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Engelstränen

Martin x Taro
von

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Drei Worte

Hi!

Ich weiß, es ist lange her. Mit dem Kapitel hab ich mich etwas gequält. Es mehrfach umgeschrieben, überlegt, es noch zu kürzen. Es letztendlich aber gelassen. Jetzt ist es allein ein Viertel der ganzen Geschichte. Aber: Ich bin größtenteils zufrieden!
 

Ich hoffe, es gefällt euch auch!
 

LG Zyra
 

Drei Worte
 

Die Umsetzung von Taros Plan hatte sich als simple erwiesen. Ich hatte ihn niemals zuvor so geküsst, wie in dem Moment. Vielleicht lag es an den Gefühlen, die ich inzwischen für mein kleines Engelchen hegte. Früher war es nur Spaß gewesen. Ich hatte die Leute auf möglichst spektakuläre Art und Weise verarschen wollen. Nun allerdings wollte ich ihn fühlen und ihm zumindest durch meine Küsse zeigen, wie sehr ich ihn liebte.
 

Der Perfektionismus hingegen, mit dem wir die Scheinbeziehungen planten und vorbereiteten, hatte sich nicht verändert. Wir hatten rumgeknutscht - was jeden Morgen mit dem gleichen Ergebnis endete -, die entscheidenden Szenen unseres Plans immer wieder geprobt - wobei es genau wie früher zu etlichen kaum enden wollenden Laufkrämpfen gekommen war - und hatten in der Schule schon einige Grundlagen gelegt, wie zum Beispiel eifersüchtige Blicke, wenn der jeweils andere in Flirts oder viel Aufmerksamkeit fordernde Gespräche mit Mitschülern verwickelt wurde.
 

Inzwischen war es Ende November und unsere Vorbereitung war abgeschlossen. In den nächsten Tagen würden wir wohl zur Tat schreiten. Im Moment stand allerdings erst mal ein Staffellauf auf dem Plan. Wohl gemerkt draußen. Mit unseren kurzen, von der Schule vorgeschriebenen Klamotten. Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Ja, unser Sportlehrer hatte definitiv einen an der Klatsche.
 

Unsere Klasse war nicht die einzige, die sich im Laufe der letzten Jahre über den Kerl mehrfach beschwert hatte, aber irgendwie hatte er sich immer wieder aus der Sache heraus gewunden. Doch irgendwann würde meine Stunde schlagen, und ich würde den Idioten zum Mond und wieder zurück klagen.
 

Im Moment konnte ich leider nicht mehr tun, als versuchen mich warm zu halten, während ich darauf wartete, dass der Stab an mich übergeben wurde. Taro, auf der Band neben mir, tat es mir gleich. Wir waren beide Schlussläufer. Taro zu schlagen war nahezu unmöglich. Er war schon immer der Schnellste gewesen. Bei einer Staffel hatte ich allerdings mit etwas Hilfe der anderen Jungs unserer Klasse eine Chance.
 

Heute könnte ich möglicherweise gewinnen. Als ich den Stab übernahm, hatten die anderen auf Taros Gruppe einen recht passablen Vorsprung rausgelaufen. Sicher im Ziel war der aber noch lange nicht. Also gab ich richtig Gas. Holte alles aus meinem Körper heraus. Das würde verdammt knapp werden.
 

Gute 250 Meter lang hörte ich nur das Rascheln meines Atems und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Doch dann durchbrach ein Schmerzensschrei die kalte Stille. Er veranlasste mich zu einer ziemlich ruckartigen Wende. Das war Taro gewesen.
 

Noch während ich die Meter zurücklief, die er Rückstand gehabt hatte, erkannte ich das Blut an seinen Beinen und Armen. Schwer atmend ließ ich mich neben ihm auf die Laufbahn sinken. Ohne nach dem Wie zu fragen, begutachtete ich mit rasendem Herzen die Wunden. Hoffentlich war es nicht allzu schlimm. Panik drohte mich zu erfassen, als ich die großflächigen, recht tiefen Schürfwunden sah. Eine an der Außenseite des linken Oberschenkels, eine an der Innenseite des rechten Unterschenkels, und den linken Unterarm hatte er sich auch etwas aufgeschrammt.
 

„Ist nicht so schlimm!“, versuchte Taro mich zu beruhigen, als er meinen panisch-besorgten Blick bemerkte. „Sind nur ein paar Kratzer!“
 

Ich schnaubte verächtlich. Sein leicht schmerzverzerrtes Gesicht sprach eine andere Sprache. Dennoch enthielt ich mich jeden weiteren Kommentars. Ich wusste, dass er, um mich zu beruhigen, noch ganz andere Dinge mit seinem verletzten Körper anstellen würde.
 

