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Assoziatives Schreiben

à ma manière
von

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Satz 11: Bandit

"Einen Namen müssen wir ihm ja wohl auch geben", sagte er im Dunkeln, während er die Hosenträger überstreifte.

„Das werden wir wohl tun müssen.“ Sarah sah nicht gerade begeistert aus. „Wieder einer mehr…Dabei platzt hier sowieso schon alles aus den Nähten…“

„Damit wirst du leben müssen.“ Simon lächelte über das Verhalten der Frau. Er kannte sie mittlerweile lang genug um zu wissen, dass sie diese Geschichte nicht so ernst nahm, wie sie es momentan vorgab.

„Eigentlich sollte ich das nicht tun. Also ihm einen Namen geben...“

Dies entlockte ihm ein Grinsen. Es war die Einleitung eines Monologes, den Sarah sich vor ein paar Monaten angeeignet hatte. Anfangs war er sich nicht sicher gewesen, ob er genervt oder amüsiert sein sollte – aber seinem Naturell entsprechend hatte er sich für die zweite Alternative entschieden.

„Eigentlich sollte ich jetzt irgendwo um die Häuser ziehen, feiern od…“, genervt brach sie ihren Satz ab. „Mit dir kann man eh nicht ernsthaft reden.“ Mit verschränkten Armen und trotzigem Gesichtsausdruck verließ sie das Zimmer ihres Vaters.

Er verstand ihre Argumentation. Schließlich raubte dieser Job der jungen Frau einen Großteil der Zeit, die sie nicht für ihr Studium verwendete. Ihr Wunsch nach etwas mehr Freizeit war nachvollziehbar.
 

Simon zog sich ungeachtet des Verhaltens seiner Tochter fertig an, ehe er hastig zur Tür eilte.

Insgeheim bezeichnete der diese Launen Sarahs als post-pubertär. Die meiste Zeit verhielt sich die 20-jährige äußerst erwachsen, denn sie wusste um die Verantwortung, die die beiden durch ihre Tätigkeit trugen. Doch ab und zu…
 

Jetzt endgültig vollends wach stieg er die Treppe zum Erdgeschoss hinab. Im Stillen verfluchte er den Umstand, dass sämtliche Notfälle zu den gottlosesten Zeiten einzutreffen schienen. Als ob die Verbrecher, die dafür verantwortlich waren, ihre Taten verstecken wollten. Aber er hatte sich schon längst an solche Uhrzeiten gewöhnt. Es war kein Weltuntergang mehr, wenn so wie an diesem Samstag um 23:30 Uhr ein neuer Notfall ankam.

Gespannt auf den neuesten Notfall öffnete er die Türe zu der kleinen Quarantänestation, die er, gemeinsam mit Sarah vor fünf Jahren eingerichtet hatte. Irgendwann war es bei der Fülle an neu Eintreffenden nicht mehr zu vermeiden gewesen.

Auf dem Tisch in mitten des Raumes befand sich auch schon das Objekt der Aufregung. Eine alter Karton aus dem ein klägliches Fiepen, sowie ein bestialischer Gestank drang. Im Vorbeigehen zog er zwei Gummihandschuhe aus dem Spender.

Sarah wartete schon. Sie hatte ebenfalls bereits die abgemachten Schutzvorkehrungen getroffen. Dazu gehörte auch, dass sie ihre Haare straff zurückband und jeglichen Schmuck ablegte.

Gespannt beugte er sich über den Behälter. Das was er sah war keine große Überraschung. Eher ein weiterer trauriger Fall in einer langen Liste ähnlicher Vorkommnisse.

Ein Bullterrier-Welpe befand sich in dem Karton, der mittlerweile schon von den Exkrementen des Kleinen verdreckt war. Auch der Allgemeinzustand ließ darauf schließen, dass sich der Hund schon längere Zeit in dieser Unterbringung befunden haben musste.

„Er wurde gerade eben erst gebracht?“

„Ja, genau. Eine Dame mittleren Alters hat ihn gefunden, als sie die Abendrunde mit ihren Irish Setter gemacht hat. Der Kleine muss wohl einen ziemlichen Krach gemacht haben.“

Mit einem beherzten Griff beförderte er den Welpen auf den Tisch.

Neugierig beobachtete Sarah ihn. Mittlerweile konnte sie schon ebenso gut wie er den Zustand eines Fundtieres feststellen, aber er war der ausgebildete Fachmann.

