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Die Leiche unterm Weihnachtsbaum

Krimi-Challenge der Crazy-FF-Autoren
von

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Die Leiche unterm Weihnachtsbaum

Ich war ja noch nie ein Freund von Familienfesten gewesen und Weihnachten gehörte diesbezüglich zu den schlimmsten Feiertagen. Mir reichte da wirklich schon das ganztägige Zusammensein mit meinen Eltern, aber dieses Jahr sollte es besonders übel werden.

Meine Eltern hatten einem Skiurlaub mit der ganzen Familie zugestimmt. Das bedeutete: Eltern, Großeltern, meine Tante samt Onkel und Cousine würden da sein. Ich brauchte mich gar nicht erst zu beschweren, denn ich wurde einen Tag vor Heiligabend einfach mit in den Flieger von Frankfurt ab in die Alpen gesetzt.

Nichts gegen Tirol, aber auf diesen Ausflug freute ich mich überhaupt nicht. Aus Protest hatte ich dafür nur für meine Eltern Weihnachtsgeschenke gekauft. So fair wollte ich dann doch sein, denn immerhin bezahlten sie den Flug und ich würde einfach den ganzen Tag Skifahren, so dass ich die Verwandtschaft nur beim Essen ertragen müsste.
 

Aber schon der Abend unserer Ankunft in der abgelegenen Berghütte ließ mich schaudern, die Begrüßung durch die ganze Verwandtschaft könnte mir bestenfalls einen Brechreiz abgewinnen. Meine Mutter umarmte natürlich erst einmal ihre ältere Schwester, Küsschen auf die rechte Wange, Küsschen auf die linke Wange, ein kurzes Pläuschchen, dass wir einen guten Flug hatten und schon ging es zum Hände schütteln mit meinem Onkel. Ein Bussi für meine zwei Jahre ältere Cousine hatte sie auch noch übrig und nicht zu vergessen die ausschweifenden Worte der Begrüßung gegenüber ihren Eltern. Bei denen hatte sie dann auch noch ein paar Küsschen verteilt, bevor sie endlich ihre Handtasche abstellte und sich ihren Wintermantel auszog. Mein Vater machte meiner Mutter brav alles bei jeder Station nach, er bekam nur noch die Zusatzaufgabe, unsere Koffer nach oben in unsere Zimmer zu tragen.

Ich zog es vor, einfach nur allen ‚Hallo’ zu sagen und schief zu lächeln. Das einzig positive war, dass mein Vater Einzelkind war, so könnte die Veranstaltung nicht mehr größer werden. Hoffentlich bekam meine Cousine nie Kinder.
 

„Katrina Schätzchen, lass dich doch mal ansehen.“, meinte meine Oma natürlich wie immer, wenn sie mich mal sah.

Ich fragte mich zwar, wie viel sie ohne Brille eigentlich noch sehen konnte, immerhin ging sie auch schon auf die 75 zu, aber vielleicht war sie doch moderner als ich dachte und trug Kontaktlinsen.

„Du hast dir die Haare schön machen lassen, aber hast du in den letzten Monaten vielleicht ein wenig zugenommen? Du solltest Morgen nicht zu viel von der Gans essen.“.

Ich seufzte nur. Meine roten Haare waren in den letzten 20 Jahren immer lang und glatt gewesen und den stilvollen Stufenschnitt an den Spitzen hatte ich auch schon seit einem guten Jahr, aber das vergisst meine Oma offenbar gerne. Und wenn ich wirklich jedes Mal zugenommen hätte, wenn sie mir diese Frage stellte, würde ich wahrscheinlich schon in keine Kleidergröße mehr reinpassen. Mal abgesehen davon war Größe 36 für eine 1,68 m große Person wie mich ja wohl nicht zu viel.

„Hanne, wann gibt’s Essen?“, warf mein Großvater ein und schielte meine Oma an, die übrigens eigentlich Hannelore hieß.

„In einer Stunde Manfred.“.

„Dann kann ich ja noch den Hitchcock-Streifen im Fernsehen zu Ende gucken.“, mit dieser Feststellung begab sich mein Opa auch schon Richtung Sofa und schaltete das TV-Gerät ein.

„Ich bin so lange in meinem Zimmer. Ruf mich, wenn das Essen fertig ist.“, kam es nur von meiner Cousine Clarissa, die sich bereits wieder ihren MP3-Player in die Ohren stöpselte und mit ihren langen Modellbeinen die Treppe hoch stolzierte.

Manchmal wünschte ich mir wirklich, dass sie stolperte und auf ihre zu hoch gehaltene Nase fiel. Sie besuchte eine Modell- und Schauspielschule, aber für einen Vertrag hatte es bis jetzt noch nicht gereicht. Trotzdem hielt sie sich schon für den totalen Promi, zudem war sie nicht nur blond sondern auch noch blöd. Aber ich ignorierte sie einfach, so wie ich es immer tat.

Meine Oma zog schließlich ihre beiden schnatternden Töchter mit in die Küche, um das Abendessen herzurichten. Ich beschloss, nach oben zu gehen und mein Zimmer zu begutachten. Zu meiner Erleichterung sah wenigstens das recht gut und erholsam aus. Ein frisch bezogenes Bett mit dem Kopfende am Fenster, eine Kommode an der Wand, auf der kleine Engelstatuen aufgestellt waren und gegenüber vom Bett stand ein großer Kleiderschrank. Alle Möbel waren aus dunklem Holz, wie so ziemlich alles hier in der Hütte.

Mein Vater hatte meinen Koffer wie gewünscht neben meinem Bett abgestellt und war derweil selbst dabei, die Sachen von meiner Mutter und sich selbst irgendwo in ihrem Schlafzimmer zu verstauen. Ich hatte keine Lust, jetzt meinen Koffer auszupacken, stattdessen legte ich mich zusammen mit einem Sherlock Holmes Roman, den ich bereits im Flugzeug angefangen hatte zu lesen, auf mein Bett und versank in einer sicherlich spannenderen Welt als diese hier.
 