„Ich helf dir hoch!“, sagte ich stattdessen, immer noch reichlich besorgt. „Nicht dass du wohl möglich noch krank wirst!“
 

Taro biss tapfer die Zähne zusammen, während ich ihn mehr oder weniger alleine wieder auf seine geschundenen Beine stellte. Die Wunden brannten wahrscheinlich wie Hölle. Trotzdem versuchte er eigenständig zu stehen. Aber ohne mich. Das würde ich nicht zulassen. Ich wollte ihn gerade zurechtweisen, damit er sich bloß nicht übernahm, als endlich unser Sportlehrer bei uns ankam.
 

„Heiji, ich weiß ja, dass du eine Abneigung gegen Litaro hegst, aber damit bist du zu weit gegangen!“, bellte er wütend. „Geh dich umziehen und melde dich beim Direktor!“
 

Erst jetzt bemerkte ich, dass unser Klassenfeind Numero uno ziemlich genau an der Stelle stand, wo Taro wohl ins Stolpern geraten war. Verdammtes Arschloch! Mit einem selbstzufriedenen Grinsen spazierte er arrogant in Richtung Umkleidekabine davon. Ich warf ihm einen hasserfüllten Blick hinterher. Das würde der Scheißer noch bereuen.
 

„Litaro kannst du einigermaßen laufen?“, wendete sich unser Sportlehrer nun an Taro.
 

„Ja, geht schon!“, bestätigte er derart kräftig, dass es schon fast unangebracht war.
 

„Okay“, erklärte der Sklaventreiber, „Nozomi, du bringst ihn ins Krankenzimmer und kommst danach sofort zurück. Du läufst als letzte.“
 

„Aber ...“, setzte ich schon zum Protestieren an, als er mich unterbrach: „Du holst eure Sachen und gehst dann auch ins Krankenzimmer. Wenn nötig begleitest du Litaro nachher noch zum Arzt, ansonsten bringst du ihn nach Hause!“
 

Ich warf einen Blick auf Taro, der leicht gestützt von Nono, in Richtung Arztzimmer humpelte, dann stimmte ich zu und stürmte zur Sporthalle hinüber. Die Türen knallten hinter mir ins Schloss, meine Schuhe quietschen auf dem Boden und hinterließen wohl auch hier und da ein paar schwarzen Spuren, aber das war mir reichlich egal.
 

In der Umkleide angekommen schubste ich Heiji, der gerade gemächlich seine Duschsachen zusammensammelte, unsanft aus dem Weg und begann irgendwie unsere Klamotten und Schuhe in unsere Sporttaschen zu stopfen. Ich konnte mich auch noch umziehen, wenn ich bei Taro war.
 

„War gar nich schwer, Tarimo ‘n Bein zu stelln!“, kam es plötzlich überheblich von Heiji. „Und weißt du warum?“
 

Ich musste mich zwingen, nicht aggressiv zu werden. Dieser Parasit würde dafür noch bluten. Aber nicht jetzt. Meine Rache würde ganz bestimmt nicht erahnen lassen, dass es hierum ging. Erst mal würde er vom Direx eine saftige Strafe aufgebrummt bekommen, und später würde er das Opfer eines Streichs werden, der sich gewaschen hatte.
 

„Er hat dir die ganze Zeit auf den Arsch gestarrt, war wirklich nen Kinderspiel“, stichelte er weiter.
 

Ich hielt überrascht in der Bewegung inne. Er hatte was? Klar, ohne Frage, mein Arsch war Anstarrens würdig! Aber warum sollte Taro ...? Das machte doch keinen Sinn. Außer natürlich für die Scheinbeziehung, doch ... wie wahrscheinlich war es schon, dass jemand das mitbekam?
 

„Da bisde erstaunt, was? Hättste nich gedacht, dass der Kerl um dessn Freundschaft du dich so bemühst, ne scheiß Schwuchtel ist, was?“ Heiji brach in verächtliches Gelächter.
 

Noch ein Punkt mehr, für den er später bezahlen würde. Niemand beleidigte meinen besten Freund. Aber jetzt musste ich erst mal zu Taro. Mit zwei Schul- und Sporttaschen beladen eilte ich los, rammte eine davon noch irgendwie Heiji in den Magen, der fluchend zurückblieb.
 

