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Private Paparazzo -Reloaded!

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Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?

What tonguless ghost of sin crept through my curtains?

Sailing on a sea of sweat on a stormy night

I think he don’t got a name but I can’t be certain

And in me he starts to confide
 

That my familiy don’t seem so familiar

and my enemies all know my name

And if you hear me tap on your window

you better get on your knees and pray panic is on the way

(Oasis)
 

Menschen sind seltsame Lebewesen. Sie rühmen sich zwar für ihre Fähigkeiten zu denken. Doch warum dann diese scheinbar instinktiven Wandlungen, die das Leben eines jeden bestimmen? Die Rede ist von Gewohnheiten, normalen und lächerlichen und sonderbaren Angewohnheiten, auf die keiner verzichten kann. Warum isst Herr K. jeden Sonntag ein hart gekochtes Ei zum Frühstück, während sein Nachbar ebenso regelmäßig jeden Freitagabend ins Bordell geht? Warum können wir von diesen Tätigkeiten abhängig werden, so dass unser Leben völlig aus dem Ruder zu laufen scheint, sobald wir am Nachgehen jener Gewohnheiten gehindert werden? Wahrscheinlich gibt es zu diesem Thema mehr als genug schlaue Untersuchungen von mehr als genug schlauen Menschen, die das Verhalten ihrer Artgenossen natürlich ganz objektiv ausgewertet haben. Fakt ist, dass wohl jeder von uns ein Abhängiger seiner ganz persönlichen Droge ist.
 

Hitoshi Kinomiya war süchtig nach seinem Chef. Es gab nichts, das ihn mehr fesseln konnte als der Anblick von Kai Hiwatari, wenn dieser seinen Kaffee trank. Ihm stockte der Atem, wenn sein Vorgesetzter blinzelte, während er mit ihm sprach. Hiwatari raubte ihm den Schlaf, und deswegen saß Kinomiya auch jede Nacht vor seinem Laptop und sah ihm bei selbiger Tätigkeit zu, bis ihm selbst die Augen zufielen. Für Kinomiya war es die einzige Möglichkeit, Hiwatari so nah zu kommen; denn jener beachtete ihn keineswegs. Er zeigte keinerlei Zu- oder Abneigung, wenn er mit dem Sekretär sprach, und das war für ihn schier unerträglich. Er war ein Mensch, der Anschluss brauchte, Beziehung zu seinem Job und seinen Kollegen. Zuerst war er süchtig nach Kontakt gewesen. Jetzt war er süchtigt nach der einzigen Kontaktperson, die ihn ständig umgab und die er ständig umgeben musste. Für ihn war es eine Qual, inmitten von Personen zu leben, die ihn nicht eines Blickes würdigten. Und so hatte es angefangen.
 

Hier beginnt die Geschichte. In einem kleinen Raum in dem Trakt der Basis der Hiwatari-Company, der den Angestellten vorbehalten war. Voltaire hatte das verwinkelte Herrenhaus einst persönlich zur Zentrale erklärt, da er, wie er sagte „Kein Auge zumachen kann, wenn ich nicht weiß, das in der Firma alles glatt läuft. Dies ist der beste Weg, alles zu überwachen, und ich lege meinen zukünftigen Nachfolgern –mögen sie reich an der Zahl sein, und möge Gott ihren armen Seelen schon jetzt gnädig sein– ans Herz, es ebenso zu tun.“

Es war ein Umstand, der Kinomiya nun gerade recht kam. Seine Sucht hatte ihn so weit gebracht, das hochmoderne Sicherheitssystem anzuzapfen, das aus Hiwatari einen Gefangenen in seinem geerbten Käfig machte und von dem nur einige auserwählte Personen wussten, warum es überhaupt installiert worden war. Kinomiya hatte sich wohl oder übel selbst helfen müssen, um sein Verlangen stillen zu können. So liefen jetzt gewisse Informationen in seinem Notebook zusammen ohne, dass jemand es bemerkte; zumindest hoffte er das.
 

