Zum Inhalt der Seite

Nebel über Hogwarts

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Weihnachten

Nebel über Hogwarts – Kapitel 38: Weihnachten
 

Auf eine gewisse Art und Weise war der Beginn der Weihnachtsferien eine Erleichterung für Lily, auf eine andere nicht. Es tat ihr zwar gut, dass das Schloss nun leerer war, dass sie nicht versuchen musste, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, während Severus neben ihr saß und jeder seiner Blicke, jede seiner Gesten sie an ihren Streit erinnerte. Auf der anderen Seite der Medaille tat es ihr weh, dass er nun doch nach Hause gefahren war, und das noch dazu ohne ein Wort an sie, ohne eine Erklärung, selbst ohne eine Verabschiedung.

Ein dummer, irrationaler Teil ihrer selbst hatte gehofft, dass er doch noch mit ihr zum Ball gehen würde nach all den Worten, die sie ihm entgegengeschleudert hatte, doch dieser Gedanke war mit der letzten Kutsche gestorben, die die anderen Schülerinnen und Schüler zum Hogwarts-Express getragen hatte.

Obwohl sie noch immer wütend auf ihn war, hoffte sie, dass Weihnachten bei seinem Vater und seiner Mutter nicht so fürchterlich sein würde wie die Erzählungen aus seiner Kindheit – immerhin durfte er nun seinen Zauberstab verwenden, also musste sie wenigstens keine Angst um seine Sicherheit haben.

Dass Severus nun endgültig außer Reichweite war, bedeutete auch, dass sie sich um einen Tanzpartner kümmern musste – aber das war nicht besonders schwierig. Michael, den sie schon vor dem Halloweenball abgelehnt hatte, brauchte nur ein paar gezielte Kommentare, bevor er sein Angebot erneuerte. Lily nahm es an – mit schwerem Herzen und nicht gerade freudig, aber mit dem Vorsatz, sich am Weihnachtsball so sehr wie möglich zu amüsieren und weder an James Potter noch an Severus Snape zu denken.

Zumindest zeitweise gestaltete sich dieser Vorsatz allerdings als ziemlich schwierig – besonders in der Nacht vor Weihnachten, als sie gemeinsam mit Dorcas Meadowes durch die kalten, verlassenen Gänge des Schlosses streiften auf der Suche nach Gefahren. Obwohl sie sich jedes Mal wieder aufregen wollte, wenn sie Potter nur sah, hatte sie nun, nach einigen gemeinsam verbrachten Patrouillen, doch einen überraschenden Blick auf ihn gewonnen. Er nervte sie nicht, er versuchte nicht, mit geistreichen, witzigen Kommentaren zu glänzen – er verhielt sich eher sehr still, wenn sie und Dorcas sich unterhielten, ein wenig plauderten. Und das von James Potter, der normalerweise nie die Klappe halten konnte.

Sie erreichten die Eingangshalle und Dorcas öffnete mit einer vorsichtigen Bewegung die großen Tore, dann traten sie hinaus in die Kälte und den bläulich schimmernden Schnee. Lilys entzündeter Zauberstab warf Lichtkegel auf die Winterlandschaft und sie sah ihrem Atem zu, wie er vor ihr vom Wind davongetragen wurde, bevor sie ihren Umhang enger um sich schlang.

Während sie durch die ausgetretenen Wege stapften, spähten sie in die Schatten, die sich nur mühsam von den Ländereien vertreiben ließen, ein wenig angespannt, ein wenig unruhig. In den ersten Nächten nach dem Angriff auf Hogsmeade waren sie alle nervös und überreizt gewesen, doch nun, nachdem so viele Wochen ohne einen Vorfall vergangen waren, waren die Patrouillen fast Routine für Lily geworden.

„Shush“, machte Dorcas plötzlich und streckte ihren Arm aus, um Lily und James hinter sich zurückzuhalten. Augenblicklich verschwand Lilys Gereiztheit wegen der Kälte und sie packte ihren Zauberstab fester, löschte ihn mit einem ungesagten Nox.

Dorcas wagte sich alleine nach vorne in die Dunkelheit, während das Schulsprecherpaar ihr ungewöhnlich einträchtig den Rücken deckte und sich bereit machte, einen Fluch auf jeden möglichen Angreifer abzuschießen.

Doch einen Augenblick später sahen sie, wie der Lichtkegel aus Dorcas' Zauberstab auf eine Katze fiel, die sie anstarrte, die Pupillen schimmernd, bevor sie in die Dunkelheit der Nacht davonhuschte.