Auf dem Weg zum Krankenzimmer dachte ich über seine Worte nach. Vielleicht hatte Taro gewusst, dass es dem Scheißer auffallen würde, und hatte sich deshalb spontan dafür entschieden, schließlich verbreite der nur allzu gern solchen Klatsch und Tratsch. Oder Heiji hatte einfach sein Wissen von unseren früheren „Beziehungen“ genutzt, um mich zu verunsichern.
 

Ich seufzte. Am besten fragte ich Taro gleich einfach, was passiert war. Das es auch noch eine dritte Möglichkeit gab, ließ ich beflissen außer Acht. Ich wollte mir keine unnötigen Hoffnungen machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er wirklich auf mich stand, war so dermaßen gering.
 


 

„Ich mach, was zu essen.“
 

Ehe ich auch nur „piep“ sagen konnte, humpelte Taro schon den schmalen Flur in Richtung Küche davon. Die Schulkrankenschwester hatte die Wunden gesäubert, eine heilende Salbe aufgetragen und dann sowohl Beine als auch Arm bandagiert, für Pflaster waren die Verletzungen zu großflächig. Taro war während der Behandlung mehrere Male weggenickt. Hatte alles kommentarlos und ohne Laute des Schmerzes über sich ergehen lassen.
 

Als wir dann endlich gehen konnten, war er aber wieder so hellwach gewesen, dass er sich, zwar nur im übertragenem Sinne, mit Händen und Füßen gegen das von mir bestellte Taxi gewehrt hatte. Ich übertriebe maßlos und wegen der paar Kratzer sollte ich bloß nicht so einen Aufstand machen. Er hatte sich auf stur gestellt und am Ende waren wir dann tatsächlich nach Hause gelaufen. Wir hatten beide unsere Trümpfe in Diskussionen mit dem jeweils anderen. In dieser Situation waren die seinen höher gewesen.
 

Jetzt würde ich definitiv nicht meine Zeit mit irgendwelchen Argumenten vergeuden, sondern einfach handeln. Kurz entschlossen ließ ich unsere Taschen mitten im Eingangsbereich fallen. Das Poltern, als sich irgendetwas umwarfen ignorierte ich. Ohne mich mein Freund, dachte ich grimmig, du holst erst mal ein bisschen Schlaf nach.
 

Mit diesen Vorsatz stiefelte ich ihm hinterher, schlang von hinten meine Arme um seine Hüfte, hob ihn ein Stückchen hoch und verfrachtete ihn, unter lautstarken Protesten, ins Schlafzimmer.
 

„Was soll der Mist?“, fragte er missmutig, ließ sich aber so auf dem Bett absetzen.
 

„Erstens ist es gerade mal halb zwölf, und zweitens war deine Müdigkeit bestimmt nicht ganz unschuldig an dem Sturz. Also kannst du dich ruhig noch ein Weilchen hinlegen.“
 

Das stimmte ihn milde. „Okay. Meinetwegen.“ Zwar etwas widerwillig, stimmte er zu, schlüpfte aus der Schuluniform und machte es sich im Bett gemütlich. Na also, geht doch!
 

„Ich leiste dir Gesellschaft.“ Ich schnappte mir mein Chemiebuch, ließ mich auf meinem Bett nieder und stopfte mir mehrere Kissen in den Rücken, damit es nicht an Bequemlichkeit mangelte.
 

„Zu freundlich“, brummelte Taro wenig begeistert. „Bleib mir bloß mit dem Buch vom Leib.“
 

Ich lachte nur leise in mich hinein. Es war wohl nicht der rechte Zeitpunkt ihm zu sagen, dass die Chemieklausur noch vor den Weihnachtsferien anstand. Damit konnte ich ihm auch noch später die Laune vermiesen. Jetzt sollte er erst mal schlafen, und ich täte gut daran endlich die letzten 45 Seiten des Buches zu lesen. Ich war so oder so schon ein bisschen mit der Zeit im Rückstand.
 

Gerade mal sechs Seiten schaffte ich, bis meine Gedanken begannen abzuschweifen. Heijis Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, und die Hoffnung, dass es doch mehr zu bedeuten hatte, fand immer mehr Nährboden, in dem sie ihre Wurzeln schlagen konnte.
 

Dabei war es so unrealistisch. Die Vorstellung war geradezu lächerlich, dass Taro schwul war und auch noch auf mich stand. Da war die Wahrscheinlichkeit im Lotto zu gewinnen ja größer. Dennoch konnte ich nicht anders. Es gab nichts, was ich mir mehr wünschte als das.
 

