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A Cold Night

von

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Restless Night

Das leise Rascheln der Satindecke weckte ihn für sein Gehör schon fast unsanft aus seiner nächtlichen Ruhe. Einen Moment überlegte er, ob er sich die Geräusche nur einbildete, dann öffnete er den Deckel des Sarges. Sein Gehör spielte ihm ganz sicher keinen Streich.

Als er an ihr Bett trat, atmete sie stockend und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem beunruhigend unregelmäßigem Rhythmus. Er wartete noch einen kurzen Moment bevor er sich über sie beugte. Der Traum, den sie hatte schien ihr sichtlich Angst einzuflößen. Um sie zu wecken legte er seine Hände an ihre Schultern und rüttelte sie ganz sanft. Die im Mondlicht schimmernden Schweißperlen rannen von ihrer Stirn bis zu ihrer Wange hinab und versickerten dort in ihrem Haar, das wie ein Vorhang ein Teil ihres zierlichen Gesichtes umschloss. Blitzartig schossen ihre Augen auf und sie wehrte sich panisch gegen die Hände an ihren Schultern.

"Ganz ruhig... Es ist alles in Ordnung", seine Stimme klang beruhigend, hatte aber einen nervösen Unterton. Schneller als ihm lieb war setzte sie sich auf und schlang sich wie zuvor die Arme vors Gesicht.

"Wie kann ich dir helfen wenn ich nicht weiß was in dir vorgeht...", murmelte er.

Sie ließ langsam die Arme wieder sinken und sah ihn mit dem selben ausdruckslosen Blick an, wie sie es schon des Öfteren getan hatte. Lange Zeit verharrten sie so und sahen sich an. Er beschloss die ganze Situation, im wahrsten Sinne des Wortes, aufzuhellen.

Bevor er seine rechte Hand erhob legte er ihr die linke auf die Augenlider und schloss diese. Mit einem eleganten Schlenker entzündete er die Kerzen an der Wand. Ein warmer Luftzug wehte ihm ins Gesicht und strich über seine Wange. Erst jetzt hob er seine Hand und begegnete ihrem fragenden Blick.

Nun da man etwas mehr sehen konnte musterte sie noch einmal das ganze Zimmer, als suche sie nach einem bestimmten Gegenstand, und blieb an etwas darin hängen. Er folgte ihrem Blick und war nun relativ verwirrt. Der kleine Schreibtisch hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie glitt aus dem Bett und kletterte vor dem Schreibtisch auf den großen mit Leder überzogenen Sessel. Sie nahm eines der Papiere in die Hand, die auf der Schreibfläche lagen und griff nach einem Bleistift. Gefesselt beobachtete er, wie sie begann mit dem Stift vage Umrisse eines dunklen Raumes zu zeichnen. Es waren nicht die Züge einer Kinderzeichnung, sondern vielmehr die Umrisse einer sehr begabten Zeichnerin. Die feine Bleistiftführung präzisierte sowohl Licht und Schatten als auch die Details der Inneneinrichtung. Ihre Hand flog regelrecht über das Blatt. Mit jedem Strich, mit jeder Linie wurde das Bild klarer. Nicht ein einziges Mal hielt sie inne um etwas zu verbessern oder gar zu ergänzen. Er erkannte ein paar Regale und einen hell gezeichneten Teppich mit dunklen Flecken. Um die Flecken herum lagen schemenhafte, schon fast unmenschlich wirkende Körper. Nach weiteren Präzisionen erkannte er darin einen Mann und eine Frau. Die Frau hatte schulterlange, leicht gelockte Haare und ein rundliches Gesicht. Der Mann hingegen sehr kurze Haare und ein dazu passendes eckiges Gesicht. Seine Erscheinung war entstellt. Seine Augen und sein Ausdruck von Schock und Schmerz verzerrt. In der Brust der Frau steckte ein langes dolchartiges Messer. Ihre Kleidung war zerrissen. Wie den Körper des Mädchens, schmückten auch die leblosen Körper der Zeichnungen unzählige dunkle Flecken.

Er konnte den Blick nicht abwenden. Seine Züge waren gekennzeichnet von jahrzehnte langer Trauer und Schmerz. Die Mundwinkel hatten nun eine leichte Neigung nach unten, was die Fältchen an seiner Wange vertiefte und ihn trotz seines jungen Aussehens unglaublich alt wirken ließen. Er nahm ihre Hand um sie zu stoppen, als wolle er verhindern, dass sich noch mehr Schmerz ausbreiten konnte. Und eher ungewollt folgte auf diese Geste eine Umarmung. Er presste ihr Gesicht an seine Brust. Er strich ihr übers Haar und drückte sie dann noch fester an sich. Was musste dieses Mädchen wohl noch alles durchmachen..., dachte er schmerzerfüllt.