Den Rest des Abends überstand ich auch noch irgendwie. Beim Abendessen sagte ich einfach nichts und verschwand so schnell wie möglich wieder auf mein Zimmer zu meinem Buch. Der erste Tag war überstanden und Morgen nach dem Frühstücken würde es erst einmal auf die Piste gehen.
 

~~~
 

„Guten Morgen und fröhliche Weihnachten mein Kind. Hast du gut geschlafen?“, begrüßte mich meine Mutter fröhlich, als ich am nächsten Morgen verschlafen die Küche betrat.

„Ja.“, zu einer längeren Antwort war ich noch nicht fähig, denn ich war durch meinen Abistress leider kaffeeabhängig geworden, was bedeutete, dass ich ohne meine Tasse Morgenkaffee nicht mehr als ein wandelnder Zombie war.

Aber meine Mutter kannte das schon, so stellte sie sofort dankbarerweise eine Tasse mit frischem Kaffee vor mir auf dem kleinen Holztisch ab, der mitten in der Küche stand. Wie nicht anders zu erwarten war, waren auch hier alle Möbel aus dunklem Holz außer verständlicherweise der Herd und der Kühlschrank.

„Hilfst du mir bitte beim Tisch decken, die Brötchen sind gleich fertig.“, bat mich meine Mutter, die kurz einen Blick in den Ofen geworfen hatte, um sich von dem Zustand der besagten Brötchen zu überzeugen.

„Meinetwegen.“, erwiderte ich und ließ von meiner Tasse ab, weil mir meine Mutter auch schon die Teller für alle Familienmitglieder in die Hand drückte.

Es folgten noch die Kaffeetassen, Besteck und diverse Beläge für die Brötchen. Langsam sammelten sich dann auch die anderen Personen am Tisch und das Frühstück verlief genauso wie das gestrige Abendessen: nachdem jeder einmal allen ‚fröhliche Weihnachten’ gewünscht hatte, plauderten sie alle wieder über unwichtige Dinge weiter, nur ich konzentrierte mich ausschließlich auf das Essen.
 

Nach dem Abräumen wollte ich mich schon fertig für die Piste machen, denn mein Vater und mein Onkel würden sich gleich auf jeden Fall auf den Weg machen.

„Katrina, du machst doch bestimmt auch gleich beim Tannenbaum schmücken mit, oder?“, sprach mich plötzlich meine Tante an, als ich gerade die erste Stufe erklommen hatte.

Verwirrt blickte ich sie an.

„Deine Mutter bleibt auch hier und die Oma will uns einen leckeren Gewürzkuchen backen. Das wird bestimmt schön. Außerdem brauchen wir doch nicht raus in die Kälte zu gehen.“.

„Aber…“.

„Katrina Schatz, wenn du schon nach oben gehst, bring doch bitte gleich die Kugeln mit. Ich habe alles in unserem Zimmer.“, kam es nun von meiner Oma, die ihren Mann mal wieder auf dem Sofa vor dem Fernsehen absetzte.

„Wunderbar. Die Kerzen müssten hier unten irgendwo in den Wohnzimmerschränken sein.“, damit machte sich meine Tante auch schon auf die Suche und ich konnte nicht mehr widersprechen.

Ich brachte die Kugeln mit der Hoffnung nach unten, dann doch noch mit auf die Piste zu können, doch ich hatte solange gebraucht, den ganzen kitschigen Baumschmuck nach unten zu tragen, dass mein Vater, mein Onkel und meine Cousine schon weg waren. Ich saß also fest, denn meine Mutter würde mich bestimmt nicht hinterher fahren. So hatte ich also keine andere Wahl, als den Tag im Kreise meiner Familie zu verbringen, den Baum mit Kugeln und anderem Gehänge in sämtlichen Farben zu schmücken und anschließend ein Stück Gewürzkuchen zu essen.

„Ich hoffe, unsere drei Skifahrer denken daran, dass wir nachher noch in die Kirche wollen.“, bemerkte meine Großmutter, als wir bei einer Tasse Kaffee und dem Kuchen zusammen saßen.

„Bestimmt, ich habe es Tom gestern und heute Morgen eingebläut, die kommen schon rechtzeitig wieder.“, erwiderte meine Tante.

Ich verschluckte mich dagegen beinahe an meinem Kaffee. Kirche? Das war doch hoffentlich nur ein schlechter Scherz. Meine Eltern waren so gnädig und ließen mich seit meinem sechzehnten Lebensjahr zu Hause bleiben, während sie die Abendmesse besuchten. Auf Kirche hatte ich nun wirklich keine Lust.

„Ich habe es Michael auch oft genug gesagt. Hoffentlich bedenken sie auch, dass sie vorher noch duschen müssen, denn direkt nach dem Skifahren würde ich mit ihnen nirgendwo hingehen.“, fügte meine Mutter noch hinzu, „Ach und Katrina, du kommst doch dieses Jahr sicher auch mit, hier wird es bestimmt anders sein als zu Hause.“.

Mein entgeisterter Blick sollte eigentlich alles gesagt haben, aber meine Oma schien ihn übersehen zu haben.

„Natürlich kommt sie mit. Ich verstehe sowieso nicht, wie ihr sie immer zu Hause lassen könnt, es ist schließlich Heiligabend, da muss man in die Kirche gehen.“.

Warum waren meine Großeltern nur streng katholisch?! Aber ich hatte keine andere Wahl, als mich meinem Schicksal zu ergeben.
 

Die drei Skifahrer kamen zurück, der Baum war geschmückt und wir hatten zwischenzeitlich auch noch die Gans fürs Abendessen vorbereitet, die jetzt in den Ofen geschoben werden konnte.

„Hab bitte ein Auge auf die Gans Manfred. Wir gehen jetzt in die Kirche.“, sagte meine Oma Hannelore zu ihrem Gatten, der sie von seinem Sofaplatz aus anblickte.

„Mach ich.“, es klang nicht sehr vertrauenswürdig, aber in einer guten Stunde wären wir ja wieder da und die Gans brauchte fast zwei Stunden Garzeit, da würde wohl nicht gleich die Hütte in die Luft gehen, wenn wir weg wären.

Überhaupt fand ich es unfair, dass Großvater Manfred hier bleiben durfte, nur weil er nicht mehr so gut laufen konnte. Seinen Stock benutzte er sowieso nie, außerdem könnte selbst ihm ein bisschen Bewegung nicht schaden. Aber da war Oma Hannelore natürlich nicht so streng, lieber sprach sie ein Gebet für ihn mit.
 

Während ich mit meinen Eltern bereits zum Auto ging, fiel meiner Oma ein, dass sie noch etwas vergessen hatte und musste noch einmal nach oben auf ihr Zimmer gehen. Meine Cousine musste auch noch eben gewisse Örtlichkeiten fürs Wohlbefinden aufsuchen, so dass aber mein Onkel und meine Tante den Wagen vorfahren wollten. Wenigstens würde Großmutter so bei ihnen im Auto mitfahren. Wir fuhren schon einmal vor und trafen die anderen wieder vor der kleinen Kirche der Ortschaft.

War ich froh, als ich da wieder raus war. Ich wäre beinahe eingeschlafen. Nur der Gedanke an die leckere Gans und die Geschenke hatte mich wach halten können. Leider fing es auf der Rückfahrt dann auch noch stark an zu schneien, weshalb wir ziemlich lange brauchten. Meinen Onkel, der vorgefahren war, konnten wir auf halber Strecke schon nicht mehr sehen und meine Mutter drängte meinen Vater zu besonderer Vorsicht, damit wir nicht die nächste Klippe runterstürzten. In dieser Hinsicht hatte ich mal mehr Vertrauen in meinen Vater als sie, denn er war ein hervorragender Fahrer.

Zur Erleichterung meiner Mutter kamen wir heil an unserer Hütte an, bevor wirklich noch ein Schneesturm losbrach und auch der Wagen ihres Schwagers stand bereits sicher in der Doppelgarage.

Der Wind war mittlerweile so stark, dass wir schon fast zur Haustür fliegen konnten. Ich bekam die ehrenvolle Aufgabe, bei dem Wind die Tür aufzuschließen, doch gerade als ich den Schlüssel ins Schloss bekommen hatte, hörten wir von drinnen auch schon meine Tante schreien und kurz darauf meine Cousine kreischen.

Alarmiert drehte ich den Schlüssel um und wir rannten in die Hütte. Den Garderobenbereich ließen wir schnell hinter uns und liefen sofort ins Wohnzimmer durch, wo wir die gesamte Verwandtschaft am Weihnachtsbaum vorfanden. Geschockt blickten alle auf den Boden. Hatten sie gerade ein dramatisches Geschenk entdeckt oder was war los? Das Sofa versperrte uns leider die Sicht auf den Fuß des Baumes, so dass wir erst näher treten mussten, bevor wir die Ursache für das alles herausfanden. Auch wir standen mit offenen Mündern da und mit Schock in den Augen. Großvater Manfred lag seitlich auf dem Boden, die Augen geweitet, den Mund geöffnet und die Hände verkrampft.