Ich brauchte ihn. Und würde alles, was ich hatte, für ihn geben. Natürlich wäre es mir lieber, zu versuchen, etwas von dem, was ich hatte, ihm zu geben. Egal, was ich ihm schenkte, bei ihm wäre es gut aufgehoben ... wenn ich ihn denn erst mal davon überzeugt hatte, es anzunehmen. Er konnte so verdammt stur und störrisch sein.
 

Seufzend starrte ich weiterhin auf die Seite im Buch. Er war das Beste, was mir in meinem Leben je passiert war. Und auch wenn es schwer fiel, sollte ich mich wohl schon mal mit dem Gedanken anfreunden, nie mehr als „nur“ sein bester Freund zu sein. Ich wollte ihn ganz und gar und würde ihm mit dem größten Vergnügen, alles geben, was er brauchte, doch was nicht drin war, war nicht drin.
 

„Du bist verliebt!“ Es fehlte nicht viel, und ich wäre vor Schreck beinahe seitwärts aus dem Bett gesprungen. Und hätte mich dabei ohne Frage auf die Fresse gelegt. Automatisch blickte ich in Richtung Taro und sah mich plötzlich mit musternden, intensivgrünen Augen konfrontiert. Ihr Ausdruck war kaum zu deuten, was vermutlich auch daran lag, dass es in meinem Kopf drunter und drüber ging.
 

„Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass mir das nicht auffallen würde, nachdem du mir erzählt hast, wer du bist.“
 

Ich starrte ihn immer noch fassungslos an. Nur langsam verarbeitete mein Gehirn die Informationen. Dementsprechend dauerte es einen Moment bis mir klar wurde, dass ich darüber gar nicht nachgedacht hatte. Vielleicht hätte ich es tun sollen.
 

Auf jeden Fall war das hier ein verdammtes Déjà-vu. Wieder war ich in Erklärungsnot, wieder wusste ich keine Antwort, wieder wollte ich ihn unter keinen Umständen verletzen.
 

Der traurige Ausdruck, den ich langsam aber sicher in seinen Augen erkannte, zeigte, dass ich abermals versagt hatte. Dass er jetzt auch noch auf der Unterlippe herumkaute, ein Zeichen von leichter Unentschlossenheit, machte es noch schlimmer.
 

Plötzlich wirkte sein schmaler, zusammengerollter Körper unter der dicken Winterdecke wieder ungemein verletzlich. Etwas was Taro normalerweise so überhaupt nicht war. Nur ich hatte es auf grandiose Weise mal wieder so weit gebracht.
 

„Warum hast du mir nichts erzählt?“, fragte er nach einiger Grübelei.
 

„Ich ...“, begann ich, doch im selben Moment wurde mir klar, dass ich nicht formulieren konnte, was ich fühlte. Ich war darin schon immer schlecht gewesen. Und wenn ich ehrlich war, fiel es mir selbst dann schwer, wenn ich wusste, was ich sagen wollte. Dabei fühlte ich mich alles andere als wohl.
 

„Ist schon okay. Ich hab es dir ja auch nicht gesagt. Deshalb sind wir uns, wenn überhaupt beide Rechenschaft schuldig.“ Während er sich aufsetzte, schüttelte er lächelnd den Kopf. „Ich hab zum ersten Mal gemerkt, wie schwer es sein kann, jemandem seine Gefühle zu gestehen.“
 

Inzwischen lief mein Gehirn wieder auf Hochtouren, und das sogar größtenteils geordnet. Seine Worte versetzten mir einen schmerzhaften Stich. Ich hatte nicht damit gerechnet, und der Gedanke, dass ich sein Herz an jemand anders verloren hatte, tat mehr weh als erwartet. Trotzdem war ich irgendwie auch froh; es zeigte mir, dass ich ihn nicht zerstört hatte.
 

„Kennst du das Lied 'Hello' von 4Lyn?“, fragte Taro mich plötzlich, ich konnte seinem Gedankengang nicht folgen.
 

„Hab's irgendwo schon mal gehört“, murmelte ich und versuchte ihn zu verstehen. In Wirklichkeit kam mir das Lied beinahe aus den Ohren wieder heraus. Es war eines der Stücke, dass Taro in den letzten Wochen rauf und runter gehört hatte. Am Ende hätte ich den CD-Player am liebsten in seine Einzelteile zerlegt.
 

„Im Refrain heißt es:
 

Love starts with a smile

and grows with a kiss

it always ends up in tears

and someone to miss
 

Ich hab in der letzten Zeit viel darüber nachgedacht, und ich glaube, es stimmt.“
 

Ich blinzelte überrascht. Die ersten beiden Aussagen, gut, da konnte ich mir wirklich vorstellen, dass sie Taro zusagten, aber die letzten? Kaum denkbar. Obwohl Taro einige wirklich unschöne Erfahrungen gemacht hatte, war ihm sein Glauben an die Liebe nie verloren gegangen. Woher kamen also jetzt diese Zweifel?
 

