zuhörte, hat er gelächelt! Er hat es genossen uns leiden zu sehen!“ Hesiras Stimme bebte vor fassungslosem Entsetzen, während er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte.
 

Jetzt wäre Merenseth gern unruhig hin und hergerutscht, hätte liebend gern ihre Vogelgestalt angenommen, um davon zufliegen und all das hinter sich zu lassen, frei von allem was mit den Menschen zu tun hatte, Kummer bereitete, lähmte, hilflos machte. Sie blieb wo sie war und wiederholte schließlich nur leise ihre Frage nach dem Amulett. Einen Augenblick schien Hesira sie anklagend anzusehen, dann jedoch wandte er den Blick ab, dachte kurz nach und nickte schließlich. „Ich weiß nicht, ob es tatsächlich ein Amulett war, aber er trug eine seltsame Kette. Das heißt, eigentlich war es ein goldener Reif mit einem Udjatauge in der Mitte, den er an einer einfachen Schnur um den Hals getragen hat.“
 

Aufmerksam hatte Merenseth den Worten Hesiras gelauscht, möglicherweise hatte sie gerade die Antwort darauf gefunden, warum der noch immer namenlose Anführer damals den Angriff des weißen Dämons überlebt hatte. Gegenüber Hesira erwähnte sie jedoch nichts dergleichen, sondern bedankte sich lediglich für dessen Auskunft und erkundigte sich, ob Atoti oder Hesira noch von weiteren Überlebenden aus ihrem Dorf wussten, die Merenseth aufsuchen und befragen konnte.

„Komm morgen wieder her, ich werde sie fragen, ob sie mit dir reden wollen“, gab Hesira zur Antwort, wieder zu seiner widerspenstigen Haltung zurückkehrend, als täte es ihm bereits leid einer Abgesandten des Königs geholfen zu haben. Merenseth schien von diesem Verhalten noch immer völlig unberührt, neigte lediglich leicht den Kopf und erhob sich anschließend, sich zugleich verabschiedend.
 

Als sie am nächsten Tag wiederkehrte, erwarteten sie in dem Haus mit der Töpferwerkstatt nicht nur Hesira und Atoti, sondern noch fünf weitere Dorfbewohner, die offenbar bereit waren mit ihr zu reden. Jeder von ihnen schien sich davor zu fürchten das Erlebte wiederzugeben, als würden sie es auf diese Weise noch einmal erleben müssen. Zugleich schienen sie zu hoffen, dass ihre Berichte dazu beitrugen dem Schrecken endlich ein Ende zu setzen. Keiner von ihnen hatte einen Mann gesehen, auf den die Beschreibung Karims passte, zwei weitere Männer jedoch hatten wie Hesira den weißhaarigen Mann gesehen, der dem Überfall in aller Seelenruhe beigewohnt hatte, als wäre es ein eigens für ihn inszeniertes Schauspiel.
 

Merenseth hatte sich am Tag zuvor, nach ihrem Gespräch mit Hesira und Atoti, Papyrus, Binsenstift und Tusche besorgt, die Berichte des Mannes und des Jungen aufgeschrieben. Ebenso machte es sie mit den fünf weiteren Aussagen, die sie zu hören bekam, sich deren Inhalt anschließend mit Unterschrift oder Daumenabdruck bestätigen lassend.
 

Nachdem Merenseth schließlich alle Berichte gehört und aufgeschrieben hatte, war es an der Zeit aufzubrechen. Etwas gab es jedoch, was sie zuvor noch erledigen musste.
 

Es war gegen Abend, der wolkenlose Himmel erglühte im Rot der untergehenden Sonne, vor dem sich ein wenig heller die glutfarbene Silhouette eines zierlichen Vogels abzeichnete, der ruhig auf dem Dach der Töpferwerkstatt saß, den Blick abwartend auf eine Fensteröffnung des angrenzenden Wohnhauses gerichtet. Der Vogel hatte bereits eine Weile stumm und reglos auf dem Dach gesessen, bevor er plötzlich leicht den Kopf hob und leise zu singen begann. Ein Lied unwiderruflichen Abschieds, das zugleich Versprechen und Trost enthielt.
 

Das Lied des Benu war noch nicht zur Hälfte verklungen, als die durchscheinende, helle Gestalt einer Grasmücke aus dem Haus geflogen kam, dem noch immer singenden Benu einen kurzen Gruß zu zwitscherte, sich anschließend Richtung Westen wandte und sich innerhalb von Sekunden im Licht der untergehenden Sonne verlor.
 


 

Post scriptum der wahrheitsgemäßen Vollständigkeit

Onkel: Die Verwandtschaftsbezeichnungen im alten Ägypten waren – so weit bekannt – nicht sehr genau. So gab es offenbar keine eigene Bezeichnung für Onkel und Tante, was es etwas schwierig macht, die Verwandtschaften nachzuvollziehen. Der Verständlichkeit halber (und meiner Bequemlichkeit) habe ich mich entschieden die entsprechenden Bezeichnung dennoch zu verwenden, zumindest im Erzähltext.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hotepneith
2009-09-14T17:27:59+00:00 14.09.2009 19:27
Oh...das Mädchen------
Möge sie auf ewig in den Feldern des Schilfes leben.
Wunderschön geschrieben.

Und der/die gute Benu entpuppt sich als recht geschickter Ermittler. Das klingt nicht gut - und nach einer massiven Intrige gegen den König. Karim ist jedenfalls nicht weisshaarig.., andererseits ist ein Feuervogel als Ermittler nicht so unbedingt gerichtsfähig.

Ich bin neugierig, wie es weitergehen wird.

bye
hotep


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