Ihr Herz schlug unerträglich schnell. Er spürte wie Tränen seine Brust hinabflossen. Nun musste er wohl nicht mehr fragen wo sich ihre Eltern befanden. Wer war für dieses Blutbad verantwortlich?

Unter normalen Umständen hätte ihn dieser Anblick vielleicht sogar amüsiert. Doch jetzt schienen tausende von Fragen das Einzige zu sein, was ihm in der Kehle brannte. "Warum... hat man ihnen das angetan?", es war nur ein Flüstern. Als sie aufblickte war die Leere in ihren Augen zurückgekehrt. Ohne sich dieser zu entledigen nahm sie den Stift in die Hand und wendete das Blatt Papier um auf der Rückseite eine neue Zeichnung zu beginnen. Vereinzelte Tränen benetzten ihre erröteten Wangen.

Wieder schien ihre Hand über das Papier zu fliegen. Es war als würde sie dem keine Aufmerksamkeit schenken und stattdessen nur an einen ihm verborgenen Ort zu sehen. Er blickte sie fragend an. Auch wenn sie das Bild nur mit Bleistift zeichnete so konnte er doch erkennen, was sie jetzt skizzierte. Große unheilbringende Flammen und viele tieffallende Schatten. Es war kein geschlossener Raum... viel mehr eine weite Halle voller verzerrter, schreiender Gestalten. Auch die Mitte des Bildes füllte ein Schatten aus, aber war dieser nicht wie die restlichen. Er war rabenschwarz und hatte die Umrisse eines Menschens. Jedoch wirkte er alles andere als menschlich. Die Linien, die ihn Formten waren hart ausgerichtet und schmiegten sich nur distanziert an die Oberfläche des Papieres. Die Arme des Schattens formten sich an den Enden zu spitzen Krallen, die sich praktisch in das Papier hineingruben.

Er überlegte, und der Gedanke einem menschlichen Verstand unterlegen zu sein widerte ihn an. "Ich verstehe nicht...", gab er zu. Ihre Hand fuhr weiterhin über das Blatt und füllte den Raum immer mehr mit grausamen, dunklen Wesen. Jetzt hielt sie kurz inne bevor sie den Stift unterhalb der rechten Klaue des Schattens wieder ansetzte. Es dauerte einige Sekunden bis er begriffen hatte, dass sie sich selbst zeichnete. Sie wirkte leblos und auf eine gewisse Weise sogar... teuflisch. Er versuchte daraus schlau zu werden. Was könnte diese Zeichnung für eine Bedeutung haben?

Sie zeichnete mittlerweile sehr langsam und letztendlich so langsam, dass ihre Hand zur Ruhe kam. Wieder wünschte er sich, die Antworten würden irgendwo auf ihrer Stirn stehen.

Mit einem Male war ein, für ihre Stimmung, störend lautes Geräusch zu vernehmen. Eines der Fenster hatte sich einen Spalt weit geöffnet und ein kalter Luftzug fegte nun durch die Weiten des Raumes. Mit einem dumpfen Aufschlag fiel der Stift aus der Hand des Mädchens. Ihre Augen waren weit aufgerissen und in ihnen war für einen kurzen Moment ein rotes Schimmern zu sehen. Mit dem Luftzug kam der leblose Ausdruck auf ihrem Gesicht zurück. Sie begann zu zittern. Und noch bevor sie wieder ihre Arme vor ihr sich werfen konnte, lag sie schon in den seinen. Ganz sanft, als hätte er Angst sie würde in seinen Armen zerbrechen wog er sie hin und her. Seine rechte Hand streichelte sanft über ihr Haar. "Ist dir kalt...?", fragte er. Als sie kaum merklich den Kopf schüttelte wehte ihm urplötzlich ein penetranter Geruch entgegen. Er rümpfte angewidert die Nase und ging zum Fenster um dieses zu schließen.

Er fragte sich ob es etwas mit dem Kind zu tun hatte. Wenn dem so war... konnte auch sie ihn spüren? Oder war es nur der kalte Luftzug, der sie erzittern ließ? Eines war er sich auf jeden Fall sicher... ein Wesen wie dieses war nicht ohne Grund seiner Gegend derart nahe gekommen.