Hoffentlich war er nicht unglücklich verliebt. Das war das letzte, was ich ihm in seiner jetzigen Situation wünschte. Aber es stand zu befürchten. Hatte ihm jemand einen Korb gegeben? Wer war denn bitte schön so blöd? Er war der wundervollste Mensch, den ich kannte. Zugegeben, in meinen Augen. Ich war da nicht wirklich objektiv. So oder so entsprach der letzte Abschnitt aber definitiv nicht Taros Einstellung.
 

„Ach quatsch“, widersprach ich energisch, nicht gewillt, ihn seinen Glauben verlieren zu lassen. „Dazu laufen viel zu viele Gegenbeweise in der Gegend herum. Schau doch nur mal im Sommer in den Park!“
 

Das brachte ihn zum schmunzeln, dennoch erwiderte er: „Ja, aber das ist doch nur eine Momentaufnahme. Irgendwann wird es in die Brüche gehen. Spätestens der Tod reißt sie auseinander.“
 

„Aber wenn jemand stirbt, dann verschwinden noch lange nicht die Gefühle für diese Person“, hielt ich dagegen. Diese unglückliche Liebe schien ihn ziemlich mitzunehmen. Auch wenn mir das bisher nicht so aufgefallen. Sein Verhalten war in letzter Zeit sehr schlecht zu deuten gewesen. Mein angeblicher Tod hatte ihn schwer lesbar gemacht. Außerdem hatte Taro dadurch genau das widerlegt, was er sich gerade einzureden versuchte.
 

Es fiel mir schwer, das auch auszusprechen, aber es ging um Taro. Und solche negativen Gedanken passten nicht zu ihm. Wenn ich ihn schon nicht glücklich machen konnte, da musste ich halt dafür sorgen, dass es jemand anders tat. Wer auch immer das sein würde.
 

Der Gedanke war immer wieder seltsam. Normalerweise war ich nicht der Typ, der sich dermaßen selbstlos verhielt. Ich hatte schon früh lernen müssen, dass man mit einer guten Portion Egoismus oftmals mehr erreichte. Es gab nur wenige Menschen für die ich mein eigenes Glück zurückstellte. Und für niemanden so sehr wie für Taro.
 

Er begann zu lächeln, als ich es endlich in verständliche Worte gefasst hatte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst. Ich weiß auch nicht. Der Rest hat so schön gepasst, da kamen die Gedanken über den letzten Abschnitt ganz automatisch.“
 

„Verstehe.“ In Wirklichkeit dachte ich noch über seine Worte nach. Ich wollte wissen, wer diese idiotische Glückspilz war. Aber ich kam beim besten Willen nicht darauf, wen Taro in der letzten Zeit geküsst hatte. Außer mir. Wir waren kaum zu trennen gewesen. Es wäre mir bestimmt aufgefallen. Also blieb meiner gerade auf ein minimales geschrumpften Hoffnung nur noch ich. Was natürlich ein gewaltiger Ansporn war wieder anzuschwellen. Super.
 

Taro lächelte traurig. „Erinnerst du dich noch an den Abend am Anfang der Ferien. Du hast auf dem Sofa geschlafen.“
 

Ich nickte. Wie könnte ich das vergessen. Er hatte wirklich schlimm ausgesehen. So zerbrechlich, dass ich gedacht hatte, er würde gleich in einen Haufen Scherben zerfallen, wenn ich ihn mit meiner Anwesenheit noch weiter quälte. Und in der Nacht hatte ich einen wundervollen Traum, in dem er und ich die Hauptrollen spielten.
 

Aber warum fragte er mich danach. Taro war nicht der Typ für so abrupte Themenwechsel. Es musste also etwas damit zu tun haben. Was mich abermals hoffen ließ. Der realistisch denkende Teil meines Gehirn warnte mich vor einem ziemlich tiefen Fall mit einem extrem schmerzhaften Aufprall. Doch es half nichts.
 

„Du hast im Schlaf meinen Namen gemurmelt. Ich hab mich gewundert, und war gleichzeitig unglaublich fasziniert von deinem Lächeln. Es hat mich irgendwie berührt. Ich glaub, zu dem Zeitpunkt hatte ich vergessen, dass mich einige Leute wirklich schätzten. Ich hab dich zurück ins Bett gebracht und dich solange beobachtet, bis ich eingeschlafen bin. Seit langem hab ich mich wieder gut gefühlt.
 

