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Chalk 'n Cheese

Wenn man das Unerkannte entdeckt
von

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Schnee

Emily stapfte geistesabwesend im Schnee herum, bis die Sonne hinter den Alpen verschwunden war und Anna sie mit hochrotem Kopf freudig empfing.

„Es war total super!“, schwärmte sie, als die beiden Mädchen im Zimmer ankamen und sich aufwärmten.

„Mhm“, machte Emily nur- Ihre Laune war unter den Gefrierpunkt gesunken, doch den Grund kannte sie nicht wirklich. Ihr war vorher klar gewesen, dass der Hauptteil der Kursfahrt aus Skilaufen bestehen würde, und trotzdem war sie nun so schlecht drauf, weil sie den gesamten Nachmittag über nichts machen konnte, als alle anderen ihren Spaß hatten.

Einige Mädchen hatten vor der Fahrt gesagt, sie würden auf keinen Fall Wintersport machen wollen – also hatte Emily sich gedacht, wenigstens mit denen könnte sie sich in der Zeit beschäftigen. Doch selbst diese Anti-Mädchen waren von den gutaussehendsten Jungs des Kurses überredet worden und fuhren nun ohne Pause.
 

„Sag mal…“ Anna hockte sich vor Emily, die auf ihrem Bett saß und mürrisch auf den Boden sah, während sie auf ihrer Unterlippe kaute.

„Willst du es wirklich nicht mal probieren? Du langweilst dich doch sonst die ganzen Tage.“ Sie strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sie mit Hundeaugen von unten an.

Emily musste unweigerlich lächeln.

„Ich glaub echt nicht, nein…“

„Und wenn ich Christopher frag, ob er-“

„Nein. Er hat mit Tom genug Spaß“, wehrte Emily sofort ab und ihr Tonfall wurde wieder kälter.

Anna schürzte die Lippen.

„Ich will aber auch Spaß mit Tom“, verkündete sie mit einem Zwinkern und stand auf.

„Ich frag ihn gleich. Komm mit!“

Emily wurde abrupt von ihrem Bett gezogen und den Gang hinunter ins erste Stockwerk geschleppt.

„Anna!“, protestierte sie flehend.
 

Da ging auch schon die Tür am Ende des Flures auf und Tom sah die beiden mit einem Grinsen an.

„Damenbesuch!“, rief er ins Zimmer und machte den beiden Platz, hinein zu gehen.

Anna schob Emily vehement ins Zimmer vor sich hinein und lächelte Tom im vorbeigehen an.
 

Drinnen war nur noch Christopher, der von einem Buch aufsah und nicht sonderlich überrascht wirkte.

„Hi“, sagte er matt und lächelte nur kurz. Dann sah er wieder in sein Buch.

Emily war mehr als irritiert. Warum war er so abweisend? Hatte sie etwas falsch gemacht?

Anna und Tom bemerkten die eisige Stimmung.

„Wir gehen nach unten und holen heißen Kakao!“ und schon waren sie aus der Tür und es war wieder still.

Emily stand noch immer inmitten des Raumes und wurde langsam aber sicher nervös.

Christopher las unbehelligt in seinem Buch weiter, doch seine Augen bewegten sich nicht und die Seiten blätterte er auch nicht um.
 

Schließlich setzte Emily sich seufzend auf die Bettkante und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Sie überlegte fieberhaft ihre Worte, die sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte.

Wieso war er so komisch? Wieso hatte er sie nicht beachtet? War Snowboarden wirklich SO viel wichtiger als sie? Was las er da, wenn er keine Bücher mochte? Wieso –

Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie ein raschelndes Geräusch hörte und im sich nächsten Augenblick Christophers Arme um sie schlangen.

Sein heißer Atme streifte ihr Ohr absichtlich und er drückte seine ungewöhnlich warme Wange gegen ihre.

„Emily …“, hauchte er seufzend.

Doch Emily war immer noch gereizt, obgleich ein großer Teil davon augenblicklich vergessen war.
 

„Was?“, versuchte sie so eisig wie möglich zu klingen, doch sie krächzte es eher heraus.

„Ich …“ Er schluckte und sie spürte, dass er näher an ihren Hals herabsank.

Doch Emily stand abrupt auf und er fing sich überrascht an der Bettkante auf und sah zu ihr hoch.