Das graue Tageslicht kletterte in Hiwataris Schlafzimmer und zeichnete seine Augenringe weich. Er drehte sich herum, ob der draußen ruhelos umherstreifenden Bodyguards noch immer friedlich schlummernd.

In Wirklichkeit hatte er einen Alptraum. Natürlich würde er sich an nichts mehr erinnern können, wenn er aufwachte; nur das unbestimmte Gefühl der reinen Angst würde bleiben, wie immer, und er würde wissen, dass es einmal mehr um den Tod gegangen war. Vielleicht würden auch diesmal einige verworrene Bilder bleiben, die sich im Verlauf des Tages Gott sei dank endgültig verflüchtigten...
 

Die Tür zu seinem Schlafzimmer flog mit einem lauten Krachen gegen die Wand.

Kai packte sein Kissen und vergrub seinen Kopf darunter. „Gottverdammter Iwanov...“, murmelte er. Insgeheim war er ihm dankbar. Tala hatte ihn aus einer Welt voller Panik errettet. Der Rothaarige lehnte im Türrahmen. „Ich weiß, du willst das nicht hören“, meinte er, „Aber du musst aufstehen!“

„Ich hab das Gefühl, als ob ich mich die ganze Nacht lang nur von einer Seite auf die andere gewälzt habe“, kam es gedämpft unter dem Kissen hervor. Kai bekämpfte die letzten Angstschauer und fuhr aufatmend fort: „Das sind die Kameras, wenn du mich fragst, ich fühle mich einfach beobachtet!“ Er warf dem lidlosen Auge in der Zimmerecke einen verhassten Blick zu.
 

„Schalt‘ sie doch endlich ab, Tala!“, forderte er. Tala war unter anderem auch für die persönliche Sicherheit seines Chefs zuständig, da er Voltaires vollstes Vertrauen genoss. Er war außerdem der Leiter der Einheit, die gewisse...Aufträge ausführten. Die Existenz einer solchen Einheit hing mit einigen zwielichtigen Geschäften Voltaires zusammen, die dieser sowohl mit der Mafia als auch der Polizei geschlossen hatte. Auch unter Kai wurde sie aktiv genutzt. Man konnte trotzdem durchaus sagen, dass Tala Iwanov manches Mal besser über die Firma Bescheid wusste als der Leiter selbst, woran dessen Großvater seinen Teil dazu tat.
 

„Ich kann das nicht“, sagte er nun. „Es ist doch nur zu deiner Sicherheit; ich kann mir einen solchen Schritt nicht leisten bei den Drohungen, die jeden Tag hier eingehen!“

Kai schwang sich aus dem Bett und trat, nachdem er die Balkontür mit einem energischen Stoß geöffnet hatte, ins Freie. Er stützte sich aufs Geländer und beugte sich kurz darüber, als ob er nicht wüsste, dass er sich im dritten Stock befand.
 

„Ich kannte mal einen Schriftsteller“, erzählte er drauf los. „Der hat mir ein Manuskript gegeben. War so eine Story über einen Typen, der in einer Wohnung aufwacht, die er nicht kennt. Ziemlich komisches Zeug war das, der Typ hat in einem Wohnblock gesteckt, verstehst du, konnte immer hören, was die Nachbarn so treiben in den Wohnungen um ihn herum...war aber selber eingeschlossen, naja, ich weiß nicht mehr alles, ziemlich verrückt und verworren das ganze“ Er deutete mit dem Finger einen leichten Wirbel neben seiner Schläfe an. „Du hast dich die ganze Zeit gefragt, wer ihn da eingeschlossen und beobachtet hat und warum, und am Ende hat dir der Kopf geschwirrt und du hast gar nichts mehr verstanden...“