Am nächsten Tag hab ich dann diesen Spaziergang gemacht. Du weißt schon, als Yuiwa dich angerufen hat, und dir weißmachen wollte, er hätte mich verprügelt. Jedenfalls ist mir damals zum ersten Mal klar geworden, wie sehr du dich für mich eingesetzt hast. Ich hab ein bisschen mit mir gerungen, und mich dazu entschieden, dir eine Chance zu geben. Als du dann voller Sorge vor mir stands, habe ich - wenn auch vielleicht nur unterbewusst - begriffen, dass du mir wirklich helfen könntest. Es fühlte sich plötzlich gut an, dich in meiner Nähe zu haben, obwohl die schmerzhaften Erinnerungen nicht ganz auszublenden waren.
 

Schon damals im Bad musste ich feststellen, dass es gar nicht so einfach war, damit klar zu kommen. Aber ich wollte es unbedingt, und mit der Zeit ist es mir leichter gefallen. Du bist ziemlich einnehmend.“
 

Er lächelte kurz, und ich wusste augenblicklich – auch ohne Gedankenleser zu sein –, was ihm in dem Moment durch den Kopf schoss. Vielleicht manchmal etwas anstrengend und nervenaufreibend, aber insgesamt sehr angenehm und unterhaltsam.
 

„Als ich dich kurz darauf geküsst hab, war ich im ersten Moment wie berauscht. Ich konnte mir nicht erklären, was genau los war, aber ich merkte deutlich, dass die Gefühle, die ich für dich hatte anschwollen, auch wenn ich nicht wusste, was es war. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich begriffen hatte, dass ...“ Er stockte kurz, und ich erkannten in seinen Augen eine wilde Schlacht zwischen Trauer und Zuneigung. Gleichzeitig blickten sie mich entschuldigend an. „... ich mich in dich verliebt hatte.“
 

Mir fiel die Kinnlade herunter. Für einen Moment tat ich nichts anderes, als ich einfach ungläubig anzustarren. Das ... Ich konnte es einfach nicht glauben. Mein Glück nicht fassen. ... Es erschien mir zu fantastisch, um wahr zu sein. Ein Traum, dachte ich kurz. Doch dann begriff ich endlich, und war nur noch erfüllt von Liebe und Glück. Er erwiderte tatsächlich meine Liebe.
 

„Tut mir Leid“, murmelte Taro. „Ich ... Die Scheinbeziehung hab ich vorgeschlagen, um herauszufinden, wie du generell zu Homosexualität stehst. Als du mir dann sagtest, wer du bist, dachte ich es würde alles wieder normal. Schließlich warst du mein bester Freund, und damit war ich immer mehr als glücklich gewesen. Also hab ich an der Scheinbeziehung festgehalten, musste aber schnell erkennen, dass ich mich geirrt hatte. Ich wollte mehr, als dein bester Freund sein. Ich hab viel nachgedacht in letzter Zeit – meistens nachts, deshalb bin ich jetzt auch so übermüdet. ... Wir sollten die Scheinbeziehung wohl besser abbrechen.“
 

„Ja ...“, erklärte ich, so gefangen in meinem immer noch kaum fassbaren Glück, dass ich die Trauer in seinen Augen und seiner Stimme kaum bemerkte. Und ehe ich vergnügt hinterher schieben konnte, dass wir das „Schein“ am besten bis in alle Ewigkeit verbannte, sagte er schon: „Gut, ... das hab ich mir gedacht. Ich lass dich jetzt erst mal alleine, damit du nachdenken kannst.“
 

Mit diesen Worten stand er traurig, dennoch gefasst, auf, und ich bemerkte erst jetzt, was ich angerichtet hatte. Es wäre wohl besser gewesen, ihn sofort zu küssen. Oder sonst irgendetwas in der Art zu tun. Schließlich wusste Taro nicht, dass ich das Selbe für ihn empfand. Mist.
 

Ich schluck ruckartig meine Decke zurück, ließ das Buch fallen, und stolperte ihm hinterher in den Flur.
 

„Hey Taro, warte! ... Verdammt. Du kannst jetzt nicht gehen. Ich muss dir was sagen. Ich ... ich brauch dich. Du bedeutest mir ... verdammt viel. Ich will dich nicht verlieren. Das ... es steht wirklich nicht zwischen uns.“ Ich redete noch einige Zeit weiter solches Zeug. Alles Dinge, die ich sonst kaum aussprach, aber die lange nicht das implizierten, was ich sagen wollte, was ich für ihn fühlte. Aber egal, wie sehr ich mich bemühte, diese verdammten drei Wörter kamen einfach nicht über meine Lippen.
 