Besorgt stellte Simon fest, dass der Kleine auch unter einer ziemlichen Dehydration litt. Die Nackenfalte, die sonst elastisch zurückschnellen sollte, wenn man an ihr zog, blieb für seinen Geschmack viel zu lange in der manipulierten Stellung.

Die Schleimhäute des etwa 16 Wochen alten Bullterriers waren hingegen, den Umständen entsprechend, angemessen gefärbt.

„Sarah, hol‘ doch bitte eine Schüssel Wasser für unseren Neuzugang.“

Ohne zu widersprechen holte sie das Gewünschte, während Simon die Temperatur maß. Auch mit dem Wert von 38,7°C war er zufrieden. Normaltemperatur für einen Hund dieses Alters.

Nach einem kurzen Rundumcheck ließ Simon wieder von dem Tier ab. Eine Blutprobe später war die Untersuchung vorerst beendet. Einige weitere würden morgen Vormittag, zu einer christlicheren Zeit stattfinden. Für heute war es mit einer Schüssel Wasser und einer kleinen Portion Welpenfutter getan. Das einzige, das heute noch getan werden musste würde auch noch erledigt werden.

„Also Sarah, hast du dir etwas überlegt?“

„Wir sind jetzt bei „B“ oder?“ Der Ältere wusste, dass diese Frage rein rhetorisch war. Der aktuelle Buchstabe wurde nicht vergessen. Im Gegensatz zu der Zahl an Wiederholungen des Alphabets. Jeder Neuankömmling erhielt in diesem Tierasyl einen Namen. Als die Kreativität nach einigen Dutzend Tieren nachgelassen hatte, war die Alphabet-Regel eingeführt worden.

Mit „B“ war es wenigstens nicht allzu schwer etwas zu finden. Kompliziert wurde es, wenn mal wieder ein „X“ oder „Y“ anstand.

Auch wenn sie sich zuvor so gegen diesen Prozess gesträubt hatte, wusste die junge Frau, dass kein Weg daran vorbei führte, auch wenn sie zeitweise von ihrer Situation und dem Leid, das sie umgab, erdrückt wurde. Es war das endgültige Zeichen, dass das Fundtier bleiben konnte bis es einen guten Platz gefunden hatte, oder den Weg über die Regenbogenbrücke ging.

„Wie wäre es mit Bandit?“

Zufrieden nickte Simon. Es war ein guter Name. Zumindest ein passender.

Dieser junge Hund war bereits ein verurteilter Verbrecher. Eingestuft als eine Gefahr. Gebrandmarkt als ein potentieller Killer.

„Ok. Dann bist du ab heute ein kleiner Bandit.“ Er kraulte die Ohren des Bullterriers.

Wenigstens waren diese nicht auch noch verstümmelt worden. Sie standen auch ohne daran herumzuschnipseln. Ganz im Gegensatz zu anderen Leidensgenossen, musste dieser kleine Kerl wenigstens nicht mit diesem Schicksal leben.

Der Welpe schmiegte sich an seine Hand.

„Es ist immer wieder faszinierend, wie dankbar so eine schutzlose Kreatur sein kann, obwohl sie schon so viel Schlimmes erlebt hat.“ Simon sprach diese Worte mehr für sich selbst.

„Ich mache ihn dann sauber und bringe ihn dann in seine Box, ok?“

„Ja, ist gut.“

Während er sich die Handschuhe auszog, blickte er seiner Tochter nach, als sie, den kleinen Bandit im Arm in Richtung Boxen verschwand, während sie beruhigend auf das Hundebaby einredete.

Ihr Vater hatte ihren Blick bemerkt. Es war so gekommen, wie er es schon von Anfang an vorausgesehen hatte. Obwohl Sarah gegen die Aufnahme gewesen war, hatte jetzt wieder ihr Herz über ihren Verstand gesiegt – wie bei allen Fundtieren.
 

Simon machte sich auf den Weg in die Küche. Dies war ein weiteres Ritual, dass sich in der Familie eingebürgert hatte. In Nächten wie diesen traf man sich, bevor man wieder im Bett verschwand, an diesem Ort um noch kurz eine Kleinigkeit zu essen oder Tee zu trinken.