„Ich …“, begann sie mit unsicherer Stimme, „warum warst du heute so abwesend? Du hast dich kein einziges Mal blicken lassen.“ Jetzt hatte sie es gesagt. Und er durfte ihr Rede und Antwort stehen.

Christopher schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Es ist wegen mir, Emily … hier ist alles so hell und eiskalt … ich -“ Doch er sank tiefer gen Bett und stützte sich kraftlos ab. Sein Atem ging unregelmäßig.

Emily wurde sofort panisch und stürzte auf ihn zu.

„Was ist los? Hast du gestern nicht genug getrunken!?“ Sie hielt ihn fest an den Schultern und versuchte, sein Gesicht zu sehen, doch er versteckte es so gut es ging vor ihr.
 

„Du bist auch ein Vampir … so sollte das nicht sein, Emily“, sagte er leise.

„Aber du willst doch deswegen niemand unschuldigen umbringen!? Und dann auch noch hier!“

Christopher schwieg.

„Na los.“ Sie kniete sich hin und sortierte ihre Haare in den Nacken. Christopher sah gierig auf, doch im selben Moment klopfte es an der Tür und Anna und Tom kamen herein.

Emily stand sofort auf und lächelte sie an.

„Alles ok? Stören wir?“, fragte Anna und reichte Emily einen dampfenden Becher Kakao.

Die schüttelte nur den Kopf und sah zu Christopher herunter, der alle Kraft aufwenden musste, um normal auszusehen und seinen Kakao, den Tom ihm grinsend gab, ruhig in der Hand zu halten.
 

Dann folgten quälende, für Christopher beinahe endlose, Minuten, in denen sie über die nächsten Tage sprachen.

Anna und Emily verabschiedeten sich schließlich für die Nacht und ließen die beiden Jungs allein.

Als sie sich nachtfertig gemacht hatten und im Bett lagen, konnte Emily kein Auge zumachen.

Wie schafften sie es, ohne großes Aufsehen zu erregen, dass Christopher sie treffen konnte, um ihr Blut zu trinken!?

Ihm ging es schlecht. Sie wusste nicht, wie lange er es ohne Blut aushalten konnte, bevor sein Verstand vollkommen abdrehte und er Tom vielleicht im Schlaf überfallen würde.

Nach einer knappen Stunde stand sie still auf, vergewisserte sich, dass Anna schlief und schlich im Morgenmantel auf den Flur.

Es war bereits nach 1 Uhr Nachts und alle mussten ziemlich erschöpft vom Tag gewesen sein, da kaum noch etwas aus den Zimmern zu hören war.

Emily ging die Treppen in die erste Etage hinunter und sah auf den Flur, den die Jungs bewohnten.
 

Sie ging weiter und schlich sich am Nachtpersonal, das an der Rezeption saß und miteinander vergnügt redete, vorbei nach draußen um den Gebäudeteil, bis sie unter dem Fenster von Toms und Christophers Zimmer ankam.

Die Nacht war eiskalt und Emily fror unheimlich.

Mit zitternden Lippen rief sie so leise wie möglich nach Christopher. Die Jungs hatten glücklicherweise das Fenster einen Spalt weit offen.

Doch sie probierte es mindestens fünf Mal, aber es regte sich nichts.

Sie trat auf der Stelle und sah sich um. Durch den hellen Mond, der die einzige Lichtquelle war, glitzerten die Alpenränder in seinem Schein und die weiße Schneelandschaft ließ einen auch nachts gut sehen.
 

„Chris!“, rief sie nun etwas ungebändigter und sah wieder hoch, als sie erschrickt aufquiekte und nach hinten in den Schnee fiel. Christopher war gerade in dem Moment von dem Fenstersims hinuntergesprungen und rappelte sich mühselig aus dem Schnee heraus.

„Sorry“, flüsterte er und ließ sich kraftlos gegen die kalte Steinwand des Hauses sinken.

Seine rotglühenden Augen fixierten Emily müde, die sich kopfschüttelnd aufrappelte und zu ihm gestapft kam.

„Na los“, lächelte sie und beugte sich über ihn.

Er zog sie nahe an sich heran und seine Fangzähne bohrten sich ungezähmt in ihren Hals hinein.

