Zum Inhalt der Seite

Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vater und Sohn

Als Merenseth in den unterirdischen Flur zurückkehrte, war der Kampf bereits zu Ende. Die Antilope wieder verschwunden und der Stier nicht mehr in der Lage Seth daran zu hindern die einzige Tür im Gang zu öffnen.
 

Das zu Beginn so lautstarke Gebrüll war beinahe vollständig verstummt, nur noch ab und zu schwappte ein dumpfes, wütendes Grollen durch den Gang, verlor sich nur allzu schnell zwischen Fußboden und Decke, ehe es die Treppe erreichen konnte.
 

Was Seth und Merenseth zu sehen bekamen, als sie den Raum betraten, war Akunadin. Der Tjt stand angespannt und schweißüberströmt nahe der Mitte des Raumes und bemühte sich ein weißes, schuppiges Wesen mit langem Schwanz und fledermausartigen Flügeln unter Kontrolle zu halten. Der Körper des Wesens lag in einem schützenden Ring um eine am Boden kauernde weißhaarige Gestalt, die ihr Gesicht zwischen den angezogenen Beinen barg und sich die Ohren zuhielt, in der vergeblichen Anstrengung, das wütende Grollen des weißen Dämons neben sich nicht hören zu müssen.
 

Der Tjt wirkte erleichtert, als er die Ankunft seines seinen Schülers bemerkte, „du kommst gerade rechtzeitig. Der Dämon ist zu mächtig. Übernimm meinen Platz, damit ich mich etwas ausruhen kann.“ Dann entdeckte Akunadin Seths Begleitung und fragte herrisch: „Wer ist das? Sie hat hier nichts zu suchen, es ist zu gefährlich! Sie soll gehen, sofort!“

„Sie bleibt“, erwiderte Seth nur entschieden, während er Akunadin keines Blickes würdigte, sondern auf das Mädchen in dem Bannkreis starrte, das beim Klang seiner Stimme ruckartig aufgesehen hatte und mit verweintem Gesicht, aber sichtlich erleichtert hervorbrachte: „Seth! Ich wusste, dass du kommst. Hilf mir, bitte. Ich habe nichts getan. Es macht mir Angst.“ Mit „es“ war offenbar das Echsenwesen gemeint, das noch immer wie ein Schutzwall um Kisara lag, während diese sich ganz offensichtlich bemühte diesem seltsamen Wesen nicht zu nahe zu kommen.
 

Es erstaunte den jungen Priester, dass es Kisara gelungen war, ausgerechnet dieses Mal bei Bewusstsein zu bleiben. Er hatte bisher nur erlebt, dass der Dämon in ihrer Seele erwachte, wenn sie ohnmächtig war. - Aber das ließ sich auch später noch klären. Sofern es ein später gab.

Ohne auf die erneute Forderung Akunadins einzugehen, dessen Platz einzunehmen, um den Dämon unter Kontrolle zu halten, blieb Seth wo er war und fragte stattdessen mit schneidender Stimme: „Warum ist sie hier?“ Sein Tonfall stand in so vollkommenem Gegensatz zu dem, was Akunadin und Kisara von ihm gewöhnt waren, dass beide ihn für einen Moment verblüfft anstarrten. Im nächsten Moment zeichnete sich im Gesicht des Mädchens verzagte Unsicherheit ab, gleichzeitig runzelte der Tjt verärgert die Stirn und erwiderte in einem Tonfall, der dem seines Schülers in nichts nachstand: „Das sollte offensichtlich sein. Ich treibe ihren Dämon aus. Sie hat den Verstand verloren, wie alle in der Stadt, und völlig ohne Grund Meresankh angegriffen. Ich kann nicht zu lassen, dass so jemand frei über ein derart mächtiges Wesen gebietet.“

„Das ist nicht wahr!“ weinte Kisara, sich gleichzeitig mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht wischend, „ich habe niemanden getötet. So etwas würde ich niemals tun und du hattest sie doch gern.“

Seths Gesichtsausdruck wurde, wenn möglich, noch ausdrucksloser und verschlossener, während er Kisara nur einen kurzen Blick zu warf, der diese schuldbewusst zusammenzucken und den Kopf senken ließ.
 

Akunadins ausgestreckte Arme hatten inzwischen begonnen vor Entkräftung zu zittern. Lange würde er den Bann nicht mehr aufrecht erhalten können. Um davon abzulenken, erklärte an Seth gewandt mit einer Stimme, der es gelang die Erschöpfung hervorragend zu kaschieren: „Glaube, was du willst. Ich habe es gesehen. Ich werde nicht zulassen, dass das Königshaus weiterhin einer solchen Gefahr ausgesetzt wird.“ Damit begann er die uralten Formeln zu intonieren, die notwendig waren, um einen Dämon aus der Seele eines Menschen zu trennen.
 

Unbeachtet von den Anderen, hatte sich Merenseth derweil dem Bannkreis genähert, ohne ihn zu berühren. Er war offensichtlich von einem Meister seines Faches gemacht worden und jede Berührung mit ihm hätte sie zu einem hilflosen Kücken werden lassen. So kniete sie schließlich vor dem Kreis, auf Augenhöhe mit dem Dämon, ihn ruhig betrachtend, während er drohend die Lefzen zeigte und ein weiteres missmutiges Grollen hören ließ, das im gleichen Augenblick abbrach, als Akunadin mit der Austreibung begann.
 