Tala legte den Kopf schief. „Aha. Und was ist mit dem Manuskript passiert?“ Daraufhin lachte sein Gegenüber kurz und freudlos auf. „Der Schriftsteller steckte zu der Zeit in einer Schaffenskrise und hat es verbrannt, sobald ich es ihm zurückgab. Mit der letzten Seite hat er sich eine Zigarette angezündet.“

„Oh.“
 

Kai zuckte die Schultern. „Ziemlich theatralisch, wenn du mich fragst. Aber ich glaub, ich drehe langsam genauso durch, wie der Typ in dem Manuskript“, sagte er. „Neulich wäre ich beinahe schreiend aus der Bibliothek gerannt, weil ich mich beobachtet fühlte. Hast du eine Ahnung, wie es ist, wenn man ständig ein Kribbeln im Nacken hat?“

„Ich kann das Gefühl ganz gut verdrängen, glaube ich.“

„Du Glücklicher.“
 

Danach herrschte Stille. Tala wollte sich schon umdrehen, um wieder zu gehen und die Arbeit aufzunehmen, als Kai ihn zurückhielt: „Weißt du, wohin ich mal reisen möchte?“, fragte er. Tala seufzte. Er hasste es, wenn Kai, als wichtiger Geschäftsmann, der er zu sein hatte, ganz plötzlich Dinge aus der Luft griff und unbedingt mit ihm darüber reden wollte. „Nein“, antwortete er gereizt, „Das weiß ich nicht!“

„Ich möchte nach Großbritannien.“

Unwirsch winkte Tala ab. „Komm schon“, forderte er. „Hör auf mit dem Mist! Du hast eine Firma zu leiten, also zieh dich endlich an! Ich geh derweil nachsehen, wie viele Drohbriefe wir heute bekommen haben.“
 

Sein Chef konnte darüber nicht lachen. Er wartete, bis die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war,

bevor er in den Kragen seines Shirts griff und sein abgenutztes Medaillon in die Hand nahm. Er hatte schon den Daumennagel zwischen beide Hälften geschoben, als er es sich anders überlegte und alles beließ wie zuvor. Manche Dinge blieben lieber unter Verschluss, vor allem, wenn man sich in einer ähnlicher Verfassung befand wie Kai.
 

„Kinomiya, lauschen Sie etwa?“, rief Tala. Er war aus dem Zimmer getreten und hatte Hitoshi dabei in einer für ihn viel zu kleinen Distanz zu Kais Tür vorgefunden. –Natürlich musste er akzeptieren, dass Hitoshi für Kai nicht nur ein Sekretär, sondern ein nicht mehr wegzudenkendes Mitglied ihres Kollegiums geworden war. Ein Mädchen für alles wurde eben immer gebraucht. Das änderte jedoch nichts daran, dass Hitoshi Tala ein Dorn im Auge war. Er musste dafür sorgen, dass er nicht allzu sehr in die Nähe Kais gelangte und fühlte sich mit dieser Aufgabe, wie David es getan haben musste, als er vor Goliath gestanden hatte.
 

„Hören Sie“ Er trat nah an den Sekretär heran. „Ich möchte in meinem Verdacht nicht bestätigt werden. Wir wollen doch nicht, dass Sie die Kündigung einreichen müssen. Beschränken Sie sich also auf Ihre Aufgaben, Kinomiya, die im Moment übrigens sehr leicht erfüllbar sind: nehmen Sie die Akten und klemmen Sie sie sich unter den Arm, so lange, bis Hiwatari sie braucht! Etwas, das darüber hinausgeht will ich weder hören noch sehen. Haben wir uns verstanden?“

Tala wartete keine Antwort ab, denn in diesem Augenblick trat Kai aus der Tür. Nur Tala und Kinomiya wussten, dass er bei jedem Mal, da sich diese Szene wiederholte, etwas niedergeschlagener wirkte. Er hatte sich jedoch immer schnell wieder unter Kontrolle; und wenn er in einer Konferenz saß war er ganz der Hiwatari, den alle erwarteten: herrisch, stolz und unantastbar.