Es tat immer noch nicht weh. Sie genoss seine Nähe, die sie den Tag über vermisst hatte und lauschte seinen Schluck- und Schmatzgeräuschen.

Ihr kam unweigerlich die Vorstellung, dass sie, sobald die Unterdrückung ihres wahren Ichs aufhören würde, auch Blut brauchte.

Rotes, heißes, dickflüssiges Blut …

Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht und sie vernahm jetzt den Geruch ihres eigenen Bluts, was sein übriges tat.

Sie holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Doch ihr Kopf begann sich jetzt auch noch zu drehen, was ihre Versuche, die Übelkeit loszuwerden, nicht gerade unterstützte. Kein klarer Gedanke formte sich mehr in ihrem Kopf. Sie wusste nicht mehr, wie man richtig atmete und dann wurde ihr schwarz vor Augen…
 

Fangzähne. Sie hatte Fangzähne. Und sie saugte Blut. Die Leiche warf sie danach in eine Ecke und leckte sich genüsslich den Mund mit der Zunge.

Ein kleiner Schritt und sie flog hoch in die Luft und war meilenweit von ihrem Ursprungsort entfernt.

Der Vollmond strahlte ihr entgegen und wurde zur Sonne.
 

Emily öffnete langsam die Augen. Alles war so hell und sonnendurchflutet. Ein angenehm warmes Licht. Und eine angenehm warme Hand, die ihre hielt.

Verwirrt sah sie zur Seite und erkannte, dass jemand bei ihr saß.

Doch ihre Augen öffneten sich nicht richtig und sie wollte etwas sagen, doch ihr Hals war zu trocken.

„Emily!“

Diese Stimme war ihr bestens vertraut.

Sie hörte Schritte, das Geräusch von Wasser und spürte dann eine sanfte, warme Hand in ihrem Nacken, die ihren Kopf langsam nach oben schob.

„Trink was“, flehte die Stimme und sie spürte ein Glas an ihrem Mund.

Behutsam trank sie einige Schlucke und ihr Hals fühlte sich wieder wunderbar geschmeidig an.
 

„Chris“, flüsterte sie und hob zitternd die rechte Hand, die eben von seiner festgehalten wurde.

Christopher nahm sie erneut, diesmal mit beiden Händen.

„Es tut mir so leid“, sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Emily wusste nicht ganz, wie sie seine Reaktion zuordnen sollte.

Was meinte er damit? Wofür entschuldigte er sich? Hatte er jemanden getötet?
 

Nun schaffte sie es, ihre Augen weiter zu öffnen und ihn endlich anzusehen.

Er sah gesund aus, aufgeladen, doch sein Gesicht war so von Schmerz verzerrt, dass Panik in ihr hochkroch.

Emily wollte sich zu ihm umdrehen, doch sie war zu kraftlos und ließ es bleiben.

„Was denn?“, fragte sie mit müder Stimme und lächelte leicht.

Er hatte Tränen in den Augen, soweit sie das erkennen konnte. Christopher beugte sich zu ihrer Hand hinunter und küsste leicht ihre Fingerknöchel.

„Ich füge dir nur Schaden zu. Wie hältst du es bloß mit mir aus? Was bedeute ich dir, dass du das mit dir machen lässt?“

Emily seufzte.

„Alles.“ Das war das einzige, was sie sagte und sah ihn wieder an.

„Aber ich bin ein Monster. Ich habe dich bis zur Bewusstlosigkeit …“ Er musste schlucken und konnte nicht weiterreden.

Emily schüttelte leicht den Kopf und sah zur weißen, hellen Decke.

„Das war … meine eigene Schuld“, sagte sie nun mit etwas festerer Stimme. „Ich musste daran denken, wie … es ist, wenn ich bald auch …“ Ihr versagte die Stimme und sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

„Du musst nicht!“, widersprach Christopher und wurde dabei ungewollt lauter.

„Was?“ Emily sah ihn verblüfft an, doch dann ging die Zimmertür auf und Anna, Tom und die beiden Kurslehrer Ms Temperfield und Mr Hampst kamen herein.
 

„Emily!“ Anna stürmte auf sie zu und knuddelte sie vorsichtig.

„Wie geht’s dir?“, fragte Miss Temperfield, die sie besorgt durch ihre ovale Brille ansah.