„Wir müssen sofort einen Krankenwagen rufen.“, schrie meine Mutter so laut, als wenn sie Angst hätte, dass wir sie überhören könnten, wenn sie in normaler Lautstärke sprach.

Ich kniete neben Großvater nieder und fühlte seinen Puls. Doch vergeblich, er gab kein Lebenszeichen von sich.

„Die Polizei am besten gleich mit. Denn Opa Manfred ist tot.“, der Satz ging mir nicht gerade leicht von den Lippen, auch wenn ich nicht viel für meinen Großvater übrig hatte.

Aber Fakt war, es war jemand gestorben.

„Wie kann das sein?“, keuchte meine Tante panisch, als wenn sie gerade von einem wilden Tier verfolgt worden wäre.

„Irgendwann trifft es jeden.“, meinte meine Oma nur trocken.

Ich wusste ja, dass ihre Ehe nur noch auf dem Papier existierte und sie einfach zu alt waren, um sich noch scheiden zu lassen, religiöse Hintergründe mal ganz außer Acht gelassen. Aber ein bisschen mehr Betroffenheit hätte ich doch erwartet.

„Oh mein Gott, wir haben eine Leiche im Haus. Schafft ihn weg!“, kreischte meine Cousine angeekelt.

Von ihr war wohl auch nicht mehr zu erwarten gewesen.

Mein Vater und mein Onkel schafften es nicht, etwas dazu zu sagen, sondern starrten den leblosen Körper nur entgeistert an.

„Es gibt ein Problem.“, meinte auf einmal meine Mutter.

Wenigstens sie hatte reagiert und ihrem Vater helfen wollen, denn sie hatte mittlerweile versucht, Arzt und Polizei zu benachrichtigen.

„Aufgrund des Schneesturms draußen können sie nicht kommen. Wir sind hier total abgeschnitten von allem, bei dem Wetter kann keiner raus.“, besorgt blickte sie durch die Runde, ihre Augen waren feucht.

Wenigstens eine Person die wirkte, als trauerte sie. Meiner Mutter glaubte ich das sogar. Alle anderen berührte dieses Drama reichlich wenig.
 

„Dann müssen wir eben selbst herausfinden, was passiert ist.“, sagte ich schließlich.

„Wie meinst du das?“, fuhr mich sofort meine Tante an, als wenn ich etwas Unanständiges gesagt hätte.

„Sieh dich doch mal um, kommen dir nicht auch ein paar Dinge komisch vor?“.

Sie sah mich nur mit weiten Augen an. Auch alle anderen warteten gespannt auf eine Antwort von mir.

„Seht doch mal dort, da liegt ein zerbrochener Blumentopf. Ein paar Baumkugeln liegen auch kaputt am Boden. Außerdem finde ich es komisch, dass er seine Hände so verkrampft hält. Außerdem kann der Tod erst in den letzten beiden Stunden eingetreten sein, denn solange waren wir weg.“, erklärte ich und fragte mich, ob die anderen diese Details wirklich übersehen hatten.

„Ach herrje, die Gans!“, rief Oma Hannelore plötzlich ob meiner Bemerkung der verstrichenen Zeit und lief geschwind in die Küche.

Na gut, bei diesem Desinteresse übersah man solche Nebensächlichkeiten wohl.

„Und was willst du jetzt damit sagen?“, meinte meine Cousine genervt zu mir.

Ich seufzte kurz über diese unglaubliche Familie, bevor ich mich wieder erhob und ihr eine Antwort schenkte.

„Ich will damit sagen, dass er vielleicht keines natürlichen Todes gestorben ist.“, meine Mutter atmete vor Schock tief ein und auch mein Vater schien mir nicht glauben zu wollen, während die restliche Verwandtschaft mich nun endgültig für verrückt erklärte. „Er hat nämlich eine Verletzung am Kopf und er blutete an der Hüfte, aber das ist bereits geronnen. Und wenn ich mir die Reaktionen hier so ansehe, dann hätten einige sicher ein Motiv für einen Mord.“.
 

Ich merkte richtig, wie das Adrenalin in mir anstieg. Ein Mordfall und das in der eigenen Familie und keiner war da, der ihn aufklären konnte. Außer mir. Das war aufregend und erschreckend zugleich.

„Katrina, weißt du eigentlich, was du da sagst?“, sagte meine Mutter zu mir.

„Ja, das weiß ich. Ich will nur nichts ausschließen.“.

„Aber wie hätte ihn denn einer von uns umbringen sollen, wir waren doch alle in der Kirche.“, warf mein Vater ein.

„Das schon, aber Onkel Tom war schneller zurück als wir, das bedeutet, dass es ihm, Tante Elisabeth, Cousine Clarissa oder auch Oma Hannelore durchaus möglich gewesen wäre, ihn umzubringen.“.

„Aber wie denn?“, meinte Mutter konnte sich das einfach nicht vorstellen.

„Die genaue Todesursache ist mir noch nicht klar, ich bin ja kein Arzt, aber denkbar ist es für mich auf jeden Fall.“, ich sah meine Mutter betroffen aber bestimmt an.

„Schau an, da trumpft sie auf einmal auf, unsere kleine Tritri.“, meine Cousine sah mich abfällig an.

Ich erwiderte ihren Blick, denn ich hasste diesen Spitznamen, den sie mir gegeben hatte. Seitdem bereute ich es, mal einen Wellensittich gehalten zu haben.

„Du liest zu viele Krimis. Das hier ist nicht so ein Fall wie in deinen Büchern. Wir sollten warten, bis jemand kommt. Und bis dahin macht was mit ihm, das ist ja Ekel erregend wie er da liegt. Also ich brauche kein Abendessen mehr, ist eh nicht gut für meine Figur.“, mit diesem Kommentar stieg sie auch schon die Treppe nach oben.

In diesem Moment kam auch meine Oma wieder aus der Küche.

„Die Gans war glücklicherweise nicht zu lange drin. Wir können also gleich essen, während wir auf die Polizei oder sonst wen warten.“.

„Wir sollten ihn wenigstens vernünftig hinlegen und zudecken.“, meinte meine Mutter und holte bereits eine Wolldecke vom Sofa.

„Nicht, wir dürfen den Tatort nicht verändern.“, rief ich.

„Aber Kind.“.

„Kein aber. Wir dürfen nichts machen.“.

„Übertreibst du es nicht?! Ich finde Clarissa hat Recht, du verwechselst das mit deinen Krimiromanen. Aber macht doch was ihr wollt. Jetzt habe ich das Geschenk ganz umsonst besorgt.“, genervt ging meine Tante Richtung Küche, um ihrer Mutter beim Tisch decken zu helfen.

Wie makaber konnte man eigentlich sein. Der Vater wurde vielleicht ermordet und sie dachte an rausgeschmissenes Geld. Außerdem sollten wir jetzt mit einer Leiche neben dem Tisch essen oder wie? Diese Familie würde ich wohl nie verstehen.

Mein Onkel trabte seiner Frau einfach hinterher, während meine Mutter sich nur geschockt mit ihrer unnützen Decke aufs Sofa nieder fallen ließ. Mein Vater nahm sie tröstend in den Arm, so dass sie endlich los weinen konnte. Meine Mutter tat mir Leid und ich trug sicherlich nicht dazu bei, dass es ihr besser ging, aber ich konnte meine Vermutungen nicht zurück halten. In dieser Familie gab es offenbar einen Mörder und das ließ mir keine Ruhe. Mich nahm zwar keiner ernst, aber das würde mich nicht von meinen Ermittlungen abhalten.
 

Ich fasste noch einmal gedanklich zusammen: mein Onkel plus Familie und Oma kamen vor uns hier an. Ich wusste zwar nicht, wie viel länger sie vor uns hier waren, aber mal eben den alten Opa niederschlagen sollte wohl drin gewesen sein. Das brachte mich zu dem Schluss, dass das von der ganzen Familie geplant gewesen sein könnte. Aber dann hätten sie ihn doch auch anderswann erledigen können und nicht, wenn wir dabei waren.

Moment, Großmutter hätte eventuell auch die Gelegenheit gehabt, als sie noch einmal nach oben ging, weil sie angeblich etwas vergessen hatte. In der Zeit war Clarissa auch auf der Toilette gewesen, sie hätte also auch da eine Möglichkeit gehabt. Und was war mit Onkel Tom und Tante Elisabeth. Waren sie wirklich sofort zum Wagen gegangen, gemeinsam? Wir hatten uns ins Auto gesetzt und waren einfach los gefahren, einer der beiden kam also auch zu dieser Zeit schon als Täter in Frage.

Ich konnte lediglich mich selbst und meine Eltern als Täter ausschließen und die Tatzeit ließ sich so leider auch nicht einschränken. Und was genau war die Todesursache? Hatte er vielleicht den Blumetopf auf den Kopf bekommen? Aber dann müssten sich auch Reste der Blumenerde oder Farne bei ihm wieder finden, aber der Blumentopf lag einen Meter neben ihm zertrümmert auf den Boden. Vermutlich war er oben von dem Stück Treppengeländer gefallen, welches waagerecht verlief. Der andere Blumentopf stand auch noch unversehrt dort oben an seinem Platz. Doch wenn er Opa Manfred nicht auf den Kopf gefallen war, warum war er überhaupt umgefallen? Und was war mit der Verletzung an der Hüfte? Die erschloss sich mir nun überhaupt nicht. Oder die geweiteten Augen und die verkrampften Hände, es wirkte so, als hätte er einen Schock erlitten. Er musste auf jeden Fall überrascht worden sein.
 