Es wurmte Tala, dass Kai dem Sekretär erlaubte, diesem –wenn auch kleinen– intimen Augenblick seines Lebens beizuwohnen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, so würde nichts von Kais ...momentaner Gebrechlichkeit an die Öffentlichkeit gelangen. Das ging nur sie beide was an. Und die Kameras.
 

„Gehen Sie schon, Kinomiya?“, wünschte Kai. Hitoshi wirbelte auf dem Absatz herum, nicht ohne Tala noch einen beleidigten Blick zuzuwerfen, und ging. Seine Vorgesetzten blieben noch einen Augenblick lang stehen. „Habe ich Augenringe?“, wollte Kai wissen. Tala sah kurz hin. „Nicht schlimm.“

„Wo bleibt es?“

„Wo bleibt was?“ Tala hatte soeben geschäftig auf seine Uhr sehen wollen. Nun blickte er auf.

„Der Überfall“, meinte Kai sarkastisch. „Das an-die-Wand-Drücken. Das mir-die-Zunge-in-den-Hals-Stecken. Dass du sagst, du willst jetzt mit mir schlafen. Wo bleibt das?“ Er stand jetzt ganz nah vor ihm und sah zu ihm hoch. „Oder bin ich dir zu weich heute, nur weil ich dir gesagt habe, was mich bewegt?“, wisperte er.
 

Unwirsch schüttelte Tala den Kopf. „Diese Konferenz ist wichtig, Kai, also komm mir nicht mit diesen Spielchen!“ Demonstrativ wandte er sich um und machte sich auf zum Konferenzsaal. Kai würde ihm schon folgen.

Er hatte tatsächlich keine Lust, im wahrsten Sinne des Wortes. Und er konnte Kai nicht sagen, dass es stimmte, was er gerade behauptet hatte. Kai Hiwatari war nur so lange attraktiv, wie er ihm ebenbürtig war. Wenn er beschützt oder getröstet werden wollte, war Tala der Falsche dafür.
 


 

Die Hiwatari-Company war eines der größten Unternehmen der Welt. Sie hatte ihre Finger schier überall im Spiel, war eine richtige Allzweckfirma für Luxusartikel. Die Hiwatari-Company schuf Geschäftsbeziehungen, wo sie nützlich waren, koordinierte den Transport von Waren aller Art über die ganze Welt, sprich: sie war ein Knotenpunkt und Service für alle wichtigen, großen und überteuerten Firmen auf jedem Kontinent. Ein gutes Verhältnis zur Company konnte für ein Unternehmen einen wahren Geldregen auslösen. Für den richtigen Preis konnte alles besorgt und geschaffen werden. Die Company war wie ein Schlüssel für jede Tür; niemand sonst umging so geschickt die Gesetze oder Zölle. Natürlich war ein Großteil ihrer Aktionen irgendwie illegal, doch Voltaire hatte seinerzeit durch einige kluge Schachzüge –die unter anderem der Grund für die Existenz von Talas „Sondereinheit“ waren– viele Wege ebnen können. Das Geschäft florierte: jeden Tag gingen aberwitzig viele Aufträge ein, und einige mussten sehr wohl überdacht und verhandelt werden. Das machte regelmäßige Konferenzen nötig, in denen mit den wichtigsten Kunden gefeilscht wurde.
 