„Ihr Puls ist normal, aber noch ein wenig niedrige Temperatur“, stellte Mr Hampst fest, als er eine Hand auf Emilys Stirn und die andere um ihr linkes Handgelenk gelegt hatte.

„Was schlafwandelst du auch draußen herum!?“, schimpfte Tom mit ihr und sah sie dennoch besorgt an.

„Du hättest erfrieren können!“

Anna blickte zwischen Tom und Emily hin und her.

„Tu das nicht wieder, ja?“, flehte Anna und vergrub ihr Gesicht in der Bettdecke über Emilys Bauch.

Emily nickte stumm und sah wieder zu Christopher, der seinen Blick gesenkt hatte und ihre Hände betrachtete, die noch immer verknotet waren.
 

„Wenn du frühstücken magst oder sonst was sein sollte, sag Mr Stone Bescheid, ja? Er wird uns benachrichtigen“, sagte Ms Temperfield und nickte Christopher zu, der sie aus den Augenwinkeln ansah.

Anna, Tom und die beiden Lehrer gingen schließlich.

Es war wieder still.
 

Christopher spürte, wie Emily sich bewegte und sah auf. Sie schob sich langsam auf die linke Hälfte des Bettes und drehte sich endlich in Christophers Richtung um.

Ihr Blick sagte alles und Christopher legte sich behutsam neben sie.

Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und sog den Duft ein, der ihr so vertraut war. Seine Wärme war angenehm und beruhigte sie.

„Du bist alles, was ich brauche“, flüsterte sie in die Stille hinein.

Er war froh, dass sie ihn nicht ansehen konnte und umarmte sie fest. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.

„Du auch, Emily. Ich brauche niemanden außer dich“, antwortete er ihr. „Aber ich möchte dir nicht mehr wehtun. Das muss ich wirklich ändern.“

Emily seufzte.

„Du tust mir doch gar nicht weh. Ich … mag es, wenn du es tust …“

Sie war rot geworden und ihr Herz hüpfte. Sie mochte es wirklich, wenn er sie so nah an sich gezogen hatte und ihr Blut trank.
 

Christopher zog eine ungläubige Miene.

„Du magst es?“

Sie nickte nur.

„Es … fühlt sich toll an. Also, alles … dass wir uns so nahe sind und wenn das Blut herunter tropft …“

Sie blinzelte verlegen und vergrub sich verschämt noch weiter an ihn heran.

Er schmunzelte und musste lachen.

„Wirklich, dein Vampirinstinkt erwacht … normale Menschen hätten Todesangst.“
 

Nun reckte Emily ihren Hals nach oben in seine Richtung.

„Bin ich normal, wenn ich in einen Vampir verliebt bin und selbst einer bin – so halb zumindest?“ Sie grinste ihn neckisch an.

„Nein. Ich glaube nicht“, grinste er zurück und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Siehst du. Wenn du dich das nächste Mal entschuldigst, beiße ich dich. Klar?“

„Und womit?“ Christopher hatte bei ihr noch keine Fangzähne entdecken können.

Sie sah ihn verständnislos an.

„Na, mit meinen Zähnen. Sowas geht auch mit normalen Zähnen“, sagte sie beleidigt.

„Ahja.“ Christopher nickte anerkennend und nach einer Weile durchbrach ein Grummeln die Stille.
 

„Huunger“, beschwerte Emily sich und lachte.

Christopher setzte sich auf.

„Ich hol dir was, bleib liegen.“ Emily nickte und zog ihn noch kurz zu einem Kuss heran, als sie ihn dann gehen ließ.

Sie konnte wirklich nicht sagen, dass er eine Bürde für sie war. Mit keiner Faser ihres Körpers sträubte sie sich gegen den Biss, den ihr gab.

Aber Christopher schien das einfach nicht verstehen zu können. Er wollte es einfach nicht.

Ob er sich jemals damit abfinden würde? Spätestens, wenn sie auch ein Vampir wurde … aber ernähren sich Vampire gegenseitig? Kann sowas funktionieren?

Aber dann könnten sie ihr Blut auch gleich bei sich behalten, rein logisch gesehen. Und es würde keine Todesopfer geben.

Die Theorie konnte sie also streichen.

