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A snowman, that brings the death

A supernatural story
von

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All that I´m living for

3. Kapitel: All that I´m living for
 

Fahrig rissen die Hände des jungen Mannes mit dem kurzen Haar an dem Gurt, den er glücklicherweise auf dieser Fahrt angelegt hatte, sonst wäre diese wohl seine letzte gewesen. Mit einem leisen Klicken schnappte die längliche Sicherheitsvorkehrung zurück in ihre Halterung, nachdem seine zitternden Finger schließlich den Knopf zum Lösen gefunden hatten. Sofort schob sich Dean angestrengt Richtung Beifahrersitz auf seinen Bruder zu, der noch immer keinen Laut von sich gab, geschweige denn eine Regung zeigte. Der Verzweiflung nahe sah er den Jüngeren an, die linke Gesichtshälfte, mit der er vermutlich frontal gegen die Armaturen des Wagens gestoßen war, begann bereits, leicht anzuschwellen und sich blau-grün zu färben, während auf der Stirn eine beträchtliche Platzwunde prangte, aus der ohne Unterlass sich Blut einen Weg ins Freie suchte. Die helle Jacke schmiegte sich an der linken Schulter bereits schwer und nass aufgrund der rot leuchtenden Flüssigkeit an seinen Körper, träge verließ das lebenswichtige Elixier in mehrere Richtungen sein natürliches Gefängnis und sammelte sich mit leisen platschenden Tönen auf dem Wagenboden. Dass dieser dabei vermutlich irreparable Schäden davontrug, da das Blut ebenso seine Spuren in der Sitzpolsterung hinterließ, interessierte den sonst eher empfindlich darauf reagierenden Besitzer in keiner Weise. Die Wahrnehmung des älteren Winchesters war nur auf eines beschränkt – seinen Bruder.

„Sammy, ich weiß, dass deinen Dickkopf so schnell nichts erschüttern kann“, zog Dean den Bewusstlosen lächelnd auf, aber in der nächsten Sekunde sanken seine Mundwinkel mit einem hilflosen Ächzen gen Erdboden, nachdem seine Finger die klaffende Wunde an der Stirn berührt hatten, die Ähnlichkeit mit einem ihm angähnenden Schlund aufwies. „Verdammt“, zischte es zwischen denen vor Ungewissheit um seinen Bruder zusammengepressten Lippen hervor. Er wusste nur zu gut, dass mit Kopfverletzungen nicht zu spaßen war, vor allem dann nicht, wenn die Betroffenen lange besinnungslos blieben. Deswegen war es unglaublich wichtig, ihn schnellstens zurück in die Wirklichkeit zu bringen, egal, auf welche Weise und wenn er ihn dafür anschreien und mit Taubheit strafen musste.

„Schau mich an, wenn ich mit dir rede“, schoss es in gröberen Tönen von den Lippen des etwas kleineren Winchesters. „Du kannst mich von mir aus beschimpfen, wirf mir an den Kopf, was du willst, aber ...“, er schluckte angestrengt, sein Hals fühlte sich plötzlich so trocken an wie durch die Luft gewirbelter Wüstensand und seine soeben noch recht voll klingende Stimme, die an das dominante Gebrüll eines Löwen erinnerte, wirkte nun hohl und leblos wie der verlassene Bau eines Tieres, als er weitersprach. „Bitte ... wach auf.“

Aber sein Gesuch an den Jüngeren verklang ungehört in der beklemmenden Stille des lautlos fallenden Schnees, der die Welt mit Schweigen umhüllte.

Bebend vor Ungewissen und voller Furcht vor der Wahrheit, die ihn vermutlich mit der Wucht eines heranrasenden Trucks treffen würde, legte er seine Finger an die Halsschlagader des Dunkelhaarigen. Zuerst vermutete er mit einem bangen Empfinden in der Magengegend, dass es sein eigenes Herz war, was das Gefühl an den Fingerkuppen auslöste, aber dann stellte er unendlich erleichtert fest, dass es sich dabei doch um Sammys Pulsschlag handelte, der zaghaft und langsam an seine Finger klopfte. Sein eigener raste hingegen wie ein erstklassiges Rennpferd dahin.

Ein dankbares Aufatmen dehnte seinen Brustkorb auseinander und ließ ihn im selben Moment schmerzhaft wieder zusammenfallen. Verdammt, er hatte vergessen, wie weh das tat! Hoffentlich hatte er sich keinen der netten, aber sehr dünnen Knochen, welche verhinderten, dass seine Lunge ungeniert herumschlabberte, gebrochen, denn wie sollte er sonst ohne fremde Hilfe seinen Bruder hier herausbekommen, wenn dieser selbst dazu zurzeit nicht in der Lage war. Er konnte ihn ja schließlich nicht hier lassen; bei der Witterung dauerte es nicht lange und aus Sam wäre der längste Eisstiel der Geschichte geworden. Also, Zähne zusammenbeißen und das Stechen tausender Messer ignorieren, die wie hungrige Schnäbel von Vögeln auf der Jagd nach fetten Würmern Löcher in seine Brust rissen.

Behutsam, da er nicht wusste, ob Sam ebenso weitere Verletzungen erlitten hatte, die unsichtbar verblieben, sofern sie sich im Inneren seines Körpers abspielten, löste er den Gurt, der den Leib des Jüngeren umschlungen hielt. Er war froh, dass sein Beifahrer sich das tatsächlich Leben rettende Stück umgelegt hatte. Nicht immer fuhren die Beiden angeschnallt durch das Land, was, wenn er so darüber nachdachte, doch recht rücksichtslos gegenüber ihrer Sicherheit war. Hätten sie in diesem Fall mal wieder darauf verzichtet, lägen sie nun wahrscheinlich mehr dem Tode als allem anderen nahe auf dem kalten Asphalt, die Knochen zerschmettert.

Er verscheuchte rasch diese finsteren Gedanken und schnappte sich den Kragenaufschlag der Jacke des Dunkelhaarigen, um ihn aufrecht in den Sitz zu ziehen, damit er nicht aus der Tür herausfiel, sobald Dean diese aufgestemmt hatte. Durch diese plötzliche Bewegung schien er jedoch die Lebensgeister seines Partners geweckt zu haben, denn ein leises Stöhnen erklang dicht neben dem Ohr des Älteren, der hoffnungsvoll innehielt.

„Sam?“ Ein weitere Reaktion hallte durch den Wagen, kräftiger als zuvor und der kleinere Winchester beugte sich vor und nahm die bleichen Wangen seines Bruders zwischen die Hände. „Sammy? Kannst du mich hören? Ist alles okay mit dir?“ Und zu seiner Überraschung erhielt er dieses Mal sogar eine Antwort.

„Ich weiß nicht ... ob es für mich okay ist ... mit einem kompletten ...“, der Jüngere holte tief Luft, als kostete es seine ganze Kraft, diese Worte aus seiner Kehle hervor zu holen, „Idioten in einer ... verbeulten Blechbüchse ... festzustecken.“ Quälend langsam hoben sich seine Lider und er blitzte den Älteren vor seinen Augen mit dem gewohnt spitzbübischen Blick, der immer aus einer pikanten Mischung von Amüsiertheit und Wut bestand, an. „Wo hast du bloß deinen Führerschein gemacht, Dean? Bei Dad?“

„Wenn ich ganz ehrlich sein soll, hat mir noch nie eine Beleidigung von dir soviel Freude bereitet wie jetzt, Sammy“, bemerkte der Angesprochene mit einem erleichterten Grinsen auf den Lippen und schlug seinem Beifahrer vergnügt auf die Schulter, was mit einem gefauchten „Au, spinnst du?“ kommentiert wurde und Dean ihn sogleich liebevoll einen Waschlappen nannte, der postwendend weitere Knurrattacken nach ihm aussandte.

Vermutlich hätten sie sich, trotz der mittlerweile beißenden Kälte, die sich unbarmherzig durch ihre dünne Kleidung fraß, noch weiter gekabbelt, wäre da nicht ohne Vorwarnung eine Stimme zwischen ihren eigenen aufgetaucht, die sie nicht zuordnen konnten.