„Meine Ware hat den Wert von einigen Millionen Dollar!“, mokierte sich der Kunde dieses Tages und sah Kai mit vor Wut leicht zitternden Wangen an. „Ich will nicht, dass es per Schiff in die USA gebracht wird!“

„Warum nicht?“, konterte Kai gelassen. Unter dem Tisch trat Tala ihm kurz auf die Zehen. Er sollte den fettleibigen Herrn nicht noch mehr verärgern, denn er war einer ihrer Stammkunden. Seit drei Stunden diskutierte er schon mit ihnen, und Kai verlor allmählich die Geduld. Sein Rothaariger Kollege war da jedoch anderer Meinung: Wenn er die Ware mit dem Flugzeug transportiert haben wollte, so bekam er ein Flugzeug, basta! –Doch von Talas Angriffen ließ Kai sich heute nicht beirren. „Ich wiederhole es noch einmal: Ein Transport per Flugzeug hätte bei der Masse an Ware nur Nachteile: es dauert länger und ist teurer, weil immer nur kleine Mengen geladen werden können.“
 

„Das verstehe ich doch!“, rief der Kunde und knallte die Faust auf den Tisch. „Ich bin nicht blöd, Hiwatari!“

„Schön. Wir können ihre Ware morgen früh in Hamburg verschiffen lassen. Meinetwegen auch in Tokio. Oder weiß der Geier wo.“

„Hiwatari, ich werde Ihnen keinen müden Cent zahlen, wenn Sie das tun!“

„Das müssen Sie auch nicht“ Mit diesen Worten erhob Kai sich. „Ich werde ihre Ware nur per Schiff versenden. Wenn Sie das partout nicht wollen, müssen Sie sich wohl oder übel eine andere Firma dafür suchen.“ Sprachs –und lief hinaus, dass die Türen hinter ihm knallten. Tala sah seinem Chef verdattert hinterher. „Ich werde noch mal mit ihm reden!“, versprach er dem schnaufenden Kunden, sprang auf und rannte aus dem Saal.
 

„Kai, verdammt noch mal, was war das denn?“, brüllte Tala, als er den anderen eingeholt hatte. Er wollte nach seinem Oberarm greifen, doch da schrie Kai zurück: „Fass mich nicht an!“

Tala zuckte weg, ließ aber nicht locker. „Was war das eben? Willst du die Firma boykottieren? Nach allem, was wir für dich getan haben?“

„Für mich...für mich getan?“, konterte Kai, und er klang fast hysterisch, „Du scheinst zu vergessen, wer hier wessen Vorgesetzter ist! Wenn ich irgendetwas beschließe, dann hast du dich da rauszuhalten, Iwanov!“

„Aber Kai- “

„Nichts Kai! Wer hat deine Loyalität, Iwanov, hm? Ich oder Voltaire?“
 

Daraufhin sah Tala ihn seltsam an: erst voller Wut, dann traurig und schließlich irgendwie...verletzt. Oder enttäuscht. „Schön“, meinte er, „Ich gehe in mein Büro. Sag Bescheid, wenn du wieder unten bist, Hiwatari.“ Und er wandte sich um, sein Gang war seltsam abgehackt, als müsse er sich zwingen, nicht zu rennen. Kai wusste, dass er ihn verletzt hatte und sah ihm in einem Anflug von Trauer nach. In letzter Zeit stiegen ihm die Dinge über den Kopf. Er war ein Geschäftsmann, auf seinen Schultern lastete das Gewicht einer ganzen Firma, die er eigentlich nie hatte wirklich übernehmen wollen. Und in dieser Firma wurden nun auch noch hinter seinem Rücken Dinge abgesprochen, mit denen er keineswegs einverstanden war. War er etwa dabei gewesen, als Voltaire und Tala die Installation des Überwachungssystems beschlossen hatten? Dass die beiden so oft die Köpfe zusammen steckten, zumal Voltaire sich offiziell aus dem Firmenalltag verabschiedet hatte, gefiel Kai gar nicht. Aber er musste Voltaires Einfluss dulden; zu mächtig war der alte Mann. Doch nun hatte Tala, ob mit großväterlicher Unterstützung oder nicht, versucht, sich in seine Geschäfte einzumischen! Kai kniff mit letzter Wut die Augen zusammen. Er hatte geglaubt, sich mit der „Situation“, wie er es nannte, angefreundet zu haben. Das war ihm scheinbar nicht geglückt.

