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Every day is writing day
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Freigeist (13.02.09)

Ich bin einer dieser kleinen Fische, die dort nachts auf die Straße gehen, wo man für die falsche Jackenfarbe erschossen wird, sich ein Regenbogencape umbinden und am Ende bestenfalls schief angesehen werden, während sich auf den Bürgersteigen die Leichen jener türmen, die ihren Cheeseburger falsch herum essen.

Könnte ich nie. Also das mit dem Cheeseburger. Ich habe immer den Eindruck in Taiwan stürzt ein Hochhaus zusammen, wenn ich die glänzende Wölbung der Oberseite nicht vor mir habe, wenn ich hineinbeiße. Dabei weiß ich nicht einmal genau, wo Taiwan überhaupt liegt und es wäre mir auch egal, wenn dort etwas kaputt geht. Mir ist nur die Vorstellung zuwider, dass ich es einfach durch ein absurdes Chaosgesetz auslöse. Vielleicht auch genau das Gegenteil.

Ich halte die Leerstellen für solche Theorien für gewöhnlich offen wie so ziemlich alles andere auch und manchmal romantisiere ich die Vorstellung, dass ich genau deshalb noch am Leben bin, obwohl ich mich nicht wirklich darum bemüht habe.

Nicht auf die Art und Weise, bei der man einfach alles passieren lässt und in seinem Keller sitzt, weil es egal ist, sondern die dynamische Variante, die deutlich unterschätzter und seltener ist. Gelegentlich glaube ich, ich bin ihr Begründer und einziges Mitglied zugleich. Eine Ein-Mann-Weltanschauung ohne Mantra.

Vermutlich ist es so selten, weil Leute, die alles hinschmeißen wollen, das mit Stillstand gleichsetzen und solche, die ständig in Bewegung sind damit irgendetwas erreichen wollen. Irgendwo klar. Bewegung braucht Antrieb. Zerstörung braucht Schwerkraft. Auch nicht so ganz, aber egal.

Ich bin immer in Bewegung. In jeder Hinsicht. Ich kenne niemanden, ich mache keine Jobs, ich komme nicht für eine Weile bei jemandem unter, schlafe bei Freunden auf dem Sofa – was nicht heißt, dass ich nicht schlafe oder etwas an Sofas auszusetzen habe bzw. dem Stereotyp, welches damit verbunden ist auf ihnen zu schlafen, wenn es nicht die eigenen sind. Nein, ich schlafe richtig gerne auf fremden Sofas, aber genauso gerne in fremden Betten, mit fremden Menschen oder auf deren Fußboden, auch einfach in Gassen, die wirklich niemandem gehören.

Ich suche nichts, keine Herausforderung, keinen Streit, aber wenn mir jemand im Weg ist und nicht mit sich reden lässt, dann trete ich ihm die Kniescheibe weg. Manchmal schlage ich ihm auch die Zähne ein, obwohl er nur mit mir reden wollte. Oft unterhalte ich mich einfach nur nett, während ich unterwegs bin.

Auf Beifahrersitzen, in Zugabteilen, stehend in Bussen, auf den Decks von Schiffen oder während ich zu Fuß unterwegs bin. Meistens während ich zu Fuß unterwegs bin. Die Füße sind eine Konstante, die ich nicht leugnen kann. Sie gehören einfach dazu, genauso wie ich nie auf die Idee kommen würde, ich könnte aufhören zu essen. Manche glauben das. Asketen, Obdachlose, Thinpos. Der Körper muss am Laufen bleiben, wenn ich am Laufen bleiben will. Er muss gefüttert werden, weil er – das missverstehen oder unterschätzen viele – das wirklich unter keinen Umständen selbst kann. Eigentlich klar, aber dann kommt jemand daher und sagt, es käme nur auf die Einstellung an. Kommt es nicht. Beim Essen kommt es darauf an zu essen und beim Trinken darauf zu trinken, sonst nichts. Aber es ist leichter als gedacht den Zustand aufrecht zu erhalten.

Geld. Die meisten Leute, die mit mir sprechen, glauben Geld sei das Problem. Irgendwann wäre es leer und damit sei alles zu Ende. Geld ist die Batterie, die Distanz, so scheinen viele es zu sehen. Ich kann dazu nur soviel sagen: Geld existiert nicht. Es hat nichts mit Sinn zu tun. Wie ich die Dinge lebe, ist Sinn ziemlich überflüssig, aber bei Geld ist das anders. Geld existiert einfach nicht. Glaub es mir ruhig, musst du aber nicht.