„Hallo? Hallo, können Sie mich hören? Sind Sie verletzt?“, erschall es von draußen und die Brüder hörten hastig näher kommende Schritte, die sich durch den Schnee knirschend verstärkten. Sie konnten nicht sehen, wer ihnen da entgegen eilte, da sämtliche Fenster des Wagens bereits zugefroren waren; genauso wenig wusste der Fremde, ob die Insassen des Autos, welches durch sein Vergehen von der Straße abgekommen war, unbeschadet daraus hervorgegangen waren oder nicht. Panisch ruderte er mit den Armen, um den Rest des Weges nicht auf der eisglatten Straße auszurutschen und stiefelte schnaufend durch den kniehohen Schnee auf den recht zerbeulten Wagen zu, bei dessen Anblick sich ihm beinahe das Herz zusammenzog – ein 67er Chevy Impala! Der Besitzer würde ihm, sofern er noch unter den Lebenden weilte, das Fell über die Ohren ziehen.

„Wer das wohl sein kann?“, schlich sich Sams Stimme misstrauisch an Deans Gehör, während sein Bruder versuchte, etwas durch das Eisblumenmeer auf ihren Scheiben zu erkennen. „Vielleicht einer der Dämonen aus dem Diner?“

„Nur einer?“ erfolgte die Antwort des Älteren prompt. „Dann kennen sie uns aber sehr schlecht.“

„Vielleicht warten die anderen auf der Straße. Schließlich können wir nicht sehen, was draußen vor sich geht.“

„Du denkst an eine Falle?“ Darüber hatte Dean nicht nachgedacht. Sicher, man sollte diese Höllenbrut niemals unterschätzen, vermutlich hatten sie einen der ihren vorgeschickt, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Und dann, sobald sie das mittlerweile noch schützende Umfeld des Impalas verließen, würden sie über die Beiden herfallen.

Sam nickte, während seine linke Hand hinter den Rücken und hinunter zum Ansatz seiner Hose wanderte, wo nicht gerade selten eine Waffe zwischen seiner Haut und dem Hosenbund steckte. „Nur für den Fall“, zischte er seinem älteren Bruder zu, wechselte den hervorgezogenen Revolver in die rechte Hand und versteckte ihn zwischen dem Sitz und der Tür.

„Okay, keine schlechte Idee“, pflichtete ihm der junge Mann mit dem raspelkurzen Haarschnitt bei und machte ebenfalls Anstalten, seine Schusswaffe aus ihrem Versteck zu holen, jaulte aber bei dem Versuch, seinen Arm nach hinten zu strecken, schmerzerfüllt wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten war, auf. Leicht irritiert, aber mit einer unverhohlenen Spur von Sorge sah Sam ihn an und verzog beinahe mitempfindend das Gesicht.

„Geht’s dir auch gut?“, hakte er vorsichtig nach, sein eigenes Befinden, welches den Älteren noch vor wenigen Augenblicken beinahe um den Verstand gebracht hatte, ganz nach hinten schiebend, obwohl die Nässe und Schwere des Blutes an seiner Kleidung ihn langsam frösteln ließ.

„Nicht wirklich“, keuchte Dean und hielt sich zähneknirschend den Brustkorb, der seine Anwesenheit unbedingt mal wieder hatte ankündigen müssen. „Bist du vielleicht auf mich draufgefallen, als der Wagen sich überschlagen hat?“

Sam gab ein empörtes Geräusch von sich, zog die Stirn kraus wie ein Mastiff und legte sogar den Kopf leicht schief, so dass der Ältere schon vermutete, sein Bruder würde gleich aus Protest losbellen. „Sehr witzig, dann müssten deine Gurte aber elastisch wie Gummiband sein, Dean“, grollte er jedoch nur und entsicherte mit einem geschickten Griff seine Waffe.

„Halloooo?“, ertönte es erneut von draußen und jemand klopfte energisch gegen die Fahrertür des Impalas, so dass dem jüngeren Winchester vor Schreck der Revolver aus den Händen glitt und auf den Boden direkt neben seinen Füßen fiel.

„Wow, klasse, Sammy“, bemerkte Dean ironisch und grinste anmaßend. „Genau da gehört das gute Stück auch hin. Ich muss sagen, ich fühle mich außergewöhnlich sicher in deiner Gegenwart.“ Ein zorniges Schnauben wühlte sich ihm vom Fußraum des Autos entgegen, während der Besitzer des ihm nicht freundlich gesonnenen Geräusches versuchte, seine Waffe von dort unten aufzuklauben. Als er jedoch den kühlen Griff seines Revolvers bereits in seinen Fingern fühlte, explodierte plötzlich in seinem Kopf ein gleißendes Licht, heller als tausend Sonnen und ein Stich, ähnlich wie der grazile Streich eines Dolches, fuhr aggressiv durch seine Nervenstränge und ließ ihn keuchend hochfahren. Schnell warf er das Schießeisen in den Schoß seines Bruders, der ihn beunruhigt musterte und hielt sich die linke Kopfhälfte.

„Sam?“ Fragend legte Dean seinem jüngeren Familienmitglied die Hand auf die Schulter. „Eine Vision? Oder ...?“, aber der jungenhafte Hüne neben ihm schüttelte nur leicht das Haupt, sofern das überhaupt schmerzfrei möglich war.

„Nein“, stieß er angestrengt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Nein ... mir geht’s gut, denke ich.“ Die Lippen aufeinandergepresst sah er seinem älteren Bruder in die Augen, beziehungsweise versuchte er es, verlor aber bereits nach wenigen Sekunden, da er befürchtete, Dean könnte die Unwahrheit über das Gesagte in seiner Iris aufblitzen sehen. Rasch wandte er den Blick ab und starrte auf den Boden. Er wollte nicht, dass sein Partner sich um ihn sorgte, das tat dieser seiner Meinung nach schon zu oft, als es gut für ihn war. Deshalb ließ er die Tatsache, dass sein Kopf sich anfühlte wie ein Basketball, der soeben frenetisch durch ein wichtiges Spiel gedribbelt wurde, lieber schweigend unter den Tisch fallen.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, versuchte er den etwas kleineren Mann neben sich mit einem an der Grenze zur Überzeugung abstürzenden Grinsen, das eher an den gequälten Ausdruck eines Pferdes erinnerte, welches sein erstes Brandzeichen erhielt, zu beruhigen. Aber der Angesprochene zog nur skeptisch die Augenbrauen in die Höhe, zudem Sams aufgesetztes Lächeln vom einen Augenblick zum anderen erstarb, nachdem er das ganze Blut an seiner Kleidung bemerkt hatte und Dean mit einem „Ist das etwa alles meins?“ Gesichtsausdruck bedachte.

Bevor der Ältere jedoch in irgendeiner Form darauf eingehen konnte, polterte es ein zweites Mal gegen das Fenster direkt neben ihm und dieselbe Stimme von vorhin rief eindringlich und deutlich ängstlicher als zuvor: „Hallo! Wer auch immer hier drin ist, bitte, antworten Sie doch!“

Dean warf einen skeptischen Blick hinüber zu seinem jüngeren Bruder, der verwundert die Stirn kraus zog, sich aber sofort eines Besseren belehrte und so etwas zunächst lieber sein ließ, fühlte sich dies doch jedes Mal so an, als ob einem jemand die Haut bei lebendigem Leibe herunterzog.

„Bist du immer noch der Meinung, dass das da draußen jemand ist, der uns feindlich gesonnen ist?“, zischte der Kurzhaarige dem Riesen neben sich zu, dem die Skepsis über seine vorherige Vermutung buchstäblich im Gesicht geschrieben stand. Erstens klangen Dämonen nicht gerade wie furchtsame Lämmer, die einen Wolf unter sich erblickt hatten und zweitens wiederholten sie ihre Fragen ungern mehrmals, sondern handelten aufgrund ihrem chronischen Mangel an Geduld postwendend.

Der ältere Winchester gab seinem Beifahrer dessen Revolver zurück und deutete mit einer knappen Kopfbewegung an, diesen wieder an seinen gewohnten Platz zurückzuführen, was der Jüngere auch sofort tat. Dann entschloss er sich zu einer angemessenen Antwort auf das mittlerweile ins Panische abdriftende Gerufe des ihnen Unbekannten.

„Wir sind soweit okay!“, rief er durch das zugefrorene Glas hindurch und zog eine Grimasse, nachdem sich seine Rippen protestierend meldeten, als wollten sie sagen, dass das ja wohl die größte Lüge sei, die er sich jemals in seinem Hirn zurechtgesponnen hatte.