„Tala...“

„Hiwatari-san?!“
 

Plötzlich stand Hitoshi neben ihm. Er war seinen Vorgesetzten gefolgt, nachdem sie ihn zusammen mit dem wütenden Kunden und einem Stapel Akten zurückgelassen hatten. Er hatte so viel von ihrem kurzen Streit mitbekommen, um genug zu wissen und wusste jetzt nicht, was er sagen sollte. „Alles in Ordnung, Hiwatari-san?“, fragte er unsicher. Kais Kopf zuckte kurz in seine Richtung, um dann wieder in die andere zu sehen, dort, wo Tala in einem Korridor verschwunden war. „Jaja...“, kam es verwirrt von ihm. Sein Chef atmete einmal hörbar aus. „Ich werde eine Stadtrundfahrt machen“, sagte er, „Möchten Sie mitkommen?“
 


 

Später fand sich Hitoshi auf dem oberen Deck eines grellbunten Stadttourenbusses wieder. Kai saß neben ihm, eine riesige Sonnenbrille auf der Nase und starrte geradeaus; die Hände hatte er ordentlich in den Schoß gelegt. Ganz plötzlich aber, kaum dass der Buss sich in Bewegung gesetzt hatte, drehte er den Kopf mit einem Ruck nach rechts, sackte zusammen, atmete aus. Hitoshi fühlte sich fehl am Platze, konnte nicht verhindern, dass er seinen Chef gerade mit einer dürren Fliege verglich, die mit ihren großen Facettenaugen in die Gegend starrte. Er räusperte sich: „Ähm...also...machen Sie das öfter?“ Mit einer weiteren ruchartigen Bewegung wandte sich Hiwatari um. Kinomiya fragte sich, ob Kai sich Bewegungen sparen konnte, ob die Sonnenbrille gar einen viel umfassenderen Blick ermöglichte, als anzunehmen war. Womöglich studierte Kai gerade ihr Umfeld, ohne sich anmerken zu lassen, dass er mit etwas anderem beschäftigt war als mit der Frage seines Sekretärs. „Für Sie ist das ungewohnt, natürlich...“,stellte er fest. „Es wirkt, als wäre ich nicht richtig im Kopf, hm?!“ Er machte eine Pause und lachte dann nur einen Sekundenbruchteil lang auf, als spottete er über sich selbst.
 

So zogen Sie also Kreise und Schlangenlinien durch die Stadt, die ihnen doch bekannt war wie ihre eigene Westentasche.

„Hiwatari“, sagte Hitoshi irgendwann, „Ich verstehe Sie nicht.“

„Wissen Sie“, setzte Kai an, drehte sich jedoch nicht zu ihm. Er sah auf die Straße hinunter, doch mehr war nicht zu erkennen. Die Brille verdeckte alles. „Wissen Sie, was faszinierend ist? Eine Geschichte zu schreiben, die aus nur zwei Sätzen besteht. Zwei Sätze, die alles sagen, was man sagen will. Manche würden sagen, das ist unmöglich, so wenig kann man doch nicht zu sagen haben! –Aber was ist, wenn das genaue Gegenteil vorliegt, wenn der Inhalt nicht ausreicht, um in zwei Sätze gefasst werden zu können? So geht es mir. Ich kann mich selbst nicht in zwei Sätze fassen. Ich habe nur den einen: Das Leben ist eine Truman-Show.“
 

Beinahe wäre Hitoshi in Gelächter ausgebrochen; dann fiel ihm auf, wie ernst Hiwatari gesprochen hatte. Bekümmert dachte er daran, dass er den Menschen, den er Nacht für Nacht und auch sonst immerzu beobachtete noch nie hatte kennenlernen dürfen. „Ist es das, was Sie hier suchen? Ihren zweiten Satz?“ Da wandte Kai sich doch zu ihm um, die ob der Nähe hin und her zuckenden Pupillen blitzten über den Rand der Brille hinweg. „Ich suche ein Buch, das vielleicht gar nicht geschrieben worden ist. Ich suche alles.“ Der Sekretär runzelte die Stirn; Kai lehnte sich zurück. „Und doch nichts.“ Seine Gesichtszüge gingen auseinander, und wieder kam das kurze, spottende Lachen.
 

