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Rapunzel, Rapunzel...

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Rapunzel, Rapunzel

„Mission Rapunzel angelaufen“, sprach Thalbach in das Walkie-Talkie. „Team 002 an der Zielposition angekommen. Erwarten weitere Befehle.“

Während der jüngere Soldat seine Berichterstattung beendete, sah der Leutnant sich ihre Umgebung noch einmal genau an. Das Zielobjekt, ein etwa 150 Meter hoher sechseckiger Turm war circa einen Kilometer von ihnen entfernt. Er stand auf einer offenen Ebene, was das Vorgehen später natürlich erschweren würde, aber genau darum hatten sich die Einheit ja auch in Zweiertrupps rund um die Ebene im Schutz des Waldrands positioniert und warteten nun auch den Einbruch der Dunkelheit. Dass es in der letzen halben Stunde unerwartete zu schneien begonnen hatte, würde ihnen den Überraschungsangriff zwar erleichtern, allerdings waren die Männer nicht auf den plötzlichen Wetterumschwung vorbereitet gewesen, wie Turkanov fröstelnd feststellte.

„Over und aus“, unterbrach Thalbach seine Gedanken. Er und Thalbach waren unter den ausladenden Ästen einer alten Kiefer in Deckung gegangen. Durch den schweren Schnee nach unten gedrückt formten sie einen relativ geschützten Unterschlupf.

„Wer ist überhaupt für diesen lächerlichen Namen verantwortlich?“, fragte Turkanov schließlich. Er hatte es sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm mehr oder weniger gemütlich gemacht, während Thalbach nach vorne gekrochen war und nun unruhig hinaus in die beginnende Dämmerung spähte. Der ältere Soldat konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen—der Junge war immer so angespannt. Hätte er die Möglichkeit dazu gehabt, dann würde er im Moment ganz sicher irgendwo auf und ab schreiten. Thalbach war groß wie ein Schrank und hätte eigentlich die idealen Voraussetzungen für einen Soldaten, wäre da nicht seine ständige Zappeligkeit.

„Keine Ahnung, Leutnant. Wenn es nach dir ging, hieße sie wahrscheinlich ‚Mission 08/15’“, erwiderte Thalbach und wandte sich mit seinem unverschämten, jungenhaften Lächeln kurz zu Turkanov um. „Lass ihnen doch ihren Spaß. Ich bin gespannt, was unser kleiner Prinz dazu sagen wird.“ Turkanov konnte förmlich hören wie sich das Grinsen auf dem Gesicht des anderen verbreiterte.

Der ‚kleine Prinz’, Vidar IX, war praktisch das ‚Rapunzel’ dieser Mission. Vidar war der neunzehnjährige Sohn des Monarchen und ihm war als solcher noch am selben Tag, als er volljährig wurde, einen Offiziersposten in der der Armee zugesprochen worden. Seitdem bestand ein erschreckend großer Anteil an Missionen daraus seinen kleinen königlichen Arsch zu retten oder zumindest von seiner Unfähigkeit verursachten Schaden zu begrenzen. Es konnte nicht mehr lang dauern bis selbst der werte Herr Papa die Unfähigkeit seines Sprösslings einsah und sie alle von ihm erlöste.

Noch war es allerdings nicht so weit und dieses Mal hatte Vidar wirklich den Vogel abgeschossen: Im Rahmen einer eigentlich einfachen Mission, bei der ein relativ bedeutungsloser Aufstand niedergeschlagen werden sollte, hatte er es tatsächlich geschafft in die Hände der Rebellen zu fallen und dadurch einen Routineauftrag in einen höchst brisanten Zwischenfall verwandelt, der leicht internationale Bedeutung bekommen konnte, sollte dem Kronprinzen etwas zustoßen.

„Und nur weil Papa meinte, bei dieser Mission könne selbst er nichts verkehrt machen, sitzen wir jetzt in dieser Kälte“, knurrte Turkanov missmutig. „Und Thalbach um Himmelswillen, es dauert noch mindestens zwei Stunden, bis es völlig dunkel ist, also hör auf da vorn herumzuzappeln und komm zu mir nach hinten—Körperwärme hilft gegen die Kälte.“

„Denkst du, dass ist so eine gute Idee, Turkanov?“

„Wir sind allein, Mattias.“ Selbst unter vier Augen redete er Thalbach kaum einmal mit dem Vornamen an. Wozu soll das gut sein, hatte er gesagt, man gewöhnt sich nur dran und verplappert sich dann im unpassendsten Moment. „Es ist ja auch nicht so, als wäre es ein Geheimnis. Außerdem sehe ich, dass Sie zittern, Soldat.“

Beziehungen innerhalb der Armee waren spätestens seit fünfzehn Jahren, als immer mehr Frauen zugelassen wurden keine Seltenheit mehr. Sie wurden ganz sicherlich nicht gerne gesehen, aber toleriert, solange alle Beteiligten Beruf und Privatleben ausreichend trennen konnten.