Ein erleichtertes Keuchen grub sich zu ihnen hindurch und man hörte ihren noch gesichtslosen Retter murmeln: „Dem Himmel sei Dank, ich hab sie nicht umgebracht.“

Verwirrt sahen die Brüder sich gegenseitig an. Nicht umgebracht? War er etwa das gelbe Etwas gewesen, in das sie beinahe hineingerauscht waren oder vielmehr, gehörte es ihm?

„Können Sie die Türen von Innen aufstemmen?“, rief die männliche Stimme hoffnungsvoll und man hörte ihn erneut durch den Schnee stapfen, der sich knirschend seinen festen Schuhsohlen ergab. Sofort kamen die beiden jungen Männer der Aufforderung nach, aber sowohl die Fahrer- als auch die Beifahrertür klemmten und ließen sich aus dem Wageninneren nicht öffnen.

„Es klappt nicht!“, rief Dean. „Womöglich hat sich die ganze Karosserie verzogen, ziehen Sie von draußen, ich drücke mich dagegen, vielleicht funktioniert es dann!“ Gesagt, getan rüttelte der Mann am Griff des Impalas, während der ältere Jäger sich mit aller Kraft gegen die Innenverkleidung der Tür lehnte, dabei aber schmerzerfüllt aufstöhnte.

„Meinst du, das war so eine gute Idee?“, argwöhnte Sam neben ihm und deutete mit einem Finger auf seine eigene Tür. „Vielleicht hätte ich lieber ...“, aber der junge Mann mit dem Bürstenschnitt motzte sofort dazwischen.

„Pah, ich krieg das schon hin, Sammy, bin ja schließlich kein Warmduscher!“, posaunte er es hinaus in die Welt und purzelte ohne Vorwarnung kopfüber in den eiskalten, feuchten Schnee, als die Tür mit einem schwungvollen Ruck ihren Bemühungen nachgab.

„Buaaaaaaah!“, kreischte es angewidert aus der nassen Masse wie eine dem Ekel ausgesetzte Frau, der gerade eine dicke Ratte über die nackten Füße gehuscht war, während Sam auf seinem Sitz kaum noch Luft bekam vor Lachen. Prustend schlug er sich auf die Schenkel, nachdem sein Bruder schimpfend und tausend Flüche ausstoßend den Kopf aus dem Schnee zog und bereits zum zweitem Mal innerhalb weniger Stunden Santa Claus ähnlicher sah, als er dachte.

„Hör auf zu gackern, Sam! Das ist nicht lustig!“, versuchte der Ältere, den Dunkelhaarigen zu maßregeln, dem bereits dicke Lachtränen über die Wangen kullerten.

„Oh doch, das ist es und wie!“, amüsierte sich sein jüngeres Familienmitglied ungeniert weiter und wischte sich mit dem Jackenärmel die Spuren der Schadenfreude davon. Keiner der Beiden beachtete in diesem Moment ihren unbekannten Retter, der die Brüder überrascht musterte, was ihr eigenartiges Verhalten betraf, bis er sich entschied, dem vor Wut keifenden Jungen zu seinen Füßen aufzuhelfen.

„Kommen Sie“, bot er ihm seine Hand an, „ich ziehe Sie hoch.“

Erstaunt, da er den Mann für die wenigen Sekunden, in denen er sich herrlich vor allen blamiert hatte, aus seinem Hirn gestrichen hatte, starrte Dean hinauf. Ein vertrauenswürdiges Lächeln begegnete ihm, es war ehrlich und ohne irgendwelche Hintergedanken. Dankbar griff er nach der Hand und war beinahe erstaunt, wie leicht und ohne Anstrengung der Andere ihm auf die Füße half. Aber vielleicht lag dies auch einfach daran, dass er sich selbst wie zweimal gegessen und wieder ausgespuckt fühlte. Unwillkürlich verkrümmten sich seine Gesichtszüge, als die überaus netten Knochen in seinem Brustkorb ihn wieder einmal daran erinnerten, dass er sich nicht hastig und übereifrig bewegen sollte. Besorgt legte sich die Stirn des Mannes vor ihm in Falten. Freundliche braune Augen forschten rasch nach möglichen sichtbaren Verletzungen, fanden aber keine, was ihn jedoch nicht unbedingt beruhigte.

„Sind Sie in Ordnung?“, wollte er daher wissen. „Oder haben Sie sich bei dem Unfall irgendetwas getan?“

Aber anders als von dem Fremden erwartet, machte Dean nur eine wegwerfende Handbewegung und sah zum Wagen hinüber, in dem noch immer Sam saß, der bereits Anstalten machte aus dem Wrack zu klettern.

„Mein Bruder“, begann der ältere Winchester und zeigte auf den jungen Mann mit dem Wuschelkopf, der verwundert innehielt, was er eh hätte tun müssen, da er einfach eine Nummer zu groß war, um sich wie ein Regenwurm aus diesem Gefängnis zu winden.

„Ihn hat es ziemlich übel erwischt“, erklärte der Kleinere unter ihnen und fasste nach den Armen des Anderen, um ihn heraus zu ziehen. „Wenn Sie jemandem helfen wollen, dann ihm, mir geht es soweit gut“, spielte er die Situation herunter, ächzte allerdings wie ein alter Herr um die Achtzig, als er sich bemühte, den viel Größeren aus dem Fahrzeug zu holen, der sich dabei beschwerte wie ein Teenager, den man noch füttern wollte.

„Dean, verdammt, ich krieg das schon hin, lass los!“, fauchte Sam aufgebracht und versuchte, die Hand seines Bruders wegzustoßen, sauste jedoch plötzlich wie eine Rakete nach vorne und plumpste verdutzt auf den Fahrersitz, nachdem jemand anderes kräftig zugepackt hatte.

„Wow, danke“, murmelte er und sah hinaus ins Freie, was dem Unbekannten bezüglich seines recht erschreckenden Anblickes ein entsetztes nach Luft schnappen entlockte.

„Meine Güte!“, entfuhr es dem Fremden, nachdem er die blutbesudelte Kleidung an dem Hünen entdeckte, einschließlich der recht hässlichen Kopfwunde. „Das tut mir so leid, ich habe nicht damit gerechnet, dass bei diesem Wetter und zu dieser Uhrzeit hier noch jemand lang fährt, sonst hätte ich sicherlich nicht meinen Wagen so auf die Straße gestellt.“

„Schon gut“, warf Sam sofort ein, der ein wenig das Gefühl hatte, dass Dean dem armen Kerl einen gehörigen Schreck hatte einjagen wollen, indem er seinen kleinen Bruder so vorführte. Dann bemerkte er aber mit wachsender Verwirrung, nachdem er ihm einen tadelnden Blick zuwarf, dass dem wohl nicht so war, denn der Ältere nickte nur stumm auf die Antwort des Braunhaarigen, das Gesicht keineswegs zu einem hämischen Grinsen verzogen.

„Ähm, es ist ja noch alles dran an uns“, versuchte Sam den armen Kerl zu beruhigen, der nun nach seinem Anblick nervlich am Ende zu sein schien. „Und was den Wagen betrifft“, er sah betreten zu seinem Bruder hinüber, der ihm nur mit einem hilflosen Schulterzucken begegnete, was ihn erneut stutzen ließ, „ den kriegt sicherlich irgendjemand wieder hin.“ Sehr überzeugend klangen diese Worte hingegen nicht, sah der Impala doch eher so aus wie eine Konservendose, auf die ein Elefant aus Versehen getreten war.

„Oh, was das angeht, das lassen Sie bitte meine Sorgen sein“, mischte sich die Hilfsbereitschaft des Fremden enthusiastisch dazwischen. „Ich besitze eine Autowerkstatt gleich in der nächsten Stadt, wenn man der Straße hier folgt.“ Er machte eine lockere Handbewegung den Weg hinunter, den die Brüder befahren hätten, sofern ihn nicht etwas in die Quere gekommen wäre.

„Ah, das erklärt also den Abschleppwagen“, bemerkte Dean augenzwinkernd und deutete mit dem Kopf in Richtung des quietschgelben Gefährtes, welches verlassen am Straßenrand verweilte. „Aber wieso waren sie damit mitten in der Nacht unterwegs?“ Das Misstrauen in seiner Stimme war nicht zu überhören, was bei Sam im ersten Moment auf Entrüstung stieß, dann aber Vernunft vor gutem Benehmen walten ließ. Sicher, sie wussten nicht, wer der Typ war und was er hier draußen wollte, so dass das Nesthäkchen unter den Winchesters sich kleinlaut eingestehen musste, dass es noch einiges von seinem älteren Bruder zu lernen hatte, wie zum Beispiel nicht jedem nett wirkenden Dahergelaufenen zu vertrauen, mochte er noch so unbedarft auf einen wirken.

