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Ein schlechter Plan

Wichtel-FF für Archimedes
von

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Vormittags:

Ein junger Mann von etwa neunzehn Jahren stand lässig an einer Hauswand gelehnt. Schwarze Haare wellten sich auf seine schmalen Schultern herab und umrahmten sein jugendlich Gesicht. Geschrei und Gestank erfüllte den Markt, der vor ihm lag. Unauffällig beobachtete der junge Mann das Geschehen um sich herum, die Marktschreier, die lauthals ihre Waren anboten, sowie die Bewohner, die sich in den engen Gassen zwischen den Ständen drängten. Niemand beachtete Claude, was gut für ihn war. Claude hatte seinen Blick auf den Tuchladen auf seiner linken Seite geworfen. Neugierig beobachtete er den Händler, der wie mit Argusaugen seine Waren nicht aus den Augen ließ.

"Claude! CLAUDE~!!", schrie jemand hinter ihm.

Der junge Mann seufzte genervt und schaute dann in die Richtung, aus der die Rufe kamen. Ein kleines, blondhaariges Mädchen mit Zöpfen und einem ausgewaschenen Kleid kam auf ihn zugelaufen. Wild sprang es Claude an die Beine und starrte dann mit großen Augen zu ihm auf.

"Was machst du denn hier?", fragte das Mädchen.

"Nichts. Lina, mach', dass du zurück ins Heim kommst. Du hast hier nichts verloren!", schimpfte Claude.

"Aber… Henry schickt mich, ich soll dich mitbringen. Er ist ziemlich wütend…"

"Ja, ist ja schon gut."

Claude stieß sich von der Hauswand ab und nahm Lina dann an die Hand. Sollte Henry, der alte Waisenhausvorsteher doch sauer auf ihn sein, was machte das schon? In dieser Stadt musste jeder selbst gucken, wie er über die Runden kam. Das galt für die reichen Kaufleute und die Bauern genauso wie für die vielen Waisenkinder auf der Straße. Nun Claude war eigentlich in einem Alter, wo andere Jungen bereits seit einigen Jahren eine Lehre absolvierten. Nur dummerweise hatte er es verpasst, sich nach einer geeigneten Stelle umzusehen. So lebte er also immer noch in dem Waisenhaus, in das er als Vierjähriger kam.

"Was hast du überhaupt gemacht auf dem Markt?", fragte Lina quirlig.

"Nichts Besonderes. Ich hab' mir nur die Leute angesehen."

"Aha. Henry wird wieder glauben, dass du geklaut hast."

"Na und? Soll er doch."

Claude bog mit dem sieben Jahre alten Mädchen um eine Hausecke und die Geräuschkulisse des Marktes verstummte abrupt. Dämmriges Licht erfüllte die enge Straße und Lina drückte sich unweigerlich näher an Claude heran.

"Du brauchst keine Angst haben.", meinte er und legte seine Hand sanft um ihre Schulter.

"J-ja.", gab Lina piepsig zurück.

Japetown war keine Stadt, in der man Mädchen alleine auf den Straßen laufen lassen konnte. Und vor allem kein Mädchen wie Lina. Claude und Lina liefen in den Spuren, die die Marktkarren hinterlassen hatten und kamen ziemlich bald zu dem heruntergekommenen Waisenhaus, in dem sie lebten. Vor dem Gebäude tummelten sich einige kleine Kinder. Claude wollte sich gerade zum Hintereingang schleichen, als die Kinder ihn bemerkten und freudig seinen Namen riefen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Fenster wurde aufgestoßen und heraus schob sich ein kahler und runzeliger Kopf, Henry!

"Claude, verdammt!! Hast du dich schon wieder beim Markt herumgetrieben?"

Henry's Kopf zog sich wieder in das Gebäudeinnere, doch gleich darauf kam er zur Tür herausgestürmt. Wütend stapfte der auf Claude zu und packte diesen am schmierigen Hemdkragen.

"Verflucht, Junge!! Wie oft hab' ich dir schon gesagt, dass du dich da nicht mehr blicken lassen sollst? Meinst du etwa, dass du mit deinen Gaunereien ständig davon kommst und die Stadtwache dich immer wieder laufen lässt?!"

"Alter, lass mich los!"

Claude versuchte, sich zu befreien und stieß Henry unsanft von sich. Dieser stolperte zurück und sah den Jungen wütend an, als dieser an ihm vorbei ins Waisenhaus stürmte. Die Kinder hatten die beiden neugierig beobachtet, widmeten sich aber wieder ihren eigenen Gedanken, als Claude verschwand. Nur Lina lief ihm hinterher ins Haus. Der junge Mann hetzte die Treppe im Eingangsbereich hoch und wandte sich dann dem rechten Gang zu. Er hatte bereits die letzte Tür auf der linken Seite erreicht, als das blondhaarige Mädchen oberhalb der Treppe ankam. Lina hörte nur noch eine Tür knallen und seufzte dann. Langsam ging sie weiter in den Gang entlang und hielt dann vor der letzten Tür an. Aus dem Raum war nichts zu hören, also klopfte Lina vorsichtig an.

"WAS?!", fauchte jemand von innen.

Lina schluckte und öffnete dann langsam die Tür einen Spalt. Schüchtern schob sie ihren Kopf hindurch und sah, dass Claude vor einem kaputten Schrank stand. Wütend trat er dagegen und die Schranktür flog komplett aus den Angeln. Die vier Betten, die Seite des Raumes standen sowie der kleine Tisch, der vor dem Fenster stand, sahen noch heil aus.

"Ähm…", machte Lina mutlos.

Claude erwiderte nichts, beachtete das Mädchen überhaupt nicht. Er schlug mit der Faust noch einmal gegen eine andere Stelle des Schranks und wandte sich dann zum Fenster hin. Ziellos starrte Claude auf die Straße hinaus, während Lina nun ganz in den Raum schlüpfte.

"Henry meint es nur gut.", sagte sie.

"Sicher!"

Claude sagte nichts weiter. Er hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dieser Stadt einmal den Rücken kehren zu können. Ein lautes Grummeln ertönte von der Tür her und Lina legte eilig ihre Hände auf den schmalen Bauch. Claude drehte sich zu ihr um.

"Das ist genau der Grund, warum ich stehlen gehe.", sagte er ernst, "Aber der Alte will das nicht begreifen."

"Ja… Ja, du hast vermutlich Recht."

Lina's Magen grummelte erneut. Seit dem vorherigen Abend hatte sie nichts mehr zu Essen gehabt und jetzt war es schon kurz vor Mittag. Claude trat zu dem Mädchen hin und kniete sich hinunter. Sanft legte er ihr seine Hände auf die Schultern und lächelte schief.

"Ich hol' dir was, okay?"

Der junge Mann zwinkerte Lina zu und stand dann wieder auf.

"Aber das kannst du doch nicht machen."

Lina klang leicht entsetzt und griff nach Claude's Hand. Sie versuchte, ihn zurückzuhalten, als er an ihr vorbei zur Tür ging. Claude blieb stehen.

"Willst du lieber hungern?"

Das Mädchen blickte betreten zu Boden, ohne eine Antwort zu geben. Nein, hungern wollte sie tatsächlich nicht. Aber Lina wollte auch nicht, dass Claude sich in Gefahr begab, nur weil er ihr und den anderen Kindern etwas zu Essen stahl.

"Bin bald wieder da.", meinte Claude, drehte sich aber noch einmal um:

"Und sag' nichts zu Henry."

"Ist gut."

Der junge Mann verließ das Zimmer.
 

* * *
 

Claude schlich sich vorsichtig die Treppe hinunter und hielt nach dem alten Heimvorsteher Ausschau. Aber der einzige, der ihm begegnete, war ein verwahrloster Junge namens Milo, der seit mittlerweile drei Jahren in dem Waisenhaus lebte. Claude legte den Zeigefinger auf den Mund, damit Milo keinen Mucks von sich gab. Der Junge warf ihm nur einen kurzen Blick zu und ging dann in den Raum rechts vom Eingang, der als Aufenthaltsraum diente. Kurz konnte Claude Henry's Stimme hören, aber Milo verschloss die Tür eilig wieder und alles war still.

'Na umso besser.', dachte Claude.

Er ging die letzten Stufen der Treppe hinab und wandte sich dann dem Hintereingang zu, den nur selten jemand benutzte und der auf den kleinen Hinterhof hinaus führte. Claude schob die Tür auf, deren Angeln quietschende Töne von sich gab. Der junge Mann hielt inne und horchte auf unerwünschte Geräusche. Als er sich sicher war, dass ihn niemand gehört hatte, verließ Claude das Waisenhaus und schlich um das Hauseck herum. Niemand war hier unterwegs, weshalb Claude mehr laufend beim Markt ankam. Prüfend sah er sich um. Um diese Uhrzeit war auf dem Markt immer am meisten los. Claude musste aufpassen. Gelangweilt ging er durch die engen Gassen, die die Verkaufsstände bildeten und bliebt dann zwischen einem Brothändler und dem Tuchhändler von vorhin stehen. Kurz warf er einen Blick auf die Kunden, die hier unterwegs waren und gewahrte an dem Stand mit den Tuchen eine besser gekleidete Frau. Prüfend warf sie ihren Blick auf die Waren und befühlte mal den einen, mal den anderen Stoff. Der Händler stand der Dame tatkräftig zur Seite und wickelte mal dieses, mal jenes Tuch von den Ballen. Claude trat neugierig näher.

"Mein Mann hat wirklich ausgezeichnete Ware bekommen.", sagte die Frau gerade, "Direkt aus Kronwittich!"

"Tatsächlich?! Das war ja ein richtig guter Fang!"

"Allerdings. Wenn alles glatt läuft, hat mein Mann bereits nächste Woche alles verkauft."

"Und wann ziehen Sie dann vom Adrya-Anwesen in das neue Haus, wenn ich fragen darf?"

"In zwei Wochen etwa.", antwortete die Dame, "Wenn alles glatt läuft. Aber Sie wissen ja, wie das so ist. Man muss viel einpacken und aufpassen, dass nichts verloren geht. Und dann die ganzen fremden Leute, die mein Mann angeheuert hat, um zu helfen. Denen traue ich ja überhaupt nicht."

Claude hatte genug gehört. Unbeteiligt wandte er sich von dem Tuchstand ab und ging an dem Brotstand vorbei. Der Verkäufer schaute gerade in eine andere Richtung, also griff Claude nach einem kleinen Stück Brot und steckte es unter sein Hemd. Eilig verließ Claude den Markt und schlenderte dann mit seiner Beute zurück zum Waisenhaus.

'Hm, ein Umzug ist immer eine Angelegenheit, wo etwas verschwinden kann.', dachte der junge Mann, 'Nur wann?'

Zum Glück wusste er genau, um welches Haus es sich beim Adrya-Anwesen handelte.
 

* * *
 

Mittags:

Claude dachte weiter darüber nach, als er das Waisenhaus endlich erreichte. Merkwürdig. Niemand war zu sehen. Der junge Mann sah sich misstrauisch um. Henry musste die Kinder wohl schon ins Haus gescheucht haben, um ihnen ein paar wenige Happen zu geben. Viel hatten sie ja nicht, nur das, was die Stadtverwaltung hergab. Claude zuckte mit den Schultern und ging dann um das Haus herum zum Hintereingang. Auch hier war niemand zu sehen, also betrat er das Haus und schlich sich zum Eingangsbereich vor. Aus dem Raum zur Linken des Eingangs ertönte Geklapper von Geschirr und Besteck. Die restlichen Kinder waren also tatsächlich gerade beim Essen. Claude lief die Treppe rauf und versteckte oben das Stück Brot, das er gestohlen hatte. Lang würde es eh nicht hinter dem Regal liegen müssen. Der junge Mann ging wieder hinunter und betrat dann den Speiseraum. Lina und einige andere Mädchen hatten bereits den Tisch gedeckt. Henry war nirgends zu sehen, also ging Claude zu seinem üblichen Platz am Kopfende des Tisches. Lina saß nicht weit entfernt und zwinkerte ihm freundlich zu, als er sich auf seinen Stuhl plumpsen ließ.