Wütend richtete sich das Wesen in Sekundenbruchteilen zu seiner vollen Größe auf, spreizte die Flügel, fauchte, kreischte, zischte in einem Atemzug und in ohrenbetäubender Lautstärke. Hieb mit den Klauen nach seinem Peiniger, ohne in der Lage zu sein, ihm nahe zu kommen. Versuchte ihn mit all seiner Macht und Magie einzuschüchtern, von seinem Tun abzuhalten und musste doch erkennen, dass er keinen Erfolg hatte. In seiner Frustration kreischte der Dämon noch lauter, drehte sich in rasender Welt um sich selbst, versuchte den Bannkreis zu durchbrechen. Dann erstarrte das Wesen plötzlich reglos mitten in der Luft. Begann, ganz langsam, immer blasser und durchscheinender zu werden, sich immer schneller aufzulösen und zu verschwinden.
 

Zitternd vor Angst hatte Kisara versucht sich so klein wie möglich zu machen. Der verzweifelte Versuch die Aufmerksamkeit des vor Zorn rasenden Dämons nicht versehentlich auf sich zu lenken. Die Arme schützend um ihren Kopf gelegt, die Augen geschlossen, liefen ihr noch immer die Tränen über das Gesicht, bewegte sie unablässig die Lippen in dem stummen Flehen jemand möge sie endlich aus diesem Albtraum befreien. Hin und wieder zuckte sie erschrocken zusammen, wenn sie spürte, dass der Dämon ihr zu nahe kam und versuchte sich noch kleiner zu machen, als es überhaupt möglich war, um nur nicht mit diesem Schrecken in Berührung zu kommen.
 

Lautlos und noch immer unbeachtet war Merenseth wieder an die Seite Seths zurückgekehrt, während dieser mit grimmig verschlossener Miene abwechselnd zwischen Kisara und Akunadin hin und her sah, fest die Zähne aufeinander beißend. Er hätte Akunadin gern daran gehindert die Austreibung durchzuführen. Aber einmal begonnen, musste sie zu Ende geführt werden. Andernfalls würde zuerst der Mensch, der dem Dämon als Wirt diente und anschließend jedes in der Nähe befindliche Wesen getötet werden, bis der Zorn des Dämons verraucht war - oder es einem Priester gelang ihn unter Kontrolle zu bringen und in eine Art Zwischenreich zu bannen, von wo der Dämon jederzeit gerufen werden konnte; gezwungen jedem zu dienen, der seinen Namen kannte.
 

„Sie wird sterben“, erklärte Merenseth leise, sobald sie wieder neben dem jungen Priester stand.

„Nur wenn er einen Fehler macht“ Seth ließ unausgesprochen, dass der Tjt nie einen Fehler machte.

Merenseth jedoch schüttelte den Kopf, „sie wird auch sterben, wenn der Tjt keinen Fehler begeht. Kaiphas ist entschlossen eher sich selbst und seinen Wirt zu töten als sich von einem Menschen in die Knechtschaft zwingen zu lassen.“

Leicht fassungslos wandte Seth der neben ihm stehenden Vogelfrau das Gesicht zu, während ihm gleich mehre Fragen auf einmal durch den Kopf schossen, die er aber ebenso auf später verschob wie die Frage nach Kisaras fehlender Bewusstlosigkeit. Stattdessen verlangte er nur nach einem Moment des Schweigens zu wissen: „Was kann ich tun?“

„Geh in den Bannkreis, halte ihre Hände und sage ihren Namen. Alles andere liegt bei ihr.“

Ungläubig starrte Seth auf die Vogelfrau hinab. „Ich soll was?!“

„Dich besser beeilen, wenn du ihr noch helfen willst“ erwiderte Merenseth ruhig, ohne jeden Anflug von Ironie oder Spott, während sie auffordernd in Richtung Bannkreis nickte. Als Seth dem Hinweis folgend seinen Blick wieder auf Kisara richtete, sah er, dass diese still und blass auf dem Boden lag, die weißen Haare um sich gebreitet wie einen Fächer, während über ihr eine weiße, durchscheinende Taube schwebte, die ab und zu mit den Flügeln schlug und alles in allem ziemlich verwirrt wirkte, als verstünde sie nicht, wie und warum sie in diesen Raum gelangt war.
 

Auch Akunadin hatte beobachtet, wie sich das Mädchen in plötzlichem Schmerz aufbäumte als der Dämon sich aufgelöst hatte. Wie sie gleich darauf wie ein gefällter Baum zu Boden stürzte und reglos liegen blieb, während ihr Ba sich allmählich aus ihrem Körper löste. Unwillkürlich schnaufte der oberste Priester erleichtert, fast war es geschafft. Bald würde auch dieser Dämon zu seinen Waffen zählen.

Er musste jedoch schnell feststellen, dass etwas ganz und gar nicht so ablief wie es sollte. Statt dass sich die Seele zunächst scheinbar verdoppelte und sich anschließend eine von ihnen in den Bewohner der eigentlichen Seele wandelte, passierte in diesem Fall zunächst einmal gar nichts. Nur die Taube begann immer heftiger mit den Flügeln zu schlagen, dabei ängstlich gurrend. Plötzlich wurde in dem durchscheinenden Gefieder am Bauch des Vogels ein dunkler Riss sichtbar, der schnell größer und breiter wurde, während aus dem Inneren des Vogelkörpers ein immer greller werdendes Licht hervorbrach, das nach und nach seine gesamte Umgebung in blendende Helligkeit tauchte.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken, ob tatsächlich funktionieren konnte, was Merenseth vorgeschlagen hatte oder ob es einfach nur eine verdammt dämliche Idee zur falschen Zeit war, beeilte sich Seth hastig in den Bannkreis zu gelangen.