Sie alle stießen den Atem aus und entspannten sich wieder ein wenig, während die junge Frau sich zu ihnen zurückfallen ließ. „Wenigstens war es kein Auror“, murmelte Dorcas trocken, bevor sie sich schließlich besann und lächelte. „Und, freut ihr euch schon auf den Ball morgen?“, fragte sie leise in einem Versuch, die Stimmung ein wenig aufzulockern, und Lily lächelte ein wenig. „Schon“, entgegnete sie ein wenig zögernd, bevor Dorcas sich, als er nichts sagte, an James wandte. „Und du?“

Er zögerte für einen Moment, unschlüssig – eine ungewohnte Geste an ihm – dann zuckte er mit den Schultern. „Ich gehe nicht hin.“

„WAS?“

Sie war so überrascht, dass sie nicht merkte, wie sie das eine Wort herausrief und schon gar nicht registrierte, dass sie gerade ihre resolute Sprich nicht mit James Potter-Politik verletzt hatte.

„Ich habe gesagt, ich gehe nicht hin.“ Er klang ein wenig trotzig, doch sie bemerkte es kaum, so sehr war sie von seiner Reaktion überrascht.

„Aber wieso? Ich meine, du hast doch Spaß an solchen Dingen, oder nicht...?“

„Ich habe keine Lust“, entgegnete er, ohne auf den größten Teil ihrer Frage einzugehen, und nach einem kurzen Moment des Zögerns, in dem er wirkte, als ob er noch etwas sagen wollte, richtete er seinen Blick wieder auf die verschneiten Ländereien.

Fast verzweifelt versuchte Lily zu verstehen, was Potter gesagt hatte, seine Worte in Zusammenhang mit dem Bild von ihm zu bringen, das sie eigentlich hatte. Der Junge, den sie zu kennen glaubte, hätte ohne zu zögern jede Gelegenheit wahrgenommen, sich zu amüsieren und sich von gutaussehenden Mädchen bewundern zu lassen – wieso war er jetzt anders?

Emilys Worte schoben sich fast brutal zurück in ihr Gedächtnis, ihre Anspielung, dass Potter sich vielleicht schon geändert hatte und dass sie es nur nicht sehen wollte... aber nein. Die Art und Weise, wie er in den Klassenraum gestürmt war, in dem sie und Severus gebraut hatten, widersprach ihr – das war ganz der Potter gewesen, den sie schon seit mehr als sechs Jahren kannte und hasste. Aber wer war dann der junge Mann, der vor ihr lief?

All die langen Stunden, die sie in dieser Nacht noch mit ihm durch die Korridore streifte, war sie damit beschäftigt, ihn anzusehen, manchmal auch zu starren, und zu überlegen, welche Seite von ihm nun die richtige, die echte war, diejenige, die sie kannte – oder die, die offensichtlich vorhanden war, aber vollkommen an ihr vorbeigegangen war.
 

Erst in den Morgenstunden fiel sie ins Bett, todmüde, doch ausschlafen konnte sie sich nicht – dafür sorgten ihre vier aufgeregten, fröhlichen, wachen Schlafsaalkolleginnen, die sich lautstark damit beschäftigten, ihre Geschenke auszupacken und zu diskutieren und damit Lily aufweckten.

Auch Emily war unter ihnen, die sich mit einem hinterhältigen Grinsen neben ihr Bett schlich, sobald sie merkte, dass Lily sich bewegte, und die Vorhänge aufriss. „Fröhliche Weihnachten, meine allerliebste Lieblingsfreundin!“

Lily drehte sich in den Decken um und vergrub ihren Kopf unter ihren Armen.

„Möchtest du nicht aufstehen und deine Geschenke betrachten?“, flötete Florence, und Lily überlegte, ob sie etwas in Griffweite hatte, das sie nach ihr werfen konnte, entschloss sich dann allerdings, dass es den Aufwand nicht wert wäre.

Der Gedanke an die Päckchen, die zweifelsohne am Fußende ihres Bettes auf sie warteten, trug nicht wirklich dazu bei, sie zu motivieren – dazu war sie einfach viel zu müde. Dass Emily ihre Decke packte und von ihren Füßen zog trug eher dazu bei, sie zum Aufstehen zu bewegen – und ihr Kissen auf ihre Freundin zu schleudern. Jetzt hatte sie immerhin einen Grund! „Hey!“

Emilys Reflexe waren durch fünf Jahre Quidditch geschult – sie wich einfach aus, und Lily war zu erschöpft, um mehr Taten folgen zu lassen, sondern krabbelte stattdessen an das Ende ihres Bettes, wo ein kleiner Stapel an Päckchen auf sie wartete. Doch bevor sie sich daran machen konnte, sie zu öffnen, drückte Emily ihr ihr eigenes Geschenk in die Hand und nahm neben ihr Platz, um sie gespannt zu beobachten.