Ein verdächtiger Geruch lag im Raum. Claude vermutete, dass es heute mal wieder Pilzeintopf gab. Oder zumindest etwas, das danach schmecken sollte. Es dauerte nicht lange und die füllige Köchin betrat mit einem großen Topf den Raum. Alle reckten gespannt den Hals, als die Alte nach einem Teller griff und eine Kelle voll von der Brühe darauf ablud. Genießbar sah die Masse nicht gerade aus. Vorsichtig probierte das erste Kind etwas von dem Eintopf und verzog das Gesicht. Ungenießbar, wie Claude bereits vorher vermutet hatte. Doch die Waisenkinder würden sich auch durch diese Mahlzeit quälen, wie sie es seit Tagen und Wochen schon taten. Der junge Mann seufzte und schob dann seinen Teller Richtung Köchin. Bald hörte man nur noch das lang anhaltende Geräusch von Holzlöffeln und Schmatzen.
 

* * *
 

Nachmittags:

"Claude~! Warte doch auf mich."

Lina kam hinter ihm hergelaufen, als er die Treppe hochging.

"Wo warst du denn vorhin?", fragte sie.

"Psst!! Nicht so laut."

Claude drehte sich auf der Treppe um, griff nach Lina und trug das Mädchen dann nach oben. Lina juchzte und ruderte wild mit den Armen. Claude trug sie in das Zimmer, in dem sie vorher schon waren und setzte sie auf eines der Betten.

"Bin gleich wieder da."

Er ging noch einmal nach draußen, hinüber zu dem Regal, wo er das Brot versteckt hatte. Sich kurz versichernd, dass niemand ihn beobachtete, griff er hinter das Regal und bekam seine Beute zu fassen. Schnell ging er dann zu Lina in das Zimmer zurück.

"Hast du etwa... !?", wollte das blonde Mädchen aufgeregt wissen.

"Sssshht!!"

Claude ging zu Lina hinüber, setzte sich neben sie auf das Bett und holte ein kleines Taschenmesser aus seiner Hosentasche hervor. Sachte schnitt Claude eine schmale Scheibe davon ab und gab es Lina.

"Meinst du wirklich?", fragte sie zögerlich, griff aber doch zu.

Langsam verzehrte sie ihre Scheibe Brot und las auch noch die letzten Krümel auf, die auf ihren Schoss gefallen waren. Bekümmert schaute Lina dann den jungen Mann an.

"Du solltest wirklich damit aufhören."

"Ich weiß. Aber es ist so schon schwer genug. Warte hier."

Claude ging hinaus, um den anderen Kindern ebenfalls heimlich noch etwas zuzustecken. Lina blieb allein in dem kleinen Zimmer zurück.
 

* * *
 

In der Nacht:

Claude lag in seinem Bett und starrte an die Decke. Das Schlafzimmer wurde nur vom gleichmäßigen Atmen der Kinder erfüllt, ansonsten war es still. Der junge Mann dachte über das Gespräch nach, welches er am frühen Abend auf dem Markt belauscht hatte. Sollte er wirklich soweit gehen und in ein Haus einbrechen? Bisher hatte Claude nur Taschendiebstähle begangen oder direkt etwas von einem Marktstand gestohlen. In ein Haus einzubrechen und dort nach wertvollen Dingen zu suchen, war schon ein anderes Kaliber. Claude musste davon ausgehen, dass außer dem Kaufmann und seiner Frau sich noch weitere Leute dort befanden. Kinder und vielleicht Hausangestellte, die ebenfalls auf dem Anwesen lebten.

Der junge Mann rollte sich im Bett herum und starrte dann an die Wand. Überhaupt würde er die Lage erst einmal auskundschaften müssen. Danach konnte er sich immer noch entscheiden, ob er einen Einstieg wagen wolle oder nicht. Das Adrya-Anwesen lag, soweit Claude wusste, mehr am Stadtrand von Japetown in einer der besseren Wohngegenden. Abends patrouillierte dort die Stadtwache, also musste Claude sehr vorsichtig sein. Vielleicht fand er ja eine Möglichkeit, sich über andere Grundstücke zu schleichen, um ungesehen bis zum Adrya-Anwesen zu kommen.

Ein Husten durchschüttelte eines der Kinder. Claude seufzte, schob die Decke zurück und stand auf. Wie eine Katze schlich er zu dem kleinen Jungen, Tobi, hinüber und legte ihm die Hand auf die Stirn. Soweit Claude das feststellen konnte, war die Temperatur leicht überhöht. Was bei dem Essen und den sonstigen Zuständen im Waisenhaus kein Wunder war. Der junge Mann zog die Hand wieder zurück und sah sich dann die anderen schlafenden Kinder an. Die meisten von ihnen waren leicht abgemagert, schon allein deshalb wollte Claude handeln. Er fasste einen Entschluss.
 

* * *
 

Eineinhalb Wochen später, nachts:

Niemand war mehr unterwegs in Japetown, als Claude das Waisenhaus verlassen hatte und zum Stadtzentrum gegangen war. Momentan befand er sich in einer finsteren Gasse unweit des Kaufmannsviertels. Hier war alles still. Etwas weiter vorne ragte das Adrya-Anwesen in die Höhe. Claude schlich unauffällig weiter bis zur Mauer, die das Anwesen umgab und presste sich an die Wand. Vor zwei Tagen erst hatte er die Lage ausgekundschaftet und sich dazu entschieden, einen Versuch zu starten. Claude schloss die Augen und wandte seinen Kopf gen Himmel. In Gedanken war er bei Lina und dem kranken Jungen, um den sich das Mädchen kümmerte. Tobi's Zustand ist in der letzten Woche ziemlich schlimm geworden, Henry war aber nicht dazu bereit, einen Arzt zu rufen. Claude öffnete die Augen und seufzte. Er hatte vor, Medizin zu organisieren, wenn er wertvolle Gegenstände von seiner Beute verkaufen konnte. Aber dazu musste er erst einmal ins Haus kommen. Der junge Mann sah sich um und entschied sich dann dazu, es über die Rückseite des Gebäudes zu versuchen. Er ging um die Mauerecke und hinüber zu der Trauerweide, die ihre dünnen Äste bis zum Boden hinunter hängen lies. Der ideale Übergang, wie Claude fand. Er schob sich in die Lücke zwischen Mauer und Baumstamm und schob sich nach oben. Nach einiger Plackerei lag er keuchend auf der Mauer. Ein Hauseinbruch war definitiv anstrengend. Claude rollte sich herum und landete dann wie eine Katze auf dem Boden. Er hielt sich wieder still und horchte auf auffällige Geräusche. Nichts tat sich. Claude schob vorsichtig die Zweige der Trauerweide auseinander und lugte zum Adrya-Anwesen hinüber. Alles war finster, also mussten die Bewohner wohl schon in ihren Betten liegen und schlafen.

'Hoffentlich gibt es hier keine Wachhunde.', dachte Claude.

Er lief zum Haus hinüber und drückte sich dann zwischen einem kleinen Fenster und einem Dienstboteneingang an die Wand. Claude's Hand glitt in seine Hosentasche und er fummelte ein paar Drähte heraus. Den Dünnsten davon wählte er aus, schob ihn in das Schloss und pulte darin herum. Es dauerte einige Zeit, bis es klickte und die Tür einen Spalt aufschwang. Claude packte seine Gerätschaften wieder weg und betrat das Haus. Es war zappenduster, also ertastete sich der junge Mann seinen Weg und stieß bald an einen massiven Tisch. Claude fluchte.

'Wenn es so weiter geht, kann ich gleich einpacken!', dachte er.
 

* * *
 

Claude stand in einem geräumigen Büro. Momentan durchwühlte er die Schublade eines Schreibtisches aus poliertem Nussbaumholz. Bisher hatte er außer einem versilberten Brieföffner nichts Brauchbares gefunden, nur massenweise Papier und sonstige Schreibutensilien. Auch in der Küche, die er zuvor durchsucht hatte, fand er nichts. Kein wertvolles Silber oder so etwas in der Art. An Schmuck wagte Claude nicht mal zu denken. Den würde die Kaufmannsfrau in ihrem Schlafzimmer oben aufbewahren. Die Schublade wurde zugeschoben und Claude sah sich in dem Zimmer um.

'Es hilft nichts, ich werde wo anders suchen müssen.'

Claude nahm die kleine Kerze, die er vorhin entzündet hatte und verließ das Büro. Draußen auf dem Gang wandte er sich nach rechts. Es gab nur noch zwei Türen, ehe eine Treppe nach oben führte. Claude nahm die nächste Tür und stand in einem Esszimmer. Eine lange Tafel stand im Raum, auf jeder Seite je sechs Stühle. An der gegenüberliegenden Wand stand eine große Vitrine, in deren Innerem wohl das Geschirr aufbewahrt wurde. Der junge Mann umrundete den Tisch, stellte die Kerze darauf ab und öffnete vorsichtig eine Tür der Vitrine. Die Angeln gaben quietschend nach. Bei dem Geräusch zuckte Claude zusammen und zog die Hand zurück. Hoffentlich hatte ihn niemand gehört.

Er wandte sich wieder dem Schrank zu und stellte überrascht fest, dass es darin glänzte. Claude trat einen Schritt näher heran und entdeckte endlich etwas Wertvolles. Tafelsilber und Porzellan. Er griff nach einer wertvoll aussehenden Teekanne aus dem Silberservice. Das Licht der Kerze, das sich auf dem Metall spiegelte, stach ihn etwas in die Augen.

'Hm, ich hätte vielleicht eine Tasche mitnehmen sollen', dachte er.

Claude stellte die Kanne wieder zurück in den Schrank und entschied sich dazu, stattdessen ein paar von den Silbertellern mitgehen zu lassen. Vorsichtig griff er nach dem Stapel und holte sich fünf der Teller. Er war zwar ein Dieb, aber alles wollte er dem Kaufmann und seiner Frau dann auch nicht stehlen. Claude stellte die Teller auf der Ablage vor sich ab.

"Was zur Hölle machen Sie da!", brüllte ihn jemand von hinten an.
 

* * *
 

Der junge Mann zuckte zusammen und hätte um ein Haar die Silberteller auf dem Boden verteilt. Zittrig drehte er sich um und sah sich einer korpulenten Frau gegenüber. Erst nach dem zweiten Blick merkte Claude, dass es die Kaufmannsfrau war, die da mit einem Schürhaken bewaffnet im Türrahmen stand.

"Madam, ich…"

"WAS!", fauchte die Frau.

"Madam, es ist wirklich nicht so wie sie denken", piepste Claude kleinlaut.

Unauffällig schob er sich etwas zur Seite, um die Silberteller mit seinem Körper zu verdecken. Die Frau schaute ihn nur kaltherzig an.

"Ich denke, ich weiß sehr wohl, wie es ist!", fuhr sie mit etwas verminderter Lautstärke fort, "Hast wohl gedacht, dich hier bedienen zu können in der Hoffnung, dass niemand etwas merkt. Glaub' ja nicht, dass Du ein Unbekannter wärst."

Claude riss die Augen auf, erwiderte aber nichts.

"Ganz recht, ich kenne dich. Du bist doch der Lümmel, der sich hin und wieder auf dem Markt herum treibt! Glaub' nicht, ich hätte dich nicht bemerkt."

"Madam, ich…"

Der erwischte Dieb ging um den Tisch herum auf die Frau zu. Letztere hob ihm nur den Schürhaken gegen die Brust.

"Wage es ja nicht, mir irgendwas anzutun!", drohte sie.

"Es tut mir wirklich leid...", fiepte Claude kleinlaut, "Bitte... ich..."

"Tze. Meinst du, ich lasse dich hier einfach so verschwinden? Gib mir nur einen Grund, warum ich nicht meinen Mann rufen sollte."

"Ich, ähm..."

"Mit Ähms kommst du hier nicht weit, Jungchen."