Während Thalbach unter den niederen Ästen zu ihm nach hinten kroch und sich dann einen massigen Arm über die Schulter des anderen gelegt neben ihm niederließ, dachte Turkanov an jenen Tag vor etwa zwei Monaten, als ihn der Oberst zu sich zitiert hatte.

‚Sie und Thalbach, hn?“, hatte er eher festgestellt als gefragt. Turkanov hatte es immer schon amüsant an dem etwas untersetzten Oberst gefunden, dass man es ihm sofort ansah, wenn irgendetwas sein Gehirn zum Arbeiten brachte—Kinnlade und Kiefer arbeiteten dann immer fleißig mit und er schien ständig auf der Innenseite der Wangen und den Lippen herumzukauen. So wie jetzt zum Beispiel.

In der Zwischenzeit hatte er ihn vom Scheitel bis zur Sohle scharf gemustert. Sein Blick fragte deutlich: Warum ausgerechnet Sie, Turkanov? Bisher sind wir doch immer so gut miteinander ausgekommen… Laut wiederholte er aber nur seine Feststellung: ‚Sie und Thalbach, hn?’ diesmal mit einem leichten Kopfschütteln und immer noch heftig arbeitendem Kiefer.

‚Seien Sie gefälligst diskret, Soldat!’, schloss er schließlich dröhnend. ‚Sie können gehen.’

Turkanov hätte ihn gerne gefragt, was der Oberst eigentlich von ihm erwartete, wildes Geknutsche während dem Dienst und vor dem Rest der Kompanie? Stattdessen salutierte er nur kurz und tat dann wie geheißen. Er wusste schließlich gut genug, dass er es nur der Sympathie des Obersts für ihn zu verdanken hatte, dass Thalbach nicht in eine andere Kompanie versetzt worden war, wie der Oberst es getan hatte, als er im letzten Jahr von einer Beziehung zwischen einem der wenigen weiblichen Leutnants und einem Soldaten unterrichtet worden war.

„Denkst du, dass sie sich wirklich trauen würden, Vidar etwas anzutun?“ Thalbachs Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Turkanov streckte sich ein wenig und lehnte sich gegen die Schulter neben ihm. „Verzweifelt genug sind sie. Es war wahnsinnig genug, diesen ganzen Aufstand überhaupt zu beginnen. Und jetzt hat ihnen der dumme kleine Prinz zum ersten Mal halbwegs Aussicht auf Erfolg geboten—im Moment ist er sicher, aber wenn ihnen erst klar ist, dass ihre Situation trotzdem aussichtslos ist, könnten sie ihm wer weiß was antun. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir so zuschlagen, dass sie nicht wissen, wie ihnen geschieht.“

Die beiden Soldaten saßen schweigend nebeneinander und starrten in die anbrechende Dunkelheit hinaus. Der Wind war mittlerweile so schneidend geworden, dass er selbst durch die dichten Kiefernäste problemlos in ihren Unterschlupf drang.

„Der Schnee wird immer dichter, Turkanov.“

„Ist nur zu unserem Vorteil. Wir werden vollkommen unsichtbar sein und dieses Monstrum von einem Turm würde selbst ein Blinder nicht verfehlen können.“

Ein lautes Krachen war hinter ihnen im Wald zu hören. Thalbach zuckte zusammen. „Nur die Ruhe, Junge. Die Äste geben unter dem Schnee nach. Das ist alles. Kein Grund wieder nervös zu werden.“ Turkanov klopfte ihm aufmunternd auf den Oberschenkel. „Es kann nicht mehr lange dauern.“

Wie auf Kommando erwachte in diesem Moment das Funkgerät knackend zum Leben: „Team 002? Zugriff!“ Thalbach griff sofort nach dem Funkgerät, um den Befehl zu bestätigen.

Turkanov richtete sich inzwischen auf, so gut es eben unter den Ästen möglich war und klopfte sich den Schnee von der Uniform. Er schulterte sein neben dem Stamm abgelegtes Maschinengewehr und trat hinaus in den dichten Schneefall. Ein kurzes, vorfreudiges Grinsen huschte über seine Lippen. „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hatshepsut
2009-01-08T18:09:06+00:00 08.01.2009 19:09
Echt gute Geschichte, hat mir gut gefallen.
Vor allem, dass es sich ums Militär dreht!
Ehrlich gesagt bin ich absolut kein Shonen- Ai Freund und war am Anfang auch etwas skeptisch als ich das Kapitel gelesen habe, aber du hast mir das überzeugend nahe gebracht. ^^
Hätte vielleicht an einigen Stellen etwas ausführlicher sein können, andererseits hätte das wahrsscheinlich die stimmung kaputt gemacht :)
War also super XD

Hatschepsa

P.S.:
die römische acht ist aber wenn ich mich nicht täusche VIII. ^^'


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