Beim Schließen des Fensters fiel ihm auf, dass es draußen schon hell war. Die Sonne warf, noch verdeckt von den Wäldern, ihr warmes Licht auf die Stadt. Er hatte gar nicht bemerkt, dass so viel Zeit verstrichen war. Es war ihm wie eine unendlich währende Minute vorgekommen. Erst jetzt fiel sein Blick wieder auf das Kind in seinen Armen und er stellte erleichtert fest, dass sich ihre Haltung wieder einigermaßen entspannt hatte. Er sah an ihr herab "Ich glaube wir sollten heute erst einmal etwas Passendes für dich zum Anziehen finden". Wenn er mit ihr in die Stadt gehen wollte, musste er Kleidung für sie finden. Es war ein frischer Morgen - das bedeutete er müsste ihr ersteinmal einen Mantel finden. Alles Weitere würde vorübergehend keine Probleme machen.

Er legte sie zurück aufs Bett um anschließend im Schrank zu wühlen. Er fand ein winziges paar Schuhe und ein Kleid, welches der Tochter seiner einstweilenden Bediensteten gehört hatte. Sie hatte es nicht lange bei ihm ausgehalten. Oder besser gesagt er hatte es nicht lange aushalten können sie in seiner Nähe zu haben. Ein Grinsen schlich über sein Gesicht. Die Menschen hatten manchmal eben doch ihren Nutzen.

Er beäugte ein paar seiner kurzen Jacken und versuchte sich schmunzelnd ihren kleinen Körper darin vorzustellen. Schließlich zog er die kleinste, ihm an den Ärmeln nicht mehr ganz ausreichende Jacke heraus. Man müsste wohl die Ärmel vorne umschlagen müssen. "Das kannst du anziehen, wenn wir heute in die Stadt gehen. Zumindest solange bis wir etwas für dich gefunden haben. Tut mir leid, aber ich konnte leider keine Socken finden - glaubst du, dass du sehr frieren wirst?", fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Natürlich wird sie nicht frieren... wer weiß wie lange sie schon in diesem Zustand auf der Lichtung verharrt hat, schoss es ihm durch den Kopf. Er legte die Kleider neben ihr ab und ging dann zur Tür "Ich warte unten im Salon auf dich. Lass dir ruhig Zeit".

Während er sich auf dem Sofa niederließ versuchte er nochmal gründlich über die ganze Sache nachzudenken. Was hatte dieser Schatten zu bedeuten? - So viel er sich darüber auch den Kopf zerbrach, er kam zu keiner logischen Erklärung. Es gab so viele Möglichkeiten... Vielleicht war der Schatten die Darstellung eines Verwandten, der sie nach dem Tod ihrer Eltern so schlecht behandelt hatte, dass sie geflohen war. Selbst das hielt er im Moment noch für unwahrscheinlich. Seine Gedanken wurden unterbrochen von den Schritten, die im Flur zu vernehmen waren. Er wandte sich um. Das Kleid war ihr etwas zu kurz und lag eng an ihrem zierlichen Körper an. Dahingegen wirkte sein Jackett wie das Gewand eines Riesens. Die Ärmel waren mindestens um das Doppelte zu lang. Wäre sie nicht so breit geschnitten, könnte man meinen es wäre ihr Mantel, den sie da trug. Die Jacke schliff am Parkettboden entlang. Zumindest die Schuhe schienen ihr zu passen. Geschwind stand er auf und sank vor ihr auf die Knie um die Knöpfe des "Mantels" zu schließen. Er musste grinsen als er die Ärmel zum achten, und scheinbar endlich letzten, Mal umschlug. "Wollen wir?". Sie nickte. Er nahm sie an die Hand und verschloss die Türen, die sie hinter sich ließen.

Es war eiskalt, das Gras war voller Reif. Am Dach des Hauses hingen riesige Eiszapfen, die in geringen Abständen voneinader im Licht der aufgehenden Sonne schön glitzerten. Selbst der Weg war von kleinen Eiskristallen und glänzenden Stellen übersäht. "Pass auf, dass du nicht stolperst", hauchte er. Sie setzte einen Fuß vor den anderen und versuchte ihm möglichst schnell zu folgen. Die kleine Stadt lag nur etwas weiter südlich seines Hauses. Schon nach wenigen Metern konnte man die Schilder und Annocen der Läden lesen. Aus den Schornsteinen der kleinen Häuser stiegen gräuliche Rauchschwaden auf. Er deutete auf eines der ersten Geschäfte, die sich gleich am Rande der Stadt befanden. Der Aushang vor den beschlagenen Fenstern trug die Aufschrift Maclaires Mode.