Oder waren Vampire nicht so schlau, diese Methode auszuprobieren?

Und warum musste es gerade menschliches Blut sein? Wieso nicht von Tieren oder anderen Lebewesen?

Menschen konnten doch auch auf Fleisch verzichten … und Christopher ernährte sich auch von normalem Essen. OK, zugegeben, von enormen Mengen und dann auch noch alles rote Lebensmittel wie Tomaten, Erdbeeren, Marmelade, Säfte, rotes Fleisch .... Bestimmt, um seinem Hirn vorzugaukeln, er trinke Blut, damit er niemanden ermorden muss dafür.

Emily bemerkte über die Grübelei nicht, wie Christopher zurück ins Zimmer kam und ihr ein Tablett mit Toast, Eiern und Orangensaft auf den Nachttisch platzierte.

Erst als er ihren Namen sagte, schreckte sie verwundert hoch und nahm dankbar das Frühstück entgegen.

Sie schlang es in Windeseile hinunter und Christopher war sichtlich deprimiert.

Dass er ihr so die Kräfte geraubt hatte, bloß weil er sich nicht beherrschen konnte.
 

Emily stellte das Tablett ab und seufzte zufrieden, als sie sich in die Kissen zurückfallen ließ und Chris glücklich ansah.

Doch er sah durch sie hindurch und seine Miene war immer noch betrübt.
 

„Hey.“ Emily legte ihm eine Hand an die Wange und er schloss die Augen und lehnte sich leicht dagegen.

„Es ist OK. Glaub mir endlich.“

Sie lächelte ihn aufmunternd an und er erwiderte zaghaft.

„Aber ich möchte nicht mehr SO egoistisch sein. Halt mich das nächste Mal auf, ja? Überhaupt, wie konntest du das zulassen!?“ Jetzt wurde er theatralisch, doch Emily erinnerte sich wieder daran, wie ihr erst schlecht und dann schwindelig geworden war.

„Ich“, begann sie und überlegte ihre Worte. „Ich hab mir vorgestellt, was an Blut so toll sein muss, dass ihr Vampire so besessen davon seid. Und dann wurde mir klar, dass ich bald auch trinken müsste und dann wurde mir schlecht. Und du hast dein übriges gegeben, dass mir schwindelig wurde.“

Sie sahen sich beide ausdruckslos an, bis Christopher ihrem Blick auswich.

„Man gewöhnt sich sehr schnell daran. Das ist wie normales Essen für dich. Aber eben die Gourmetvariante des Essens. Und du kannst gar nicht genug bekommen.“

„Also, als wenn ein Mensch besonders auf … Pizza abfährt und die jeden Tag essen will!?“, hakte Emily nach und Christopher nickte.

„Genau. Und für uns Vampire schmeckt Blut einfach wie unser Lieblingsessen. Aber je nach Mensch, mal mehr, mal weniger gut. Als würden verschiedene Zutaten mal beigefügt, mal weggelassen werden.“
 

Emily schmunzelte. Das war eine seltsame, aber einleuchtende Erklärung. Aber …

„Wie schmecke ich denn?“, wollte sie wissen und war auf einmal sehr neugierig.

Christopher überlegte kurz und lächelte dann.

„Gewöhnungsbedürftig. So ein Blut wie deines habe ich nie probieren dürfen. Aber es liegt wohl daran, dass du auch ein Vampir bist. Wir haben eben wieder unseren eigenen Geschmack.“

Emily zog die Augenbraue hoch.

„Aber … wie genau schmecke ich? Gut oder passabel, sodass du halt niemanden sonst wegen Blut missbrauchen musst?“

Christopher wurde ein wenig rot.

Das war ihr neu. Seine blassen Wangen wurden rosa und es gefiel Emily.
 

„Fantastisch“, gab er leise zu und hüstelte künstlich in die Hand.

Emily begann zu lächeln.

„Ja? Hehe~“ Sie wurde ebenfalls rot, aber ihr war es egal.

Er sah sie amüsiert an.

„Ja, es schmeckt … ganz neu. Ganz … unverwechselbar, so … frisch und süßlich. Ein bisschen wie Pina Colada“, erzählte er weiter und versuchte, den Geschmack am besten zu beschreiben. „Und … auch wie Pizza und … Weihnachten. Ja, ein wenig zimtig.“ Er sah sie wieder an und blickte in ihre großen Augen.