Etwas, dass ihm ohne Probleme möglich war, wie er erstaunt registrierte, während er sich bereits neben das bewusstlose Mädchen kauerte, dessen Hände mit seinen packte und kategorisch befahl: „Kisara, wach auf!“
 

„Was…?“ brachte Akunadin nur völlig überrumpelt hervor, während er gezwungen war zu zusehen, wie sein Schüler seine Pläne durchkreuzte. Dass der Junge seinen Bannkreis betreten konnte, war nicht weiter verwunderlich, in seiner Seele wohnte kein Dämon, der ihm hätte Probleme bereiten können. Aber das war auch nicht der Punkt. Sondern viel mehr: Was fiel dem Jungen ein, sich einfach gegen ihn zu stellen?!

Dann musste der Tjt mit ansehen, wie sich das Licht wieder in das Innere der Taube zurückzog. Der Riss sich schloss und das Ba in den Körper des Mädchens zurückkehrte, während Seth seinen Befehl im Kommandoton noch ein, zwei Mal wiederholte.

Der alte Priester entspannte sich ein wenig, vielleicht war es doch keine so schlechte Idee des Jungen gewesen einzugreifen. Der Widerstand des Dämons den Akunadin die ganze Zeit gespürt hatte, ließ merklich nach, als würde sich das Wesen allmählich beruhigen und sein Schicksal endlich akzeptieren. Jetzt sollte es ihnen eigentlich gelingen, sich den Dämon dienstbar zu machen.
 

Im nächsten Augenblick bäumte sich Kisara plötzlich wieder auf, den Rücken so weit durchgestreckt, dass man meinen konnte ihn bereits gefährlich knacken zu hören. Augen und Mund waren weit aufgerissen, während etwas wie Nebel sich mit rasender Geschwindigkeit aus ihrem Körper löste, auf Seth zuschoss, auf dessen Körper traf und ihn mit unglaublicher Wucht von den Füßen riss, aus dem Bannkreis und durch das Zimmer schleuderte.

Es blieb keine Zeit sich darüber zu wundern, wie etwas scheinbar völlig Substanzloses eine solche Kraft entwickeln konnte, noch blieb Zeit sich mit dem Gedanken abzufinden jeden Moment mehr als nur unsanft engere Bekanntschaft mit der nächsten Zimmerwand zu schließen, als der Flug auch schon ebenso abrupt endete, wie er begonnen hatte.

Statt gegen harte Lehmziegeln, stieß Seths Kopf plötzlich gegen etwas Weiches, Warmes. Fühlte er an seinen Wangen das sanfte Kitzeln wohlvertrauter Federn, spürte wie sich je vier Krallen schmerzhaft in seine Schultern bohrten und kräftige Flügelschläge die Luft in Bewegung versetzten.
 

Sobald der junge Priester wieder auf seinen eigenen Füßen stand, verlangte er wenn auch noch etwas wacklig so doch gekonnt energisch zu wissen: „Was war das?“

„Kaiphas“, erwiderte Merenseth, die wieder in ihrer Menschengestalt neben ihm stand; Beide den fassungslos starrenden Akunadin vollkommen ignorierend.

Sowohl verärgert als auch verwirrt runzelte Seth die Stirn, „er hat versucht mich zu töten.“ Merenseth schüttelte den Kopf, „er hat seinen Wohnort gewechselt.“ In diesem Augenblick wirkte Seth nicht weniger fassungslos als Akunadin und hob unwillkürlich eine Hand, um sie anzustarren, als könnte er auf diese Weise überprüfen, ob die Worte Merenseths tatsächlich wahr waren. Aber er fühlte sich kein bisschen anders als vor dem Zusammenstoß und schien auch nicht anders auszusehen, zumindest verwandelte sich seine Hand nicht plötzlich in eine Klaue. Aber der Gedanke, dass in seiner Seele Etwas wohnte, was da eigentlich nicht hingehörte, gab ihm das unangenehme Gefühl über sein Herz kratzen zu müssen, um dieses Etwas wieder los zu werden.
 

„Warum?“ murmelte er mehr zu sich selbst, als zu Merenseth, dennoch erhielt er von ihr zumindest teilweise eine Antwort darauf. „Dämonen gefällt die Weite der menschlichen Seele, dort sind sie frei. Für ihn war es die einzige Möglichkeit dem Bannkreis zu entkommen.“ Das Stichwort Bannkreis ließ Seth zu Kisara blicken, die wie zuvor leblos am Boden lag. Wie hatte er mit einem Dämon den Kreis durchbrechen können? Das ergab keinen Sinn. - Wie so Einiges in letzter Zeit.
 

Plötzlich glitt sein Blick ins Leere, kehrte sich nach Innen, als aus den Tiefen seiner Seele begannen Bilder an die Oberfläche zu steigen. Bilder, die nicht seiner Erinnerung entstammten, sondern der Kisaras, die anscheinend bei Kaiphas überstürztem Umzug mitgerissen worden waren und die Seth kein bisschen gefielen.
 