„Nun, ich denke, das ist eine meiner Angewohnheiten, die ich mir wohl nie abgewöhnen werde“, verwischte die Stimme des Unbekannten Sams Gedanken wie ein flinkes Putztuch hartnäckigen Dreck. „Bei solch einer Witterung fahre ich oft raus und sehe nach, ob jemand mit seinem Wagen liegen geblieben ist, nur hatte ich bei Ihnen Beiden nicht die Absicht, es herauf zu provozieren, zumal ich gerade wieder nach Hause wollte.“

Der junge Mann mit den blaugrünen Augen staunte über soviel Courage, was die freiwillige Hilfsbereitschaft ihres Retters anging und lächelte ihm bewundernd zu, was dieser freundlich erwiderte, jedoch hatten sie die Rechnung nicht ohne den Besitzer des im Sterben liegenden Impalas gemacht, der missbilligend grunzte.

„Sie fahren also hieraus und zocken die armen Teufel ab, die bei diesem Wetter im Graben landen? Wirklich bemerkenswert“, spie er seine Vermutung verächtlich hinaus, während Sam sprachlos die Kinnlade hinunterfiel. Irgendwie konnte er es sich nun gut vorstellen, wie es war, zwischen zwei Fronten zu stehen und sich weder für den einen, noch den anderen entscheiden zu können, denn dasselbe geschah soeben mit ihm selbst.

„Nein, das verstehen Sie falsch“, verteidigte sich der Fremde entsetzt über die Behauptung seines Gegenübers und schüttelte hektisch den Kopf. „Ich tue das unentgeltlich, es ist einfach nur ein freiwilliger Dienst gegenüber den Menschen, die sich bei diesem Wetter ohne zu überlegen auf die Straße trauen.“

„So wie der hier“, konnte Sam den Mund nicht halten und deutete auf Dean, der vor Wut rot anlief, aber es vorzog, nichts darauf zu erwidern. Es reichte schließlich, in ein Fettnäpfchen zu treten, da musste man nicht gleich von dem einen ins nächste springen.

„Es ... tut mir leid“, gab er daher leise zu, nachdem sein Zorn ein wenig verraucht war, was in dem Kopf des Jüngeren die Anzahl der konfusen Begebenheiten beinahe auf einen Rekordstand brachte und ihm langsam unheimlich erschien. „Sie müssen verstehen, ich ...“, aber der um einige Jahre Ältere unterbrach ihn sanft lächelnd und legte ihm, als würden sie sich schon Ewigkeiten kennen, die Hand auf die Schulter, was der junge Mann verblüfft verfolgte. Auch Sams Augen wurden plötzlich groß wie Kuchenteller, während sein Verstand mit der nächsten Reaktion seines Bruders argwöhnte. Die fiel jedoch anders aus als erwartet. Und er wusste auch, warum.

„Ich weiß, was Sie meinen und wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich vermutlich nicht anders gehandelt“, erwiderte der Fremde und zwinkerte ihnen zu. „Man kann nie wissen, was für Gestalten man hier draußen begegnet, einmal hat mich ein Pärchen, das ich aus einer Schneewehe gezogen habe, ausgeraubt, schön war das nicht. Daher nehme ich Ihnen Ihre Reaktion nicht übel. Und Sie haben es getan um der Sicherheit Ihres Bruders willen, habe ich recht?“

Verblüfft starrte Dean den Mann an, dann sein jüngeres Familienmitglied, das genervt die Augen verdrehte.

„Okay, schön, aber ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen, aber das interessiert hier irgendwie niemanden, hab ich recht?“, blaffte Sam angepisst, was die übertriebene Fürsorge betraf, die nun auch noch jemand anderes, den sie gar nicht kannten, laut kund tat. Ungelenk, was bei seiner Größe kein Wunder war, presste er sich aus dem zusammengestauchten Auto hervor und kam wackelig auf die Beine, um im selben Moment in den Genuss einer Ameise zu kommen, die sich auf die Gondel eines Kettenkarussells verirrt hatte. Deans Kopf rauschte in Lichtgeschwindigkeit an ihm vorbei, dann der des Unbekannten, darauffolgend der Impala, danach die verschneite Landschaft und wieder alles von vorne, nur mit dem kleinen feinen Unterschied, dass sich der Erdboden mit seinem reinen Weiß bei jeder Umdrehung etwas näher an ihn herantastete. Dazwischen blubberte eine grausam entstellte Stimme, die in etwa so klang wie der schleimige Jabba aus Krieg der Sterne „Sammy?“ an sein Ohr, was so sehr in seinen Gehörgängen dröhnte wie eine Überschalljet, der sich dort hinein verirrt hatte. Der Boden drückte sich ihm dabei ungeduldig entgegen wie die schäumende Gischt des Meeres, in die ein Klippenspringer jeden Moment furchtlos eintauchte. Allerdings fühlte sich dieser danach nicht von finsterster Schwärze umschlungen, die Sam nun einhüllte wie ein erdrückendes Tuch.

All das dauerte kaum weniger als drei Sekunden, welche nach seinem überhasteten Verlassen des Wagens vergangen waren.

Dean konnte gar nicht so schnell reagieren, nachdem er panisch bemerkte, wie sein Bruder plötzlich die Augen verdrehte und in sich zusammenfiel wie die zu Asche schrumpfenden Holzscheite eines Feuers. Hastig griff er nach einem Arm des Jüngeren, der leblos zur Seite schlackerte, als sei er aus Gummi, jedoch dabei vergessend, dass der Dunkelhaarige aufgrund seiner Größe nicht gerade ein Fliegengewicht war und er selbst nach den unfreiwilligen Purzelbäumen erheblichen Schaden genommen hatte. Keuchend vor Schmerz wurde er mit zu Boden gerissen, während seine Rippen sich dabei anfühlten wie Geigensaiten, die soeben von einem verhältnismäßig aggressiven Virtuosen bearbeitet wurden. Die Sehnen des Armes, mit dem er versuchte, Sam in irgendeiner Weise vor dem harten Aufprall zu bewahren, schrieen lautlos auf vor Qual und obwohl er sich dazu zwang, die Finger seines Bruders nicht aus den seinen zu lösen, sprach sein Körper eine andere Sprache. Er fühlte nur noch, wie ihm die Hand des Bewusstlosen entglitt und er selbst hilflos zur Seite fiel, mit den Knien in dem klirrend kalten Schnee versinkend. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Kopf des viel zu großen Jungen direkt auf die am Straßenrand liegenden Steine, die Ähnlichkeit mit Straußeneiern zeigten, aufschlagen würde und er kniff, enttäuscht von sich selbst, die Lider fest zusammen.

Er hatte doch versprochen, auf ihn aufzupassen ... .

Ein unerwarteter Luftzug strich plötzlich kalt in seinen Nacken wie die Hand eines Toten, so dass er ruckartig den Kopf drehte und mehr als überrascht in das freundliche Gesicht des noch immer Unbekannten blickte, der Sammy sicher in seinen Armen aufgefangen hatte.

„Sie sollten besser auf das achten, was Ihnen wichtig ist“, lächelte dieser, aber seine dunklen Augen teilten diese Heiterkeit nicht, sondern schwammen in tiefen Schatten einer Trauer, die Dean nicht wusste zu deuten, so dass er verwundert die Brauen in die Höhe zog.

„Keine Ursache“, erwiderte sein Gegenüber amüsiert über das verdatterte Gesicht, von dem er annahm, dass es seiner überirdischen Geschwindigkeit, den Jungen aufzufangen, galt, und musste lachen, als der ältere Winchester hektisch mit den Augen blinkerte, als wäre er aus einem langen Schlaf erwacht.

„Ahm ... ich“, stammelte der junge Mann und fuhr sich etwas unbeholfen durch das raspelkurze Haar, was danach elektrisierend zu knistern begann. „Danke.“ Dann stemmte er sich mit einem unterdrückten Ächzen in die Höhe und trat an die Seite seines zur Hälfte am Boden liegenden Bruders, um sich direkt vor ihm auf die Knie sinken zu lassen.