„Waas?“, lachte sie auf und fiel zurück in ihre Kissen.

„Hey, das ist wahr!“ Christopher richtete sich empört nach vorn und stützte sich auf der Matratze ab.

Er verzog die Mundwinkel und beobachtete, wie Emily versuchte, sich diese seltsame Mischung vorzustellen.

Sie kam zu dem Entschluss, dass es wie Hauptspeise und Nachtisch mit Getränk nacheinander sein musste. Dann klang es wenigstens nicht übermäßig eklig.
 

„Ok, danach schmecke ich also. Und du?“ Sie sah ihn neugierig an.

„Ich?“ Er schüttelte verwundert den Kopf. „Keine Ahnung.“
 

Emily seufzte. Sie wollte ihm nicht wehtun und Fangzähne waren ihr auch noch nicht gewachsen. Sie glitt mit der Zunge an ihrem Oberkiefer entlang und spürte nur die gewöhnlich langen Eckzähne.

„Und, kommt schon was?“, fragte Christopher neugierig und kam näher.

Emily schüttelte den Mund und zeigte ihm ihre Zähne.

„Nix, oder?“

Er betrachtete sie genau.

„Nein … naja, etwas lang sind sie schon für normale Eckzähne. Aber ich sehe …“

Er beugte sich herunter und schob ihren Mund auseinander. Sie kam sich vor wie beim Zahnarzt. Was machte er denn da?

„Wamahuha?“

„Ich … gucke wegen den … Hah.“

Christopher ließ wieder von ihr ab und setzte sich auf die Bettkante.

„Was?“, fraget sie abermals.

„Ob du schon Giftdrüsen hast. Aber da ist nichts. Oder hattest du in letzter Zeit mal einen seltsamen Geschmack im Mund?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich spüre gar keine Veränderung.“

„Gut.“

„Gut? Nicht gut.“

Sie sah Christopher ernst an. Doch er wurde sauer.

„Was soll das heißen? Willst du etwa so schnell wie möglich so ein blutrünstiges Monster werden wie ich?“

„Vielleicht werde ich nicht blutrünstig!? Vielleicht kann ich mich beherrschen!“ Jetzt hatte sie eindeutig auf den gestrigen Abend angespielt und Christopher schüttelte verständnislos den Kopf.

„Du weißt nicht, was du da sagst.“

„Aber du!? Stell dir vor, ich hätte mich von dem Typen letztens -“

„Es hätte nicht funktioniert“, unterbrach Christopher sie forsch.

„- von dem Typen beißen lassen! Oder von einem Reinblut, was auch immer. Dann hättest du nichts dagegen machen können. Ich wäre ein Vampir geworden, so wie ich es bald auch sein werde. Willst du dann nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich auch so ein ‚Monster‘ wie du werde!?“ Emily suchte seinen Blick, doch er sah riguros zum Fenster raus und atmete unregelmäßig.

„Natürlich nicht“, gab er schließlich zu. „Aber sag nicht, dass du jemals freiwillig so geworden wärst. Das wäre ein verdammtes Leben.“

Emily seufzte.

„Lieber ein verdammt-langes Leben mit dir, als ein kurzes Leben.“

„Mit mir“, ergänzte er.

„Ach was. Irgendwann würde man mich für pädophil halten oder so, wenn ich an die 50 Jahre alt bin und einen so jungen Lover an meiner Seite hätte.“ Emily grinste abschätzig und war froh, dass es ihr nicht so ergehen würde. Das Schicksal war zu gütig.

„Emily …“ Christopher nahm ihre Hände in seine. „Ich würde sogar als dein Enkel durchgehen, wenn du alt und grau bist!“ Er sah sie voller Ernst an, doch Emily musste loslachen. Seltsame Vorstellung, ZU seltsam.

„Siehst du! Das wäre ja noch grausamer. Zum Glück-“ Sie sah ihn lächelnd an. „Wird es nicht so enden, stimmt’s?“

Doch Christopher konnte nichts Bestimmtes sagen.

„Das weiß ich nicht. Je nachdem, wann du zu einem richtigen Vampir wirst, könnte dein Körper aufhören, zu altern. Aber genau-“

Doch Emily zog ihn abrupt zu sich hinunter und drückte ihren Mund gegen sein Schlüsselbein.