Die Straße war voller Menschen, die sich angeregt unterhielten. Wie immer über die neuaufgekommenen Gerüchte. Er musste grinsen. Die Gerüchte, die über ihn im Umlauf waren fand er am unterhaltsamsten. Sein ganzes Wesen schien diese Art von Gespräch geradezu magnetisch anzuziehen. Ihm entging nicht, dass sich die Menschen unwillkührlich nach ihm umdrehten sobald er an ihnen vorbeigeschritten war. Ihre neugierigen Blicke, die alles an ihm musterten als wollten sie sichergehen, dass ihre Version des Gerüchtes am realistischsten war. Einerseits war er als Casanova verschrien - und er wusste wirklich nicht woher sie diese Art von Eindruck von ihm bekamen, da er sich zumal nie mit anderen Menschen in der Öffentlichkeit präsentierte. Andererseits als arroganter reservierter Egozentriker, der sich einen Dreck um die ganze Gesellschaft scherte. Wobei sie in diesem Punkt wohl Recht behalten würden.

Seine Lieblingsversion der Vermutungen über seine Person war jedoch unübertroffen die Theorie er wäre ein Wahnsinniger, der mit Menschen experementierte um irgendwelche Wesen mutieren zu lassen mit denen er einen Kreuzzug gegen den Rest ihrer Rasse führte. Bei diesem Gedanken musste er erneut grinsen. Er war nun wirklich der Letzte, der einen Kreuzzug anführen würde. Obwohl ihm die Idee von der Ausrottung der Menschen gar nicht so absurd vorkam. Wobei er in diesem Fall wohl kläglich verdursten würde.

Seine Aufmerksamkeit fiel zurück auf die Straße und damit auf etwas Wesentliches. Alle starrten ihn an, und dieses Mal bemühten sie sich nicht wegzusehen wenn er ihren Blicken begegnete. Sie durchbohrten ihn praktisch mit ihren Blicken. Er fragte sich nur einen kurzen Moment lang woran es liegen könnte dann bemerkte er das kleine Wesen, das seine Finger fest umklammerte und ihm wurde klar was diesen Tag so anders machte als die anderen.

Ihn begleitete ein kleines Mädchen, das dürfte einige Fragen und neue Theorien aufwerfen, doch ihn gleich so zu durchlöchern war eine unangemessene Reaktion. Er zog sie etwas näher an sich und überquerte dann den Bürgersteig bis zu Maclaires Mode. Er umfasse den Griff der Holztüre. Als er sie öffnete ertönte das helle Klingeln kleiner Glöckchen, die oberhalb des Türrahmens befestigt waren. Sie zuckte leicht zusammen und presste sich an ihn. Es war ein kleiner aber gemütlich wirkender Raum in dem an jeweils jeder Wand ein paar Ständer mit Gewändern ihren Platz gefunden hatten. Weiter hinten im Raum war ein himmelblauer Vorhang über eine lange Holzstange geworfen, der einen Ort zum be- und entkleiden bot. Gleich daneben standen drei schwarze mannsgroße Spiegel. Etwa in der Mitte der linken Wand stand ein dunkler viereckiger Schreibtisch, unter dem ein kleiner dicker Mann anscheinend etwas zu finden versuchte. Die wenigen Haare, die er noch auf dem Kopf hatte waren mausgrau und die Falten, die sein Gesicht durchfuhren machten ihn noch älter als er ohnehin schon wirkte. Er trug einen edlen schwarz-blauen Anzug, dessen Kragen weit nach rechts und links reichte. "Einen Moment bitte", die hektische Stimme des Geschäftsführers war der unangenehme Kontrast zum ausklingenden Klang der Glöckchen. "Nur mit der Ruhe". Bei dem Klang seiner Stimme fuhr der Besitzer des Ladens abrupt auf. "Werter Herr Lucien!", während er sprach fiel er in eine tiefe Verbeugung "Welch Ehre Sie heute hier empfangen zu dürfen. Was kann ich heute für Sie...", sein Blick viel auf das Mädchen an Luciens Seite. Ihr Gesicht war in dessen Mantel vergraben, sodass man nur ihr endlos lang fallendes Haar erkennen konnte. "Wie oft habe ich ihnen schon gesagt Sie sollen mich nicht immer werter Herr nennen Maxime?", fragte Lucien in einem schon fast unfreundlichen Ton. "Entschuldigen Sie, Herr... nein... Lucien. Natürlich, mein Fehler. Aber wenn wir gerade bei Namen sind, darf ich denn fragen wen haben sie da mit sich gebracht haben?". Als der Mann erneut seinen Namen aussprach richtete sie sich auf um ihn anzusehen. Dieses Mal nickte er um auf ihre stumme Frage zu antworten. Auch sie wandte sich dem Besitzer zu. Einen Moment lang weiteten sich dessen Augen vor Entsetzen. "Um Gottes Willen! Herr wer ist dieses... Kind?! Was ist dieses Kind?". Erneut kreuselten sich Luciens Mundwinkel. Das zweite Mal in derart kurzer Zeit musste er dies zugeben "Ich verstehe nicht was sie meinen Maxime". "Sie.. dieses Mädchen! Sie trägt die Augen eines Teufels!". Die Worte des Mannes trafen ihn fast so sehr wie seine abscheuliche Erkenntnis. Die Blicke der Menschen. All die blauen Flecke und Hemmatome. Wie oft hatte er erklären müssen, dass seine Augen ein Gendeffekt waren und dass es für die Rotfärbung keinen bestimmten Grund gab. Er wusste es natürlich besser aber das war eine Erklärung, die selbst primitive Wesen verstehen würden. Jetzt wo er darüber nachdachte.. sogar er war bei ihrem Anblick erstmals zurückgeschreckt. Was konnten solch minderwertigen Geschöpfe dann schon denken? "Was reden Sie, Maxime!", seine Stimme wurde lauter als gewollt "Sie ist eine Waise also habe ich sie in meine Obhut genommen. An ihr ist rein garnichts teuflisch!". Das entsprach auf gewisse Weise sogar der Wahrheit. "Aber... aber Herr sehen Sie doch..", seine Stimme brach. Die Hand des Vampirs an seiner Kehle ließ ihn verstummen. "Dieses Mädchen hat am ganzen Körper Verletzungen. Ich will gar nicht wissen was man ihr alles angetan hat. Menschen wie eures Gleichen scheinen die Antwort jedoch sehr wohl zu kennen. Die Kleine hat Angst. Und sie werden sie jetzt einkleiden damit sie nicht auch noch erfriert!". Der Mann senkte entschuldigend den Kopf "Es tut mir leid, Herr. Natürlich werde ich sofort... etwas für sie suchen. Bitte setzen Sie sich doch", mit einer Geste seiner linken Hand wieß er auf einen großen Ledersessel hin, der in der Mitte des Raumes direkt vor dem blauen Vorhang stand. Lucien ließ von ihm ab bevor er sie auf seinen Schoß hob und sich im Sessel niederließ. Maxime eilte davon. Er zog ein paar Maßbänder und ein Nadelkissen mit Stecknadeln aus der obersten Schublade eines Regales. Wenige Sekunden später stand er wieder vor ihnen. "Darf ich bitten, junge Dame?", fragte er betont freundlich. Sie wandte sich etwas um und sah Lucien skeptisch an. Als dieser nickte stand sie auf und trat nach vorn. Maxime streckte einen Arm nach ihr aus "Erst muss ich noch schnell deine Maße nehmen", sagte er und deutete auf das Maßband in seiner Hand. Sie nickte. Mit wenigen Griffen hatte er alles was er brauchte und steuerte auf einen der größeren Kleiderständer zu. Er zog ein paar Einteiler und Kleider herunter und legte sie auf den Hocker hinter dem Vorhang. "So dann wollen wir doch mal schauen ob dir diese hier passen", sagte Maxime. Sie versuchte etwas umständlich ihre Jacke abzulegen. Lucien glitt aus dem Sessel und half ihr, noch bevor Maxime einen Finger rühren konnte. "Oh... Herr aber das müssen Sie doch nicht". "Ich bestehe darauf", wisperte er.