„Ah...“ Diesmal blieben die Mundwinkel leicht gehoben. „Wenn ich hier oben sitze achte ich nicht auf die Sehenswürdigkeiten. Ich sehe die Menschen auf der Straße an und beneide sie darum, dass man ehrlich zu ihnen ist. Sie sind so herrlich normal, die da unten. Aber ich bin ein Truman. Manchmal kommen mir die Menschen, die mich zu lieben scheinen, wie Schauspieler vor. Dass ich, anstatt wirklich und aufrichtig geliebt zu werden, nur etwas vorgegaukelt bekomme.“
 

„Das dürfen Sie mir doch gar nicht erzählen“, argumentierte Hitoshi schwach. Er war ein wenig entsetzt über die plötzliche Ehrlichkeit seines Chefs, der ihm hier sagte, dass er jedem seiner Mitmenschen misstraute. Außer ihm, Hitoshi, und das beängstigte ihn ein wenig, und Schuldgefühle stiegen langsam in ihm hoch.

Kai zog seufzend die Brille von der Nase. „Was macht das schon?“, konterte er, „Sie, Kinomiya, sind einer von draußen. Alle anderen leben in ihrer eigenen Welt.“

Die Schuldgefühle mündeten in dem Gedanken, dass Hitoshi wohl der einzige Schauspieler im Leben seiner Chefs war, und es traf ihn sehr, als es ihm klar wurde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2009-05-02T20:46:52+00:00 02.05.2009 22:46
Na, ich kann mich den Anderen wirklich nur anschließen.
Mal philosphierst du so wunderbar, dann ist es wieder so... menschlich. Der SChreibstil ist einfach... unglaublich.
Auch ohne zu viel zu erzählen versteht man gut, wie sich die Charaktere fühlen, was in ihnen vorgeht oder warum sie etwas tun.

Die Geschichte scheint gut geplant zu sein (vllt. auch weil du sie schon das zweite mal hochlädst? ^^) und mir gefallen die schönen Vergleiche.
Besonders der mit der Truman-Show war wirklich treffend. Mit Kai möcht ich wirklich nicht tauschen ^^

Auch stellst du Yuriy und Hiro gut dar. Besonders Yuriys Reaktion von wegen Kai gefällt ihm nur, wenn er ihm ebenwürdig ist, hat mir sehr sehr gut gefallen. Endlich mal ist nichts übertrieben.

Aber Hiro tut mir auch ien wenig Leid, wenn er nur so wenig aufmerksamkeit bekommt ^^

naja,
LG;
Leila

Von: abgemeldet
2009-04-30T19:04:26+00:00 30.04.2009 21:04
Wahnsinn. Es muss extrem schlimm sein, wenn man die ganze Zeit beobachtet wird, egal, was man tut. Ich meine, der kann nicht mal schlafen gehen, ohne dass er dabei gefilmt wird! Das ist schon ziemlich krank, wenn du mich fragst. Ich meine, okay, er bekommt Drohbriefe, aber die bekommt der Präsident der Vereinigten Staaten auch und sie filmen ihn nicht beim Schlafen(oder Nicht-Schlafen in diesem Fall.).
Du gibst den Charakteren echte Tiefe, gehst auf sie ein, ohne richtig auf sie einzugehen, sondern machst nur Anmerkungen in kurzen Sätzen, die eigentlich alles sagen. Tala zum Beispiel, den finde ich bei dir noch fasznierender als sonst.^^
bye,
Reena