„Kümmer dich um Kisara“, es klang ruhig, bar jeder Emotion. Die gesamte Aufmerksamkeit Seths war nun auf Akunadin gerichtet, dessen Arme herabgesunken waren und der misstrauisch die Vorgänge beobachtet hatte. Sobald er bemerkte, dass er die volle Aufmerksamkeit Seths besaß, straffte er sich, streckte die Schultern durch und nahm innerhalb von Sekunden wieder die vertraute Pose des obersten Priesters an, der alles im Griff hat.
 

„Du hast sie getötet.“ Hass schwang in dieser Feststellung mit, zurückgehalten einzig und allein durch die Achtung die Seth über die Jahre gelernt hatte seinem Lehrer entgegen zu bringen und die sich nicht einfach ablegen ließ.

„Wenn jemand Schuld an ihrem Tod ist, dann du. Du weißt, dass eine Austreibung nicht unterbrochen werden darf und trotzdem bist du eigenmächtig in den Bannkreis getreten.“

„Ich rede von Meresankh.“

Für einen Moment schwieg Akunadin überrascht, dann erwiderte ruhig: „Dein Verstand ist verwirrt, deshalb werde ich diese falsche Beschuldigung als nicht gesagt betrachten.“ Damit wollte sich der Tjt abwenden und den Raum verlassen, die eisige Stimme Seths ließ ihn jedoch wieder inne halte. „Du hast hier auf sie gewartet. Als sie zusammen mit Kisara die Treppen heruntergekommen ist, hast du deinen Dämon gerufen, um zu verhindern dass sie davon laufen. Dann hast du Meresankh das Messer in die Brust gestoßen und Kisara hier in das Zimmer gezerrt. Der Dämon hatte den Auftrag vor der Tür Wache zu halten. – Warum? Damit du nicht gestört wirst bist du mit der Austreibung fertig bist?“

„Ein Dämon als Wächter ist die übliche Form anzuzeigen, wenn eine Austreibung vorgenommen wird.“ Eisige Herablassung lag in den Worten Akunadins, während er seinen Ankläger auf diese Weise zurechtwies. Unausgesprochen mitklingen lassend, dass Seth diese simple Tatsache nach seinen Studien eigentlich zu wissen hätte.

„Ist es auch üblich Menschen grundlos niederschlagen zu lassen?“ Seths Stimme klang ätzend, ohne dass sie einen sichtbaren Eindruck bei Akunadin hinterließ.

„Ich weiß nicht wovon du redest“ erwiderte dieser gleichgültig und ergänzte: „Ich habe genügend Zeit mit dir verschwendet, es gibt im Moment wesentlich Wichtigeres zu tun.“ Zielstrebig schritt Akunadin Richtung Tür, nicht gewillt sich noch länger von diesem Jungen aufhalten zu lassen. Er kam jedoch nicht weit, denn plötzlich kauerte in der Tür ein riesiger Hund, ruhig und ausdruckslos.

„Was soll das?!“ Akunadin war wütend herumgefahren, sein Blick schien sich in den Seths zu bohren, ihm seinen Willen aufzwingen zu wollen.

„Ich will die Wahrheit“ erwiderte Seth mit der Entschlossenheit dessen, der sich im Recht weiß.

„Die Wahrheit“ murmelte Akunadin leise, mit einem Gesichtsausdruck als würde er auf etwas Bitteres beißen. Er wusste, dass er sich noch nicht genug erholte hatte, um selbst einen Dämon zu rufen und dieser lächerlichen Farce ein Ende zu setzen. Aber er wusste auch, dass Seth in diesem Moment nur schwer zu überzeugen wäre, seine Sicht der Dinge zu teilen. Am besten würde er wohl mit einer Teilwahrheit beginnen.

Mit wiedergewonnener Selbstbeherrschung und stolzer Haltung erklärte der oberste Priester schließlich ruhig, nachdem er sich erneut vollkommen seinem Schüler zugewandt hatte: „Ich habe herausgefunden, dass Meresankh es war, die die Kette Karims entwendet hat. Sie hatte also Verbindungen zu den Aufständischen und wollte offenbar den Dämon des Mädchens dafür benutzen die Rebellen zu unterstützen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als so zu handeln, um sie noch rechtzeitig aufzuhalten.“

Ungläubig hatte Seth diesen Worten gelauscht und wollte schon ablehnend den Kopf schütteln, als Akunadin hinzufügte: „Glaube nicht, dass es mir leicht gefallen ist. Ich habe sie über Jahre gekannt, ich habe ihr vertraut. Sie war eine außergewöhnliche Frau…“ Eine kurze, bedeutungsschwere Pause, die Seth unwillkürlich das Blut ins Gesicht trieb, dann fügte Akunadin, langsam und deutlich hinzu: „Aber ich konnte nicht zulassen, dass sie Kemet Schaden zufügt.“

Noch immer wirkte Seth wie betäubt, während Akunadin ihn einen Moment prüfend betrachtete und dann mit erstaunlicher Freundlichkeit fragte: „Bist du nun zufrieden, mein Sohn? Können wir uns jetzt um die Rettung Kemets kümmern?“

Seth Kopf ruckte hoch und er starrte Akunadin feindselig an, während er in trotziger Ablehnung erwiderte: „Ich bin nicht dein Sohn.“