Christopher wusste, was sie vorhatte und öffnete den Mund um zu Protestieren, aber wusste nicht recht, was er sagen sollte.

Emily verharrte an seinem Hals und sog seinen bekannten, wohlriechenden Duft ein. Doch nach Blut war ihr überhaupt nicht und sie küsste ihn nach kurzer Zeit einfach auf den Hals und ließ ihn wieder frei.

Er stützte sich auf dem Kissen neben ihrem Kopf ab und sah sie durchdringend an.

„Nichts?“

Emily schüttelte den Kopf. „Nicht mal ansatzweise. Außer, dass du gut riechst und ich dich an noch viel mehr Stellen küssen könnte, gar kein Blutdurst.“

Sie sah ihn errötete aus großen Augen an.

„Aha“, grinste Christopher schelmisch und wollte sich gerade zu einem Kuss herunter beugen, als die Tür aufgerissen wurde.

„Emi- Chris!?“ Anna war in der Bewegung erstarrt und hielt noch immer den Türgriff in der Hand. Mit großen Augen stand sie da und die Situation war ihr sichtlich peinlich.

Kein Wunder bei einer solch eindeutigen Pose!

„Anna?“ Emily setzte sich auf, als Chris elegant auf den Stuhl neben dem Bett glitt und Anna schmunzelt ansah.

„Was soll das!? Ich dachte, es ginge dir nicht gut? Und dann seh‘ ich euch hier … boah, nee…!“

Sie vergrub ihr hochrotes Gesicht in den Händen und schüttelte es heftig.

„Aber es ist doch gar nichts- wir haben nur…“, begann Emily und suchte hilfesuchend Christophers Blick.

„Rumgemacht“, beendete er ihren Satz und grinste nun breit.

Emily verdrehte die Augen und biss sich auf die Unterlippe.

„Ganz toll. So, dann geh mal und Anna … was wolltest du? Komm her!“

Emily streckte ihre Arme nach Anna aus und verscheuchte Christopher mit ihren Blicken aus dem Raum.

Anna versetzte ihm noch einen zweifelhaften Blick, als er sie erreichte und ging dann zu Emily.
 

„Wie geht’s dir? Nervt dich der Kerl? Ich mach ihn kalt!“ Sie sah Emily mit mürrischem Gesicht an.

„Nein, schon ok“, beruhigte sie Anna mit einem Lächeln. „Wir … sind zusammen.“

Stille.

„A-also … war das im Zug und so nicht nur Kuscheln aus Langeweile!?“ Anna schien ehrlich schockiert. Es war wohl wirklich so undurchsichtig gewesen, was sie füreinander empfanden.

Emily schüttelte bedröppelt den Kopf.

„Sowas mach ich doch nicht. Entweder oder.“

„A-aber … bist du sicher, dass er der Richtige ist? Ihr kennt euch doch noch gar nicht solange. Hat er dich bestochen? Bedroht er dich?“

Anna schien sichtlich besorgt, doch Emily zog sie zu einer Umarmung heran.

„Nein, er ist genau der, auf den ich bis heute gewartet habe und er wird es immer sein. Mach dir keine Sorgen.“

Anna erwiderte zweifelnd ihre Umarmung und sah ihr dann fest in die Augen.

„Ich hoffe es sehr. Sonst sag mir Bescheid, in Ordnung? Dann ist er dran.“ Anna fasste angriffslustig an ihren Oberarm und strich über die kaum vorhandenen Bizeps.

Emily lachte auf.

„Mach ich.“
 

Den Rest des Tages beschlossen die Mädchen, im naheliegenden Dorf shoppen zu gehen.

Tom und Christopher erzählten sie nichts davon, sondern stahlen sich einfach hinaus und genossen die wärmenden Sonnenstrahlen und den strahlendblauen Himmel.

Sie gönnten sich Crepés, lästerten fröhlich über die Jungs und ihre nervenden Angewohnheiten, probierten verschiedene Outfits und Schmuck an, entschieden sich dann aber doch eher für Unterwäsche.
 