Von: abgemeldet
2009-04-03T14:42:27+00:00 03.04.2009 16:42
Ich bin gerade menschlich gefesselt... ich habe wirklich schon lange keine FF mehr gelesen, die so voller Emotionen steckte ohne dabei überladen zu wirken.
Du gibst die Gefühle und die Interaktionen richtig glaubhaft wider, man kann sich richtig in die Charaktere reinversetzen... mei...- ich komm mir grad wie son dummer Anfänger vor neben dir *drops*
Was mich auch irgendwie beeindurckt ist dieser leicht philosphische Touch den du in deinem Text innehast - das ist mir besonders bei dem Gespräch von HItoshi und Kai aufgefallen.
Kai ist aber auch wirklich nicht zu beneiden - er lebt in einem eigenen kleinen Kontrollstaat und verstehen tut ihn niemand wirklich, das muss grässlich sein...
Was mir auch gefallen hat, diese Anspielung auf Votaires Verbindungen sowohl zur Mafia, als auch zur Polizei, so hab ich mir den Kerl nämlich immer vorgestellt, es gibt da so ein Sprichwort, dass es da wie die Faust aufs Auge trifft:
'Das sicherste Mittel arm zu bleiben, ist ein ehrlicher Mensch zu sein'.
Auch die heimliche Leidenschaft Hitoshis zu seinem Chef gefällt mir iurgendwie... ich mag diese Art von Anbetung XD"
Jetzt ohne die FF Beschreibung im Kopf zu haben - sind Tala und Kai nun zusammen oder wie darf man das verstehen @@?
Naja egal ich bin aufjedenfall gespannt wies weitergeht ^^v.

Hier noch ein paar Tippfehlerchen die mir aufgefallen sind ^^v:

Jetzt war er süchtigt
da ist versehentlich ein t rangerutscht :].

Sodass wird im Übrigen zusammengeschrieben.

„Kein Auge zumachen kann, wenn ich nicht weiß, das in der Firma alles glatt
Dass mit zwei s.

Sein Rothaariger Kollege
rothaariger klein.

Mit einer weiteren ruchartigen Bewegung
ruckartigen


So, bis zum nächsten Kapitel,
LG, Katze
Von:  JoeyB
2009-03-01T07:24:21+00:00 01.03.2009 08:24
Hi,

jetzt kann ich etwas zu deinem Schreibstil sagen: Er ist klasse! Das Kapitel ist wahnsinnig gut geschrieben, an manchen Stellen philosophisch, an manchen einfach nur beklemmend... Und die Dialoge dazwischen stechen durch ihre Normalität heraus. Es hat wirklich Spaß gemacht, das Kapitel zu lesen, obwohl ich weder TaKa, noch HiKa mag oo"

Inhaltlich merkt man auch, dass du nicht einfach drauf los geschrieben, sondern die Sache gut durchdacht hast. Kai ist schon eine extrem arme Sau. Tala benimmt sich mehr wie sein Boss als sein Angestellter und Hitoshi, dem er offenbar einigermaßen vertraut, ist ein kleiner Stalker. Dieser Vergleich mit der Truman-Show war an der Stelle schon irgendwie passend. Er wird von seiner eigenen Firma gelenkt, beobachtet und das einzige, was echt ist, sind seine Gedanken.
Tala hat mir übrigens wirklich gut gefallen. Beispielsweise diese Eigenart, dass er Kai für unattraktiv hält, wenn dieser Gefühle zeigt. Es passt sehr gut zu Tala, dass er nach jemand Ebenbürtigen sucht. Und seine Beziehung zu Kai ist auich sehr interessant. Im Prolog war ja von einer Affäre die Rede, aber die beiden scheinen sich gegneseitig ziemlich schnell verletzen zu können, woraus ich schließe, dass da doch ein paar Gefühle mehr sind.

Ich bin wirklich gespannt darauf, wie es weiter geht :D
LG;
Joey


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