Akunadin lächelte begütigend und widersprach: „Ich gebe zu, dass das nicht gerade der beste Zeitpunkt ist, um diese Frage zu klären. Aber du bist tatsächlich mein Sohn. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, dich und deine Mutter verlassen zu haben. Aber mein Bruder brauchte mich. Ich hatte geplant euch nachzuholen, sobald es mir möglich wäre, aber als ich einen Trupp Berittener schickte, die euch sicheres Geleit geben sollten, war deine Mutter in den Flammen gestorben und du spurlos verschwunden. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für mich bedeutete, dich so plötzlich in der Priesterschule wiederzusehen.“
 

Dass der Anführer des erwähnten Reittrupps Ninetjer war, der statt sich an die Verabredung zu halten, Seth in die Hauptstadt zu bringen, sich lieber von dem Gaufürsten dafür bezahlen ließ ein illegales Abrißunternehmen durchzuführen, verschwieg Akunadin lieber.

Genauso wie die Tatsache, dass er plante seinen Sohn auf den Thron zu setzen. Atemu war ebenso schwach wie es sein Vater gewesen war. Sie hatten die Herrschaft nicht verdient.

Er selbst konnte den Thron nicht besteigen, ohne jede Menge Zeit und Kraft darauf zu verschwenden seine Gegner und Zweifler zum Schweigen zu bringen. Sein Sohn war die perfekte Lösung. Er hatte ihm alles beigebracht, was er brauchte um ein starker, fähiger Herrscher zu werden. Niemand außer ihnen beiden wusste noch von der Verwandtschaft zwischen ihnen, sodass es keine Gerüchte über Verwandtenmord und somit eine beachtliche Zahler Gegner weniger geben würde. Atemu würde während der Unruhen sterben, sodass auch in der Hinsicht keine Zweifel aufkommen würden. Der Antritt seiner Nachfolge durch einen seiner Vertrauten erschien allein schon dadurch gerechtfertigt, dass es keine anderen Anwärter gab, wenn er selbst, Akunadin, in selbstloser Großmut darauf verzichten würde.
 

Aufmerksam hatte der Tjt die Wirkung seiner Worte beobachtet und musste ein siegesgewisses Lächeln unterdrücken, als er sah, wie Wut und Entschlossenheit Seths angesichts der Neuigkeiten, die er gerade erfahren hatte, spröde wurden, brachen und in sich zusammenfielen. Wie stattdessen Unsicherheit, Schuld und Zweifel in Blick und Haltung zu lesen waren. Er hatte es geschafft. Nichts band Menschen stärker, als das Gefühl im Unrecht gewesen zu sein und ihr Bedürfnis danach, diesen Fehler wieder gut zu machen. Er würde sich um den Jungen keine Sorgen mehr machen müssen, jetzt gehörte er ihm.
 

„Warum hast du deine Familie nicht schon Jahre vor dem Brand zu dir kommen lassen? Das Land war friedlich, es hätte dich nur einen Befehl gekostet sie zu dir zu holen und dafür zu sorgen, dass es ihnen an nichts fehlt. Warum hast du Meresankh mit einem Messer erdolcht, wie es die Dienerinnen im Harem für die Zubereitung von Obst verwenden? Warum hast du es aussehen lassen, als hätte Kisara Meresankh ermordet, wenn es eine gerechtfertigte Strafe war? Und wenn Meresankh fähig war eine Austreibung vorzunehmen, warum hat sie dann nicht einen Dämon gerufen, als du sie im Keller überrascht hast? Woher wusstest du, dass sie auf dem Weg in den Keller war, wenn du doch vorhattest in der Stadt die Dämonenpriester zu unterstützen?“ Merenseth stand zwischen Kisara und den beiden Männern, der lächerlich wirkende Versuch eines Schutzschildes, während sie ruhig, beinahe freundlich diese Fragen stellte, die doch wie gefährlich spitze Nadeln auf bloße Haut trafen.
 

Es schien als müsse Akunadin mühsam einen Fluch unterdrücken, bevor er schließlich mit der ganzen hochfahrenden Herablassung seines Amtes eine weit unter ihm stehende Person zurechtwies: „Diener reden nur wenn sie gefragt werden.“

„Sie ist kein Diener“ mischte sich nun auch Seth wieder in das Gespräch und erinnerte Akunadin unangenehm daran, dass er hatte beobachten müssen, wie sich diese Frau in einen Vogel und wieder zurückverwandelt hatte. Das Lächeln wirkte krampfhaft, bemüht als der Tjt an seinen Sohn gewandt beschwichtigend erwiderte: „Ich wollte dich nicht beleidigen. – Dass ein so mächtiger Dämon und ein Benu gewillt sind, dir zur Seite zu stehen, kann nur ein Omen sein. Jeder Vater ist wohl davon überzeugt, dass sein Kind etwas Besonderes ist, aber ich habe den Beweis vor Augen. Ich bin sicher, wenn du der Herr Kemets wärst, du würdest deine Macht zum Wohl des Landes einsetzen. Ihm zu neuem Glanz, zu neuer Macht verhelfen.“

Seth runzelte ungehalten die Stirn, „Kemet hat bereits einen König. Er wird tun, was notwendig ist.“