„Ich nehme Sie Beide am besten mit in die nächste Stadt und Ihren Wagen auch“, schlug der Fremde vor und machte Anstalten, sich den Arm des Bewusstlosen um die Schulter zu legen, damit er ihn auf die Beine ziehen konnte, aber Dean schüttelte abwehrend den Kopf, so dass er innehielt und ihn fragend ansah.

„Ich denke, das sollte ich tun“, erklärte der Jäger und grinste schief. „Denn sonst werde ich Ihren Worten wohl kaum gerecht, oder?“

Erstaunen glitt über das Gesicht des Anderen wie feiner Regen, der seinen Weg aus den geöffneten Himmelstoren suchte. Jedoch sammelte sich Güte in den feinen Lachfalten, nachdem er beobachtete, wie der Ältere der Brüder sich den Arm des riesenhaften Jungen um die Schulter legte und sich gemeinsam mit ihm nach oben drückte, dabei jedoch schnaufte wie ein Walross, das seine gewaltigen Massen aus den Wellen an Land schleppen musste. Schmunzelnd bewegte sich der Fremde zu seinem in der Dunkelheit hervorstechenden gelben Abschleppwagen hinüber und räumte, nachdem er in das Innere des Gefährts gekrochen war, die geräumige Vorderbank im Führerhaus frei, damit die Jungs auch bequem darauf Platz nehmen konnten, sofern ihr Weg hierher nicht Jahre dauerte, wie es zurzeit den Anschein hatte.

Dennoch bewunderte und respektierte er die Entscheidung des jüngeren Mannes, sich trotz seiner Verletzungen selbst um den dunkelhaarigen Hünen zu kümmern, dessen Wohlergehen ihm möglicherweise weitaus wichtiger war als das eigene.

Mit verschränkten Armen, um der voranschreitenden Kälte entgegen zu wirken, lehnte er sich an seinen Wagen und wartete auf das so unterschiedlich auf ihn wirkende Duo, das von seiner Geschwindigkeit eher Ähnlichkeit mit einem Rentnerehepaar auf Sonntagsspaziergang aufwies.

Dean hatte vergessen, wie schwer Sam war, wenn dieser ungewollt ein Nickerchen hielt, als er ihn vorsichtig in die Höhe stemmte. Sämtliche Rückenmalessen, welche sich von seinem wissenschaftlichen Standpunkt her erst im fortgeschrittenen Alter in ihm tummeln würden, feierten von Jetzt auf Gleich eine wilde Party auf seiner Wirbelsäule und verwüsteten dabei, was sich ihnen in den Weg stellte. Sein Körper schrie wie ein egoistisches Kind danach, den Größeren einfach fallen zu lassen, damit man sich um das eigene Wohl kümmern konnte, aber Dean steckte das kreischende Balg einfach in eine der hintersten Ecken seiner Wahrnehmung und schleifte Sammy tapfer weiter mit sich wie einen zu vollen Müllsack, der kurz vorm Bersten stand. Selbst, wenn man ihm beide Arme oder Beine abreißen würde, stände der Jüngere stets an erster Stelle.

Trotz allem konnte es sich der Kurzhaarige nicht verkneifen, dementsprechende Beschwerden an den Tag zu legen, was seine unehrenhafte Version als Halbsänfte betraf.

„Mann, mit was hat dich Dad damals gefüttert?“, keuchte der kleinere Winchester und zog den Jüngeren dichter an sich heran, als dieser drohte, von seiner Schulter zu rutschen. „Manchmal glaube ich, dass er dir irgendetwas unter die Cornflakes gemischt hat. Mit Sicherheit hat er von irgendeiner Farm Aufbaufutter für kümmerliche Kälbchen geklaut und gedacht, er könnte dir damit etwas Gutes tun. Damals warst du ja echt ein Wicht gegen mich.“

„Dean ... .“ Ein eher genervtes als schmerzerfülltes Stöhnen erklang plötzlich dicht neben seinem Ohr und der Angesprochene hätte seine beschwerliche Last beinahe vor Schreck fallen lassen, wäre ihm nicht im letzten Moment in den Sinn gekommen, wer da ziemlich mies gelaunt versuchte, mit ihm zu kommunizieren.

„Sammy?“ Die Stimme des Älteren klang so erfreut, als hätte man ihm gerade erzählt, dass er für ein ganzes Jahr einen All you can eat-Gutschein für ein Lokal seiner Wahl gewonnen hatte. „Geht’s dir gut?“

„Natürlich“, knurrte der Andere, bis ihm mit einem Male gewahr wurde, dass sein Bruder ihn halb über die Straße schleppte. „Was tust du da?“, kam es ihm teils verwirrt, teils ärgerlich über die Lippen. Seine Füße schleiften wie nutzlose Anhängsel über die vereiste Straße, auf der sich der Kleinere nur mit Mühe halten konnte.

„Aufpassen, dass du nicht schon wieder den Boden küsst, bist ja schließlich nicht der Papst, oder?“, gab Dean spöttisch grinsend zurück, insgeheim jedoch unendlich erleichtert, dass sein ständig in Schwierigkeiten geratenes Anhängsel wieder unter den Lebenden weilte. Er hatte schon befürchtet, Sams Kopfverletzung wäre doch um einiges ernster, als zunächst von ihm angenommen.

„Egal, lass mich los, ich kann selbst gehen“, verlangte das lange Elend ungeduldig und begann, mit den Armen zu wedeln wie ein gerade flügge gewordenes Vogelkind, was ihm allerdings nur perfekt auf einer Seite gelang. Auf der anderen hielt ihn der Ältere so fest, als wäre er ein Schraubstock und Sam das gefangene wehrlose Stück Holz, dem jegliche Fluchtmöglichkeit verwehrt blieb.

„Ja, sicher, das hab ich gesehen“, erwiderte der ältere Winchester mit recht ironischem Unterton in der Stimme und amüsierte sich königlich über den schmollenden Gesichtsausdruck seines Bruders, der noch immer leise murrend versuchte, sich aus dem Griff des Kleineren zu winden, jedoch ohne Erfolg.

„Sam, verdammt! Hör auf, so herumzuzappeln wie ein Kleinkind!“, mokierte sich Dean allerdings nur wenige Augenblicke später, nachdem die Fuchtelattacken des Jüngeren überhand nahmen und zunehmend die Intensität seiner eigenen Blessuren anfachten wie ein außer Kontrolle geratenes Buschfeuer.

„Dann lass mich endlich loooooooos“, quengelte der Dunkelhaarige und warf seinem Bruder, der ihn maßregelnd anstarrte, Blicke zu, die sicherlich das Himalaja-Massiv zum Einsturz gebracht hätten, nicht aber Dean.

„Das kannst du dir abschminken“, grollte dieser daher ungehalten zurück und umfasste das Handgelenk des Hünen stärker, welcher sich gerade wie eine Schlange aus seinem Griff winden wollte.

„Mann!“, quiekte Sam aufgebracht wie eine Sau, der man soeben die Ferkel wegnahm und verzog wütend das noch sehr jugendlich wirkende Antlitz. „Was soll das ganze Theater? Ich kann laufen, schau her.“ Er zeigte zum Beweis auf seine Füße, die sich zwar etwas unsicher, aber dennoch weitaus fester über die rutschige Straße bewegten als die seines älteren Geschwisterteils, das aufgrund seiner zusätzlichen Last und der dadurch verbundenen Anstrengung immer wieder darauf achten musste, nicht zu stürzen.

„Das ist mir egal“, konterte Dean jedoch sofort, ohne die Quadratlatschen des Jüngeren in Augenschein zu nehmen, der vor Aufgebrachtheit begann, sich aufzuplustern wie ein Hahn, welcher Auge in Auge mit einem Kontrahenten stand. Aber bevor er seine Beschwerden lauthals hervorbringen konnte, redete der um gut einen Kopf kleinere Winchester an seiner Seite weiter und diese Aussage verwandelte Sams aufbrausende Empörung in betretenes Schweigen.

„Ich will nicht, dass dir etwas passiert, das ist alles.“ Es war nur ein einfacher Satz mit simpel gewählten Worten und doch bewirkten sie, dass der Ärger des Jüngeren verrauchte wie Nebel, der sich im stärker werdenden Licht des Tages auflöste. Stumm vergrub er die Augen halb unter den Lidern und starrte auf seine ausgelatschten Turnschuh, die mit jedem Schritt ein wenig vor seinem Sichtfeld verschwammen.