Sie ging zum Schemel mit den Kleidern. Mit einer ruckartigen Handbewegung hatte Maxime den Vorhang hinter sich und ihr zugezogen. "Jetzt musst du nur noch mit dem anderen Arm hier durch". Lucien seuftzte und ließ sich wieder in den Sessel sinken. Er schloss die Augen. Der Raum war angenehm warm, nur ein leichter Windzug strich über sein Gesicht. Von draußen hörte er immer noch vereinzelt einige Menschen tuscheln. Kleine Steine wurden vom Wind getragen und strichen über den eisigen Boden. "Herr?", Maximes Stimme ließ ihn wieder aufblicken. Das Kleid, das sie trug passte sich perfekt an die Konturen ihres schmalen Körpers an. Weiter unten fiel es wie ihre Haare in einem langen Schwall bordeauxfarbenen Stoffes, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Ihre Schultern ragten bis zu einer bestimmten Stelle heraus und gingen dann geschmeidig in den Stoff über. Die Ärmel verdeckten ihre winzigen Hände und umfassten ihre Handgelenke mit locker gebundenen schwarzen Schleifen. An ihrer Taille war ebenfalls ein schwarzes Band, das sich durch die kleinen Nähte des Kleides hindurchwand. Ihren Rücken schmückte ebenfalls eine Schleife, die an der Mitte des Bandes befestigt war. "Du siehst bezaubernd aus", er lächelte sanft. Ihre Wangen färbten sich in schwachem Rot. "Ich glaube ich habe Sie gerade zum ersten Mal in meinem Leben lächeln gesehen, mein Herr", Maximes erstaunter Blick hatte sich an ihn geheftet. "Nun gut Maxime", er räusperte sich "Wir nehmen dieses Kleid. Aber sehen sie nach ob die anderen Dinge auch passen. Und wir brauchen noch einen Mantel". "Sehr wohl, Herr".