„Einen König, der alle Entscheidungen nur aufgrund von Gefühlen und momentanen Eindrücken fällt?“ Akunadin klang spöttisch, „Einen König, der mehr Ahnung von den Spielen dieses Landes hat, als von den Bedürfnissen der Menschen?“

„Er wird es lernen. Deine Aufgabe ist es ihm dabei zu helfen.“

Akunadin lachte bitter auf, „natürlich. So wie ich seinem Vater geholfen habe. Ich habe gearbeitet, er erntete Ruhm und Dank. Ich werde nicht zulassen, dass ich ein zweites Mal derart missachtet werde.“

„Du, missachtet?“ Seth klang ungläubig, „du hast das höchste Amt nach dem König in diesem Land inne. Viele der Leute verehren dich beinahe wie einen Gott und du glaubst dich ungerecht behandelt?!“

„Das kannst du nicht begreifen, niemand kann das. Aber kannst du wirklich einem König dienen wollen, der deine Fähigkeiten nie vollkommen zu schätzen wissen wird? Für den du immer nur ein nützliches Werkzeug sein wirst und nicht mehr? Dem du gezwungen bist dankbar zu sein, weil er dir einmal geholfen hat? Der dir fortan wie ein Mühlstein am Hals hängt und dich daran hindert zu zeigen, wozu du tatsächlich in der Lage bist?“

Die zornsprühende Rede Akunadins ließ Seths Rücken in der demütigenden Erinnerung daran wie ein niederer Sklave ausgepeitscht worden zu sein, auf die Gnade eines Anderen angewiesen, erneut vor Scham und Schmerz brennen, obwohl die Spuren der Züchtigung schon lange verblasst waren.

Dennoch erwiderte er nur: „Atemu ist der rechtmäßige König und er wird es bleiben.“ Damit schien für Seth die Sache erledigt zu sein und er wandte sich ab, um nach Kisara zu sehen, zugleich den die Tür versperrenden Dämon wieder entlassend. Vielleicht war es etwas wie ein letztes Aufblitzen eines beinahe verlorenen Verbundenheitsgefühls, dass ihn bereits mit abgewandtem Gesicht zu Akunadin sagen ließ: „Verlass den Palast und kehre nicht zurück. Hochverrat wird nicht einmal dem obersten Priester des Amun verziehen.“
 

Was diese Worte in Akunadin auslösten, war unbändige Wut. Dieser kleine Nichtsnutz wagte es ihn belehren! Ihn!, der dieses Nichts aus der Gosse gezogen und zu dem gemacht hatte, was er war! Ihn, der ihm die Möglichkeit geboten hatte das Land als König zu regieren! Diese Kreatur wagte es tatsächlich seine Autorität infrage zu stellen, seinen bis zuletzt sorgsam ausgeklügelten und durchgeführten Plan kurz vor dessen Vollendung zu durchkreuzen und all die Mühen die er auf sich genommen hatte zu Nichte machen zu wollen, indem er sich ihm verweigerte und sich auf die Seite eines schwachen, erbärmlichen Traumtänzers stellte! Das würde er nicht zulassen. Eher opferte er einen undankbaren, treulosen Sohn, als seinen Plan eines neuen Reiches!
 

Er hatte sich noch nicht genügend erholt, um einen Dämonenkampf durchzuhalten, aber das musste er auch nicht, wenn es ihm gelang Seth lange genug abzulenken.

„Hochverrat?“ Akunadin lachte auf, „du hast keine Beweise dafür. Du bist nur ein Priesterschüler, unbedeutend. Wer sollte dir glauben schenken, wenn du mich beschuldigst.“

Seth hatte sich bei diesen Worten wieder zu Akunadin gewandt, ihn aufmerksam ansehend. „Ich bin sicher, Ninetjer wird nur zu bereit sein zu erzählen, warum er sich mit Sechemib getroffen hat und ob er in deinem Auftrag handelte.“ Gewissheit klang in diesen Worten mit. Die Gewissheit, dass es nicht Ninetjer sein würde, der aus diesem Kräftemessen als Sieger hervorgehen würde. „Und du wirst die Frage beantworten müssen, warum es trotz der Berichte der Gaufürsten über die abgebrannten Dörfer keinen einzigen ernstzunehmenden Versuch gab, die Rebellen gefangen zu nehmen. – Sag mir, Vater“, Seth betonte die Anrede in höhnischem Spott, „als Mutter starb, hattest du da den Befehl gegeben, das Dorf abzubrennen oder warst du nur erleichtert, als du von ihrem Tod hörtest?“ Es war nur eine Vermutung, mehr Ahnung als Gewissheit, das trotzige Aufbegehren eines verlassenen Kindes, die ihn diese letzten Worte äußern ließen und doch hätte er auf diese Frage gern Antwort gehabt. War sein Vater der Mörder seiner Mutter, Menis und all der anderen Dörfler die ihr Leben in den Flammen gelassen hatten? Hatte er all die Zeit einen menschenverachtenden Heuchler als vermeintlichen Retter Kemets geachtet und bewundert?
 

Akunadin machte sich jedoch nicht die Mühe zu antworten. Unbemerkt hatte er sich nah genug an den jungen Priester heranbewegen können, sodass dieser dem Angriff des Dämons würde unmöglich rechtzeitig entgehen können.

Den Dämon zu rufen und ihm den Befehl zum Angriff zu geben war eins.