Claude blickte betreten zu Boden. Sollte er der Alten wirklich verraten, weswegen er hier war? Zugegeben, er kannte die Frau überhaupt nicht. Aber so, wie sie sich bisher verhalten hatte, glaubte Claude nicht daran, dass sie ein Herz für kranke Jungen hatte.

"Ich höre.", fauchte sie.

"Ich hab' das für meinen kleinen Bruder gemacht.", murmelte Claude in sich hinein.

"Wie? Rede bitte etwas lauter."

"Für meinen kleinen Bruder."

Claude hob den Kopf wieder und sah die Kaufmannsfrau schuldbewusst an.

"Hmpf. Was soll denn mit ihm sein?"

"Er ist sehr krank und...", wollte er erklären.

"Ach du meine Güte. Jungchen, das ist nicht mein Problem."

Die Frau schien zu überlegen und sah Claude abschätzig an. Der sagte lieber nichts mehr. Aus der Sache würde er eh nicht heil heraus kommen, also wieso sollte er sich noch weiter reinreiten. Nach einigen Minuten fuhr die Alte fort

"Es ist mir herzlich egal, was mit dir oder deiner Familie ist. Ich habe eigene Interessen. Aber für diese ... Interessen könntest du mir nützlich sein.", erklärte sie.
 

* * *
 

Claude starrte sie fassungslos an. War das so etwas wie ein Jobangebot? Die Frau konnte doch unmöglich eine Aufgabe für einen Dieb wie ihn, und noch da zu einen so schlechten, haben. Er wartete ab, was er weiter zu hören bekam.

"Du... scheinst einige Begabung zu besitzen."

"Begabung? Wofür?", fragte der junge Mann vorsichtig.

"Für's Einsteigen in fremde Häuser, würde ich wohl meinen."

Claude's Gesicht wurde ein bisschen rot und er starrte auf seine Füße.

"Jedenfalls scheinst du zu wissen, worauf es beim Einbruch ankommt."

Was meinte sie damit wieder? Es war sein erster Versuch, aus einem Haus etwas zu stehlen. Und dabei waren ihm eindeutig Fehler unterlaufen. Wie sonst hätte die Kaufmannsfrau ihn stellen können?

"Was wollen sie?", fragte er.

"Nur, dass du etwas für mich erledigst."

"Sie meinen wohl stehlen?"

"Genau!"

Claude war ziemlich überrascht. Aber er konnte sich auch denken, dass es für ihn schlecht ausging, wenn er das Angebot, oder viel mehr die Aufforderung, ablehnte. Er nickte nur kurz mit dem Kopf.

"Sehr gut.", meinte die Frau, "Wage ja keine Tricks, sonst bis du dran. Du weißt ja hoffentlich, was sie in Japetown mit Kriminellen wie dir anstellen."

Sie ließ den Schürhaken sinken, legte ihn aber nicht aus der Hand.

"Ja Madam."

Der glücklose Dieb wartete ab, was die Alte weiter sagen würde. Und vor allem, was er für sie stehlen sollte. Aber als die Frau einen diabolischen Glanz in den Augen bekam, war Claude sich sicher, dass es nicht so einfach sein würde.
 

* * *
 

'Super, Claude. Wieso musstest du dein Maul so aufreisen?', dachte er sich gerade, als er zum Heim zurück streunte.

Etwa zwei Stunden war er unterwegs gewesen, die Kinder würden sicher noch alle schlafen. Claude bog um eine Hausecke herum und sah dann das Waisenheim vor sich aufragen. Er seufzte. Mit leeren Händen heimzukommen, hatte er eigentlich nicht vor gehabt. Und dann war da ja noch der 'Auftrag', wie Claude es nannte. Die Kaufmannsfrau wollte, dass er etwas aus dem Rathaus entwendete. Aus dem Rathaus! Wie sollte er das eigentlich anstellen? Wenn er es schon nicht schaffte, aus einem einfachen Wohnhaus etwas zu stehlen, wie sollte er es denn beim Rathaus schaffen, wo sogar nachts Wachen patrouillierten? Aber Claude hatte keine andere Wahl.

Er rief sich noch einmal in Erinnerung, was er stehlen sollte. Das Auge des Zauberers. Was war das eigentlich? Soweit er wusste, war es irgendein magisches Ding. Doch wozu es diente, war ihm schleierhaft. Und es war zweifelsohne in der Schatzkammer des Rathauses zu finden, ein Ort, der tief im inneren des Gebäudes lag.

Claude seufzte erneut und beschloss dann, erst einmal ein, zwei Tage verstreichen zu lassen. Die Frau hatte ihm gesagt, er solle das Artefakt bis Ende der Woche besorgen. Sie hatte ihm haarklein erklärt, wo er es wie zu versteckten habe, damit sie es fand. Das Adrya-Anwesen selbst kam dafür nicht mehr in Frage. Die Kaufleute würden in drei Tagen ihr neues Anwesen beziehen. Und die Frau wollte es auf keinen Fall riskieren, dass Claude einen zweiten Einbruchsversuch bei ihr unternehmen würde. Also hatten sie sich darauf geeinigt, dass er das Auge des Zauberers auf dem Friedhof in der Nähe vom Färberviertel verstecken würde.

Das Waisenhaus vor Claude war finster, auch sonst regte sich nichts. Er betrat es lautlos und schlich in sein Zimmer hoch.
 

* * *
 

Nächster Tag, am Vormittag:

"Warte doch mal!", rief Lina.

Das Mädchen hatte Claude zur Tür hinauslaufen sehen und folgte ihm jetzt eiligst. Der junge Mann blieb stehen und wartete.

"Was ist denn?", fragte er.

"Du bist in letzter Zeit ziemlich selten da.", stellte das Mädchen fest.

"Na und?"

"Henry hat einen Auftrag für dich.", meinte Lina.

"Ach. Der hat mir gerade noch gefehlt. Was will er denn dieses Mal?"

Claude drehte sich zu dem blonden Mädchen um und schaute sie an.

"Du sollst etwas bei einem Händler am Marktplatz abholen. Was hat er mir nicht verraten."

"Und ich soll zu ihm hingehen und ihn fragen?"

"Genau."

Claude fluchte. Henry hatte ihm gerade noch gefehlt. Doch er fügte sich lieber, da das Verhältnis der beiden momentan nicht so gut war und Claude nicht noch länger Henry's Zielscheibe sein wollte.

"Wo ist Henry denn?", fragte der junge Mann.

"In der Küche. Ich warte solange hier."

Claude ging zurück ins Haus und war bald in der Küche angekommen. Henry stand zusammen mit der alten Köchin auf der anderen Seite im Raum und sprach leise mit ihr. Claude wartete, bis der Heimvorsteher ihn bemerkte.

"Oh, gut, dass du da bist. Du musst was für mich beim Markt holen."

"Und was?", fragte Claude neugierig.

Henry griff hinter sich und zeigte Claude einen einfachen Stiel.

"Das war mal unsere Pfanne.", sagte Henry.

"Oha."

"Ja. Du musst eine neue organisieren oder es gibt heute Mittag nur etwas Kaltes zu Essen."

"Soll ich bei der Trödelnden Marie gucken?"

"Ja!"

Henry fing an, in seiner Hosentasche herumzukramen und zog etwas daraus hervor. Claude blickte skeptisch auf die Münzen hinab, die der Alte ihm in die Hand gedrückt hatte.

"Meinst du wirklich, das reicht?"

"Klar. Du darfst dich eben nicht über den Tisch ziehen lassen. Also los. Je eher du das Handeln und Feilschen lernst, desto besser."

Claude zuckte mit den Schultern und verließ die Küche. Im Hinterhof wartete Lina nach wie vor.

"Und?", fragte sie.

"Wusstest du, dass unsere Pfanne hinüber ist?"

"Oh!"

Die beiden Waisen gingen zusammen zum Markt und schauten sich um. Vormittags war immer sehr viel los und Claude musste aufpassen, dass er Lina nicht aus den Augen verlor.

"Wo wollen wir eigentlich hin?", fragte das Mädchen.

"Zur Trödelnden Marie. Komm, gib mir lieber deine Hand."

Claude griff nach den zierlichen Fingern des Mädchens und bahnte sich mit ihr einen Weg durch das Gedränge. Zum Zentrum des Marktplatzes hin wurde es immer dichter und der junge Mann musste den Leuten zeitweise Ellenbogen in die Seite rammen, um durchzukommen. Das Fluchen und die Schimpfwörter danach waren ihm relativ egal. Die beiden kamen endlich am Stand von der Trödelnden Marie an. Auf dem Tisch stapelten sich Töpfe und Pfannen und die Inhaberin des Stands war fast gar nicht mehr zu sehen. Claude suchte nach einer Pfanne, die ihrer bisherigen ähnelte, als ihn eine junge Frau ansprach:

"Hallo, kann ich weiterhelfen?"

Es war Marie's Tochter Finja, die momentan wohl den Stand beaufsichtigte. Ein Mädchen, etwa zwei Jahre jünger als Claude mit kurzen, dunkelbraunen Haaren. Als er nicht antwortete, grinste Finja.

"Nur keine Angst."

"Eh?"

"Du brauchst keine Angst haben."

"Hab' ich auch nicht."

"Claude.", rief Lina vom anderen Ende des Standes her, "Wie wär's mit der hier?"

Das Mädchen stemmte eine Pfanne in die Höhe und hielt sie sich vor das Gesicht.

"Lina. Leg sie lieber wieder hin, die ist doch viel zu schwer für dich.", sagte Claude streng.

"Och."

Lina versuchte, die Pfanne wieder auf dem Stapel abzulegen, von dem sie sie genommen hat. Doch ihre Kraft verließ sie und die Pfanne landete mit einem metallischen Doing auf dem Boden.

"Also echt!"

Claude stapfte zu Lina hinüber, hob die Pfanne auf und betrachtete sie. Äußerlich schien sie intakt zu sein.

"Die Dinger scheinen recht stabil zu sein.", überlegte er laut.

"Was glaubst du denn?", ereiferte sich Finja, "Wir haben hier nur die beste Ware!"

Claude grinste zurück und entschied sich dazu, so ein Modell mitzunehmen.

"Was soll sie den kosten?"

Finja grinste verschmitzt und antwortete:

"20 Taler."

"Woha, so viel?"

Claude legte die Pfanne zurück auf den Tisch und nahm Lina an die Hand.

"Komm, lass uns von hier verschwinden. Das ist ja Wucher!", meinte er übertrieben laut.

"Aber..."

"Warte doch!", rief Finja den beiden hinterher, als sie sich bereits einige Meter entfernt hatten.

Der junge Mann blieb stehen und drehte sich um. Die Verkäuferin kam ihm hinterher gelaufen.

"Bessere Ware wirst du hier nicht finden."

"Dafür billigere."

Finja gab ein Schnauben von sich. Es stimmte. Ihre Ware war nicht gerade billig, dafür war es erstklassige Qualität. Claude wollte sich wieder umdrehen.

"Warte doch mal. Ich könnte es für dich billiger machen. Allerdings ..."

"... willst du was dafür!", beendete der junge Mann den Satz.

Lina starrte gebannt vom einen zum anderen. Bahnte sich hier etwa ein Techtelmechtel an? Finja schaute verlegen auf den Boden.

"Ja.", meinte sie.

"Und was?"

"Ein Date...", piepste Finja.

Claude starrte sie an, fasste sich aber wieder.

"Okay.", meinte er, "Wenn ich die Pfanne für 12 Taler kriege."

"Woah, das kann ich nicht machen. 18!"

"14!!", konterte Claude.

Finja überlegte. Weiter konnte sie eigentlich nicht runtergehen, ohne Ärger mit ihrer Mutter Marie zu bekommen.

"16?", fragte sie verunsichert.

"Okay..."

Finja's Gesicht erhellte sich.

"Wirklich?!"

"Yeah."

Claude holte entsprechend Taler hervor und gab sie Marie's Tochter. Lina griff derweil wieder nach der Pfanne.

"Und wann wollen wir uns treffen?", fragte Finja.

"Weiß nicht. Wie wär's mit morgen? Hast du da Zeit?"