Womöglich hatte Dean ja recht. Vielleicht ging es ihm tatsächlich nicht so gut, wie er selbst es behauptete und jegliches Unwohlsein bestritt, aber niemals würde er das vor seinem Bruder zugeben. Und das nicht, weil sein Stolz es ihm verbat, nein, er mochte es schlichtweg nicht, wenn der Ältere sich Sorgen um ihn machte. Denn seit dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter hatte Dean die Beschützerrolle instinktiv an sich gerissen, von der Sekunde an, als das verheerende Feuer Sams Kinderbettchen zerfraß. Er machte dies mit einer Selbstverständlichkeit, welche sein eigenes Wohlbefinden stets zurückstellte.

Und Sam wusste, warum Dean das tat.

Der Braunhaarige war außer ihrem Dad der Einzige, den der nicht auf den Mund gefallene junge Mann noch hatte. Sonst war da niemand, außer vielleicht Onkel Bobby, bei dem sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatten. Niemand sonst, zu dem Dean solch eine familiäre Bindung hätte aufbauen können. Und da John zurzeit einfach unauffindbar war und es vermutlich sogar wünschte, aus welchem Grund auch immer nicht gefunden zu werden, war Sam der einzige Mensch in Deans Leben, der ihm in gewisser Weise nahe stand.

Genau das machte den großen schlaksigen Jungen plötzlich unendlich traurig. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte er Freunde an der Uni, die ihn auch jetzt noch mit Mails bombardierten und ihn darin regelmäßig fragten, wie es ihm ginge und was er so machte. Sogar in einer ernsthaften Beziehung hatte er gelebt, aus der vermutlich, wäre der tragische Tod Jessicas nicht dazwischen gekommen, noch weitaus mehr geworden wäre.

Seinem Bruder war all dies verwehrt geblieben. Er hatte es sich zur Regel gemacht, groß keine Freunde um sich zu scharen; zu oft geriet man in Erklärungsnot, mit was man sein täglich Brot verdiente. Genauso verhielt es sich mit den Frauen, welche Dean oft und gerne umschwirrten wie hungrige Bienen eine schmackhaft anzusehende Blume. Kaum wurde es zu ernst und sprach sie davon, ihn ihren Eltern vorzustellen, verabschiedete sich der junge Mann mit dem flotten Bürstenschnitt meist Hals über Kopf und ohne eine weitere Erklärung bezüglich seiner Ansichten.

Dean war in diesem Leben voller Einsamkeit und dem Wissen um das Böse genauso stark verankert wir ihr Vater. Und genau das war es, was Sam für sich selbst nicht wünschte, aber gezwungen war, sich dem zu stellen. Denn solange sie nicht den gemeinsamen Mörder ihrer Mutter und den Jessicas gefunden hatten, blieb ihm keine andere Wahl, sich wieder mit diesem Leben, was er versucht hatte, für immer hinter sich zu lassen, abzugeben.

„Sammy? Alles okay?“, wühlte sich die Stimme seines Bruders wie ein Sturm durch seine trüben Gedanken und wirbelte diese in alle erdenklichen Himmelsrichtungen davon.

„Ja ...“, gab er tonlos zurück, was allerdings nicht sehr glaubwürdig klang und schenkte dem Älteren ein gezwungenes Lächeln, das Dean ebenso gekünstelt erwiderte und ein leises Seufzen in die Nacht hinausschickte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck, welcher das Antlitz des Jüngeren in letzter Zeit des öfteren beherrschte wie ein strenger Regimentsführer seine Armee. Dem kleineren Winchester war bewusst, dass Sam sich nach seinem vorherigen Leben sehnte, aber gleichzeitig mit dem bitteren Verlust seiner Freundin kämpfte und dem daraus resultierenden Wunsch nach Vergeltung.

Es war ihm selbst nicht ganz recht gewesen, den schlaksigen Wuschelkopf vor einiger Zeit von seinem Glück wegzuzerren, hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, wie gut dieses neue Dasein seinem kleinen Bruder tat. Kein Nomadenleben mehr, in dem man von einem schäbigen Motel zum nächsten zog, keine Angst mehr um das eigene Wohlbefinden, sobald man einem übernatürlichen Wesen gegenüberstand, das nur auf Vernichtung alles Menschlichen programmiert war.

Dean hatte sich als Kind schnell damit angefreundet, es als selbstverständlich betrachtet, dass sie anders als andere Gleichaltrige aufwuchsen und es sogar auf eine bizarre Art und Weise toll gefunden. Sam dagegen hatte sich all die Jahre keinesfalls daran gewöhnen können und des öfteren gegen die Auffassungen ihres Vaters rebelliert, was der Ältere beileibe nicht wagte. Innerlich war er jedoch ein wenig neidisch darauf, dass er es nie auch nur versucht hatte, die Ansichten Johns in Frage zu stellen.

Nun ebenfalls in Grübeleien versunken bemerkte er zunächst kaum, wie jemand die Last von seiner Schulter nahm und seinen sonst eher dagegen protestierenden Bruder mühelos in den großen gelben Truck schob.

„Ihr seid wirklich ein merkwürdiges Gespann“, bemerkte der Besitzer des Gefährts schmunzelnd und rieb sich amüsiert das Kinn, als Dean herausfordernd die Unterlippe vorschob und dabei Ähnlichkeit mit einem schlecht gelaunten Orang Utan aufwies. „Aber nichts für ungut“, warf der Mann gleich hinterher, hielt die Tür zu seinem Wagen auf und deutete hinein. „Im Inneren ist es warm.“

Der Blick des anderen schweifte jedoch voller Schmerz über das arg zerbeulte Blech des rabenschwarzen Gefährtes, welches einsam und verlassen neben den beiden recht mitgenommen wirkenden Bäumen am Straßenrand verweilte.

„Keine Sorge, ich zieh den Impala gleich da weg und lade ihn auf den Hänger“, deutete der hilfsbereite Unbekannte Deans gequälten Gesichtsausdruck richtig und bewegte sich auf die Hinterseite des Abschleppwagens zu. Während der ältere Winchester sich ins Fahrerhaus mühte und dabei vor Respekt in Gedanken vor jedem noch rüstigen Rentner den Hut zog, da er sich soeben selbst wie solch einer fühlte, hörte er, wie ihr Helfer die Seilwinde klarmachte, um sein geliebtes Baby in Schlepptau zu nehmen.

Sein anderes Ziehkind saß schweigsam neben ihm, kein Mucks kam über die sonst selten stillstehenden Lippen des Jüngeren, wenn ihn etwas beschäftigte.

„Von dem lässt du dich ohne zu motzen in seine Karre hieven, aber bei mir machst du einen Heidenaufstand, als ich verhindern wollte, dass du ne Reise gen Erdboden gewinnst“, zog Dean Sam mit der Tatsache auf, dass der Hüne die Hilfe der anderen Beiden wohl doch bitter nötig gehabt hatte. „Aber egal, mit mir kann man es ja machen“, beschwerte er sich affektiert und verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen, das man selbst bei tiefster Nacht noch hätte sehen können und wartete. Jeden Augenblick müssten ihm die giftigen Kommentare seines Bruders entgegensprühen wie ätzende Säure, aber aus einem ihm unerklärlichen Grund geschah gerade dies nicht.

„Sam trägt Frauenunterwäsche und nimmt einen Teddy mit ins Bett.“

Nichts.

„Hey, hörst du mir überhaupt zu?“

Wieder keine Reaktion.

„Okay, das mit dem Teddy hab ich nicht so gemeint ... uaaaaaaah!“, kreischte Dean plötzlich erschrocken los, als der Kopf seines Bruders von der Schwerkraft übermannt auf seine linke Schulter plumpste. Instinktiv riss er die Arme hoch, so dass er den Denkapparat des größeren Winchesters wie ein Katapult in die Höhe beförderte, wo er hingehörte.

„Huaaaaaah!“, schrie Sam beinahe im perfekt einstudierten Kanon hinterher und fuhr regelrecht in seinem Sitz zusammen. „Willst du mich umbringen?“

„Das könnte ich eher dich fragen“, entgegnete der Ältere und hielt sich theatralisch das Herz. „Das nächste Mal sag Bescheid, wenn das Sandmännchen vorbeikommt, bevor ich hier Selbstgespräche führe und mir dabei total bescheuert vorkomme.“

„Du hörst dich doch gerne reden, was macht das dann für einen Unterschied?“ Sams feixendes Gesicht wirkte unter der Maske von eingetrocknetem Blut und den langsam in Erscheinung tretenden Hämatomen, die sein linkes Auge zuschwellen ließen, wie frisch einem Horrorfilm entstiegen. Deans Sorge um den Jüngeren ließ die nicht ernst gemeinten Kabbeleien zwischen ihnen sofort wieder in den Hintergrund treten, nachdem er das übel verletzte Gesicht genauer betrachtete.