"Sie lässt die Sachen gleich an", sagte er einige Zeit später und nickte in ihre Richtung. "In Ordnung. Das sind dann die vier Kleider, der Mantel, die langen Strümpfe, die ganzen Einteiler und die Stiefel... habe ich mich vertan oder war das alles?", fragte Maxime etwas zerstreut. "Nein das war alles, ich danke Ihnen, Maxime. Was bin ich Ihnen schuldig?", entgegnete er. "Insgesammt wären das...", Maxime schrieb ein paar Zahlen untereinander und tippte von einer zur anderen. "700 Francs". Lucien griff in seine Manteltasche und zog ein dickes Bündel Scheine heraus.

Hastig griff Maxime nach den restlichen Kleidern und legte sie in eine große Tasche, die er ihm sogleich entgegenstreckte. "Nochmal vielen Dank, Maxime". "Immer zu ihren Diensten, werter Herr. Beehren sie uns doch bald wieder mit ihrer reizenden Begleitung", er schenkte ihr ein eher gezwungen wirkendes Lächeln. Lucien nickte ihm noch einmal kurz zu und umfasste dann ihre Hand. "Na komm schon, wir müssen noch einiges besorgen". Sie nickte.

Die Straßen waren nicht mehr ganz so erfüllt von Menschen wie zuvor. Nur wenige standen noch an den winzigen Marktständen. Die Straße wurde breiter und öffnete mehrere Wege in verschiedene Richtungen. Manche von ihnen führten in kleine Gassen, andere aus der Stadt hinaus. In der Mitte des ganzen befand sich ein kleiner Springbrunnen, dessen Wasser mit dem Wind sanft hin und her strich. Seine Oberfläche wäre wohl schon gefroren, würden die Strahlen aus den kunstvoll geschwungenen Hähnen nicht immer wieder hindurchbrechen. Begeistert zog sie ihn in die Richtung des Brunnens. "Magst du Springbrunnen?", fragte er lächelnd. Sie nickte heftig und streckte ihre freie Hand dem Wasser entgegen. Sie schloss die Augen und fuhr sanft über das kalte Wasser. Mit einer gleichmäßigen Bewegung strich sie hin und her. Mit ihren winzigen Fingern zeichnete sie Kreise und Schnörkel in das kalte Nass. Er stellte die Tasche neben dem Brunnen ab und lehnte sich an ihn. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein. Es war ihm etwas unangenehm dieses Thema wieder aufzugreifen "Und.. du hast wirklich keinen Namen?", fragte er. Ohne ihre Bewegung zu unterbrechen schüttelte sie den Kopf. "Macht es dir dann etwas aus wenn ich dir einen gebe? In der Öffentlichkeit schickt es sich nicht so sehr dich ständig ohne Namen anzusprechen. Insbesondere wenn die Leute hier danach fragen", versuchte er es möglichst wahrheitsgemäß zu formulieren. Natürlich würden die Menschen hier fragen. Die Geschichte, die er Maxime erzählt hatte würden sie nicht so einfach auf sich sitzen lassen.

Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie die Hand aus dem Wasser gezogen und war zu ihm herangetreten. Sie sah neugierig zu ihm auf, was er spontan als 'ja' deutete. Einen Moment lang dachte er nach "Hm... wie wäre es mit 'Fayenne'? Ich habe einst ein Buch gelesen, in dem eine Frau auch diesen Namen trug. Und ich persönlich finde ihn wirklich sehr schön". In der Sekunde, in der sie schwieg überlegte er ob das vielleicht doch nicht eine so gute Idee gewesen war. Er musste blinzeln um sich zu vergewissern, dass er das was er sah auch richtig wahrnahm. Sie lächelte. Winzige Grüppchen zeichneten sich an ihren erröteten Wangen ab. In ihrem Blick lag Wärme, die ihn wie ein kalter Schauer traf. Ihr Gesicht hätte in diesem Moment das eines Engels sein können. "Er gefällt dir?". Sie nickte heftig. Er beugte sich vor und strich ihr übers Haar "Nungut kleine Fay. Dann wirst du ab heute diesen Namen tragen", ein Lächeln breitete sich auf seinen kalten Zügen aus.