„Katrina Schätzchen, isst du mit?“, riss mich die Stimme meiner Oma aus meinen Gedanken.

Ich schüttelte nur den Kopf, während ich beobachtete, wie sich jedoch meine Eltern an den Tisch gesellten. Ich konnte jetzt nichts essen, dafür stand ich zu sehr unter Strom und mein Gehirn arbeitete so stark wie noch nie zuvor. Ich würde dieser Sache nachgehen, ich würde diesen Fall lösen!

Aber es war schon bedauerlich. Das Jahr hatte 365 Tage, manchmal sogar 366, aber der Mörder muss sich ausgerechnet Weihnachten aussuchen. Ich halte zwar nichts von Feiertagen, aber das war wirklich nicht die Art, wie man sich ein Familienfest vorstellte, egal wie krank die Familie auch sein mochte.
 

Doch ich durfte meine Gedanken jetzt nicht abschweifen lassen, ich musste mich konzentrieren. Aber wo mit den Ermittlungen anfangen? Ich beschloss, mir zunächst die Stelle genauer anzusehen, wo vorher der Blumentopf gestanden hatte. Doch als Allererstes zog ich endlich meinen Mantel und Schuhe aus, das hatte ich vor lauter Aufregung ganz vergessen, aber langsam wurde es doch sehr warm in der Winterkleidung. Die Sachen meiner Eltern, die sie vorhin auf dem Sofa abgelegt hatten, nahm ich gleich mit und hing sie an der Garderobe auf.
 

So, nun konnte es losgehen. Voller Elan stieg ich die Treppe hinauf und begutachtete die fragliche Stelle des Treppengeländers. Dort war ein schwarzer Rand vom Blumentopf zu sehen, der durch die Blumenerde entstanden war. Der andere Topf schien nicht angerührt worden zu sein. Das machte mich doch gleich stutzig, denn wie konnte man den einen Topf gleich so zum Runterfallen bringen, ohne den anderen auch nur einen Millimeter zu verrücken? Ich blickte über das Geländer nach unten. Der Topf war senkrecht zu Boden gefallen, allerdings lagen zwischen Geländer und Aufschlagstelle ca. zwei Meter Entfernung. Wie konnte das denn sein? Also von ‚runtergefallen’ konnte da keine Rede mehr sein. Hat etwa jemand den Topf auf Opa Manfred geworfen? Das war für mich die einzig plausible Erklärung. Nur leider konnte ich keine Fingerabdrücke auf den Scherben überprüfen, dafür musste ich schon auf die Polizei warten.

Mehr konnte ich jedoch hier oben nicht erkennen, es gab ansonsten keine weiteren Auffälligkeiten.
 

Grübelnd ging ich wieder runter und betrachtete noch einmal eingehend die Leiche. Die zerbrochenen Weihnachtskugeln hatte Opa Manfred sicherlich selbst von Baum gerissen, als er zu Boden fiel. Aber an den Kugeln klebte kein Blut und auch so war für mich nicht ersichtlich, wie diese Kugeln jemanden töten könnten. Aber auch die Wunde an seiner Hüfte konnten sie mir nicht erklären.

Mein Blick schweifte über den Holzboden. Kugelsplitter, Porzellanscherben vom Blumentopf, die Pflanze, Erde. Übersah ich etwas? Ich hockte mich neben den Blumentopf und besah mir alles genau. Zwischen den Erdkrümeln glaubte ich, einen Fleck auf dem Boden zu erkennen. Mit dem Zeigefinger strich ich über die Stelle, es fühlte sich komisch an. Irgendwas war da angetrocknet. Wenn ich meinen Kopf ein wenig zur Seite lehnte, so dass das Licht aus einem anderen Winkel drauf fiel, schimmerte der Fleck dunkelrot. Das war Blut!
 

Aber Blut am Boden? Kam das vielleicht von der Wunde an seiner Hüfte? Der Fleck und der Blumentopf lagen bei seinen Füßen und sein Gesicht zeigte Richtung Sofa. Könnte er aus der Küche gekommen sein, er sollte schließlich mal nach der Gans sehen? Meine nächste Station wäre also die Küche. Ich betrat den Raum durch die Schwingtür, wobei ich noch kurz einen genervten Blick Richtung Esstisch warf, an dem meine Tante mit meiner Oma über das köstliche Essen schwärmte. Doch diese gefühllosen Klötze würde ich einfach ausblenden, ich hatte mich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Aber auf den ersten Blick sah hier in der Küche alles normal aus. Die Klappe des Ofens stand ein wenig offen, um die Hitze raus zu lassen, in der Spüle lagen ein paar Messer und auf der Anrichte ein Paar Topflappen, womit Oma sicherlich die Gans aus dem Ofen geholt und angeschnitten hatte.

Doch auf dem Boden neben dem kleinen Holztisch und auch an dessen Kante fand ich wieder getrocknete Flecken, genauso wie der im Wohnzimmer. Opa musste sich hier in der Küche verletzt haben, aber auf dem Tisch war nichts, womit man sich hätte verletzen können und an der Tischkante konnte man sich auch nicht schneiden, jedenfalls nicht so. Und wäre er umgefallen und gegen den Tisch geknallt, sähe die Wunde anders aus. Wie könnte er sich also verletzt haben? Die Messer in der Spüle sahen auch nicht verdächtig aus, außerdem glaubte ich nicht, dass meine Oma die Gans mit dreckigen oder gar blutigen Messern anschneiden würde. Aber es gab auch noch ein paar scharfe Messer im Messerblock. Ich nahm eines nach dem anderen heraus. Es waren drei an der Zahl und das Letzte sah doch ein wenig merkwürdig aus. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich auch hier an der Spitze etwas dunkles Angetrocknetes und auch sonst wirkte das Messer so, als wäre es gerade erst schnell abgewischt bzw. abgespült worden. Oma Hannelore und Tante Elisabeth waren die Einzigen, die seit unserer Ankunft in der Küche waren, aber vorher hätte auch jemand anderes das Messer sauber machen können.
 

Dummerweise hatte ich die Messer mit bloßen Händen angefasst. Mich über meine eigene Blödheit ärgernd steckte ich das Messer schließlich in einen Gefrierbeutel, das musste später unbedingt von der Spurensicherung untersucht werden, hoffentlich hatte ich die Fingerabdrücke des Täters nicht verwischt.

Doch leider brachte mich das Messer momentan nicht viel weiter. Ich wusste jetzt, dass sich Opa Manfred wahrscheinlich daran verletzt hatte, aber das war auch schon alles. Außerdem glaubte ich nicht, dass er durch diese Verletzung gestorben war, die möglichen Fingerabdrücke am Griff würden also nicht zwangsweise zum Täter führen.
 

Da ich nun eher ratlos als voller Tatendrang wie zuvor war, beschloss ich, mir noch einen Kaffee aufzusetzen, denn bei einer Tasse Kaffee konnte ich immer noch am besten nachdenken. Während die Maschine das Wasser durch den Filter zog und ich an der Anrichte lehnte, wurde mir erst so richtig die Tragweite des Ganzen bewusst. Draußen tobte ein Schneesturm, wir saßen hier in dieser Hütte fest und das zusammen mit einem toten Opa und einem gefühlskalten Mörder und dieser Mörder gehörte auch noch zu meiner Familie! Gott sei Dank hatten wir nicht alle denselben Namen, sonst hätte ich mich nach abgeschlossenen Ermittlungen umbenennen lassen müssen.

Nach einer kurzen Weile war dann auch mein Kaffee fertig und ich nahm erst mal einen großen Schluck aus meiner Tasse, auch wenn ich mir dabei gleich die Zunge verbrannte. Das Koffein hatte ich jetzt einfach nötig. Ich musste diesen Fall aufklären und zwar schnell. Ich dachte nach, wie Sherlock Holmes immer an seine Fälle ranging. Ein wichtiger Teil war immer die Zeugen- und Verdächtigenbefragung. Ohne diese würde ich vermutlich auch nicht auskommen, die Frage war nur, wie viel mir meine liebe Verwandtschaft überhaupt erzählen würde. Aber ich musste wissen, wie lange mein Onkel vor uns hier angekommen war und was die vier danach alles hier gemacht hatten. Außerdem fehlte noch etwas Wichtiges: das Motiv. Da sich keiner um Opa Manfreds Tod groß scherte, könnte jeder von ihnen eines haben, das musste ich genau heraus bekommen.