„Mann, Alter“, sagte er und legte die Stirn in Falten. „In den nächsten Wochen werden dich wahrscheinlich die Frauen nicht mal mit dem Hintern ansehen.“

„Wow, das war genau das, was ich jetzt zur Aufmunterung brauchte. Danke, Dean“, gab sein kleiner Bruder bissig zurück und drückte sich mit einem erschöpften Gähnen tiefer in das Polster der Rückbank, auf der sie saßen.

„Kein Ursache“, grinste der Ältere zurück und tätschelte Sam die verwuschelten Haare wie ein verständnisvoller Vater. „Du weißt doch, ich helfe, wo ich kann.“

Aber mehr als vor Zorn sprühende blaugrüne Augen und ein müdes, eher angestrengt klingendes „Ja, sicher“ war aus dem Jüngeren nicht mehr herauszupressen. Und Dean musste sich selbst etwas kleinlaut eingestehen, dass es ihm nicht anders ging, nur mit dem kleinen feinen Unterschied, dass in seinem Schädel womöglich keine Rockband in Tinnituslautstärke herumdröhnte.

„So, euer Wagen ist so fest vertäut wie ein Schiff im Sturm und sicher den Wogen entrissen“, lenkte ihn die freundliche Stimme ihres Retters ab, der flink in sein Gefährt sprang und einige Hebel und Knöpfe darin betätigte. Ein monotones Surren drang an die Ohren des älteren Winchester, bis die stabilen Seile der Winde sich strafften und der Fremde den Motor seines Trucks aufheulen ließ. Durch den gewaltigen Außenspiegel konnte Dean den kurz vor einem Totalschaden stehenden Impala hinten auf dem Schlepper erkennen – irgendwie war er zu diesem Zeitpunkt mehr als erleichtert, dass sie ihrem Dad noch nicht begegnet waren.

„Ich bin übrigens Marty“, erwähnte der Fahrer des gelben Ungetüms und nickte den Brüdern freundlich zu. Dem Älteren fiel auf, dass der Fremde, den sie nun endlich namentlich benennen konnten, das Förmliche vom Anfang ihrer Begegnung abgelegt hatte und nun eher in einem kumpelhaften Ton zu ihnen sprach.

„Dean“, stellte er sich knapp vor und deutete mit dem Zeigefinger auf den Jüngeren, dessen Kopf wieder gefährlich in die Schräglage kippte. „Das ist Sam.“

„Hmm?“, machte dieser und schielte zwischen halb geöffneten Lidern in Richtung der Person, von der er annahm, dass sie ihn gerufen hatte.

„Schlaf lieber weiter, Dornröschen“, empfahl der kleinere Jäger erheitert, jedoch unfähig, die Sorgenfalten, welche sich auf seiner Stirn bildeten, zu verbergen. Sam schmiss ihm noch ein recht undeutlich gemurmeltes „Idiot“ ans Hirn, bevor er in einen unruhigen Schlummer fiel.

„Das sollte sich lieber ein Arzt ansehen, wenn wir in der Stadt ankommen“, warf Marty seine Bedenken bezüglich des schlafenden Jungen ein und suchte kurz Deans Blick, welcher beunruhigt auf dem mitgenommenen Antlitz seines Bruders ruhte. John hatte sie stets belehrt, nur dann Ärzte aufzusuchen, wenn sich einer von ihnen tatsächlich in Lebensgefahr befand; es war besser, sich mehr im Hintergrund zu halten, um nicht zu sehr aufzufallen. Aber woher sollte der junge Mann mit dem frechen Haarschnitt wissen, ob es Sammy so schlecht ging, dass er ihn tatsächlich in fachkundige Hände geben musste? Der Jüngere beschönigte doch sowieso ständig seinen faktischen Zustand, wenn man ihn danach fragte.

„Ich glaube, dann muss ich ihn vorher besinnungslos schlagen“, erwähnte Dean daher auf die Bemerkung des Mechanikers, der verwundert aufsah. „Er ist da doch recht eigen.“

„Verstehe“, erwiderte Marty und entblößte seine gepflegten Zähne. „Aber ich denke, er ist trotz allem in guten Händen, auch ohne Arzt.“

Wieder einmal verblüffte dieser Typ den älteren Jäger auf ein Neues. Obwohl er sie nicht einmal eine Stunde kannte, wurde Dean das Gefühl nicht los, dass der Fremde ihnen direkt bis auf die Seele blickte und dort das unzerstörbare Band der Brüder entdeckt und schätzen gelernt hatte.

Wortlos drehte er das Haupt zu Seite und starrte hinaus in die schneeweiße Winterlandschaft, die sich am Horizont mit einem sternenlosen und pechschwarzen Nachthimmel abwechselte. Einige leerstehende Viehkoppeln zogen an ihnen vorbei, umsäumt von großzügigen Stallungen und angrenzenden Farmhäusern, in denen ab und zu noch ein Licht brannte.

„Wohin fahren wir?“, fragte er nach einer Weile, während er sich die Jacke auszog und seinen kleinen Bruder damit zudeckte, welcher trotz der angenehmen Wärme im Wagen zu zittern begonnen hatte.

„Coulee City“, antwortete Marty und stellte die Heizung noch etwas höher, Dean dabei mit einem „Ich halte es doch für besser, wenn er zu einem Arzt geht“ Blick bedenkend. „Da befindet sich meine Werkstatt und auch mein Zuhause. Ich werde euch Jungs dort an dem Motel absetzen und euren Wagen zu mir bringen. Natürlich ist die Reparatur kostenlos“, bemerkte er augenzwinkernd.

„Danke, das ist ...“, begann der ältere Winchester verblüfft über dieses Angebot, wurde aber sofort von dem Fahrer des Wagens unterbrochen. „ ... wohl das Mindeste, was ich tun kann, schließlich seid ihr durch mein Verschulden zu Schaden gekommen.“ Dann schien ihm etwas einzufallen, was ihn wohl bereits die ganze Zeit über beschäftigte, denn er musterte ihn interessiert und auch etwas argwöhnisch, so, wie ihn der Jäger noch vor nicht allzu langer Zeit selbst angesehen hatte. „Was habt ihr hier draußen eigentlich gesucht? Man hat doch im Radio eine Meldung herausgegeben, bei dem Schneefall des Nachts die Straßen in dieser Gegend zu meiden.“

Jetzt war es an Dean, in Erklärungsnot zu geraten wie ein auf frischer Tat ertappter Schüler, der die Prüfungsergebnisse gestohlen hatte. Ein wenig wütend sah er zur Seite. Immer, wenn man Sam am meisten brauchte, nahm dieser gerade eine Auszeit. Was also tun? Eine Geschichte erfinden, die daraus bestand, ihnen mal wieder eine falsche Identität anzudichten? Oder sollte er einfach mal so handeln wie sein Bruder?

„Na ja, wie soll ich sagen“, begann der junge Mann mit den grasgrünen Augen und wich dem fragenden Blick seines Gesprächspartners falsche Nervosität andeutend aus. „Wir haben uns einfach total verfahren.“ Meine Güte, wenn Sammy das jetzt hören könnte, er wäre sicherlich mehr als stolz auf ihn, da er zum ersten Mal seit langem keine Lügengeschichten aufgetischt hatte, was ihr Job des öfteren von ihnen verlangte.