"Sollen wir weiter?", fragte er. Ohne zu antworten ergriff sie seine Hand. Selbst jetzt ruhten die Blicke der meisten Menschen, die sich auf dem Marktplatz befanden auf dieser suspekten Erscheinung. Wenn heute nicht einer der speziellen Markttage wäre könnte man meinen sie wären alle nur gekommen um diesem Schauspiel zu folgen. "Hast du eigentlich Hunger?", fragte er plötzlich. Sie wiegte den Kopf von der einen Seite zur anderen. Etwas zögernd ging er auf den nächsten Stand zu. Er nahm ein kleines Baguette aus einem der Holzkörbe und reichte es dem Händler "Das eine hier, Herr?", fragte der junge Mann hinter dem Verkaufsstand. Schmunzelnd dachte er nach "Ich nehme lieber gleich zwei Laib Brot". Wer weiß wie viel ein Menschenkind am Tag so alles isst... . "Sonst noch etwas?" "Haben sie frisches Gemüse und Obst?". "Natürlich, Herr Lucien. Haben sie spezielle Wünsche?", seine helle Stimme stimmte sich perfekt mit dem Lächeln auf seinem Gesicht ab. "Nein, packen sie einfach von allem etwas ein", entgegnete er. "Erwarten Sie jemanden, Herr?", fragte der Junge überrascht. "Das dürfte Sie nichts angehen, junger Mann", antwortete er in einem betont höflichen Ton. "Oh Entschuldigen Sie bitte, das geht mich selbstverständlich nichts an".

Nachdem sie noch an einem Stand halt gemacht hatten um Käse zu kaufen nahm er auch diese Tüte in seine linke Hand und führte die ihre mit der anderen. Er musste nur einen Moment nachdenken um festzustellen, dass sie etwas vergessen hatten. Das große Aushängeschild zierte das Fenster mit bunten, freundlichen Farben. "Soll ich dir ein paar Farben und Pinsel besorgen, Fay?", fragte er wieder zögernd. Er hoffte inständig, dass das was sie zeichnete über das Grauenvolle und Schmerzhafte hinausging. Sie nickte stark und zog ihn praktisch in Richtung Tür. Er mochte diesen Laden. Vielleicht war es sogar der einzige, den er regelmäßig besuchte. Nicht nur die Werke, die man dort betrachten konnte faszinierten ihn sondern auch die Person, die diesen Laden führte sprach ihn sehr an. Sie war kein neugieriger Mensch wie die anderen. Sie lebte für die Kunst. "Bonjour Mademoiselle". Eine auffallend schöne Frau, die sich tief über ein Dokument auf ihrem Tisch gebeugt hatte, blickte sofort auf. "Ah Lucien. Welch angenehmer Umstand führt Sie heute in mein bescheidenes Geschäft?", sie rückte ihre Brille zurecht, die ihr etwas schief auf der Nase hing. "Um genau zu sein suche ich nach Malutensilien für meine junge Begleitung hier. Farben und Pinsel, vielleicht sogar ein paar Leinwände", entgegnete er. Die Haare der Frau waren elegant zu einem Zopf zusammengeflochten und fielen ihr seitlich über die Schulter als sie sich vorbeugte um Fay zu betrachten "Dann bist du der kleine Künstler? Du bist ein wunderschönes Mädchen. Darf ich fragen wie du heißt, Liebes?". Fay ihrerseits versteckte sich noch immer ziemlich scheu in den weiten seines Mantels und umklammerte seine Hand. "Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, Elodie, dass Fay Ihnen leider nicht antworten wird beziehungsweise kann. Nicht umsonst nutzt sie den Weg der Kunst um sich besser auszudrücken", er lächelte und fuhr Fay sanft über den Kopf. "Das ist eine wundervolle Art sich auszudrücken", auch die Frau lächelte nun. Sie richtete sich auf und nahm ein paar Dinge in die Hand "Ich werde Ihnen einfach mal ein paar Sachen mehr einpacken, man kann nie wissen wie viel ein Künstler zu verbrauchen mag". "Danke Elodie... was bin ich ihnen heute schuldig?", er suchte nach dem Portemonnaie in seiner Manteltasche "Nichts, Lucien. In diesem Fall fordere ich einfach nur einen Besuch um mir die Werke des Künstlers anzusehen", sagte Elodie lachend. "Du weißt, dass ich dir nicht gerne etwas schuldig bin", sagte er aufrichtig. "Ja das weiß ich doch, aber sieh es einfach als kleines Geschenk für.. wie war gleich ihr Name? Fay?". "Ja, Fayenne", er lächelte. "Ein schöner Name für ein schönes Mädchen", Elodie legte die Sachen sachte in eine Tasche und streckte sie ihm entgegen. "Viel Spaß damit". "Danke Elodie. Auf ein baldiges Wiedersehen. Vielleicht verspüre ich bald wieder den Drang mein Heim mit mehr Kunst zu füllen". "Das hoffe ich doch", sie winkte ihnen zum Abschied und setzte sich dann wieder an ihren Schreibtisch.