Da alle noch beim Essen waren, sollte ich vielleicht zuerst meine Cousine nerven, in ihrem Zimmer könnte sie nicht abhauen und wir wären auch unter uns, so dass sich nicht gleich alle gegen mich zusammen tun könnten. Ich trank noch einen Schluck meines Kaffees, ließ dann aber die halbvolle Tasse stehen und lief nach oben.
 

Höflicherweise klopfte ich an Clarissas Zimmertür und trat ein. Sie hatte es aber vermutlich eh nicht gehört, denn sie hatte wieder ihre Kopfhörer im Ohr und las in einer Modezeitschrift Sie blickte mich nicht einmal an, offensichtlich hatte sie mich noch gar nicht bemerkt, denn ihre Musik war so laut, das selbst ich sie noch deutlich hören konnte.

Ich trat an ihr Bett heran und klatschte gegen ihre Zeitschrift, genervt blickte sie mich aber endlich an.

„Was willst du?“, schrie sie, als wenn es im ganzen Raum so laut wäre wie in ihren Ohren.

Doch das wollte ich mir dieses Mal nicht bieten lassen, so zog ich ihr die Kopfhörer aus dem Ohr, nahm den MP3-Player an mich und stellte diese schreckliche Musik ab.

„Sag mal geht’s noch?!“, fuhr sie mich an und setzte sich auf, „Gib ihn mir sofort zurück, du machst ihn sonst noch kaputt.“.

„Erst, wenn du mir ein paar Fragen beantwortet hast.“, entgegnete ich entschieden.

„Spielst du immer noch Detektiv? Hör mal, keiner vermisst den Alten, also was soll das?“.

„Es ist jemand gestorben und der Mörder ist noch hier im Haus, machst du dir deswegen keine Sorgen?“.

„Ich denke nicht, dass mich jemand umbringen will.“, sagte sie nur trocken.

Am liebsten hätte ich ihr jetzt erwidert, dass ich ihr durchaus den Hals würde umdrehen wollen, aber natürlich würde ich nie wirklich so weit gehen können. Aber das Maul stopfen würde ich ihr mit ihrem MP3-Player schon ganz gerne, doch dann würde sie mir keine Antworten mehr geben können.

„Du kannst mir trotzdem sagen, wann ihr in etwa wieder von der Kirche zurück wart, wir haben euch in dem Sturm nämlich aus den Augen verloren.“.

„Als ob ich hier ständig auf die Uhr sehe. Aber ihr habt schon ganz schön lange gebraucht. Ich bin sofort ins Bad gestürmt, weil dieser Wind meine ganze Frisur auf den paar Metern zerstört hatte und ich brauche immer so ca. eine knappe halbe Stunde, um mir meine Haare zu stylen.“.

Das war doch schon mal eine Aussage. Aber zu den fraglichen Zeiten war sie scheinbar immer unten im Badezimmer gewesen, das war auch schon irgendwie verdächtig. Das sollte ich mir sicherheitshalber gleich auch mal ansehen.

„Danke, mehr wollte ich gar nicht wissen.“, sagte ich nur noch, warf ihr ihren MP3-Player zurück und lief wieder runter.
 

Dort im Badezimmer lagen tatsächlich überall noch ihre Haare. Dass sie direkt nach ihrer Ankunft hier im Bad war, schien also zu stimmen. Trotzdem hätte sie vor der Abreise immer noch eine Gelegenheit für einen tödlichen Schlag gehabt. Ich fuhr mir selbst verzweifelt durch die Haare. Wieder eine Sackgasse. Also ein Sherlock Holmes war ich definitiv nicht, aber das war auch verzwickt. Ich würde wohl oder übel noch meine Oma, meine Tante und meinen Onkel befragen müssen. Also los, nur Mut!

Ich ging aus dem Badezimmer und sah, wie der weibliche Teil der Familie den Tisch abräumte. Das wäre meine Chance, an meinen Onkel heran zu kommen, mein Vater würde sich schon zurückhalten.

„Onkel Tom, ich würde dir gerne ein paar Fragen stellen.“, sagte ich sofort ohne groß drum rum zu reden.

„Jetzt sag nicht, du willst so was wie eine Polizeibefragung machen?“, meinte er leicht amüsiert.

„So was in der Art. Ich würde gerne wissen, wann ihr von der Kirche wieder zurück wart.“.

„Das muss so gegen halb 8 gewesen sein. Ihr kamt erst eine halbe Stunde später, weil deine Mutter so ein Angsthase ist.“.

Das deckte sich schon mal mit der Aussage meiner Cousine.

„Und was habt ihr in der Zeit gemacht, bevor wir kamen?“.

„Deine Tante ging sofort nach oben, weil sie sich umziehen wollte, außerdem hatte sie vergessen, vorher die Geschenke unter den Baum zu legen. Ich habe auf dem Sofa gesessen und Fernsehen geguckt.“, erklärte er vollkommen lässig, „Als deine Tante dann mit den Geschenken wieder runter kam, schrie sie plötzlich. Ich drehte mich zu ihr um und auch Clarissa kam gerade aus dem Bad und fing mit an zu kreischen, als wir so schließlich Opa Manfred fanden.“.

„Wie furchtbar.“, kam es leise von meinem Vater.

Auch ich fand diese Situation recht bemitleidenswert. Selbst tot fand mein Großvater keine Beachtung und lag erst mal noch eine halbe Stunde am Boden, bevor man ihn endlich entdeckt hatte.

Aber das hieß auch, dass Onkel Tom kein Alibi für diese halbe Stunde hatte. Tante Elisabeth könnte ihn auch aus dem Grund ‚übersehen’ haben, weil er zu der Zeit, als sie die Treppe hochging, noch gar nicht tot war. Aber Onkel Tom schien sich auch nicht gewundert zu haben, dass Opa Manfred nicht auf dem Sofa saß und Fernsehen schaute.
 

Als ich gerade meine nächste Frage stellen wollte, lugte Tante Elisabeth durch die Tür.

„Würdet ihr euch vielleicht nützlich machen und schon mal den Kamin neu anheizen und ein Bad einlassen?! Wir spülen eben. Katrina, du könntest uns auch ruhig helfen, wenn du schon deine Kaffeetassen immer überall herum stehen lässt.“.

Ohne Widerworte erhob sich Onkel Tom und trabte noch oben, um vermutlich Wasser in die Wanne einzulassen, welches durch einen extra Ofen auch erst noch warm gemacht werden musste. Also blieb für meinen Vater noch der Kamin übrig. Ich opferte mich und ging in die Höhle des Löwen. Allerdings hätte ich nie erwartet, dass das mal eine Küche sein würde.

„Sag mal Kindchen, hast du das Messer in den Beutel gepackt?“, fragte mich meine Mutter verwundert über die Tatsache und hielt den Gefrierbeutel mit dem Messer hoch.

„Ja, denn da klebt vermutlich Opas Blut dran.“.

Meine Mutter sah mich entgeistert an.

„Bestimmt sind das nur Soßenreste.“, meinte meine Tante.

„Ich lasse das Messer trotzdem lieber da drin, das behagt mir gar nicht.“, entgegnete meine Mutter glücklicherweise und legte die Tüte auf dem kleinen Holztisch ab.

Das Beweismittel war wenigstens gesichert.

„Keine Sorge, ich habe die Gans nicht mit diesem Messer angeschnitten.“, sagte meine Oma noch, als wenn das jetzt beruhigen würde.

„Sag mal Oma, was hast du eigentlich in der Zeit gemacht, in der ihr eher hier wart als wir?“, fragte ich sie, während sie den Abwasch machte, meine Tante und meine Mutter abtrockneten und ich alles wegräumen durfte.

„Ich habe schon mal den Salat gewaschen und geschnitten.“.

„Hast du Opa dann nicht vor dem Weihnachtsbaum liegen sehen?“, fragte ich ein wenig verdutzt.

Wenn man in die Küche wollte, musste man schließlich durchs Wohnzimmer, am Essbereich vorbei und von dort aus stand man in einer Linie zwischen Küchentür und Weihnachtsbaum, zwischen dem und dem Sofa Opa Manfred lag. So zielstrebig konnte sie nicht gegangen sein, außerdem hätte sie sich bestimmt über den kaputten Blumentopf auf dem Boden aufgeregt, der ihr aufgefallen sein musste, als sie den Esstisch passierte.

„Doch, hab ich.“, kam überraschenderweise ihre nüchterne Antwort.

„Aber Mutter.“, meine Mutter war entsetzt ob dieser Aussage.

Selbst meine Tante hielt in ihrer Bewegung inne und starrte ihre Mutter an.

„Er lag dort schon, als ich in die Küche ging. Ich hatte eigentlich darauf gewartet, dass irgendjemand schreien würde, denn mich hat dieser Anblick nicht schockiert. Und ich wollte nicht einfach sagen ‚schaut mal, da liegt unser Manfred’, das wäre taktlos gewesen.“.

Aber es war nicht taktlos, ihn da einfach so liegen zu lassen?

„Er war dein Mann, berührt dich das denn gar nicht?“, fragte ich schon ein wenig empört.

Ich schien meiner Mutter auch die Worte aus dem Mund genommen zu haben, denn so wenig Mitgefühl hätte sie ihrer eigenen Mutter wohl auch nicht zugetraut.