"Ja, klar. Die Zeit werde ich mir nehmen."

Finja war total aufgeregt und fing etwas an zu stammeln.

"Also dann, abends kannst du schon weg?"

"Ja... sicher..."

"Gut, dann warte ich drüben am Brunnen auf dich. Wenn die Glocke acht Uhr schlägt."

"Ja... Ja okay, bis dann."

Claude grinste kurz und nahm Marlene dann die Pfanne aus der Hand.

"Wie romantisch...", bemerkte das blondhaarige Mädchen, als sie zurück zum Waisenhaus gingen.
 

* * *
 

Nachmittags:

Claude stand an einem Bett in dem Zimmer, in dem er die Nacht zuvor geschlafen hatte. Es war jetzt kurz nach Mittag. Wütend bohrte der junge Mann seine Fäuste in die Hosentasche und starrte auf Tobi's Leichnam hinab. Der Junge, der seit einiger Zeit an Fieber litt, hatte die Krankheit nicht überlebt. Lina stand schräg hinter Claude und weinte ungezwungen.

"Komm, lass uns gehen.", flüsterte Claude nach einer Weile.

Er hob Lina hoch und verließ das Zimmer. Das Mädchen kuschelte sich an seinen Hals. Claude ging mit ihr in den Hinterhof und setzte sich an die Hauswand zwischen zwei alte Kisten.

"Lina, hör' mir zu. Dazu musste es früher oder später kommen, hörst du?", meinte Claude.

'Und je eher du lernst, mit so etwas umzugehen, desto besser!', dachte er weiter.

Doch erschrecken wollte er Lina nicht mit so was. Für sie musste es ein richtiger Schock sein, denn der Junge war etwa in ihrem Alter. Aber so war das nun mal, wenn man fast auf der Straße lebte. Claude drückte Lina an sich und seufzte.

'Und ich Depp habe mich auch noch erwischen lassen.'

Er beschloss, bereits am nächsten Tag die Gegend um das Rathaus herum auszukundschaften. Vielleicht entdeckte er ja etwas, was hilfreich sein konnte. Lina hatte sich inzwischen etwas beruhigt, lehnte aber immer noch an Claude.

"Hör mal, wir müssen einfach aufpassen, dass so etwas nicht mehr passiert. Dass wir genug essen, okay?", meinte der junge Mann.

"Ja...", antwortete Lina zögerlich.

"So, dann lass mich mal aufstehen. Ich werd' Henry die Hölle heiß machen."

"Aber übertreib es bitte nicht."

"Sicher."

Claude rappelte sich auf und machte sich auf die Suche nach Henry. Doch der alte Heimvorsteher schien sich momentan sonst wo herumzutreiben. Claude fand nur die alte Köchin, die in der Küche mit den Töpfen und Pfannen herumschepperte. Er ließ den Kopf hängen.
 

* * *
 

Am nächsten Tag, vormittags:

Die Sonne brannte in den Straßen von Japetown. Claude hatte gerade das Färberviertel durchquert und befand sich jetzt im Verwaltungsviertel. Links von ihm schob sich das Stadtgefängnis in die Höhe. Mit seinen kleinen vergitterten Fenstern und dem Schatten, den es warf, war es ein trostloser Anblick. Drei Wachen befanden sich vor der Eingangstür, sonst war alles ruhig. Claude ging eilig weiter, um kein Aufsehen zu erregen. Außer ihm waren hier kaum Passanten unterwegs, was ihn nicht wunderte. Der Stadthalter von Japetown war ein ungerechter Emporkömmling, der nur durch Glück und entsprechende Verbindungen seine Position halten konnte. Claude mochte ihn nicht. Genauso wie der Rest der Bürger, doch es ließ sich nichts daran ändern. Und genau in das Hoheitsgebiet des Stadthalters sollte Claude einbrechen.

Er bog um eine Ecke und sah dann das Rathaus vor sich. Von allen Seiten her war das herrschaftliche Gebäude von hohen Mauern umgeben. Den einzigen offiziellen Weg in das Rathaus bot das Tor, das an der Stirnseite der Mauer lag. Doch dieser Weg wurde meist von einigen Wachen gesäumt, weshalb Claude nach einer anderen Möglichkeit suchen musste. Er ging am Rathaus vorbei und bog nach einigen weiteren Häusern in eine Gasse nach links ein. Als er eine weitere Straße erreichte, wandte er sich noch einmal nach links und kam so zur Hinterseite des Rathauses. Bäume gab es hier nicht, soweit Claude das erkennen konnte. Doch vielleicht war es ihm möglich, über ein Hausdach das obere Ende der Mauer zu erreichen.

"Hey, was machen Sie da?!", rief jemand hinter ihm.

Claude drehte sich um und sah zwei Stadtwachen, die hier wohl patrouillierten. Die beiden kamen im Eilmarsch auf ihn zu.

"Nichts Sir.", meinte Claude verlegen, "Ich hab mich wohl verirrt."

"Aha. Mach, dass du hier weg kommst.", fauchte einer der Beiden.

Claude ließ sich das nicht zweimal sagen. Er drehte sich um und flitzte davon.
 

* * *
 

Am Nachmittag:

"Hör mal, Jungchen, du brauchst nicht so frech zu sein.", schimpfte Henry.

"Ich bin nicht frech. Ich sage nur, wenn mir etwas nicht passt."

Er hatte den Heimvorsteher endlich erwischt und ihn gefragt, warum kein Arzt gekommen war.

"Wir haben nun mal nicht die Mittel dazu, jedes Mal einen Doktor kommen zu lassen."

"Aha. Aber wenn dir was fehlt, ist Onkel Dok immer gleich zur Stelle, wie?", konterte Claude.

"Du vorlauter Bengel..."

Henry machte einen Schritt auf seinen Kontrahenten zu und fuchtelte mit den Armen. Claude rollte nur die Augen gen Himmel, gab dem Alten einen Klaps gegen die Brust und lief an ihm vorbei nach draußen. Auf der Straße vor dem Heim angekommen, lief er auf und ab, um wieder herunterzukommen. Lina und einige andere Kinder beobachteten ihn. Andy, ein guter Freund von Lina und ein Jahr älter als sie, stapfte auf Claude zu und zog ihn an der Hose.

"Was gibt's?", fragte der nur.

"Ähm, wir haben was mit dir zu besprechen.", faselte Andy geheimnisvoll.

"Aha. Und was?"

"Komm mit."

Der Junge zog Claude am Ärmel mit zu den anderen hinüber. Skeptisch sah er dann auf die Kinder hinab.

"Also,", begann Lina, "so kannst du heute Abend nicht zu Finja gehen."

Claude riss die Augen auf.

"Was meinst du denn damit?", fragte er pikiert.

"Na ja. Deine Kleidung ist nicht gerade hübsch. Geschweige denn sauber."

"Ich hab aber nichts anderes."

"Wissen wir.", antwortete Andy, "Deswegen haben wir etwas für dich besorgt."

Der Junge zog ein einen Haufen hervor und packte es aus. Zum Vorschein kamen eine einfache schwarze Hose und ein besseres Hemd, als Claude es momentan trug.

"Wo habt ihr das denn her?", fuhr der junge Mann auf.

"Das verraten wir nicht."

"Ihr habt es doch nicht etwa gestohlen?"

"Nö.", erklärte Lina, "Das Hemd haben wir Henry aus dem Schrank geklaut. Es wird dir also etwas zu groß sein. Und die Hose ..."

Als das Mädchen nicht weiter sprach, zog Claude die Augenbrauen hoch.

"Was ist mit der Hose?", fragte er.

"Die haben wir von Finja geholt.", meinte Lina kleinlaut.

"Wie bitte?! Ihr könnt doch nicht zu ihr gehen und für mich eine Hose organisieren!", schimpfte Claude, "Das ist doch echt die Höhe."

Die Kinder zogen vorsichtshalber die Köpfe ein, grinsten aber nur.

"Vielleicht solltest du sie mal probieren.", fragte jemand.

"Na gib schon her."

Claude ließ sich die Sachen geben und ging wieder ins Haus. Lina und Andy folgten ihm, warteten aber vor der Tür, während er sich umzog.

"So, ihr könnt gucken... wenn ihr wollt.", kam es vom Schlafzimmer heraus.

Die beiden Kinder gingen hinein und betrachteten das Endergebnis.

"Das Hemd solltest du vielleicht ausstopfen.", bemerkte Lina.

"Na hör mal. Hatte Finja keines mehr übrig oder wie?"

Andy kicherte nur und ging um Claude herum.

"Wenigstens passt die Hose.", meinte letzterer.

"Du solltest dich aber vorher noch waschen."

"Ja, klar."

Claude zog sich wieder um, legte Hemd und Hose zusammen und verstaute es unter seinem Bett.

"Ich hoffe nur, die Ratten fressen keine Löcher hinein."
 

* * *
 

Abends:

Claude wartete seit etwa einer viertel Stunde. Er fragte sich, ob Finja überhaupt noch kommen würde. Aber da sie die Verabredung herausgeschlagen hatte, wird sie ihn wohl kaum versetzen. Er sah sich um. Abends war auf dem Marktplatz kaum etwas los. Die Straßenlaternen brannten bereits, doch die Luft war noch warm. Aus den Wirtshäusern der Umgebung drang Gegröle.

'Hoffentlich schafft sie es ohne Probleme hierher.'

Doch diese Gedanken waren überflüssig, denn Finja kam gerade aus einer Straße herausgelaufen. Sie trug ein fliederfarbenes Kleid und ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, als wäre sie gerade erst aufgestanden.

"Hast du schon lange gewartet?"

Finja keuchte den Satz mehr, als dass sie ihn sprach.

"Nö, ich bin selbst erst gekommen. Und was willst du machen?"

"Lass uns vor die Stadtmauern gehen und den Sonnenuntergang bewundern."

"Earm. Dafür hätten wir uns auch direkt vorm Tor treffen können."

"Na ja..."

Finja sagte ihm lieber nicht, dass der Treffpunkt auf seinen Vorschlag beruhte. Zusammen spazierten die Beiden vom Zentrum weg. Ihr Weg führte sie durch das Kaufmannsviertel und vorbei an einer der drei Kirchen, die es in Japetown gab. Claude hatte sie nie von innen gesehen. Glaube und Religion gingen ihn nichts an. Der junge Mann verstand nicht, warum die Bürger jeden Sonntag das Gotteshaus aufsuchten. Die Kirchen machten einen seiner Meinung nach weder gesund noch satt. Also was sollte man dort?

"Du bist nicht sehr gesprächig?", stellte Finja fest.

"Hm, hab' nachgedacht."

"Worüber denn?"

"Wie alles weitergeht. Also mit dem Waisenhaus und den Kindern und so."

"Wie meinst du das?"

Claude ging eine Weile lang neben Finja her, ohne ihr eine Antwort zu geben. Er wollte das Mädchen nicht mit so schlimmen Dingen bedrücken, aber als sie ihn noch mal fragte, lenkte er ein:

"Tobi, einer der Waisen, ist gestern gestorben. Unser ... Heimvorsteher ließ keinen Arzt kommen.", erklärte er.

"Oh! Das tut mir furchtbar leid!"

Finja wirkte ehrlich entsetzt. Claude seufzte.

"Na ja, man kann es jetzt nicht mehr ändern. Wir können nur hoffen, dass es in Zukunft nicht mehr zu so etwas kommt."

"Na ja, so ist das Leben."

"Und was machst du sonst so?", fragte Finja.

"Nicht viel. Als Waisenkind wird es einem schnell langweilig."

"Och. Hast du denn keine Arbeit?"

"Nein. Hab' damals den Anschluss verpasst."

"Wie das denn?"

"Na ja. Normalerweise kümmern sich doch die Eltern um die Lehren ihrer Kinder. Aber bei mir wurde das leider versäumt."

'Beziehungsweise Henry hatte keine Lust dazu, mich aus seinem Dienst zu entlassen.', dachte Claude.

"Das ist aber blöd. Wieso suchst du dir nicht selbst etwas?"