Er hatte gerade die Tassen aus dem Regal geholt und das warme Wasser aus dem Wasserkocher in die Gefäße gefüllt, als Sarah eintrat.

„Dafür, dass du den Kleinen nicht aufnehmen wolltest warst du jetzt aber ganz schön lange beschäftigt.“ Er schob ihr die Tasse und die große Kiste mit Teebeuteln hin.

„Ich habe ihm noch ein Spielzeug gesucht. Er ist anscheinend gerade im Zahnwechsel, da soll er was zum beißen haben.“

Sarah griff zielsicher nach einem Earl Grey.

„Du scheinst ihn ja schon ins Herz geschlossen zu haben.“

„So wie’s aussieht kommt er eh nie wieder aus dem Tierheim raus.“ Sie klang deprimiert.

„Wie wahr. Aber vergiss‘ nicht. In seinem Alter können wir ihn vielleicht noch vermitteln. Zur Not ins Ausland.“

Deutlich konnte Simon vom Gesichtsausdruck seiner Tochter ablesen, dass sie davon nicht überzeugt war.

„Hier wird ihn keiner nehmen. Das weißt du genauso gut wie ich. Sicherlich ist diese beschissene Hundesteuer auch der Grund dafür, warum man ihn einfach so entsorgt hat. Am liebsten würde ich dem Idioten, der für diese Rasselisten und erhöhten Steuern verantwortlich ist mal gründlich die Meinung sagen und dem Arsch, der Bandit ausgesetzt hat auch.“ Sie machte eine mehr verzweifelt wirkende Handbewegung während sie sprach. „In die Schweiz kann er auch nicht vermittelt werden. Die Niederlande sind ebenso tabu. Frankreich will da mitziehen. Da bleibt nicht mehr viel übrig…“ Sie seufzte. "Manchmal frage ich mich wirklich, warum wir das hier eigentlich machen. Anstatt, dass es weniger werden, werden es immer mehr."

Simon nickte betroffen. Das war eine Grundsatzfrage, an die jeder in diesem Bereich einmal stieß.
 

"Aber jetzt mal ernsthaft Sarah: Würdest du lieber auf irgendwelche Partys gehen, oder Tieren wie dem kleinen Bandit helfen."

"Ich weiß, was du jetzt hören willst. Aber da du die Antwort sowieso schon kennst, werde ich dir diesen Gefallen nicht tun."
 

Simon lachte. Ja, das war seine Tochter!
 


 

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Wenig Handlung, keine positive Grundstimmung, nur eine Aussage die mir am Herzen liegt.
 

Und wirklich total assoziativ, nachdem ich eine andere Idee vorgestern am Abend wieder verworfen habe.
 

© Sydney



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Technomage
2009-01-20T15:33:51+00:00 20.01.2009 16:33
Mh, ich lese da sehr viel Fachwissen und Betrautheit deinerseits mit dem Thema, über welches du schreibst heraus, was mir sehr gut gefällt, da es alles andere als selbstverständlich ist, gerade wenn man assoziativ schreibt. Gute Recherche oder ein vorhandenes Grundwissen zu einem Thema wird immer weniger ^^.

Die Figuren kommen mir etwas zu stereotyp vor, allerdings könnte ich den Finger nicht darauf legen, woran es konkret liegt oder was ich verbessern würde. Der Anfang mit der Erwähnung des immer gleichen Monologs hat mir noch sehr zugesagt und ich fand es sehr menschlich, aber gerade das abschließende Gespräch und die "Du kennst die Antwort" - Sache waren mir zu steril.

Dein Schreibstil ist auch sehr solide und liest sich flüssig, auch wenn ich an mir persönlich merke, dass solche realitätsnahen Geschichten und Themen mir als Leser nicht liegen und meine Aufmerksamkeitsspanne rapide nachlässt. Aber das ist, wie gesagt, rein auf mich bezogen, und hängt nicht mit der Qualität deiner Geschichte zusammen.

Kurz: Eine gute, solide Erzählung ^^.
Von:  Ito-chan
2009-01-19T20:16:04+00:00 19.01.2009 21:16
Ich muss gestehen, dass es wirklich sehr schön geschrieben und irgendwie aufrüttelnd, deswegen lasse ich das jetzt einfach so stehen, weil ich persönlich solche Einrichtungen für total wichtig halte und das ein Essay zum Tierschutz ist!


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