Dennoch schien gerade die Wahrheit bei Marty auf Granit zu stoßen, denn er schenkte Dean einen nicht gerade überzeugten Gesichtsausdruck und riss die Augenbrauen verwundert in die Höhe. „Verfahren? Diese Einöde hier ist besser ausgeschildert als so manche Großstadt. Und in jedem Ort, den ihr passiert habt, gibt es Tankstellen, die rund um die Uhr besetzt sind.“ Was soviel heißen sollte wie „Warum habt ihr nirgendwo gefragt?“

„Sagen wir es mal so“, blieb der ältere Winchester jedoch gewohnt ruhig und zog die Mundwinkel keck nach oben, „die sogenannten Hinweisschilder hatten mehr Ähnlichkeit mit einem Eis am Stiel und sahen sich nicht mehr in der Lage, uns anzuzeigen, welchen Weg wir wählen sollten. Und mein sonst so eifriger Kartenleser hier“, er deutete ein Kopfnicken in Richtung seines schlafenden Bruders an, der nervös mit den Brauen zuckte, „hielt es für angemessener, in einen Streik zu treten. Und den Gefallen, nach dem Weg zu fragen, wollte ich ihm daher ganz sicher nicht tun.“

„Verstehe“, gab der Andere leicht grinsend zurück, jeglichen Argwohn nach dieser Aussage vermeintlich beiseite schiebend, und fuhr sich über das dunkle dichte Haar, was danach genauso durcheinander wirkte wie Sams Schopf. „Dann kann man wohl sagen, wart ihr echt am Arsch.“

„Meine Rede“, bestätigte Dean die saloppe Ausdrucksweise des Fahrers, beruhigt, dass dieser nicht noch weitere Fragen stellte, aber wie so immer, hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

„Was suchen zwei Typen aus Kansas hier mitten im Winter?“ Die Art, wie er es sagte, klang keineswegs mehr so freundlich und zuvorkommend. „Ich will keine Lügen hören.“

Verdammt! Warum mussten diese Kleinstadtleute ständig so übertrieben skeptisch sein? Und zudem auch noch auf die Kennzeichen ihnen fremder Autos achten? Nun blieb ihm keine andere Wahl mehr als ihm etwas vorzuflunkern, auch, wenn er es bei diesem Mann lieber vermieden hätte, da er ihnen so selbstlos half. Andererseits hatte er keine Lust, Sam zu erklären, warum sie, verpackt in Zwangsjacken, auf die fensterlosen Wände einer Gummizelle starrten.

„Okay, erwischt“, erwiderte er daher und kratzte sich, dabei perfekt seine Beschämung vortäuschend, am Hinterkopf, dem forschenden Blick Martys hilflos ausgesetzt. „Sam und ich stammen aus Lawrence, Kansas, und arbeiten dort neben unserem Studium für eine beinahe unbedeutende Wochenzeitung, die unser Vater leitet. Wir hatten ihm versprochen, während unserer Semesterferien etwas für ihn auszuarbeiten und sind daher mit dem Wagen los. Allerdings waren wir in einem Diner am Rande von Monroe keine wirklich gern gesehenen Gäste; vermutlich mögen die Leute dort Schreiberlinge unserer Sorte nicht so, wie wir es uns wünschten. Das Ende vom Lied war, dass wir recht überstürzt von dort aufgebrochen sind und sämtliche Straßenschilder ignoriert haben. Alles andere dürfte bekannt sein.“

Stille trat zwischen sie wie eine unsichtbare Wand und Dean überlegte angestrengt, was er tun sollte, wenn ihm der Mechaniker diese Geschichte, welche doch zumindest zu einem kleinen Teil der Wahrheit entsprach, nicht abkaufen würde. Sammy schnappen und aus dem fahrenden Wagen springen? Praktisch, wenn sie einen recht schnellen und unkomplizierten Weg in Richtung Friedhof suchten, unpraktisch, da der Igelverschnitt von einem Jäger das Leben einfach zu sehr liebte und sich für den Jüngeren an seiner Seite verantwortlich fühlte.

„Wow“, unterbrach ihn jedoch die erste Reaktion Martys auf sein erfundenes Erlebtes und verwischte seine Grübeleien im Nu. „Und ich dachte, ich hätte einen verdammt schlechten Tag gehabt.“

Dean wusste hinterher nicht mehr, wie viele Tonnen an Gestein ihm vom Herzen gepurzelt waren, aber man hätte sicherlich damit die Rocky Mountains nachbauen können. Er überlegte, ob er den Älteren auf das soeben Gesagte ansprechen sollte, um weiteren unangenehmen Fragen über sich und Sam zu entgehen, aber der Schwarzhaarige redete, nun anscheinend jegliche Zweifel, welche die Brüder betrafen, beiseite gelegt, ungezwungen drauf los.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich so misstrauisch bin, aber in unserer Stadt geschehen zurzeit Dinge, die nicht sehr erfreulich sind und da begegnet man natürlich Fremden mit Skepsis.“

Der junge Mann nickte verständnisvoll, ging jedoch anschließend sofort interessiert auf die Bemerkung ein.

„Was für Dinge?“

Allerdings gab sich Marty etwas bedeckt, was das betraf und wich Deans Frage zu seiner Enttäuschung recht geschickt, aber auch mit einer gewissen Traurigkeit in der Stimme aus. „Nichts, womit ich noch mehr Menschen belasten möchte.“

So gab es für den älteren Winchester kein praktisches Hintertürchen mehr, durch das er weiteres erfragen konnte, ohne nicht aufdringlich und unhöflich zu werden. Daher zog er es lieber vor, sich auf ein wenig Small Talk mit dem Fahrer des Schleppers einzulassen, wollte er nicht ebenso einschlafen wie Sam, denn vollkommen traute er ihrem Retter noch immer nicht, mochte er noch so nett und hilfsbereit sein.

Nach einer Weile lockeren Gesprächs stellte sich heraus, dass der Mechaniker genauso autoversessen wie Dean war und sogar seinen Musikgeschmack teilte. Hätte es der junge Mann nicht besser gewusst, er hätte Marty sicherlich für einen verlorenen Onkel gehalten, den ihr Dad vergessen hatte zu erwähnen. Und bestimmt wäre ihr schwärmerischer Anflug voller Anekdoten über Rock und klassische Wagen der Sechziger weitaus amüsanter für Dean gewesen, fräße nicht die bange Gewissheit ein hässliches Loch in seinen Magen, dass mit seinem Bruder irgendetwas nicht stimmte.

Sams Kopf war bei dem Gerüttel, das sicher nicht nur an der keineswegs einwandfreien Bodendecke, sondern bestimmt auch an den jahrelang nicht gewechselten Reifen des Schleppers lag, wieder auf die linke Schulter seines älteren Bruders gepurzelt. Der ließ sich diese ungewollte Annäherung aber ausnahmsweise mal gefallen, hatte er doch dabei das Gefühl, dass der Jüngere dadurch etwas ruhiger geworden war.

Trotz seiner großen Sorge um den Wuschelkopf schlich sich ein schadenfrohes Grinsen auf Deans Lippen, während er Sams friedliches Gesicht betrachtete. Wüsste der Schlafende, was er hier gerade tat, er würde seinen älteren Bruder zweifellos ohrenbetäubend laut zur Rede stellen, warum er ihn daran nicht gehindert hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Dean sogar, ob er ein Foto von dieser seltenen Idylle zwischen ihnen machen sollte, verwarf es aber eiligst wieder. Erstens hielt er es für angebrachter, Sam für die nächsten vierundzwanzig Stunden lieber nicht zur Weißglut zu bringen und zweitens war die Gefahr zu groß, dass jemand sein Handy in die Hände bekam, von dem er es auf keinen Fall wünschte, wie zum Beispiel eine heiße Braut, die nach diesem Anblick vermutlich schneller das Weite suchte, als Dean die richtigen Worte zur Erklärung finden konnte.

Den überschwänglichen Redefluss seines Gesprächpartners durch seine Überlegungen etwas in den Hintergrund geschoben bemerkte er gar nicht, wie sie an einem freundlich gestalteten Ortsschild vorbeituckerten, auf dem weiß getünchte Segelboote und frei laufende Pferde zu interessanten Freizeitaktivitäten einluden, die man bei diesem Wetter jedoch eher auf den nächsten Frühling vertagen sollte. Erst, nachdem Martys fröhlicher Erzählstil plötzlich verstummte und Dean beiläufig aus dem Fenster schaute, an dem kleine Einfamilienhäuser wie flüchtende Hasen vorbeihuschten, suchte der ältere Winchester nach einer Bestätigung in dem Gesicht des Mechanikers, dass sie ihr vorübergehendes Ziel erreicht hatten.

„Willkommen in Coulee City“, bekräftigte der Schwarzhaarige seine Vermutung und lächelte, aber es lag nicht die gewohnte Sorglosigkeit darin, welche sein sonst auf jeden sympathisch wirkendes Erscheinungsbild ausmachte.

„Die Stadt, in der alles begonnen hat ... .“



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