Seth hatte gerade noch Zeit fassungslos auf die lederartige rotbraune Haut des gehörnten Wesens zu starren, als er im nächsten Augenblick auch schon von den Füßen gerissen wurde und altvertraute Krallen ihn im letzten Moment in Sicherheit brachten.

Allerdings war nun Kisara ohne Schutz und so richtete der Dämon seine Aufmerksamkeit auf dieses näherliegende, wehrlose Opfer.
 

In größter Hast befreite sich Seth aus dem Griff seines Benu und rief seinerseits einen Dämon, um das von Akunadin gerufene Monster aufzuhalten. Sich nur kurz davon überzeugend, dass es dem geflügelten Löwen tatsächlich gelang seinen ebenfalls geflügelten, zweibeinigen Gegner aufzuhalten, wandte er im nächsten Augenblick seine Aufmerksamkeit auch schon Akunadin zu.

Hass, bitter wie Galle, stieg in Seth auf. Machte ihn unempfänglich für die Schwäche des obersten Priesters, der sich nur noch mühsam auf den Beinen halten konnte, je länger der Kampf zwischen den beiden Dämonen dauerte. Der Wunsch diesen Mann, der behauptete sein Vater zu sein, büßen zu lassen, ihn leiden zu sehen kochte hoch wie zähflüssiges Wachs, dass alles Andere ausschloss, unter einer luftdichten Hülle versiegelte, die Wahrnehmung verengte auf den einzigen Gedanken, dass dieser Mann den Tod verdient hatte.

Etwas in seiner Seele schien darauf zu reagieren. Der Dämon erhob sein Haupt, schien Seths Wunsch zu prüfen und für gut zu befinden. Manifestierte sich, ohne dass Seth ihn bewusst gerufen hätte, stürzte sich auf den Tjt und tötete ihn innerhalb eines Wimpernschlags.
 

Mit dem Tod des Tjt, verschwand auch der gehörnte Dämon, den er gerufen hatte.

Mit blassen Lippen, mehr murmelnd als tatsächlich sprechend, entließ Seth den geflügelten Löwen, während sich Kaiphas bereits wieder zurückgezogen hatte, um sich auszuruhen, zufrieden seinen Peiniger strafen zu können.
 

Seth hatte Mühe zu begreifen, was geschehen war.

Kaiphas war erschienen, ohne dass er ihn gerufen hatte, ohne dass er das Bewusstsein verloren hatte.

Er hatte den Willen des Dämon gespürt, hatte das Gefühl gehabt eins mit ihm zu sein, gleichzeitig zwei Wesen gewesen zu sein, die einen Willen, ein Ziel hatten. Da war kein Platz gewesen für Angst, Verunsicherung oder Zögern. Nur der Wusch Rache zu nehmen an dem, der Verrat begangen hatte.
 

Er hatte gerade getötet. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Axthieb. Er hatte seinen Vater ermordet. Er war in die Pharaonenstadt gekommen, um denjenigen zu finden, der sein Dorf auf dem Gewissen hatte. Gefunden hatte er seinen Vater.

Seth fühlte sich, als hätte der Axthieb ihn auf Höhe des Bauchnabels sauber in zwei Hälften gehackt und er würde nun jeden Augenblick auseinander fallen. Gleichzeitig war ihm unglaublich übel. Eine Übelkeit ohne Brechreiz, mehr Ekel vor sich selbst, dem was er getan hatte. Er hatte sich blindlings von einem Wunsch verleiten lassen, ohne die Konsequenzen abzuschätzen. Sich der Möglichkeit beraubt, herauszufinden ob sein Vater tatsächlich Schuld am Tod seiner Mutter war. Ob sein Vater ihn und seine Mutter tatsächlich damals so leicht im Stich gelassen hatte, wie er jetzt versucht hatte, ihn zu töten. Er würde nicht mehr erfahren, warum sein Vater ihn hatte töten wollen, nachdem er sich die Mühe gemacht hatte ihn zu erziehen. Warum er in all den Jahren nie erwähnt hatte, wer er war.
 

Um sich von dem Chaos in seinem Inneren abzulenken, nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, was er getan hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit Kisara zu. Bemüht Merenseth, die wieder in ihrer Menschengestalt an die Seite des weißhaarigen Mädchens zurückgekehrt war, nicht anzusehen. Er konnte es nicht. Fürchtete sich davor, was er in ihrem Gesicht würde lesen müssen.
 

Gerade als er an ihr vorbei neben Kisara in die Hocke gehen wollte, hielt ihn die Vogelfrau sanft am Handgelenk fest. Da sie nichts sagte und er sich immer noch weigerte sie anzusehen, erkundigte er sich nur mit spröder Stimme, den Blick stur auf Kisara gerichtet: „Ist sie tot?“ Erneut kroch bittere Galle bei dieser Frage seine Kehle hinauf. Im Moment konnte er noch mehr Tote wirklich nicht gebrauchen. Er spürte mehr, als dass er es sah, wie Merenseth den Kopf schüttelte und leise erklärte: „Nein.“

Kurz riskierte Seth einen Seitenblick, wandte seine Aufmerksamkeit aber sofort wieder dem bewusstlosen Mädchen zu. „Dann sollten wir sie schnell zu Shimon bringen.“

Wieder schüttelte Merenseth den Kopf, „Shimon kann ihr nicht helfen. Kein Menschenarzt kann eine verletzte Seele heilen.“