„Irgendwann trifft es jeden. Außerdem ist es besser so, glaub mir. Sein Gedächtnis war nicht das Beste, das Einzige, was er noch am Tag gemacht hatte, war nach dem Essen zu fragen und dazwischen Fernsehen zu gucken. Glaub mir, das ist kein Leben mehr. Große Krankenhausaufenthalte blieben ihm so auch erspart.“, erklärte meine Oma ohne überhaupt einmal von der Spüle aufgesehen zu haben.
 

Meine Mutter versank in Schweigen, doch die Augen meiner Tante begannen auf einmal merkwürdig zu funkeln.

„Vielleicht hast du ihn auch wegen seines Erbes getötet.“, sagte sie auf einmal, „Und durch die ersparten Krankenhausaufenthalte brauchst du jetzt nur für Beerdigung aufzukommen und des Rest kannst du dir in die eigene Tasche stecken.“.

„Das Gleiche könnte ich zu dir sagen. Du hast kein Geld, um deiner Tochter einen Modellvertrag zu beschaffen und zahlst für diese protzige Schauspielschule jeden Monat ein Vermögen, obwohl Clarissa weder das Aussehen noch das Talent dafür hat.“, entgegnete meine Oma kühl.

Da hatte sie ausnahmsweise mal Recht. Aber vor mir taten sich gerade tiefe Abgründe auf. Wie schlimm konnte meine Familie noch sein? Das hätte ich nie für möglich gehalten. Allerdings war dieses Gespräch für meine Ermittlungen sehr hilfreich, langsam kristallisierten sich brauchbare Motive heraus.

„Und ob Clarissa Talent hat, sie braucht nur noch ein paar Semester, spätestens in zwei Jahren ist sie ein Star, reich und berühmt.“.

„Davon träumst du offenbar immer noch.“.

„Hört sofort auf euch zu streiten, ich bitte euch, reißt euch zusammen.“, ging meine Mutter nun dazwischen.

„Halt dich da raus.“, fuhr meine Tante sie an.

Jetzt kamen die Krallen dieser Bestien zum Vorschein. Ich ließ meine Mutter nur ungern alleine, aber da hielt ich mich lieber raus. Ich stellte noch schnell den Teller in den Schrank, den ich gerade in der Hand hatte, und eilte aus der Küche. Das sollten die unter sich ausmachen, ich hatte Wichtigeres zu tun.
 

Als ich ins Wohnzimmer kam, saß mein Vater am Wohnzimmertisch und trank ein Glas Scotch. Das brauchte er jetzt offenbar. Doch ich beschäftigte mich nicht weiter mit meinem Vater, sondern lief hinauf in mein Zimmer. Ich wollte mich auf meine gesammelten Informationen konzentrieren.

Mein Onkel und Anhang waren also eine halbe Stunde vor uns wieder hier angekommen, doch da musste Opa Manfred schon tot gewesen sein, wenn ich meiner Oma Glauben schenkte. In der Hinsicht nahm ich sie sogar mal ernst. Das bedeutete, der Mord musste unmittelbar nach unserer Abfahrt passiert sein. Ein Motiv hätten dazu auf jeden Fall meine Oma, meine Tante und meine Cousine, wenn sie von der finanziellen Krise, die sie verursachte, wusste und sie hatte sicherlich keine Lust, die Schauspielschule aufzugeben. Meinem Onkel traute ich nicht wirklich zu, dass er für das Geld über Leichen ging.

Damit kam ich der Sache schon mal näher. Doch ich musste noch Genaueres über die Todesursache herausfinden. Das brachte mich auf die Idee, noch einmal im Krankenhaus anzurufen. Dass wir eine Leiche im Haus haben, wussten sie ja bereits, deshalb würden sie mir bestimmt weiter helfen.
 

Ich ging hinaus in den Flur und betete gedanklich, dass der Schneesturm nicht die Leitungen lahm gelegt hatte. Doch als ich den Hörer abnahm, hörte ich bereits ein Freizeichen. Entschlossen wählte ich den Notruf, da ich die Nummer des Krankenhauses hier ja gar nicht kannte und erzählte erneut von der Leiche unterm Weihnachtsbaum. Der Mann am anderen Hörer erinnerte sich an meine Mutter, die ihm die Geschichte schon mal erzählt hatte. Sehr gut, dann könnte ich ruhig meine Fragen stellen.

„Dürfte ich Ihnen das Aussehen der Leiche schildern? Uns würde es nämlich schon mal sehr beruhigen zu wissen, wie er gestorben ist.“, fragte ich höflich.

Der freundliche Mann am anderen Ende der Leitung hatte keine Einwände, also fuhr ich fort. Ich erzählte von den geweiteten Augen, den verkrampften Händen und der Wunde an der Hüfte. Ich schilderte alles so gut und genau ich es konnte. Der Mann überlegte kurz, bevor er mir eine recht ausführliche und vor allem interessante Auskunft geben konnte. Als er mit seinen Erklärungen fertig war, bedankte ich mich recht herzlich, hoffte auf das baldige Eintreffen des Rettungsdienstes und wollte mich gerade verabschieden, als die Leitung plötzlich abbrach.

„Hallo, können Sie mich noch hören?“, fragte ich, doch bekam keine Antwort.

Ein Freizeichen hörte ich auch nicht mehr, die Leitung war offenbar tot. Der Schneesturm schien nicht besser zu werden, nun war auch noch die letzte Verbindung zur Außenwelt gekappt. Mit tiefem Ausatmen legte ich den Hörer zurück auf die Gabel.

Dass nun auch das Telefon tot war, war zwar nicht gerade sehr beruhigend, aber ich habe sehr interessante Informationen bekommen. Ich wusste nun, woran Opa Manfred gestorben war, auch wenn ich es kaum glauben konnte. Doch es gab noch die Rahmenbedingungen zu klären, denn ich wusste einfach nicht, wie sich alles ereignet hatte. Ich kehrte noch einmal an den Tatort zurück.
 

Es gab noch ein paar wichtige Fragen zu klären: wie ging der Blumentopf zu Bruch und warum genau an dieser Stelle? Wie genau kam die blutige Wunde an seine Hüfte? Und wieso lagen auch ein paar zerbrochene Christbaumkugeln neben ihm? Erst jetzt fiel mir auf, dass er sie gar nicht selbst herunter gerissen haben konnte, denn wenn ich bedachte, wie er gestorben sein musste, dürfte er nicht mit dem Rücken zu den Scherben liegen. Außerdem hätte er sich an den Kugeln auch verletzt haben müssen, doch davon waren keine Spuren zu sehen. Drei Merkmale, die es noch aufzuklären gab. Die Frage war nur, ob es auch nur einen Täter gab. Da war ich mir nämlich auch gar nicht mehr so sicher.

Es gab drei Tatumstände: der geworfene Blumentopf, das blutige Messer in der Küche und die zerbrochenen Christbaumkugeln. Doch ich hatte keinen einzigen Beweis, ich wusste ja noch nicht einmal, wem ich welche Tat zuordnen konnte.
 

Oder sollte ich vielleicht alles auf eine Karte setzen? Irgendwie bezweifelte ich, dass bei diesen Aktionen mit großer Sorgfalt vorgegangen wurde, dafür gab es einfach viel zu viele Indizien. Das bedeutete, dass der oder die Täter vermutlich keine Handschuhe getragen hatten und sich somit an Christbaumkugeln, Blumentopf und Messer noch die Fingerabdrücke befänden.

Aber könnte ich mit dieser Aussage jemanden nervös machen, sogar soweit drohen, dass er ein Geständnis ablegt? Ich hatte wohl keine andere Wahl, als es einfach zu versuchen. Entweder würde ich es wirklich schaffen und diesen Fall aufklären oder ich würde mich endgültig zum Gespött der Familie machen, aber eigentlich sollte mich das nicht abschrecken.
 

Meine Mutter kam gerade zusammen mit meiner Tante und meiner Oma aus der Küche. Meine Tante rekelte sich ein wenig, sie schien sich schon auf ein entspannendes Bad zu freuen. Wie auf den Uhrenschlag kam auch in dem Moment Onkel Tom die Treppe runter.

Jetzt oder nie. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ließ das Spiel beginnen.

„Onkel Tom, könntest du bitte Clarissa mit runter bringen?“, rief ich ihm zu.

„Clarissa? Na klar, aber wieso das? Sie will sicher nicht gestört werden.“.

„Es ist wichtig, ich möchte nämlich allen etwas mitteilen.“.

Mein Onkel sah mich verdutzt an, machte jedoch kehrt und ging wieder nach oben, um meine Cousine zu holen.

„Oho, kommt jetzt etwa der große Auftritt von Sherlock Holmes?“, spottete meine Tante.

Ich schluckte unmerklich. Jetzt nur nicht den Mut verlieren.

„Ganz genau.“, entgegnete ich so entschlossen ich konnte.

Meine Tante sah mich nur abfällig mich an. Mit dieser Antwort hatte sie offenbar nicht gerechnet, weshalb sie demonstrativ ihre Arme vor der Brust verschränkte.

„Du willst mir also sagen, dass du uns hier nun alle zusammen trommelst und ich deswegen mein Badewasser kalt werden lassen soll?“.