Taro stand immer noch zwei Meter von mir entfernt. Im gerade Flur erschien es mir viel weiter. Ich hatte das Gefühl, dass mich ein Labyrinth aus meterhohen Steinwänden von meinem Ziel trennte. Dabei war es nur ein „Ich liebe dich“.
 

Ich sollte mir vielleicht etwas anderes einfallen lassen. Irgendetwas, das ihm verständlich machte, was ich ihm sagen wollte. Dass er schon die ganze Zeit versuchte, den tieferen Sinn meines Gestammels und meiner wilden Gestikulierei zu erkennen, sah ich an seinem Gesichtsausdruck. Mehr und mehr wurde der allerdings ratlos.
 

„Was genau willst du mir sagen? Versuch das Wesentliche in Worte zu fassen“, versuchte er mir zu helfen.
 

Das half mir in dieser Situation leider wenig. Das Wesentliche war „Ich liebe dich“, und „Ich liebe dich“ brachte ich einfach nicht hervor. Ich brauchte irgendwie ne Umschreibung.
 

„Weißt du, ich setzt mich jetzt ne Weile, sagen wir für ne Stunde, in den Park vier Straßen weiter. Dann hast du in Ruhe Zeit dir alles zu überlegen.“ Er setzte sich auf die Stufe, die unseren gefliesten Eingangsbereich vom restlichen Flur abtrennte und kramte in dem Durcheinander, dass ich hinterlassen hatte, als ich unseren Taschen dort fallen gelassen hatte, nach seinen Schuhen.
 

„Nein, warte.“ Ich machte einige Stritte zu ihm hinüber und ließ mich ein Stückchen von ihm entfernt auf den Teppich sinken. „Ich weiß, was ich sagen will, aber ... ich bekomm es einfach nicht raus. ... Ich glaub, ich hab es noch nie jemandem gesagt. ... Ich will dich nicht eine Stunde lang grübelnd im Park sitzen lassen.“
 

„Ist schon in Ordnung.“ Er streckte die Hand nach mir aus, um mich beruhigend am Arm zu berühren, zog sie dann aber unverrichteter Dinge zurück. „Du hast gesagt, dass es nicht zwischen uns steht. Das ist das Wichtigste für mich! Dass ich nicht alles zerstört hab, weil ich Depp mich in dich verlieb hab.“
 

„Du bist kein Depp!“, murmelte ich. „Ganz im Gegenteil!“
 

Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass Taro einmal nach einem ziemlich heftigen Streit gesagt hatte, dass meine Stärke in solchen Situation eher das Handeln war. Instinktiv rutschte ich noch ein bisschen näher zu ihm und zog ihn sanft in meine Arme.
 

„Nicht!“, murmelte er, wehrte sich aber nicht gegen meine Umarmung. „Hörst du: Ganz im Gegenteil!“, erklärte ich noch einmal nachdrücklich und bettete meinen Kopf auf seinen.
 

Handeln, dachte ich, wäre ganz einfach. Ich bräuchte mit meinem Mund nur seine verheißungsvollen Lippen einzufangen. Aber irgendwie erschien mir das zu armselig. Es war so oder so erbärmlich, dass er mir seine Liebe gestand, und ich selbst mit dem Wissen nicht das Selbe hinbekam.
 

„Als du sagtest, dass ich im Handeln besser bin, als mit Worten zumindest in Situationen, in denen es um Gefühle geht, hattest du vollkommen Recht. Es gibt eine Handlung, aber das wäre irgendwie nicht fair. Wenn du es schon später nicht oft zu hören bekommen wirst, dann will ich es zumindest jetzt einmal aussprechen.“ Ich atmete einmal tief ein und nahm meinen ganzen Mut, wenn es das denn war, zusammen.
 

Es war nur ein hauchzartes Wispern, das über meine Lippen kam, aber Taro hörte es. Fast ruckartig setzte er sich in meiner Umarmung auf und blickte mir ins Gesicht
 

Er musterte mich ungläubig. Fand aber schnell heraus, dass es mein Ernst gewesen war. Ein warmer, vertrauensvoller Glanz trat in seine Augen und er schlang seine Arme um meinen Hals.
 

„An was für eine Handlung hattest du denn gedacht?“, fragte er grinsend, und stupste meine Nase neckisch mit der seinen an.
 