"Hä?"

"Ich meine, dass du selber nach einer Arbeitsstelle suchst. Es muss ja nicht unbedingt eine Lehre sein."

"Weiß nicht. Ehrlich gesagt habe ich mir noch nie so richtig Gedanken darüber gemacht, welchen Beruf ich gerne machen würde."

"Das ist aber schlecht. Hast du dich schon mal auf dem Markt umgesehen?"

"Wie kommst du denn darauf?"

"Na ja. Auf dem Markt findet man immer was. Und selbst wenn nur jemand gesucht wird, der anpacken kann. Du solltest mal früh morgens hinkommen, wenn die Händler ihre Stände aufbauen."

"Haben die nicht alle bereits Helfer?"

"Nicht alle. Es gibt auch einige, die schon seit Jahrzehnten ihre Waren verkaufen, wo die Kinder aber eine Lehre machen und deshalb niemand anderes da ist. Du solltest es wenigstens mal versuchen."

"Vielleicht. Mal gucken, was demnächst so ansteht."

Die Beiden gingen weiter. Claude konzentrierte sich wieder etwas mehr auf den Weg. Momentan befanden sie sich im Schneiderviertel.

"Was überlegst du gerade?"

Claude wurde aus seinen Gedanken gerissen. Verwirrt schaute er Finja an.

"Och nichts."

"Für nichts hast du aber ganz schön abwesend gewirkt."

"Was machst du denn so, wenn du mal nichts zu arbeiten hast?", fragte Claude nun seinerseits..

"So dies und das. Ich hab' drei kleinere Geschwister, da hat man eine Menge Arbeit. Du kennst das sicher selbst."

"Und ob."

Claude erinnerte sich an den heutigen Tag zurück. Wenn man in einem Waisenhaus lebte, so wie er, waren da noch massenweise anderer Kinder. Und er wusste genau, wie viel Arbeit und Ärger sie einen kosten konnten. Vor allem wie sehr er sich geärgert hatte, als die Knirpse ihm heute die Kleidung gaben. Er musste zugeben, dass sich die Kleinen ganz gut selber durchschlagen konnten, falls dies nötig wurde.

Die beiden kamen endlich an die Mauer und verließen die Stadt. Die Sonne stand bereits über dem Wald im Westen, es konnte also nicht mehr lange dauern, bis sie ganz hinter dem Horizont versank. Claude zog Finja am Arm und sie setzten sich etwas entfernt von der Straße ins Gras.

"Wie passt dir eigentlich die Hose?", fragte Finja neckisch.

Claude wurde rot und starrte beschämt auf seine Füße.

"Ganz gut. Sie ist nur etwas zu kurz.", meinte er.

"Och. Steht dir aber blendend."

"Findest du? Na ja ich weiß nicht so recht..."

"Du hast es wohl nicht so mit Mode, wie?"

"Ha, ich kann's mir schlecht leisten. Ich hab' nur ganz wenige persönliche Dinge."

"Hm. Tut mir leid, dass ich gefragt habe."

"Wie meinst du das?", fragte Claude.

"Es scheint wohl dein wunder Punkt zu sein, dass du in einem Waisenhaus lebst. Würdest du gerne wo anders hin?"

"Glaub' mir, niemand lebt gerne im Waisenhaus. Wenn wir könnten, wären wir längst alle weg, aber so einfach ist das eben nicht. Vor allem, wo sollten die Kleinen schon hingehen? Auf die Straße? Da ist es im Heim noch besser, da haben sie wenigstens ein Dach über dem Kopf."

"Stimmt auch wieder."

Der Feuerball hatte sich inzwischen halb hinter die Bäume im Westen geschoben und schickte sich an, noch tiefer zu gehen. Claude warf sich auf den Rücken und streckte alle viere von sich. Neben ihm kicherte es, doch er ließ sich nicht davon stören. Gierig sog er weiter die milde Abendluft ein.
 

* * *
 

In der Nacht:

Es war bereits dunkel, als Claude die Treppe im Heim hoch schlich und das Schlafzimmer betrat. Gleichmäßiges Atmen erfüllte den Raum. Wie gut, dass die Kinder bereits schliefen. Er ging zu seinem Bett hinüber und fing an, die geliehenen Kleidungsstücke auszuziehen, als sich jemand räusperte.

"Wie war's?", flüsterte Lina.

Claude zuckte zusammen und drehte sich um. Das Mädchen saß aufrecht in seinem Bett und starrte ihn aus großen Augen an.

"Wieso schläfst du nicht?", fauchte er zurück.

"Na hör mal, ich bin extra wach geblieben."

"Ja? Dreh dich bitte um, wenn ich mich ausziehe."

Claude drehte ihr den Rücken zu und hatte schnell seine eigenen Sachen angezogen. Er stieg in sein Bett und krümelte sich dann wie ein Embryo zusammen.

"Und wie war's jetzt?"

"Nett. Wieso willst du das überhaupt wissen?", fragte der junge Mann.

"Na warum wohl. Ich bin halt ein Mädchen."

Lina schob sich ebenfalls wieder unter die Decke und starrte zu Claude hinüber.

"Und? Gehst du morgen wieder hin?"

"Nein. Hab' was anderes vor."

"Was denn?"

Claude zögerte. Er konnte Lina schlecht sagen, dass er morgen im Rathaus einbrechen wollte. Sie würde versuchen, ihn davon abzuhalten, eher noch, dass sie Henry Bescheid sagte. Und das konnte er nicht riskieren.

"Muss was besorgen."

'Was ja nicht gelogen ist.', dachte sich der Zwangsdieb.

"Auf dem Markt?"

Ein erneutes Zögern.

"Ja."

"Ha.", machte Lina.

'Soll sie ruhig denken, dass sie mich durchschaut hat.', dachte Claude.

Das Mädchen sagte nichts mehr. Vermutlich malte Lina sich gerade eine Liebesgeschichte zwischen Claude und Finja aus und schlief darüber ein.
 

* * *
 

Am nächsten Tag, spät nachmittags:

Lina stand im Hinterhof und unterhielt sich mit einem jüngeren Mädchen, als Andy um das Haus herum auf sie zugelaufen kam. Der Knabe keuchte.

"Wie du vermutet hast, er ist vorne raus gekommen.", sagte er.

"Wusste ich es doch. Wir dürfen keine Zeit verlieren, also los."

Lina verabschiedete sich von dem anderen Mädchen und flitzte mit Andy los. Die beiden mussten sich ziemlich beeilen, damit Claude ihnen am Ende nicht doch noch entkam. Als sie die Vorderseite des Waisenhauses erreichten, befand sich der junge Mann bereits am Ende der Straße. Die Kinder rannten so schnell und so leise, wie es ihnen möglich war und hatten schnell zu ihrem Ziel aufgeholt.

"Sollen wir das wirklich machen?", flüsterte Andy, während sie hinter Claude herschlichen.

"Na klar. Ich will das unbedingt sehen.", erklärte Lina.

"Aber das ist Mädchenkram."

"Na und? Du warst mir noch etwas schuldig."

"Das sagst du immer.", hechelte der Junge.

Die beiden sprangen schnell hinter einen vorbeifahrenden Wagen, als Claude Anstalten machte, sich umzudrehen.

"Hat er uns gesehen?", keuchte Lina.

"Ich glaube nicht. Los weiter."

Die Kinder flitzten um den Wagen herum und mussten sich dann erst einmal darüber klar werden, wo sie sich befanden. Eine Seitenstraße weiter begann der Markt. Lina hatte also richtig vermutet, Claude ging zu Finja. Der junge Mann bog gerade um eine Hausecke und war dann nicht mehr zu sehen.

"Komm mit, sonst entwischt er uns.", sagte Lina.

Sie lief voran, hielt aber an der Hausecke an. Als Andy sie eingeholt hatte, fragte er:

"Was ist los?"

"Das könnte schwierig werden. Es gibt kaum Verstecke."

"Hm. Dann lass uns warten, bis er da vorne zwischen den Ständen verschwindet. Wir können uns ja dann zum Stand von der Trödelnden Marie durchschlagen.", schlug der Junge vor.

"Ist gut."

Es dauerte nicht lange und Claude war zwischen den Marktbesuchern nicht mehr zu sehen, die Kinder gingen eilig weiter, entschieden sich aber dann dazu, sich aufzuteilen. Lina lief die Gasse rechts entlang, Andy nahm den anderen Weg. Das Mädchen musste sich durch viele Beine kämpfen, ehe es beim Stand der Trödelnden Marie ankam. Weder Andy noch Claude waren zu sehen. Und von Finja war auch keine Spur. Heute verkaufte ihre Mutter. Lina zuckte mit den Schultern und ging auf den Stand zu. Die alte Marie drehte einem Kunden gerade einen Topf an und wandte sich dann dem Mädchen zu, als der Kunde bedient war.

"Kann ich etwas für dich tun?", fragte sie freundlich.

"War Finja heute schon da?"

"Finja? Nein, meiner Tochter geht es heute nicht gut, weshalb ich ihr strikten Hausarrest erteilt habe. Sozusagen zu ihrem eigenen Schutz."

"Tatsächlich?"

Lina wunderte sich etwas. Was konnte Claude sonst auf dem Markt wollen? Sie beschloss, Andy entgegenzugehen. Vorsichtig schob sie sich zwischen den anderen Menschen hindurch und kam zu einem der anderen Ausgänge des Marktes. Dort stand Andy neben einer großen Kiste. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und schielte in die Straße. Lina ging zu ihm hinüber und tippte ihm auf die hochgezogene Schulter. Andy schrak zusammen.

"Schleich' dich doch nicht so an!", schimpfte er.

"Entschuldige. Claude ist nicht hier.", meinte Lina.

"Ich weiß, der ist da vorne."

Andy deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Straße. Tatsächlich. Im Schatten der Gebäude war Claude's Silhouette nur schwer zu erkennen, aber er war es. Er war alleine und ging von den Kindern weg.

"Finja ist nicht bei ihm.", meinte Andy.

"Ich weiß. War eben bei ihrer Mutter, Finja ist wohl krank."

"Oh. Vielleicht will er sie besuchen gehen?"

"Möglich."

Die Kinder schlichen die Straße entlang, um Claude nicht zu verlieren. Der hatte inzwischen die Straßenseite gewechselt, um einem ihm entgegen kommenden Wachtrupp aus dem Weg zu gehen. Lina und Andy gingen ebenfalls auf die andere Straßenseite. Wie Kinder eben waren, flitzten sie zwischen den Passanten hindurch und stoppten dann an einer Hausecke. Claude bog in eine Straße nach links ab.

"Wenn er so weiterläuft, kommt er ins Verwaltungsviertel.", bemerkte Andy.

"Ja, aber was will er denn da? Finja wohnt wo ganz anders."

"Vielleicht muss er etwas besorgen?"

Die beiden Kinder sahen sich an. Was konnte Claude wohl im Verwaltungsviertel zu besorgen haben?

"Vielleicht durchquert er es einfach nur?"

"Ich bin trotzdem neugierig. Komm, lass uns weitergehen.", entschied Lina.
 

* * *
 

Früher Abend:

Claude ging die Straße entlang und sah von weitem bereits das Dach des Rathauses. Doch sein Ziel war der Kornspeicher neben dem Verwaltungsgebäude. Tagsüber kamen Bauern hierher, um Korn an die Stadt zu verkaufen. Es würde also nicht weiter auffallen, wenn er den Speicher betrat. Seine Taktik bestand darin, sich als Laufbursche eines besser gestellten Bauern auszugeben. Niemand würde Verdacht schöpfen. Zumindest wenn es nach ihm ging. Ein weiterer Vorteil war, dass sich dort nur sehr wenige Wachen aufhielten. Claude konnte momentan nur zwei sehen, die ihren Dienst vor dem Eingang eher schlecht als recht verrichteten.

Der junge Mann ging weiter und versuchte möglichst so zu wirken, als würde er dazu gehören. Er ging unbeirrt auf den Kornspeicher zu, wurde aber von den Wachen trotz allem angehalten.

