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Zombie-Ernstfall (15.02.09)

Zombieernstfall. Schon eine verdammt miese Situation, dachte Nathan. Man macht sich immer Gedanken darüber, reißt Witze und spekuliert, wie man seine Chancen beim Eintreten eines solchen Szenarios einschätzt, aber wenn es dann passiert, steht man doch wie ein Reh in den Scheinwerfern da.

Zu Hause stand er oft am Wochenende mit seinem Kumpel Andreas nachts mit dem Auto im Wald und sie erzählten und spekulierten bei einer Thermoskanne Kaffee. Natürlich über nichts bestimmtes, aber oft über die beste Taktik, wenn irgendeine Unwahrscheinlichkeit plötzlich in Kraft tritt. Zombie-Invasion. Axtmörderangriff. Spontanes Scharmützel auf einem Postamt, wenn auf einmal jemand ein Katana aus seinem Päckchen zieht. Entropische Manifestation von Angst, die einen in die Nacht zerren und verzehren will. Die Klassiker eben. Sie hatten immer den nächtlichen Wald gewählt, weil er die Fantasie am ehesten auf Adrenalinhaushalt und Paranoiaspiegel des Ernstfalls versetzt. Manchmal redeten sie auch einfach darüber, warum den Sinn des Lebens zu suchen keinen Sinn ergibt. Oder Asphyxie-Fetische. Oder vollkommen andere, unspektakuläre Dinge. Aber nebenbei entwickelte sich in Nathans Gehirn auch die optimale Choreografie für den Fall, dass ein Irrer mit einer Motorsäge durch das Beifahrerfenster brechen und ihm den Arm absägen würde. Sie beiden waren recht optimistisch, was es den Ablauf und die Chancen anging. Vielleicht würde er sogar den Arm behalten, wenn alles gut lief.

Aber Zombies. Nathan seufzte. Durch die Glasfront im dritten Stock der Starbucks-Filiale drang Mondlicht, das so aussah, wie er sich fühlte. Als er sich vor einigen Tagen hier drin verkrochen hatte, schienen die Adrenalinkicks ihm das Endorphin durch die Nase rausprügeln zu wollen – Roundhouse-Style – aber gerade fühlte er sich geradezu lustlos in Anbetracht der Situation.

Wieso war er gerade vor einem Zombie-Ernstfall weggefahren, um eine Internetfreundin zu besuchen? Oh ja, klar, fiel ihm wieder ein, weil du seit zwei Jahren keine nackte weibliche Haut mehr in realer Auflösung gesehen hast und du nicht erwarten kannst, DASS SO MIR NICHTS DIR NICHTS EINE ZOMBIE-EPIDEMIE LOSBRICHT!!!

Er trat gegen einen gepolsterten Sessel ihm schräg gegenüber, der seine Wut in einer leichten Unterdrückung seines wohlig weichen Innenlebens verschluckte.

Epidemie. Ts. Er wusste nicht einmal, ob es eine Epidemie war. Man weiß in den Filmen ja auch nie, wo die Zombie herkommen, sagte er sich selbst überflüssig belehrend. Aber gerade jetzt. Gerade hier. Zu Hause würde er jetzt vermutlich bei Andreas im Keller sitzen und Molotovcocktails basteln oder den Gartenzaun durch Gitterwände ersetzen. Was für ein Totalversagen an Situationskomik.

Er hatte den Starbucks aus diversen Gründen gewählt. Erstens war es in der Stadt der einzige Laden, in dem Firenze – sie hatte offenbar grausame Eltern – mit ihm gewesen war, bevor ein Businessman in Buttondown-Hemd mit zu spät richtig gedeutetem Ketchup-Fleck ihr das Gesicht weggefuttert hatte. Die Untoten waren genauso lethargisch und monoton wie es seinem Klischee entsprach, aber was sie erst einmal in den Fingern hatten, konnten sie verschlingen wie eine Horde adipöser Kurklinikkinder, die man mit einem zweihundert Euroschein in einem McDonalds aussetzt.