„Genau das will ich damit sagen.“, nickte ich, auch wenn mir ihr Badewasser mehr als egal war.

„Katrina, denkst du wirklich, einer von uns hat Opa Manfred umgebracht?“, die Stimme meiner Mutter war sehr leise, doch ich hatte jedes Wort verstanden.

„Das werdet ihr gleich schon sehen.“, entgegnete ich nur.
 

Endlich kam auch Onkel Tom mit einer genervten Clarissa die Treppe runter und alle setzten sich auf die Sofagruppe um den Wohnzimmertisch herum.

„Du willst jetzt nicht wirklich einen auf Super-Detektiv machen, oder?“, kam es mies gelaunt von meiner Cousine, die offensichtlich keine Vorstellung hatte, warum sie da saß.

„Ich habe jedenfalls den Fall gelöst.“, verkündete ich.

Es war schon ein komisches Gefühl. Ich war die Einzige, die stand, auf dem linken Sofa saßen mein Onkel, meine Tante und meine Cousine und auf dem gegenüber liegenden Sofa meine Eltern mit meiner Oma. Und alle starrten sie mich an. Am liebsten hätte ich eine Wand vor mir aufgebaut, um sie nicht ansehen zu müssen, doch stattdessen blickte ich ins knisternde Kaminfeuer, um nicht in Panik wegzurennen.

„Dann lass mal hören.“, meinte meine Tante ungeduldig.

„Ich kann deine Einstellung überhaupt nicht verstehen Tantchen.“, erwiderte ich, „Der Täter sollte sich lieber gleich stellen, denn ich bin überzeugt, dass er nicht mit Handschuhen gearbeitet hat und die Polizei nachher ausreichend Fingerabdrücke finden wird.“.

„Gibt es denn überhaupt so etwas wie eine Tatwaffe?“, meinte meine Tante weiter.

„Wie wäre es mit dem Blumentopf oder dem Messer in der Küche?!“.

„Damit wurde Opa Manfred getötet?“, fragte meine Mutter ungläubig.

Ich ignorierte ihren Einwurf, um nicht aus dem Konzept zu kommen, ich konnte ja jetzt schlecht ‚nein’ sagen.

„Oder die Christbaumkugeln. Die wurden nämlich nicht von Opa Manfred zerbrochen.“, führte ich weiter aus.

„Nicht?“, meinte Tante schien mir nicht zu glauben.

„Nein, jemand anderes hat sie auf den Boden geschmissen.“.

„Mein Gott, jetzt mach nicht so eine große Nummer draus.“, nörgelte auf einmal meine Cousine, „Ich habe ein paar der Christbaumkugeln, die mir eh nicht gefallen haben, auf den Boden vor dem Baum geschmissen, um Opa Manfred einen Streich zu spielen. Er ist nur am nerven oder sitzt vor der Glotze, er bemerkt nicht einmal, wie schön ich geworden bin, also wollte ich ihm eine Lektion erteilen. Er sollte über die Scherben laufen, die er auch sicher durch seine dünnen Pantoffeln in seinen Füßen gespürt hätte.“.

Perplex sah ich meine Cousine an. Ich war doch überrascht, dass mein Plan so gut funktionierte. Meine Cousine hatte sich gerade selbst als einer der Täter entlarvt und sogar das Motiv geliefert.

„Aber Clarissa. Wann hast du das überhaupt gemacht?“, Onkel Tom war schockiert.

„Bevor wir in die Kirche gefahren sind. Nachdem ich aus dem Bad kam und Opa Manfred so dämlich drein blickend vor dem Fernsehen gesehen habe, habe ich die Kugeln kaputt gemacht. Es hat ihn nicht mal gekümmert, obwohl ich direkt hinter ihm stand.“, gab meine Cousine mit einem Schulter zucken zurück.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, wollte Onkel Tom gerade anfangen, meine Cousine über ihr Fehlverhalten aufzuklären, doch weiter kam er leider nicht.

„Du brauchst dich nicht aufzuregen. Unrecht hat sich nicht. Das ist doch keine große Sache. Außerdem weiß ich nicht, warum das so wichtig ist, denn das hat ihn sicherlich nicht umgebracht, oder?“, ging meine Tante dazwischen.

„Nein, er war nicht einmal drauf getreten, nur drauf gefallen, denn es befinden sich keine Splitter an der Sohle seiner Pantoffeln.“, erklärte ich.

„Na also.“.

„Aber was ist mit dir? Willst du uns nicht vielleicht auch noch etwas mitteilen?“, drängte ich meine Tante.

Ich war mir sicher, dass sie auch keine Unschuldige bei diesen Ereignissen war.

„Ich habe nichts damit zu tun.“, gab sie stur zurück.

„Betty, ich bitte dich, hast du unserem Vater etwas angetan?“, wollte meine Mutter von ihrer Schwester wissen und sah sie eindringlich an.

Meine Tante schien ob des Blickes ihrer Schwester ernsthaft darüber nachzudenken, etwas anderes als Spott über mich oder Opa Manfred loszuwerden.

„Das Messer.“, warf ich ein und meine Tante schreckte kurz zusammen.

Ich hatte einfach mal ins Blaue geraten, dass sie nichts mit dem Blumentopf zu tun hatte, denn das passte nicht zu ihr und wann hätte sie ihn auch vom Geländer werfen sollen.

„Also gut, an dem Messer, das du in den Gefrierbeutel gepackt hast, sind meine Fingerabdrücke drauf. Ich wollte sie später abwischen, aber das ist nicht so wichtig. Denn umgebracht habe ich ihn damit ganz sicher nicht.“, meinte meine Tante bestimmt und blickte mich eindringlich an. „Also, willst du noch was von mir hören?“.

„Warum das Messer? Und vor allem in der Küche. Du hättest Opa Manfred doch viel leichter auf dem Sofa angreifen können.“.

„Will ich mir die Hände schmutzig machen oder was? Ich habe das Messer so an die Tischkante gelegt, dass die Klinge über den Rand hing und das Ganze mit ein wenig Kleber fixiert. Mir war klar, dass Opa Manfred so ungeschickt wäre und sich daran schneiden würde, wenn er mal nach der Gans sehen würde.“.
 

Ich stöhnte innerlich. Warum wollte hier jeder Opa Manfred aufs Korn nehmen? Diese Familie, bis auf mich und meine Eltern, war wirklich selten dämlich. Aber der Kleber erklärte, warum das Blut in der Küche besonders fest angetrocknet war.

„Warum wolltest du Opa Manfred ins Krankenhaus bringen?“, fragte ich dann und meine Tante sah mich perplex an, so wie alle anderen auch, „Na, mit dieser Aktion wolltest du ihn sicherlich nicht töten, aber bewusst verletzten. Du wolltest, dass er ins Krankenhaus gebracht werden würde. Wieso?“.

„Damit diese Schreckschraube hier noch schön für Krankenhausrechnungen blechen kann, bevor ihr Alter über den Jordan geht.“, meinte Tante und warf ihrer Mutter einen verächtlichen Blick zu, die diesen ihrerseits nur kühl erwiderte.

„Aber Betty.“, meine Mutter war schockiert und empört zugleich.

„Was denn? Unsere werte Mutter hat durch ihre Vollmacht das Testament umschreiben lassen und sich als Alleinerbin eingetragen. Sie muss jetzt nur für die Beerdigung aufkommen und streicht alles Geld für sich ein, wir kriegen so gut wie nichts.“, rief meine Tante aufgebracht.

„Na und? Geht es dir etwa nur ums Geld?“.

„Du musst ja keine private Schauspielschule bezahlen und das Haus müssen wir auch noch abbezahlen, hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele Schulden wir haben?“.

„Aber es sind doch unsere Eltern.“, meine Mutter konnte ihre Schwester einfach nicht verstehen.

„Sie haben uns verarscht, dafür sollten sie die Quittung bekommen.“.

„Okay, okay, das könnt ihr später noch ausdiskutieren. Fakt ist, die Wunde an seiner Hüfte stammt von dem Messer, welches Tante Elisabeth präpariert hatte. Die einzige Person, die also noch dafür in Frage kommt, den Blumentopf runter zu werfen, ist niemand anderes als Oma Hannelore.“.

Alle blickten diese nun erstaunt an, was sie immer noch vollkommen kalt ließ.

„Wie du bereits sagtest, ich habe das Testament umschreiben lassen.“, sagte meine Oma und blickte meine Tante an, „Und ich wollte nicht mehr länger warten, also wollte ich vom Geländer aus den Blumentopf auf seinen Kopf werfen. Leider kam ich nicht weit genug. Danach ging ich wieder runter und wir sind zur Kirche gefahren.“, erklärte sie trocken.

„Das war’s?“, fragte ich verdutzt.

„Was soll sonst noch gewesen sein?“, fragte mich meine Oma.

„Na ja, warum hast du es nicht noch anders versucht, wenn du ihn wirklich umbringen wolltest?“.

„Es hätte sich schon noch eine andere Gelegenheit ergeben, aber ich wollte die Messe nicht verpassen.“.
 