"Wo willst'e hin?", fragte der Linke barsch.

"In den Speicher natürlich.", antwortete Claude wahrheitsgetreu.

"Ja? Hab' dich hier noch nie gesehen."

"Ich weiß. Ich bin neu hier."

Claude wurde etwas unruhig. So viele Fragen hatte er vermeiden wollen und je länger das Hin und Her ging, desto eher kam man ihm vermutlich auf die Schliche. Vor allem, wenn man ihn mit einem misstrauischen Blick betrachtete, wie es die beiden Wachen gerade taten.

"Eh? Neu hier...", brummelte der Wachmann.

Er und sein Partner überlegten kurz, ließen Claude dann aber doch passieren.

'Das war knapp.', dachte der unerkannte Dieb.

Er ging etwas weiter in die Halle hinein und ließ erst dann die Luft entweichen, die er die ganze Zeit über angehalten hatte. Neugierig sah Claude sich um. Links befand sich wohl einer der Speicher, denn der Raum dahinter wurde von einer Art größerem Tor abgesperrt. Am Ende des Ganges, in dem Claude sich momentan befand, gab es eine Treppe, die durch eine Einstiegsluke nach oben führte. Die Luke stand offen und es waren einige Stimmen zu hören.

'Wie gut, dass ich erst jetzt hergekommen bin.'

Claude wusste, wäre er am Vormittag gekommen, wäre es hier wohl nicht so ruhig zugegangen. Die Arbeiter freundeten sich bereits mit dem Feierabend an, denn jetzt kamen sie die Treppe heruntergepoltert. Der Dieb sah sich kurz nach einem Versteck um und flitzte dann schnell in den Speicher nach links, bevor die Männer ihn sehen konnten.

"HAHA!", lachte einer mit einer tiefen Bassstimme.

"Hey, lasst uns doch später noch einen trinken gehen."

"Sicher. Wo wollen wir uns dieses Mal treffen?"

Die Männer, es waren insgesamt vier, polterten im Gang draußen herum.

"Karl. Schließ mal da ab, bevor noch die Ratten kommen."

'Nein! Nicht abschließen!', fuhr Claude durch den Kopf.

Der Angesprochene grunzte etwas, ging aber auf den Speicher zu, in dem Claude sich verbarg. Der junge Mann huschte etwas weiter weg, um nicht gesehen zu werden. Das Tor wurde zugerollt und mit einem kleinen Balken von außen verschlossen. Die Männer entfernten sich rasch und Claude blieb allein in dem Speicher zurück. Eingeschlossen im Kornlager.

'Du Depp. Wie willst du jetzt hier heraus kommen?'

Claude schimpfte mit sich selber, während er wieder zu dem Tor hinüber ging. Der Ausgang war zu, unweigerlich. Er konnte nicht einmal einen kleinen Spalt zwischen Rolltor und Wand ausmachen. Nur unten hindurch drang etwas Licht, aber es war zu wenig Platz, um auch nur einer Maus Einlass zu gewähren. Der Dieb war etwas verzweifelt. Bekümmert setzte er sich an den Rand des Weizenhaufens, der hinter ihm sogar einen Teil der Decke verbarg und ließ sich zurückplumpsen.

'Du musst wohl warten, bis sie morgen wieder aufmachen. Bis dahin haben sie im Waisenhaus dein Verschwinden längst bemerkt.'

Claude erinnerte sich daran zurück, wie er Andy und Lina auf dem Markt abgeschüttelt hatte. Die Kleinen waren zwar gut, aber er war besser. Vermutlich hatten sie bei Finja am Stand nachgeschaut und dann enttäuscht ihre Verfolgungsaktion aufgegeben.

'Alter, worauf hast du dich da nur eingelassen?'

Der Diebstahlversuch auf dem Adrya-Anwesen kam ihm wieder in den Sinn. Zwischenzeitlich mussten die Leute ihr neues Anwesen bezogen haben. Claude überlegte was passierte, wenn er sich weigerte, den Auftrag der Frau auszuführen. Sicherlich würde sie zur Stadtwache gehen und ihn anzeigen. Aber konnte man ihn überhaupt finden?

'Wenn ich einfach aus der Stadt verschwinde, dann vielleicht nicht...', dachte er.

Finja's Gesicht, ihre braunen strubbeligen Haare, die es umrahmten, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Claude schloss die Augen, um sich mehr auf seine Gedanken konzentrieren zu können.
 

* * *
 

'Und was ist mit mir?', fragte sie gespielt ernst.

Der junge Mann zuckte hoch. Es war zappenduster. Hatte er etwa geschlafen? Und wieso kam ihm ausgerechnet Marie's Tochter in den Sinn? Normalerweise hatte er es nicht so mit Mädchen, aber Finja war okay gewesen. Sie benahm sich ein bisschen wie Lina, obwohl sie nur ein paar Jahre jünger war als Claude selbst.

'Hm, wenn sie von meiner Aktion erfährt, wird sie mich vermutlich hassen.'

Claude setzte sich wieder auf und streckte sich. Ein Kornhaufen war kein sehr bequemes Lager. Etwas piekte ihn und er stellte fest, dass einige Weizenkörner den Weg unter seine Kleidung gefunden hatten. Wie aktiv hatte er eigentlich geschlafen? Claude beschloss, sich ein andermal darüber Gedanken zu machen und stand auf. Neugierig ging er zu dem Tor hinüber, aber es ließ sich nach wie vor nicht öffnen. Er seufzte und sah sich um. Vielleicht gab es ja noch einen zweiten Eingang. Er ging an einer der Wände entlang und kletterte hinter dem Weizenhaufen herum, als es nötig wurde. Die Rückseite des Raumes ließ sich kaum erreichen, so hoch türmte sich das Getreide. Nein, dort konnte keinesfalls ein zweiter Ausgang sein. Claude stakste wieder nach vorne. Wütend betrachtete er den Weizenhaufen und trat in das Getreide, welches ihm dann entgegen rieselte.

'Wie kann man überhaupt einen so hohen Haufen machen?', fragte er sich, 'Der Teil der Decke da oben ist ja gar nicht zu sehen. Merkwürdig, man müsste ja ein Gestell benutzen, um es ganz nach oben werfen zu können.'

Ein leises Geräusch von oben erklang. Es hörte sich an wie Gabeln, die über Holz kratzten. Vermutlich waren es Ratten, die einen Weg in das Lager suchten.

Claude entschied sich dafür, das Geheimnis des Getreidehaufens weiter zu erforschen und begann zu klettern. Es war sehr anstrengend, denn die Körner gaben unter seinen Füßen nach, sodass er ständig nach unten rutschte. Doch irgendwann hatte er es so weit geschafft, dass er sich fast den Kopf an der Decke stieß.

'Also mal nachschauen.'

Der Dieb schaufelte das Getreide vorsichtig zur Seite, bis sich ein kleiner Spalt zwischen Decke und Weizenhaufen bildete. Ein Luftzug blies Claude ins Gesicht, der aber schnell wieder versiegte. Dort musste eine Luke oder Ähnliches sein. Er fing an, schneller zu schaufeln, doch eine Weile lang tat sich nicht mehr, als dass seine Beine immer tiefer in das Korn sanken. Schließlich schaffte Claude es doch, das restliche Getreide wegzuschaffen. Vor ihm öffnete sich ein Loch in der Decke.
 

* * *
 

In der Nacht:

Claude lief über die Mauer. Es musste inzwischen kurz vor Mitternacht sein. Frischer Wind blies ihm ins Gesicht. Der Kornspeicher wurde hinter ihm immer kleiner, als er vorsichtig zur Rückseite des Rathauses wechselte. Unter ihm waren Wachen. Nicht viele, aber sie waren da. Er musste vorsichtig sein. Die Rückseite des Gebäudes war mit Sicherheit genauso bewacht wie die Vorderseite.

'Hintereingang, Hintereingang. Wo bist du?'

Claude hielt auf der Mauer an und schaute zum Gebäude hinüber. Von der Mauer zum Rathaus hinüber war es nicht sehr weit, aber er musste den passenden Moment abwarten, an dem die Wachen ihm den Rücken zudrehen würden. Außerdem musste er möglichst vorsichtig sein. Ein Sprung aus zwei Metern Höhe war unweigerlich mit einem Geräusch verbunden.

'Willst du das auch wirklich, alter Junge?'

Der junge Mann räumte die Zweifel schnell beiseite, denn er sah seine Gelegenheit kommen. Unter ihm gingen gerade zwei Wachen aneinander vorbei. Er musste nur warten, bis sie weit genug gegangen waren. Und der Zeitpunkt kam schnell. Claude legte sich auf den Bauch und schob seine Beine vorsichtig über den Rand der Mauer. Er ließ sich nach unten gleiten, zählte innerlich bis drei und ließ sich dann fallen. Katzen gelang dieses Kunststück einwandfrei, doch Claude war ein Mensch. Als seine Füße auf dem Boden aufkamen, ertönte ein Tapp und Claude hielt sich mucksmäuschenstill. Kurz vergewisserte er sich, dass die Wachen weiter ihres Weges gingen und lief dann zum Hintereingang hinüber. Die Tür war nicht beleuchtet, was ein kleiner Vorteil für ihn war.

'Wenn du einmal drin bist, kommst du nicht wieder heraus.', sagte er sich, öffnete die Tür mit einem Dittrich und war im Rathausinneren verschwunden.
 

* * *
 

Fackeln brannten an den Wänden, über ihnen hatte sich Ruß gebildet. In diesem Gang war momentan niemand unterwegs, was Claude sehr erleichterte. Dreimal war er bisher auf Wachen gestoßen und einmal hätten sie ihn sogar fast entdeckt. Eines stand für ihn fest, hinter schweren Vorhängen würde er sich nicht mehr verstecken, wenn sie nicht ganz bis zum Boden reichten. Der Gang vor ihm führte nun um eine Ecke. Vorsichtig lugte der Dieb darum herum und sah nur eine unbewachte Tür.

'Hast du dich etwa verlaufen? Die Schatzkammer wird wohl kaum unbewacht sein.', fuhr Claude durch den Kopf.

Er beschloss trotzdem, in der Tür nachzusehen. Vorsichtig kramte er in der Hosentasche und zog seinen Dittrich daraus hervor. Dann machte er sich ans Werk. Es war ein normales Schloss wie jedes andere auch und stellte keine großen Schwierigkeiten dar. Ein paar Kniffe, einmal Drehen und das gewünschte Klicken erklang. Die Tür schwang auf. Claude griff sich die Fackel aus der Halterung in seiner Nähe und betrat den Raum. Erst konnte er nicht viel erkennen. An der rechten Wand befand sich ein kleiner Tisch mit Papieren, einer Schreibfeder und Tinte und einem Abakus. Hinter dem Tisch war ein Regal in die Wand eingelassen, voll gestellt mit Büchern. Claude wandte den Kopf nach links. Auf der linken Wandseite war ebenfalls ein Regal eingelassen. Er war sich nicht sicher. Dies konnte genauso gut eine Bibliothek sein, aber wieso sollte sie im Kellergewölbe des Rathauses sein? Claude machte ein paar mehr Schritte in den Raum hinein. Erst jetzt entdeckte er, dass es eine weitere Tür auf der ihm gegenüber liegenden Seite gab.

Neugierig ging er auf die Tür zu und wollte sie gerade öffnen, als mehrere Männer hinter ihm in das Zimmer gestürmt kamen. Claude drehte sich entsetzt um, als ihn auch schon einer der Wachen gegen die Wand schubste und ihm eine Pike gegen die Brust hielt. Sieben Wachen tummelten sich in dem kleinen Raum und davor im Gang, den, der ihn festhielt ausgeschlossen. Zwischen ihnen bahnte sich nun ein großer, korpulenter Mann den Weg hindurch. Er musste so etwas wie der Befehlshaber der Wachen sein, denn die Männer wichen respektvoll vor ihm zurück.

"Wen haben wir den hier?", fragte er süffisant.