McDonalds, gutes Stichwort. Ihm war von Anfang an klar, dass er sich in einem großen Fastfoodladen verstecken würde, aber Burgerläden fielen weg, weil seine Verschwörungstheorien nicht ausschlossen, dass sie mit für die Katastrophe verantwortlich waren. Außerdem hatte Starbucks die sperrigeren, schweren Möbel. Besser zu werfen, besser zum Verbarrikadieren, gemütlicher um darauf abzuwarten.

Der letzte Grund war eine spontane Eingebung: Wenn noch jemand am Leben war und sich einen Unterschlupf suchen würde, dann wollte er gefälligst mit denen zusammen ums Überleben kämpfen, die einen Starbucks wählten.

Ganz grobe Fehleinschätzung. Er drehte seine Schlagwaffe, die er aus diversen Teilen der noch diverseren Kaffeemaschinen zusammengeschraubt hatte, in der Hand. Niemand geht zu Starbucks, wenn's ums Überleben geht, fluchte Nathan in sich hinein. NIEMAND AUßER DIR! Und Andreas. Reas hätte garantiert auch den Starbucks gewählt. Aber der war jetzt gerade etwa 300 Kilometer weiter nördlich.

Nathan klaubte sein Handy, dem so langsam der Saft ausging, vom Tisch. Kein Netz. Kein Empfang. Keine Nachrichten. Nada. Funkstille. Er erhob sich zähflüssig aus dem Sessel und trottete, seinen Schläger in der Linken über die Schulter gelegt, zur Treppe hinunter.

Anfangs war er vorsichtig und geradezu panisch gewesen, doch die Zombies waren in etwa so dumm, instinktiv und weitsichtig, wie man es von ihnen erwartete. Sie bemerkten ihn nicht und deshalb suchten sie ihn auch nicht. Die Tür war fest verschlossen und stellte damit ein recht finales Hindernis für sie dar und die Fenster im Erdgeschoss hatte er vernagelt. Sie standen nicht lange draußen herum, sondern suchten sich einfachere Ziele. Gestern war jemand schreiend über den Bahnhofsplatz gerannt und hatte dabei eine ganze Meute von ihnen mit sich gezogen. Seitdem war es hier noch leerer und öder geworden und er sah durch die Fenster im zweiten und ersten Stock nur noch vereinzelte Schemen im kahlen Licht des Mondes herumstehen wie letzte Weizenhalme auf einem abgeernteten Feld.

Er verließ die ächzenden Treppenstufen und trat auf die Laminatkacheln des Erdgeschosses. Alles lag dort in zwielichtiger Stille und für einen Moment überkam ihn der Schauder der ersten Tage, doch dann leuchtete er sich mit dem Handy den Weg durchs Halbdunkel wie er es früher auf dem Heimweg von Partys getan hatte, wenn er die eigenen Füße nicht sah. Kein verräterischer Schemen im fadenscheinigen Dunkel. Keine plötzlich auftauchende Gestalt, die in einem Schrank oder hinter einer Tür gestanden hatte.

Nathan überprüfte den Lieferanteneingang – ihn unbeachtet zu lassen war ein Anfängerfehler, den er vermieden hatte. Zumindest glaubte er, dass es einer war, denn er hatte leider nur seine eigene Situation als Vergleich zu den Genrestereotypen und das war wenig repräsentativ. Der Hintereingang war unberührt und verschlossen, die Möbel, die er davorgeschoben hatte an Ort und Stelle.

Beim heiligen Isidor, ist das langweilig. Er hätte Lust da raus zu gehen und sich mit den Untoten zu prügeln, einfach nur um sich die Zeit zu vertreiben, aber auch das war eine dieser Dummheiten, die einen normalerweise den Kopf kostete. Das Gehirn um genau zu sein. Er wartete darauf, ob er seinen eigenen Gedanken noch komisch fand, doch die Pointe wirkte ledern und abgekaut. Er nahm noch eine der Torten aus der verglasten Theke. Double Chocolate Caramel Fudge Cake. Die letzten drei hatten ihn ziemlich gut von seiner Misere abgelenkt und außerdem machten sie ziemlich satt.