„Glaubst du echt nicht, dass es ZU aufreizend ist?“

Anna drehte sich um sich selbst. Sie trug ein rotes, halb durchsichtiges Negligee mit Spitzenbesatz, was ihr bis zur Hüfte reichte und dazu den passenden Tanga.

„Ach wo, Tom wird es verkraften. Er steht bestimmt auf sowas!“, beratschlagte Emily sie.

„Ja, Chris bestimmt auch. Und du kaufst nur normale Unterwäsche und nicht sowas. Warum??“

Anna sah sie schmollend an.

„W-weil ich nicht soviel Geld ausgeben will. Und ich mag keine Negligees.“ Emily wich ihrem Blick aus.

Würde sie schon soweit gehen wollen mit Chris? Aber was sprach dagegen…? Sie hoffte einfach, die Unterwäsche würde ihm gefallen. Was danach passieren könnte, lag allein i den Händen des Schicksals…
 

„Emily? Hey…“ Anna wedelte mit der Hand vor Emilys Augen. Die schreckte kaum merklich hoch und sah Anna fragend an.

„Was denn? Bist du fertig?“

„Uhum. Ich nehm ‘s. Wenn Tom das nicht gefällt, kann er es umtauschen gehen. Selber Schuld.“
 

Anna ging schnellen Schrittes zur Kasse, nachdem sie sich umgezogen hatte, und Emily folgte ihr wie ein Hund. Als die beiden Mädchen vor das Geschäft traten, wurde es langsam windiger und Wolken hatten sich teilweise vor die Sonne geschoben.
 

„Och nöö ... eben war ‘s doch noch so schön!“, jammerte Anna und zog ihren Schal fester um den Hals, als der kalte Wind ihr ins Gesicht blies.

„Ja, schade“, stimmte Emily ihr zu, doch sie hatte ein seltsames Gefühl. Das Wetter änderte sich hier in Bergen schnell, aber das war nicht das Beunruhigende.

Ein anderer Wind lag in der Luft, eine erdrückende Schwere erfasste ihre Lunge und füllte sie ganz aus. Ob Anna auch so komisch zumute war? Emily blinzelte ihre Freundin durch den immer heftiger werdenden Wind an, doch die meckerte nur unverständliche Worte in ihren Burberry-Schal und hielt sich die Hand vor die Augen, um den Wind abzuschirmen.
 

Der Wind entwickelte sich langsam aber sicher zu einem Schneesturm und die beiden Mädchen hatten Mühe, ihr Hotel in den Augen zu behalten, was noch etwa einen knappen Kilometer entfernt lag und der Schnee wurde immer tiefer und undurchdringbarer.
 

„Was ist das bloß!?“, hörte Emily Anna rufen, als wäre sie meterweit entfernt, dabei waren sie nahe beieinander und wühlten sich durch die Schneemassen, die ihnen bis zu den Knien reichten.

Sie hakten sich gegenseitig unter und kamen langsam, aber stetig voran.

Der blaue Himmel war gänzlich unter dem gräulichen Schneegestöber verschwunden und es war kaum noch die eigene Hand vor den Augen zu sehen.

Anna hielt an.

„Emily“, krächzte sie und sackte ein wenig gen Boden.

„Wir sind gleich da!“ Emily stützte sie mit ihrem Arm und strich ihr mit ihrer eisigen Hand über die Wange, doch auch sie spürte ihre Beine kaum noch, so gefroren waren sie.
 

Wie verrückt war das alles? Eben waren sie noch im Geschäft gewesen und sie hatten Unterwäsche gekauft und waren gut drauf.

Jetzt schien es ihr Ende zu sein, sie würden erfrieren und das so jämmerlich kurz vor ihrem Hotel, wo Tom und Christopher sicher schon ungeduldig auf sie warteten.
 

Emily kam alles vor wie ein Traum … all die Vorfälle, die seit kurzem passiert waren, reihten sich so unauffällig offensichtlich aneinander, dass sie nicht wusste, wo alles enden sollte.

Mit ihrem Tod? Oder dass sie zum Vampir werden würde?

Das Netz schien sich immer weiter zu verstricken und sie hing mittendrin.

Der Schneesturm hatte etwas damit zu tun, auch wenn Emily nicht klar wusste, inwiefern, aber ihr Gefühl, vielleicht sogar ihr verborgener Vampirinstinkt, sagten es ihr.



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