Claude versuchte, sich so aufrecht und selbstbewusst wie möglich hinzustellen. Mit mäßigem Erfolg, denn einer der anderen Wächter trat auf ihn zu und schlug ihm mit der Faust in den Bauch. Der Dieb krümmte sich zusammen und gab einen Schmerzenslaut von sich.

"Los, werft ihn in eine Zelle."
 

* * *
 

Zur gleichen Zeit:

"Er ist nicht gekommen.", flüsterte Andy aufgeregt.

Der Junge lag schon in einem der Betten im Schlafraum, genauso wie die anderen Kinder. Lina war ebenfalls noch wach.

"Also. Ich glaube wirklich nicht mehr daran, dass er zu Finja gegangen ist.", fuhr er fort.

"Nein."

Lina brütete über ihren eigenen Gedanken. Claude war den ganzen Tag nicht mehr aufgetaucht und jetzt war es bereits spät in der Nacht. Das Mädchen glaubte ebenfalls nicht daran, dass Claude zu Finja gegangen war. Es wäre das zweite Treffen der beiden und da konnte er ja wohl kaum so lange geblieben sein. Nein, Lina war sich sicher, dass Claude wieder irgendetwas stehlen gegangen war. Allerdings fragte sie sich, warum er dazu ins Verwaltungsviertel gegangen war. Anderswo bot sich ein Einbruch mehr an als dort.

"Bist du noch wach?", fragte Andy unsicher.

"Ja, lass mich doch mal nachdenken."

"Es war doof, dass wir ihn verloren haben."

"Ja."

Lina antwortete nicht weiter darauf. Ihr schwirrten zu viele Gedanken im Kopf herum. Vielleicht hatte Claude etwas in der Gegend zu erledigen gehabt, die hinter dem Verwaltungsviertel lag. Aber dann wäre er mit Sicherheit längst zurückgekehrt. Entweder also, er saß irgendwo fest oder ...
 

* * *
 

"Hey, Junge!"

Claude wurde roh am Arm gepackt und geschüttelt.

"Wach endlich auf."

Der Dieb schlug die Augen auf und blinzelte. Er erkannte fast nichts, nur den Umriss einer über ihn gebeugten Gestalt.

"Was ist passiert?"

"Endlich wach, Bübchen? Das wurde aber auch Zeit."

Claude versuchte, sich aufzusetzen, schaffte es aber nicht sehr weit..

"Warte, ich helf' dir hoch.", sagte jemand neben ihm.

Arme griffen ihm unter die Schultern und er wurde hochgezogen.

"Okay, sitzen kannst du ja wohl selber."

Neben der Gestalt vor ihm nahm eine zweite Platz. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an das fahle Licht und er stellte fest, dass zwei zerlumpte Männer vor ihm saßen.

"Wo bin ich hier?", fragte Claude.

"In einer Gefängniszelle in der 'Tonne'."

"Was?!"

Claude wäre fast aufgesprungen, doch sein brummender Schädel hielt ihn davon ab. Wenn er in der Tonne war, konnte er sein Testament machen. Die Tonne war das zweite städtische Gefängnis, reserviert für Mörder und sonstige Schwerverbrecher. Es lag einige Straßen vom Rathaus entfernt und war ein rundes Gebäude aus festem Stein, ähnlich einem Weinfass. Moment mal, er ein Schwerverbrecher?

'Ach ja richtig, du bist ja ins Rathaus eingestiegen und wurdest erwischt.'

"Wieso bist du hier?"

Der junge Mann rieb sich den Kopf.

"Hab' wo eingebrochen."

"Ah ja."

"Hör mal Jungchen!", meinte der andere Kerl, "Für einen einfachen Einbruch kommt man nicht in die Tonne. Da muss mehr dahinter stecken."

Die beiden Häftlinge rückten ihm auf die Pelle. Claude roch ihren fauligen Atem und schob sein Gesicht auf die andere Seite.

"Im... Rathaus. So ein schleimiger Obermotz hat mich erwischt.", sagte er.

Die zwei Männer sahen sich an, aber ob sie bei der Dunkelheit viel erkennen konnten, war fraglich.

"Oha. Und der alte Phil hat dich erwischt? Du tust mir echt leid, Junge!"

"Danke. Wer ist Phil?"

"Na, der Stadthalter. Groß, fett, graue Haare, Fleischlappen, die ihm vom Gesicht und vom Kinn hängen."

"Ja."

"Tja. Tut mir ja leid, Junge, aber die Tonne wirst du vermutlich nicht mehr lebend verlassen."

"Eh? Aber ich krieg' doch ein Gerichtsverfahren? Oder etwa nicht?"

"Im normalen Gefängnis ja. In der Tonne ..."

Der Satz blieb unvollendet. Claude wollte auch gar nicht wissen, wie es zu Ende ging. Dass der Stadthalter, Phil, ein gemeiner Kerl war, wusste jeder in Japetown. Aber dass er Kriminelle einfach so ohne Gerichtsverhandlung einsperren, womöglich sogar unter die Guillotine schaffen würde, sprengte alle Grenzen.
 

* * *
 

Am nächsten Tag, vormittags:

Finja stand hinter dem Verkaufsstand ihrer Mutter. Das Fieber war soweit auskuriert, dass sie wieder raus gehen konnte, aber ihre Mutter hatte sie dazu angehalten, heimzugehen, sollte es wieder schlimmer werden.. Momentan war nicht viel los in dieser Ecke des Marktes. Das Mädchen schaute zu den anderen Verkaufsständen hinüber, wo sich einige potentielle Kunden aufhielten.

'Wie öde.'

"Finja?"

Die Angesprochene riss den Kopf herum und sah zuerst niemanden. Als sie sich dann über die Töpfe und Pfannen beugte, entdeckte sie Lina zusammen mit einem weiteren Jungen. Die beiden hatten einen seltsamen Gesichtsausdruck.

"Nanu? Was macht ihr zwei denn hier?"

"Wir... suchen Claude. Hast du ihn zufällig gesehen?"

"Nein, wieso?"

Lina wusste nicht, wie viel sie Finja sagen sollte. Nach einigem Zögern erklärte sie:

"Er ist letzte Nacht nicht heim gekommen."

"Heim wovon?"

"Na ja. Er war in der Stadt unterwegs. Andy und ich sind ihm gefolgt, aber er hat uns leider abgehängt. Eigentlich dachten wir, er würde zu dir gehen."

"Zu mir? Nein, ich war gestern krank. Claude kam auch nicht bei mir zu Hause vorbei."

"Wo könnte er sonst sein?", fragte Andy allgemein.

"Weiß nicht. Seid ihr denn sicher, dass er nicht zu Hause ist? Vielleicht hat er nur in einem anderen Zimmer geschlafen, weil er euch nicht wecken wollte."

"Ha, so rücksichtsvoll ist er eigentlich nie.", bemerkte Lina.

Es war wohl so, Claude war verschwunden. Die Kinder baten Finja, ihnen Bescheid zu sagen, falls ihr was zu Ohren kam. Danach machten sie sich auf den Rückweg.
 

* * *
 

Am selben Tag, nachmittags:

Finja war ganz außer Atem, als sie beim Waisenhaus ankam. Sie sah sich um. Einige Kinder spielten vor dem Gebäude, aber Lina oder Andy waren nicht darunter. Trotz allem ging Marie's Tochter hinüber.

"Hallo!", sprach sie eines der Kinder an, "Kannst du mir sagen, wo ich Lina finden kann?"

"Müsste drinnen im Haus sein."

Der Junge beachtete sie nicht weiter, sondern warf einen gefüllten Sack seinem Spielkameraden zu. Finja ging ins Haus. Niemand war zu sehen.

"Hallo? Lina? Bist du da?", rief sie.

Aus dem Raum rechts ertönte ein Trampeln und eine alte Frau schob ihren Kopf durch die Tür.

"Was ist denn das hier für ein Radau?", fragte sie und kam dann ganz zum Vorschein.

"Entschuldigen Sie bitte vielmals, ich ..."

"Finja!!"

Lina flitzte die Treppe herunter und zerrte die Besucherin mit sich. Die beiden Mädchen gingen auf den Hinterhof.

"Lina, wie gut, dass ich dich endlich finde. Ich fürchte, wir haben ein Problem."

"Eh? Was denn für eines?"

Wortlos gab Finja ihr ein Blatt Papier. Darauf stand in großen Lettern 'Öffentliche Hinrichtung', angekündigt für die Mittagsstunde am nächsten Tag. Darunter war mit ungeschickten Fingern die grobe Skizze eines jungen Mannes gezeichnet. Lina kannte ihn nur allzu gut.

"Das ist ja Claude!!", rief sie aus, "Wo hast du das her?!"

"Die Zettel haben Wachen gerade vorhin am Markt aufgehängt. Als ich es gesehen habe, hab' ich sofort eines heruntergerissen und bin hergekommen."

"Und was machen wir jetzt?"

"Wie bitte? Was willst du denn groß machen? Claude wurde zum Tode verurteilt! Weil er im Rathaus eingebrochen hat!"

"Also doch!"

"Hä?"

Lina ordnete ihre Gedanken und erzählte:

"Andy und ich haben ihn doch gestern verfolgt. Anfangs dachten wir, er will dich auf dem Markt besuchen. Aber es war nur deine Mutter da. Wir haben Claude dann aber wieder gefunden und er ist schnurstracks Richtung Verwaltungsviertel gelaufen."

"Wie bitte?! Wieso habt ihr ihn nicht aufgehalten?"

"Na ja, wir sind ihm nachgelaufen. Aber er hat uns abgehängt."

Die beiden Frauen sahen sich betreten an. Letztendlich gab es keinen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation. Lina war nur ein Waisenkind. Selbst wenn sie Henry aufklärte, der konnte nichts unternehmen. Und Finja war nur ein einfaches Mädchen, welches ihrer Mutter zur Hand ging und auf dem Markt Töpfe und Pfannen verkaufte. Nein, sie hatten beide keine Möglichkeit, Claude da herauszuholen.
 

* * *
 

Am nächsten Tag, kurz vor Mittag:

Lina und Andy hatten sich mit Finja und deren Mutter getroffen. Gesprochen wurde nicht viel, als die vier zusammen zum Ort der öffentlichen Hinrichtung gingen, der Platz vor der Kaserne. Als die Gruppe am Zielort ankam, wimmelte es dort bereits von Schaulustigen. Die vier bahnten sich einen Weg durch die Menge, um bessern sehen zu können. Es war jetzt eine viertel Stunde vor Mittag. Unruhig sahen sie sich um. In der Mitte des Platzes war ein hohes Podest aufgebaut, darauf stand die Guillotine. Der Henker war ebenfalls bereits anwesend, verkleidet mit einem schwarzen Umhang. Außerdem hatte er sich eine schwarze Maske über den Kopf gezogen, so dass er von den Bürgern nicht erkannt wurde.

"Kinder, meint ihr wirklich, dass ihr das sehen wollt?", fragte Marie.

Lina und Andy sagten nichts. Das Mädchen war erst sieben Jahre alt und Andy ein Jahr älter. In einem solchen Alter wohnte man eigentlich nicht einer Hinrichtung bei, aber die Kinder ließen sich nicht davon abhalten.

"Jetzt könnt ihr noch verschwinden.", pflichtete Finja ihrer Mutter bei.

Lina schüttelte nur den Kopf und sah wieder nach vorne. Viel konnte sie eh nicht sehen, denn Erwachsene, die vor ihr standen, versperrten die Sicht. Vielleicht war das auch ganz gut so. Langsam wurden die Schaulustigen unruhig.

"Was ist da los?", fragte Andy, der ebenfalls nicht viel sehen konnte.

"Weiß nicht. Bisher tut sich nicht viel."

"Hä? Aber wir warten doch schon ziemlich lange?"

"Vielleicht gab es einen Zwischenfall?", überlegte Marie.

"Wie meinst du das?", fragte Finja.

"Na ja..."

"Du meinst, vielleicht wurden sie aufgehalten?"

"Gut möglich.", gab Andy zu Bedenken.

"Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Ihr alle kennt doch unseren Stadthalter..."

"Ja..."