Essen wird ein Problem, stellte er nüchtern fest. Trinken auch. Aus welchem Grund auch immer, gab es keinen Strom mehr und auch das würde irgendwann zum Verhängnis werden.

Sei froh, dass du nicht zu Burgerking gegangen bist, sagte er sich selbst, dann würdest du jetzt auf aufgetautem Burgerfleisch rumkauen und Gürkchenscheiben in rauen Mengen in dich reinschaufeln. Der Kuchen schmolz schlimmstenfalls.

Nathan warf noch einen Blick durchs Fenster auf den Bahnhof gegenüber – immer noch in der Hoffnung auf einfahrende Züge mit oder ohne Paramilitärs – doch der wuchtige Bau lag dort wie ein schlafender Riese. Wieder lag er in einen der weichen Sessel gefläzt, die er zu Vorzombiezeit wie heute sehr zu schätzen wusste, und schaufelte sich mit der Gabel eine Ladung Konditoreiprodukt in den Mund. Die Speise der Götter, wahrlich.

Das Problem an einem Zombieernstfall – ging ihm dabei auf – war nicht das Überleben: Es war die Langeweile, die einen auf dumme Gedanken bringt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ito-chan
2009-07-27T13:56:23+00:00 27.07.2009 15:56
Du ich lache immer noch xD
Ich finde es wirklich amüsant. Vor allem die Tatsache, dass ich dich darin wiedererkannt habe xD
Woran lags: Vielleicht daran, dass du mir in Frankfurt beim Mittagessen gegenüber saßen und du einige der Sachen, die in der Einleitung erwähnt hast auch dabei erwähntest.
Du bringst mich zu einem herzlichen Lachen ^^
Von:  kumquat
2009-02-16T23:10:48+00:00 17.02.2009 00:10
"Durch die Glasfront im dritten Stock der Starbucks-Filiale drang Mondlicht, das so aussah, wie er sich fühlte."
Das ist wunderschön. Frag nicht, warum. Synästhetische Beschreibungen werden ohnehin unterbewertet.

UND KURKLINIKKINDER BEI MÄCCES. Boah, diese Alliteration geht runter wie Olivenöl!! (Mhhh, Knoblauch... :<)

Das ist so großartig. Der Ausnahmezustand, ganz ordinär. Und völlig dumme Ideen. Manchmal ist so 'ne Zombie-Invasion auch nicht viel schlimmer, als eingeschneit zu werden...
(Und deine Geschichte geht immerhin um einiges realistischer mit der Frage um, weshalb sich die Zombies gerade auf die Protagonisten einer Geschichte konzentrieren, die in der Regel doch großen Aufwand treiben, sich zu verstecken und Zombies abzuwehren... Gibt doch gewiss Leute, die da weniger aufmerksam sind.)
Von:  Dels
2009-02-16T17:42:55+00:00 16.02.2009 18:42
Ein Wort:

BRAAAIIIINS!

xD
Also als ich die Überschrift gelesen hatte, dacht ich schon OMG, was tust du mir da an?! Aber du kennst mich, ich bin da guter Dinge und siehe da.
Ein geniales Stück, mein lieber Shu. Ich bin garnicht aus dem Grinsen rausgekommen. Mal ein Zombie-Geschichtchen, das ganz ohne diesen ganzen Horrormist auskommt - sehr amüsant und überhaupt nicht langweilig, herrlich um genau zu sein 8D
Herrlich banal und absurd zugleich, ein Anti-Klischee, das ich mit größtem Vergnügen gleich nochmal lesen werde >w<! Starbucks, was habt ihr denn alle mit dem Starbucks xD
Das ist Alltag in Absurdistan und ich liebe es <3 <3
Ich kann dir garnicht richtig sagen, wie sehr ich diese Art von Geschichten mag, so locker, so natürlich-unnatürlich, grah xD~~
Verstehst du, was ich meine..?
Das ist eine deiner wenigen Texte, die ich nicht nur ehrfürchtig bewundere, sondern auch noch ganz doll gern habe <3

BRAAAAIIINS xDDD


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