"Ich glaube... wir haben jetzt alles", sagte er erleichtert. Und auch sie schien nicht minder froh über diese Erkenntnis. "Weißt du was, Fay?", er kniete sich zu ihr nieder "Das nächste Mal werde ich eine Kutsche ordern. Dann kannst du mehr von der Stadt sehen und ich kann dir ein bisschen die Umgebung zeigen". Sie sah zu Boden und nickte. "Bist du müde?". Erneut nickte sie, diesmal jedoch nur leicht. Er lächelte sanft und schob die Taschen auf seine Handgelenke um beide Hände frei zu haben. Nur wenige Sekunden später hatte er sie sie seine Arme gehoben. Sie schlang die ihre um seinen Hals und legte den Kopf an seine Brust. Der schwarze Mantel, den sie nun trug reichte ihr knapp bis zu den Knien und verdeckte die vielen Hemmatome an ihren Oberschenkeln. Wenigstens das würde nicht einer der Punkte werden über den die Leute hier tuschelten.

Wie zuvor am Morgen schritt er den glasigen Weg zu seinem Anwesen hinauf. Mit dem anbrechenden Mittag war der Wind noch stärker geworden. Er peitschte ihm geradezu alle möglichen Gerüche entgegen. Ruckartig blieb er stehen. Die Haare in seinem Nacken streubten sich. In Windeseile setzte er sie auf den Boden und sah sie durchdringend an "Hör mir zu Fay... ich will, dass du jetzt so schnell du kannst zum Waldrand gehst und dich dort versteckst. Leg dich zwischen ein paar Büsche und sei ganz still. Und bitte... bitte rühr dich erst wieder wenn ich dich holen komme". Sie schien zu verstehen, dennoch sah sie ihn fragend und zugleich angsterfüllt an. "Hab keine Angst. Ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas antut. Doch lauf jetzt, schnell!" Ohne einen weiteren Moment zu zögern rannte sie zum Waldrand. Er atmete kurz tief durch und ging dann ohne sich nochmal umzusehen weiter um den ungebetenen Gast zu empfangen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Dray_chan
2008-10-24T15:13:29+00:00 24.10.2008 17:13
cool & schnell weiter :D
Von:  Klein_Ryu
2008-10-20T16:55:25+00:00 20.10.2008 18:55
ohaaa..
wieso bekomm ich ers jetzt mit, dass wieder was hochgeladn is?
;__;
bahh..
mies, fies und gemein! XD
naya
fands wie immer toll ♥
nur;
WIE KANNST DU AN SO EINER STELLE AUFHÖREN?!!!
das sollte verboten werden..
schnell weiter ♥♥♥♥♥♥♥♥ (die sin geilo x)
Von: abgemeldet
2008-10-17T18:02:39+00:00 17.10.2008 20:02
ahhh.. es geht ja im selben kapitel weiter!! schreibs chnell weiter!! so kannsr du doch nich aufhören!! Lg
Von: abgemeldet
2008-10-09T18:38:01+00:00 09.10.2008 20:38
awwwwww... endlich gehts weiter!! bitte wieder schnell weier!! ... lg
Von: abgemeldet
2008-10-03T13:16:18+00:00 03.10.2008 15:16
nun, das kann jedem mal passieren,
ich fand es halt nur seltsam^^
und wie ich sehe, war ich mit meiner annahme richtig
aber stimmt schon, man muss wirklich auf sehr viel achten
Lg
PM
Von:  Klein_Ryu
2008-10-03T10:30:21+00:00 03.10.2008 12:30
sooo...
jez komm ich auch endlich ma zum lesen xD
hatt ja lange genug gedauert Oo"
dabei wollt ich doch die erste sein dies liest ;__; *grml*
naya.. xD
ich fand das pitel wirklich toll <3
Fey tut mir wirklich leid V.v
freu mich schon, wenns wieder weiter geht :3
wann malst du eig mal die charakterbilder von fey und luc?
Von: abgemeldet
2008-09-30T17:38:35+00:00 30.09.2008 19:38
oh o.o *räusper* xD'
*das noch umschreiben muss* nee is nich in der zukunft, mehr so ende 18tes jahrhundert anfang 19tes, sons hab ich ja auf alles geachtet usw aber der strom is mir jez echt entfallen^^''' da muss man echt aufpassen V______v
Von: abgemeldet
2008-09-30T16:59:33+00:00 30.09.2008 18:59
tolle kapitel
freu mich schon wenns weiter geht
aber 1 frage hätte ich noch;
das spielt doch sicherlich nicht in unserer zeit, oder?
denn wenn nicht, wie kann ess ein, dass sie da schon elektrischen strom haben?
tut mir leid, wenn ich etwas falsch verstanden habe.
Lg
PM


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