Diese Aussage hätte mich beinahe buchstäblich aus den Latschen kippen lassen. Meine Oma war wirklich nicht aus der Ruhe zu bringen, aber das war echt Wahnsinn.

„Moment mal.“, warf nun mein Vater ein, „Ich muss gestehen, dass ich dir nicht so ganz folgen kann. Wenn keiner mit diesen drei Aktionen Opa Manfred umgebracht hat, wie ist er dann gestorben?“.

Mein Vater brachte alles wieder zum Kern der Sache zurück und alle sahen nun mich wieder erwartungsvoll an.

„Das kann ich euch gerne sagen. Zunächst kam es eben so, dass Clarissa die Christbaumkugeln präparierte und anschließend nach draußen ging, kurz darauf folgte Oma Hannelores Mordanschlag, der jedoch missglückte. Unverrichteter Dinge stieß sie ebenfalls zu den anderen ins Auto und fuhr zur Kirche. Irgendwann ging Opa Manfred dann in die Küche, um nach der Gans zu sehen, dabei verletzte er sich, wie von Tante Elisabeth geplant, an dem von ihr bereit gelegten Messer. Womöglich hat er die Wunde nicht einmal bemerkt, denn sie ist nicht sehr tief, und ging wieder zurück ins Wohnzimmer. Doch bevor er sich wieder setzen konnte, passierte es. Der Grund, warum er Minuten später tot war.“, ließ ich die Ereignisse noch einmal Revue passieren.

„Nun sag es doch endlich!“, drängte meine Cousine, die mir wohl das erste Mal in ihrem Leben irgendwie zuhörte.

„Er bekam einen Herzinfarkt.“, verkündete ich und erntete sofort ungläubige Blicke.

„Einen Herzinfarkt?“, fragte meine Tante nach.

„Genau.“.

„Das ist der Grund?“.

„So ist es.“.

„Also ist er einfach tot umgefallen?“.

„So könnte man es sagen.“.

Damit hatte ich den Wissensdurst meiner Tante befriedigt, die sich scheinbar grübelnd über die Situation auf dem Sofa zurück lehnte.

„Dann gibt es also keinen Mörder?“, fragte meine Mutter mich erwartungsvoll.

„Nein. Oma Hannelore hatte zwar offenbar Mordpläne gehabt, aber umgebracht wurde Opa Manfred von niemandem.“.

„Gott sei Dank.“, meinte Mutter war sichtlich erleichtert, keinen tatsächlichen Mörder in der Familie zu haben.

„Aber wie kommst du darauf, dass es ein Herzinfarkt war?“, wollte mein Vater noch wissen, während er ebenfalls erleichtert einen Arm um meine Mutter legte.

„Ich hatte noch einmal im Krankenhaus angerufen und die Haltung der Leiche geschildert. Es wurde mir versichert, dass es sich dabei offensichtlich um einen plötzlichen Herzinfarkt handelte.“.

„Nicht zu fassen. Kratzt der einfach so ab.“, meinte meine Cousine.
 

Viel mehr gab es auch nicht mehr zu sagen. Weihnachten war jedenfalls gelaufen.

Ein paar Stunden später hatte sich der Schneesturm schließlich gelegt und Sanitäter und Polizei konnten zu unserer Hütte vordringen. Opa Manfred wurde weggebracht, ich erzählte die Einzelheiten des Geschehens, weswegen auch Oma Hannelore erst einmal abgeführt wurde. Aber ob man so eine alte Frau noch wegen versuchten Mordes einsperren würde? Vielleicht käme sie jetzt endlich ins Heim.

Die Geschenke wurden so auch erst am 1. Weihnachtstag ausgepackt und die zunächst gedrückte Stimmung war schnell verflogen. Meine Mutter war natürlich immer noch recht durcheinander und trauerte doch um ihre Eltern, aber ich persönlich konnte dieses Weihnachtsfest als eines der Besten meines Lebens verbuchen. Alles in allem war das Ganze doch ziemlich spannend für mich gewesen und es war schon ein gutes Gefühl, am Ende doch keinen Mörder in der Familie zu haben. Ich war auch recht stolz auf mich, dass ich diesen Fall mehr oder weniger lösen konnte und mir bestätigt wurde, dass meine Familie wirklich einen gewaltigen Schatten hatte und ich mir das nicht nur einbildete.

Den Rest des Winterurlaubs in Tirol verbrachte ich auch zufrieden auf der Piste. Die Reise musste sich ja schließlich lohnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Merle_Miau
2009-01-04T20:14:57+00:00 04.01.2009 21:14
*versprchenen Kommi auch nochmal hier post* ^^~

Und tada! Hier ist dann der dritte Platz.
Also, kommen wir zu deiner Fanfiction. Super geil. Erst einmal warst du eine der wenigen, ich glaube du und eine weitere Fanfiction hatten weibliche Protagonisten.
Aber das war es nicht, was mich an deiner Fanfiction so fasziniert hat. Ich muss schon sagen, wie du die Umgebung beschrieben hast, die – wirklich unglaublich schreckliche – Familie, die gefühlskalte Oma, der der Tod ihres Mannes einfach am Arsch vorbei geht... Das war für mich so die Definition einer schrecklich netten Familie. Diese blöde Cousine, die meint, sie wäre toll. Dieser in den Hintern kriechenden Onkel, die verlogene Tante, die ihre Eltern nicht leiden konnte, die weinerliche Mama der Protagonistin... Aber der tote Opa hat mich schon so ein bisschen an meinen Opa erinnert. Ja, hat mir wirklich Spaß gemacht, die FF zu lesen.
Jetzt fragen sich wahrscheinlich ein paar: Sie schwärmt so, warum hat sie dann nur den dritten Platz bekommen? Ganz einfach: Das Ende hat mir absolut nicht gefallen. Es hat so wunderbar angefangen, am Ende saß ich da und dachte: Wow, geil! 3 Täter, die jeweils irgendwie anders versucht haben, den Typen umzubringen. Alles zusammen hat dann wahrscheinlich doch zum Tod des Opas geführt und plötzlich... ist er an einem einfachen Herzinfarkt gestorben? Nein, also das hat mir absolut nicht gefallen...
Wie oben auch schon gesagt, klar, kann das irgendwem wirklich gut gefallen, aber mir... hats einfach nicht zugesagt. Deswegen hast du leider auch „nur“ den dritten Platz bekommen...
Ich hoffe du bist mir nicht böse und freust dich trotzdem! ^^~
Ich bedanke mich aber trotzdem sehr, es war eine wunderbare FF! Vielen, vielen Dank! ^^
Von: abgemeldet
2009-01-01T17:46:40+00:00 01.01.2009 18:46
Um ehrlich zu sein: Ich finde du solltest diese Challenge hier gewinnen.
Vielleicht nur weil sie die längste war, aber man bekommt in deiner Story am meisten von den Charackteren mit.
Und das war auch eine nette Familie, die du da versammelt hast. Alles da kam mir (-Und ich glaube jedem-) irgendwie bekannt vor. Vor allem die hohnäsige Cousine. XD
Und auch die Lösung am Ende war nachvollziehbar und spannend.
Nur ein winziges Problem hatte ich mit der Story: Der Opa stirbt, und die Reaktion ist "Muss das vor dem Mittagessen sein?"
Von: abgemeldet
2008-11-28T19:55:36+00:00 28.11.2008 20:55
So, dann bin ich wohl die erste, die das hier gelesen hat und ihren Sanf dazu abgibt. Also zunächst einmal ein großes Lob an dich: Für deine erste Eigene Serie sind dir die Charaktere wirklich gut gelungen. Alles fügte sich zu einem passenden Bild zusammen und dass der Mörder am Ende der Zufall und Opa Manfreds Gesundheitszustand war, fand ich persönlich einen positiven Abschluss.
Im Allgemeinen gesprochen fand ich auch den Schluss der Geschichte recht gut geschrieben, allerdings erinnerte mich das ein bisschen an die Abschlüsse diverser Detective Conan Folgen, wo die Erzählerstimme von Conan einen abschließenden Bogen fasst.
Zwischendurch habe ich glaube ich einen kleinen Logikfehler entdeckt, und zwar ging der Onkel ja nach oben wegen des Bades für seine Frau. Nach dem Telefonat mit dem Krankenhaus sitzt er dann mit dem Vater von Katrina im Wohnzimmer und trinkt Scotch und kommt hinterher aber die Treppe herunter? Habe ich das richtig gelesen oder hat mir mein Gehirn einen kleinen Streich gespielt?
Ansonsten fand ich Katrinas Familie, bis auf ihre Eltern, schon ziemlich krass. Wobei ich eingige Verhaltensweisen von gewissen Personen gegenüber deiner Hauptperson von einigen Leuten kenne, die ich gut kenne *hust* Also nicht falsch verstehen: Nicht die Sachen, wo sie mit dem Opa gemacht haben und so... sondern einfach ihre Attitüde gegen Katrina.
In diesem Falle also eine wirklich "schrecklich nette Familie".
Alles in allem finde ich die Geschichte also, bis auf den evtl. kleinen Logikfehler, bei dem ich mir grade nich mehr sicher bin, also recht gut gelungen.


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