Wo war ich? Ach ja. Bewegung braucht Antrieb. Man schweift so schnell ab, wenn man sich keine Gedanken macht. Von den Leuten, die ich so treffe, sind meist die in Bewegung, die dazu einen Grund haben, ein Motiv. Was davon mir selbst noch am ehesten kommt, sind die Menschen, die zugeben, dass es Selbstzweck ist. Sie erfüllen das Motiv, weil sie in Bewegung bleiben wollen und nicht umgekehrt. Ich bin der einzige Weder-noch-Typ in dieser Hinsicht, den ich bisher erlebt habe.

Früher hat man so etwas wie mich Wanderer oder fahrendes Volk genannt, aber ich erzähle keine Geschichten, um eine Mahlzeit zu bekommen, und führe auch keine Kunststücke auf.

Ich könnte vermutlich ein Schwert schlucken, wenn ich mich konzentrieren würde. Aber wozu?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  kumquat
2009-02-15T11:48:31+00:00 15.02.2009 12:48
"Beim Essen kommt es darauf an zu essen und beim Trinken darauf zu trinken, sonst nichts."
Hmmm, das erinnert mich... Wenn man die grundlegendsten Dinge reduziert und simplifiziert, kommt man meistens bei einer Tautologie heraus. Ist bei der Evolution genau so; alles, was überlebt, überlebt. Find ich nett.

Und der Knabe erinnert mich ein wenig an die Lehren meines Theatermenschen... Nicht übermäßig, dazu fehlt ihm immer noch das Ziel.

Zugegeben hab ich den Anfang, in Kombination mit dem Titel, eher ironisch aufgefasst. So á la "Trend"-Freigeist, der sich unbedingt anders zeigen muss als alle anderen, aber seinen Cheeseburger trotzdem richtig herum isst. *g* Zu viele Erfahrungen mit sowas, vermute ich.
Aber der weitere Text bringt dann die Freigeistigkeit doch immer authentischer rüber.

Der Schlusssatz ist sehr hübsch. <3 Irgendwie gefallen mir deine in letzter Zeit besonders.
Von:  Ito-chan
2009-02-14T20:04:26+00:00 14.02.2009 21:04
Hi ^^

Tja... ich muss gestehen, es lohnt sich anscheinend, dass du so arbeitest ^^
Ich habe einfach mal hier hinten angefangen, dabei fängt man normalerweise bei Kapitel eins an. Aber warum denn Kapitel eins lesen, wenn man auch bei Kapitel 16 anfangen kann, wenn es sich um One Shots handelt?
Nun ja... also... meine Meinung dazu...
*räuspert*
Ich muss gestehen, ich habe den Kapiteltitel erst nach dem Lesen hier oben in der Kommentarfunktion realisiert, aber er ist Treffend.
Mein erster Gedanke, als ich am Ende war, galt nämlich eben diesem Wort: "Freigeist".
Wunderbar, wie man einen Menschen, der eigentlich nicht weiß wohin er will und dennoch einen Weg hat, charakterisieren kann, so frei und ungebunden an all die menschlichen/gesellschaftlichen Konventionen.
Ich war beeindruckt, davon wie du jemanden, den man eigentlich kaum zu Gesicht bekommen kann (jedenfalls nirgendwo da, wo ich herkomme, denn dort werden Menschen wie er verachtet) beschreibst und von ihm erzählst.
Es sind eigentlich seine sprunghaften Gedanken, aber genau die machen ihn ja aus und machen die Episode lebendig.
Mit Wortwahl und Schreibfluss muss man sich vereinbaren. Es ist ganz du, charakterisiert aber dennoch auch ein bisschen Vorgeschichte des Menschen (ich wage es nicht, ihm oder ihr ein Geschlecht zuzuordnen), dem man hier begegnet (nicht jeder Obdachlose muss sich gleich "vulgär" ausdrücken).
Der Text klingt flüssig, selbst bei lautem Lesen und auch die philosophischen Ansätze (Geld bedeutet nichts etc.) haben mich sehr fasziniert.
Es regt auf jeden Fall zum Nachdenken an ^^

Ich freue mich sehr, dass du das hier geschrieben hast, denn du hast ein Thema aufgegriffen, dass kaum behandelt wird und das auf eine so bewegende Weise.
Sehr gelungen.

Alles Liebe
Ito


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