Sie riss das Papier ab und entdeckte darunter das Cover eines Buches über Zaubertränke, das sie in den Sommerferien in der Winkelgasse bewundert, aber nicht gekauft hatte. „Danke, Emily!“, rief sie aus und fiel ihrer Freundin um den Hals, mit zerzausten Haaren und geschwollenen Augen – es war egal.

Emily grinste ein wenig verlegen. „Nichts zu danken“, antworte sie nur, „und außerdem hab ich ja auch etwas bekommen!“

Lily lächelte, als sie ihr Geschenk – ein neues Zauberschachspiel für das Turnier, das in einigen Wochen auf Hogwarts stattfinden sollte – auf Emilys Bettdecke entdeckte. „Du weißt schon, dass ich dafür jetzt deine ewige Dankbarkeit erwarte? Und dass du meine Hausaufgaben für mich machst?“

Sie lachten beide bei dieser Vorstellung, dann wandte Lily sich ihren anderen Geschenken zu. Einige Päckchen mit Keksen und Pasteten waren von ihren Eltern und ihrer Schwester gekommen, genauso wie viele Kleinigkeiten von nicht so nahen Freunden aus Hogwarts. Erst nach einem Moment, als sie auch das letzte Geschenk geöffnet hatte, fiel ihr auf, dass nichts dabei war, das vielleicht von Severus hätte sein können, doch sie verdrängte den Stich, den sie bei dem Gedanken spürte. Heute war Weihnachten – heute war ein Tag, um sich zu freuen, um glücklich zu sein, um Zeit mit den Freunden zu verbringen... und vielleicht noch eine Weile zu schlafen.

Nach dem Frühstück gemeinsam mit Emily folgte sie auch ihrem Gedanken, legte sich noch einmal hin und stand erst wieder auf, als sie sich für den Ball vorbereiten musste.

Ihr Festumhang war bei weitem weniger kompliziert zu tragen als ihr Kostüm und so waren sie und Emily auch schneller fertig als zu Halloween – und konnten sich auf den Weg hinunter in die Eingangshalle machen, wo sie sich mit ihren Partnern treffen würden. Nachdem James Potter diesmal nicht auf den Ball ging, traf sich Emily nun mit einem der Quidditchspieler aus Hufflepuff - „Also, wenn er irgendwann damit aufhört, mir ihren Sieg unter die Nase zu reiben!“ - und Lily war auf der Suche nach Michael.

Doch auch obwohl sie ihre Begleiter noch nicht gefunden hatten, gab es viel, das sie betrachten konnten. Die Eingangshalle war wundervoll weihnachtlich dekoriert, Stechpalmengirlanden zogen sich an den Wänden entlang und Eiszapfen hingen vom Geländer der großen Treppe, während in den Rüstungen kleine Lichter leuchteten. Lily liebte Hogwarts – das Schloss war eine so andere, größere Welt als die, die sie als Kind kennengernt hatte, und so voller Möglichkeiten – aber niemals mehr als zu Weihnachten. Was Muggel an Dekoration zu Stande brachten verblasste neben den Werken von Zauberern und sie freute sich schon jetzt darauf, die großen, geschmückten Weihnachtsbäume in der Großen Halle zu sehen.

„Hey“, bemerkte eine atemlose Stimme hinter ihr und sie wandte sich Michael zu, lächelte ihn an. „Hi.“

Auf eine ein wenig schroffe Art war der Ravenclaw sehr attraktiv, trotzdem wusste Lily, wieso sie gezögert hatte, seine Einladung anzunehmen – die Faszination fehlte, das Interesse, obwohl sie objektiv nichts an ihm aussetzen konnte.

Einen Moment später tauchte auch Emilys Quidditch-Spieler, Evan, auf, und sie verbrachten einige Minuten damit, zu plaudern, bevor ihre Freundin sie antippte und mit einem kurzen Kopfnicken zur Treppe wies.

Black, Lupin und Pettigrew kamen gerade die Stufen hinunter – ohne Potter. Ein Teil von Lily hatte bis jetzt nicht geglaubt, dass seine Worte wirklich stimmten, dass er tatsächlich in seinem Schlafsaal bleiben wollte, sondern dass er nur angeben und vor ihr gut dastehen wollte. Dass er nicht gelogen hatte, machte sie ein bisschen sprachlos, doch sie überwand ihre Überraschung schnell und wandte sich wieder Michael zu.

Trotzdem entging ihr nicht das kleine, irgendwie wissende Lächeln von Emily, das sie ihr in einer kurzen Gesprächspause zuwarf und das sie zum Nachdenken brachte. Vielleicht hatte sie doch nicht recht gehabt, was James Potter anging...?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück