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Parallelwelten

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Midlife Crisis & Kreativität auf der Flucht

Dieses Kapitel ist...na ja. Spät, stumpf, unlogisch und Valle scheint schon mit nicht mal ganz 20 in der Midlife Crisis versackt zu sein. Oder er befindet sich in der Menopause. Weiß man ja nicht.

Außerdem leiden wir an chronischem Motivations- und Kreativitätsmangel. Man merkts. Blödsinn labern kann ich immer noch.

Ansonsten viel Spaß. :D'
 

~*~*~
 

Ich hatte Glück gehabt. Meine Eltern waren nicht da gewesen, nur unsere Haushälterin und die konnte mich gut leiden. Also würde es keinen Ärger geben.

Ich hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen wegen Valle.

Aber gestern war einfach alles zu viel für mich gewesen. Die ganze Aufregung, das Hoch und Tief meiner Gefühle. Ich hoffte ich würde ein wenig routinierter werden. Und ich hoffte, ich könnte Valle wieder sehen. Mich neben ihn setzen und mich mit ihm unterhalten.

Aber irgendwie hatte ich Angst, dass er das nicht mehr wollte.

Auch heute schlich ich wieder durch die Stadt, diesmal aber eher, weil ich mich nicht traute direkt zu Valle zu gehen.

Er und Jamie saßen wieder vor dem Mäcces. Ich zögerte. Wusste nicht was ich tun sollte.

Ich trat einen Schritt auf sie zu, Jamie und er hoben den Kopf, sahen zu mir rüber.

Sein Blick hieß mich nicht gerade willkommen.

Mir wurde flau im Magen und ich wandte mich ab, ging stattdessen in den Mäcces.

Kurz darauf kam ich wieder raus, mit einem Kaffee, einem Kakao und zwei Donuts beladen.

Ich holte tief Luft und ging dann doch zu Valle rüber.

Er sah nicht auf, nur Jamie begrüßte mich mit einem freundlichen Schwanzwedeln. Vielleicht begrüßte er auch eher die Donuts.

Ich stellte den Kaffeebecher vor Valle ab und legte einen der Donuts oben drauf, der von Jamie fixiert wurde.

Dann suchte ich nach den richtigen Worten.

"Es tut mir leid. Gestern...da war nicht mein Tag. Ich...",

wusste nicht weiter und er sah mich immer noch nicht an.
 


 

Als ich den Blick hob und Elis da stehen sah, wusste ich nicht, wie es mir gehen sollte.

Er sah traurig aus, unsicher und als täte es ihm Leid.

Ich wusste, dass ich versucht hatte mir einzureden, ihn eh nicht wieder zu sehen und trotzdem gehofft hatte, dass er heute wieder hier stehen würde.

Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht.

Und als er sich abwandte und im Mäcces verschwand, wusste ich nicht ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte.

Also beschloss ich ganz einfach schlechte Laune zu kriegen, das war schon mal gut, darin war ich ein Meister.

Als er dann doch wieder auf mich zukam, zog ich die Augenbrauen missmutig zusammen und beschloss ihn nicht mehr zu mögen – ich weiß, ich benahm mich wie ein kleines Kind - und ihn zu ignorieren. Ebenso wie den Kaffee und den Donut. Gestern hatte er es sich verscherzt, das passierte öfter im Leben, man konnte nicht mit jedem Freundschaft schließen. Oder mögen, weil er gut aussah.

Als er sich so, wie ich fand, halbherzig entschuldigte, schaute ich demonstrativ auf meine Uhr und kraulte Jamie hinter den Ohren.
 


 

Ich musste etwas sagen und zwar schnell.

"Ich mag keinen vegetarischen Schmalz",

war das erste, was mir einfiel.

Ich glaube, ich guckte genau so ungläubig und verwirrt wie Valle, der sich kurz dabei unterbrach Jamie zu kraulen und mich ansah.

"Ich mag auch keinen tierischen Schmalz",

haspelte ich schnell weiter, bevor noch seine Aufmerksamkeit wieder schwand.

"Aber meine Ma kauft immer vegetarischen Schmalz, weil ich ihr einmal gesagt hab ich würde ihn mögen, dabei stimmt das gar nicht. Und jetzt erwartet sie immer, dass ich ihn esse, dabei wird mir schlecht davon. Und ich hab ein bisschen Schiss davor, es ihr zu sagen, weil es sie doch so glücklich macht, wenn ich den blöden Schmalz esse. Genauso wie ich gestern Schiss davor hatte erwischt zu werden. Das hat so sehr meinen Kopf beherrscht, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Und das tut mir leid, weil ich es gestern wirklich schön mit dir fand... Besonders als du gesungen hast. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich. Und wenn du weiter sauer bist, hast du was dagegen, wenn ich mich trotzdem in deine Nähe setze? Ich würd dich gerne singen hören...oder mich mit dir unterhalten..."

Abwartend und zaghaft lächelnd sah ich ihn an.
 


 

Mich mit mir unterhalten? Ach ja, stimmt, man merkte sofort, dass er sich gerne mit einem unterhielt.

Aber was er da sagte...das war schon irgendwie süß. Und ich war ja nun auch nicht der Kaltherzigste.

Außerdem hatte er angedeutet, dass er meine Stimme mochte und...ähem...das hörte ich natürlich äußerst gerne, welcher normale Mensch, der sang, hörte nicht gerne, dass die Stimme den Leuten gefiel. Und schließlich verdiente ich mir damit und mit meinem Gitarrenspiel das Geld, was mein nicht vorhandenes Taschengeld aufbesserte.

Ich zeigte auf den Kaffee, "Zucker drin?", und warf Elis einen kleinen Seitenblick zu.

Sichtlich erleichtert schüttelte er mit dem Kopf.

Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen, heute konnte er sich ins Zeug legen, wenn er sich unbedingt unterhalten wollte, ich hatte meine Bereitschaft gezeigt, ob er daraus jetzt deutete, dass er bleiben konnte oder nicht, war mir egal.

Ich griff nach dem Kaffee und dem Donut und trank erst mal einen kräftigen Schluck, auch wenn er noch ziemlich heiß war.

Balsam für meinen von zu wenig Schlaf geschundenen Körper.
 


 

Toll jetzt trank er zwar den Kaffee, aber ob ich bleiben durfte, wusste ich immer noch nicht. Da er aber auch nichts Gegenteiliges gesagt hatte, zog ich mir meine Jacke aus und ließ mich neben ihm nieder.

Wir schlürften schweigend unsere Getränke und das war mir dann doch irgendwie unangenehm.

Ich könnte natürlich auch einfach wieder drauf los reden, aber ich hatte gerade ziemlich viel Blödsinn erzählt, okay, es war wahr, aber deswegen musste es ja nicht noch einmal passieren.

Verzweifelt suchte ich nach einem Gesprächsthema.

Dann fiel mir etwas ein.

"Du...du hast gesagt, dass du auch mal geschwänzt hast. Wie lange hast du geschwänzt? Und bist du deswegen von der Schule geflogen? Sitzt du deswegen immer hier?"

Hoffentlich machte es ihm nichts aus, dass ich ihn das fragte.
 


 

Überrascht sah ich ihn von der Seite an.

"Ähm...ich schwänze. Immer noch. Und so weit ich weiß, bin ich noch nicht geflogen, nein."

Hatte er mich etwa für einen einfachen Schnorrer gehalten? Einen Arbeitslosen, der sich damit, dass er sich hier von morgens an in die Stadt setzte sein Geld verdiente, weil er es anders nicht bekam oder es nicht ausreichte?

Schön wär’s, dann müsste ich wenigstens nicht immer um halb sieben aufstehen und schon in die Stadt torkeln, dann würde ich erst zur Hauptgeschäftszeit antanzen, dann wäre es viel einfacher.
 


 

"Oh",

machte ich einfallsreich.

Mist. Voll ins Fettnäpfchen getreten.

"Und du wurdest noch nicht erwischt? Haben die nicht bei dir zu Hause angerufen? Oder bringst du regelmäßig Entschuldigungen vorbei?"

Wenn das bei ihm so einfach ablief, könnte es ja bei mir auch vielleicht...
 


 

"Klar, haben die angerufen."

Ich wischte mir ein paar Krümel von dem Donut von der Hose und legte Jamie ein Stück hin. Er schnupperte daran und verschlang es schließlich freudig, blickte mich dann weiter mit bettelndem Blick an. Ich grinste und brach ein diesmal kleineres Stück ab, das auch mit einem Haps in seinem Maul verschwand und kräftig durchgekaut und fünfzigtausendmal nachgeschleckt wurde.

Ich hielt mich zurück noch mehr zu sagen, auch wenn ich ihn jetzt mit Informationen hätte überschütten können, wie meine Eltern getobt hatten und alles. Aber das konnte er ja alles selber rausfinden, er musste einfach fragen.

Ich streckte meine Beine von mir, die durch das ewige Gesitze im Schneidersitz schon wieder wehtaten. Ich überlegte, was ich heute bis Mittag machen sollte, wenn ich nicht schon wieder nur rumgammeln wollte. Aber die Geschäfte machten ja auch erst alle um zehn auf.
 


 

Ich beobachtete wie er dem Riesenhund ein paar Donutstücke abgab und neselte ein bisschen an meiner Hose rum.

"Und du hast keinen Ärger bekommen? Von deinen Eltern? Oder glauben die, dass du jetzt wieder zur Schule gehst?"

Vielleicht waren seine Eltern ja nicht so streng. Oder sie hatten den Anruf nicht mitbekommen oder so.

Neugierig sah ich ihn an.
 


 

"’Türlich hab ich Ärger bekommen. Massenweise. Die haben alles versucht, dass ich zur Schule gehe, aber irgendwann haben sie nicht mehr gewusst, was sie machen sollten."

Selbst als sie mich eigenhändig zur Schule gefahren hatte, war ich einfach wieder aus dem Hintereingang abgehauen und einen Umweg zur Bahn gegangen.

Mittlerweile kamen ja nicht mal mehr Anrufe von der Schule, die Gespräche mit Direx und allem hatten ja auch nichts gebraucht.

Ich rechnete damit, dass ich dieses Jahr nicht schaffen würde, wegen der fehlenden Noten oder sie mich irgendwann schmeißen würden.

Irgendwie war es mir ziemlich egal. Keine Ahnung warum.
 


 

"Aber...Hat man dich denn nie von zu Hause abgeholt? Es gibt doch so Leute die das machen."

Jedenfalls hatte ich im Fernsehen mal einen Bericht darüber gesehen. Ich wusste nicht ob man das auch hier machte.

Vielleicht interessierte sich hier ja niemand so wirklich für Schwänzer. Warum schwänzte er eigentlich? Ob ich ihn das fragen konnte? Aber dann musste ich ihm vielleicht meine Gründe erläutern und ich wusste noch nicht, ob ich das wollte.
 


 

"Meine Schule legt da nicht so Wert drauf, glaub ich. Dauerhaft schwänze ich schon seit den Osterferien und bis jetzt hat sich nicht wieder jemand gemeldet. Ich glaube, die haben mich aufgegeben."

Ich trank den letzten Schluck vom Kaffee und gab Jamie noch ein Stück vom Donut, dann stand ich auf und brachte den Becher in den Mülleimer ein paar Meter weiter.

Als ich mich wieder neben Elis setzte, entschloss ich mich, dass ich jetzt mal etwas wissen wollte.

"Wieso schwänzt du eigentlich? Und warum gleich den kompletten Unterricht? Ich zumindest hab irgendwann in der Achten ganz klein angefangen mit ein paar Stunden. Bist du so scharf auf Ärger?"
 


 

Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder.

"Ich möchte keinen Ärger",

begann ich und überlegte wie ich ihm meine Gründe erklären konnte, ohne zu viel zu verraten, vorerst.

"Aber ich gehe auf eine sehr strenge Schule, wenn ich nur ein paar Stunden schwänze und dann wieder hingehe, fällt das viel eher auf, als wenn ich den kompletten Tag fehle."

Ich sah ihn an. Er schien darauf zu warten, dass ich fortfuhr.

"Ich fühle mich nicht wohl in der Schule, sie ist so...",

…sehr das, was meine Eltern wollten. Zudem herrschte in der Schule wirklich ein unangenehmes Klima.

"So kalt. Ich weiß nicht, wie ich das richtig erklären soll, aber es ist als würde sie mich aussaugen. Innerlich. Verstehst du?"

Fragend sah ich ihn und hoffte er verstand, oder würde wenigstens so tun.
 


 

Ich räuspere mich und mache dann ein unbestimmtes "Mhm." Ich glaub ich verstand ihn echt gut.

"Ich war bis zur zehnten auf einer kirchlichen Schule, nichts klösterliches, auch wenn es sich so anhört, aber es war eben keine staatliche Schule. Da war alles privater, man kannte jeden Lehrer und jeden Schüler, war einfach eine warme, familiäre Atmosphäre."

Obwohl ich mit Gott und dem ganzen Kram nichts anfangen konnte, ja, nicht mal getauft und deswegen vor allem oft mit den Religionslehrern und den Fanatikern aneinander gerasselt war, hatte ich diese Schule im Gegensatz zu meiner späteren geliebt.

Gut, ich war da auch nicht gerne hingegangen, aber im direkten Vergleich wäre ich gerne wieder sechzehn.

"An meiner Schule jetzt weiß ich gerade mal die Namen von zwei Leuten aus einer Klasse und die kann ich auch nicht leiden, kenn sie aber schon ewig, deswegen bin ich wohl mehr oder weniger mit ihnen befreundet. Die Schule ist total anders. Man ist da total anonym. Damit komm ich nicht klar."

Ich bin nicht gerne einer unter vielen. Auch wenn das vielleicht über meinen Charakter aussagt, dass ich arrogant sein könnte.
 


 

Erleichtert atmete ich auf.

"Bei mir in der Schule kennt jeder jeden. Zumindest weiß man ungefähr wer wer ist. Und das engt ein. Man kann sich keinen Fehltritt erlauben, es wissen sofort alle darüber bescheid. Selbst die Eltern."

Und das war das Schlimmste daran, weil es dann immer auf sie zurück fiel und sie sich vor ihren 'Freunden' erklären mussten. Es hatte manchmal regelrechte Dramen und Zerwürfnisse ausgelöst, selbst wenn es eigentlich nur um Nichtigkeiten ging.

"Und es ist schwierig Freunde zu finden, weil man nie weiß, ob sie es ernst meinen oder nicht doch nur die geschäftlichen Beziehungen der Eltern fördern wollen."

Ich wurde rot. Man das hatte sich jetzt blöd angehört. So richtig schön nach Bonze und Spießer. Ich schämte mich und sprang auf um meinen Kakaobecher ebenfalls in den Mülleimer zu werfen. Ganz langsam kam ich zurück.

Ich wollte irgendwie nicht, dass Valle von mir als verwöhntes, kleines Reiche-Leute-Söhnchen dachte.
 


 

So wie er das erzählte klang das alles ziemlich so, als wäre er ziemlich reich, beziehungsweise seine Eltern und als legten sie viel Wert auf gesellschaftliches Ansehen.

Irgendwie tat er mir Leid, aber irgendwie drängte sich jetzt auch die Frage auf, was er eigentlich hier machte.

Warum er sich gerade neben MICH setzte und mir einen Kaffee...oh.

Jetzt kam ich mir dumm vor. Extrem dumm.

Er hatte von mir gedacht ich sei irgendein armer Irrer, der es nötig hatte auf der Straße für sein Geld zu spielen und hatte mir aus Mitleid etwas Gutes tun wollen und mir diesen Kaffee und heute auch noch den Donut besorgt.

Wieso schlug er mir nicht gleich ins Gesicht, das wäre weniger an den Stolz gegangen.

Als er sich wieder neben mich setzte, sagte ich kein Wort.
 


 

Irgendwie hatte ich das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben.

Ich wusste nur nicht was.

Oder fand Valle mich jetzt blöd, weil ich so ein...Bonze war?

Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.

"Valle?"

Kein Ton, er sah nicht mal auf. Er ignorierte mich?

"Hab...ich was falsch gemacht? Habe ich was Falsches gesagt? Es tut mir leid, ich wollte nicht..."

Ja, was eigentlich? Wie das Spießerkind klingen, das ich nun einmal war? Verlegen senkte ich den Kopf und fummelte an meiner Hose rum.
 


 

"Ich brauch keine Almosen, klar?!" Meine Stimme klang kalt, als ich das sagte und Jamie hob winselnd den Kopf.

Ich kraulte ihn beruhigend und zog die Beine an um aufzustehen.

"Ich hab’s dir schon mal gesagt. Von mir aus kannst du bei mir bleiben, wenn du nirgendwo anders hin willst, aber behandle mich nicht wie einen armen Schlucker, der deine Großzügigkeit braucht."

Ich schnappte mir meine Tasche und die Gitarrentasche und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.

"Ich will in den Park, willst du mit oder nicht?"
 


 

Erschrocken sah ich ihn an. Almosen? Wovon sprach er?

Verwirrt sprang ich auf und folgte ihm.

"Welche Almosen? Was meinst du?"

Ich musste fast neben ihm her rennen, weil er so schnell lief.

Da fiel bei mir der Groschen und ich wäre fast stehen geblieben.

"Meinst du den Kaffee und den Donut?"

Ich war ein wenig verwirrt.

"Aber der Kaffee war Teil meiner Entschuldigung, wegen gestern. Und den Donut hab ich dir mitgebracht, weil ich Hunger hatte und es doch unhöflich gewesen wäre, wenn nur ich alleine etwas gegessen hätte. Das war nicht aus Mitleid. Glaub mir das bitte."

Ich flehte schon fast.
 


 

Das konnte er seiner Großmutter erzählen, wenn es die interessierte, mich tat es das nicht.

Auch wenn ich schlucken musste, weil er so...verzweifelt? klang.

"Ich meine nicht nur heute. Aber vergiss es."

Abrupt blieb ich stehen und würgte Jamie fast ein bisschen den Hals, weil er ein paar Meter vor mir gelaufen war und er sah sich überrascht zu mir um, ob er etwas falsch gemacht hatte.

"Sag mal, Kleiner." Ich versuchte meiner Stimme einen weicheren Klang zu geben, damit ich mich nicht allzu gemein anhörte. "Hast du keine anderen Freunde bei denen du rumhängen kannst, wenn du schon schwänzt? Ich treffe mich heute Nachmittag mit ein paar von meinen, wir wollen gemeinsam ein bisschen Musik machen..."

Mehr sagte ich nicht, es klang jetzt sowieso schon genug danach, dass ich ihn loswerden wollte.
 


 

Er glaubte mir nicht.

Ich musste kräftig schlucken und spürte wie es in meinen Augen zu brennen begann.

Bloß nicht losheulen, verzweifelt kämpfte ich gegen die Tränen an. Schnell senkte ich den Kopf, starrte meine Schuhe an.

Aber als mir dann mehr oder weniger klar machte, dass er mich loswerden wollte, nutzte des heftigste Blinzeln und Schlucken nichts.

Ich zuckte als Antwort auf seine Frage unbestimmt mit den Schultern und wandte mich dann schnell ab, weil ich bereits spürte, wie sich die erste Träne löste.
 


 

Scheiße, jetzt hatte ich ihm zum Heulen gebracht.

Ach verdammt, wieso konnte ich auch kein einziges Mal meine große Klappe halten?

Und obwohl ich eigentlich kein Mitleid mit ihm haben wollte, weil sein merkwürdiges Verhalten mir an meinen Stolz gegangen war, verspürte ich ein schlechtes Gewissen und berührte ihn vorsichtig an der Schulter.

"Hey, Kleiner. Komm, nicht weinen, es tut mir Leid. Du kannst auch mitkommen, wenn du willst, ich hab’s nicht so gemeint."

Jamie schon seinen Kopf unter Elis' herabhängende Hand und sah mit treuen Hundeaugen zu ihm rauf. Elis lächelte traurig und seine Grübchen kamen wieder leicht zum Vorschein.

Gerade jetzt wirkte er wieder so unglaublich niedlich, dass es mir noch mehr Leid tat, was ich gesagt hatte. Wahrscheinlich hatte er das ganze nur gut gemeint und ich winkte nicht nur mit dem Zaunpfahl, sondern schlug ihm ihn gleich eins Gesicht.

"Kleiner?"
 


 

Mist, jetzt hatte er es doch gesehen.

Jamie war wirklich lieb.

Scheiße, jetzt musste ich erst recht losheulen.
 


 

Seufzend stellte ich meine Gitarrentasche neben mich, drehte Elis zu mir rum und zog ihn in meine Arme.

Sofort versteifte er sich, aber ich hatte nicht vor ihn loszulassen und strich ihm nur beruhigend über den Rücken.

"Es tut mir Leid, okay?"

Er schluchzte nur an meiner Schulter und mein Herz quälte sich ab mich nicht umzubringen.

"Jetzt sag doch mal was, so ein Idiot kann ich doch gar nicht gewesen sein."
 


 

Bei seinen letzten Worten musste ich irgendwie ein bisschen lächeln und gleichzeitig schluchzen.

Ich versuchte so gut es ging mit dem Weinen aufzuhören, aber es tat so gut endlich mal richtig von jemandem in den Arm genommen zu werden, dass sie nur umso mehr flossen.

Außerdem roch Valle gut und hatte ich schon erwähnt, dass es sich gut anfühlte?

Aber ich konnte ja nicht ewig in seinen Armen bleiben, auch wenn es noch so schön war, sein T-Shirt war schon nass. Also drückte ich ihn ein wenig von mir und fuhr mir mit der Hand über die Augen. Leider ohne Effekt.

"Ist schon gut",

schniefte ich.

"Ist ja nicht deine Schuld."

Noch einmal fuhr ich mir mit der Hand über die Augen, wieder brachte es nichts.

Man, ich sah bestimmt scheiße aus.
 


 

Er sah entzückend aus, wie er da so stand, mit geröteten Augen, feucht glänzenden Wangen und den langen nassen Wimpern.

In Filmen wischte der Held dem Mädchen in solchen Momenten die Tränen von den Wangen, küsste sie dann je nach Film zärtlich oder bis zum Schwachsinn und nahm sie dann mit auf sein Zimmer.

Leider konnte ich das mit Elis wohl aber nicht machen und eigentlich wusste ich auch gar nicht, ob ich das wollte. Eben war ich noch stinksauer gewesen.

Aber jetzt war er wieder so unglaublich niedlich.

Und ich wette, sein Arsch hatte sich auch nicht großartig verändert. Räusper.

"Doch irgendwie ja schon. Ich hätte nicht so gemein sein sollen." Ich wuschelte ihm durch die Haare, kramte in meinem Rucksack nach Taschentüchern und reichte ihm eins.
 


 

"Danke."

Mit einem Schniefen nahm ich das Taschentuch.

Während ich die Tränen wegwischte und mir die Nase putzte, bemerkte ich erleichtert, dass ich mich so langsam beruhigte.

"Nein, das war nur...nur..."

Ich suchte nach den passenden Worten. Aber die einzigen, die ich finden konnte, klangen ziemlich dämlich.

"Irgendwie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat..."

Es klang echt dämlich.

Fragend sah ich zu ihm auf, er war so groß.

Ich hoffte, dass er verstand, wie ich das meinte.
 


 

Beunruhigt sah ich ihn an. Das klang nach so viel mehr, als es auf den ersten Moment ausgesehen hatte.

Ohne großartig drüber nachzudenken wischte ich ihm jetzt doch noch eine letzte Träne von der Wange und machte ein besorgtes Gesicht.

"Wieso, was ist denn noch los? Ist es wegen der Schule und dem Schwänzen?"

In dem Moment winselte Jamie zu meinen Füßen los und drückte sein Hinterteil an mein Bein.

Durch die Seitenstraße fuhr ein Polizeiauto und da wie immer noch nicht viele Leute unterwegs waren und wir hier ziemlich abseits am Rande des Stadtparks standen, fielen wir ihnen sicher auf. Und Elis sowieso, denn er war ganz eindeutig Schüler und wenn sie uns ansprachen konnte er sicher nicht beweisen, dass er schulfrei hatte oder schon eine Ausbildung und dann würden sie ihn sicher vorsichtshalber auflesen und nach Hause bringen.

Also tat ich so, als hätte ich das Auto nicht gesehen, schnappte mir mit der einen Hand meine Gitarre, mit der anderen Elis' Hand und zog ihn und Jaime hinter mir her, als wären wir dringend auch dem Weg irgendwohin.

Hier in der Nähe war die Musikhochschule, mit meiner Gitarre war das bestimmt glaubhaft.
 


 

Als er mir die Träne wegwischte, hielt ich unwillkürlich den Atem an.

Noch bevor ich dazu kam ihm irgendwie zu antworten, schnappte er sich seine Gitarre und meine Hand und zog mich und Jamie in einem Tempo hinter sich her, dass ich stolperte und wieder fast rennen musste. Der Kerl hatte aber auch lange Beine. Und es war schön seine Hand zu halten.

Verwirrt sah ich ihn an.

"Was ist los?"

Ich versuchte mich umzusehen, aber da zog er mich schnell um eine Ecke.
 


 

"Lauf einfach so, als hättest du es richtig eilig noch zum Unterricht zu kommen, dann quatscht uns auch niemand an, ob wir in der Zeit nicht in der Schule zu sein haben."

Mich sprachen sie meistens gar nicht an, wahrscheinlich weil sie mich für das gleiche hielten, wofür Elis mich gehalten hatte.

Na gut, bis auf ein paar Mal bis jetzt sprachen sie mich eigentlich nie an. Ich wollte aber nicht testen, ob sie es heute machen würden.

Was mich beunruhigte, war die Tatsache, dass dort eben überhaupt ein Polizeiauto gewesen war, meistens hieß das, dass es noch ein paar mal hier lang fahren würde und so groß war die Stadt leider auch nicht.

"Hast du eigentlich irgend einen Ort wo du hingehen könntest, wenn du nicht in die Stadt könntest?", fragte ich Elis und verlangsamte unsere Schritte etwas.

In ein Mäcces setzen konnten wir uns nicht wegen Jamie und die meisten Läden machten erst in über einer Stunde auf, sowieso konnte ich kaum irgendwohin, weil ich ja Jamie dabei hatte.
 


 

Was meinte er damit? Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl.

Aber ich tat, was er sagte, versuchte es jedenfalls.

Zum Glück hielt er noch meine Hand, dass gab mir irgendwie ein wenig Sicherheit.

Ich überlegte kurz.

"Doch es gäbe schon einen Ort. Wir haben so ein kleines Grundstück, eine Art Schrebergarten, mit einem kleinem Häuschen drauf...Aber…"

Ich druckste ein bisschen herum.

"Aber?",

hakte Valle nach,

Ich spürte wie ich knallrot wurde

"Es ist...ein bisschen unheimlich da...Ich bin da nicht so gerne alleine..."

Ich wurde immer leiser und zog den Kopf ein.

Valle musste mich ja jetzt für ein ganz schönes Weichei halten.
 


 

Ich lachte, ließ seine Hand los und wuschelte ihm durch die Haare - irgendwie tat ich das gerne.

"Du latschst allen ernstes jeden Tag durch die Stadt, obwohl du dich in ein wahrscheinlich komfortables Gartenhäuschen hauen und die Seele baumeln lassen könntest? Mein Gott, du hast Nerven."

Ich knuffte ihn in die Seite und hielt ihn dann am Arm fest, damit er stehen blieb. Nicht, dass wir jetzt in die falsche Richtung liefen.

"Hast du die Schlüssel?"
 


 

Ich mochte es, wenn er mir durch die Haare wuschelte, das gab mir ein gutes Gefühl. Schade, dass er dafür meine Hand losgelassen hatte.

Ich wurde noch einen Tacken mehr rot. Einmal wegen meinen Gedanken und weil ich mir so dämlich vorkam bei seinen Worten.

"Ja, ich hab die Schlüssel. Ich hab sie vorsichtshalber eingesteckt. Aber...",

…mich nicht getraut hinzugehen, ich zog meinen Kopf noch tiefer ein.
 


 

"Gut. Können wir da hin?"

Fragend sah ich ihn an, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich einfach bei sich einladen konnte.

Eben hatte ich ihn noch loswerden wollen und sogar zum Heulen gebracht.

"Oder...willst du lieber alleine? Ich mein, bei mir ist das okay, ich werd nicht so oft angesprochen und...na ja..."
 


 

"Nein. Alleine will ich da nicht hin."

Mit großen Augen sah ich ihn an.

"Wir können da hin. Meine Eltern nutzen es so gut wie nie."

Valle fragte mich wo wir hin und lang müssten und ich erklärte es ihm. Schweigend machten wir uns auf den Weg.

Ich suchte verzweifelt nach einem Gesprächsthema.
 

Auf dem Weg zur Bahn schwiegen wir und ich wusste auch nicht wirklich, was ich sagen sollte oder wollte.

Mir tat das von vorhin noch Leid und irgendwie war Elis jetzt schon wieder so geknickt wie gestern, als wir auch kaum geredet hatten.

Also beschloss ich einfach nichts zu sagen, am Ende würde ich nur wieder pissig werden, weil er nicht antwortete.

Als wir an der Haltestelle standen, wurde ich schon von weitem lautstark von einem Freund von mir begrüßt, der mich dann umarmte und mir freundschaftlich auf den Rücken schlug.

"Na, Valle, du Mof, immer noch am Schwänzen?" Er kraulte Jamie den Kopf, der sofort an ihm hochsprang und ich nickte nur grinsend.

"Das ist Elis", stellte ich meinen Begleiter vor und zeigte dann auf den anderen. "Und das ist Manuel." Ich zeigte auf ihn.

Elis blinzelte zu ihm hoch, Manuel war noch größer als ich.
 


 

Dieser Manuel war nicht nur groß, er sah auch gut aus. Aber das tat Valle auch und meiner Meinung nach auch besser.

"Hallo",

piepte ich. Manuel grinste und wuschelte mir durch die Haare.

"Bist ja ein ganz Süßer."

Ich merkte wie mein Gesicht einen Hauch von rosa bekam. Und warum wuschelten mir ständig alle durch die Haare?

"Dein Neuer?",

fragte Manuel Valle, mit einem Nicken auf mich. Ich wurde knallrot.
 


 

Ich räusperte mich, blickte kurz auf meine Füße, konnte mir aber ein kleines Grinsen nicht verkneifen, bevor ich antwortete.

"Nein, wir sind nur Freunde."

Hoffte ich zumindest, wir kannten uns ja gerade mal zwei Tage und an beiden hatten wir uns mehr oder weniger in der Wolle gehabt.

Und höchstwahrscheinlich war er nicht mal schwul, so wie er auf meine Aussage gestern reagiert hatte.

"Er ist ein Kollege", meinte ich und bezog mich damit auf das Schwänzen. Manuel nickte wissend und ich fuhr fort. "Die haben heute Wagen in der Stadt und der Kleine sieht leider nicht annähernd so aus, als dürfte er um diese Uhrzeit draußen sein." Das klang irgendwie komisch.

"Seine Eltern haben ein Gartenhäuschen oder was auch immer das ist, da fahren wir jetzt hin."
 


 

Das Valle mich als Freund bezeichnete, machte mir ein wohliges Gefühl im Bauch.

Das mit dem ’um diese Uhrzeit’ fand ich dann aber wieder blöd, das klang als wäre ich ein kleines Kind.

In dem Moment fuhr die Bahn ein und wir verabschiedeten uns von Manuel, der Valle noch einmal umarmte und mir wieder durch die Haare wuschelte.

Kaum hatte wir uns gesetzt platzte ich neugierig mit einer Frage aus.

"Woher kennt ihr euch? Aus der Schule?"

Um dann flüsternd fortzufahren,

"Schwänzt er auch? Oder wieso ist er um diese Uhrzeit unterwegs?"
 


 

"Nein, nicht aus der Schule."

Ich dirigierte Jamie mit der Leine zwischen meine Beine, er setzte sich brav hin und ließ sich hinter den Ohren kraulen.

"Er gehört mit zu meinem Freundeskreis, aber ich würde mal sagen er schwänzt heute auch. Sonst wäre er ja nicht hier. Allerdings kann er sich im Gegensatz zu mir in ein Café oder ins Mäcces setzen, er hat ja keinen Hund dabei."

Ich überlegte, ob ich rechtzeitig wieder in der Stadt war, um mich nachher mit den anderen treffen zu können, oder ob ich absagen musste. Ehrlich gesagt fände ich das jetzt nicht mal so schlimm, gerade war Elis' Gegenwart wieder ziemlich angenehm. Das war sie eigentlich immer, wenn...na ja, eigentlich regte ich mich ja die ganze Zeit über ihn auf.

Aber ich mochte ihn trotzdem in meiner Nähe haben und das bereitete mir jetzt ein bisschen Sorgen. Ich durfte nicht riskieren, dass er mir jetzt zu sehr gefiel, ich wusste ja nicht einmal, woran ich bei ihm war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-10-26T14:16:50+00:00 26.10.2009 15:16
Elis muss sich ja irgendwie voll doof vorkommen, er muss zu allen hinaufschauen weil er ja so "klein" ist und er wird immer getätschelt...
Wie ein Hund xD
Von:  Toastviech
2009-03-19T12:03:32+00:00 19.03.2009 13:03
Das kapi gefällt mir.
Es ist schön beschrieben wie sich jeder fühlt und warum er dementsprechend handelt.

lg Toasty


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