Seth schloss kurz die Augen und atmete tief durch, um seine Begleiterin nicht anzubrüllen, weil sie sich alles einzeln aus der Nase ziehen ließ. „Was dann?“

„Ich bringe sie in die Berge zu Oreithys. Wenn sie gesund ist, hole ich sie zurück.“

Seth nickte einverstanden, ohne ein Wort zu sagen oder sein Handgelenk aus der Umklammerung zu befreien. Merenseth schwieg ebenfalls einen Augenblick, als warte sie, ob er etwas sagen oder tun würde. Dann ob sie ihre andere Hand, legte sie an seine Wange und sorgte dafür, dass er sie ansehen musste. „Wirst du mit uns kommen?“

Nachdenklich starrend erwiderte Seth den Blick der freundlichen braunen Augen, während Merenseth geduldig auf eine Antwort wartete. Dann schüttelte er den Kopf, „Ich bleibe.“

Merenseth nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. „Pass auf dich auf, Sohn Kemets, - und bleib am Leben.“

Missmutig zog Seth die Brauen zusammen, immer dieses alberne Getue. Aber seltsamerweise hatte er nicht mehr das Gefühl in zwei Hälften gehackt worden zu sein und auch die Übelkeit hatte sich dankenswerter Weise verflüchtigt. Stattdessen hatte er das Gefühl über dem, was eben geschehen war, würde sich eine Art Kruste ausbreiten, die alle Gefühle verhinderte. Ähnlich wie Grind dafür sorgt, dass in offene Wunden kein Schmutz gelangt, verhinderte diese Kruste, dass das Erlebte ihn aufsog und unfähig machte zu handeln.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Merenseth ihn zum ersten Mal in ihrer Menschengestalt berührte. Er hatte sich nie zuvor Gedanken darüber gemacht. Zugleich spürte er, wie er immer ruhiger wurde, wieder in der Lage war klar zu denken. „Ist das deine Magie?“, erkundigte sich Seth irritiert und nicht ganz sicher, was er von dieser Sache halten sollte.

Merenseth schüttelte den Kopf, „als Mensch kann ich nichts anderes als mich wieder in einen Vogel zu verwandeln.“ Während sie sprach hatte sie die Hand an seiner Wange wieder zurückgezogen und für einen Augenblick vermisste Seth die tröstliche Wärme, die von dieser Hand ausgegangen war, halblaut, mit gerunzelter Stirn überlegend: „Dann ist es Kaiphas?“

Nachdenklich sah Merenseth ihn an, während sie wissen wollte, was genau er meinte.

„Es ist wie damals, im Turm der Zeit“ versuchte Seth es zu erklären, unzufrieden mit der Unzulänglichkeit seiner Worte. Es war nicht wie damals, instinktiv ahnte er, dass es dieses Mal genügen würde ein wenig an der Kruste zu kratzen, um sie aufbrechen zu lassen und ihn erneut mit einem wirren Gemisch aus Ekel, Scham, Bedauern und Triumph zu überfluten.

„Dämonen können Seelen verletzen, heilen können sie sie nicht“, erwiderte Merenseth ruhig auf die Frage des Priesters. Sie schien zu ahnen, dass da mehr war, als er zugab und fügte wohl deshalb erklärend hinzu: „Das, was du fühlst, ist deine eigene Stärke. Die Stärke deiner Seele. Der Grund, warum du trotz Dämon den Bannkreis durchbrechen konntest. Er konnte sich hinter ihr verbergen.“

Seth wirkte bei diesem doch sehr indirekten Versuch ihn zu beruhigen eher skeptisch, schien jedoch bereit, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen und sich auf wesentlichere Dinge zu konzentrieren. Sein Handgelenkt aus dem Griff Merenseths befreiend, hob er schließlich Kisara vom Boden auf und trug sie ins Freie.
 

Sobald es ihnen gelungen war, das noch immer bewusstlose Mädchen so in ein Tuch zu hüllen, dass der Benu es ohne Schwierigkeiten würde tragen können, machte sich Merenseth zusammen mit ihrer zerbrechlichen Fracht auf zum Turm der Zeit.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hotepneith
2010-02-06T08:33:58+00:00 06.02.2010 09:33
Das nennst du ein kurzes Kapitel? o.o.
Es ist lang genug, zumal da ja einiges pasiert ist. Und Seth hat in diesen paar Minuten mehr als zwei oder drei Emotionen in alle Richtungen duchleben müssen. Auch, wenn ich mcih widerholen: du beschriebst die "Dämonenkämpfe" schön ausführlich und man kann dabei nicht nur zusehen, sondern auch in gewisser Weise mit den Menschen mitleiden. (Arme Kisara..)
Und natürlich armer Seth. Er rettet das Mädchen, das er leibt, erfährt, wer sein Vater ist und bringt ihn um. Aussderdem erfährt er, dass sein Lehrer und Vater Hochverrat beging, womöglich am Tod seiner Mutter Schuld trägt und eignetlich zuviel wusste - ohne dass er jetzt an der Spur noch weiterkommt.

Ich bin neugierig, wie viel von dem Gespräch er Atemu erzählen wird. Irgendwas sicher, denn das Verschwinden und der Tod des ranghöchsten Priesters dürfte ja doch jemadnem selbst im derzeitigen Chaos auffallen...

bye

hotep




Zurück