Ich zog ihn noch ein Stückchen näher zu mir heran, streifte flüchtig seine Lippen und hauchte: „Es wird dir sicher gefallen.“
 

„Ja?“
 

„Mhm.“ Sanft küsste ich ihn, und genoss einen Moment einfach nur die Wärme seines wohlgeformten Mundes, bevor ich begann meine Lippen zärtlich gegen seine zu bewegen. Taro ging sofort darauf ein, und seufzte hörbar zufrieden in den Kuss.
 

Als sich unsere Lippen wenig später wieder von einander trennten, wirkte er rundum glücklich. „Das kannst du gerne wiederholen!“
 

„Keine Sorge, das hab ich vor!“, versicherte ich ihm grinsend und konnte nur schwer widerstehen, es sofort zu tun. Erst mal würde ich uns sicherheitshalber ins Bett verfrachten.
 

Ich zog ihn komplett auf meinen Schoß, schob seine Beine vorsichtig um meine Hüfte, schlang meine Arme um ihn und stand leichte schwankend auf.
 

„Wegen der paar Kratzer bin ich noch lange nicht bewegungsunfähig“, murrte er, schmiegte sich dennoch behaglich an mich.
 

„Ich weiß“, sagte ich, waren die Erinnerungen an die Diskussion über die Bewältigung des Nachhauseweges doch noch mehr als frisch. „Ich dachte nur, es wäre der beste Weg dich möglichst nahe bei mir zu behalten.“
 

Das war der andere Teil der Wahrheit. Ich hatte das Gefühl, wenn ich ihn jetzt losließe, würde ich etwas ganz wichtiges verlieren.
 

„Gute Ausrede!“, erklärte er vergnügt, und begann zärtlich an meinem linken Ohr zu knabbern. Ein Grund ihn gleich noch ein bisschen fester an mich zu drücken. Das fühlte sich verdammt gut ein. „Nur um das gleich von vornherein klar zu stellen: Meine Größe ist kein Grund, warum ich mich von dir dominieren lassen sollte!“
 

Ich grinste, während ich mich behutsam mit ihm ins Bett sinken ließ. Sehr darauf bedacht Taros Verletzungen nicht mit meinem Körper zu belasten. „Nein, bestimmt nicht!“, versicherte ich aufrichtig. „Das wirst du so oder so freiwillig tun!“
 

„Ach ja?“, fragte er herausfordernd, vergrub seine Hände in meinen Haaren und zog meinen Kopf zu sich herunter, bis sich unsere Nasenspitzen berührten. „Du scheinst dir da ja sehr sicher zu sein.“
 

„Ja“, sagte ich bestimmt. Denn etwas anderes wollte ich nicht. Ich legte den Kopf leicht schief, überbrückte das letzte Stück, das unsere Lippen noch trennten und küsste ihn kurz, aber intensiv.
 

„Ich habe das Gefühl, dass das noch eine ziemlich ausgedehnte Diskussion wird. Lass uns das auf einen späteren Zeitpunkt verschieden!“, meinte er, sah mir dabei tief in die Augen und ich bemerkte sofort das Versprechen, das ihn den dunkelgrünen Weiten funkelte. Ich hatte von der ersten Sekunde an gewusst, dass es nicht leicht werden würde.
 

Ehe ich darauf noch etwas sagen konnte, zog er meinen Kopf zu sich herunter. Taro presste verlangend seine Lippen auf die meinen, nutzte mein überraschtes Keuchen aus, um mit seiner Zunge in meinen Mund einzudringen und begann dort so besitzergreifend zu räubern, dass mir im ersten Moment die Luft wegblieb.
 

Ja, definitiv, ich liebte ihn.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inan
2009-10-11T15:45:08+00:00 11.10.2009 17:45
Jaaaaaah! *Taro♥Toto-Fahne schwenk*
Das Beste Kapi überhaupt, wenn du mich fragst! <3
Von:  Vampire-Hero
2009-08-01T12:45:15+00:00 01.08.2009 14:45
Na wenn jetzt nicht alles gesagt ist ^__^ Ist ja süß seine Gedankengänge mitzuverfolgen und trotz seiner Stärke, wird er richtig hilflos wenn es darum geht Taro seine Gefühle zu gestehen ^^ Na ja, aber dafür gibt es ja nadere Wege, um einen geliebten Menschen nicht gehen lassen zu müssen :-)

GLG
Vampire
Von: abgemeldet
2009-07-18T17:20:58+00:00 18.07.2009 19:20
Wie schön :D Sie haben sich gefunden, auf eine unscheinartige Weise ;)


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