Phil war nicht dafür bekannt, halbe Sachen zu machen. Also wieso sollte es jetzt so sein? Die Menschen warteten weiter und wurden immer ungeduldiger.

"Ich dachte, hier findet heute eine Hinrichtung statt?!", rief jemand auf das Podest hinauf.

Der Henker zuckte nur mit den Schultern und fuhr fort, das Fallbeil zu schleifen. Kurze Zeit später kam ein Wachtrupp daher und schob die Menge vor dem Podest zurück. Einer von ihnen, er sah aus wie ein Offizier, stieg die Stufen zum Podest hinauf und wandte sich an die Bürger.

"Hier wird heute keine Hinrichtung stattfinden.", erklärte er lapidar und verschwand wieder.

Finja und die anderen warfen sich viel sagende Blicke zu.
 

* * *
 

Am Abend:

Finja und Marie hatten die Kinder erst einmal mit zu sich genommen. Marie war dann wieder auf den Markt zu ihrem Stand gegangen und hatte die drei sich selbst überlassen. Den ganzen Tag über hatten sie gerätselt, was es mit der geplatzten Hinrichtung auf sich haben könnte, doch zu einem zufrieden stellenden Ergebnis waren sie nicht gelangt. Später, als es langsam Abend wurde, war Marie zurückgekehrt und sie und Finja machten sich daran, das Abendessen zuzubereiten. Lina und Andy hatten schweigend ihre Teller geleert und danach beim Abwasch geholfen. Jetzt saßen sie zu viert am Küchentisch.

"Also ich glaube ja, dass das ein Missverständnis war.", meinte Andy.

"Kann ich mir nicht vorstellen.", antwortete Lina, "Der Stadthalter macht immer das, was er für richtig hält. Selbst wenn Claude wirklich unschuldig ist, Phil wird ihn wohl nicht so einfach laufen lassen."

"So traurig das klingt, aber ich muss Lina Recht geben. Selbst wenn es nur dazu dienen sollte, ein Exempel zu statuieren.", meinte Finja.

"Nur was können wir tun?"

"Gar nichts.", sagte Marie, "Was wollt ihr denn bitte gegen Phil, geschweige denn gegen die vielen Wachtrupps unternehmen?"

"Hm. Wenn Claude wirklich zum Tode verurteilt wurde, wird er wohl in der Tonne sitzen?"

Alle schauten Andy an, als er diese Überlegung aussprach. Darüber hatten sie noch gar nicht nachgedacht, aber vermutlich hatte der Junge Recht. Jeder zum Tode verurteilte Kriminelle wurde in der Tonne festgehalten, dem Gefängnis für die ganz Üblen.

"Na ja vermutlich liegst du richtig.", gab Finja zu, "Aber wir können ihn da nicht herausholen. Niemand kann das, außer Phil begnadigt ihn."

Ein kollektives Seufzten erfüllte den Raum.

"Na, ich bring euch zwei lieber mal nach Hause.", meinte Finja dann und stand auf.

Lina und Andy standen ebenfalls auf und verabschiedeten sich von Marie. Sie versprachen, sofort Bescheid zu sagen, sollten sie etwas aufschnappen und folgten Finja in die Nacht hinaus.
 

* * *
 

Am nächsten Tag, frühmorgens:

Finja hatte die Kinder am Abend zuvor direkt bei Henry abgeliefert. Der war natürlich mehr als außer sich vor Wut und Finja war schnell wieder gegangen. Momentan lag sie wach in ihrem Bett im Obergeschoss und starrte an die Decke. Sie hatte die ganze Nacht über schlecht geschlafen und beschloss, jetzt einfach auf den Morgen zu warten. Claude, was war nur aus ihm geworden? Der Halbmond lugte hinter einer Wolke hervor und schien in ihr Zimmer. Sie drehte sich auf die Seite und schaute aus dem Fenster. Eine lange Freundschaft war das zwischen ihnen nicht gerade gewesen. Finja hatte Claude von Anfang an etwas seltsam gefunden, aber dass er ein Dieb war, hätte sie sich nicht träumen lassen. Eigentlich gar nicht so unverständlich, wenn man seine Lebensverhältnisse bedachte. Sie seufzte und rollte sich dann auf die andere Seite. Tränen trübten mittlerweile ihren Blick. Sie hatte ihn recht gern gehabt, auch wenn sie sich kaum kannten.

"Doing."

Etwas klopfte an die Fensterscheibe. Finja ignorierte das Geräusch und versuchte, doch noch ein wenig Schlaf zu finden.

"Doing."

Da war es schon wieder. Ein Geräusch, als ob etwas Kleines gegen die Fensterscheibe geworfen wird. Sie setzte sich auf und überlegte, was es sein könnte. Mitten in der Nacht.

"Doing."

'Na, warte, dir werd' ich helfen.', dachte sie und stand auf.

Finja ging zum Fenster hinüber und sah hinaus. Der Mond war wieder hinter Wolken verschwunden, weshalb sie in der Straße unten kaum etwas erkennen konnten. Nur wage Schemen, die auch eine Folge ihrer Müdigkeit sein konnten. Ein viertes Objekt flog gegen die Scheibe und Finja entschied, dass das kein Zufall sein konnte. Sie öffnete das Fenster und spähte hinaus.

"Finja?", flüsterte unten jemand ganz leise.

"Wer ist da?", fragte sie.

"Kannst du bitte mal runterkommen?"

"Hä?"

Der Schemen bewegte sich auf das Haus zu und war nicht mehr zu sehen.

"Hallo?", fragte das Mädchen nach, doch niemand antwortete.

'Was ist das nur wieder für ein Räuber?', dachte sie sich.

Finja schloss das Fenster wieder und schlich ins Erdgeschoss hinunter. Sollte sie wirklich einem Fremden die Tür öffnen? Aber neugierig war sie ja, wie jedes Mädchen und die Stimme kam ihr wage bekannt vor. Sie ging zuerst in die Küche und holte sich ein Nudelholz, damit sie wenigstens bewaffnet war, sollte es gefährlich werden. Danach schlich sie zur Tür und öffnete diese vorsichtig einen Spalt breit. Nichts war zu sehen.

"Finja?"

"Wer bitte ist denn da?", fragte sie.

"Ich bin's."

Eine Gestalt trat in ihr Blickfeld und das Mädchen schrak zurück. Sie war groß und von einem Cape umhüllt.

"Ich hab' nicht lange Zeit."

"Claude?", fragte Finja vorsichtig.

Hände zogen die Kapuze zurück. Tatsächlich, da war er. Claude.

"Claude! Was machst du denn hier?"

Finja ließ das Nudelholz fallen und riss die Tür ganz auf.

"Psst! Nicht so laut, sonst findet man mich noch."

Das Mädchen tat einen Schritt nach draußen und traute ihren Augen immer noch nicht.

"Wie ist das möglich?", fragte sie etwas leiser.

"Ich..."

Der junge Mann machte einen betretenen Eindruck.

"Ich... hab' dich angelogen. Was meine Tätigkeit betrifft, ich..."

Finja schüttelte den Kopf und ergriff seine Hand, drückte sie sanft.

"Du musst dich für gar nichts entschuldigen. Wie konntest du entkommen?"

"Das kann ich dir nicht sagen, zu deinem eigenen Schutz. Nur so viel, ich... hatte Hilfe. Und ich muss von hier weggehen."

"Was? Aber wo willst du denn hin?"

"Einfach nur weg aus Japetown. Finja, das verstehst du doch sicher. Ich... Für mich ist es hier einfach nicht mehr sicher... Das was ich getan habe..."

Das Mädchen schüttelte den Kopf und Claude brach ab.

"Du musst mir nichts erklären.", meinte sie sanft, "Ich..."

Sie sah traurig auf den Boden. Claude wusste auch so, was ihr auf dem Herzen lag.

"Ich weiß nicht, ob ich irgendwann wieder kommen werde. Aber ich schicke dir in jedem Fall eine Nachricht, sobald ich etwas habe. ... Und sobald sich die Wogen geglättet haben."

"Das kannst du nicht machen.", fauchte Finja.

"Warum? Ich... Kümmere dich bitte um Lina, tust du mir den Gefallen?"

"Aber du kannst nicht einfach weggehen! Sie werden enttäuscht sein."

"Finja, bitte. Dafür... Ich weiß, was du sagen möchtest, aber es geht nicht. Wenn man mich findet, bin ich dran und ein zweites Mal kann ich nicht entkommen."

"Ich weiß... Ich... könnte mit dir mitkommen.", sagte Finja leise.

Claude stutzte und sah sie an. Das konnte sie doch wohl nicht ernst meinen.

"Das... geht leider nicht. Ich kann dich da nicht mit hineinziehen."

"Warum nicht?"

"Weil es zu gefährlich ist. Die... Leute, die mir geholfen haben, verstehen keinen Spaß. Außerdem würde sich deine Mutter furchtbar um dich sorgen, versteh das doch bitte."

"Aber..."

"Nein!"

Der Dieb hob die Hand und legte sie auf Finja's rechte Backe. Sanft strich er darüber und zog die Hand dann wieder weg.

"Versprich mir, dass du dich um Lina kümmerst. Versprich mir das!"

Claude drehte sich um und lief in die Nacht hinaus. Finja sah ihm nach, dem Jungen, mit dem sie sich das erste Mal getroffen hatte. Es sollten Jahre vergehen, ehe sie ihm wieder über den Weg lief.
 

~ FIN ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Archimedes
2009-02-15T10:08:49+00:00 15.02.2009 11:08
Guten Morgen,

jetzt endlich bekommst du deinen verdienten Kommentar. Es tut mir Leid, dass du so lange darauf warten musstest, aber ich war gesundheitlich angeschlagen und hatte Zwischenprüung in der Uni. Daher die Verspätung.

Wie ich bereits im Thread geschrieben hatte, hast du meinen Geschmack thematisch gut getroffen. Früher und auch heute noch bin ich begeisterter Fan von "Oliver Twist", und von daher war das gewählte Setting richtig toll. Auch die Länge des Textes ist beeindruckend. Viele schreiben ja nur sehr kurz, daher war ich im ersten Moment sogar richtig geschockt (im positiven Sinn ^^). Auch warst du sehr sorgfältig was Rechtschreibung und Grammatik angeht. Du hast dir also viel Mühe gegeben. Und das honoriere ich sehr. (:

Kommen wir zum Stil:
Stilistisch ist die Geschichte schön zu lesen, zu hast sehr viele, sehr schöne Beschreibungen verwendet, gerade wenn du detailliert die Umgebung (Markt, Haus, in das Claude einbricht usw.) beschreibst, in der sich Claude und die anderen bewegen.
Ich fand es daher etwas schade, dass du die Figuren selbst nur wenig oder gar nicht beschrieben hast (Aussehen, Vergangenheit der Kinder usw.), weil du ja zeigst, dass dus eigentlich könntest. Ich konnte mir daher nur sehr schlecht ein Bild von ihnen machen, gerade weil es sehr viele Figuren waren und man sie dadurch nur schwer unterscheiden konnte. Sie hatten nichts Individuelles an sich, was sie einmalig macht und ihnen Wiedererkennungswert gibt. Dasselbe gilt für die Stadt, in der die Geschichte spielt.
Du bist sehr detailliert bei Einzelheiten, aber hast dabei vergessen den Rahmen, das Grobe, auszugestalten. Ich hoffe, du weißt, was ich meine (:

Inhalt:
Beim Inhalt gilt im Prinzip dasselbe wie beim Stil. Du verlierst dich in Einzelheiten, die für den Kern der Handlung nicht nötig sind. Ich muss gestehen, ich weiß immer noch nicht so genau, was du aussagen wolltest und was der Kern der Geschichte eigentlich war. Ó_Ò Es ist keinesfalls böse gemeint, wirklich nicht, aber ich hab mich das halt gefragt.

Ansonsten war ich glücklich mit der Story, vor allem weil du dir Mühe gegeben zu haben scheinst. ^_^
Daher nochmals vielen Dank!

Liebe Grüße,
Andrea


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